Vierteljahrshefte Für Zeitgeschichte Jahrgang 46(1998) Heft 2

Vierteljahrshefte Für Zeitgeschichte Jahrgang 46(1998) Heft 2

VIERTELJAHRSHEFTE FÜR Zeitgeschichte Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München herausgegeben von KARL DIETRICH BRACHER HANS-PETER SCHWARZ HORST MÖLLER in Verbindung mit Theodor Eschenburg, Rudolf v. Albertini, Dietrich Geyer, Hans Mommsen, Arnulf Baring und Gerhard A. Ritter Redaktion: Manfred Kittel, Udo Wengst, Jürgen Zarusky Chefredakteur: Hans Woller Stellvertreter: Christian Hartmann Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstr. 46 b, 80636 München, Tel. 1268 80, Fax 12317 27 46. Jahrgang Heft 2 April 1998 INHALTSVERZEICHNIS AUFSATZE John M. Steiner Willkür in der Willkür. Befreiungen von den antise­ und Jobst Freiherr mitischen Nürnberger Gesetzen 143 von Cornberg Bernd Rother Franco und die deutsche Judenverfolgung 189 Valur Ingimundarson „Der Chef des Kalten Krieges". C.D.Jackson, psy­ chologische Kriegführung und die deutsche Frage 1953/54 221 MISZELLE Heike Bungert Deutsche Emigranten im amerikanischen Kalkül. Die Regierung in Washington, Thomas Mann und die Gründung eines Emigrantenkomitees 1943 . 253 II Inhaltsverzeichnis DISKUSSION Eckart Conze Konfrontation und Detente. Überlegungen zur hi­ storischen Analyse des Ost-West-Konflikts 269 DOKUMENTATION Wolfgang Leonhard Im Fadenkreuz der SED. Meine Flucht von der Parteihochschule „Karl Marx" im März 1949 und die Aktivitäten der Zentralen Parteikontroll- Kommission 283 NOTIZEN Gesellschaft und Politik in Bayern 1949-1973. Ein neues Projekt des Instituts für Zeitgeschichte (Thomas Schlemmer) 311 Dokumentationsstätte am Obersalzberg bei Berch­ tesgaden (Volker Dahm) 327 ABSTRACTS 331 MITARBEITER DIESES HEFTES 335 Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte im Internet http:/www.oldenbourg.de Verlag und Anzeigenverwaltung: R. Oldenbourg Verlag GmbH, Rosenheimer Straße 145, 81671 München. Für den Inhalt verantwortlich: Horst Möller; für den Anzeigenteil: Suzan Hahnemann. Erscheinungsweise: Vierteljährlich. Jahresabonnement: Inland DM 99,80 (DM 85,- + DM 14,80 Versandspesen); Ausland DM 104,20 (DM 85,- +DM 19,20 Versandspesen). Studentenabonnement (nur Inland) DM 80,80 (DM 66,- + DM 14,80 Versandspesen); Einzelheft DM 29,- zzgl. Versandspesen. Die Preise enthalten bei Lieferung in EU-Staaten die Mehrwertsteuer, für das übrige Ausland sind sie Bruttopreise. Ermittlung der gebundenen Ladenpreise für Österreich und die Schweiz: Österreich: DM-Preis x 7,3 = öS-Preis (ab 0,5 aufgerundet, bis 0,4 abgerundet auf volle Schillinge). Schweiz: DM-Preis x 0,86 = sFr-Preis (aufgerundet auf volle Franken). Bezieher der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte sind berechtigt, die der Zeitschrift ange­ schlossene Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (2 Bände im Jahr) im Abonnement zum Vorzugspreis von DM 52,- zuzüglich Versandkosten zu beziehen. Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Fotokopien für den per­ sönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Ein­ zelkopien hergestellt werden. Jede darüber hinausgehende Vervielfältigung bedarf der Genehmigung des Verlages und verpflichtet zur Gebührenzahlung. Satz und Druck: Appl, Senefelderstraße 3-11, 86650 Wemding Ein Teil dieser Auflage enthält folgende Beilagen: Institut für Zeitgeschichte: Gesamtverzeichnis, Christians: Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte Juventa: Praxis Politische Bildung JOHN M. STEINER/JOBST FREIHERR VON CORNBERG WILLKÜR IN DER WILLKÜR Befreiungen von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen „Tausende Soldaten jüdischer Abstammung dienten in der Wehrmacht - mit falschen Papieren oder sogar mit Hitlers Sondererlaubnis", berichtete unlängst „Die Zeit". Bryan Mark Rigg, ein junger amerikanischer Student, spürt Überlebende der Wehr­ macht mit jüdischer Abstammung auf und befragt sie zu ihrem Schicksal1. Aber trifft es zu, was Rigg behauptet, daß diese Personen nur deshalb Soldaten sein konnten, weil sie ihre Papiere gefälscht oder von Adolf Hitler eine Sonderer­ laubnis erhalten hatten? Um diese Fragen zu klären, muß man sich mit der Judenge­ setzgebung des Dritten Reiches näher befassen. Die berüchtigten Nürnberger Geset­ ze aus den Jahren 1935/36 waren der Kern für jene Strukturen, auf denen alle weite­ ren Rassengesetze aufbauten2. Die Absurdität der nationalsozialistischen Rassenideo­ logie lief darauf hinaus, daß die deutsche Bevölkerung in zwei rassisch unterschiedli­ che Gruppen geteilt wurde, nämlich in Arier oder Herrenmenschen und Nichtarier, das heißt Untermenschen3. Um der Verfolgung durch das Naziregime zu entgehen, mußten Juden, sog. Gel­ tungsjuden und Mischlinge, besonders die I. Grades, einen Weg suchen, der entweder das Gesetz umging, indem sie zum Beispiel ihre rassische Herkunft verschleierten oder ihre Identität änderten. Oder aber sie mußten versuchen, im Gesetz vorgesehe- * J.M.Steiner dankt der Alexander v. Humboldt-Stiftung in Bonn-Bad Godesberg und Herrn Pro­ fessor Dr. Wolfgang Neugebauer vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien für ihre Unterstützung. 1 „Die Zeit" Nr. 15 v. 4.4. 1997, Dossier, S. 11-13, Zitat S.U. 2 Vgl. Herbert Jäger, Verbrechen unter totalitärer Herrschaft: Studien zur nationalsozialistischen Gewaltkriminalität, Freiburg i.Br. 1967; Wilhelm Stuckart/Hans Globke, Kommentare zur deut­ schen Rassegesetzgebung, Berlin 1936; Werner Feldscher, Rassen- und Erbpflege im deutschen Recht, Berlin 1943, S. 15-117; Egbert Mannlicher, Wegweiser durch die Verwaltung, Stand vom 1.2. 1942, Berlin 1942, S/207, 212f., 374f.; Im Namen des deutschen Volkes: Justiz und National­ sozialismus, Katalog zur Ausstellung des Bundesministers der Justiz, Konzept und Text von Ger­ hard Fieberg, Köln 1989, S. 114-134. 3 Vgl. Uwe Dietrich Adam, Judenpolitik im Dritten Reich, Düsseldorf 1972, S. 142f.; vgl. auch Je- remy Noakes, „Wohin gehören die Judenmischlinge", in: Ursula Büttner (Hrsg.), Das Unrechts- regime, Bd.2: Verfolgung, Exil, Belasteter Neubeginn, Hamburg 1986, S.70; John M.Steiner, Power Politics and Social Change in National Socialist Germany: A Process of Escalation into Mass Destruction, Den Haag 1975, S.3—44. VfZ 46 (1998) © Oldenbourg 1998 144 John M. Steiner/Jobst Freiherr von Cornberg ne Ausnahmebestimmungen für sich zu nutzen. Allerdings hatte sich Hitler die Zu­ stimmung zu diesen Ausnahmen, die man auch Befreiungen nannte, persönlich vor­ behalten. Wer waren diese Menschen, wodurch