Rheinische Hebammengeschichte Im Kontext

Rheinische Hebammengeschichte Im Kontext

Band 1 Kölner Beiträge zu 1 Geschichte und Ethik der Medizin Daniel Schäfer (Hrsg.) ISBN 978-3-89958-944-3 Rheinische Hebammengeschichte im Kontext Vor etwa 200 Jahren wurde im Rheinland – zunächst während der französischen Besatzung und anschließend unter preußischer Herrschaft – die Ausbildung von Hebammen flächendeckend institutionalisiert. Aus diesem Anlass fand 2009 in Köln ein wissenschaftliches Symposium statt, das die Verflechtungen zwischen staatlicher Rahmenbedingungen, medizinischer Kontrolle und Professionalisierung der „Wehemütter“ von der Aufklärung bis zur frühen Bundes- republik analysierte. Die 17 Beiträge des Tagungsbandes berücksichtigen neben der Hebammenausbildung auch die sich wandelnden sozialpolitischen Dimensionen des Berufs und erweitern den Blick von der rheinischen Situation auf Rheinische Hebammengeschichte im Kontext den übrigen deutschsprachigen Raum. Daniel Schäfer (Hrsg.) Kölner Beiträge zu Geschichte und Ethik der Medizin Band 1 Herausgegeben von Klaus Bergdolt, Axel Karenberg, Daniel Schäfer und Christiane Woopen Daniel Schäfer (Hrsg.) Rheinische Hebammengeschichte im Kontext kassel university press Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar ISBN print: 978-3-89958-944-3 ISBN online: 978-3-89958-945-0 URN: urn:nbn:de:0002-9456 © 2010, kassel university press GmbH, Kassel www.upress.uni-kassel.de Umschlagbild: Lehrfilm der Wuppertaler Hebammenlehranstalt "Dienerin am neuen Leben", aus dem Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Pulheim-Brauweiler Umschlaggestaltung: Jörg Batschi Grafik Design, Kassel Printed in Germany Inhaltsverzeichnis Einführung 7 I. Rheinische Hebammengeschichte und -ausbildung (1700-1945) DANIEL SCHÄFER Zwischen Disziplinierung und Belehrung: Reformversuche der akademischen Hebammenausbildung in der „aufgeklärten“ Reichsstadt Köln 13 JOACHIM DEETERS Der „Fall Arnold“: Eine missglückte Entbindung in Köln (1786) und ihre juristischen Folgen 29 RAPHAELA GMEINER Lernen am „ledernen Kind": Die Hebammenausbildung im Erzstift Köln und angrenzenden Gebieten von 1740 bis zur französischen Besetzung 49 WALTER BRUCHHAUSEN Akademische Hebammenlehrer in Bonn: Vom kurfürstlichen Leibarzt zum preußischen Professor (1777-1828) 65 SARAH BEREND Kooperation und Konflikte zwischen Hebammen und Ärzten im preußischen Bonn (1815-1933) 77 EFTERPI TOUROUNTZA-SCHEFELS, JOERG SCHEFELS Wenn Hebammen-Tradition auf medizinischen Fortschritt trifft: Das Beispiel der konnatalen Gonokokkeninfektion und die Credé-Prophylaxe 85 THOMAS DERES Professionalisierung und Disziplinierung: Hebammen in Köln 1870 bis 1914 91 SABINE BLASSING Die Hebammenlehranstalt Wuppertal-Elberfeld in den Jahren 1904 bis 1938 103 VANESSA KNOPPIK Versorgung auch für Zwangsarbeiterinnen? Die Hebammenlehranstalt und Landesfrauenklinik Wuppertal-Elberfeld während des Zweiten Weltkriegs 119 II. Hebamme und Gesellschaft: Überregionale Kontexte MARINA HILBER „Zur Errichtung von Bildungsanstalten für Wehmütter“: Professionalisierte Hebammenausbildung am Beispiel des habsburgischen Kronlandes Tirol (1765-1850) 133 REINHOLD ZILCH Das preußische