Norbert Eschborn Thailand unter Thaksin. „Neues Denken, Mit ihrer Wahlentscheidung vom 6. Januar 2001, der Aus- neues Handeln“ – stattung der stärksten par- lamentarischen Kraft durch die absolute Mehrheit der zurück in die Zukunft? Mandate im Repräsentan- tenhaus, haben die Thais für ein Novum in der politi- schen Geschichte des Köni- greichs gesorgt. Der neue Premierminister Thaksin Die Wahlen zum thailändischen Repräsentantenhaus Shinawatra, begleitet nur am 6. Januar 2001 haben zu dem erwarteten Macht- von seinem Image als er- wechsel geführt. Mit einem in seiner Höhe allerdings folgreicher Geschäftsmann, überraschenden Erdrutschsieg seiner TRT schaffte wurde auf einer unerwartet hohen Popularitätswelle in der Medienunternehmer Dr. Thaksin Shinawatra sein neues Amt getragen. eine politische Sensation: Die erst vor drei Jahren Doch nun wird der Wahlsie- entstandene TRT nimmt allein knapp die Hälfte der ger, der sich im Wahlkampf als nationaler Retter zu 500 Mandate des Repräsentantenhauses ein und kann profilieren versuchte, an nach der in Aussicht stehenden Fusion mit der Split- den von ihm selbst gesetz- terpartei Seritham sogar mit einer formell absoluten ten Standards gemessen Mandatsmehrheit rechnen. Die bisher regierende werden. Sein Kabinett wird unter dem Druck der von Demokratische Partei von Premierminister Chuan TRT, der von Thaksin ge- Leekpai wurde von den Wählern mit deutlichem gründeten Partei, beson- Abstand auf den zweiten Platz und damit in die ders bei sozial schwächeren Opposition verwiesen, auch wenn sich ihre Stim- Bevölkerungsgruppen ge- weckten Erwartungen ste- menverluste in engeren Grenzen hielten als von der hen. Gleichzeitig setzen die Parteiführung zunächst befürchtet. Die anderen Par- finanz- und wirtschafts- teien hingegen verloren entweder dramatisch oder politischen Rahmenbedin- gungen des Landes dem schafften erst gar nicht den Sprung ins Parlament. Handlungsspielraum der Geradezu ausgelöscht wurden einige der bekanntes- Regierung enge Grenzen. ten Mandats-Erbhöfe landesweit bekannter Politiker Die thailändische Zivilge- und Familien. sellschaft wünscht zwar den Erfolg der angestrebten Keine gewählte, zivile Regierung in der neueren sozialen Reformen, wird Geschichte des Königreichs konnte sich bisher auf aber darüber wachen, dass eine solch breite parlamentarische Basis der Regie- die Thaksin unterstellte rungspartei stützen wie TRT, denn absolute Mehr- enge Verbindung zwischen Politik und Geschäft nicht heiten waren im Repräsentantenhaus bisher unbe- in eine Umkehr der seit kannt. Gleichwohl erstrebte Thaksin von Beginn an 1997 erreichten politischen die Bildung einer Koalition mit bis zu zwei kleineren Reformen mündet – Anzei- Partnern, um sich eine stabile, strategische Regie- chen dafür gibt es bereits. Ist Thailand zurück auf rungsmehrheit zu sichern, die in Thailand in der dem Weg in die Zukunft? Regel über der absoluten Mehrheit liegt, in diesem 82 KAS-AI 3/01, S. 82-127 Fall bei etwa 320 Mandaten. Der rechtliche Hinter- grund für diese Zahl ist der Artikel 185 der Verfas- sung, wonach ein Misstrauensvotum gegen den Pre- mierminister nur von mindestens zwei Fünftel der Mitglieder des Repräsentantenhauses, d.h. 200 