21322 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 Vizepräsidentin Claudia Roth (A) die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Seitdem sind 17 Jahre vergangen. In dieser Zeit sind (C) schlagen. – Ich sehe keine anderen Überweisungsvor- alle Argumente pro und kontra Tabakwerbung ausge- schläge. Dann verfahren wir genau so. tauscht worden – rechtliche, gesundheitliche, wirtschaft- liche. Wer davon in besonderer Weise ein Lied singen Tagesordnungspunkt 20 d. Wir kommen zur Abstim- kann, ist Christian Schmidt; denn er war in der letzten mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Legislaturperiode der Erste, der versucht hat, einen Ge- Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum setzentwurf durch dieses Parlament zu bringen. Insoweit Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Verlorenes stellvertretend für all diejenigen, die sich für dieses The- Schuljahr vermeiden – Schnellstmöglich Online-Lernen ma eingesetzt haben, an dich: Vielen Dank! deutschlandweit aufbauen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20501, (Beifall bei der CDU/CSU) den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache Nicht jede Debatte war fair. Auch hier wurden Nebel- 19/18221 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- kerzen gezündet, insbesondere in der letzten Debatte von empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält der FDP: Wir würden den Menschen das Rauchen ver- sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zu- bieten, wir würden die Werbung verbieten. – Falsch, gestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und Schall und Rauch! Darum geht es nicht. Es geht hier AfD, dagegengestimmt hat die Fraktion der FDP, und heute nur um eine einzige Frage: Kann ein 15-Jähriger enthalten haben sich die Fraktionen von Linken und die Folgen einer Entscheidung überblicken, die sein Le- Bündnisgrünen. ben verändern kann? Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Er darf eh a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- keine Zigaretten kaufen! Unsinn, Frau tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach- Connemann!) ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Weiß ein Jugendlicher, dass schon die erste Zigarette Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes krank machen kann, auch die E-Zigarette? Blei, Nickel, Drucksache 19/19495 Chrom landen in der Lunge, und auf das Konto von Tabak gehen Krebs, Schlaganfälle, Herzinfarkte. Weiß ein Ju- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- gendlicher, dass Tabak tötet? 121 000 Menschen bezah- schusses für Ernährung und Landwirtschaft len den Griff zur Zigarette mit ihrem Leben – allein in (10. Ausschuss) Deutschland, jedes Jahr. Eine Stadt wie Göttingen stirbt, Drucksache 19/20667 übrigens qualvoll. Weiß ein Jugendlicher, dass jedes Ni- (B) kotinprodukt süchtig macht? Nikotin hat eine höhere (D) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Suchtpotenz als Heroin, egal ob aus einer Zigarette, ei- Berichts des Ausschusses für Ernährung und nem Verdampfer oder einem Erhitzer. Nikotin erreicht Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem An- spätestens in 20 Sekunden das Gehirn, „Shake and Vape“ trag der Abgeordneten Niema Movassat, lässt grüßen. – Nein, ein Jugendlicher weiß das nicht. Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Dr. Kirsten Woher auch? Plakate zeigen keine Lungenkarzinome, Tackmann und der Fraktion DIE LINKE sie zeigen Lebensgefühl – heute nicht mehr mit Cowboys Ein umfassendes Tabakwerbeverbot oder dem „Duft der großen weiten Welt“, sondern mit schaffen entspannten jungen Menschen, die das Leben genießen und entspannt rauchen oder dampfen. Das wirkt. Drucksachen 19/2539, 19/9116 Buchsta- be a Der Griff zur ersten Zigarette erfolgt eben nicht als Erwachsener. Der Griff zur ersten Zigarette erfolgt durch- Für die Aussprache sind 30 Minuten beschlossen. schnittlich im Alter von 14,8 Jahren. Und in der letzten Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, schnell die Anhörung bestätigten die Sachverständigen: Ein Jugend- Plätze zu wechseln und wieder Platz zu nehmen, damit licher, der mit Werbung in Berührung kommt, wird dop- ich der ersten Rednerin das Wort erteilen kann. pelt so häufig zur Zigarette greifen als sein Gegenüber. – Werbung wirkt. Deshalb wird auch dafür gezahlt: Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin: Gitta 235 Millionen Euro pro Jahr. Connemann für die CDU/CSU-Fraktion. Und jetzt noch einmal die Frage an uns alle: Kann ein (Beifall bei der CDU/CSU – Patrick Schnieder 15-Jähriger die Folgen einer solchen Entscheidung über- [CDU/CSU]: Gitta, gib alles!) blicken? Die Antwort für die CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion lautet: Nein, er kann es nicht, und deshalb haben wir Gitta Connemann (CDU/CSU): die Pflicht, ihn zu schützen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen heute am Ende eines langen Wegs. