DER DOPPELTE MESSIAS Als Dem Modernen Profitennis Die Stars Ausgingen, Sprang Nike in Die Bresche

DER DOPPELTE MESSIAS Als Dem Modernen Profitennis Die Stars Ausgingen, Sprang Nike in Die Bresche

SPORT Tennis DER DOPPELTE MESSIAS Als dem modernen Profitennis die Stars ausgingen, sprang Nike in die Bresche. Die PR-Strategen des amerikani- schen Sportartikelkonzerns schufen zwei Helden voller Gegensätze: Pete Sampras und Andre Agassi. Die Vermark- tung des Showdowns zwischen dem Gentleman und dem Rebellen ist perfekt: Alle Welt glaubt an das große Duell. as wirkliche Leben, so scheint es, Akribisch achtet der hält stets die richtige Rolle für Pete Konzern darauf, daß DSampras und Andre Agassi bereit. die beiden Angestell- Der amerikanische Fernsehsender CBS ten die Rollen der will zwei Filmchen drehen; im ersten sol- Werbestrategie einhal- len Sampras und Agassi nacheinander ten – Gentleman Sam- das US-Behindertenteam grüßen, im pras sollen die Eltern zweiten der ehemaligen Tennis-Königin lieben und den Rebel- Chris Evert gratulieren, die in die Hall of len Agassi die Kids. Fame aufgenommen wird. So stilisieren alle, Doch Agassi versagt. Fünfmal, erfährt die wirtschaftlich da- Sampras vom Fernsehmann, habe Andre von profitieren, den sichversprochen, dannseierfrech gewor- ganz normalen sportli- den. „Ich will diesen Mist nicht“, habe chen Vergleich zu ei- Agassi gemault, seinen Hocker umgesto- ner Schlacht der Idole ßen und sei aus dem Zimmer gelaufen. hoch. Daß Tennisma- „Hat er das wirklich getan?“ fragt Sam- nager wie der Österrei- pras. Er lächelt und zieht den Reißver- cher Ronald Leitgeb schluß seiner Jacke hoch, denn „den Tep- den Amerikaner Sam- pich auf meiner Brust muß keiner sehen“. pras „schon wieder auf Dann nutzt er die Chance. dem absteigenden „Hi guys, I’m Pete Sampras“, beginnt Ast“ wähnen oder wie er, und eine Minute später sind beide der Rumäne Ion Tiriac Spots fertig. „War ich cool?“ fragt der die Zeit großer Zwei- Tennisprofi. „O ja, Pete“, sagt der Regis- kämpfe „wegen der CELEBRITY / INTER-TOPICS seur, „sehr cool.“ Vielzahl guter Spieler Sampras mit Freundin Delaina Mulcahy Eigentlich, erklärt Sampras, 23, wenig für generell beendet“ Tennisidole des Sportartikelkonzerns Nike: Ihre Rivalität später, sei er schüchtern, während Agas- halten, stört die Insze- si, 25, immer „extrovertiert auftrumpft“. nierung nur wenig: Beide Helden beto- mit den großen Stars verschwand auch Doch der andere sei auch leidenschaft- nen ständig, nur vom jeweils anderen das Flair vom Court. lich, „während ich nie die Kontrolle ver- „wirklich zur Höchstform“ gezwungen Also stellte Nike die firmeneigenen liere“. Sie seien eben völlig gegensätz- zu werden. Ikonen ins leere Schaufenster. Wie lich, „aber davon profitieren alle“. Somit ist für alle Notfälle vorgebaut. schon im US-Basketball erhöht der Die beiden Amerikaner, zur Zeit Gewinnt wie zuletzt in Paris der Öster- Konzern auch im Tennis die Athleten Nummer eins und zwei der Weltrangliste, reicher Thomas Muster, wird’s ihm ge- ins scheinbar Religiöse. Die Kreativen sollen die Helden eines Dauerduells sein: gönnt – man war ja verletzt. aus Oregon liefern Texte und Kostüme Das haben Phil Knight, Chef des Sportar- Die Maschinerie, ein Lehrstück des und garnieren jeden Satz und jede