Deutschland

KOALITION Hasenherzen Was für ein Bündnis bekommt Deutschland mit der Großen Koalition? Der schwarz- rote Vertrag und der mühsame Weg dahin lassen wenig Gutes erahnen. Rekon struktion einer Regierungsbildung. Von Markus Feldenkirchen und René Pfis ter

lle, die denken, Politik sei eine verpasste erstmals in ihrer Geschichte dem Bundestag fliegt, habe sie gejubelt, knauserige Angelegenheit, sollten den Einzug ins Parlament, die Union erzählt Lux später. Aber dann wird ihr Abei vorbeischau - war so stark wie lange nicht mehr, bewusst, was das bedeuten könnte: Gro - en. Freitag vergangener Woche sitzt er Schwarz-Grün war greifbar: eine neue, ße Koalition. Sie erschrickt, das wäre der in der Münchner CSU-Zentrale vor einer in vielerlei Hinsicht zeitgemäße Konstel - größte anzunehmende Unfall. Sie mag in dampfenden Schüssel Weißwürste und lation. Neue Möglichkeiten lagen auf vielerlei Hinsicht furchtlos sein, aber jetzt erklärt, warum die Welt nicht grau sein dem Tisch. Am Ende aber siegte nicht hat sie Angst vor der Großen Koalition. muss, kein Tal der Mühen und Entsagung. die Lust aufs Neue, sondern die Zuflucht Man habe alles für Rot-Grün getan, Also, die Mütter zum Beispiel. Was sei zum Bewährten. sagt Lux, mit der Großen Koalition habe denn bitte dagegen zu sagen, dass Frauen, Hinter einem Mangel an Mut steckt in man bislang nur schlechte Erfahrungen die die Beitragszahler von heute groß - der Regel Angst: Angst, an Popularität gemacht, im Bund wie vor Ort. „Wir hat - gezogen haben, ein kleines Dankeschön zu verlieren. Angst vor dem Ungewissen. ten mal eine Große Koalition in Lever - vom Staat bekommen? Und dann die Angst um den eigenen Posten. Und nicht kusen.“ So wie sie die zwei Wörter aus - Rente: Soll man im Ernst einem Arbeiter zuletzt die Angst vor den eigenen Mit - spricht, muss es eine schreckliche Zeit nach 45 harten Berufsjahren den verdien - gliedern. So hat die SPD-Basis auf den gewesen sein. „Hab ich dann platzen las - ten Ruhestand verwehren? Verlauf der Verhandlungen am Ende sen“, sagt Lux stolz. „Steckt aber vielen Natürlich, Seehofer kennt das Gemoser wohl mehr Einfluss ausgeübt als die Bun - Genossen noch in den Knochen.“ über den Koalitionsvertrag und die vielen deskanzlerin, die nicht recht zu wissen Lux ist vor 20 Jahren in die SPD einge - Milliarden, die der mal kosten wird. Aber schien, was sie will. treten und rasch aufgestiegen. Sie wurde ihm ist nicht bange. Er breitet die Arme Auch deshalb dauerte es so lange. Ei - Ratsfrau, dann Erste Bürgermeisterin von aus wie ein Pfarrer und verkündet: „Ich nen ähnlich langwierigen Start hatte noch Leverkusen, seit 2010 ist sie auch Abge - bin jetzt beim Komplex Lebensrealität. keine Regierung in der Geschichte der ordnete im Düsseldorfer Landtag. Als Niemand kennt die so gut wie die Poli- Bundesrepublik. Das lässt nichts Gutes Vorsitzende des Unterbezirks hat sie ein - tiker.“ erahnen für die sogenannte Große Koali - geführt, dass alle wichtigen Fragen per Die Lebensrealität sieht so aus: 86 Pro - tion. Mitgliederentscheid geklärt werden. Das zent der Deutschen finden die Mütter - Die zurückliegenden Wochen werden sei nicht immer einfach, sagt sie, aber es rente gut, 82 Prozent begrüßen den Min - die kommenden vier Jahre prägen. Das sei notwendig. Sie liebt die Basisdemo - destlohn. Seehofer hat sich die Zahlen Land wird, falls die SPD-Basis zustimmt, kratie. extra noch mal rauslegen lassen. von drei Parteien regiert, die sich nah Lux’ einzige Hoffnung an diesem Dann nestelt er an seinem Jackett, er und gleichzeitig sehr fern sind. Es sind Abend heißt Hannelore Kraft, ihre Lan - zieht einen Zettel hervor, der mit einem nicht so sehr die Inhalte, die Union und desvorsitzende. Kraft erklärt in Telefona - weiteren Missverständnis aufräumen soll. SPD trennen, es sind eher ihre Gemüts - ten, dass es keine Große Koalition geben Das Betreuungsgeld soll unpopulär sein? zustände. Die wunden, verunsicherten werde. Die Alternative hieße Schwarz- Er schaut auf sein Papier, um die richtige Sozialdemokraten treffen auf eine CDU, Grün oder Neuwahlen. Als Lux nachts um Tabellenzeile zu finden. Seehofer zieht die sich ganz ihrer Kanzlerin ergeben hat. zwei die letzten Genossen aus dem Dos y die Augenbrauen hoch. „71 Prozent in Ein Rückblick auf die vergangenen 71 Dos kehrt, ist sie nicht ohne Hoffnung. Bayern nehmen das in Anspruch.“ Tage ist auch ein Blick in die Zukunft. Neben Seehofer steht eine Büste von Berlin, Konrad-Adenauer-Haus, Franz Josef Strauß. Der hat seiner Partei Leverkusen, Gaststätte Dos y Dos, einst eingetrichtert, dem „Volk aufs 22. September Maul“ zu schauen. Dieses Motto hat die 22. September Während Eva Lux im Dos y Dos mit Große Koalition vollauf beherzigt. Sollte Eva Lux steht im Stammladen der Lever - ihrem Frust ringt, will die Siegerin nicht sich die SPD-Basis nicht noch querstellen, kusener Sozialdemokratie. Ihr Unter - triumphieren, auch nicht jetzt, mit diesem wird Deutschland demnächst von einer bezirk hat alle Genossen zur Wahlparty Ergebnis. Wie lange hatte sie sich danach Regierung geführt, deren programmati - geladen. Es war ein harter Wahlkampf, gesehnt? Merkel, die Ostdeutsche, galt sche Grundlage die aktuellen Meinungs - härter als in all den Jahren zuvor. Lux als Betriebsunfall der CDU-Geschichte, umfragen sind. Es ist eine Koalition, die sagt, sie habe nicht verstanden, warum eine Frau, die das westdeutsche Herz der sich nichts anderes traut. Ein Bündnis der die Menschen da draußen so feindselig Partei nicht zu berühren weiß. Jetzt hat Hasenherzen. waren, und das „trotz unseres schönen sie geschafft, was zuletzt Helmut Kohl Dabei hatte das Wahlergebnis neue Programms“. vor 20 Jahren gelang: ein Ergebnis jen - Chancen geboten. Die Bürger hatten mit Hochrechnung. Die SPD mit dem seits der 40 Prozent. ihrer Stimme die politische Landschaft zweitschlechtesten Ergebnis ihrer Ge - Unten im Saal toben die Jungs von der in Deutschland umgepflügt. Die FDP schichte. Als sie sieht, dass die FDP aus JU, sie fordern Ekstase, Ausgelassenheit,

