4. Glokale HipHop-Kultur: Analyse der österreichischen HipHop-Szene und ihrer Musik Nach dieser ausführlichen Beschreibung der geschichtlichen Entwicklung der österrei- chischen HipHop-Szene werde ich mich in diesem Kapitel einem weiteren Kernthema meiner Dissertation widmen. Anhand der hiesigen HipHop-Szene und der von ihren Mitgliedern veröffentlichten Musik soll untersucht werden, an welchen (musikalischen) Charakteristika sich die drei HipHop-Subgenres BoomBap, Gangsta-/Straßen-Rap so- wie Trap/Cloud Rap definieren lassen.1 Zugleich wurde bei den ausgewählten Analyse- beispielen darauf geachtet, ob sich die von diversen AutorInnen sowie von mir attes- tierten glokalen Merkmale in den untersuchten Stücken wiederfinden lassen und wenn ja, in welcher Form sie sich manifestieren. Die für meine Untersuchungen als zentral erachteten genannten Arbeiten von Krims (vgl. 2000) und Rappe (vgl. 2010) demonstrieren überzeugend, dass die musi- kalischen Charakteristika von HipHop-Musik mehr als rein ästhetische Funktionen übernehmen und für das Verständnis der HipHop-Kultur eine bedeutende Rolle spie- len. Zudem zeigen die beiden Autoren, wie eng Text, Musik und – sofern vorhanden – Video bzw. die visuelle Umsetzung der Songs in Verbindung zueinander stehen. Und wenngleich der Text bei Rapmusik meist im Vordergrund steht und die deutlichste Botschaft vermittelt, müssen zum vollständigen Verständnis eines Stückes genauso die Art und Weise des Vortrages (sprich der Rap-Flow),2 die Musik und die damit transportierten Inhalte berücksichtigt werden. Vor allem bei der Verwendung von Samples muss die/der Analysierende Wissen über Geschichte und Traditionen der HipHop-Kultur besitzen und diese den LeserInnen vermitteln. Rappes Arbeit stellt in seiner Gesamtheit ein sehr eindrucksvolles Beispiel dar, wie das bewerkstelligt wer- den kann. Er zeigt auch, dass zum analysierten Material und deren ProduzentInnen 1 Die Subgenres wurden vor allem aus einem musikalischen Fokus gewählt und umfassen einen Großteil der österreichischen HipHop-Musik. Würde HipHop-Musik aus Österreich aus einem an- deren Blickwinkel untersucht (z.B. Rap-Inhalte), würden andere Subgenres im Zentrum stehen. 2 Als ausführlichste Auseinandersetzung mit dem Thema Flow und Rap im Allgemeinen soll hier noch Johannes Grubers Publikation »Performative Lyrik und lyrische Performance« (vgl. 2016) ge- nannt werden. 108 HipHopausÖsterreich überdies immer die jeweiligen sozialen, politischen und historischen Gegebenheiten betrachtet werden müssen (vgl. Rappe 2010, S. 220f.). Auch Krims (vgl. 2000, S. 14) weist darauf hin, dass bei der Analyse populärer Musik stets das (kulturelle) Umfeld und die geschichtlichen sowie sozialen Umstände mit einfließen müssen. In die- sem Sinne beinhalten die folgenden Analysekapitel auch stets einen umfassenden Geschichtsabschnitt zum jeweiligen Genre und beziehen zudem nicht musikalische Aspekte ein. Nach der Untersuchung der drei genannten HipHop-Subgenres wird im letzten Ab- schnitt nochmals genauer auf mögliche »Glokalisierungsstrategien« in der österreichi- schen HipHop-Musik eingegangen. Dabei wird das Hauptaugenmerk darauf gelegt, in welcher Form auf musikalischer sowie textlicher Ebene lokale (kulturelle) Aspekte mit global verbreiteten Eigenheiten von HipHop-Musik verbunden werden und der Musik damit ein »glokaler Charakter« verliehen wird. Bevor die genannten Subgenres musikanalytisch untersucht werden können, soll jedoch folgend noch auf die grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Einteilung von HipHop in unterschiedliche Subkategorien sowie auf meinen eigenen Zugang dazu hin- gewiesen werden. 4.1 Analyse diverser HipHop-Stile am Beispiel heimischer VertreterInnen 4.1.1 HipHop-Subgenres HipHop-Subgenres und vor allem ihre Grenzen sind meist ineinanderfließend und überlappend. Viele KünstlerInnen und oftmals auch schon einzelne Songs können gleich mehreren Genres zugeordnet werden. So weist etwa auch Krims darauf hin, dass HipHop-Subgenres nie völlig getrennt voneinander zu betrachten sind. Sie kon- stituieren sich zu einem gewissen Grad immer im Vergleich miteinander sowie in der Abgrenzung zueinander (vgl. Krims 2000, S. 81-84). In der Geschichte der HipHop-Musik entwickelte sich eine Vielzahl von mehr oder wenig relevanten Subgenres. Die (neben Gangsta-Rap) wohl bekanntesten Einteilungen gehen auf historische Zeitperioden zurück, durch die HipHop grob in Old School, New School und golden age era unterteilt wird. Auch wenn die Songs der einzelnen Zeitspan- nen gewisse Charakteristika teilen, stellen sie keine Genrebezeichnungen im engeren Sinn dar. Vor allem der Begriff Old School bezeichnete zu Beginn das erste Jahrzehnt der HipHop-Kultur bis ca. Mitte der 1980er Jahre. Heute werden meist auch HipHop- Songs und -Acts aus den 1990er Jahren zur Old School gerechnet. Auch regionale Gruppierungen wie East-Coast- und West-Coast-Rap sowie South Coast oder Dirty South werden zwar oftmals mit einer gewissen Spielart von HipHop verbun- den, umfassen aber zumeist sehr unterschiedliche KünstlerInnen und HipHop-Stile. Geographische Einteilungen können aber auch spezifischer ausfallen und auf ganz be- stimmte HipHop-Subgenres sowie deren Entstehungsort hinweisen. Beispiele dafür sind etwa Miami Bass, Baltimore Bounce oder Jersey Club. Dabei handelt es sich stets um Genres, die aus diversen lokalen Szenen hervorgingen und zumindest USA-weite Bekanntheit erlangten. 