Sport AUTORENNEN Marionetten der Technik Früher ging es in der Formel 1 um Leidenschaft, Leben und Tod. Heute geht es um Marketing. Durch den Einstieg der Automobilwerke haben sich die Rennfahrer von freischaffenden Künstlern zu beflissenen Angestellten gewandelt. Prompt beklagt die Branche einen Mangel an Star-Appeal. uf der Rennstrecke ist schon länger dort hinter Absperrgittern. „Wer für 300 da an ist jede Minute vorgegeben. „Mar- nichts mehr los, die Gemeinde harrt Euro eine Karte kauft, hat auch das Recht, keting Media Driver Appearance Sche- Adennoch aus. Ein Held soll kom- ein Autogramm auf seine nassgeschwitzte dule“ steht über dem Ablaufplan des men, für 16.45 Uhr ist er versprochen. Mütze zu bekommen“, sagt Norbert Haug, BMW-Williams-Teams. An diesem Nürburg- Mercedes hat eine große Bühne aufge- der Mercedes-Motorsportchef. Montoya ar- ring-Freitag muss Nick Heidfeld, 28, elf Po- baut hinter der Haupttribüne am Nürburg- beitet sich mit dem Filzstift einmal die Büh- sitionen abarbeiten, vom „engineers de- ring. Rennwagen stehen in der Kulisse, eine ne entlang. Dann eilt er, ohne eine Geste brief“ vor der ersten Testrunde bis zum Band rockt nach Kräften, nebenan werden des Abschieds, zurück zum Auto. „Michelin Meeting“ am frühen Abend. Um Fanartikel verkauft. Mit ernstem Gesicht wirft sich der Held 20 Uhr wird Heidfeld im „Formel BMW Ein Radioreporter des SWR führt durch in den Fond dieses silbernen ML 500, ihm Paddock“ erwartet, einem großzügigen, im diesen Freitagnachmittag, bis zum Grand folgt sein Manager, „Werkswagen“ steht blauweißen Corporate Design gestalteten Prix sind es noch 45 Stunden. Der Held hat auf der Heckklappe. Pavillon am Rande der Strecke. Verspätung, das „technical briefing“ mit Zehn Minuten dauerte der Kontakt mit Formel BMW heißt die Nachwuchsserie den Ingenieuren dauert etwas länger. Sechs seinen Verehrern. Im Terminkalender eines des Münchner Autokonzerns. 26 Fahrer OLIVER RECK OLIVER JOHN TOWNSEND / BMW JOHN TOWNSEND Formel-1-Piloten Montoya (am Nürburgring), Heidfeld (mit BMW-Nachwuchsrennfahrern): Zehn Minuten für die Fans Mitarbeiter in Mercedes-Kleidung laufen Formel-1-Fahrers der Neuzeit sind zehn sind am Start, 8 von ihnen genießen ein Sti- backstage umher, per Walkie-Talkie erfährt Minuten unschätzbar wertvoll. pendium von je 50000 Euro, Fitnesstrai- einer: „Montoya fährt los in einer Minute.“ Als der Grand-Prix-Zirkus noch ein ning und Mediencoaching inklusive. Sie Auf der Bühne überragt der Moderator Abenteuerspielplatz für Egomanen war, sind zwischen 15 und 19 Jahre alt, sie tra- den Rennfahrer um mehr als einen Kopf. die „die Freiheit genossen, etwas Gefähr- gen alle eine blaue Hose und ein blaues Juan Pablo Montoya, 29, Kolumbianer, im liches zu tun“ (Ex-Vizeweltmeister Jacky Hemd, auf dessen Rücken in Silber „Ju- fünften Jahr in der Formel 1, seit dieser Ickx), hatten die Fahrer gegen 16.45 Uhr nior“ gestickt ist. Sie haben sich, die Hän- Saison bei McLaren-Mercedes, gibt sich schon lange Dienstschluss. Da aalten sich de artig über den Steiß gelegt, im Halbkreis aufgeschlossen, optimistisch, locker. Er hat die todesmutigen Helden gemeinsam am um Nick Heidfeld gruppiert, der lässig auf diese amerikanische Art, ohne