20  ( )'! # 49/2013 Vertragsunterzeichner Gabriel, Merkel, Seehofer Keine Experimente

aber Merkel möchte das nicht, sie will sich nicht von der Stimmung des Mo - ments wegreißen lassen. Sie scheint zu ahnen, dass das tolle Ergebnis kein Grund zum Feiern ist. Der Wähler hat ihr 41,5 Prozent be - schert, aber er hat ihr auch die FDP ge - nommen. Merkel steht jetzt vor ihrer drit - ten Amtszeit, sie ist beliebt wie selten ein Kanzler zuvor, aber ihr fehlt der Part - ner. Eine Koalition mit der SPD wäre die naheliegende Variante, im Wahlkampf hat sie ohnehin viele Ideen der Sozial - demokraten übernommen. Außerdem mögen die Deutschen die Große Koali- tion, sie erscheint so heimelig. Schwarz-Grün dagegen wäre ein Risi - ko. Es gibt genügend Leute in der CDU, die sagen, man solle es doch endlich mal wagen. Merkel findet die Idee auch char - mant. Aber Schwarz-Grün ist kein Selbst - läufer, man müsste dafür werben, über - zeugen. Das ist nicht so ihr Ding. Außer - dem ist Horst Seehofer dagegen. Merkel hat Angst, sich mit dem CSU-Chef anzu - legen. In der Nacht entscheidet sie, erst mal mit beiden Parteien zu reden.

