labor:theorie Schriftenreihe herausgegeben vom Frauen.Kultur.Labor thealit Band 3 thealit 2006 labor:theorie Ulrike Bergermann medien//wissenschaft. Texte zu Geräten, Geschlecht, Geld Impressum Ulrike Bergermann, medien//wissenschaft. Texte zu Geräten, Geschlecht, Geld 3. Band der Schriftenreihe labor:theorie thealit Bremen 2006 http://www.thealit.de Design Ellen Nonnenmacher, Berlin Umsetzung Alexandra Bialas, Hamburg Druck Geffken & Köllner, Bremen ISBN 3-930924-08-0 Inhalt I N H A L T labor:theorie 10 Vorwort 11 Pop, Kultur, Geld 13 Karaoke, Abstand und Berührung 15 Castingshows, Selbstdrehtechnologien, falsche Flaschen. 33 Zur Sichtbarkeit von Drehmodellen Co-Branding: Genre- und Globalisierungsfragen 49 an Nikes Clip „Freestyle“ Kreisen, Fühlen, Unterbrechen. 69 Eine Anti/Zirkulations-Kampagne The Pencil of Truth. 93 William Marstons Lügendetektor und Wonder Woman Freakstars oder Freaxploitation? 123 Schlingensiefs ‚Freaks‘ und von Triers ‚Idioten‘ Digitales 153 Reproduktionen. 155 Digitale Bilder und Geschlechter in Alien Robotik und digitale Schmiermittel: 177 Björks doppelte Maschinenliebe in All Is Full Of Love Inhalt Morphing. Profile des Digitalen 197 AS. Naturgesetz Liebe und digitale Reproduktion 227 do x. Manifesto no. 372 246 Genetik 249 Informationsaustausch. 251 Übersetzungsmodelle für Genetik und Kybernetik Das graue Rauschen der Schafe. 265 Grafiken für die Übertragung von Nachrichten und Genen Die Kunst der Verwandtschaft 285 und die Küche der Repräsentation. Zur Geschichte wissenschaftlicher Modelltiere Resolutions. 301 Datenbanklogik, Bioinformatik, Wissensproduktion beim Human Genome Project Ausstellen und Anfassen 321 Schöner wissen. 323 Selbsttechniken vom Panorama zum Science Center Implantate. Fremde und neue Körper zur Expo 2000 357 Customizing the Marsian Home. 371 The Single-Schubladen-Selection-Contest Vision der unbekannten Kunst 377 Nachweise 381 Vorwort Vorwort Gertrude Stein will dem Geschnatter ihrer Tanten beim Schreiben zuge- hört haben, Michel Foucault hörte die Stimme seines Lehrers in seiner Antrittsvorlesung - was thealit statt Tanten und Lehrern versammelt, hat noch keinen Namen; hier murmeln Patinnen aus fünfzehn Jahren voller Symposien, aus Claudia Reiches Digitalem Feminismus und Andrea Sicks Orientierungen. Die meisten Beiträge dieses Bandes sind zwischen 2003 und 2006 entstanden, zwischen verschiedenen Institutionen, und so haben sie weniger einen Ort, ein Thema oder einen theoretischen Ansatz als vielmehr ein Interesse, daran, in Gefügen von Dingen und Methodischem hin- und her zu schreiben: alte und neue Hits aus Wissenschaftskritik, political correctness, Museen, Schubladen, Digitalität, Geräte- und Frauengeschichten, Popularisierungen, Science, gesammelt und nach- gesungen, ähnlich und unähnlich, andere im Ohr. Ulrike Bergermann 11 Pop, Kultur, Geld Karaoke, Abstand und Berührung This might work in practice, but does it work in theory? Tafel im Büro von Sibylle und Matthias Karaoke, Abstand und Berührung Wo sonst kann man Wiederholung und Präsenz gleichzeitig haben, für Momente lang? Zusammen mit anderen? Wenn Katja Flesh for Fantasy singt, wissen wir beide und alle im Raum, wie Billy Idol es getan hat, Katjas Stimme