Inhalt zu Pool des Intercontinental in Rio oder der einem Barhocker Platz genommen hat. Die reden, er ist eine freundliche Phrasen- Kyalami-Ranch nahe Johannesburg. Al- Junioren haben Zahnspangen, Pickel, Gel sprühmaschine. Drei Fragen hat der SWR- lenfalls der Gedanke daran, wer in der Sai- im Haar, einer trägt eine gelbe Sonnen- Mann vorbereitet, „die Fans sollen schließ- son auf der Strecke bliebe, mochte den fa- brille auf dem Schopf. lich nicht zugelabert werden, die wollen miliären Umgang dieser Schicksalsge- Sie stellen sich vor, und dann stellen sie Autogramme“. meinschaft trüben. eine Frage. Sie müssen es in Englisch tun, Nach drei Antworten steigt Montoya Heute beginnt ein Grand Prix für die Pi- denn Englisch ist die Sprache des interna- hinunter in einen Korridor. Die Fans stehen loten am Donnerstagvormittag – und von tionalen Motorsports. Einer will wissen, 64 der spiegel 29/2005 IMAGO / HOCH ZWEI Renault-Fahrer Alonso beim Boxenstopp (beim Großen Preis von Malaysia): Elitekommandos von Weltkonzernen wie es Heidfeld mit der Medienarbeit hal- lig, nur das McLaren-Cockpit mochten sie prallte nicht an Heidfelds Ignoranz ab, te. „I think“, antwortet der Ehrengast und ihm nicht überlassen. sondern an dessen Vorsicht. schaut dem Fragesteller direkt in die Au- Nach ein paar Umwegen über Hinter- „In der Formel 1 werden viele Gerüch- gen, die Medienarbeit sei natürlich Teil des bänkler der Formel 1 schaffte es Heidfeld te, Unwahrheiten oder Halbwahrheiten ge- Berufs, aber er habe eine „clear line“ ent- diese Saison ins Auto eines renommierten streut“, sagt Heidfeld abgeklärt, es sei wickelt, in der Öffentlichkeit nicht über zu Teams. „Für einen Renningenieur ist Nick schwierig, an einem Rennwochenende die viel Privates zu reden. der perfekte Rennfahrer“, urteilt Williams- Wahrheit herauszufiltern. „Wenn ich dann Anschließend werden Fotos geschossen, Technikdirektor Sam Michael, „cool, nicht etwas sage, fällt es vielleicht auf mich ein werkseigenes Filmteam dreht ein paar emotional, analytisch, sehr präzise“. Heid- zurück.“ Minuten, die man vor allem jenen Fern- feld kann das Verhalten seines Fahrzeugs in Der moderne Rennfahrer meidet außer- sehsendern anbieten wird, die sich den Zu- jeder Kurve abspeichern und später refe- halb des Cockpits jedes Risiko. Da unter- gang ins Reich des Bernie Ecclestone nicht rieren. „Er ist geradezu roboterhaft-ratio- scheidet sich Nick Heidfeld nicht von Gian- leisten können, dann wird Tischfußball ge- nal“, sagt BMW-Motorsportchef Mario carlo Fisichella und ein Rubens Barrichel- spielt. Heidfeld wirkt jetzt sehr jung. Theissen. lo nicht von Jenson Button. Im Grunde ist es ja auch eine Begeg- Ein Charakterzug, mit dem er auch an- Beim letzten Rennen in Silverstone geriet nung mit der eigenen Vergangenheit. Es dere Herausforderungen seines Jobs zu be- Button, 25, für einen Moment in Gefahr. sei ihm „so unwahrscheinlich nah vorge- wältigen versucht. Im Frühjahr war der Auf einer Pressekonferenz wurde er ge- kommen, dass ich in deren Position gewe- Rennstall BAR-Honda mit einer Manipu- fragt, ob er wie die meisten Rennställe die sen bin“, sagt der gebürtige Mönchen- lation am Mindestgewicht des Autos auf- Abwahl von