Berlin, Willy-Brandt-Haus, 27. September Eva Lux ist mit dem Flieger aus dem Rheinland gekommen. Parteichef Gabriel hat zu einem Parteikonvent geladen, Lux und rund 200 weitere Genossen sollen im fünften Stock des Willy-Brandt-Hauses entscheiden, ob die SPD Sondierungsge - spräche mit der Union aufnehmen soll. Gabriel hat Angst. Das schlechte Wahl - ergebnis ist auch sein Ergebnis, er weiß, dass führende Genossen über einen Putsch gegen ihn nachdenken. Um sich zu retten, will er sich bei seiner Partei beliebt machen. Auch deshalb bringt er wieder die Idee ins Spiel, über das Er - gebnis von Koalitionsverhandlungen je - des einzelne SPD-Mitglied abstimmen zu lassen. Eva Lux meldet sich im Hans-Jochen- Vogel-Saal zu Wort. Sie schildert die Lage in Leverkusen, die Angst vor der Großen Koalition, die Sorge, am Ende wieder wie eine gerupfte Partei dazustehen. Sie sagt, dass sie den Sondierungsgesprächen nur zustimmen wird, wenn es den Mitglieder - entscheid gebe. So kommt es auch. Die Bundespartei übernimmt ihr Leverkuse - ner Modell, alle Macht der Basis. Plötzlich hat Eva Lux etwas weniger A P

D Angst vor den Verhandlungen, sie kann

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I die Große Koalition stoppen, sie kann R A B verhindern, dass Merkel von ihren Ge - M A G nossen noch einmal zur Kanzlerin ge - O I Z I

R wählt wird. „Das hätte ich denen nicht U A

M zugetraut“, sagt sie über ihre Parteifüh - 21 Deutschland

Später erzählt Kraft die kleine Anek - dote als Erfolgsgeschichte. Zähmung durch Kratzbürstigkeit, das ist die Pointe. Nur ist es Merkel auch gelungen, die Kratzbürste Kraft zu zähmen. Ein paar Tage später wird sie ihren Widerstand ge - gen die Große Koalition aufgeben.

Berlin, Parlamentarische Gesellschaft, 15. Oktober Die Gespräche mit den Grünen gehen heute in die entscheidende Runde. Merkel ist da, natürlich auch Seehofer, der kurz nach der Wahl noch gesagt hatte, er werde A P D

/ sich niemals mit Jürgen Trittin an einen

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E Tisch setzen. Ein klassisches Seehofer-Ver - F T E I

N sprechen. Trittin sitzt ihm gegenüber.

