Museen der anderen “Art“ Künstlermuseen als Versuche einer alternativen Museumspraxis Von der Philosophischen Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie genehmigte Dissertation vorgelegt von Astrid Legge aus Hamm Berichter: Universitätsprofessor Dr. phil. Hans Holländer Privatdozent Dr. phil. Heinz Herbert Mann Tag der mündlichen Prüfung: 31. Juli 2000 Diese Dissertation ist auf den Internetseiten der Hochschulbibliothek online verfügbar Vorbemerkung Ich danke Herrn Prof. Dr. Hans Holländer, dem Betreuer dieser Arbeit für seine Unterstützung und wertvollen Hinweise. Ich danke auch dem Korreferenten Dr. Heinz Herbert Mann für seine Hilfsbereitschaft und guten Ratschläge. Zu danken habe ich ferner Herrn Stephan Andreae, der mir als Mitarbeiter des Musée sentimental de Cologne mit zahlreichen Informationen weiterhelfen konnte sowie den Mitarbeitern des Kölnischen Kunstvereins für ihre freundliche Unterstützung. Mein besonderer Dank gilt meinem Lebengefährten Uwe Paul für seine unermüdliche Unterstützung. Inhalt 1. Einleitung S. 7 2. Sammeln als Welterkenntnis: Besonderheiten in Inhalt und Ordnung der Kunst- und Wunderkammern S. 15 2.1 Das Wandelbare, das Gleichwertige, das Mehrdeutige, das Kuriose S. 19 2.2 Die Rolle des Buches im Prozeß der Weltaneignung S. 26 3. Der Bruch mit der Tradition: Sammeln als künstlerische Strategie S. 30 3.1 Museumskritik von Marinetti bis Duchamp S. 33 3.2. Dadaismus und Surrealismus: Das Kuriose, die Phantasie und der Zufall S. 36 3.3 Das tragbare Museum: Marcel Duchamps ”Boîte-en-valise” S. 52 3.3.1 Zweifel als Methode S. 69 4. Die Duchamp-Rezeption durch die zweite Avantgarde S. 73 4.1 Die “Eroberung des Raumes” im Kontext von Neosurrealismus und Neodada S. 78 4.1.1 Alltagszitat als räumliches Erlebnis S. 93 4.2 Unikat und Duplikat: Ausstellung als Kunstform S. 99 5. Museumskritik und “Kunstaufbruch” der 60er und 70er Jahre S. 111 6. Claes Oldenburgs “Eroberung des Raumes” S. 117 6.1 Das “Ray Gun Theater” S. 131 6.2 Oldenburg als Sammler: Schachteleditionen und das “museum of popular art n.y.c.” S. 134 6.3 Das Alter ego: “Ray Gun” und “Geometric Mouse” S. 141 6.4 Die Maus in der Schachtel: Das “Maus Museum” auf der documenta 5 S. 149 6.4.1 Das Inventar: “Naturalia”, “Artificialia”, “Scientifica” und “Curiosa” S. 154 6.4.2 Das “Spiel” mit der Realität S. 162 6.4.3 “Maus Museum”- Mausoleum S. 164 6.5 “Utopia” Neubern S. 169 7. Daniel Spoerri als Sammler: Topographie des Zufalls, “Fallenbild“ und Eat-Art S. 172 7.1 Die Vorbilder: Duchamp, Dada und der “Hang zum Gesamtkunstwerk” S. 177 7.2 Der Prototyp: das “Musée de reliques fétichistes de l´art“ 1977 S. 181 7.3 Das “Musée sentimental de Cologne”, der “K.R.A.F.T.-Fetisch” und der Kölner “Stammtisch“ S. 183 7.4 Vorsicht Falle! Fälschungen, Täuschungen und das Spiel mit dem Betrachter S. 188 7.5 Vom Relikt zur Reliquie oder die Metamorphose der Objekte S. 194 7.6 Mnemotische Analogien S. 200 7.7 Die Affinität zur Kunst- und Wunderkammer: Gleichwertiges, Mehrdeutiges, Wandelbares, Kurioses S. 205 8. Schlußbetrachtung und Ausblick S. 216 Literatur S. 221 1. Einleitung “Nichts ist tastender, nichts ist empirischer (wenigstens dem Anschein nach) als die Einrichtung einer Ordnung unter den Dingen.”1 Die Entwicklungsgeschichte des Museums ist heute umfangreich dokumentiert. Ebenso wurde in zahlreichen Studien versucht, die Motivation für das Sammeln als Grundvoraussetzung für den Bestand eines Museums zu ergründen.2 Befaßt man sich mit der Genealogie des heutigen Museums, stößt man im 16. und 17. Jahrhundert auf eine Sammlungsform, die mit ihren Schauobjekten aus verschiedensten Bereichen universal und “Welt in der Stube” sein wollte: die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance. In der Literatur häufig als “Vorstufe” unserer heutigen Museen beschrieben, stellt sich aber bei genauerer Untersuchung dieses Sammlungstyps heraus, daß das heutige Museum mit seiner strikten Trennung der verschiedenen Gegenstandsbereiche und seinen hochspezialisierten Sammlungen viel mehr als dessen Zerfallsprodukt gelten kann.3 Unter einem Museum versteht man heute eine öffentlich zugängliche Sammlung von Gegenständen oder Bildern, die dem Publikum in Form einer themengebundenen Ausstellung in einem speziell definierten Raum präsentiert werden. Doch das Museum war einmal ein Musenheiligtum, in welchem die Göttinnen der Inspiration, die Schutzheiligen der Dichter und Gelehrten verehrt wurden. Ihnen geweihte Schriften wurden in den antiken “museia” aufbewahrt, die als Vorläufer der Bibliotheken gelten können.4 Diese “museia” fanden sich sowohl in Schulen als auch in Philosophen- und Dichtervereinigungen, die sich im Dienst der Musen sahen. Die Römer verbanden das Museum