Weltverbandspräsident Max gladbacher später, „das war ganz komisch“. geflogen. Ein Journalist wollte daraufhin Mosley befürworte. Einen Moment steuer- Nick Heidfeld ist ein moderner Renn- von Heidfeld wissen, ob es ihn nicht ärge- te Button eine ausweichende Antwort an, fahrer, ein Produkt der Autoindustrie. Als re, offenbar über mehrere Rennen von ei- doch mitten im Satz brach er den Versuch er 19 Jahre alt war, nahm Mercedes den nem Konkurrenten betrogen worden zu ab – dazu habe er „nichts zu sagen“. Hochbegabten, der schon mit sieben Jah- sein. Heidfeld erklärte, dass sich solche Ge- Es sind momentan politisch verwickelte ren im Kart saß, unter sein Patronat: For- danken für ihn nicht auszahlen würden: Zeiten in der Formel 1. Der BAR-Honda- mel 3, Formel 3000, Testfahrer in der For- „Hilft mir das dabei, schneller zu werden?“ Betrug, die Michelin-Affäre, das Ringen mel 1, die Stuttgarter arrangierten eine Der Journalist mochte es nicht glauben, um die Zukunft mit der Drohung der Wer- De-luxe-Ausbildung, zahlten gut sechsstel- auch weiteres Insistieren schlug fehl. Er ke, eine eigene Rennserie zu gründen – es der spiegel 29/2005 65 Sport gibt eine Menge Gründe, Mosley loswer- verlieren können – gewonnen werden sie macher, und wenn er aussteigt, weiß er ge- den zu wollen. Aber weiß Button, was sei- von den Buchhaltern an der Box, indem sie nau, was sein Arbeitgeber von ihm erwar- ne Chefs wirklich denken? Ob nicht hinter den idealen Moment zum Nachtanken er- tet: Er nimmt eine Uhr (Sponsor: TAG den Kulissen schon wieder an einer Ge- rechnen. Aus ehedem freischaffenden Heuer) entgegen, deren Gliederarmband heimdiplomatie gefeilt wird? Künstlern, die sich mit brachialen Über- so locker sitzt, dass sie bei der Siegereh- Auf Buttons Hemd sind viele Sticker. holmanövern in die Herzen des Publikums rung auf dem Handrücken garantiert gut Von British American Tobacco, dem Geld- fuhren, sind Marionetten geworden, die sichtbar ist; er zieht die blaue Kappe (Rei- geber. Von Honda, dem Motorenpartner. höchstbezahlten Angestellten von Welt- fenlieferant Michelin) fürs Podium auf und Von Michelin, dem Reifenlieferanten. Die unternehmen. Sie werden sehr jung sehr später die schwarze Kappe (Hauptsponsor Sticker wirken wie ein Korsett. Sie engen reich, aber sie bleiben ein Teil des großen West) für die Pressekonferenz; er dankt den geistigen Bewegungsspielraum ein. Ganzen. Austauschbar, verwechselbar. dem Team, dem Motorenpartner, er lässt „Die heutigen Fahrer bauen Schutzwäl- „Teams und Sponsoren manipulieren sich nicht ein auf Prognosen („alles kann le auf“, sagt BMW-Direktor Theissen. das Image der Fahrer“, greint Formel-1- passieren“), und wenn er seine Emotionen Ob damit der Formel 1 ein attraktives Vermarkter Bernie Ecclestone. „Es fehlen bei der Siegerehrung beschreiben soll, sagt Element verloren gehe – die Persönlich- die Fahrer mit Charisma“, jammert Mana- er im Ton einer Bandansage, ohne Mimik, keit, der individuelle Charakter des ohne Gestik: „Es ist immer schön zu Fahrers? „Man kann nicht alles ha- gewinnen, aber es ändert mein Le- ben“, antwortet Theissen. ben nicht. Es ist nicht genug, wir Bis Anfang der neunziger Jahre
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