Die Sängerin Judith Holofernes wollte wissen, wie es sich L E „da oben“ anfühlt – auf Festivals und in Fernsehstudios. G E I P S R E D / Z U E R K T S O / L E K C E M N I W A D Gesellschaft Musik Glücklich, unterm Strich Mit ihrer Band „Wir sind Helden“ eroberte Judith Holofernes die Charts und wurde zu einem idol. Wie überfordert sie war, wusste niemand. Nach zwei Jahren kehrt sie mit einem soloalbum zurück. Wird sie durchhalten? Von Ullrich Fichtner urch den Görlitzer Park von Ber - Die blauen Augen der entschlossenen jun - tig, zumal das einer Frau mit dem künst - lin-kreuzberg, dessen Eingänge gen Frau, die damals auch schon 22 war lernamen Judith Holofernes, in dem Dneuerdings rund um die uhr von und die bei ihren allerersten Auftritten schönheit und Tod immer miteinander Drogendealern besetzt sind, streift verlo - in vergammelten kneipen ihren Traum ringen. ren ein Ritter, die Rüstung aus Wolle, ein besang, ein Popstar zu werden, auf der „immer im roten Bereich“ habe sie sich schaukelndes Filzpferd, groß wie ein ganz großen Bühne, mit der schönen, grö - bewegt, sagt sie, „immer die Angst des Pony, mit Gurten um den Leib geschnürt. ßenwahnsinnigen Zeile: „ich will mich Rennfahrers im Nacken, das steuer zu Musik ist zu hören von irgendwoher, keu - da oben sehn.“ verreißen und an die Wand zu klatschen.“ chende Gitarren und eine Frau, die singt: sie konnte nicht wissen, wie es sich an - sie erzählt von den rasenden Jahren ihres „Gib mir ein leichtes schwert, für meine fühlen würde „da oben“, im Licht, auf Lebens in den Drehpausen, im Mietbus müde Hand, eins, das tanzt wie ein Platz eins der Charts, auf Festivals vor des Filmteams, in ihrer „Hasenwohnung“ schmetterling, tanzt …“ 80 000 zahlenden Zuschauern, wie es sich an der Hasenheide, wo sie arbeitet. Erin - Es nieselt, der November ist da, die sitzt in den Fernsehstudios bei Maybrit nert sich an die Zeiten, in denen die Band Dealer, nervöse, dunkle Gestalten, wissen illner, bei Harald schmidt, als er noch manchmal 33 konzerte in sechs Wochen nicht, ob sie lachen oder davonlaufen sol - groß war, wie es ist, dem Dalai Lama die spielte. sie trinkt kaffee mit sojamilch, len, sie werden gerade Teil einer kunst, Hand zu schütteln. sie ahnte nicht, wel - weil sie gegen kuhmilch und alles Mögli - Teil eines Musikvideos. Teil des Come - che Wellen es schlägt, wenn sich jemand che sonst allergisch ist, gegen Roggen - backs von Judith Holofernes. wie sie frontal mit der „Bild“-Zeitung an - mehl, katzen und Nüsse, sie bringen ihr Ein dürrer kameramann in Zehenschu - legt, was sie tat, als sie sich nicht für deren Asthma. Was ist geworden aus ihren Pop - hen aus genopptem Gummi folgt ihr über Werbekampagne mit Prominenten her - star-Träumen? Hat sie das Glück gefun - den nassen Rasen, die Musik kommt aus geben wollte und ihre Absage an die Wer - den? „Ja“, sagt sie, „und das unglück.“ einer Minianlage in einer seiner Hosen - beagentur Jung von Matt mit den Worten Viele konzerte hat sie mit Fieber und taschen. Judith Holofernes, im Ritterkos - begann: „ich glaub, es hackt.