Odysseus auf dem Weg nach Ithaka und die Irrfahrt eines linksstehenden Menschen innerhalb eines „linken“ Systems – Die Exilsituation bei Mircea Eliade und Ion Caraion Magisterarbeit im Hauptfach Allgemeine Literaturwissenschaft dem Akademischen Prüfungsamt FB 1 und 3 der Universität Siegen vorgelegt von Andrea-Dana Langenfeld Siegen, den 31.05.2010 Prof. Dr. Hermann Korte FB 3 – Germanistik Inhalt 1. Einleitung 3 2. Das rumänische Literaturexil 1945-1989 4 2.1 Begriffsgebrauch – Form und Semantik 4 2.2 Exilwellen 9 2.3 Funktionsbereiche der Exilliteratur 11 3. Rumänische Literatur als Teil einer „cultură minoră“ 13 3.1 Entstehungsgeschichte der rumänischen Literatur 13 3.1.1 Kulturelle Einflüsse im Lauf der Geschichte 13 3.1.2 Rumänische Literatur im Zeichen nationaler Identitätsbildung 15 3.2 Ethnopsychogramm 18 3.3 Rumänische Literatur als Teil einer „kleinen Kultur“ 19 3.3.1 Der Begriff der „kleinen Kultur“ als Machtdiskurs innerhalb des literarischen Feldes 19 3.3.2 „Kleine Literaturen“ 22 4. Odysseus auf dem Weg nach Ithaka: Mircea Eliades Weg zum „Mittelpunkt“ 26 4.1 Positionierung Eliades innerhalb der rumänischen Kulturgeschichte 27 4.2 Mircea Eliade: Der „Religionswissenschaftler“ 31 4.2.1 Die universale Religionsphilosophie Eliades 33 4.2.2 Das Heilige und das Profane in der modernen Welt 34 4.2.3 Initiation als Weg aus dem „Terror der Geschichte“ 37 4.3 Eliades Weg in die „Eiserne Garde“ 39 4.3.1 Die Bildung des „neuen Menschen“ aus dem Geist eines „neuen Humanismus“ 41 4.3.2 Der „neue Mensch“ aus dem Geist des Faschismus 43 4.4 Mircea Eliade: Der Schriftsteller 47 4.4.1 Methodische Probleme eines literaturwissenschaftlichen Zugangs 47 4.4.2 Der autobiographische Roman 48 4.4.3 Der existentialistische Roman 51 4.4.4 Der phantastische Roman 53 4.5 Mythische Funktion der Literatur 55 4.6 Die Verarbeitung des Exils zwischen dem „Authentic Bucharestian“ und dem „Universal Man“ 56 4.6.1 Anfängliche Mühen der Akkulturation im Pariser Exil 56 4.6.2 Exil als Initiationsprüfung 61 4.7 Exilliteratur Eliades nach 1945 65 4.8 Produktionsästhetik 68 4.9. Resümee 69 5. Ein linksstehender Mensch in einem „linken“ System: Ion Caraion 72 5.1 Biographie 72 5.2 Kulturpolitik der Rumänischen Volksrepublik 75 5.2.1 Stalinistischer Auftakt 1947 76 5.2.2 Das „Bukarester Tauwetter“ ab 1964 78 5.2.3 Die „Kleine Kulturrevolution“ 1971 79 5.3 Ion Caraion in der Tradition rumänischer Avantgarde 81 5.4 Der Umgang Caraions mit der sprachlichen Deterritorialisierung Rumäniens nach 1945 84 5.4.1 Die Position des Schriftstellers innerhalb der Kultur 85 5.4.2 Die deterritorialisierte Sprache Ion Caraions 85 5.4.3 Exil im Exil 91 5.5 Resümee 94 6. Fazit 96 7. Literaturverzeichnis 98 1. Einleitung Jeder Exilant ist ein Odysseus auf dem Weg nach Ithaka.1 Mircea Eliade Die Position des Dichters ist grundsätzlich links.2 Ion Caraion Das heutige Rumänien als kleine Region an der Schnittstelle von Orient und Okzident weist vielfältige kulturelle Einflüsse auf. Seit seiner Besiedlung war es meist Spielball politi- scher Machtinteressen und konnte somit nur schwer eine kulturelle Identität herausbilden. Das Ergebnis ist eine „kleine Kultur“, deren Spezifikum einer Suche nach einem souverä- nen