Wiener Zeitschrift für Volkskunde. (Vormals Zeitschrift für Österreichische Volkskunde.) Herausgegeben vom VEREIN FÜR VOLKSKUNDE in Wien. Geleitet von Prof. Dr. Michael Haberlandt. XXXII. Jahrgang 1927. Mit 6 Abbildungen. Wien 1927. Im Selbstverlag des Vereines für Volkskunde. Buclulruckerei Helios, Wien. Inhaltsverzeichnis des XXXII. Jahrganges. Abhandlungen und kleinere Mitteilungen. sdte Anton M a i 11 y : Der Hernalser E se lritt .................................................... 1 D r. Georg Kote k : Das Dâglschiaß’n ........................................................ 6 D r. Julius Bielz: Eine »Habaner«-Töpfersiedlung in Siebenbürgen (mit 1 Abbildung)............................................................................................... 8 Raimund Zoder: Zum »Alten Hochzeitsbrauch im Salzkammergut« 14 Leopold Höf.er: Wiener Kinderglaube ...................................................29, 78 D r. Robert E r i e d m a n n : Die Habaner in der Slowakei. (Mit 5 Textabbildungen.)........................................................................................... 45 P f. BotharbDer Ursprung von Bad Tatzmannsdorf im Burgenlande , 56 Dr. E. Frischauf: Notizen über »brüderisches« Geschirr aus Eggenburg 57 D r. Karl Spieß : Ein alter Hochzeitsbrauch im Salzkammergut im Lichte mythischer Ueberlieferung ............................................................. 67 P r o f. D r. Arthur Haberlandt: Das Kärntner Heimatmuseum . 73 E rk lä ru n g ............................................................................................... 14 Erwiderung auf die vorstehende Erklärung (von Prof. Dr. M. Haberlandt) 15 Buchbesprechungen (Nr. 1—3 5 ) .......................... 17—22, 58—66, 93—108 Jahresbericht des Vereines und Museums für Volkskunde 1926 . 22—28 Druckfehlerberichtigung............................................................................................... 28 Der Hernalser Eselritt. Von A n to n M a i 11 y, Wien. Vom frühen Mittelalter bis in die neuere Zeit hinein besaßen die deutschen Volksstämme Gewohnheitsrechte der mannigfaltigsten Art. Viele Rechtsbräuche weisen einen römischen Einfluß auf, andere wieder wurden zur Zeit der Kreuzzüge aus dem Orient eingeführt. Jakob Grimm hat in seinen »Rechtsaltertümern« mit seltenem Bienenfleiß die bekanntesten Volksrechte und Stammes­ sitten der germanischen Stämme an der Hand der Weistiimer (Pantaiding, Panteiding, in Oesterreich genannt) und anderer Auf­ zeichnungen sowie aus der Volksüberlieferung', wozu ihm viele Sagenbilder sehr zustatten kamen, aufgezeichnet. Dieses interessante Kulturwerk, das ein anschauliches Bild über die däs ganze Mittel­ alter beherrschende Rechtsanarchie bietet und auch für die Rechts­ verhältnisse in der ehemaligen Ostmark seinen großen kultur­ historischen Wert besitzt, klärt viele noch erhaltenen Volksbräuche auf, deren Entstehung schon gänzlich der Vergessenheit anheim gefallen ist. Viele dieser bizarren Rechtsbräuche in Stadt und Land wurden schon im späteren Mittelalter, besonders von den Predigern schwankartig behandelt und leben nun als erdichtete Schwänke im Volksmunde fort; andere wieder, die einen ernsten Charakter aufweisen, wurden in späterer Zeit als rätselhaft gehalten und zu Sagenbildern umgestaltet, die auf ihren' Wanderungen durch die Volksphantasie in allerlei Fassungen lokalisiert er­ scheinen. Besonders dankbar für eine schwankartige Behandlung waren vor allem die Ehrenstrafen, die zum Teil aus der Laune des Augen­ blicks entstanden sein dürften. Jede Stadt, jedes Dorf besaß ein Pantaiding, und wenn auch alle diese Rechtsbücher im wesent­ lichen eine gewisse Uebereinstimmung, besonders was die harten Strafen anbelangt, bekunden, so findet man doch hie und da recht sonderbare Gesetze beigefügt, die erkennen lassen, daß mitunter eine gewisse Willkür in der Gesetzesgebung geherrscht haben dürfte. Man begnügte sich nicht allein mit der Ausstellung am Pranger, an der Schandecke, im Kotter, wo der Büßende dem öffentlichen Spotte preisgegeben ward, sondern man trieb ihn oft mit der Fiedel, in Ketten durch den Ort, zwang ihn, vor Kirchen­ pforten zu stehen, um die Kirche, um das Rathaus zu laufen oder zu gehen oder gar in Ketten die Gasse zu kehren und im Stadtgraben zu arbeiten. Andere Verurteilte wieder wurden im Schandkorb, im Käfig ausgestellt (schon in der Antike üblich gewesen) oder sie mußten »Schandsteine«, »Packsteine« (Steine um den Hals) tragen, Wassertaufen (Bäckerschupfen, Bäcker­ 2 kippen) l) sich gefallen lassen, lauter Strafen, die einen gewissen, brutalen Humor in der Volksseele, die alles andere als feinfühlig war, erwecken mußten. Eine ganz eigenartige Rolle im Rechtsbegriff des Mittelalters spielte das Eheleben. Der Mann hatte gewisse Vorrechte gegen­ über seiner Ehefrau. Er war gleichsam der Herr im Hause, und