Zeitschrift Der Gesellschaft Für Schleswig-Holsteinische Geschichte

Zeitschrift Der Gesellschaft Für Schleswig-Holsteinische Geschichte

Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte Im Auftrag der Gesellschaft herausgegeben von Detlev Kraack Band 143/144 2018/2019 MATTHIESEN VERLAG HUSUM Inhalt Prof. Dr. Wolfgang Prange (5. Mai 1932 – 15. Februar 2018) Von Detlev Kraack ................................................................................................... 6 Prof. Dr. Reimer Witt (1. August 1941 – 6. Januar 2018) Von Detlev Kraack ................................................................................................. 10 Von Quakenbrück über Göttingen, Hannover und Kopenhagen bis nach Hamburg und Kiel Der Kulturhistoriker Dietrich Hermann Hegewisch (1740-1812) Von Martin Espenhorst ......................................................................................... 15 Internationale Zusammenhänge zwischen dem polnischen Januaraufstand und dem deutsch-dänischen Konflikt 1863/64 Von Bernd Müller .................................................................................................. 49 „Jungens, holt fast“ Einheit und Spaltung im schleswig-holsteinischen Liberalismus 1866-1877 Von Peter Wulf ...................................................................................................... 65 Goethe an der Kieler Universität: von Eugen Wolff zu Friedrich Wolters Ein Beitrag zur Geistesgeschichte Schleswig-Holsteins von 1890 bis 1930 Von Christian Tilitzki ...................................................................................... 85 Sechs Tage im November Eine Rekonstruktion des Kieler Matrosenaufstandes und seiner Verbreitung in Schleswig-Holstein Von Christian Lübcke .......................................................................................... 171 Die „Germanischen Wettkämpfe“ in Neumünster 1937 Von Alfred Heggen und Carsten Obst ................................................................ 215 Kaum mehr als Dienst nach Vorschrift? Handlungsspielräume von Ermittlern in Zeugenvernehmungen im Verfahren gegen das I. Bataillon / 23. SS-Polizeiregiment Von Claudia Kuhn ............................................................................................... 229 Uwe Barschel und Uwe Jens Lornsen Der doppelte Suizid am „schönen Ufer“ des Genfer Sees: „Bellerive“ 1838 und „Beau-Rivage“ 1987 Von Reimer Hansen ............................................................................................. 259 Kiel im November 1918 – Meuterei auf dem Weg zur Demokratie? Anmerkungen zu fünf neueren Publikationen und einer alten Kontroverse Von Rainer S. Elkar ............................................................................................. 287 Besprechungen und Hinweise 1. Allgemeines .................................................................................................. 305 2. Allgemeine Geschichte ............................................................................... 312 3. Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte ................................. 330 4. Wirtschafts- und Sozialgeschichte ............................................................ 340 5. Kirchen-, Geistes- und Kulturgeschichte ................................................. 343 6. Geschichte einzelner Orte und Gebiete .................................................... 360 7. Personengeschichte ..................................................................................... 387 8. Autoren- und Titelregister ......................................................................... 389 9. Verzeichnis der Rezensenten ..................................................................... 390 Verzeichnis der Siglen und Abkürzungen ..................................................... 392 Richtlinien zur Manuskriptgestaltung ........................................................... 398 Kiel im November 1918 – Meuterei auf dem Weg zur Demokratie? Anmerkungen zu fünf neueren Publikationen und einer alten Kontroverse Von Rainer S. Elkar Wie soll man das gewaltsame Geschehen benennen, das in Wilhelmshaven in der Kaiserlichen Marine am Donnerstag, dem 30. Oktober 1918, aus- brach und das in Kiel tags darauf bis zum Sonntag, dem 10. November 1918, kulminierte? War es eine Meuterei, ein Matrosenaufstand, eine Revo- lution oder der Beginn der deutschen Demokratie als Republik? Die Zeit- zeugen und nachfolgende Generationen kannten und nutzten solche Be- zeichnungen je nach Standpunkt und Wortwahl würdigend oder herab- würdigend. Alle diese Begriffe begegnen ebenso in der Forschungsge- schichte. Diese verlief in Schüben und erreichte im Jubiläumsjahr 2018 – nicht zuletzt ausgehend von fünf neueren Publikationen, die im Folgenden kritisch gewürdigt werden – wieder eine lebendige Aktualität. Eine weitreichende Neubetrachtung der