Identitätsmodell sowohl Literatur als auch Politik in ihren Dienst stellt. Daraus ergibt sich eine enge Verflechtung dieser gesellschaftlichen Bereiche, die im Folgenden auf künst- lerischer Ebene reflektiert wird. Die vorliegende Arbeit versteht Literatur- als Kulturwissenschaft und verfolgt einen kulturgeschichtlichen Ansatz, der die exemplarische Erarbeitung verschiedener Deutungs- muster von Wirklichkeit ermöglicht. Unter der Annahme, dass rumänische Literatur vorwiegend durch Exilkünstler außer- halb des Landes wahrgenommen wird, werden zwei Exilschriftsteller vorgestellt: Der als phantastischer Romancier und Religionswissenschaftler international bekannte konservati- ve Kulturphilosoph Mircea Eliade und der außerhalb rumänischer Landesgrenzen weitest- gehend unbekannte avantgardistische Lyriker Ion Caraion. In ihrer Verankerung in gegen- sätzlichen rumänischen Kulturtraditionen bilden sie einen Querschnitt der rumänischen Kulturgeschichte ab. Im Folgenden wird daher untersucht, inwiefern sich die jeweilige ge- sellschaftspolitische Weltanschauung sowie der damit verbundene Ethos in der Ästhetik des literarischen Werkes vor und nach dem Gang des jeweiligen Schriftstellers ins Exil nie- derschlagen. Die Exilsituation wird dabei als existentielle Daseinsform des Künstlers be- trachtet, die das Profil von Künstlerpersönlichkeit und Werk prägnant hervortreten lässt. Nach der Klärung des Exilbegriffs in Form und Semantik, wird zunächst eine kulturge- schichtliche Basis geschaffen, die das politisch-ästhetische Konzept „kleiner Literaturen“ u.a. soziologisch betrachtet. Auf dieser Grundlage erfolgen schließlich die Analysen der künstlerischen Werke beider Kulturproduzenten. Die Schriftsteller werden innerhalb einer Exiltypologie eingeordnet, ehe ihr jeweiliges Kapitel mit einem Resümee beschlossen wird. Abschließend werden Mircea Eliade und Ion Caraion unter der genannten Fragestellung einander gegenüber gestellt. 1 Zitiert nach Eliade, in: Barié, 26. 2 Zitiert nach Caraion, in: Behring 1999, 122. 3 2. Das rumänische Literaturexil 1945-1989 Das rumänische Literaturexil stellt innerhalb der Gruppe der sozialistischen Länder Osteuropas eine Besonderheit dar: Die Zahl der ausgewanderten Schriftsteller erreicht mit 12%3 aller Schriftsteller den Höchststand im Ostblock bis 1989.4 Im nach dem Zweiten Weltkrieg sowjetisch besetzten Rumänien haben sich im Wesent- lichen drei Literaturkreise ausgebildet: eine offizielle Literatur, die dissidente Literatur und eine Exilliteratur. Die Möglichkeit der Auswanderung ist demnach nur eine von mehreren Agitationsformen, die Schriftsteller als Ausdruck ihres Widerstandes gegen die Lebens- und künstlerischen Schaffensbedingungen in ihrem Heimatland wählen. Bereits in den zwanziger Jahren hat es eine Ausreisebewegung rumänischer Avantgarde- Künstler gegeben, die jedoch in Motivation und Ausprägung mit derjenigen nach 1945 nicht vergleichbar ist. Die vielfältig motivierten Formen des Rückzugs aus dem Heimatland werden in der Forschungsliteratur teilweise noch immer unter dem beliebig gebrauchten Begriff der „Emigration“ subsumiert. Noch heute hat die Forschung zu keinem stringenten und differenzierten Begriffsgebrauch von Emigration und Exil