Kultusministerium und die amtlichen Hebammenlehrbücher (1815-1904) 159 RALF FORSBACH Die Hebammentätigkeit aus Sicht katholischer Pflegeorden im Kaiserreich (1871-1918) 197 HEINER FANGERAU, FLORIAN BRAUNE Die bevölkerungspolitische Dimension des Hebammenberufes 211 WIEBKE LISNER ‚Neue Hebammen’ für den ‚neuen Staat’? Hebammenausbildung im Nationalsozialismus 225 MARION SCHUMANN Dienstleistung statt sozialer Betreuung. Der Auftrag von Hebammen in der Bundesrepublik Deutschland bis 1970 im Umbruch 251 BARBARA DUDEN Von der Tauglichkeit der Geschichte für Hebammen 273 STEFANIE KNÖLL Schwangerschaft, Geburt und Tod 285 Namenregister 301 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 305 Einführung: Rheinische Hebammengeschichte im Kontext Daniel Schäfer Die Hebammengeschichte hat sich seit mehreren Jahrzehnten aus einer von wenigen Praktiker/-innen betriebenen fortschrittsorientierten Professions- geschichte zu einer eigenständigen interdisziplinären Fachrichtung zwischen Frauen-, Geschlechter-, Kultur-, Medizin- und Sozialgeschichte entwickelt, der sich inzwischen namhafte Historiker/-innen in herausragenden Arbeiten angenommen haben.1 Allerdings vermischt sich in vielen Forschungspro- jekten dieser Bereich mit allgemeinen Untersuchungen zur Geschichte der Gebärenden (Duden), der Geburt (Gélis u.a.) und der Geburtshilfe, so dass die historische Situation der Hebammen und insbesondere ihre Aus- und Weiterbildung oft nicht im Fokus der jeweiligen Forschungsarbeit steht. Mit Recht monierte Christine Loytved in ihrer Forschungsübersicht, dass insbe- sondere immer noch ein grundlegendes Werk zur Geschichte der Heb- ammenausbildung fehle.2 Die im Mai 2009 durchgeführte interdisziplinäre Tagung „Hebammen im Rheinland 1750-1950“ zielte genau auf diese Lücke in der Forschungslandschaft. Im Jahr 2009 jährte sich zum 200. Mal die Eröffnung einer der ersten (und in der Folgezeit wichtigsten) selbstständigen Einrichtungen zur Ausbildung von Hebammen im Rheinland: 1809 begann im ehemaligen Hospital Ipper- wald auf Befehl der französischen Präfektur (Departement Roër) in Köln der erste Kurs für Hebammenschülerinnen; etwa zur gleichen Zeit geschah dies auch in Koblenz und Trier. Dieser äußere Anlass lud zur wissen- schaftlichen Erforschung und Reflexion der Geschichte der Hebammen- ausbildung und ihres Kontextes von der Zeit der Aufklärung bis zur frühen Bundesrepublik ein. Am regionalen Beispiel des Rheinlands (in den poli- tischen Grenzen der späteren Preußischen Rheinprovinz) sollte die Ver- flechtung staatlicher Rahmenbedingungen, medizinischer Kontrolle und professioneller Entwicklung des Hebammenstandes dokumentiert und analysiert werden. Über diese allgemeine Zielsetzung hinaus, die zwar an gängige Forschungs- interessen anknüpft, aber mit Blick auf das Rheinland in noch unbekannte _________________________ 1 Vgl. Metz-Becker 1997; Schlumbohm/Duden/Gélis/Veit 1998; Seidel 1998; Labouvie 1999 etc. 2 Loytved 2002, 20-35. 