Hol Den Vorschlaghammer. Deutschsprachige Popmusik - Romantiker Und Antiromantiker

Hol Den Vorschlaghammer. Deutschsprachige Popmusik - Romantiker Und Antiromantiker

• illHemons~Hwenuun~t mema rnonográfi~o http://dx.doi.org/10.12795/mAGAzin.2005.i16.13 Lesezeichen Nr. 5: Hol den Vorschlaghammer. Deutschsprachige Popmusik - Romantiker und Antiromantiker NADJA NITSCHE Salamanca Wahrend in Deutschland ernsthaft über Quo­ ell beeindruckender Weise sichtbar macht. schiedenen Stellen grundsatzliche Selbst­ ten für deutsche (oder deutschsprachige?) Dazwischen sieht man einen verwundeten zweifel: Popmusik im Radio diskutiert wird, kommt Wehrmachtssoldaten, der durch die Trüm• in Spanien kaum jemand a uf die Idee, Pop­ mer Berlins humpelt, dumpf brummende Doch bleiben viele Fenster leer, musik in einer anderen als der eigenen Spra­ Rosinenbomber, die Berlin mit Lebensmit­ Für viele gab es keine Wiederkehr. che zu hi:íren. Spanische Deutschlerner wer­ teln wahrend der Blockade 1948/49 versor­ Und über das, was grad noch war, den sich über Songs mit deutschen Texten gen, (teilweise farbige) Ausschnitte aus dem Spricht man heute lieber gar nicht al so vielleicht weniger wundern als das deut­ Berner WM-Finale von 1954, Bilder vom [mehr. sche MTV-Publikum, obwohl das ja mitt­ Mauerbau 1961, Ausschnitte aus einerwest­ (Strophe 2) lerweile auch sehr auf Xavier Naidoo, Sil­ deutschen Wochenschau, die das Wirt­ bermond, Juli, Annette Louisan und all die schaftswunder der fünfziger und sechziger Auferstanden aus Ruinen dachten wir, anderen steht; von Altbewahrten wie den Jahre dokumentieren, idyllische Vorgarten­ Wir hatten einen Traum vollbracht. Toten Hosen, Marius Müller-Westernhagen szenen aus jener Zeit (ebenfalls in Farbe) 40 Jahre zogen wir an einem Strang. oder Nena ganz zu schweigen. und schlieRlich Aufnahmen vom Mauerfall Aus Asche haben wir Gold gemacht. Da sich die Lesezeichen mit Literatur be­ 1989. Seine Suggestivitat zieht dieser Bil­ schaftigen, haben wir für die folgenden Le k­ derbogen nicht zum wenigsten aus der Tat­ Jetzt ist mal wieder alles anders türe-(und Hi:ír-)Empfehlungen Songs aus­ sache, dass der begleitende Erzahler immer Und was vorher war, ist heute nichts gewahlt, die interessante Textarbeit ermi:íg• ein und derselbe ist: Peter Heppner tritt in [mehr wert. lichen, für die wir mit unseren Interpreta­ <<Wir sind wir>> als altersloser Beobachter Jetzt ki:innen wir haben was wir tionen Anregungen geben wollen. Dabei mi:ich­ auf, de1; als Journalist mit Schreibmaschi­ [wollen, ten wir - passend zum Heftthema - Lieder ne und Handkamera ausgerüstet, im ver­ Aber wollten wir nicht eigentlich viel vorstellen, die sich im Spannungsfeld von wackelten Dogma-Stil das Schicksal der (West) [mehr? Romantik und Antiromantik bewegen. Deutschen von 1945 bis heute Revue pas­ (Strophen 5 und 6) sierenlasst. Und was er uns zeigt, Paul van Dyk 1 Im Sommer 2004 ist ganz ohne Zweifel eine Doch was hier aufdenerstenBlick als selbst­ Peter Heppner: machte ein Musik­ Aufstiegs-, eine Erfolgsge­ kritische Bestandsaufnahme des westdeut­ «Wir sind wir» video in Deutsch­ schichte, die freilich mit schen Wohlstands- und Wirtschaftswun­ land Furore, das in dem grüblerischen Re­ ders, sogar- siehe Strophe 2 - als Kritik an (2004) suggestiver Text- frain des Liedes kontrastiert: der Verdrangung von Vergangenheit ver­ Bild-Kombination <<Dochich frag, ich frag mi eh, standen werden ki:innte, ist in Wahrheit trot­ markanteEinschnit­ werwirsind.