Hommage à Sterling Hayden JOHNNY GUITAR Ein Mann im Kampf mit sich selbst Wenn Robert Mitchum eine Karriere daraus gemacht Paul Thomas Anderson (INHERENT VICE, THE MASTER) hat, sich um nichts zu scheren (»Baby, I don’t care«), würde nur zu gerne eine Zeitmaschine haben, um mit gibt es bei Hayden nicht einmal das Nichts. Wenn er ihm drehen zu können. Stanley Kubrick holte ihn zwei- die Nase rümpft, dann tut er das auch über sich selbst. mal vor die Kamera. Auch John Huston, Henry Hatha- Wenn am Ende von Kubricks THE KILLING das geraubte way, Nicholas Ray, Robert Altman, Francis Ford Coppola Geld in alle Winde zerstiebt, dreht er sich weg. Kunst? Sterling Hayden und Bernardo Bertolucci haben mit ihm gearbeitet. Ambition? Größenwahn? Hayden steht stattdessen der 61 Sterling Hayden (1916–1986) ist als Schauspieler eben- Fatalismus im Gesicht. Er hat echte Schiffbrüche erlit- so hoch geachtet wie seltsam. Nicht in allen seiner ten, er war auch im wahren Leben DER HAVARIST – wie über 60 Filme war er gefordert. Seltsam schlafwand- der ihm gewidmete Brecht’sche Spielfilm heißt. lerisch geht er oft durch seine Filme, cooler noch und Kinogänger kennen Sterling Hayden als JOHNNY distanzierter als Robert Mitchum. Die Augen, ohnehin GUITAR, den nur noch mit einer Gitarre bewehrten, des für einen Mann seiner Größe zu klein, sind oft in un- Kämpfens müden Cowboy zwischen zwei Frauen aus erreichbare Ferne gerichtet. Eine tiefe Heimatlosigkeit jenem TruColor-Western von Nicholas Ray, der von der zeichnet ihn, seine Körperlichkeit und Kraft stehen dazu Surrealistischen Bewegung inszeniert zu sein scheint. in eigentümlichem Kontrast. Er ist präsent auf der Lein- (Wen sonst als Hayden könnte man sich in dieser wand, keine Frage, und mit seinen 1,95 m oft der Größ- Rolle vorstellen?) Kennen ihn als General Jack D. Ripper, te am Set. »Das ist eine Menge Mann, die du in diesen der in Stanley Kubricks DR. STRANGELOVE OR HOW I Stiefeln herumträgst, Fremder« sagt John Carradine zu LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB ihm in JOHNNY GUITAR. Und dennoch ist dieser Mann den Dritten Weltkrieg anfängt, oder als den baumlangen tief verletzlich und verwundbar. Kim Morgan hat Hayden Gangster Dix Handley, der in John Hustons THE ASPHALT einmal in Sight & Sound gar mit Jesus verglichen. JUNGLE auf einer Pferdeweide in Kentucky ins Gras sinkt und stirbt. Vielleicht auch als Walfänger, der in Arbeiten hatte Hayden auf die harte Art gelernt, als einer Westernstadt mit der Harpune zum Duell schrei- Schiffsjunge, beim Rudern in den Beifang-Dorys im tet (TERROR IN A TEXAS TOWN), als trunksüchtigen sturmgepeitschten Nordatlantik, bei den Fischern von Schriftsteller in Altmans THE LONG GOODBYE oder Neuengland, den Gloucestermen aus Massachusetts, als Landarbeiter-Patriarch in Bertoluccis NOVE CENTO. die auf den Grand Banks mit den kanadischen Blue- Nur auf wenige Rollen war Hayden stolz. Dix Handley noses um die besten Kabeljaufänge konkurrierten. Es gehört dazu. »Ich glaube nicht, dass es viele andere galt, als erster mit dem Fang zurück am Pier zu sein. Beschäftigungen gibt, bei denen du so gutes Geld be- Hayden lernte so auch von Kapitalismus und Produkti- kommst und nicht genau weißt, was du da eigentlich onsverhältnissen: Zwei Cent erhielt die Crew pro Pfund machst«, sagte er einmal. Die Schauspielerei blieb ihm Fisch; bis mittags, wenn seine Mutter zum