Spätslawische Wirtschaftsstrukturen in Ostvorpommern

Spätslawische Wirtschaftsstrukturen in Ostvorpommern

L. Poláček (Hrsg.), Das wirtschaft liche Hinterland der frühmittelalterlichen Zentren Internationale Tagungen in Mikulčice VI, Brno 2008, 27-46 Spätslawische Wirtschaft sstrukturen in Ostvorpommern Felix Biermann 1. Einleitung Diese Problematik soll im Folgenden am Beispiel der spätslawischen nichtagrarischen Wirtschaft sstruk- Schon in frühslawischer Zeit ist mit den Seehan- turen in Ostvorpommern untersucht werden, und hier delsplätzen an der Ostseeküste – in Pommern Rals- vor allem der Handelsbeziehungen. Arbeitsgebiet ist der wiek, Menzlin, Wollin/Wolin und vielleicht Bartin- Kreis Ostvorpommern mit der kreisfreien Stadt Greifs- Zwilipp/Bardy-Swielubie – eine charakteristische wald, also die Insel Usedom und das anschließende Gruppe von Wirtschaft szentren vorhanden, die als Festland zwischen der Ostseeküste im Norden und Seehäfen und Orte von Handel und spezialisiertem dem Gebiet beiderseits der Peene im Süden (Abb. 1). Handwerk hervorragen. Seit dem 10. Jh. gewinnen Das Areal hat ca. 55 km größten Durchmesser. Diese dann Burg-Siedlungskomplexe mit hoher wirtschaft - Region eignet sich für eine solche Untersuchung, weil licher Bedeutung – wie etwa Demmin, Stettin/Szczecin, sie ein dichtes spätslawisches Siedlungsbild aufweist, Kolberg-Altstadt/Kołobrzeg-Budzistowo, Usedom und das auch ein ökonomisches Zentrum überregionalen Wollin in seinen späteren Phasen – an Gewicht, die die Rangs, Usedom, mit einbezieht. Eine rege bodendenk- spätslawische Zeit bestimmen und z.T. als Burgstädte malpfl egerische Betreuung in Form von Prospekti- 1 bezeichnet werden können. Das Verhältnis solcher onen sowie kleineren und größeren Ausgrabungen Zentralorte zu ihrem Umland ist in den meisten Fällen durch Fachbehörden und ehrenamtliche Mitarbeiter nur undeutlich erkennbar, da sie selbst zwar teilweise erschloss auf zahlreichen Fundplätzen Hinweise zur näher untersucht worden sind, der Forschungsstand nichtagrarischen Wirtschaft . In vielen Publikati- zu den Siedlungen in der Umgebung aber ungleich onen, darunter dem Corpus archäologischer Quellen schlechter ist. Daher ist es vielfach unklar, wie intensiv (2, 1979) und vor allem den jährlich – zuletzt 2005 die wirtschaft lichen Verfl echtungen der Zentralorte – publizierten Kurzen Fundberichten (im Folgenden: mit ihrer Umgebung waren, in welchem Ausmaß und KFB) des Archäologischen Landesmuseums Mecklen- womit man Handel trieb, inwieweit die Zentren Vertei- burg-Vorpommern wurden diese Befunde und Funde lerfunktion für Fernhandelswaren in ihrem Umland vorgelegt, so dass eine solche Untersuchung eine gute inne hatten und welche Dinge sie selbst aus den Sied- Grundlage besitzt. Die Beschränkung auf die spätslawi- lungen in ihrer Umgebung bezogen. So kommt es, dass sche Periode ergibt sich aus diesem Forschungsstand; manche Forscher von engen Beziehungen zwischen für die früh- und mittelslawische Zeit (7./8. bis 10. Jh.), den Zentren und ihrem Umland ausgehen, andere in der im Arbeitsgebiet mit Menzlin ein bedeutender hingegen nur geringe kleinräumige Verfl echtungen Seehandelsplatz lag (Schoknecht 1977), sind die vermuten und die bedeutenden Hafenorte an der Kenntnisse zu den umliegenden Siedlungen ungleich Ostsee eher als auf den Fernhandel bezogene „Etap- schlechter. 