in der spätrepublikanischen Zeit mit der hellenistischen Villenkultur, wobei die musische Inspiration aus der das Landgut umgebenden freien Natur erfolgen sollte. Es war gedacht als Ort, an dem bedeutende Gedanken und Schriften entstehen konnten. Diese Deutungsvariante der Römer bildete die Grundlage für die Wiederbelebung des Museums in der Renaissance. Nachdem der Museumsbegriff und die Musenkultur im Mittelalter in Vergessenheit geraten waren, wurde nach Busch die ursprüngliche Bedeutung des Museums als Tempel und Studienort im 15. Jahrhundert auch in Deutschland wiederbelebt.5 Die antike Bedeutung des Museums als Gelehrtenvereinigung wurde dagegen seit dem 14. Jahrhundert zwar von den Humanisten aufgegriffen, die durch Bezeichnungen 1 Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1971, S. 22 (im folgenden Foucault, Frankfurt a.M. 1971). 2 Folgende Werke liefern eine umfassende Bibliographie zum Thema: David Murray, Museums, Their history and their use, Glasgow 1904, Bd. 1-3 (im folgenden Murray, Glasgow 1904); Gudrun Calov, Museen und Sammler des 19. Jahrhunderts in Deutschland, in: Museumskunde, Bd. 38, Heft 1-3, Berlin 1969; Barbara Jeanne Balsinger, The Kunst- und Wunderkammern, A Catalogue raisonné of Collecting in Germany, France and England 1565-1750, Phil. Diss., Pittsburgh 1970 (im folgenden Balsinger, Pittsburgh 1970); O. Impey, A. MacGregor, The origins of museums, The cabinet of curiosities in sixteenth- and seventeenth-century Europe, Oxford 1985 (im folgenden Impey & MacGregor, Oxford 1985); Ellinoor Bergvelt, Debora J. Meijers, Mieke Rijnders (Hrsg.), Verzamelen, Van rariteitenkabinet tot kunstmuseum, Heerlen 1993. 3 Vgl. hierzu Hans Holländer, Kunst- und Wunderkammern: Konturen eines unvollendbaren Projektes, in: Ausstellungskatalog Wunderkammer des Abendlandes, Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Bonn 1994, S. 144 (im folgenden Holländer, Bonn 1994). 4 Vgl. Renate von Busch, Die Entwicklung des Museumsbegriffes in: Studien zu deutschen Antikensammlungen des 16. Jahrhunderts, Phil. Diss., Tübingen 1973, S. 67 (im folgenden Busch, Tübingen 1973). 5 Vgl. ebd. S. 68. 7 wie “musarum amici” ihre Musenjüngerschaft zum Ausdruck brachten.6 Doch setzte sich trotz der Kenntnis der verschiedenen klassischen Bedeutungen des Museumsbegriffes (Musentempel/Gelehrtenvereinigung) die Variante des Studienortes endgültig durch. Eine Ausstattung solcher “studios” war weder von der Begriffsgeschichte noch von der Funktion her nötig, jedoch fast immer als illustrierende Ergänzung, Ablenkung und Anregung in den Arbeitspausen vorhanden.7 So zeichnete sich von der Mitte des 15. Jahrhunderts an eine erneute Bedeutungsverschiebung ab, als der Begriff teilweise auf die in dieser Zeit entstehenden fürstlichen Kunstkammern übertragen wurde.8 Sie unterschieden sich von den “studioli” nicht nur in der Größe, sondern auch in Funktion und Bestand. Die Studienfunktion trat in den Hintergrund, die Schaufunktion in den Vordergrund. In diesen privaten Sammlungen von Fürsten oder reichen Bürgern waren kostbares Kunsthandwerk und Gemälde, wissenschaftliche Instrumente, Tiere, Pflanzen, Steine, exotische, unbekannte und sonderbare Dinge zu sehen. “Die großen Sammlungen [...] enthielten alles und jedes, Artefakte, Naturwunder, Gemälde, Skulpturen, Mischungen und Vereinigungen von Kunst und Natur, Mißbildungen oder Abbildungen davon, Schönes und Grausiges, Nützliches und Dinge, die aus Spieltrieb oder Lust an Komplikationen entstanden zu seien scheinen, eben Kunststücke, die zweckfrei und völlig unverwendbar, ganz sich selbst und nichts anderes sind.”9 Diese Aufzählung impliziert schon ihre spätere Klassifizierung als Arteficialia, Naturalia, Scientifica und Curiosa, die in den sogenannten Kunst- und Wunderkammern in ihrer gleichwertigen Zusammenschau ein Spiegel der vielfältigen Erscheinungen und Gesetzmäßigkeiten, eine Gesamtansicht der Welt und des Universums sein wollten. Hier gab es keine Hierarchien, sondern ein gleichwertiges Nebeneinander von heute getrennten Disziplinen. Es herrschte eine völlig andere, für uns heute schwer nachvollziehbare Ordnung aufgrund eines Analogie- und Gleichheitsdenkens. Kuriositäten und wunderliche, “magische” Dinge sowie das Spekulieren darüber waren dabei ein fester Bestandteil dieser “Mikrokosmen”,10 die sich selbst durch ihren universalen und enzyklopädischen Anspruch als “theatrum mundi” verstanden. 6 Vgl. ebd. S. 68/69. 7 Vgl. ebd. S.74. 8 Hier eine Auswahl der in den Katalogen erscheinenden Titel: Francesco Calcezolaris “Musaeum Francisci Calceolari Veronensis” von 1622; Ulisse Aldrovandis “Musaeum Metallicum” von 1648; Ole Worms “Museum Wormianum” von
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