ABBA Das Lexikon Herausgegeben von Anna Henker und Astrid Heyde Mit einem Vorwort von Matthias Langheiter-Tutschek Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin Berlin 2015 ABBA. Das Lexikon. Herausgegeben von Anna Henker und Astrid Heyde Berlin: Nordeuropa-Institut, 2015 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung der Herausgeberinnen unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für Einspeicherung in elektronische Systeme. © 2015 Nordeuropa-Institut Berlin, sowie die Autorinnen Layout: Rasmus Geßner, Anna Henker Vorwort In einem persönlichen Gespräch wurde Göran „Benny” Andersson gefragt, wie er den Unterschied zwi- schen Hoch- und Populärkultur einschätzen würde. Anlass für diese Frage bestand in einem Fund-Raising- Konzert im Angedenken an die schwedische Sopranistin Birgit Nilsson, das im renommierten Schönbrunner Schlosstheater in Wien abgehalten wurde. Neben Verdi, Puccini und Wagner sollten auch Kompositionen von Benny Andersson und Orsa Spelmän aufgeführt werden, was zu einigem Naserümpfen bei ausgewählten Kon- zertbesucherInnen geführt hatte. Anderssons Antwort: „Ich bin Musiker“. Was sich auch immer in „Gärdebylåten“ und „Gånglåt“ von Rättvik an schwedischer Volksmusiktradition im Werk des Komponisten finden mag, soll die Musikwissenschaft klären. Ebenso können die Fragen, inwieweit sich die Aufnahme auf gedoppelter Tonspur, die kluge Marktstrategie eines Björn Ulvaeus oder auch die Ver- suche im Bereich des Musikclip-Videos des jungen Filmhochschulabsolventen Lars „Lasse“ Hallström die Entwicklung der Populärmusik beeinflusst haben, in diesem Bereich verortet werden. Das vorliegende Lexikon definiert sich in erster Linie aus einem kulturwissenschaftlichen Paradigma heraus. „ABBA“ steht in dritter Generation für ein Branding, eine Marke mit eingebautem Wohlfühlfaktor. ABBA- Nummern zählen seit 40 Jahren zum Repertoire tanz- und singbarer Wiedererkennungsmusik; zunächst auf Vinyl und Kassette, später auf CD, DVD, Blu-Ray – ABBAs Erfolg ist ungebrochen. Pop-Musik zählt zu einem wichtigen Exportgut Skandinaviens. Gemessen an den EinwohnerInnen zählt Schweden zu den Top-5-Musikexporteuren weltweit. Das Land dominiert mit seinen Kompositionen seit Jah- ren den Eurovision-Song-Contest und setzt in Melodie, Text und Inszenierung somit auch europaweit Maß- stäbe. Was macht nun die Faszination dieser Nation jenseits von Stereotypen aus? Was liegt hinter den Erfolgstories von Global-Playern wie IKEA und Hennes & Mauritz? Und warum gelingt es einer vergleichsweise „kleinen“ europäischen Nation, einer globalisierten Welt mit Erfolg vorzuschlagen, wie man sich einzurichten, anzuzie- hen und schließlich welche Musik man zu hören hat? Um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen ist mit diesem Lexikon ein wichtiger Schritt gelungen. Zu- nächst braucht es einen Ideengeber und Initiator: Dr. Astrid Heyde, Lehrbeauftragte am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Und dann benötigt es Beständigkeit und Kraft in der Durchführung: Anna Henker. Beiden gehören die Lorbeeren eines Unternehmens der Grundlagenforschung zugesprochen, das zuvor stets an zwei Tatsachen gescheitert war: Ignoranz und Dilettantismus. Wie oben beschrieben, haben sich Populärmusikforschung und Stereotypenforschung innerhalb von Musik- und Kulturwissenschaften zu eigenständigen Disziplinen entwickelt, die allerdings beständig von Fachkol- legInnen belächelt und degoutiert werden. Warum Andersson statt Verdi? Warum „The Winner Takes It All“ statt Shakespeares Sonette? Selbstverständlich hat sich außer der Tabloid-Press auch der seriösere Journalismus für die Gruppe ABBA und das Phänomen ihrer Revivals interessiert. Die vorliegenden Arbeiten prägen zeitgemäße Dokumentation, aber oft auch Geschwätzigkeit und Sensationshunger. Solche Bücher wollen schließlich auch einer breiten Masse verkauft werden. Im vorliegenden Fall sind die Einträge nach wissenschaftlichen Kriterien wie Nachvollziehbarkeit, Durch- gängigkeit und Redlichkeit ausgewählt und ausgearbeitet worden. Aussagen müssen durch Quellen belegbar sein; einmal aufgestellte Regelapparate bezüglich Dokumentation und Zitation werden im gesamten Lexikon beibehalten und nicht willkürlich geändert. Und schließlich werden Einträge nicht nach dem Copy-Paste- Verfahren eingearbeitet, Informationen ohne Quellenangabe gestohlen, sondern geistige Leistungen eindeutig ausgewiesen. Mögen diesem Lexikon eine Reihe von erhellenden Arbeiten auf dem Gebiet der skandinavischen Kulturwis- senschaft folgen! Aabenraa, im April 2014 Matthias Langheiter-Tutschek I Einleitung „Wir suchen noch ein Thema für eine PL im nächsten Semester, überleg‘ Dir doch mal was!