Olbia in Pamphylien - Die Epigraphische Evidenz

Olbia in Pamphylien - Die Epigraphische Evidenz

GEPHYRA 3 2006 1-28 Mustafa ADAK* OLBIA IN PAMPHYLIEN - DIE EPIGRAPHISCHE EVIDENZ Für Friedrich Hild A bstract: Construction work in the old part o f Antalya brought to light a proxeny decree by the Pamphylian city of Olbia for a citizen of Cyzicus, which gives us the first piece o f epi- graphic evidence for the existence of this small coastal town. The inscription, which is to be dated to the fourth century BC, reveals that in the Classical period Olbia was an autonomous polis with the typical city organs such as the ecclesia and boule. As the names of the two citi­ zens (Pastorides und Pantaleon) mentioned in the inscription show, at least the upper class of Olbia was o f Greek provenance. The author assumes that the city was founded by settlers from western Asia Minor in the course of the Great Colonisation and was, like Phaselis and the neighbouring Aeolian settlements of Thebe, Lyrnessos and Tenedos, probably Greek in character right from the beginning. In addition, Olbia is likely to have played an important mediating role in the lengthy Hellenisation process in the indigenous cities in the Pamphylian plain. Although situated directly on the coast and endowed with a good harbour, Olbia never acquired cross-regional importance throughout its history. The reasons for this are probably to be sought not only in the fact that the city was possessed of only a small territory, but also and principally in the rivalry with the city of Phaselis only a few kilometres to the south. Sev­ eral suggestions are proferred which refute previous attempts to locate the city near Hurma or Arapsuyu on the western edge o f the great Pamphylian plain. Olbia was situated further to the south, near Kemer. In the Middle Ages the stone was probably carried as construction material from the port of Olbia to Antalya by sea, which in the case o f the important neigh­ bouring rival city o f Phaselis is attested by a number o f inscriptions. Der nur unzulänglich erforschte Westrand des Pamphylischen Golfes stellte in der Antike den klassischen Fall einer Grenzregion dar, da er mehreren Völkerschaften als Lebensraum diente. Antike Autoren haben diesen schmalen, überwiegend gebirgigen, von einigen kleinen Alluvi­ alebenen durchzogene Küstensaum zwischen Kap Chelidonia und der großen Pamphylischen Ebene mehrheitlich der Landschaft Pamphylien zugerechnet, was angesichts der Vielfalt der Ethnien und der Bedeutung des Wortes als das “Land aller Stämme” völlig zutreffend ist.1 In * Prof. Dr. Mustafa Adak, Akdeniz Üniversitesi; Fen-Edebiyat Fakültesi; Eskiçağ Dilleri ve Kültürleri Bö­ lümü; Kampus; TR - 07058 Antalya ([email protected]). Mein aufrichtiger Dank gilt der Alexander von Humboldt-Stiftung, die durch die Gewährung eines For­ schungsstipendiums die Ausarbeitung dieses Artikels und anderer Beiträge zur Geschichte und Epigraphik des antiken Kleinasiens ermöglicht hat. 1 Der Landschaftscharakter ist eingehend behandelt bei H. Saraçoğlu, Akdeniz Bölgesi, Istanbul 1968 (Tür­ kiye Coğrafyası Üzerine Etüdler III), 463ff.; G. Jahn, Die Beydağları. Studien zur Höhengliederung einer süd- westanatolischen Gebirgslandschaft, Gießen 