für diese in Form und Se- mantik heterogenen Phänomene gefunden.5 Dem Gebrauch des Exilbegriffes und seiner Positionierung wird im Folgenden nachge- gangen, indem eine Typologie des künstlerischen Widerstandes dargestellt und eingegrenzt wird. 2.1 Begriffsgebrauch – Form und Semantik Trotz der Vielgestaltigkeit der Auswanderungsbewegungen gelten auch für die hier be- handelte Ausreisebewegung rumänischer Schriftsteller aus Rumänien ins Ausland zunächst die gleichen Fragestellungen, die an jegliches Fortgehen von Künstlern aus dem Heimat- land zu stellen sind. Die deutsche Osteuropaforschung profitiert dabei von der umfangrei- chen Forschung zu dem deutschen antifaschistischen Literaturexil der Jahre 1933-1945. Diese beiden Exilformen unterscheiden sich in Dauer und Umfang, den Organisationsfor- 3 Zitiert nach Ulici, Laurenţiu, in: Behring 2002, 19. 4 Das Rumänische Literaturexil wird von dem rumänischen Exilverband bis zum Jahr 1996 veranschlagt. Die in diesem Verband organisierten Schriftsteller beschließen, erst in das Land zurückzukehren, wenn die kom- munistischen Machthaber nicht mehr regierten. Diese Bedingung sehen sie erst im Jahr 1996 mit der Abwahl Ion Iliescus erfüllt. Auch der frühere Hofdichter Ceauşescus und Ultra-Nationalist Vadim Tudor ist nach 1989 politisch aktiv. Iliescu gewinnt erneut die Wahl im Jahr 2000, Tudor wird zweitstärkste Kraft. 5 Eine vierte Kategorie, die der Diaspora, bezeichnet den speziellen Fall der Verfolgung religiöser oder ethni- scher Gruppen und findet auf das hier behandelte schriftstellerische Exil keine Anwendung. 4 men der Exilanten untereinander, sowie der in dieser Zeit entstandenen Literatur erheblich. Dennoch ist die in den vergangenen Jahrzehnten gründlich erfolgte Aufarbeitung der na- tionalsozialistischen Diktatur in großen Teilen auch für die hier behandelte rumänische Si- tuation hilfreich.6 Die rumänische wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet hingegen ist etwa 10 Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks noch sehr in ihren Anfängen begriffen. Die 2004 verstorbene Eva Behring, führende deutsche Wissenschaftlerin auf dem Gebiet rumänischer Literatur, benennt im Jahr 2002 dafür drei mögliche Ursachen: 1. Etwa zehn Jahre später ist die historische Distanz zu den 44-jährigen politischen Geschehnissen der Diktatur noch zu gering, um die verschiedenartigen Ausprä- gungen und Motivationen schriftstellerischen Exils differenziert wahrzunehmen. 2. Kulturhistorisch bedingte kommunistische Ideologiezwänge wirken noch heute fort und sind neuen Systematisierungsversuchen gegenüber voreingenommen. 3. Das in den 90er-Jahren aufgekommene Modernebewusstsein im rumänischen Kunstbetrieb gibt der Rezeption u.a. von Lacan, Foucault oder Derrida und der damit einhergehenden Enthistorisierung und Dezentralisierung mehr Raum und fokussiert das Postulat des prinzipiellen Sinnmangels von Texten und deren Or- ganisationsstrukturen. Kulturhistorische Zusammenhänge bleiben im Zuge einer Abwendung von einer ideologiekritischen Hermeneutik unbeachtet.7 Weiterhin kann ein vierter Punkt als möglicher Grund einer mangelnden kulturhistori- schen Aufarbeitung dieser
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