>>/ <<Undichfrag, ziges Beharren a uf der Fahigkeit des <<Wir», te der deutschen Nachkriegsgeschichte im ich frag mi eh, wo wir ste­ alle Schwierigkeiten zu meistern: Zeitraffer beschwor: <<Wir sind wir>> von hen.>> Wahrenddie Paul van Dyk und Peter Heppner'. Aus­ Bilder von << Wir Wir sind wir! Wir stehen gangs- und Endpunkt der in diesem Video sind wir>> ein un­ [hier! erzahlten Geschichte markieren Bilder des zweideutiges Aufgeteilt, besiegt und Berliner Reichstages 1945 und heute, wo­ <<Auferstanden [doch, bei das Schlussbild in raffinierter <berblen­ aus Ruinen>> SchliefSlich leben wir ja dung flir den Bruchteil einer Sekunde noch zumAusdruck [noch. einmal den Blick auf die Fassade in ihrem bringen, arti­ zersti:írten Zustand freigibt und so den Wan­ kuliert der Wir sind wir! Wir stehen del zwischen Kriegsende und heute in visu- Text an ver- [hier! 74 Magazin r1 1 l 1 1 Das kanns noch nicht gewesen sein. ist freilich nicht neu, sie hat ihre Vor­ 1 Keine Zeit ztlm Traurigsein. liiufer, die bis zur Wende vom 18. zum 1 Wir sind wirl Wir stehn' hier! 19. Jahrhundert zurückreichen. Die 1 Wir sind wir! damalige Rückbesinnung der deut­ 1 (Strophen 3 und 4) schenRomantikaufNation, Geschich- te und Religion war der Versuch, Wir sind wir! Wir stehen hier! den als krisenhaft wahrgenomme­ Wieder Eins in einem Land, nen Aufléisungserscheinungen der Superreich und abgebrannt. sich um 1800 rasant beschleu­ nigenden Modernisierung et­ Wir sind wir! Wir stehen hier! was dem Wandel Entzogenes So schnell kriegt man uns nicht klein, entgegenzusetzen, der freilich von Keine Zeit zum bitter sein. vorneherein Gefahr lief, ins Wir sind wir! Wir stehn' hier! dumpfKonservative, gar Re­ 2 Wir sind wir! aktioniire umzuschlagen , Bewusst oder unbewusst Wir sind Wir! knüpfen van Dyk und Hepp­ Aufgeteilt, besiegt und doch, ner mit ihrer tautologischen SchlieRlich gibt es uns ja immer noch. Leerformel des << Wir sind wir» an die­ se Tradition an, ihre Asthetik liisst sich Wir sind wir! als eine Aktualisierung solcher kon­ Und wir werden's überstehen, servativen Romantik deuten. Der An­ Denn das Leben muss ja weitergehen. schluss an diese Tradition erkliirt auch zu einem guten Teil, warum <<Wir sind Wir sind wir! wir» den Zuhéirer und Zuschauer zu Das ist doch nur ein schlechter Lauf. bewegen vermag, allerdings nicht oh­ So schnell geben wir doch jetzt nicht ne dabei ein unbestimmtes Unbehagen [auf. auszuléisen. Georg Diez beschreibt den (Strophen 7 - 11) Sound von <<Wir sind wir» in der Frank­ (U11er Allgemeinen Sonntagszeitung in eben- Als Sinnbild die ser Fiihigkeit fungiert in<< Wir so zutreffender wie verriiterischer For­ sind wir>> die deutsche FuRballnational­ mulierung als << ein über das Brüllen, über mannschaft, die 1954 die Weltmeisterschaft das Wollen, über den Trotz gelegter elek­ gewann und damit zur kollektiven Projek­ tronischer Klangfl uR, der ein en fast ra usch­ tionsfliiche jener <<Wir sind wieder wer»­ haft mitziehen will» - man ahnt in diesem Mentalitiit wurde, die- gespeist von auRen­ <<wi!J, die Angst des Kritikers