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WALERIAN BOROWCZYKS LITERARISCHE OBJEKTE DER BEGIERDE Christoph Seelinger hat Mittelalterliche Geschichte und Germanistik an den Universitäten Mannheim und Heidel- berg, Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig sowie »Kultur der technischwissenschaftlichen Welt« an der TU Braunschweig studiert. Aktuell forscht er zur Legitimation von Todesszenen in Film und ki- nematografi schem Diskurs. Christoph Seelinger WALERIAN BOROWCZYKS LITERARISCHE OBJEKTE DER BEGIERDE Die Rezeption erotischer Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts im transgressiven Kino der 1970er Jahre Christoph Seelinger Walerian Borowczyks literarische Objekte der Begierde. Die Rezeption erotischer Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts im transgressiven Kino der 1970er Jahre ISBN (Print) 978-3-96317-170-3 ISBN (ePDF) 978-3-96317-685-2 Copyright © 2019 Büchner-Verlag eG, Marburg Satz und Umschlaggestaltung: DeinSatz Marburg | tn Bildnachweis Umschlag: Still aus Walerian Borowczyks La Bête, © Argos Films (mit sehr herzlichem Dank an Maÿlis Berger-Marembaud von Argos Films für die Abdruckgenehmigung). Das Werk, einschließlich all seiner Teile, ist urheberrechtlich durch den Verlag geschützt. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. www.buechner-verlag.de Inhalt 1. Einleitung .................................... 7 2. Objets trouvés und objets vivants. Paradigmen der Borowczyk’schen Ästhetik ......... 23 2.1 Ein kurzer Streifzug durch die Objekte der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts ...................... 23 2.2 Die objektkünstlerischen Wurzeln Borowczyks .............. 31 2.3 Schauspieler als Objekte, Objekte als Schauspieler. Rosalie (1966) ................................... 37 2.4 Erotische Objekte und Objekte der Erotik. Une collection particulière (1973) ....................... 46 3. Mit Thérèse philosophieren und masturbieren ....... 49 3.1 Klandestine Pornographie. D’Argens’ Thérèse (1748) .......... 51 3.2 Inhaltliche Kongruenzen zwischen d’Argens und Borowczyk ..... 55 3.3 Der Mensch als Sexualmaschine ....................... 65 3.4 Intermediale Erotik. Die Sexszene als Gemälde .............. 87 3.5 Intertextuelle Bezüge. Die Lust im, am und durch den Text ..... 97 3.5 Seligmachende Sexualität. Thérèse Philosophe als Hagiographie .... 108 4. La Belle, la Bête et la Pucelle ..................... 115 4.1 Eine Ahnengalerie der Tierbräutigame ................... 120 4.2 Literarische Zoophilie. Von Apuleius bis zum Feenmärchen ..... 129 4.3 Weitere Quellen. Die Bestie von Gévaudan. Lokis ............ 138 4.4 Der Film als Archiv ................................ 142 5. Interno di un convento. Le monastère-machine . 149 5.1 Der Bock als Gärtner. Literarische Klosterpornographie bei Boccaccio und Aretino ........................... 149 5.2 Venus im Kloster. Literarische Klosterpornographie im 17. und 18. Jahrhundert .......................... 157 5.3 Verhexte Nonnen. Nunsploitation-Vorläufer 1922–1972 ....... 166 5.4 Die vergnügte Nonne. Decamerotici und Pasolini ............ 179 5.5 Die leidende Nonne. Italienisches Nunsploitation-Kino (1962–1986) .................................... 185 5.6 Inhaltliche Kongruenzen zwischen Stendhal und Borowczyk ..... 201 5.7 Das Kloster als Maschine. Sakrale und profane Sexualobjekte hinter Klostermauern............................... 211 6. Schluss ...................................... 221 7. Abbildungen .................................. 229 8. Literaturverzeichnis ............................ 237 8.1 Primärquellen ................................... 237 8.2 Sekundärquellen ................................. 239 1. Einleitung In seiner Geschichte des Films kommt der Filmhistoriker Ulrich Gregor, nachdem er den bisherigen Erfolgsweg Walerian Borowczyks skizziert hat, zu einer letztlich doch wenig positiven Einschätzung den weiteren Werde- gang des polnisch-französischen Regisseurs betreffend: »Nach dieser sehr konsequenten Entwicklung Borowczyks erscheinen seine Contes Immoraux (Unmoralische Geschichten, 1974) eher als ein Rückfall: allzu dekorativ, wohlgefällig und konsumierbar, ja kunstgewerblich fielen diese Pflichtübungen eines ästhetisch gehobenen, kunstvoll verzierten ero- tischen Kinos aus. Eine weitere Episode aus diesem Zyklus, La bête (›Das Ungeheuer‹), wurde nachträglich verlängert und kam als unabhängiger Film heraus. Konnte man nach den Unmoralischen Geschichten meinen, Bo- rowczyk hätte seinen Frieden mit dem Kommerz gemacht und werde diese lukrative Richtung weiterverfolgen, so zeigte sich der Regisseur mit dem in Polen realisierten Dzieje grzechu (›Geschichte einer Sünde‹, 1975) doch wieder auf der Höhe seiner früheren Werke. […] La marge (›Der Spielraum‹, deutscher Verleihtitel: Emanuela 77 – La Marge, 1976), eine Studie aus dem Pariser Prostituiertenmilieu (nach einem Roman des Goncourt-Preisträgers de Mandiargues), war leider ein weiterer Schritt in die schon mit Contes Immoraux begonnene Richtung eines dekorativ ausgeschmückten, leerlau- fenden erotischen Kino, dessen Hauptziel die kommerzielle Verwertbarkeit ist.