macht Billys gegenwärtig, insofern ihre es auch ist, und wir hören im gleichen Zuge die Unterschiede zwischen beiden. Hier wird dann viel Platz für Verschiedenes: Hingabe und Affirmation, phallische Anmaßung oder ironisches Augenzwinkern; hat schon Idol den Wilden nicht nur gemimt?, Genuss, Schaudern. Hier ist Affirmation nötig. Karaoke kann nicht in erster Linie kri- tisch sein, eventuell ist der Akt der Aneignung selbst schon subversiv, aber dazu ist nicht die Absicht der/des Ausführenden vorausgesetzt. Die Konstruiertheit des natürlich erscheinenden Zusammenhangs von sex, gender und Begehren, von Verhaltensregeln, Anatomie und Identität hatte Judith Butler als eine beschrieben, die in der Parodie sichtbar wird, ob mit oder ohne Intention in einer Wiederholung, am ‚falschen‘ Ort oder mit kleinen ‚Fehlern‘.2 Nicht die ‚richtige‘ Stimme haben, nicht am richtigen Ort stehen, aber echt sein in seiner Lust an der Wiederauffüh- rung: Hier spannt sich ein weiter Bogen u.a. zwischen Travestieshows, lip-synching, kommerziellen karaokeartigen Superstar-Fernsehshows, die vielleicht das Abwesende erst so richtig zum Original machen, aber es damit immer auch schon verbrauchen und neu erfunden haben. Mehr Vgl. Geheimagentur in : Doing Theory, Nr. 8/9: 3, Das Magazin des Instituts für Theorie der Gestaltung und Kunst, Zürich 2006. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. (Suhrkamp) 99 [Gender Trouble, 990], 203 et passim, übers. v. Katharina Menke. 15 Pop Kultur Geld Original geht nicht. Und es geht nur im Kollektiv, und es geht nicht ohne Reproduktionstechniken. Für die Zeit der Aufführung ist die Welt so falsch und in Ordnung, wie sie nur sein kann. Eine Generation nach ihrer Theoretisierung ist Parodie in ihrer Gesangsform Mainstream geworden, und das führt die Absurditäten des Business vor: Sei ganz du selbst und völlig diszipliniert; je individueller, desto typisierbarer, marktförmig verwertbarer werden die Charaktere. Die DSDS-Printma- gazine (Merchandising-Produkt zur Fernsehserie Deutschland sucht den Superstar) sind ein Hort der Traurigkeit, aber die Fernsehausstrahlung hat etwas mit dem Abend in der Karaokebar gemeinsam, was Barthes eine nicht-subjektive Erotik genannt hat, deren Lust keine feste Gestalt gewinnt.3 Abb. 1 3 „Wenn ich die ‚Rauheit‘ einer Musik wahrnehme und dieser ‚Rauheit‘ einen theoreti- schen Wert beimesse ..., so kann ich nicht umhin, mir eine neue, vermutlich individuelle Bewertungstabelle zu erstellen, da ich entschlossen bin, meinen Bezug zum Körper des oder der Singenden oder Musizierenden zu hören und dieser Bezug erotisch ist, aber keineswegs ‚subjektiv‘ (nicht das psychologische ‚Subjekt‘ in mir hört; die Lust, die es sich erhofft, verhilft ihm nicht dazu, sich zu festigen – sich auszudrücken –, sondern, im Gegenteil, zum Selbstverlust). Diese Bewertung wird ohne Gesetz vor sich gehen; sie 16 Karaoke, Abstand und Berührung Keine feste Gestalt gewinnen auch die Theorien, die durch Karaoke auf- geführt scheinen. Mimesis, Differenz, Reproduktion und Wiederholung, Selbstaffektion und einige andere medientheoretische Figuren werden im Auftritt modellierbar. Oder: aus mehreren Testläufen lässt sich eine theoretische These modellieren. Im Folgenden treten einige Theoreme in Zitaten und anderen Wiederholungsformen auf. „Wenn wir le même, das Selbst, sagen oder auch moi-même, ich selbst, dann sollten wir eingestehen, dass wir le mime, der Schauspieler oder Mime hören oder auch ‚Imitation‘, also immer noch eine Beziehung.