2 penorte“ betrachten. Freilich ist die Zahl der in dieser oder jener Weise untersuchten Stätten immer noch klein, gemessen an 1 Vgl. Leciejewicz 1962; Herrmann 1982, 1988, 1998; Fili- der Gesamtzahl bekannter Fundplätze, und von den powiak 1988; Łośiński 1995; zum Begriff der Burgstadt Engel meisten liegen nur Oberfl ächenfunde vor. Eine breitere 1995, 17 ff . Forschungsbasis, die etwa statistische Vergleiche zum 2 S.M. Sindbaek (2006, 269 f.) nimmt für Wollin in dessen spä- Vorkommen bestimmter Fundgattungen an verschie- teren Phasen an, dass es ein Knotenpunkt („nodal point“) in der Fernhandelsstruktur des Ostseeraums mit geringer zentra- denen Orten zuließe, existiert nicht. Die archäologischen ler Bedeutung für sein Umland gewesen sei; U. Schoknecht Forschungen werfen eher Schlaglichter auf einzelne (1977, 140 f.) hingegen sah „enge Beziehungen“ zwischen dem Fundorte, die jedoch begründete allgemeine Hypo- Seehandelsplatz Menzlin und seinem Umland, V. Schmidt thesen zu den regionalen Wirtschaft sstrukturen vom (1994, 118) betrachtete das spätslawische Usedom u. a. als späten 10. bis frühen 13. Jh. und zum Verhältnis von „Handelsplatz für [das] Binnenland“. 28 Felix Biermann aus, doch änderte dies auf längere Sicht nichts an der zunehmenden Annäherung der Greifen an das Römisch-Deutsche Reich. Seit etwa 1220/30 setzt die Zuwanderung westlicher Siedler ein, welche die Bevölkerungsstruktur und Kulturlandschaft nach- haltig verändern sollte. Im 13. Jh. entstanden auch Rechtsstädte, und zwar teils in Anlehnung an ältere Zentren, wie in Usedom und Wolgast, oder aus wilder Wurzel, so in Greifswald (vgl. Petersohn 1979; Wächter 1997; Benl 1999). Zugleich war die spätslawische Periode durch eine starke Zunahme der Besiedlung gekennzeichnet, die mit einer inneren Verdichtung der älteren Siedlungs- kammern und einem äußeren Landesausbau, also der Erweiterung jener Siedlungsgefi lde, einherging. Dieser Siedlungs zuwachs konnte vor allem für Landstriche auf der Insel Usedom (vgl. Lampe 1992), aber z. B. auch für das Peenegebiet (Schoknecht 1977, 140 f.), anhand Abb. 1. Das Arbeitsgebiet (dunkelgrau): Der Kreis Ostvorpom- der angewachsenen Fundstellenzahl eindrucksvoll mern und die kreisfreie Stadt Greifswald (Zeichnung nach gehalten werden. In Wechselwirkung mit dieser F. Biermann). Bevölkerungszunahme stand eine deutliche wirtschaft - liche Entfaltung, die den nördlichen westslawischen Zentralorten und ihrem Umland durchaus zulassen. Raum in jener Zeit allgemein kennzeichnet. Das Besondere Beachtung fi nden dabei die historisch zeigen u. a. die nun aufk ommende, hochwertige überlieferten Burgzentren. Gurtfurchenkeramik, die Zunahme der Schatzfunde und die allerorten angewachsenen Zeugnisse des Fern- 2. Siedlung, Herrschaft und ethnische Verhält- handels (Biermann 2000, 61 f.). In unserem Territo- nisse im spätslawischen Ostvor pommern rium erreichte diese Entwicklung schon deshalb einen hohen Standard, weil es verkehrsgeographisch sehr Der ostvorpommersche Raum erlebte vom späten günstig lag: Das Odermündungsgebiet war bekannt- 10. bis frühen 13. Jh. eine wechselvolle Geschichte. lich von großer