8 Daniel Schäfer Regionen vorstößt, spiegelte das wissenschaftliche Programm eine ganze Reihe besonderer Schwerpunkte, die die Tagung zu einem sehr beachteten Ereignis werden ließ. Fast alle Beiträge konnten in diesem Forschungsband zusammengetragen werden.3 In einem zweifachen diachronen Bogen, der hauptsächlich von der Zeit der Aufklärung bis zur Epoche der frühen Bundesrepublik reicht, werden rhei- nische und überregionale Aspekte der Hebammengeschichte unter beson- derer Berücksichtigung der Ausbildung präsentiert. Für das Rheinland sind die Verhältnisse in den Städten Köln (Beiträge von Daniel Schäfer, Joachim Deeters, Thomas Deres, Sabine Petersen) und Bonn (Walter Bruchhausen, Sarah Berend, Efterpi Tourountza-Schefels), in Kurköln und dem Herzogtum Jülich-Berg (Raphaela Gmeiner) sowie in Wuppertal-Elberfeld (Sabine Blassing, Vanessa Knoppik) überblicksweise oder in exemplarischen Fallstudien dargestellt. Das Spektrum überregionaler Bezüge eröffnet die – für die habsburgischen Länder typische – Hebammenausbildung in Tirol (Marina Hilber), gefolgt von der auch für die Rheinprovinz wichtigen Entwicklung des Preußischen Hebammenlehrbuchs im 19. Jahrhundert (Reinhold Zilch). Auch das Verhältnis katholischer Pflegeorden zur Hebammentätigkeit (Ralf Forsbach) hat enge Bezüge zur rheinischen Situation. Vier weitere Beiträge gehen auf die politische Be- bzw. Missachtung des Hebammenberufs im 20. Jahrhundert ein (Heiner Fangerau/Florian Braune, Wiebke Lisner, Marion Schumann, Barbara Duden). Im kunsthistorischen Blick auf die sich wandelnden Bezüge zwischen Geburt und Tod erscheint u.a. auch der personifizierte Tod als Hebamme (Stefanie Knöll). Diese Beiträge decken ein großes Spektrum ab und bilden eine Zusammenschau neuerer und neuester Tendenzen der Hebammengeschichtsschreibung, wie sie in Deutschland seit längerem nicht mehr präsentiert wurde. Im Rahmen der Kölner Tagung wurde außerdem erstmals eine Wander- ausstellung des Landschaftsverbandes Rheinland zur Geschichte der Hebammenausbildung präsentiert.4 Der Titel dieser Ausstellung „Rheinische Wehemütter“, der für diesen Tagungsband übernommen wurde, erwies sich als besonders interessant: Hebamme (oder niederdeutsch heveltze, hebemutter u.a.) ist der wichtigste volkssprachliche Ausdruck für die Geburtshelferin im deutschen Sprachraum, der auch in weiten Teilen West- und Süd- _________________________ 3 Der Beitrag von Wolfgang Schaffer zur Geschichte der Provinzial-Hebammenlehranstalt Köln 1809-1924 wurde in stark erweiterter Form bereits publiziert in Schaffer/Werner 2009, 67-183. 4 Vgl. den Ausstellungsband Rheinische Wehemütter, Schaffer/Werner 2009. Einführung 9 deutschlands üblich war. „Wehemutter“ etablierte sich nur im Nordosten Deutschlands und vor allem in der Schriftsprache unter dem Einfluss von Martin Luther, der in seiner Bibelübersetzung womöglich als erster dieses Wort „Wehemutter“ benutzt hatte und dem der Begriff „Hebamme“ fremd war.5 Die „Rheinische Wehemutter“ ist also in mehrerer Hinsicht geradezu eine contradictio in adjecto – und doch historisch nicht unpassend: Zum einen wirft dieser ausgesprochen lutherisch-preußische Ausdruck ein Schlaglicht auf die Sprache der protestantischen Herren im rheinischen 19. Jahrhundert im Umgang mit einem mehrheitlich katholischen Berufsstand, und zum anderen ist „Wehemutter“ ein typischer

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