vor dem viel­ politischen, wirtschaftlichen und eben nicht leicht etwas peinlichen Eingestiindnis, dass aus ihrem zuletzt a u eh sportlichen Erfolgen- das Selbst­ dieses Ziel auchdurchaus erreichtwird. Und eigenen Coup herauskom­ bewusstsein der Westdeutschen in den fünf• es verwundert andererseits nicht, dass das men werden. » ziger Jahren entscheidend bestimmte. Die Video in bestimmten Teilen des Feuilletons Kommensienicht. <<BéihseEnkel» haf­ Refrainformel <<Wir sind wir» ist leicht als sehr gut ankam. So zeigte sich etwa Susan­ tet mm als warnendes Etikett dem Duo eine Anspielung auf dieses <<Wir sind wie­ ne Leinemann in der Welt tief beeindruckt an - der geraunte Verdacht: Die stehen der wer» zu entschlüsseln. Indem van Dyk und nahm van Dyk 1 Heppner gegen Kri­ weit rechts. Der Vorwurf, erst in der Frank­ 3 und Heppner den 2004 ohnehin mit gro­ tik in Schutz : furter Allgemeinen Sonntagszeitung zu le­ Ber Aufmerksamkeit bedachten historischen <<Und wiihrend man vom Pop-Pathos sen und dann von Spiegel online weiterge­ WM-Sieg so demonstrativ in den Mittel­ überwiiltigt auf dem Sofa sitzt, nimmt tragen, lautet: <<béihse Ambivalenz». Das punktrücken, suggerieren si e, dass die kom­ man verwundert dieses neue Gefühl wahr, Lied von Heppner und van Dyk transpor­ plexe, ebenso éikonomische wie moralische durch ein Musikvideo von Deutschland tiere eine Botschaft, die provokant unein­ l<rise der Gegenwart- <<superreich und ab­ und seiner Nachkriegsgeschichte ergrif­ deutig bleibe. <<]etztkéinnen wir haben, was gebrannt» heiRt es in bewusst paradoxer fen zu sein. So oft gab es das nicht, ein wir wollen 1 aber wollten wir nicht eigent­ Formulierung - nur in gemeinschaftlicher gutes Lied über diese Nation - ohne Iro­ lich viel mehr?» Was als Appell an ein wie­ l<raftanstrengung, also a uf dem Wege einer nie, ohne Abwertung, ohne Distanz. Im der vereintes und doch orientierungsloses Wie auch immer zu denkenden kollektiven Gegenteil, voller Anteilnahme. Und mit Deutschland gemeint war, zu seiner eigenen Mobilisierung zu bewiiltigen ist. Das Set­ jeder neuen Woche steigt die Spannung, Stiirke zu finden so wie in den kraftvollen zen aufs Kollektiv als Reaktion a uf ICrisen ob Heppner und van Dyk unbeschadet Aufbaujahren der Fünfziger und frühen julio 2005 75 Tema monográfico • Sechziger, das erscheint der Kritik gefahr­ neutrale: <<nichts ist wirklich wichtig>>, <<al­ wenden kann, also gerade in Situationen lich. [ ...] Am Ende bleibt <<Wir sind wir» les auf dem Weg>>, <<es ist okay>> (Zeile 8), in denen nichts okay ist. ' ein Popstück - seine Halbwertzeit ist kurz. und auch poetisch verfremdete, die sich aber Nun überrascht auch nicht weiter, das Aber der Streit um Lied und Video ist sym­ leichtentschlüsselnlassen: <<Sonnenzeit>>, <<am dieselben vier Strophen enden mit «du ptomatisch für eine Generation, die sich in Strand des Lebens>>, <<Das Firmament hat fehlst>>, Hier wird eine Lücke bezeichnet den Neunzigern unter dem Dreigestirn Iro­ geoffnet, 1wolkenlos und ozeanblau>> (Zei­ ein Mangel oder Verlust; die um diese Lük: nie, SpaJSkultur, Nostalgiefand undnun aus­ le 18f.). Was für eine Stimmung es genau ke herum aufgebotene Romantik offenbart einander lauft. Einige

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