«1 Diese noch vergleichsweise harmlos formulierte Kritik Gregors steht symp- tomatisch für die traditionelle Rezeptionshaltung der etablierten Filmwis- 1 Ulrich Gregor, Geschichte des Films ab 1960, München 1978, S. 297f. 8 Walerian Borowczyks literarische Objekte der Begierde senschaft dem Œuvre Borowczyks gegenüber. Möglicherweise schon viel zu oft wiederholt wurde »the usual story, which has become something of a film-historical cliché, […] that Walerian Borowczyk was an acclaimed filmmaker who went from art house stardom in the 1970s, to soft-core oblivion in the 1980s.«2 Tatsächlich lässt sich nicht abstreiten, dass zwischen den frühen, noch in Polen gemeinsam mit dem Grafiker Jan Lenica realisierten Animationskurzfilmen wie Byl sobie raz (1957), Nagrodzone uczucia (1957) oder Dom (1958) und Borowczyks letzten Filmarbeiten, mehreren Episoden für die Softero- tik-Reihe Série Rose des französischen Nachtfernsehens zwischen 1986 und 1991, mehr als eine Welt liegen. Borowczyks Partizipation in der Speerspitze der polnischen Filmavantgarde und seine Adaptionen von Erzählungen des Decamerone oder des Jin Ping Meis im Rahmen einer hauptsächlich auf das Schaffen einer schwül-erotischen Atmosphäre ausgerichteten TV-Serie bilden dennoch genau die beiden Pole, in deren Rahmung sich das abspielt, was Gregor als Borowczyks »kon- sequente Entwicklung« bezeichnet3: Seit seiner Übersiedelung in die Wahlheimat Frankreich in den späten 50ern heimst Borowczyk mit jedem seiner Filme nicht nur Festivalpreise, sondern auch das Lob der internationalen Kritik ein. Bis in die späten 60er hinein sind es vorrangig weiterhin für ein kleines, der Modernen Kunst zugewand- tes Publikum produzierte Kurzfilme wie Les Astronatues (1959), Les Jeux des anges (1964), aber auch sein erster Langfilm Théâtre de M. et Mme. Kabal (1967), die regelmäßig in Cannes gezeigt werden, für die sich Avantgardisten der alten Garde wie André Breton begeistert aus- sprechen, und mit denen Borowczyk seinen Ruhm als der führende europäischer Animationsfilmer untermauert, der letztlich stilprägend 2 Kamila Kuc, Kuba Mikurda, Michal Olesczyk, A Private Universe, in: Dies. (Hg.), Boro, L’île d’amour. The Films of Walerian Borowczyk, Oxford, New York 2015, S. 1. 3 Bzgl. einer Werkbiographie Borowczyks vgl. bspw. Kuba Mikuda, Boro. Escape Artist, in: Ebd., S. 13–47; David Thompson, Walerian Borowczyk, in: Walerian Borowczyk, La Bête, DVD, 94 Minuten, Deutschland: Bildstörung 2009 (Frank- reich 1975), Booklet, S. 32–40, u. Valerio Caprara, Borowczyk. Il Castoro Cinema 76, Florenz 1980. 1. Einleitung 9 auf nachfolgende auf ähnlichem Terrain operierende Regisseure wie Terry Gilliam wirken sollte. 1968 und 1971 folgen mit Goto und Blanche zwei klassische Spielfilme mit – was im Œuvre Borowczyks zuvor einen absoluten Sonderfall darstellte: – Schauspielern aus Fleisch und Blut, linear verlaufenden, nacherzählbaren Handlungen voller menschlicher Lei- denschaften und daraus erwachsenden Tragödien, und der üblichen Kinofilmlaufzeit von etwa eineinhalb Stunden. Der wirkliche Bruch, der Borow czyks Werk in den Augen der Zeitgenossen und denen der Nachwelt in zwei kaum miteinander vereinbare Hälfte teilen sollte, ist jedoch nicht der seines Wechsels vom animierten Kurzfilm zum illusionistischen Langfilm – sowohl Goto als auch Blanche werden von der zeitgenössischen Kritik weiterhin vorwiegend positiv aufge- nommen –, sondern der Moment, in dem Borowczyk beginnt, Sex und Erotik in seinen Filmen einen derart großen Stellenwert einzu- räumen, dass sie sich schließlich zu deren Dreh- und Angelpunkten aufschwingen. Als 1973 Contes Immoraux erscheint – vier Episoden, angesiedelt in vier unterschiedlichen historischen Epochen, jedoch allesamt Wege und Irrwege der menschlichen Sexualität in teilwei- se außerordentlich freizügigen Bildern verhandelnd –, avanciert der Film zwar einerseits zum zweitgrößten Kinoerfolg in Frankreich, einzig überholt von Just Jaeckins ähnlich gelagertem Emmanuelle, andererseits beginnt sich zeitgleich Borowczyks früheres Zielpubli- kum von seinem vermeintlich in kommerzielle Gefilde der Soft- oder gar Hardcore-Pornographie

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