SCHUBERT Winterreise MARKUS SCHÄFER · TOBIAS KOCH Markus Schäfer Tenor FRANZ SCHUBERT (1797-1828) Tobias Koch Pianoforte Anonymus, WINTERREISE D 911 Eastern Germany around 1830 Gedichte von / Lyrics by Wilhelm Müller (1794-1827) 1 Gute Nacht 04:51 2 Die Wetterfahne 01:46 3 Gefror’ne Tränen 01:49 4 Erstarrung 02:48 5 Der Lindenbaum 04:27 6 Wasserfluth 03:37 7 Auf dem Flusse 02:37 8 Rückblicke 02:00 9 Irrlicht 02:31 10 Rast 02:42 11 Frühlingstraum 03:33 12 Einsamkeit 02:04 13 Die Post 02:18 14 Der greise Kopf 02:43 15 Die Krähe 01:20 16 Letzte Hoffnung 01:42 17 Im Dorfe 02:52 18 Der stürmische Morgen 00:54 19 Täuschung 01:15 20 Der Wegweiser 03:47 21 Das Wirtshaus 05:13 22 Muth! 01:34 23 Die Nebensonnen 02:20 24 Der Leiermann 03:18 Total Time 64:14 Recording: II 2018, Stadtschloss Weimar / City Castle Weimar Executive Producer: Stefan Lang Recording Producer, Editing & Mastering: Joachim Müller Piano Technician & Tuning: Roland Hentzschel Publisher: Neue Schubert-Ausgabe, Tübingen & Wien g 2018 Deutschlandradio / Avi-Service for music P 2021 Avi-Service for music, Cologne/Germany 42 6008553957 4 Made in Germany · All rights reserved · LC 15080 · STEREO · DDD Translations: Stanley Hanks Design: www.BABELgum.de Fotos: g privat; p. 2 Jonas Kaffine www.tobiaskoch.eu www.tenor-markus-schaefer.de www.avi-music.de www.deutschlandfunkkultur.de A Co-production with GEDANKEN ZUR WINTERREISE Franz Schuberts zwei große Liederzyklen auf Texte Wilhelm Müllers (1794–1830) sind Monumente verknüpfende, während seiner kurzen Lebenszeit immerhin zum Hofrat aufgestiegene der Musik. Wer sich ihrer, wie Markus Schäfer und Tobias Koch in dieser Aufnahme der Winterreise, Schneidersohn Wilhelm Müller aus Dessau. reproduzierend annimmt, tritt in große Fußstapfen. Aus Schäfers Sicht sind diese Lieder „durch die Interpretationen der namhaftesten Künstler ja nicht allein populär, sie sind geradezu Sie sagen, vieles in dieser Aufnahme sei lebendig und möglicherweise ungewohnt beweglich unantastbar geworden“. geraten – wie darf man das verstehen? Im Gespräch ist beiden Künstlern der Hinweis wichtig, dass diese Unantastbarkeit keines- wegs immer bestand. „Die Wirkung im engsten Schubert-Freundeskreis ganz am Anfang“, erklärt TK: Zu den vielen musikalischen Details, in denen wir deutlich vom Bekannten abweichen, der Sänger, „war geradezu abschreckend, so wuchtig und kühn erschienen den Freunden diese Lieder gehören eklatante Unterschiede zum sogenannten „Urtext“, also andere Töne, Verzierungen, – kaum verwunderlich, dass Franz von Schober erzählt, ihm habe als einziges Lied eigentlich nur Der rezitativische Einschübe, Erweiterungen, Pausen, Überleitungen, unvermittelte Übergänge; Lindenbaum wirklich gefallen“. wenn man sich Schuberts Skizzen anschaut, finden sich da ursprünglich vorgesehene tonartliche So monumental Schubert/Müllers Winterreise als die Geburt des modernen Kunstlieds in die Beziehungen, das Wissen darum nutzen wir. Die Aufführungsgewohnheiten der Schubert- Musikgeschichte ragt – für Schäfer und Koch ist der Zyklus seinem Gehalt nach weder eindeu- zeit kämen den Musikgeneigten unserer Zeit sehr seltsam vor. Das Konzertsaalgeschehen tig noch gar endgültig. „Er stellt für mich mehr