Socke tikelherstellers Nike, und Mark Miles, Profisports, läuft reibungslos. Die ATP mit einer vermeintlich tieferen Wahr- Präsident der Spielergewerkschaft ATP, schuf eigens eine neue Turnierserie, die, heit. So wird das erste Gebot der Firma vorMonaten inder Nike-ZentraleinOre- so Miles, „immer wieder diesen großar- („Just do it“) ständig neu formuliert. gon ausgetüftelt. tigen Zweikampf herbeiführt“. Selbst „Glaub’ an dich“, predigt nun Agassi, Agassi aus Las Vegas im US-Staat Ne- Blätter wie die New York Times schrei- ein moderner Messias mit Piratentuch vada und Sampras aus Tampa/Florida, ben nun bei jeder Veranstaltung das Fi- und frisiertem Brusthaar, „drücke dich sind als Retter des kränkelnden Profiten- nale zwischen Agassi und Sampras her- aus.“ „Die Erde gehört dir“, deklamiert nisauserkoren. Ihre Rivalitätsoll Quoten bei – sonntags mittags ist High-noon, der wie einst Rod Laver klassisch in und Zuschauer, Sponsoren und vor allem der Rest ist Vorspiel. weiß gekleidete Sampras, „nutze deine die Rührseligkeit menschlicher Dramen Die Inszenierung soll ersetzen, was Chance.“ zurückbringen, die durch den nüchternen einst Realität war. Das große Tennis Beide sind nicht mehr nur sportliche Geschäftssinn der modernen Profis ver- lebte von den großen Duellen – als der Vorbilder, sondern bieten gleichzeitig lorenging. leidenschaftliche Jimmy Connors den Lebenshilfe an. Das Rezept, mit Schu- Die Charaktere und das Skript schei- kühlen Björn Borg niederzwang, als der hen und T-Shirts auch so etwas wie ei- nen ideal: Agassi, der Wilde, fordert zornige John McEnroe sich dem diszipli- nen besseren Vaterersatz zu liefern, hat Sampras, den anständigen Arbeiter. nierten Ivan Lendl entgegenwarf. Doch Nike-Klamotten zur Glaubensfrage ge- 152 DER SPIEGEL 27/1995 . nen Woche alle übrigen Vegas gespendet. Alles nur Kalkül oder Favoriten in eine Art doch Beweis eines „großen Herzens“, Rahmenprogramm. wie Agassis Trainer Brad Gilbert meint? Die Dreharbeiten zu Es spielt keine Rolle – zur medialen einem Werbespot, für Ausschlachtung wird jede Episode, je- den die Nike-Ikonen der Lebenslauf zu Sozialklatsch. auf dem Trafalgar Sampras wuchs mit drei Geschwistern Square zum Duell an- in Palos Verdes/Kalifornien auf; er war traten, wurde vom schmächtig, klein und neurotisch. Heute Konzern mit leichter noch bekommt der Champion Panik, Hand als Sportveran- wenn er einen Hund sieht. Will er schla- staltung verkauft, die fen gehen, deckt er die Fenster dreifach wichtiger sei als alle ab und überklebt die Lichter an Radio- profanen Matches der wecker und Fernseher – erst wenn er ersten Runden. Und nichts mehr sehen kann und seine weil Werbebanden in Freundin darauf verzichtet, ihn zu be- REUTER D. ALLEN / LGI Agassi, Sampras bei Werbeaufnahmen auf dem Trafalgar Square Agassi mit Freundin Brooke Shields soll die Rührseligkeit menschlicher Dramen zurückbringen macht; wer die richtigen Turnschuhe Wimbledon verpönt sind, tragen die rühren, kann er elf Stunden lang schla- trägt, hat recht, der ist fit, der ist hip. vorbeifahrenden Doppeldeckerbusse fen wie ein Toter. Der „ganze Agassi“, errechnete Bild, Nike-Reklametafeln – so schauen die Spieler wie Thomas Muster glauben, kostet im Sportladen nur 734,50 Mark. zwei Profis im Minutentakt über den daß jene