Easy Musik Udo Lindenberg wird 70. Sein neues Album heißt „Stärker als die Zeit“. Kaum vorstellbar, ein deutscher Rock ’n’ Roller kann alt sein und cool zugleich. Von Thomas Hüetlin E K C A E N I T 106 DER SPIEGEL 46 / 5346 Kultur usgeflippt. Eigentlich ist das Wort Rock ’n’ Roll geschrieben haben – anstren - schafft hätte, den coolen Lindenberg zu ja veraltet, ein Ausdruck aus Udo gend, schön, exzessiv, verrückt, die Heraus - zerstören, ihn zur Karikatur zu machen. ALindenbergs erster großer Zeit, den forderung suchend, aber immer easy, das Der Hut, die Sonnenbrille, der Panik- Siebzigerjahren. Aber was hier genau sie - große Lindenberg-Wort. Oft genug, auch Gürtel, das Ey-du-Deutsch, umringt von ben Minuten vor Mitternacht im Raucher - das merkt man den neuen Songs an, war schlechten Platten und einem automati - raum des Hamburger Hotels Atlantic ge - es das Gegenteil von leicht, easy zu sein. siert erscheinenden Sprüche-Gelaber. In schieht, kann man schwer anders bezeich - „Nie hab ich den Augenblick gefragt, ob den späten Achtziger- und den gesamten nen als – eben: ausgeflippt. er noch verweiln, noch ’n bisschen bleibn Neunzigerjahren wirkte Lindenberg in sei - Lindenberg berichtet, dass er ein paar kann / Der Wahnsinn hat mich weiter ge - ner Uniform oft wie ein alter, ausgezehrter Tage in Dubai gewesen sei, „Sonne und jagt, im Schleudergang, irgendwo kommt Teebeutel, der im lauen Wasser treibt. so“, und dass er jetzt im Alter seinen Kör - man schon an / Weiter, immer weiter, ich Aber Mitte der Nullerjahre passierte per wiederentdeckt habe. Zwei Buchten weiß noch nicht wohin / Hab ’n Visum für etwas Merkwürdiges. In einem Alter, in mindestens sei er jeden Tag entlanggerannt das unerforschte Land / Doch ich spür dem andere seiner Vermögensklasse in im Sand, und damit es nicht langweilig schon ganz genau, dass ich auf der Fährte Rente gehen und den Rotwein in Villen wurde, habe sein Freund, Reisebegleiter bin / Zu den Schätzen, die noch keiner am Mittelmeer dekantieren lassen, ließ Lin - und Ratgeber, der Bestsellerautor Benja - vor mir fand“, heißt es in dem Song „El - denberg das Saufen sein. Er besann sich min von Stuckrad-Barre, dazwischen im - dorado“, und der skizziert, was Lindenberg auf das, was einmal seinen Kern ausge - mer wieder neue Übungen platziert. Zum immer noch antreibt: Es ist die Suche nach macht hatte. Die hingetupften Balladen, Beispiel den Unterarmstütz. dem, was er bereits in den Siebzigerjahren das understated von unten angesungene, Als der Besucher fragt, was das sei, wirft in einem Film-Soundtrack für Hark Bohm jazzhafte Dadaddada, Sofort-Ohrwürmer sich Stuckrad-Barre zu Boden. Sein Körper „so ’n richtig verschärftes Leben“ nannte. wie „Mein Ding“. Mit seinen Alben „Stark ist jetzt aufgebockt auf Unterarmen und So ’n richtig verschärftes Leben mit sieb - wie Zwei“ und „Unplugged – Live aus dem Zehenspitzen, der Bauch eingezogen. zig heißt in seinem Fall, die Sorte federn - Hotel Atlantic“ kam Lindenberg nicht nur Stuck rad-Barre fordert den Besucher auf, der, bewegender Musik zu spielen, mit der zurück. Er ist jetzt mehr da als je zuvor. es ihm nachzutun, was der Besucher nach lange niemand mehr gerechnet hatte, mög - Trotz der schweren Strukturkrise in der noch nicht einmal einer halben Minute be - licherweise nicht einmal mehr er selbst. Musikindustrie verkaufte er von