offene Fragen, als dass er direkte Antworten gibt, er folgt heute quasi objektiven und sachlichen Kriterien. Als historisch informierte Interpreten ist, mit einem Wort, hochaktuell“, sagt Koch. „Mir persönlich als Interpret entspricht es ohnehin erheben wir an diesem Punkt Einspruch. Wir plädieren im Sinn der Hörkonventionen der eher, Fragen zu stellen und die Antworten den Zuhörenden zu überlassen. Vielleicht ist gerade deshalb vieles Schubertzeit für mehr Spontaneität, Individualität, Betonung der Einmaligkeit des musikali- in dieser Einspielung besonders lebendig und möglicherweise ungewohnt beweglich geraten.“ schen Moments bei Interpreten wie Publikum. Wir haben uns erlaubt, eigene musikalische Auch über den Textdichter der beiden berühmtesten Liederzyklen Schuberts ist das letzte Wort Kommentare einzubringen, viel Improvisatorisches, eine freie Auseinandersetzung sozusagen noch nicht gesprochen. Für die überwiegende Zahl der Wissenschaftler seiner Muttersprache mit dem überlieferten historischen Material. Das alles führt für uns quasi zu einem inter- ist Wilhelm Müller bis heute ein eher durchschnittlicher Feld-Wald-und-Wiesen-Romantiker. pretatorischen Schwebezustand. Dass es gerade Müllers Zyklen waren, die Schubert zu derart überwältigend neuartigen Liedern inspirierten? Einerlei. Auch die Begeisterung des jungen Heinrich Heine für Wilhelm Müllers Wie löst sich das für den Sänger ein? Es gibt das Beispiel Johann Michael Vogl, Uraufführungs- Panerotik, für seine Indienstnahme des Volkslieds für aktuelle politische Aussagen – tut sänger vieler Schubertlieder. Wie Vogl das als Sänger damals einlöste und was demzufolge nichts zur Sache. In Deutschland hatten es Künstler, die sich mit den Mitteln der Kunst zwischen ihm und Schubert auf der Bühne alles möglich war, hat er präzise in die Noten gegen die herrschende Ordnung auflehnen, noch nie besonders leicht – so auch der mit seinen einer postumen Schubert-Bearbeitung aus seiner Hand geschrieben. Gedichten im griechischen Freiheitskampf engagierte und auch sonst stets Poesie mit Politik 4 MS: Das war seine Bearbeitung der Gesänge des Harfners, nachzulesen im Anhang der Bären- Im Lied steht, schon bühnentechnisch, die Sängerin, der Sänger vorn, mit der menschlichen reiter-Ausgabe. Vogl hat zum Beispiel Pausen eingebaut, wo keine waren. Seine Stimme Stimme verbinden sich die Melodien, der Text. Wo bleibt der Liedbegleiter? war schon ein bisschen älter, also hat er sich die Musik ein wenig zurechtgelegt. Er hat leichte Verzierungen eingebaut. An Stellen, wo er dachte, da möchte ich länger verweilen, TK: Auf jeden Fall nicht passiv dienend im Hintergrund. Als Liedpianist will ich teilnehmen hat er eine Fermate hineingenommen. Seine Veränderungen gehen oft recht weit. Da, wo am musikalischen Geschehen – am Konflikt zwischen Text und Musik, Sprache und Klang, bei Schubert in der Gesangslinie gar nichts steht, steht bei Vogl plötzlich eine Fermate, zwischen Rede, Widerrede, Geben und Nehmen. Ich möchte, unterbewusst und intuitiv danach ein Halteton mit einer kleinen Chromatik drin. Ganze Gesangslinien hat sich der kommentierend, die musikalisch-textliche Doppelbödigkeit hervorkehren. Ich kann die oft Vogl, wenn ihm