am erfolgreichsten im Tennis Stets besetzen Agassi und Sampras Zaun aufs Tennisfußvolk hinab. sind, die nicht in sich ruhen, sondern ge- beide Pole: Der eine ist böse, der ande- PR und Wettkampf werden von den trieben werden. Sampras sagt, er habe re gut. Als Allzweckwaffe stehen sie für Firmenstrategen untrennbar vermengt. immer die Angst gehabt, „nicht zu genü- Solidarität, weil sie, auf Nike-Geheiß, Jede Episode, die den ehemals als Ten- gen“. Sein Jugendtrainer Peter Fischer gemeinsam versuchen, den Daviscup für nisroboter geschmähten Sampras verlangte schon von dem Zehnjährigen, Amerika zu gewinnen; zugleich stehen menschlich aussehen läßt, kommt ins irgendwann der Weltbeste zu sein: „Die sie für Egoismus, weil sie als „einsame Programm. Selbst Trauer und Todes- Nummer fünf ist nicht akzeptabel.“ Wölfe auf dem Center Court kämpfen“ angst werden vermarktet: Sampras- Schweigend wurde Sampras der Be- (Agassi). Sie stehen für Haß, weil sie Freund Vitas Gerulaitis starb im vergan- ste. Nie protestierte er gegen Schieds- sich „gnadenlos jagen“ (Sampras); und genen Jahr; die vier Gehirntumore sei- richterentscheidungen; er schlug Asse doch stehen sie für Fair play, weil sie nes Trainers Tim Gullikson werden der- und siegte. Doch im Oktober 1994 fand sich, wenn auch nur auf Nike-Anord- zeit in Chicago mit Chemotherapie be- der deutsche Daviscup-Kapitän Niki Pi- nung, „abseits des Platzes gut verste- kämpft. Dennoch, schwärmte die Sun- lic in einem Stockholmer Hotelzimmer hen“ (Agassi). day Times, habe Sampras heldenhaft ei- Sampras’ krebskranken Trainer Gullik- Dabei haben die beiden Nike-Gladia- ne Rede bei der Beerdigung des Altmei- son in einer Blutlache liegend. toren gegenüber Werbefiguren wie den sters Fred Perry gehalten. Sampras geriet aus dem Tritt, und als Marlboro-Cowboys einen unschätzba- Natürlich ist auch der Rivale voller in- er bei den Australian Open gegen sei- ren Vorteil: Sie sind authentisch, sie nerer Wärme. Agassi, so wurde der nen Landsmann Jim Courier 0:2 zurück- spielen ja leibhaftig Tennis. Mail on Sunday gesteckt, hat eine Stif- lag, rief ein Zuschauer: „Gewinn für In Wimbledon verbannten die zwei tung gegründet und schon 1,3 Millionen Tim.“ Sampras gewann in fünf Sätzen. Jung-Millionäre schon in der vergange- Dollar für die Straßenkinder von Las Das war der Tag, an dem die Süddeut- DER SPIEGEL 27/1995 153 . SPORT sche Zeitung die Metamorphose „vom verlieren, um meine Ruhe zu haben“. Langweiler zum Helden“ beobachtete. Gilbert brachte ihm die schlichteste aller Gerade weil Pete Sampras seitdem öf- Weisheiten des Sports bei: „Losing ter mal verlor, ist sein Image mittlerwei- sucks“ – verlieren kotzt an. le perfekt. Der Hauch von Tragik ge- Nach jedem Ballwechsel geht Agassi nügte den Nike-Werbern, Blässe in Stil nun flink und entschlossen zur Auf- umzudeuten: Sampras gilt der Tennis- schlaglinie und wartet auf die nächste branche nicht mehr als Maschine, son- Aufgabe. Kühl und ohne Glamour – da dern als Bote aus der guten alten Zeit, wirkt er wie Sampras’ Abziehbild und als Cracks wie Perry oder Laver noch nicht wie dessen Gegensatz. höflich und nett waren. Kommt Sam- Doch Nike, Andres Bruder und Ma- pras wenige Minuten zu spät zum Inter- nager Phillip

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