482_61_66_Gillies 18.12.2009 10:33 Uhr Seite 61 Kurt Biedenkopf Vordenker zum 80. Geburtstag fördert Nachdenken Peter Gillies Kurt Biedenkopf durchmaß alle Höhen und Arbeitsrecht. 1967 bestellte ihn die und auch die Tiefen einer politischen Ruhr-Universität in Bochum zu ihrem Karriere. Er brillierte mit wichtigen und Rektor – dem jüngsten Hochschulchef gewagten Denkanstößen, entzückte die der Bundesrepublik. Intellektuellen und vergrätzte Partei- Der akademischen Karriere folgten po- freunde, wurde sogar für ein gutes Jahr- litische Aktivitäten. Der Name Bieden- zehnt zum „König von Sachsen“ erho- kopf gewann bundesweite Strahlkraft. ben. Biedenkopf, der am 28. Januar 2010 Sein zweijähriger Ausflug in die Privat- seinen achtzigsten Geburtstag feiert, darf wirtschaft als Geschäftsführer des Wasch- auf eine der bemerkenswertesten Karrie- mittelkonzerns Henkel brachte ihm kurz- ren in der bundesdeutschen Geschichte zeitig den Spitznamen „Henkelmann“ ein. zurückblicken. Dem Dreiklang von Wirtschaft, Recht Die Ökonomie und die sächsische Fär- und Arbeit sowie seiner analytischen bung, weniger das Politische, wurden Schärfe verdankte er 1968 den Vorsitz Kurt Hans Biedenkopf in die Wiege in der Kommission Mitbestimmung, die gelegt. Er wurde zwar 1930 in Lud- dann auch bald „Biedenkopf-Kommis- wigshafen geboren, aber Vater Wilhelm sion“ hieß. Diese Arbeit im Auftrag stammte aus Chemnitz, wo er Techni- der CDU/CSU-Bundestagsfraktion schlug scher Direktor der Buna-Werke war. Mit sich in der späteren Gesetzgebung zur dem achtjährigen Kurt zog die Familie Mitbestimmung und zur Betriebsverfas- nach Schkopau bei Merseburg. Bis 1945 sung nieder. besuchte er das Gymnasium, dann ver- Der damalige Oppositionsführer Hel- schlug es die Biedenkopfs nach Hessen. mut Kohl berief Biedenkopf 1973 als Nach dem Abitur 1949 ging der junge Nachfolger von Konrad Kraske zum Ge- Mann – für die Nachkriegszeit recht neralsekretär der CDU. Kohl sei, so hieß ungewöhnlich – in die USA, an das es seinerzeit, von der intellektuellen Bril- Davidson College in North Carolina.Wie- lanz des Rechtsprofessors beeindruckt der zurück, studierte er Jurisprudenz in gewesen. Er war nun endgültig in der München und danach die Nationalöko- Bundespolitik angekommen. nomie an der Johann Wolfgang Goethe- Schlagzeilen machte Biedenkopf mit Universität in Frankfurt am Main, wo er unbequemen Denkanstößen und scharf- 1958 in Jura promovierte. sinnigen Analysen, die zuweilen gar nicht Danach nahm Biedenkopf eine Profes- zu einer behäbigen Volkspartei passten. sur ins Visier. An der Georgetown Uni- Manchen Journalisten galt er – halb be- versity in Washington D. C. folgte der wundernd, halb ironisch – als „Think Master of Laws nebst Forschungsaufent- Tank of the Union“. Die Medien beobach- halt. 1963 habilitierte er sich in Frankfurt teten aufmerksam, wie sich „Biko“ Schritt für Bürgerliches Recht sowie Wirtschafts- um Schritt zu einem ernst zu nehmenden Nr. 482 · Januar 2010 Seite 61 482_61_66_Gillies 18.12.2009 10:33 Uhr Seite 62 Peter Gillies politischen Rivalen Helmut Kohls ent- sonders berühmten Ergebnis“, wie er in wickelte. seinem Tagebuch gestand. In seiner CDU hatte der kühl wirkende Als Ungarn die Grenzen für