Einkauf kam, recht fremd. Rüdiger Vogler muss man erlebt haben, stieg der Preis auf elf. wenn er, von bodenloser Nachdenklichkeit erfüllt, als Zeitlebens liebte er es, in rauester See zu segeln, er einer der drei Hayden-Darsteller in Wolf-Eckart Bühlers war ein Windjammermann, ein Natural. Das Fieber der DER HAVARIST sagt: »Aber was, wenn der Schauspieler Schiffe ergriff ihn schon jung. Im Alter von 20 Jahren den größten Teil seiner Schauspielerei gar nicht vor der ging er als Erster Offizier mit dem Schoner »Yankee« Kamera verrichtet – wenn er vor der Kamera noch am auf eine Weltumsegelung. Im Jahr darauf gehörte er als allerwenigsten Schauspieler ist?« Navigator zum Siegerteam des Fishermen’s Cup, des Sterling Hayden 62 THE KILLING Stanley Kubrick und Sterling Hayden bei den Dreharbeiten zu »Rennens für wirkliche Seeleute«, bei dem nur Crews seine bitter bereute Tat. »Shirley« nannte er sich in den und Schoner aus dem tatsächlichen Fischeralltag teil- Phasen der Selbstbezichtigung. nahmeberechtigt waren. »Sailor Like Movie Idol« stand Über viele Jahre lag er mit sich selbst im Krieg. unter dem Zeitungsfoto. Es wurde der Grundstein für Auch das steht in seinen Augen. Dreimal hat er die Haydens Hollywoodkarriere. Zuvor aber segelte er noch Welt umsegelt, 18 Schiffe hat er im Lauf seines Lebens einen Dreimaster nach Tahiti, ging erst nach Hollywood, besessen, vom Dreimastschoner bis zur Flussbarkas- als eine gerade erworbene frühere Kaiser-Yacht (die se, eines davon am Tag seines Eintritts in die KPUSA »Meteor III«) havarierte. Paramount Pictures nahm ihn gekauft und »Quest« (Suche) getauft. »Nicht viele kön- als »den schönen blonden Wikinger-Gott« und »The nen von sich sagen, diese zwei Dinge an einem Tag Most Beautiful Man in Movies« unter Vertrag. In seinem gemacht zu haben«, kommentierte er das lakonisch. ersten Film, dem Drama VIRGINIA, fand er sich neben Seine 1964 erschienene Biografie »Wanderer« ist ein Fred MacMurray und dem englischen Star Madeleine schonungsloses Buch der Abrechnung mit sich selbst, Carroll. Die Arbeit fand er lächerlich überbezahlt und literarisch hochrangig, der Beat Generation ebenso belanglos, weil sie nicht zu spüren war und sich nie- zuzurechnen wie den großen Autoren der Ozeane. Bis mand richtig scherte. Aber sie brachte Geld für ein heute hat sich dafür kein deutscher Verlag gefunden. neues Schiff, und aus der Affäre mit Miss Carroll wur- Ebenso wenig wie für »Voyage. A Novel of 1896«, seine de eine Ehe (die erste von vieren). Beide unterbrachen »great American novel« über zwei Schiffspassagen, die wegen des Zweiten Weltkriegs ihre Karrieren. eine durch die Südsee nach Japan, die andere um Kap Er meldete sich zu den Marines, machte eine Geheim- Hoorn, zugleich eine Klassengeschichte Amerikas und dienstkarriere, tat das, was er von der Pike auf gelernt der Arbeiterbewegung. 700 gewaltige Seiten, das beste hatte: nämlich mit Schiffen umzugehen. Als OSS-Agent Seefahrerbuch seit »Moby Dick«. dirigierte er von Bari aus eine Nachschubflotte von 400 Hayden blieb ein Suchender, ein Nonkonformist. Marie Booten für Titos jugoslawische Partisanen in der Adria, Windsor, die mit ihm in THE KILLING spielte, sagt: »Ich sprang auch hinter den Linien mit dem Fallschirm ab. habe Sterling Hayden ziemlich gut gekannt. Er war ein Vom Kampfesgeist der Balkankämpfer und ihrem Glau- stiller Mann, der im Lauf der Jahre immer komplizierter ben an eine Sache stark beeindruckt, wurde er, zurück und vielschichtiger wurde.