Abge- ordneten, beantragt werden kann. Damit hat der neue Regierungschef die parlamentarische Opposi- tion schon am Beginn der Legislaturperiode um eines ihrer traditionell gegen den Premierminister einge- setzten Kampfmittel gebracht. Das Wahlergebnis Erstmals kamen bei dieser Wahl die Bestimmungen der Reformverfassung von 1997 sowie des in ihrem Gefolge verabschiedeten Wahlgesetzes zur Anwen- dung: 400 Abgeordnete wurden in Einerwahlkreisen nach Mehrheitswahlrecht gewählt, weitere 100 ka- men über landesweite Parteilisten nach Verhältnis- wahlrecht ins Parlament, wobei eine Fünf-Prozent- Sperrklausel galt. Wahlberechtigt waren insgesamt 42,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger, rund 4,3 Millionen mehr als 1996. Die Wahlbeteiligung lag mit 69,95 Prozent ebenfalls höher als beim letzten Mal (1996: 62,42 Prozent). Diese Zahl ist angesichts der in Thailand geltenden Wahlpflicht um so bemerkenswerter, als Ergebnis der Wahl zum ein knappes Drittel der Wahlberechtigten sich auch thailändischen Repräsen- tantenhaus am 6. Januar durch die Strafandrohungen für Nichtwahl in keiner 2001 (Sitzverteilung nach Weise beeindrucken ließ. Immerhin 2,49 Prozent Parteien und Regionen) Parteien Bangkok Zentral- Nord- Nordost- Süd- Wahlkreis- Partei- Gesamte Region Region Region Region Mandate Listen- Mandate Mandate TRT 29 47 54 69 1 200 48 248 DEM 8 19 16 6 48 97 31 128 CT 0 21 3 11 0 35 6 41 NAP 0 3 1 19 5 28 8 36 CP 0 4 2 16 0 22 7 29 ST 0 0 0 14 0 14 0 14 R01010202 TT 0 0 0 1 0 1 0 1 SAP 0 0 0 1 0 1 0 1 Gesamt 37 95 76 138 54 400 100 500 Quelle: Election Commission of Thailand; TRT = Thai Rak Thai, DEM = Democrat Party, CTP = Chart Thai, NAP = New Aspiration Party, CP = Chart Pattana, ST = Seritham, R = Rassadorn, TT = Thin Thai, SAP = Social Action Party (es standen 43 Parteien und 3721 Kandidaten zur Wahl). 83 1) Die in vielen Wahlkreisen ins- oder rund 745 000 der abgegebenen Stimmen für die besondere des Nordostens zu beobachtende Wählerwande- Parteilisten bzw. zehn Prozent oder 2,9 Millionen rung von der dort über ein Stimmen für Wahlkreiskandidaten waren ungültig. Jahrzehnt vielerorts dominie- renden NAP Chavalits zur Analysiert man das Wahlergebnis unter regionalen TRT Thaksins hat in der thai- Aspekten, ergibt sich z.B. bei den Parteilistenmanda- ländischen Presse zu Spekula- ten eine klare Aufteilung des Landes in zwei Einfluss- tionen hinsichtlich möglicher Wahlkreisabsprachen zwischen sphären, wobei sich erneut die Erfahrung bestätigte, beiden Parteien geführt. Tat- dass das Votum der Landbevölkerung des Nord- sächlich gab der NAP-Gene- ralsekretär Wan Muhamad ostens entscheidet, welche Partei die Regierung bildet. Nor Matha dies mit Bezug Während TRT nahezu im gesamten Norden (woher auf die Nachwahlen am 29. der in Chiang Mai geborene Thaksin stammt) und Januar öffentlich zu. Dem- nach sollten in Wahlkreisen, Nordosten – auf Kosten der dort bisher dominieren- wo am 6. Januar die Differenz den NAP1) – die meisten Stimmen gewinnen konnte, zwischen dem NAP- und dem TRT-Kandidaten mehr als gelang es den Demokraten weitgehend, ihre süd- 2000 Stimmen betragen habe, thailändischen Hochburgen in einem Gebiet, das die Stimmen des Kandidaten mit dem schlechteren Ergeb- sich