1970 (Gießener Geographische Schriften 18), 1 Iff. Zur Bedeutung des Wortes “Pamphylien” s. J. Nolle, Die feindlichen Schwestern - Betrachtungen zur Rivalität der pamphyli­ schen Städte, in: G. Dobesch - G. Rehrenröck (Hrsgg.), Die epigraphische und altertumskundliche Erforschung Kleinasiens: Hundert Jahre Kleinasiatische Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1993, 297 Anm. 1 mit dem Hinweis auf die Orakelinschrift aus Syedra. Diese ist neuerdings ausführlich behandelt bei K. Tomaschitz, Zur historischen Einordnung eines Orakelsspruchs des Apollon von Klaros, in: Ad fontes! Festschrift fiir G. Dobesch, Wien 2004, 419 430, wo eine Datierung der Inschrift in die frühe Kaiserzeit vorgeschlagen und diese in den Kontext der im Stadiasmus von Patara genannten politischen Unruhen gerückt wird. 2 Mustafa Adak dieser ursprünglich von den pisidischen Solymem bewohnten Landschaft legten während der “Großen Kolonisation” Griechen entlang der Küste eine Reihe von Städten an, von denen ei­ nige bislang überhaupt nicht oder nicht sicher lokalisiert werden konnten. Es handelt sich um die aus der literarischen Überlieferung bekannten Orte Idyros, Olbia, Thebe, Lymessos (spä­ ter: Lymas) und Tenedos, die nördlich der um 690 v. Chr. von den Lindiem gegründeten Stadt Phaselis, d.h. etwa zwischen Kerner und dem Eintritt in die große Pamphylische Ebene, lagen. Wegen der Dominanz des Äolischen im pamphylischen Dialekt, die neuerdings in dem lan­ gen, von Claude Brixhe und Recai Tekoğlu veröffentlichten aspendischen Dekret deutlich faßbar wurde, und wegen der Tatsache, daß dieselben Toponyme Thebe, Lymessos und Tene­ dos auch in der nördlichen Äolis Vorkommen, habe ich bereits anderweitig die Ansicht geäu­ ßert, daß das betreffende Gebiet von den Äolem kolonisiert worden ist.2 Einige epigraphische Neufunde bringen etwas Licht in die nahezu dunkle Geschichte die­ ser kleinen pampylischen Orte. Eines dieser Dokumente ist das folgende Proxeniedekret, wor­ in die Stadt Olbia zum ersten Mal inschriftlich genannt wird. Das Dekret ist auf einer kleinen Stele aus weißem, porösem Kalkstein festgehalten, die unten abgebrochen ist. Sie ist 24,5 cm hoch, 22,5-23 cm breit und 6 cm tief. Die Buchstabenhöhe beträgt 1,0-1,2 cm. Gefunden wurde die Stele vor einigen Jahren bei Planierungsarbeiten in der Altstadt (Kaleiçi) von An­ talya, im Garten der Pension “Doğan Hotel” (Mermerli Banyo Sok. Nr. 5). Der Fundort liegt etwa auf halbem Weg zwischen dem Hafen und der Agora (Kesik Minare). 2 M. Adak - C. Güzelyürek, Beldibi von der Steinzeit bis heute, Istanbul 2005 (Kulturveröffentlichungen der Stadtverwaltung Beldibi I), 45ff; M. Adak, Die dorische und äolische Kolonisation des lykisch-pamphylischen Grenzraumes im Lichte der Epigraphik und der historischen Geographie, in: C. Schuler (Hrsg.), Griechische Epi­ graphik in Lykien. Eine Zwischenbilanz. Akten des internationalen Kolloquiums München, 24.-26. Februar 2005, Wien 2007 (Denkschriften der phil.