« in L.A., Mitglied der Kommunistischen Partei Amerikas Seine Karriere hatte Brüche. Filme 1941 und – für ein halbes Jahr. Die Theoriediskussionen langweil- 1942, dann ab in den Krieg, 1949 Rückkehr im John- ten ihn schnell, aber er geriet dennoch zwischen die Wayne-Western EL PASO und dem Film noir MAN- Fronten. Der hochdekorierte Marineoffizier, als einziger HANDLED. 1950 John Hustons THE ASPHALT JUNGLE, US-Soldat des Zweiten Weltkriegs von den USA wie von dann die HUAC-Katastrophe mit dem Verrat an sich den Kommunisten (Tito) ausgezeichnet, ließ sich zu selbst, von Hollywood belohnt mit einem Rausch von einer »patriotischen Aktion« überreden und sagte am Filmen, in vielen von ihnen neben sich stehend, selt- 10. April 1951 als freundlicher Zeuge vor dem Kon- samerweise nur ein einziger Piratenfilm dabei (THE gressausschuss zur Untersuchung unamerikanischer GOLDEN HAWK), 1956 in Kubricks THE KILLING, 1958 Sterling Hayden Umtriebe (HUAC) aus. Im Klima der Kommunistenhatz, Flucht auf die See und Bruch mit Hollywood, 1963 sei- 63 in der die Hollywood-Kolumnistin Hedda Hopper »Kon- ne Autobiografie »Wanderer«, 1964 wieder Kubrick mit zentrationslager für die Roten« forderte, »ehe es zu spät DR. STRANGELOVE, und ab da nur noch selten Filme. ist«, fürchtete er, das Sorgerecht für seine Kinder zu Die letzte Arbeit in der TV-Bürgerkriegsserie THE BLUE verlieren. Also nannte er Namen. Ronald Reagan, da- AND THE GRAY als der Revolutionär John Brown – mals (erst) Präsident der Schauspielergilde, schickte »Raising Holy Hell«. Alf Mayer ihm ein Telegramm: »Sterling, ich bin stolz auf dich!« Über 2000 Presseausschnitte feierten ihn als Helden: The Asphalt Jungle (Asphalt-Dschungel) | USA 1950 »Hayden Strips Bare His Commie Past.« | R: John Huston | B: Ben Maddow, John Huston, nach Hollywood belohnte ihn mit einer schnellen Folge von dem Roman von W.R. Burnett | K: Harold Rosson | M: Filmen. Doch Hayden zerbrach fast an seinem Verrat. Miklós Rózsa | D: Sterling Hayden, Jean Hagen, James »Es kommt wohl selten vor, dass ein Mann mit Lobes- Whitmore, Louis Calhern, Sam Jaffe, Marilyn Monroe | hymnen überschüttet wird für etwas, wofür er sich zu- 112 min | OF | Alles, was man sich nur wünschen kann, tiefst verachtet«, meinte er später. Verlorenheit lernte ein Edelstein. Hustons bester Film noir – und Haydens er nicht auf den Weltmeeren, sondern in Hollywood Lieblingsrolle. Ein Klassiker des Gangsterfilms nach ei- kennen. Zeit seines Lebens verachtete Hayden sich für nem Roman von W.R. Burnett, allen Moralins entkleidet. Taffe Dialoge und harte Charaktere auf beiden Seiten Bond | 110 min | OF | Der seltsamste aller Western. Und des Gesetzes, eine junge Marilyn Monroe und Jean einer der größten. »Ich habe bis heute keine Ahnung, Hagen als Haydens Gegenüber, deren Filmname »Doll« worum es in diesem Film geht. Es war auch eine extrem nichts Lächerliches hat. Alles überschattet von der auf- schwere Zeit für mich. Am Abend lag ich mit meiner ziehenden Kommunistenhatz in Hollywood, die Haupt- Frau im Krieg und tagsüber mit Joan Crawford. Joan darsteller, Drehbuchautor und viele andere traf. Huston machte allen das Leben zur Hölle. Und ich versuchte, zog 1952 nach Irland, Hayden litt lebenslang. Johnny Guitar zu spielen, aber ich kann weder Gitarre Freitag, 19.