von der Provinz Petchburi bis an die malaysi- nis dem jeweils anderen Be- sche Grenze erstreckt, zu halten. Die traditionellen werber „zugeleitet“ werden. Machtzentren der anderen, kleineren Parteien – z.B. Eine detaillierte Analyse der Wahlkreisergebnisse des die Zentralregion mit der Provinz Suphanburi als Nordostens wäre daher schon Kern von Chart Thai sowie der untere Nordosten, deshalb interessant, weil sie Aufschluss darüber geben insbesondere die Provinz Nakon Ratchasima, für könnte, inwieweit es bereits Chart Pattana – blieben im Wesentlichen erhalten, lange vor dem Wahltag Ver- wenngleich auch diese beiden Parteien z.T. erhebli- einbarungen über eine weiter- gehende politische Zusam- che Verluste hinnehmen mussten. Hingegen kam es menarbeit zwischen TRT und in der für ihre häufigen politischen Stimmungswan- NAP gegeben hat, bevor diese beiden Partner nach der del bekannten Hauptstadt Bangkok zu einer Um- Wahl, gemeinsam mit der CT, kehr der Verhältnisse: Hatten 1996 die Demokraten eine Koalitionsregierung bil- deten. Dass diese Absprachen noch 29 der insgesamt 37 Wahlkreise der Metropolis nicht überall funktionierten, gewinnen können, nahm ihnen TRT 2001 genau zeigt die von der Presse be- diese Anzahl der Mandate ab, während die ehemalige richtete Weigerung des von der Wahlkommission nach Regierungspartei in Bangkok jetzt nur noch acht dem ersten Wahlgang suspen- Abgeordnete stellt. dierten TRT-Kandidaten im Wahlkreis 2 der Provinz Roi- Die Gewinn- und Verlustrechnung der Wahler- et, der die „Umleitung“ sei- gebnisse wird verzerrt durch die Bestimmung der nes Stimmenpotenzials an den Reformverfassung von 1997, wonach das neuge- dort ebenfalls kandidierenden NAP-Vertreter ablehnte und wählte Repräsentantenhaus mit 500 Mitgliedern über stattdessen zur Unterstützung 100 Abgeordnete mehr hat als die Vorgängerkammer. des Kandidaten der neuge- gründeten Thin Thai (TT, Der Vergleich der Wahlergebnisse 1996 und 2001 Mutterlandspartei) aufrief. basiert daher auf den prozentualen Mandatsanteilen Tatsächlich war dies dann der Wahlkreis, wo es TT gelang, der Parteien. ihr einziges Parlamentsman- Wie in Thailand üblich und wie schon bei den dat zu gewinnen – ein ein- Senatswahlen im Frühjahr 2000 kam es auch diesmal drucksvoller Beleg dafür, dass „Aufrufe“ zur „Stimmenum- wieder im ganzen Land zu illegalen Handlungen und leitung“ von den Wählern des Unregelmäßigkeiten im Wahlkampf (insbesondere Nordostens in der Regel be- folgt werden; vgl. Bangkok Stimmenkäufe) sowie während des Wahlvorgangs. Post, 28. Januar 2001. Da der Nationalen Wahlkommission Thailands (ECT) 84 Parteien Mandatsanteil Mandatsanteil Gewinne/Verluste Gewinne und Verluste der Parteien nach Mandatsan- 2001 in % 1996 in % in % teilen bei der Wahl zum (500 Mandate) (393 Mandate) thailändischen Repräsen- TRT 49,6 0 +49,6 tantenhaus am 6. Januar DEM 25,6 31,3 -5,7 2001 (im Vergleich zur Wahl am 17. November 1996) CT 8,2 8,9 -0,7 NAP 7,2 31,8 -24,6 CP 5,8 12,9 -7,1 ST 2,8 1,0 +1,8 R 0,4 0 +0,4 TT 0,2 0 +0,2 SAP 0,2 0,2 0 Gesamt 100 86,1* *Fehlende Anteile bis 100%: Parteien, die 2001 nicht mehr im Repräsen- tantenhaus vertreten sind eine große Anzahl
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