Die Außenpolitik Der DDR in Den Achtziger Jahren

Die Außenpolitik Der DDR in Den Achtziger Jahren

III. Höhenflug und Absturz: Die Außenpolitik der DDR in den achtziger Jahren 1. Zunehmende Distanzierung von der Sowjetunion Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der DDR in den achtziger Jah- ren waren durch zunehmende Distanzierung der beiden Staaten geprägt. Der DDR blieb die Existenzgarantie zunächst noch erhalten; erst 1989 wurde sie ent- zogen, als die sowjetischen Truppen trotz der Massendemonstrationen in den Kasernen blieben. Empfindlich reduziert wurden aber die sowjetischen Unter- stützungen für die DDR, da die Sowjetunion als Weltmacht an die Grenzen des- sen gestoßen war, was sie für ihre Klientenstaaten ökonomisch leisten konnte. Die DDR war indes aufgrund ihrer sich ständig verschlechternden Finanzlage auf weitere Hilfen von außen angewiesen. In dem Maße, in dem sie die sowjetische Unterstützung einbüßte, suchte sie diese folglich in der Bundesrepublik und be- gab sich damit immer mehr in Abhängigkeit von ihrem westdeutschen Konkur- renten. Bis 1985 konnte sich Ost-Berlin jedoch des ideologischen Einklangs mit Moskau sicher sein. Nach dem Machtantritt von Michail Gorbatschow drohte ihr zusätzlich, diese Sicherheit verloren zu gehen. Die DDR fühlte sich zunehmend zwischen einer reformorientierten Sowjetunion und der kapitalistischen Bundes- republik in die Zange genommen. Vor diesem Hintergrund zerfallen die ost- deutsch-sowjetischen Beziehungen in den achtziger Jahren in zwei Phasen, von denen die erste von 1981 bis 1984 und die zweite von 1985 bis 1989 dauerte. Von der Abkopplung zur Konfrontation (1981-1984) Einen Wendepunkt nicht nur für die ostdeutsch-sowjetischen Beziehungen, son- dern für die DDR-Außenpolitik insgesamt stellte die Kürzung der sowjetischen Rohöllieferungen ab 1982 dar. 1978 hatte Ost-Berlin eine solche Reduzierung noch abwenden können. 1981 war insofern eine neue Situation eingetreten, als sich die Sowjetunion von ihrem Vorhaben, die Erdöllieferungen deutlich zu ver- ringern, nicht mehr abbringen ließ. Bereits bei dem Krim-Treffen hatte Breschnew Honecker am 3. August 1981 auf eine Berechnung sowjetischer Experten auf- merksam gemacht, derzufolge „der direkte Vorteil der Bruderländer durch die Brenn- und Rohstoffe aus der UdSSR im vergangenen Jahrfünft 15 Milliarden Ru- bel ausmachte, und in diesem Jahrfünft fast 30 Milliarden betragen wird". Dieser Gewinn, so fügte er unter Anspielung auf die ostdeutsche Praxis hinzu, sei noch größer, wenn „die Empfänger der sowjetischen Lieferungen von Erdöl und Erd- ölprodukten diese an Kapitalisten weiterverkaufen". Honecker, der nach den Er- fahrungen der Vergangenheit ahnte, daß diese Andeutungen nichts Gutes bedeu- teten, betonte noch einmal, wie „lebenswichtig" für die DDR die sowjetischen Lieferungen seien1. Doch die Sowjetunion sah sich, wie Breschnew am 27. August 1 Hertle/Jarausch, Risse im Bruderbund, S. 201, 224; vgl. Winkelmann, Moskau, das war's, S. 103. 