DDR-Bür- Intellektuelle nicht nur Freunde. Sie kriti- ger öffnete und in Ostdeutschland die sierten ihn als Technokraten, dem die po- Menschen auf die Straße gingen, verfes- litische Wärme fehle, die eine Volkspartei tigte sich der Eindruck, dass die Karten benötige. Aber Biedenkopf wollte es wis- der Weltpolitik völlig neu gemischt wür- sen: 1980 trat er gegen Johannes Rau den. Plötzlich war die deutsche Einheit (SPD) um das Amt des nordrhein-west- keine Utopie mehr, sondern eine reale fälischen Ministerpräsidenten an – und Chance. „Ein Sturm geht über Europa verlor. Der an Rhein und Ruhr populäre hinweg“, notiert Biedenkopf am 4. No- und bibelfeste Rau eroberte mit achtund- vember 1989. Die Öffnung des Eisernen vierzig Prozent die absolute Mehrheit im Vorhangs löst eine beispiellose Flucht- Landtag von Düsseldorf, Biedenkopf un- welle in der DDR aus. Honecker wurde terlag mit dreiundvierzig Prozent; die abgesetzt, die Fiktion eines realen Sozia- FDP scheiterte an der Fünf-Prozent-Klau- lismus brach wie ein Kartenhaus zusam- sel. men. Der Ausflug in die westdeutsche Lan- In diesen politisch erregenden Tagen despolitik endete 1987. Vier Jahre zuvor wird deutlich, dass Biedenkopf auch hatte er den Fraktionsvorsitz im Düssel- schon vor dem Fall der Mauer in der dorfer Landtag niedergelegt, dann gab er künftigen Deutschlandpolitik eine ge- 1987 auch den CDU-Landesvorsitz auf. wichtige Rolle zu spielen gedachte. In Das Ende einer bemerkenswerten Polit- vielen Gesprächen mit DDR-Dissidenten, karriere schien besiegelt. Seine innerpar- auch mit dem SPD-Politiker Georg Leber, teilichen Gegner hatten es ja schon immer versuchte er auszuloten, wie es denn nach gewusst. einer möglichen deutschen Einheit wei- tergehen könnte – politisch, sozial und An der Zeitenwende vor allem wirtschaftlich. An der Zeitenwende 1989/1990 waren Die Berliner Tage während und kurz die Meinungsumfragen für Helmut Kohl nach dem Fall der Mauer waren unfass- düster. Ein parteiinterner Putsch gegen bar, das meistbenutzte Wort hieß „Wahn- den Kanzler wurde gestartet, geführt sinn“. Während der historischen Kund- von Heiner Geißler und dem populären gebung vor dem Schöneberger Rathaus Lothar Späth. Mit von der Partie waren bekam Genscher viel Beifall, während Norbert Blüm, Rita Süssmuth, anfangs Waigel blass blieb. In seinem Tagebuch ist auch Ernst Albrecht. In diesen Monaten die Passage über Kohls Rede aufschluss- pflegten die Medien Kurt Biedenkopf reich. „Sein Talent als Redner ist nicht bereits als Intimfeind Kohls zu bezeich- größer (als das Waigels). Was hätte man nen. zu diesem Anlass alles sagen und be- Wer gegen Biedenkopf arbeitete, ge- wegen können! noss das Wohlwollen des Kanzlers. Unter Allerdings räumt er ein, dass Kohl Kohls geschickter Personalpolitik brach auch Führung zu zeigen imstande war. die Palastrevolution gegen ihn jedoch Das sei deutlich geworden, als der Kanz- rasch zusammen. Biedenkopf wurde ler Anfang Dezember sein Zehn-Punkte- nach seiner deutschlandpolitischen Rede Programm zur deutschen Frage im Bun- vor dem Bremer Parteitag im September destag vorgelegt habe. Damit habe er 1989 erneut in den CDU-Bundesvorstand eine bislang amorphe Debatte klug struk- gewählt, „wenn auch