Bedeutung im Handel zwischen dem Das Gebiet war von namentlich nicht überlieferten Ostseeraum und dem ostmittel europäischen Binnen- slawischen Stämmen besiedelt, die wohl in dieser land, was sich schon in früh- und mittelslawischer Zeit oder jener Form mit den seit 983 mächtigen Lutizen in einer Ballung von Seehandelsplätzen und weiteren in Verbindung standen. Im Peenegebiet, vor allem an wirtschaft lich bedeutenden Orten äußerte (Menzlin, den südlichen Ufern jenes Stromes, werden mitunter Wollin/Wolin, Stettin/Szczecin; vgl. Filipowiak 1988). die Redarier lokalisiert – der wichtigste Lutizenstamm, Überdies berührten mehrere wichtige Überland- in dessen Gebiet der berühmte Tempelort Rethra lag. straßen das Gebiet, insbesondere die Via Regia von Gegen diese Th ese sprechen aber gewichtige Argumente der Elbe- zur Odermündung (Herrmann 1968, 123 f.; (vgl. Brüske 1955, 153 ff .; Szczesiak 2005). Zwischen Schoknecht 1977, 138 f.). Außerdem gab es bei Hilda 1125 und 1128 expandierten die Greifenherzöge nach (Eldena) nahe Greifswald bereits um 1195 eine Saline, Westen und unterwarfen den Großteil des hier behan- wie aus einer Urkunde Fürst Jaromars I. von Rügen für delten Gebietes der pommerschen Oberherrschaft . das Kloster Dargun hervorgeht. Mit Salz verfügte man Bereichs- und zeitweise gerieten sie dabei in Konkurrenz im Arbeitsgebiet somit über eine bedeutende Handels- mit den rügischen Fürsten. Mit der 1128 stattfi nden den ware. Allerdings ist unbekannt, wie lange diese Saline Missionsreise Bischof Ottos von Bamberg, der Grün- schon bestand, und archäologisch ist sie nicht belegt dung eines pommerschen Bistums (1140) und der dem (Schich 1981, 105 f.). Wendenkreuzzug von 1147 folgen den Einrichtung Archäologisch kann diese positive ökonomische von Klöstern (Stolpe an der Peene 1153, Grobe auf Entwicklung vor allem an einem Zentralort registriert Usedom ca. 1155) wurde auch die Christianisierung in werden: Usedom, die im Südwesten der gleich nami- die Wege geleitet. gen Insel gelegene Burg-Siedlungsagglomeration, hat Pommersch-sächsisch-dänische Auseinandersetzun- in gewaltiger Menge Funde erbracht, die mit speziali- gen prägten die zweite Hälft e des 12. Jhs. In dieser siertem Handwerk und Handel in Verbindung gebracht Zeitspanne übten zeitweise die Dänen Oberherrschaft werden können. Zugleich weisen schrift liche Nach- Spätslawische Wirtschaft sstrukturen in Ostvorpommern 29 Abb. 2. Historisch und archäologisch belegte spätslawische Zentralorte sowie Siedlungen mit beträchtlichen Hinweisen auf Hand- werk und Handel in Ostvorpommern (Zeichnung F. Biermann). richten auf die große politisch-militärische sowie 3. Die historisch überlieferten Zentral orte kirchliche Bedeutung dieses Ortes in der früh pommer- und der archäologische Befund schen Herzogsherrschaft hin, insbesondere im 12. Jh. (vgl. Bollnow 1964; Petersohn 1999). Usedom Der bedeutendste Ort im hier betrachteten Gebiet kann als charakteristischer Vertreter der „Burgstadt“ war Usedom, im Südwesten der gleichnamigen Insel gelten: jenes für die spätslawische Zeit bezeichnenden an einem über Peenestrom und Stettiner Haff von zentralörtlichen Typus eines herrschaft lich bestimmten der Ostsee

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