478 III. Höhenflug und Absturz 1981 an Honecker schrieb, zur Kürzung der Erdöllieferungen an eine ganze Reihe von RGW-Staaten gezwungen; die DDR sollte statt 19 nur noch 17 Mio. Tonnen jährlich erhalten. Nach einer Beratung im Politbüro bat Honecker in seiner Ant- wort vom 4. September, die Entscheidung zu revidieren: Aus dieser Kürzung re- sultierten wirtschaftliche Probleme, die „die Grundpfeiler der Existenz der Deut- schen Demokratischen Republik untergraben". Auf die von Abrassimow über- brachte Ablehnung dieser Bitte versuchte es Honecker am 2. Oktober mit einem weiteren Schreiben an Breschnew, in dem er geltend machte, die DDR könne bei verringerten Lieferungen „die Aufgaben ihrer ökonomischen Entwicklung nicht mehr zufriedenstellend lösen". Außerdem verwies er darauf, daß die DDR auch die sowjetischen Truppen auf ihrem Territorium mit Energieträgern versorge2. Zu diesem Zeitpunkt hatte SPK-Chef Schürer bereits mit dem sowjetischen Gosplan- Vorsitzenden Baibakow verhandelt. Doch dieser hatte lediglich angeboten, die fehlenden 2 Mio. Tonnen Erdöl gegen die Zahlung von rund 600 Mio. Dollar in freien Devisen zu liefern, womit der DDR nicht geholfen war3. Im Rahmen seiner Reise zu den verbündeten Staaten im Oktober 1981 erläu- terte ZK-Sekretär Konstantin Russakow die Kürzungen, die neben der DDR Un- garn, die CSSR und Bulgarien betrafen. Während Kádár, Husák und Schiwkow zähneknirschend ihr Verständnis und ihre Zustimmung zusicherten, bezeichnete Honecker den sowjetischen Beschluß nach wie vor als unannehmbar. Russakow erläuterte am 21. Oktober, daß die Sowjetunion wirtschaftlich in größter Be- drängnis sei: Wiederholte Mißernten hätten sie gezwungen, ihr Erdöl vermehrt ins kapitalistische Ausland zu verkaufen, um von dem Erlös Getreide und Zucker zu erwerben. Auch sprach er - etwas kryptisch - von einem „Unglück von einem Ausmaß, wie es [dies] seit der Existenz der Sowjetunion noch nicht gegeben hat". Obwohl Honecker aus Russakows Ausführungen entnehmen mußte, daß die So- wjetunion wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand stand, ließ er sich nicht er- weichen. Wiederholt hielt er dem Abgesandten Breschnews vor Augen, welche Konsequenzen der Kürzungsbeschluß für die DDR haben werde: Eine Senkung des Lebensstandards und die Schließung von Betrieben würden das Vertrauen des Volkes in die Partei- und Staatsführung erschüttern und damit die Stabilität des Staates untergraben. Hintergrund war für Honecker die Konkurrenzsituation zur Bundesrepublik - er sprach von „dem pausenlosen Feuer des Westens" -, in der die DDR ohne entsprechende Unterstützungen aus der Sowjetunion nicht beste- hen konnte. Russakow solle Breschnew daher offen fragen, „ob es 2 Millionen Tonnen Erdöl Wert sind [sie!], die DDR zu destabilisieren und das Vertrauen unserer Menschen in die Partei- und Staatsführung zu erschüttern"4. In Moskau wurde in einer Politbürositzung am 29. Oktober zwar über das Problem disku- tiert, und Breschnew gab zu, daß er sich dabei „besonders um die DDR Sorgen" mache. Baibakow bestand jedoch darauf, gegenüber der DDR hart zu bleiben: 2 Vgl. Hertie, Die Diskussion der ökonomischen Krisen, S. 321 (erstes Zitat); Nakath, SED und Perestroika, S. 13 (zweites Zitat). Kubina/Wilke, Hart und kompromißlos durchgreifen, S. 40, 44, datieren das erste Schreiben Honeckers irrtümlich auf den 7. 9. 1981. 3 Zur Beratung Schürer-Baibakow am 15. 9. 1981 Hertie, Die Diskussion der ökonomischen Krisen, S. 321. 4 Niederschrift des Gesprächs Honecker-Russakow, 21. 10. 