“ Dieser Satz von Dr. phil. Reinhold Wulff, Dozierender am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, bildete den Ursprung für das nun vorliegende ABBA-Lexikon. Unter einer „PL“ versteht man im uni- versitätsinternen Sprachgebrauch eine praxisrelevante Lehrveranstaltung. Die Studienreform zielt auch darauf ab, Studierende im Rahmen des Bachelor-Studiengangs stärker praxis- relevant auszubilden, was die Einführung dieser neuen, sogenannten „PL“ zu Folge hatte. Dies kommt den Wünschen der Mehrheit der Studierenden entgegen, praxisnäher ausgebildet zu werden, und wird auch von der Allgemeinheit, wie man den Berichten in den Medien entnehmen kann, positiv rezipiert. Es stellt jedoch nicht selten gerade kleinere Universitätsinstitute, deren Lehrangebot gezwungenermaßen beschränkt ist, aber auch Dozierende im Allgemeinen, vor nicht unerhebliche Probleme, denn die Studierenden sollen im Zuge des Bachelor-Studiums erst elementare Kenntnisse in ihrem Fach und grundlegende Fähigkeiten in der wis- senschaftlichen Arbeitsmethodik erwerben. Was können Studierende unter diesen Prämissen im Bachelorstu- diengang eigentlich schon praxisrelevant leisten? Welche Form von Praxisbezug kann man im Kontext einer „PL“ unter diesen Voraussetzungen überhaupt anbieten? – auch wenn man berücksichtigt, dass sich hier alle Studierenden von jenen, die erst am Anfang ihres Studiums stehen, bis zu hin jenen, die sich kurz vor dessen Abschluss befinden, ihren jeweiligen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechend adäquat einbringen können und sollen. „PL“ werden oft an Lehrbeauftragte vergeben – und so hat auch das nun vorliegende Lexikon seinen Anfang im Rahmen eines Lehrauftrages genommen. Was würde sich für ein Thema eignen für eine praxisrelevante Lehrveranstaltung? Zunächst war eher eine kreative Blockade bei der Themenwahl zu verzeichnen, dann kam der Zufall zu Hilfe. Beim Ordnen der Exzerpte in Hinblick auf ein geplantes Buchprojekt über Michael Jackson zeigte sich, dass ein Buchexzerpt fehlte, das in einer anderen Kiste sein musste, hier fanden sich auch zahlreiche ABBA-Schallplatten, -Zeitungsartikel, -Magazine, -Bücher, die in der Teenager-Zeit der Dozieren- den während der zweiten Hälfte der 1970er bis zum Jahr 1981 zusammengetragen und nie entsorgt worden waren – wohl weniger aus persönlicher Sentimentalität, sondern eher, weil dem Historiker ein Hang zum Archivieren innewohnt. Ließe sich mit dem Material über ABBA, das gut sortiert, aber mehr als ein Viertel- jahrhundert ungenutzt geblieben war, noch etwas anfangen in einer „PL“? Die wissenschaftliche Recherche in den Online-Katalogen der Bibliotheken ergab, dass es erstaunlicherweise noch kein ABBA-Lexikon im deutsch- und englischsprachigen Raum – und auch nicht in Skandinavien – gab. Vielleicht erklärt sich diese Lücke auch daher, dass das Entwickeln eines Lexikons eher eine Aufgabe für die geisteswissenschaftliche Arbeitsmethodik ist, jedoch weniger für Fan-Foren oder Musikjournalisten. Studierende können beim Abfassen eines Lexikons grundlegende Kenntnisse in der akademischen Arbeitsme- thodik erwerben und einüben, die auch in der Praxis anzuwenden sind, wie z.B. ein Nachschlagewerk funktio- nal aufzubauen, Stich- und Schlagwörter zu entwickeln und zu selektieren, Techniken des Recherchierens und Bibliografierens erlernen, das Abfassen von Lexikonartikeln üben etc. Ein ABBA-Lexikon war also durchaus ein geeignetes Thema für eine „PL“. Die Dozierende wiederum, von der akademischen Ausbildung her Historikerin und Spezialistin für historische Bildkunde (also Bilder als Geschichtsquellen), hat durch intensive, seit 1992 währende Forschungen über Michael Jackson umfangreiches Grundwissen über die Geschichte der Popmusik, Musikvideoclips, Image- prägung, visuelle Argumentation und Repräsentation, Tanz, das Zusammenwirken von Musik, Text und Bild erworben, was die entscheidende Voraussetzung dafür war, eine wissenschaftlich fundierte und seriöse Lehr- veranstaltung über die Popgruppe ABBA anbieten zu können. „Eine Lehrveranstaltung über ABBA, warum tust Du Dir das an?“ Als der Lehrauftrag vom Institutsrat genehmigt worden war, richtete einer der Lektoren diese Frage an die Lehrbeauftragte. Eine in der Tat nicht ganz unberechtigte Frage. Da wäre zunächst einmal der Legitimations- zwang, unter den man gerät, wenn man eine Lehrveranstaltung über ABBA an der Philosophischen Fakultät einer angesehenen Universität anbietet. ABBA entsprechen nicht von vorneherein den akademischen Ansprü- II chen in den Geisteswissenschaften, die Songtexte erinnern nicht unbedingt an Shakespeare, die Musik ist nicht gerade mit den Fugen von Bach oder Mozarts Requiem vergleichbar. Da durfte man schon eine Reihe von verblüfften bis indignierten Nachfragen beantworten.
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