4. Glokale HipHop-Kultur: Analyse der österreichischen HipHop-Szene und ihrer Musik 109 Darüber hinaus gibt es Genreeinteilungen, die Inhalt und Vortragsstil des Rap- Textes in den Vordergrund stellen. Vor allem anhand dieser Parameter formulierte etwa Adam Krims seine vier HipHop-Kategorien Party-Rap, Mack-Rap, Jazz/Bohemian-Rap und Reality-Rap (vgl. Krims 2000, S. 55). Wie Krims zudem bemerkt, sind nicht rein musikalische Aspekte, sondern »aesthetic, moral and representational values« (ebd., S. 81) ebenfalls entscheidende Faktoren für die Zuordnung von KünstlerInnen zu einem bestimmten Genre. That is, genres are outlined at least as much in social discourses around the music, as in the »music itself« – or more precisely, in music only as mediated by discourses. For rap music audiences are among the most self-conscious and fierce of all audiences in policing the boundaries of aesthetic and generic (and, often equivalently, political) validation. (Ebd., S. 91) Sieht man sich bspw. die geschichtliche Entwicklung von HipHop in Deutschland an, wird deutlich, welche wichtige Rolle die soziale Herkunft der ProtagonistInnen spielte und zu ersten Einteilungen der deutschen HipHop-Szene führte. So wurde durch die Medien mit dem Erfolg der Fantastischen Vier die Kategorie deutscher Rap oder Deutschrap ins Leben gerufen, die grob ein Synonym für deutschsprachigen »Mittelstands-HipHop« darstellte. Dem Gegenüber stand Anfang der 1990er Jahre praktisch der ganze Rest der HipHop-Szene – vor allem durch die Gruppe Advanced Chemistry repräsentiert –, die sich in den späten 1980er Jahren aus einem multilingualen sowie multikulturellen Umfeld von großteils Jugendlichen mit Migrationshintergrund entwickelte – also Außenseitern der Gesellschaft, die tendenziell der (mittleren) Unter- schicht angehörten –(vgl. Verlan und Loh 2015, S. 374f.). Hannes Loh, einer der Autoren des umfassendsten Werks zur deutschen HipHop-Geschichte, »35 Jahre HipHop in Deutschland« (2015), wählt für seine Einteilung der historischen Phasen des deutschen HipHops nicht etwa dominierende Subgenres, sondern greift dafür auf die »Kategorie der kulturellen Identität« (Verlan und Loh 2015, S. 88) zurück. So kommt er zu seinen vier geschichtlichen Phasen: 1. globale Identität, 2. nationale und multikulturelle Identität, 3. regionale Identität und Selbstethnisierung und 4. Nationalchauvinismus, Antisemitismus, Antiislamismus (vgl. ebd., S. 88-100). Ein weiterer wichtiger Aspekt der gerade in Österreich für die Kategorisierung von HipHop von Bedeutung ist und teilweise auch auf die soziale oder kulturelle Herkunft hinweist, ist die verwendete Sprache. In Deutschland wurde etwa das gerade genannte Genre des Deutschraps ins Leben gerufen. In Österreich ist Mundart- oder Dialekt-Rap ein geläufiger Begriff, der eine Einteilung aufgrund der Sprache vornimmt. Aus diesem Subgenre entwickelte sich Mitte der 2000er Jahre unter der Bezeichnung Slangsta-Rap eine Bewegung, die sich als Gegenbewegung zum etwa gleichzeitig populär werdenden deutschsprachigen Gangsta-Rap – vor allem aus Österreich – positionierte und deshalb auch im Kapitel zu diesem Subgenre genauer betrachtet wird. Abschließend kann – mit Verweis auf Krims’ Ansatz – gesagt werden, dass die Gen- reeinteilung von HipHop-Musik zwar stets aus einem bestimmten Blickwinkel bzw. mit dem Fokus auf ein bestimmtes Element der HipHop-Kultur vollzogen wird, jedoch im- mer musikalische (bezogen auf Musik sowie Rap-Stil), inhaltliche sowie soziale Fak- toren zur Konstitution eines HipHop-Subgenres beitragen. Harald Huber (vgl. 1998) 110 HipHopausÖsterreich beschreibt einen Musikstil in diesem Sinne auch als eine Kommunikationsform: »Ein Musikstil ist eine Kommunikationsform, ein System von Elementen und Regeln, das über das akustische Fließen hinaus theatralische und multimediale Sequenzen steu- ert, die in kulturelle, ökonomische und historische Kontexte eingebunden sind.« (Ebd., S. 158) Diese Auflistung unterschiedlicher Methoden zur Unterteilung von HipHop-Genres (ohne auf die unzähligen Crossover-Genres eingegangen zu sein) hatte zum Ziel, das grundsätzliche Problem eines solchen Vorhabens aufzuzeigen.
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