beiden reut, aber Aufgeben geht jetzt auch nicht. Alben zusammen weit über eine Million, Es bleibt nur Durchhalten, was ebenfalls Er beugt sich über den schickte sie erstmals in seiner Karriere auf aussichtslos ist, denn Stuckrad-Barre ist Platz eins der Charts. Für seine Tourneen ein ehrgeiziger Mensch, der eher in zwei Marmor zur Rezeption müssen mittlerweile die größten Stadien Stücke brechen würde als einzulenken. und fragt: „Habt ihr mal des Landes für zwei Abende hintereinan - Also erhebt sich Lindenberg von seinem der gebucht werden. Rock ’n’ Roll mit sieb - roten Chesterfield-Sofa und begibt sich ’nen Tausi für mich?“ zig? Keine Panik. ebenfalls in den Unterarmstütz. Dazu re - Fast ein halbes Jahrhundert schon spielt det er, dass man das alles mehr „easy“ se - Das liegt vielleicht daran, dass es zwei sich Lindenbergs Wirken vor den Augen hen solle, „locker und so“. Lindenbergs gab. Da ist der coole Linden - der Deutschen ab, er gehört zum Inventar Ein klassischer Lindenberg. Er ent - berg, der Ende der Sechzigerjahre aus der des Landes wie die Grünen und „Das ak - spannt die Situation, und damit es noch Gegenkultur kam. Dieser Lindenberg war tuelle Sportstudio“. Aber Lindenberg ist ein wenig entspannter wird, nimmt er die einer der ersten Rock ’n’ Roller, die sich ge - auch ein begnadeter Maskenspieler, einer, Zigarre nicht einmal aus dem Mund. Dann traut haben, nicht englisch zu singen, son - der fast eins ist mit seiner Kunstfigur, man schlägt Lindenberg noch 15 Liegestütze dern deutsch. Er hat für die Generation, die merkt das, wenn man ihn ein paar Tage vor, die ebenfalls ohne Makel absolviert damals heranwuchs, eine Sprache, die den begleitet. werden. Er setzt sich wieder und winkt Nazis und den Schlagermenschen zu ge - Das Hotel Atlantic ist seine Bühne und einen Kellner herbei: „Hallo, hallöchen, hören schien, eine Sprache der Lüge, reha - sein Zuhause. Er hat das Luxushotel in jetzt gern ein Eierlikörchen.“ bilitiert. Mit Liedern wie „Mädchen aus Ost- eine Art Fünf-Sterne-WG verwandelt, die - Im Mai wird Lindenberg 70 Jahre alt. Berlin“, „Cello“ oder „Er wollte nach Lon - sen Hort hanseatischer Gediegenheit zu - Ende April erscheint sein Album „Stärker don“ hat Lindenberg seine Muttersprache rechtgeraucht, -gesoffen, -gewohnt. als die Zeit“. Sieben Jahre Arbeit, Hunder - freigesungen. Die vermeintlich steifen und Sein Leben im Atlantic ist nicht abge - te Textfragmente herumgetragen, viel ge - schneidigen Worte wurden rund, geschmei - schirmt, es ist „Schnickeldischnack“, so je - sungen, viel wieder verworfen. Am Ende dig. Easy. Er hat sie zum Rollen gebracht. denfalls nennt Lindenberg seine Form des stehen nun 15 Songs, von denen mindestens Dazu hat er mit seinen Figuren, den Small Talks. Die Fans kommen aus ganz 8 das Zeug dazu haben, dass man sagt: so - Johnny Controllettis, den Riki Masoratis, Deutschland ins Atlantic, sie erzählen, dass fort noch mal hören. der Rosa, die auf dem Tisch tanzt, eine sie seine Platten hören, seit sie 12 sind oder Lindenberg klingt in seinen neuen Lie - lustige, funkelnde Welt erfunden. Ein Mär - 13, haben gern ihre Kinder dabei wie diese dern wie jemand um die siebzig, nach Er - chen vielleicht, aber eines, das er versuchte Familie mit einem Sohn namens Leonard. fahrung, als hätte er viel gesehen, auch viel, zu leben. Dieser Lindenberg sah eine ver - „Der Sohn“, sagen sie stolz, „hat zum Fünf - das nicht schön war, nach Zweifel, Einsam - rücktere, lockerere, freiere Wirklichkeit zigsten vom Vater ‚Cello‘ gesungen, mit keit, Tod, aber da ist keine Resignation, nie als sein Privileg. In den Achtziger - grünen Socken und Perücke.