1981 (Auszug), in: Herbst/Stephan/ Winkler, Die SED, S. 752-755, die Zitate S. 754 und 753. 1. Zunehmende Distanzierung von der Sowjetunion 479 Wenn es Honecker gelänge, „eine Bresche zu schlagen", würden auch die anderen betroffenen Parteiführer Einspruch einlegen5. Am 19. November wurde daher der DDR endgültig mitgeteilt, daß an der Kürzung der Rohöllieferungen kein Weg vorbei führe6. Dies war der Auftakt zu schwierigen sowjetisch-ostdeutschen Wirtschaftsbe- ziehungen. Die Sowjetunion und die DDR blieben füreinander zwar die jeweils wichtigsten Handelspartner; auch konnten sie das Handelsvolumen von 10,69 Mrd. Rubel im Jahre 1981 auf 14,85 Mrd. Rubel im Jahre 1984 steigern7. Gleich- wohl waren die Verhandlungen über den Warenaustausch in einem sehr viel grö- ßeren Ausmaß als zuvor von Auseinandersetzungen gekennzeichnet. Die Erdöl- lieferungen blieben ein Dauerbrenner bei den Begegnungen Honeckers mit den sowjetischen Generalsekretären. Doch obwohl Honecker immer wieder um eine Erhöhung der Lieferungen bat und 1984 sogar anbot, daß sich die DDR an der Er- schließung neuer Ölquellen im Kaspischen Meer beteiligen werde, blieb die so- wjetische Seite hart. Zu Beginn des Jahres 1984 schien sich die Situation sogar zu- zuspitzen, als es zu Lieferrückständen bei den Erdöllieferungen kam. Bei den Ver- handlungen über die Plankoordinierung für die Jahre 1986 bis 1990 wurde dem ostdeutschen Botschafter Winkelmann Mitte 1984 sogar angedeutet, daß die Lie- ferungen von Erdöl und anderen Rohstoffen in die DDR weiter reduziert wür- den. Gleichzeitig häuften sich die sowjetischen Vorwürfe und Forderungen ge- genüber der DDR: 1983 wurde Winkelmann immer wieder vorgehalten, die DDR liefere Waren in die Sowjetunion, die nicht absetzbar seien; außerdem verlangte die sowjetische Seite mehr Lebensmittel aus der DDR. Als Winkelmann dies ab- lehnte, erwiderte der zuständige Sektorenleiter im ZK der KPdSU, Alexander Martynow: „Ihr solltet weniger essen!" Diese Divergenzen gingen auf den in der DDR im Vergleich zur Sowjetunion höheren Lebensstandard zurück - ein Faktor, der die Verhandlungsposition der ostdeutschen Funktionäre insgesamt schwächte8. Da die Sowjetunion wirtschaftlich längst an ihre Grenzen gestoßen war, konnte sie ihre Klientenstaaten nicht mehr in dem bisherigen Ausmaß sub- ventionieren. Die DDR sah sich von diesen Kürzungen besonders bedroht, da ihr bewußt war, daß sie dadurch in der deutsch-deutschen Konkurrenzsituation mehr und mehr ins Hintertreffen geriet. Die Kürzung der sowjetischen Erdöllieferungen führte auf die Dauer zu einer bisher nie dagewesenen Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen zur Bundes- republik. Zunächst versuchte die DDR, den Verbrauch von Ol in der DDR durch das Programm der „Heizölablösung" drastisch einzuschränken. Bis Ende 1983 wurde mit großem Aufwand das für die Wärmeversorgung benötigte Erdöl fast vollständig durch Braunkohle ersetzt. Das eingesparte Heizöl - immerhin sechs Mio. Tonnen - wurde gewinnbringend zum Weltmarktpreis in den Westen expor- tiert. Auch die Exporte weiterer Rohstoffe und Konsumgüter sowie die Geschäfte 5 Auszug aus dem Protokoll der KPdSU-Politbürositzung vom 29.10. 1981, in: Bukowski, Abrech-

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