-hist. Klasse 354 = ET AM 25 ), 41-50. Zu äolischen Sprachelementen im pamphylischen Dialekt s. zuletzt CI. Brixhe - R. Tekoğlu, Corpus des in­ scriptions dialectales de Pamphylie. Supplement V, Kadmos 39, 2000, 52f.: “Γapport eolien â la constitution de l’entite pamphylienne pourrait bien avoir ete beaucoup plus important que nous ne l’imaginions jusqu’ ici.” Olbia in Pamphylien - Die epigraphische Evidez 3 εδοξεν τηι βουλήι καί 2 τώι δήμωι- Παστορίδη[ς] είπεν επειδή Ηρόδοτος 4 ό Ξένου Κυζικηνός δ[ι]- ατελει τηι πόλεχ τή[ι] 6 Όλβιανών χρήσιμο[ς] ών, είναι αυτόν καί [έκ]- 8 γόνους προξένους [Όλ]- βιανών τό δέ ψήφισμα 10 τοΰτο άναγραψάστω- σαν οί ταμίαι οί μετά 12 Πανταλέο[ντα εν στήληι] [λιθίνηι κ α ί---------------- ] Den Beschluß faßten der Rat und das Volk. Pastorides stellte den An­ trag. Weil Herodotos, der Sohn des Xenos, Bürger von Kyzikos, sich der Stadt der Olbianer fortwährend nützlich erweist, sollen er und seine Nachkommen Proxenoi der Olbianer sein. Diesen Beschluß sol­ len aufschreiben die Schatzmeister, die mit Pantaleo[n................-]. Z. 2: Der Antragsteller hieß ganz sicher Παστόρίδη[ς], weil der Anfangsbuchstabe eindeu­ tig ein Pi ist. Geläufige Namen wie Kastorides und Mastorides sind wegen des klaren Be­ funds auszuschließen. Pastorides scheint ansonsten nicht bezeugt zu sein. Z. 10f.: Die Form άναγραψάστωσαν ist auf Inschriften selten anzutreffen. Vgl. z.B. die Ehrung aus Erythrai für einen Richter aus Kos (I. Erythrai I, 202f. Nr. 112; erste Hälfte des 2. Jhdt.s v. Chr.): οί δέ στρατηγοί οί στρατ[ηγήσοντες] τήν δευτέραν τετράμηνον επί ιερ[οποιου του] μετά Έρμόδωρον έσομένου εν τώ[ι περί της] διοικήσεως ψηφίσματι γραψάστωσα[ν δθεν] [ά]φοριστήσονται πόροι εις στήλην [εις ήν άνα]γραφέν τόδε τό ψήφισμα καί παρ’ ή[μιν άνατε]θη ου αν τώι δήμωι δόξη. Z. llf.: Pantaleon war anscheinend der Prostates der Schatzmeister; vgl. z.B. IG XII,2 Nr. 645a, Z. 44-48 (Ehrendekret des Nasiotenbundes für Thersippos, 317 v. Chr.): άνάγραψαι δέ τοίς ταμίαις τοίς μετ’ Ήρακλείτω τό [ψ]άφισμα εις στάλλαν λιθίναν τώ έκ Θέρμας λίθω καί στάσαι οππα κε Θε[ρ]σίππω συνα[ρ]έσκη μέχρι Πορνοπίας. IG II2 Nr. 1277, Ζ. 33-36 (Athen, um 278/7 v. Chr.): άναγράψαι δέ τόδε τό ψήφισμα τούς έπιμελητάς τούς μετά Δημοκλέα εν στήληι λιθίνηι καί στησαι έν τώι ίερώι. Ein früher Träger des Namens war der Tyrann von Pisa, der Mitte des 6. Jhdts den Eleaten vorübergehend die Leitung der Olympischen Spiele entriß (Paus. 6.22,2; vgl. L. de Libero, Die archaische Tyrannis, Stuttgart 1996, 220f.). Pantaleon ist vielerorts belegt, kommt aber vor allem in Ätolien (LGPN IIIA, 350f.), Delphi (LGPN IIIB, 322) und am Kimmerischen Bosporus (LGPN IV, 269) vor. Schriftform und Datierung Der Text selbst liefert keine konkreten Hinweise für eine Datierung der Urkunde. Sie muß über den etwas unsicheren Weg der Buchstabenformen gewonnen werden. Wegen der ver­ wandten Paläographie und der geographischen Nähe bietet sich der aus dem zweiten Viertel 4 Mustafa Adak des 4. Jhdts stammende Staatsvertrag zwischen Maussolos und den Phaseliten als Vergleichs­ stück an. Diese ursprünglich in Phaselis, also wenige Kilometer südlich von Olbia aufgestellte Marmorstele (Höhe: 31 cm; Br.: 33 cm) wurde nach Attaleia verschleppt, wo sie im Jahre 1874 von Gustav Hirschfeld entdeckt und nach Berlin gebracht wurde. Adolf Wilhelm urteilte über die Inschrift: “Paläographisch ist der Stein ein Stück ersten Ranges.”3 Die Proxenieurkunde aus Olbia und der Vertrag

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