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K Es geht jetzt um die Frage, ob Schwarz- SPD-Politiker Lauterbach: „Ich würde singend ins Büro kommen“ Grün ein Hirngespinst bleibt, oder ob man das Wagnis eingehen soll. Bislang waren rung. „Ich bin endlich wieder stolz auf lem in Kitas investieren, damit Mütter ei - die Verhandlungen zäh. Merkel hat die meine SPD.“ Sie atmet tief durch. „Wow! ner Arbeit nachgehen können. Dinge in der Schwebe gehalten, das macht Einfach nur: wow!“ Das sei nun wieder typisch, lästert Dob - sie gern. In der Öffentlichkeit ist so der rindt. Sozialdemokraten würden Fami - Eindruck entstanden, dass alles auf eine Berlin, Café Einstein, 7. Oktober lienpolitik leider nur als Unterpunkt der Koalition mit der SPD hinauslaufe. Mer - Wirtschaftspolitik verstehen. Kraft erwi - kels Leute erzählen Journalisten, wenn Karl Lauterbach bestellt Tee, wie immer. dert, sie lasse sich eine solche Unterstellung sich die Grünen ein wenig bewegen wür - Nie Kaffee, das verengt die Gefäße. nicht bieten. „Wenn es Ihnen nicht passt, den, sei noch alles drin. „Schwarz-Grün Wenn er Nudeln bestellt, sagt er dem Kell - dann gehen Sie doch“, ruft Dobrindt. Die ist doch die aufregendere Variante“, sagt ner, dass er einen Extratopf benutzen Sitzung wird unterbrochen. Merkel, die ein enger Mitarbeiter Merkels. Aber die müsse, da die Nudeln keinesfalls in Salz - den Streit nur am Rande mitbekommen Kanzlerin scheut ein öffentliches Bekennt - wasser gekocht werden dürfen. Lauter - hat, geht auf die Ministerpräsidentin zu. nis, auch sie hat Angst. Sie lässt sich von bach glaubt, das sei gesünder. Er kann „Was war da los?“ der CSU und von Umfragen treiben, die eine Nervensäge sein, aber eines kann So gehe das nicht, antwortet Kraft. immer noch eine deutliche Mehrheit für man ihm nicht vorwerfen: dass ihm die „Wir können nur koalieren, wenn es ge - ein Bündnis mit der SPD anzeigen. Gesundheit nicht am Herzen läge. genseitiges Vertrauen gibt.“ Als die Run - An diesem Dienstag wird das große Er hat Medizin in Aachen und in Har - de wieder zusammentritt, fehlen Dob - Thema Finanzen aufgerufen. Die Stim - vard Gesundheitsökonomie und Epide - rindt, Hessens Ministerpräsident Volker mung ist nicht gut, Jürgen Trittin hat die miologie studiert. Mit 36 Jahren wurde Bouffier und Ronald Pofalla, der Kanz - Zahlen des Finanzministers bereits aus - er Professor und bekam einen Lehrstuhl leramtschef. Letzterer, heißt es, sei von einandergenommen, Schwarz-Grün ist für Gesundheitsökonomie, einen der ers - Merkel losgeschickt worden, um die bei - nur noch eine schwache Glut. Man müss - ten in Deutschland. Er kennt das Kran - den Heißsporne zur Räson zu bringen. te jetzt sachte reinpusten, um die Sache kenkassenwesen wie Jogi Löw den deut - noch einmal zum Brennen zu bringen. schen Fußball. Niemand von denen, die Aber Trittin will die Glut nicht lodern sich gerade Hoffnung auf ein Ministeramt lassen, er will sie austreten, das ist zu - machen, bringt eine vergleichbare Quali - mindest die Version der Unionsleute. Er fikation mit. sagt: „Wir wollen die Vermögensabgabe.“ Lauterbach lässt seine Ambitionen klar Er weiß, dass sich die Union nicht darauf durchblicken. Seit 15 Jahren kämpft er einlassen wird. Es ist das Ende von für Reformen im Gesundheitswesen. Schwarz-Grün. „Wenn ich vier Jahre als Minister hätte, Trittin habe sich nach der Absage könnte ich die Sache rund machen“, sagt Schäubles zufrieden in seinem Stuhl zu - er. „Ich würde es sogar fürs halbe Gehalt rückgelehnt, erinnert sich später ein CSU- machen und morgens singend ins Büro Mann. Er habe gelächelt wie ein Mann, kommen.“ der seine Mission erfüllt hat.

Berlin, Parlamentarische Gesellschaft, Berlin, Parlamentarische Gesellschaft, 14. Oktober 17. Oktober Hannelore Kraft wirkt bei den Sondie - In einer Pause während der letzten Son - L rungen zwischen Union und SPD bislang E dierungsgespräche mit der SPD steht G E I wie ein Teenager, der erst nicht in den P Hannelore Kraft zusammen mit Kanzler - S

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Urlaub mitfahren wollte und dann den D amtschef Ronald Pofalla, CDU-General -

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Eltern die Ferien mit ihren Launen ver - T sekretär Hermann Gröhe und Verkehrs - R A B dirbt. Jetzt, in der zweiten Runde, gerät minister Peter Ramsauer auf einem Bal - R O sie mit CSU-Generalsekretär Alexander D kon gegenüber dem Reichstag. Plötzlich O E H