“ sie wusste Halsweh gesungen, vollgestopft mit Para - tüm, wollte sie unbedingt hören während nicht, wie erbarmungslos der Rummel cetamol. Noch als ihr sohn im Dezember des Drehens, nah bei sich, um ganz exakt um den Ruhm sein kann, wie tief Müdig - 2006 geboren war, als ihre Tochter im Au - im Takt zu schreiten. sie kann sehr peni - keit geht, wie schnell sich alles so anfühlt, gust 2009 auf die Welt kam, absolvierte bel sein, gerade jetzt. Nach zwei Jahren „als würde man sich selbst nicht mehr ge - sie große Tourneen mit gleich zwei Baby - Funkstille, nach dem vorläufigen Ende hören“. Judith Holofernes ahnte nicht, sittern im bedrückend engen Tourbus, rüt - ihrer Band „Wir sind Helden“ werden dass Popstar werden leichter ist als Pop - telnde Fahrten, Tausende kilometer weit, Ende dieser Woche neue Lieder von ihr star sein. mit manchmal nicht schlafenden, zeitwei - im Radio zu hören sein, weitere folgen ihre Augen spiegeln diese Erfahrung lig kränkelnden, häufig schreienden kin - über den Winter, ein paar Videos dazu, heute, auf den zweiten Blick, eine spur dern, immer zwischen Windeln und Wes - ein paar ins internet gestreute „Teaser“, von Zweifel liegt manchmal in ihnen, eine terngitarren. dann kommt im Februar das neue Album kleine, kichernde Angst, wenn sie sich Oft musste sie direkt vom Mikrofon, auf den Markt: „Ein leichtes schwert“. die Reaktionen auf ihre neue Platte aus - von der Rampe weg zum stillen hinter Von Judith Holofernes. sie ist wieder da. malt, die Gemeinheiten, mit denen sie die Bühne hetzen. Oft wollte Judith Ho - Vier Tage vor dem Videodreh im Gör - rechnen muss. in der Jauchegrube der lofernes, zwischen konzerten in Mün - litzer Park, am ersten Montag im Novem - internet foren hat sie schon kommentare chen, Hamburg, köln und Berlin, zwi - ber, hat sie die Masterbänder, nach mo - gefunden, die ihr die Aufhübschung mit schen Auftritten in Hannover, Nürnberg, natelanger kleinarbeit, morgens um neun Botox nachsagen. sie lacht darüber, leidet Wien und Frankfurt einfach nur nach Hau - hektisch in die Produktion geschickt. in aber darunter. sie kann, sagt sie, schlech - se. Auf der Couch liegen. Fernsehserien der Nacht zuvor stieß sie die Reihenfolge te kritiken, Bösartigkeiten schlecht parie - gucken. Früh schlafen. Aber das wollte der Lieder noch einmal um. sie will ein ren. sie liest, leider, alles. Dünn ist ihre niemand wissen. und keiner zulassen. Album vorlegen, auf dem endlich „alles Haut geblieben, ihr Panzer nur aus Wolle Die Fans nicht, die Medien nicht, die genau so klingt, wie ich es will“, sagt sie, und Filz. Musikmaschine nicht, sie bastelten sich das Visier aus Filz und Wolle für einen Wer Judith Holofernes ein wenig be - ihre Judith zurecht, nach Belieben, einen Moment geöffnet, das Gesicht gerötet gleitet, lernt schnell, dass sie mitten im starschnitt ihres Popstars, erst als stern - von der Last des falschen Pferds. Glück, das ihr geschenkt war, nicht selten chen und Girlie, bald als Bannerträgerin sie hat, auf den ersten Blick, noch im - sehr unglücklich gewesen sein muss, dass einer „neuen Neuen Deutschen Welle“. mer die anrührend klaren Augen des das Wunder, das sich an ihr vollzog, das sie bekam mit den „Helden“ Preise und Mädchens, das sie vor 15 Jahren war, in Märchen, das sie lebte, so erfüllend war, Plaketten verpasst, „klassensprecher der der Zeit vor dem Ruhm, vor den „Hel - wie es sie zugleich aushöhlte. Das ist ein Nation“, sie wurde zur modernen Über - den“, vor der Heirat, vor den kindern. Paradox, aber das Leben ist so uneindeu - mutter, zur konsumkritischen superhel - der spiegel 47/2013 59 Gesellschaft din einer neuen Zeit. Wenn sie diesen zu - geschriebenen Bildern in interviews zu widersprechen versuchte, klang es kokett, es klang undankbar, weil ein Popstar in dieser Welt ein Popstar zu sein hat, das heißt größer, schöner, strahlender als ein normaler Mensch. Das kleine Filmteam verlegt sich vom Görlitzer Park zur Oberbaumbrücke, Ju - dith Holofernes überquert als Ritter aus Fleisch und Filz die spree. Die Passanten reagieren belustigt oder beleidigt, eine grantige Pflegerin, die eine Alte vor sich herschiebt, ruft durch den Regen, feind - lich, Richtung Ritter: „Vorsicht, hier kommt ’n Rollstuhl.