“ keine Bitterkeit, kein Zynismus. jahren versuchte er, seine Überzeugung „Hallo, hallöchen“, sagt Lindenberg zu Seine Stimme hat sich nie besser ange - auch hinter den Eisernen Vorhang zu tra - ihnen, „das ist ja ausgezeichnet, eine hört. Sie ist tiefer geworden, breiter, sie hat gen. Die Mauer als „Nerverei“, die Leder - Ehre.“ Autogramme und Selfies sind nie eine raue Wärme, als würde jemand einen jacke für Honecker, der Auftritt im Palast ein Problem. Manchmal gibt er ein Eier - Kamin anzünden in einem eingefrorenen der Republik, im Westen des Landes mag likörchen aus oder ein Teechen. Haus. Niemand in diesem Land hat so viel das für manche lächerlich gewirkt haben. Heute, am Tag nach dem mitternächt - Soul wie dieser alte weiße Mann, der das Im Osten nicht. lichen Unterarmstütz, steht er gegen fünf Singen nie gelernt hat. Er tönt, als bereute Und dann ist da natürlich der uncoole Uhr nachmittags auf. Er habe noch bis zum er wenig aus seinem Leben, das er und der Lindenberg. Jener Udo, der es fast ge - Morgengrauen in seinem Zimmer gemalt, DER SPIEGEL 46 / 5346 107 Kultur S S E R P N O I T C A / R E U E R B S E U Q C A J Deutschrocker Lindenberg in seiner Hamburger Wohnung 1975: „Breit geschrieben, nüchtern gegengelesen“ erzählt er im Fahrstuhl nach unten. Er mur - Die Vorstellung war zu Ende. Wir Kinder keit machte ihn anfällig, aber auch zu ei - melt, dass es nun ja mal wieder besonders kamen zurück ins Bett.“ Es seien beängs - nem hochbegabten, sehr gefragten Musi - früh am Tag sei und er jetzt erst mal einen tigende Abende gewesen, aber auch be - ker. Er spielte sich durch Dixieland, Swing, schnellen Schein in der Tasche brauche. eindruckend, wie „crazy“ der Vater war. Cool Jazz, Fusion. Mit 23 hatte er einen Langsam beugt er sich über den schwarzen Der Sohn begann zu trommeln. Erst auf festen Job bei der wichtigsten Jazzband Marmor der Rezeption und fragt: „Habt den Kartons, die er sich vom Edeka in des Landes, Klaus Doldingers Passport. Er ihr mal ’nen Tausi für mich?“ seiner Straße besorgte, dann auf Blech - sagte sich und seinem Vater: „Okay, Gus - 1000 Euro werden gezählt, dann ge - fässern. Das erste Schlagzeug sah er mit tav, ich mach das anders. Alles, was du reicht. Lindenberg schiebt 50 Euro zurück elf Jahren in einem Schützenzelt. Es ge - dich nicht traust, das tue ich.“ über den Marmor. „Einer für euch, der hörte der Dixieland-Kapelle von Gronau. Es ist nun früher Abend im Atlantic, Rest für mich. Schönen Tach noch.“ Der Autodidakt Lindenberg setzte sich Lindenbergs schwarzer Porsche Panamera Das Atlantic liegt nur 300 Kilometer ent - hinter die Trommeln, verblüffte, durfte wird vorgefahren. Es ist eine Spezialanfer - fernt von Lindenbergs Heimat Gronau, bleiben. Ein Knirps in kurzen Hosen, eine tigung, die Sitze haben dieses Udo-Grün aber den weißen Prachtbau an der Ham - Attraktion. seiner Socken, auch die Fußleisten, auf de - burger Alster trennen Welten von dieser Lindenberg trommelte weiter, trommel - nen „No Panic“ steht.
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages5 Page
-
File Size-