Dobrindt aneinander, es geht um die Fa - T stößt Dobrindt dazu. Kraft und Dobrindt milienpolitik. Kraft sagt, sie wolle vor al - SPD-Mitglied Lux: „Boah ey, umpff“ haben sich drinnen bereits begrüßt, aber

22  ( )'! # 49/2013 Deutschland nun sagt der Generalsekretär: „Frau Leverkusen hat den zeig Ihnen mal, warum ich die Reißleine Kraft, wollen wir uns die Hand geben, Krieg erklärt. In der Nacht steigt Eva Lux gezogen habe.“ Ihr Finger bleibt auf Zeile das sehen die Journalisten gern.“ in den Zug und fährt in die Schlacht. Par - acht stehen, die Wörter „mit dem Ziel ei - Kraft überlegt kurz, dann streckt sie teikonvent, zweiter Teil. ner gemeinsamen Regierungsbildung“ hat ihm die Hand entgegen. Unten klicken Wieder sitzt man im Hans-Jochen-Vo - sie unterstrichen. „Dieser Satz, der ist es.“ die Kameras. In der Öffentlichkeit muss gel-Saal im fünften Stock. Lux votiert ge - Nun kann man fragen, mit welchem Ziel das Bild als Beleg für die neue Harmonie gen die Aufnahme von Verhandlungen, Koalitionsverhandlungen sonst aufgenom - zwischen Union und SPD herhalten: der 30 andere Genossen tun es ihr gleich, men werden, aber das wäre wohl zu ratio - Handschlag, das Lachen der Politiker. doch 196 Mitglieder stimmen dafür. Auch nal gedacht. Eva Lux hat ihre eigene Sicht Alles ist nur eine Inszenierung. Hannelore Kraft ist umgefallen und wirbt auf die Dinge. Es ist die Sicht vieler Sozial - jetzt für die Große Koalition, sie ist von demokraten, die sich seit Jahren von ihrer Berlin, Wirtshaus Stresemann, einer Verbündeten zur Gegenspielerin ge - Führung an der Nase herumgeführt fühlen. worden. Eva Lux und die Basis kämpfen Sie wurden nicht gefragt, als Gerhard 20. Oktober nun allein gegen die Kanzlerin. Schröder sehr plötzlich mit seiner Agenda Am Tag bevor sie aufbrach, um in Berlin Nach der Sitzung sitzt Lux im Wirts - 2010 um die Ecke kam, nicht, als ihre Par - über die Aufnahme von Koalitionsver - haus Stresemann. Sie trägt einen schwar - teiführung 2005 in die Große Koa lition handlungen abzustimmen, hat Eva Lux zen Blazer, vor ihr liegt eine blaue unter Angela Merkel zog. Lux hat sich mit wieder mal die Meinung der Genossen Packung Gauloises. Sie wühlt in ihrer beu - keiner dieser Entscheidungen wohl gefühlt, aus ihrem Unterbezirk eingeholt. Sie woll - telartigen, sehr sozialdemokratischen All - sie schluckte eine Zumutung nach der te sich ein Mandat ihrer Basis geben las - zweckhandtasche und zieht ein Papier anderen, so empfand sie es zumindest. sen. Am Ende haben sie abgestimmt: eine heraus, den Vorschlag des Parteivorstands Im Herbst 2012 folgte die Nominierung Enthaltung, 24 gegen die Große Koalition. zur Aufnahme von Verhandlungen. „Ich von Peer Steinbrück. „Ich hätte gern über „Der Schwanz wedelt nicht mit dem Hund“ Unionsfraktionschef Volker Kauder über schmerzliche Kompromisse mit den Sozialdemokraten