glaubten sie, sich verdient gemacht zu ha­ ben, und aus welchen Verhältnissen mußten sie kommen, um solche bevorzugte Be­ handlung zu erfahren? Im Gegensatz zu den Überlebenden der Ghettos, Konzentra­ tionslager und Todesmärsche bestand für diese verhältnismäßig kleine Gruppe kein Grund, nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Aufmerksamkeit auf ihre Art des Überlebens zu lenken. Waren sie doch in den meisten Fällen der ursprünglichen Zu­ ordnung als Jude oder jüdischer Mischling nur deshalb entronnen, weil sie besonde­ re Verdienste um Volk und Reich vorweisen konnten oder andere sich aus diesen Gründen für sie verwendeten4. Diese besondere Situation war wohl mit dafür ver­ antwortlich, daß kaum über diese wichtige Frage berichtet oder geschrieben worden ist. Rechtliche Grundlagen und Praxis der Befreiungen Seit der 1. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 11. April 1933 gab es im nationalsozialistischen Deutsch­ land eine Definition, was unter einem Nichtarier zu verstehen sei5: § 2 (1) Als nicht arisch sollte gelten, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammte. Bereits die nichtarische Herkunft eines Elternteils oder Großelternteils sollte hierfür genügen. Diese Bestimmung wurde auch „Arierpara­ graph" genannt. Bei dieser Fassung liegt es auf der Hand, daß viele Nichtarier im Sinne der Verordnung vom 11. April 1933 es als eine Art von Verbesserung ihrer Si­ tuation empfinden mußten, daß die Nürnberger Gesetze vom Herbst 1935, insbeson­ dere das Reichsbürgergesetz vom 15. September 19356 und seine 1. Verordnung vom 14.November 19357, eine genauere Definition einführten, die von diesem Zeitpunkt ab das Schicksal vieler Deutscher bestimmte. Insbesondere war eine Abgrenzung zwischen Juden und sog. jüdischen Mischlingen in der Verordnung enthalten. Sie un­ terschied zwischen Juden und sog. Geltungsjuden einerseits und Mischlingen I. und IL Grades andererseits, so daß es ab diesem Zeitraum folgende Gruppen von deut­ schen Staatsangehörigen8 gab: Nichtjuden oder Arier - Mischlinge I. Grades - Misch­ linge IL Grades - Geltungsjuden - Juden (Dreiviertel- oder Volljuden)9. 4 Vgl. Vernehmung Dr. Lammers im Vorverfahren zum Wilhelmstraßen-Prozeß am 23.9. 1948 durch Dr. Kempner, in: Robert M. W. Kempner, SS im Kreuzverhör, München 1964, S.219. 5 RGB1.I, 1933, S. 195. 6 RGBI.I, 1935, S. 1146. 7 RGBLI..I,1935, S. 1333 f. 8 Das Reichsbürgergesetz führte auch den Begriff des Reichsbürgers ein, der aber Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes vorbehalten blieb. 9 Die ausführlichste Darstellung der Mischlingspolitik im NS-Staat findet man bei Jeremy Noakes, Befreiungen von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen 145 Allein maßgebend war jetzt die Zahl der volljüdischen Großeltern. Zwei jüdische Großeltern machten eine Person zum Mischling I. Grades, mit drei jüdischen Groß­ eltern war man Jude. Etwas anders war die Lage bei den sogenannten Geltungsjuden. Sie waren Mischlinge I. Grades mit zwei jüdischen Großeltern. § 5 Absatz 2 der 1. Verordnung definierte die Kriterien, wann dieser Personenkreis als „Geltungsju­ den" bezeichnet werden sollte: a) wer beim Erlaß des Gesetzes

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