“ Durch die stahlträ - ger der Brücke bietet sich ein Panorama der elenden Berliner Hässlichkeit, mit Fernsehturm und Baukran, ein Postkar - tenbild des chronisch unfertigen, auf das die stadt so stolz ist. Hier ist Judith Holofernes zu Hause, hier kam sie, im alten West-Berlin, als Ju - dith Holfelder auf die Welt, der kiez zwi - schen „Görli“ und „schlesi“, zwischen Görlitzer Bahnhof und schlesischem Tor, ist Heimat. Mit ihrer kleinfamilie, den zwei kindern und ihrem Mann Pola Roy, Künstlerin Holofernes im Ritterkostüm auf der Oberbaumbrücke in Berlin, als Sängerin mit ihrer der bei den „Helden“ das schlagzeug spielte, wohnt sie in der Nähe des urban- bald, was man ein sorgenfreies Leben rattert sie in „MiLF“ ihre Plattensamm - krankenhauses. Es gibt die kleine Woh - nennt. lung herunter. so tonlos hingeschrieben nung an der Hasenheide, es gibt ein stu - Auf die ersten Plätze stiegen danach klingt das fade, aber „Hasenherz“ und dio an der skalitzer straße. Wer die Ge - auch die letzten „Helden“-Alben „so - „Liebe Teil 2“ haben das Zeug zum Hit. gend kennt, fragt sich, wie Judith und die undso“ und „Bring mich nach Hause“. Es gibt Lieblingslieder namens „Pechma - „Helden“ aus dieser Lebenswelt so viel Nur war mittlerweile, dank Web 2.0, rie“ und „Brennende Brücken“ und dies - schönheit schöpfen konnten. iTunes, spotify und Co., die alte Musik - mal nur eine einzige schwarze Ballade Beglückende Popsongs sind ihnen ge - industrie überholt und mit ihr der Zwang mit dem Titel „Havarie“. lungen, „Ein Elefant für dich“, „Müssen und die gute sitte, ganze Alben zu kau - Mit der Meinung, dass „Nichtsnutz“ nur wollen“, „Aurélie“, „Denkmal“. Be - fen, statt einzelne Hits per Mausklick im den Auftakt des Albums machen müsse, rückende Liebeslieder wie „Außer dir“, internet downzuloaden. ein Lob des Müßiggangs, war sie allein, „Bist du nicht müde“, „Du erkennst mich Judith Holofernes’ Lieder waren plötz - gegen alle – ein Gefühl, das sie kennt. nicht wieder“. Judith Holofernes und die lich nicht mehr Teil eines durchdachten, Gleich am Anfang ihrer „Helden“-kar - „Helden“ hatten Erfolg, weil sie sich und mühsam kalkulierten Werks, sondern nur riere rieten ihr Manager, sich von der vielen anderen aus dem Herzen sangen noch Treibholz im großen, billigen Band zu trennen, aus Gründen besserer und weil Judith Holofernes Zeilen auf un - „stream“. Die beiden letzten Alben der Vermarktbarkeit, aber sie kannten Judith sere Zeit dichtete und vertonte, die blei - „Helden“, erschienen 2007 und 2010, ver - Holofernes schlecht. Niemals hätte sie die ben werden. Weil sie mit Wörtern spielte kauften sich, verglichen mit den vorheri - Freunde einfach so in die Wüste geschickt, wie kaum ein deutscher Popstar vor ihr, gen Triumphen, nur noch um die 150 000- und nie hat sie sich um ihre „Vermarkt - weil sie perfekte Lieder zum perfekten mal.
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