SPIEGEL: Herr Kauder, wissen Sie, wie meier die SPD-Fraktion führt. Diese Ge - SPIEGEL: Die Kanzlerin sagt, sie habe bei die Minister der Koalition heißen? wissheit habe ich nicht mehr zu hundert den Verhandlungen das Schlimmste ver - Kauder: Nein, es gibt keine abschließen - Prozent. hindert. Das klingt wie die Stimme des den Festlegungen. Und das, was ich SPIEGEL: Wie viel Geduld wollen Sie mit kleinen Korrektivs gegenüber einem weiß, möchte ich wegen der Absprache der SPD haben? Bei der Wahl hat die großen Partner. mit der SPD nicht preisgeben. Union 42 Prozent geholt, die SPD 26. Kauder: Bei allen Punkten, die Sie gerade SPIEGEL: Der Koalitionsvertrag steht, was Der Koalitionsvertrag sieht aus, als wäre aufgezählt haben, ist nie die ursprüng - soll das Versteckspiel jetzt noch? es andersherum ausgegangen. liche SPD-Position Inhalt des Vertrags Kauder: Die SPD hat um dieses Ver - Kauder: Ach was … geworden. Wir haben stets Veränderun - fahren gebeten, um den Mitglieder - SPIEGEL: Einheitlicher Mindestlohn, Ren - gen erreicht, mit denen die Beschlüsse entscheid nicht unnötig mit Personal- te mit 63, Doppel-Pass: Das alles haben aus unserer Sicht für das Land nun ver - debatten zu komplizieren. Das respek - Sie im Wahlkampf abgelehnt und dafür tretbar sind. Nehmen Sie zum Beispiel tieren wir. so viele Stimmen wie seit fast 20 Jahren den Mindestlohn. Wenn der schlecht SPIEGEL: Warum fürchtet sich die SPD, nicht mehr bekommen. Jetzt wird es ausgehandelt worden wäre, hätte dies ihr eigenes Regierungspersonal beim trotzdem Gesetz. Hunderttausende Arbeitsplätze kosten Mitgliederentscheid offenzulegen? Kauder: Es ist doch immer so, dass man können. Kauder: Fragen Sie die SPD. Wir hätten in einer Koalition Dinge machen muss, SPIEGEL: Und wie viele sind es, wenn er Ressortzuschnitt und Besetzung nennen die man allein nicht gemacht hätte. Ge - gut gemacht wird? können. Was die SPD im Einzelnen zu nauso gut kann ich die Gegenrechnung Kauder: Ein gesetzlicher Mindestlohn ist der Bitte bewogen hat, erschließt sich aufmachen: Bei den großen Fragen für aus Unionssicht weiter schwierig. Der mir nicht ganz. Aber unser Land haben sich Union ist es aber zu verdanken, dass die wir können noch zwei die Kanz lerin und die Wirtschaft bis 2017 Zeit hat, sich auf den Wochen warten. Union durchgesetzt: Es Mindestlohn einzustellen. Bis dahin kön - SPIEGEL: Bei der letzten wird in Europa keine nen Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch Großen Koalition hat - Schuldenunion geben, Tarifverträge abschließen, um auf regio - ten Sie mit Peter Struck Deutschland wird beim nale Besonderheiten einzugehen, zum einen Freund an der Haushalt und bei den Beispiel im Osten Deutschlands. Dieser L SPD-Fraktionsspitze. E Finanzen weiter solide Verantwortung sollten sich die Tarif - G E I P

Mit wem werden Sie S wirtschaften. Es gibt partner auch stellen. Die sind jetzt gefor -

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dieses Mal zusammen - D keine Mehrbelastungen dert, sich die Lage in den Branchen und

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arbeiten? I durch Steuer- oder Ab - Regionen genau anzuschauen. Nieman - H T

Kauder: Ich nehme es, N gabenerhöhungen. Sie dem ist damit gedient, dass der Mindest - A I T S

wie es kommt. Nach I können sich sicher sein: lohn Arbeitsplätze vernichtet. Das will R H

seiner Wiederwahl bin C In dieser Regierung we - auch die SPD sicher nicht. ich davon ausgegangen, CDU-Politiker Kauder delt der Schwanz nicht SPIEGEL: Sie haben auch zugestimmt, dass Frank-Walter Stein - „Ich nehme es, wie es kommt“ mit dem Hund. dass Arbeitnehmer, die 45 Jahre lang

24  ( )'! # 49/2013 unseren Kandidaten abgestimmt“, sagt Lux, aber wieder wurde niemand gefragt. „Da dachte man: Boah ey. Umpff.“ Es fol - gen weitere Geräusche des Runterwür - gens. „Jedenfalls: keine gute Stimmung.“ Dieser angestaute Frust ist wohl die prä - gendste Kraft dieses Versuchs einer Regie - rungsbildung. Er wird jeden begleiten, der in den nächsten Wochen für die SPD etwas aushandeln soll. Er wird auch Angela Mer - kel erreichen. Über die Jahre ist in der Mitgliedschaft der SPD eine Irgendwann-

ist-auch-mal-Schluss-Stimmung gereift, die A P D

/ sich jetzt entladen könnte. Die Große E C N

Koalition wäre ein eher zufälliges Opfer. A I L L A

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Berlin, Café Einstein, 24. Oktober I P