Novemberereignisse 1918 be- gann 1966 mit einem längeren Aufsatz von Wilhelm Deist,1 der die Gründe für die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Kaiserlichen Marine klar benannte: Die deutsche Seekriegsleitung hatte sich gegen die Waffen- stillstandspolitik der Reichsregierung gewandt und suchte eine „ehrenvol- le“ Entscheidung in einer großen Seeschlacht. Hingegen waren weite Teile der von ihren militärischen Führern schlecht behandelten Mannschaften kriegsverdrossen und friedensorientiert. Sie leisteten – zunächst in Wil- helmshaven und dann auch in Kiel – massiven Widerstand gegen einen hochriskanten, letztlich selbstmörderischen Flotteneinsatz. Schon 1926 hat- te das Gründungsmitglied der USPD Wilhelm Dittmann – in Umkehrung der den Matrosen entgegengebrachten Vorwürfe – von einer „Admirals- Rebellion“ gesprochen.2 Deists Urteil fiel ähnlich aus: Grundsätzlich sah er 1 Deist, Politik der Seekriegsleitung. 2 Dittmann, Marine-Justizmorde. Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 143/144 Husum Druck 2018/2019 288 Rainer S. Elkar kein Problem, das Handeln der Matrosen als „Meuterei“ oder „Rebellion“, das der Seekriegsleitung aber als „Revolution von oben“ zu bezeichnen.3 Es dauerte dann über ein Jahrzehnt, bis sich Dirk Dähnhardt als erster vornehmlich den Kieler revolutionären Ereignissen zuwandte. Seine 1977 erschienene Doktorarbeit folgte durchaus wesentlichen Einsichten Deists.4 Zugleich erschloss er erheblich umfassender als dieser eine archivalische Überlieferung, die es ihm ermöglichte, die lokale Geschichte in all ihren Phasen nachzuzeichnen und – mit Blick auf größere Zusammenhänge und damals noch innovative Theorien5 – als „Aufstand mit revolutionärem Charakter und revolutionärer Tendenz“6 zu erklären. Die Erkenntnisse der beiden Historiker erwiesen sich im Folgenden als forschungsprägend, was insbesondere die weiterführenden Studien von Leonidas Hill 19887 und Wolfram Wette 1987/20108 zeigten, was aber – wie angedeutet – auch die fünf Veröffentlichungen belegen, die hier näher zu betrachten sind: 2016 publizierte der Ire Mark Jones seine Dissertation über die gewaltsamen An- fänge der Weimarer Republik. 2017 legte Christian Lübcke eine Abhand- lung zum November 1918 vor. 2018 erschienen dann die umfangreiche Monographie von Martin Rackwitz, die Broschüre von Robert Bohn und Uwe Danker sowie der von Sonja Kinzler und Doris Tillmann herausgege- bene, ausstellungsbegleitende Sammelband zur „Stunde der Matrosen“. Welcher Erkenntnisgewinn gegenüber der älteren Forschung lässt sich nun in diesen Beiträgen bemerken und wodurch ist dieser bedingt? Erstens ist eine beträchtliche Erweiterung der Quellengrundlage zu be- obachten, die inzwischen eine breitere und vertiefte Sicht auf das histori- sche Geschehen ermöglicht. Vor allem handelt es sich dabei um die schrift- liche Überlieferung, aber auch um eine umfassendere Bilddokumentation. Zweitens wird auf dieser Grundlage das Geschehen komplexer als bisher erfasst. Zugleich lassen sich die Erkenntnisse auf anregende Weise präsen- tieren. Die Eingangsfrage nach der angemessenen Beurteilung führt zum dritten und abschließenden Punkt der folgenden Ausführungen. 1. Der 2007 verstorbene Dähnhardt hatte bereits einen erheblichen Fundus schriftlicher Quellen ausgewertet, den auch die jüngsten Forschungen als bekannt voraussetzten und nur ausnahmsweise wiederholt erkundeten. 3 Deist, Politik der Seekriegsleitung, S. 341 u. S. 362-363. 4 Dähnhardt, Revolution in Kiel, S. 51-53. 5 V. a. Johnsson, Revolutionstheorie. 6 Dähnhardt, Revolution in Kiel, S. 166. 7 Hill, Signal zur Konterrevolution? 8 Wette, Gustav Noske. Kiel im November 1918 289 Letzteres betrifft insbesondere jene Akten im Freiburger Bundesarchiv- Militärarchiv (BAMA), die „Meldungen über Bildung von Soldatenräten in Schleswig-Holstein“ und die „Umwälzung Herbst 1918“ enthalten.9 Jones zeigte daran nochmals Interesse, ansonsten konzentrierte er seine umfas- senden Archiverkundungen – weniges ausgenommen – auf die Zeit nach dem Kieler November. Die über Dähnhardt hinausreichende Quellenerschließung begann mit dem Noske-Biografen Wolfram Wette, der in Freiburg auf Küsels „Beitrag zur Geschichte des revolutionären Umsturzes in der Kaiserlichen Marine und in Kiel“ stieß.10 Konteradmiral Hans Küsel hatte sich während des Umsturzes Aufzeichnungen gemacht, sie aber erst nach 1933 zu einem Pa- pier zusammengefasst, das Rackwitz zwar als „herausragend“, aber kei- neswegs als „frei von Tendenzen“ bezeichnet.11 Dies sollte nicht die einzi- ge, allerdings besonders häufig genutzte Quellen-Neuentdeckung aus dem Kreis der Kaiserlichen Admiralität bleiben. Zum Küsel-Beitrag gehören wichtige Anlagen, die ebenfalls im BAMA zugänglich sind. Der Inspekteur der Schiffsartillerie, Konteradmiral Max Hahn, verfasste ebenfalls einen Bericht.12

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