“ Ähnlichkeit: Mimesis und das Infra-Geringe Alte Reproduktionstechniken zeigen noch einen Unterschied zwischen Original und Kopie, neue nicht, jedenfalls ist das nicht mehr von Be- deutung, schreibt Gabriele Brandstetter über Karaoke. Ob sich Original- Lied und von jemand anderem nachgesungenes Lied im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit unterscheiden, sei nicht von Interesse, denn es gehe um eine Ähnlichkeit zwischen beiden, nicht um eine Imi- tation des Originals. Mit bezug auf Aristoteles’‚ Schauspieltheorie und Roger Caillois’ Mimikrykonzept fasst Brandstetter Mimesis nicht als Schauspielerei, sondern als Spielarten einer Inszenierung des Ich, als Form der (Selbst-)Konstitution in und durch Performance. „Mimikry ist, so gesehen, Imitation und Camouflage in einem.“ Die Mimikry der wird dem Gesetz der Kultur entgegenarbeiten, aber auch dem der Antikultur ...“ „Die ‚Rauheit‘ wäre demnach folgendes: die Materialität des Körpers, der seine Muttersprache spricht; vielleicht der Buchstabe; beinahe mit Sicherheit die Signifikanz.“ Roland Barthes, Die Rauheit der Stimme [972]. In: ders., Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III, Frankfurt/M. (Suhrkamp) 990, 269-278, übers. v. Dieter Hornig, hier 27, 277, 27. Michel Serres, Atlas, Berlin (Merve) 200 [zuerst Paris 99], übers. v. Michael Bischoff, 7f. Gabriele Brandstetter, Stimm-Doubles: Performance mit dem Bildschrim. Notizen über ‚Karaoke‘. In: dies., Bild-Sprung. TanzTheaterBewegung im Wechsel der Medien, Berlin (Theater der Zeit. Recherchen 26) 200, 3-38, hier 36. Vgl. dies., „Fälschung wie sie ist, unverfälscht“. Über Models, Mimikry und Fake. In: Andreas Kablitz, Gerhard Neumann (Hg.), Mimesis und Simulation, Freiburg (Rombach) 998, 419-449. 17 Pop Kultur Geld Karaoke führe im Gegensatz zur einfachen Nachahmung das Darstellen der Darstellung vor; bei aller Ähnlichkeit bleibt die Differenz sichtbar, die Lücke ist im Design eingefaltet, „eine Täuschung, die vorgibt zu ‚fälschen‘ und diese Strategie gleich wieder aufdeckt.“6 Karaoke ist die Verkörperung dieser Strategie. In ihr sind (z.B. geschlechterbezogene) Konsolidierungen von Rollen möglich oder auch Subversionen. Wenn Brandstetter nun als Autorin ein Stimm-Double für andere Theoretiker ist, deren Stimmen sie in Bezug auf ein neues ‚Objekt‘ stellt, so hat sie Ähnlichkeiten hergestellt und ihre Tricks aufgedeckt; ob in diesem Pas- sendmachen eine Lust lag, konnte ich nicht feststellen: Teilweise passt es zu gut, teilweise sind die Differenzen zu groß – vielleicht müssen die Teile einander noch etwas näher rücken. Auch zwischen industriellen Serienprodukten, etwa den Flaschentrocknern oder den Urinoirs, die Marcel Duchamp als Ready-mades ins Museum brachte, gibt es Unterschiede. Georges Didi-Huberman rekapituliert, es ginge Duchamp darum, „das Infra-Geringe zu erzeugen oder
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages383 Page
-
File Size-