es galt für schimpflich, von seiner Frau beleidigt oder gar ver­ prügelt zu werden. Anderseits war es schon im frühen Mittel­ alter gang und gäbe, daß die Frau von ihrëm Mann geschlagen wurde. Sogar Siegfried hat Krimhilde tüchtig verprügelt, als sie Brunhilde durch ihre Rede verletzte.2) Wurde ein Mann von seiner Ehefrau geschlagen, so galt er als entehrt. Diese Entehrung war den Marktgenossen so unerträglich, daß sie den Ehrlosen nicht mehr unter sich dulden konnten und ihm sein Haus zugrunde richteten. Das geschah sinnbildlich durch Abtragung des Daches seines Hauses. Wer sich vor den Schlägen seiner Frau nicht schützen konnte, der sollte gleichsam nicht wert sein, vor Wind und Wetter Schutz zu haben.3) Noch im Jahre 1768 ist dieser Strafakt vollzogen worden. Dazu besitzt man interessante Belege in den Archiven von Fulda, Blankenburg (1594), Mainz (1666) gewöhnlich am Aschermittwoch besorgt und von anderen deutschen Städten.4) Um diese größte Schmach, die eine Frau ihrem Mann antun konnte, zu rächen, galt als Sühne die Strafe des Eselrittes der Ehefrau. Die beschuldigte Frau mußte verkehrt auf einem Esel reiten und, dessen Schwanz mit den Händen haltend, durch den ganzen Ort ziehen. Diese harte Gewohnheitsstrafe erlosch erst im 17. Jahrhundert als Strafe der Ehefrau, blieb aber für andere Vergehen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erhalten. Als interessanter Beitrag dieses merkwürdigen Rechts­ brauches sei das sogenannte »Eselslehen« der altadeligen Familie derer von Frankenstein näher berücksichtigt. Die Herren von Frankenstein erhielten von den Bürgern in Darmstadt jährlich etliche Malter Korn und einen kleinen Geldzins in Bessungen, mußten sich aber verpflichten, auf Verlangen des Rates der Stadt jeden Aschermittwoch einen Esel, begleitet von einem herrschaft­ lichen Boten, zu senden. Hier ward sodann die undeutsche Frau, die ihren Mann geschlagen, nach Urteil und Recht auf den Grauen gesetzt und durch die Stadt geführt. Hatte die Frau ihren Mann hinterlistigerweise überhalten, so ward der Esel von dem Frankensteiner Boten geführt; war der Mann aber in offener Fehde mit der Frau zu Schlägen gekommen, so mußte er selbst *) Vergl. Schager, Wiener Skizzen aus dem Mittelalter, I, 1836. Die Bäckertaufe war eine im Mittelalter sehr verbreitete Strafe. In den Rats­ protokollen von Hamburg a. D. wird sie auch erwähnt. %) Dr. M. Kemmerich. »Kultur-Kuriosa«, München 1909, 1, 118. 3) Grimm, Rechtsaltertümer, 724. 4) Vergl. »Curiositäten«, Weimar 1812, 11, 85 f.; Kemmerich, »Kultur- Kuriosa«, München 1910, II, 238 f; Rittgräff, »Historische Antiquitäten«, Wien 1815, I, 44 f. 3 seine Frau auf dem Esel umherführen. Wahrscheinlich ging dem Strafantritte eine hochnotpeinliche Untersuchung voraus, um zu untersuchen, wer den Esel zu führen hätte. Wie die Bestellung des Esels in Darmstadt besorgt wurde, belehrt uns das folgende, vom Schultheißen und von den »Schöffen des bösen Hunderts« an den ehrbaren Junker Hans von Frankenstein gerichtetes Schreiben: »Unsern willigen Dienst mit Fleiß zuvor. Erbaren und restigen lieben Junker. Es hat sich bey unsern Nachbauren zu Darmstadt Zwiedracht, Zank, Uneinigkeit zwischen etlichen über- muthigen, stoltzen, pissigen und bossen Weibern erhoben, die sich haben uffgeworfen gegen yren Männern und haben sie unterstanden, yre Männer zu schlagen, undt derum auch etlich das volbracht haben«. Sie erklären hierauf ihren »ernstlichen Fürsatz, solchen Frevel zu strafen« und verlangen den Esel.1) Wie aus einem Schreiben des Bürgermeisters und Rats von Darmstadt aus dem Jahre 1536 hervorgeht, wurde der Esel auch gebraucht, um bösartige Männer zu strafen. Die Herren von Frankenstein machten daher auch bei Gelegenheit einmal aus­ drücklich geltend, daß sie den Esel nicht nur für die bösen Weiber, welche ihre Männer geschlagen, zu stellen verbunden seien. Aehnliche Nachrichten vom Eselritt besitzt man auch aus anderen Orten Hessens, wie ein Bericht des Amtsmannes zu Homburg an die Regierung in Marburg aus dem Jahre 1593 bezeugt.2) Das Eselreiten wurde übrigens auch aus anderen strafbaren Gründen angeordnet, so für Ehebrüchige, Meineidige und selbst für Mörder. In Augsburg wurde im Jahre 1633 ein Trommler wegen Mordes auf den Esel gesetzt, ln der Folge wurde das Eselreiten eine volkstümliche Strafe, wobei man als Ersatz einés lebenden Esels einen Holzesel benützte. Auf einem Bilde des Hauptplatzes in Rothenburg o. Tbr. aus dem Jahre 1762 sieht man bei Georgsbrunnen einen Galgen, das Drehhäuslein (Narren­ kotter), den Pranger und den Holzesel. Noch im Jahre 1754 kommt das Eselreiten als militärische Strafe vor. Den Soldaten wurden dabei die Hände auf den Rücken gebunden und die Füße mit Gewichten beschwert. Auch in den Schulen wurde das Holz­ eselreiten eingeführt.
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