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/ (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das stimmt!) DIE GRÜNEN]) 2003 bestätigte die Weltgesundheitsorganisation: Tabak E-Zigarette, Erhitzer, Verdampfer – ohne Frage gibt es macht krank, Tabak tötet, Nikotin macht süchtig. – Des- Unterschiede zwischen den Produkten. In der Anhörung halb darf Werbung dafür eigentlich nicht mehr erlaubt wurde diskutiert, ob es sich um Ausstiegsinstrumente sein. oder Einstiegsdrogen handelt. Aber eines ist bereits heute Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21323 Gitta Connemann (A) gesichert: Auch E-Zigaretten mit Nikotin machen süch- Wilhelm von Gottberg (AfD): (C) tig. Und für Jugendliche sind Aromen wie Erdbeere und Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ge- Co absolut verlockend. Das Bundesinstitut für Risikobe- setzentwurf beinhaltet die weitere Verschärfung des wertung warnt deshalb auch: Gebt Acht, was ihr in euch schon bestehenden Werbeverbotes für Tabakerzeugnisse. reinpfeift. Die E-Zigarette ist kein Wellnessprodukt. Nun soll ein rigides Totalverbot jedweder Außenwerbung eingeführt werden. Neu im Gesetzentwurf ist das Werbe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verbot für E-Zigaretten. Die Zielsetzung des Gesetzes ist, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jugendliche und junge Erwachsene schon frühzeitig vom Wir differenzieren in diesem Gesetzentwurf bei den Wer- Rauchen abzuhalten. Die hohen gesundheitlichen Risiken bebeschränkungen – Schritt für Schritt. Tabak wird an- des Rauchens und der Aspekt des Jugendschutzes lassen ders behandelt als die E-Zigarette. das strikte Werbeverbot zweckmäßig erscheinen. (Martin Reichardt [AfD]: Das ist echt unvor- Der Gesetzentwurf unterstellt, dass es in hohem Maße stellbar!) die Tabakwerbung ist, die junge Menschen zu Rauchern werden lässt. Das geschehe zum Beispiel durch raffinier- Meine Damen und Herren, eine Frage bleibt: Wo fan- te Werbetexte, die speziell das Lebensgefühl der heran- gen wir an, wo hören wir auf? wachsenden Generation ansprechen. Für die AfD ist das (Dr. Götz Frömming [AfD]: Süßigkeiten!) nicht der entscheidende Punkt. Ist das Nächste das Verbot von Alkohol oder Süßigkei- Ein knappes Drittel der Menschen in Deutschland ten? raucht. Geraucht wird in den Familien, auf Schulhöfen, (Dr. Götz Frömming [AfD]: Ja!) (Marianne Schieder [SPD]: In Schulen ist das verboten! Seit Langem!) Die Antwort lautet: Nein. – Darauf gebe ich Ihnen mein im Kollegenkreis, bei kleinen und großen Feierlichkeiten Wort. und in Mußestunden. Jede Woche gibt es im Fernsehen (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Oh, mit mindestens ein Dutzend Krimis, Kriegsfilme oder Hei- solchen Versprechen wäre ich vorsichtig!) matfilme mit intensiven Raucherpassagen. Denn es gibt kein Produkt, das mit Tabak vergleichbar (Michael Donth [CDU/CSU]: Junge Menschen wäre. Tabak ist einmalig. Es ist das einzige legale Pro- gucken keine Heimatfilme! – Gegenruf des dukt, das bei bestimmungsgemäßem Konsum krank Abg. Martin Reichardt [AfD]: Wird nur in Hei- macht und tötet, von der Suchtpotenz von Nikotin ganz matfilmen geraucht? Das ist mir jetzt neu! – (B) (D) zu schweigen! Damit sind Alkohol oder Zucker nicht zu Gegenruf des Abg. Michael Donth [CDU/ vergleichen. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch ma- CSU]: Hat er erwähnt, nicht ich!) chen diese Produkte weder krank noch abhängig. Ein Junge Menschen lernen durch Vorbilder und Nachah- Glas Wein macht noch keinen Alkoholiker, ein Schoko- mung. Werbeverbote schaffen da keine Abhilfe. Die riegel keine Fettleber. Hier macht die Dosis das Gift. Schaffung von Raucherzonen und Nichtraucherzonen Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzent- hält das Thema aktuell. Gleichwohl ist diese Maßnahme wurf – nach 17 Jahren – basiert auf den Grundlagen sinnvoll, um das Passivrauchen einzuschränken. von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Am Montag gab Die Befürworter eines allumfassenden Werbeverbots es eine Anhörung. Alle acht Sachverständigen, egal von verweisen auf den deutlichen Rückgang des Tabakkon- welcher Fraktion berufen, forderten Werbeverbote für sums im letzten Jahrzehnt und machen dafür das schon Tabak und Nikotin – alle acht! Wer heute also gegen bestehende Werbeverbot verantwortlich. Das überzeugt diesen Gesetzentwurf stimmt, stimmt nicht nur gegen nicht. Sachverstand. Wer heute gegen diesen Gesetzentwurf stimmt, stimmt auch gegen die Gesundheit von Jugend- (Beifall bei der AfD) lichen. Der Tabakkonsum ist deutlich gesunken, weil der Ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- setzgeber das Rauchen teuer gemacht hat. In den letzten neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 15 Jahren wurde die Tabaksteuer achtmal angehoben. Be- gründet wurde das mit der Notwendigkeit
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