danach war, abwärts und aufwärts eingerichtet – so lief das offenbar ab, komplexe Faktur von Schuberts Musik dechiffrieren, kann sie gewissermaßen illustrieren, wenn Schubert und Vogl auftraten. Wir haben ein Augenmerk auf so etwas. Man soll solche Einwürfe machen, ihr ins Wort fallen; ich lese zwischen den Zeilen – damit unterstütze Dinge nur nicht planen. Sie müssen aus dem Moment heraus erfunden sein. ich den Partner weniger, als dass ich ihn herausfordere. Wie geht das? Fühlen Sie sich herausgefordert, Herr Schäfer? MS: Wir studieren den Notentext und machen uns in Notizen klar, wo wir das eine oder MS: Klar, ich habe zwei Möglichkeiten. Ich glätte die Herausforderung und integriere sie andere gern verdeutlichen würden, eigentlich genau, was Vogl und Schubert gemacht haben. damit. Oder ich greife sie auf und wir spinnen sie dann gemeinsam fort. Beides passiert in Es gibt ja in der Winterreise diese ganz schroffen Dinge, schon von Schubert selbst. Denken der vorliegenden Aufnahme. Sie an den Frühlingstraum. TK: Ein Beispiel fürs Fortspinnen. Manche Trän‘ aus meinen Augen, heißt es in der Wasserflut. Eine TK: Da kräht im Klavierpart urplötzlich der Hahn, ein Schock, eine Störung, ein Aufschrei … Sarabande. Schon im Vorspiel ziellos. Wie in der Winterreise oft. Da werden Liedmelodien MS: … wie in der Matthäuspassion. Warum soll man diese Dramatik nicht weiter verstärken, angespielt, auseinandergerissen, irgendwann ist es zu ende, Nachspiele gehen in Vorspiele wenn einem danach ist? Oder die Wetterfahne. An der Stelle „Er hätte es je bemerken sollen / über und umgekehrt – ein Kreisen um sich selbst. des Hauses aufgestecktes Schild“ ist in Schuberts Autograf in der Sängerlinie überhaupt keine MS: Dachte ich: Da geht ja zum Beispiel am Anfang der Wasserflut die Melodie hoch – wir Melodie, nur eine Rezitation auf einem Ton, eine Art Sprechgesang. Und dann die Tonar- haben eine Variante entwickelt, in der ich es nach unten singe, einfach um die Idee dieses ten, die er am Ende tiefer gesetzt hat als in den Skizzen, wir haben uns oft für die ziellosen Kreisens zu verstärken. höheren entschieden. Ich als Sänger muss die Musik ja, ganz in Vogls Sinn, für meine Stimme TK: Und das Klavier greift diese Variante unmittelbar auf, es umspielt und erweitert sie. perfekt machen, mir aneignen, sie soll schließlich aus mir sprechen. MS: Wie das dann am Ende konkret aussieht – das ist das Abenteuer. Wir tauchen sozusagen 5 THOUGHTS ABOUT WINTERREISE als moderne Menschen im Hier und Jetzt – und dazu gehören auch unsere musikalischen Franz Schubert‘s two major song cycles based on texts by Wilhelm Müller (1794–1830) were Mittel – spontan und unmittelbar in die Musik ein, wir musizieren aus dem Moment heraus. milestones in music history. Whoever dares to “reproduce them in performance” is treading TK: So, wie wir sind, wo wir musikalisch herkommen und wie wir uns im Moment der in the footsteps of giants. As Markus Schäfer puts it: “through previous interpretations by Aufnahme fühlen. Wir gehen kreativ, offen, sensibel mit unserer Aussage um. Mit natürlich distinguished artists, these cycles have not only become extremely popular;
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