nicht mit einem be- turiert, räumt „Biko“ ein. In den fiebrigen Seite 62 Nr. 482 · Januar 2010 482_61_66_Gillies 18.12.2009 10:33 Uhr Seite 63 Vordenker fördert Nachdenken Kurt Biedenkopf mit seiner Frau Ingrid am 14. Oktober 1990 in einem Studio der ARD anlässlich der Landtagswahlen in den fünf neuen Bundesländern, aus denen er als Ministerpräsident von Sachsen hervorging. © picture-alliance/dpa, Foto: Frank Kleefeldt Tagen nach dem Mauerfall widmet sich werk Zukunft – Stiftung kulturelle Er- Biedenkopf in zahlreichen Gesprächs- neuerung“ weiter. kontakten intensiv den Konsequenzen der jetzt plötzlich erreichbar scheinenden Das Comeback deutschen Einheit. Die historische Sturzgeburt der deutschen In diese konzeptionelle Arbeit wurde Einheit und der Kaltstart einer maroden auch das von Biedenkopf und Meinhard Volkswirtschaft in die Freiheit der Märkte Miegel 1977 geschaffene Institut für Wirt- waren Probleme, auf die sich Biedenkopf schaft und Gesellschaft (IWG), Bonn, ein- mit Begeisterung stürzte. Angesichts die- gespannt. In fast dreißig Jahren hatte es ser Gemengelage entscheidet er sich ge- bemerkenswerte Denkanstöße zur Ren- gen das Angebot, im Wahlkreis Bonn für tenpolitik, zum Arbeitsmarkt, zur Staats- ein Direktmandat anzutreten. Leipzig fas- verschuldung und zur Demografie vor- ziniert ihn mehr: Im Januar 1990 kündigt gelegt und in einer erstarrten und sub- er an, an der Leipziger Universität eine ventionierten Institutslandschaft manche Gastprofessur anzunehmen. Das faszi- aufschlussreiche und anregende Schlag- niert die Medien – allein am 9. Januar zeile geliefert. Im Juli 2008 wurde das muss Biedenkopf dreiundzwanzig Tele- IWG aufgelöst, besteht jedoch als „Denk- fon- und Zeitungsinterviews geben. Nr. 482 · Januar 2010 Seite 63 482_61_66_Gillies 18.12.2009 10:33 Uhr Seite 64 Peter Gillies Zu seinem sechzigsten Geburtstag er- dat für die CDU anzutreten. Sachsen ist reicht ihn eine Schwemme von Glück- das einzige gewachsene Land in Ost- wünschen: Kurt Biedenkopf, dessen Kar- deutschland, zudem die wichtigste in- riere schon beendet schien, steht vor dustrielle Region. Zwar war auch Heiner einem Comeback. Viele Beschwernisse Geißler im Gespräch, aber die Würfel wa- seien ihm von den Schultern genommen, ren längst zugunsten Biedenkopfs gefal- resümiert er im Januar 1990. Was ihn len. Am 4. September 1990 wählte der in den Jahren zuvor gequält hatte, wird Landesparteitag der sächsischen CDU unwichtig. „Dazu gehören auch die gan- ihn zum Spitzenkandidaten. Anschlie- zen Irritationen und Schmerzen, die Kohl ßend besuchte er Helmut Kohl, der ihn und sein Anhang mir verursacht haben“, herzlich begrüßte und jede Unterstüt- notiert er in seinem Tagebuch. Das alles zung versprach. Das Kriegsbeil war of- sei ihm jetzt nicht mehr wichtig. fenbar begraben. Der Wissenschaftler Biedenkopf – In den Wochen bis zur Wahl flogen Monatsgehalt 3050 Ostmark – findet in ihm die Herzen der Sachsen zu. Als er sich Leipzig eine juristische Brache vor. Seine dem Parteitag vorstellte, löste sein Ver- Professorenkollegen hungern nach einem sprechen, Sachsen alsbald wieder zu verlässlichen Bürgerlichen Recht, nach einem Freistaat
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