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Haben Sie Schwarz-Grün torpediert, Herr E F T E I

Trittin? N

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Er blickt von seinem Teller auf, es ist K kurz nach elf, er frühstückt ein Spiegelei. Koalitionspartner Dobrindt (2. v. l.), Kraft: Ein Bild als Beleg für die neue Harmonie

Sein Leben hat sich entschleunigt, seit er schamlos auf die Politik zugreifen kön - nicht mehr Fraktionschef der Grünen ist. nen. Wenn Union und SPD nun regieren, mit Unterbrechungen gearbeitet haben, Er wirkt recht zufrieden. schreiben Industrie und Gewerkschaften künftig mit 63 Jahren ohne Abschlag in „Wir sind eine Partei, die das Land um - immer mit an den Gesetzen. Rente gehen können. Warum helfen Sie bauen will“, sagt er. „Uns haben 8,4 Pro - Trittin ist lieber rein geblieben, er hatte der SPD, Gerhard Schröders Agenda zent gewählt, und zwar nicht aus oppor - Angst, sich verbiegen zu müssen. So zog 2010 abzuwickeln? tunistischen Gründen, sondern weil sie er die Opposition dem schweren Gang in Kauder: Die Änderungen bei der Rente wollen, dass diese Umbaupläne auch um - die Regierung unter Merkel vor. Schwarz- kann man mittragen. Es geht nach mei - gesetzt werden.“ Grün ist auch an den Dämonen des Jür - nen Erkenntnissen derzeit nur um rund Trittin war die große Überraschung die - gen Trittin gescheitert. 300 000 Fälle pro Jahr. ser Regierungsfindung. Er ist schon seit SPIEGEL: Daneben erhöhen Sie auch noch 30 Jahren in der Politik, er hat in Göttin - Berlin, Landesvertretung Nordrhein- die Mütterrente – mit Geld aus der Ren - gen studiert und war mal Mitglied des tenkasse. Werden also die Beiträge stei - Kommunistischen Bundes. Wenn ein Grü - Westfalen, 7. November gen, wie Fachleute sagen? ner bei der Union verhasst war, dann er. Die Frau, die für einen kurzen Moment Kauder: Seit ich Politik mache, kenne ich Einmal attestierte er dem CDU-General - das Schicksal des Landes in den Händen diese Prophezeiungen der sogenannten sekretär Laurenz Meyer die „Mentalität hielt, sitzt in einem Glaskasten über dem Rentenexperten. Die Rentenbeiträge eines Skinheads“. Berliner Tiergarten. Hannelore Kraft trägt bleiben stabil, wenn weiterhin so viele In den vergangenen Jahren aber drehte ein Shirt mit einem fröhlichen Blumen - Menschen Arbeit haben und Beiträge sein Image, gerade bei Angela Merkel. muster und redet ruhrpöttisch. Die Frage zahlen wie jetzt. Sie sah sein taktisches Geschick. Als Spit - ist, warum sie so viele Parteifreunde ent - SPIEGEL: Aber die Zahl der Jobs in zenkandidat im Wahlkampf lotste er sei - täuscht hat, Genossinnen wie Eva Lux? Deutschland ist auf Rekordhoch. Gelten ne Grünen zwar nach links, doch Merkel Koalitionsverhandlungen sind Übun - die Versprechen der Großen Koalition glaubte, Trittin werde schon geschmeidig gen in Biegsamkeit, es geht darum, die nur, wenn das so bleibt? genug sein, wenn es um die Macht geht. Glieder zu dehnen, nachdem man sie im Kauder: Wir wollen keine Steuern erhö - In den Tagen nach der Wahl rief sie bei Wahlkampf steif gemacht hat. Angela hen und keine neuen Schulden machen. etlichen Spitzen-Grünen an, um die Chan - Merkel hat es in dieser Disziplin zur Meis - Dieses Versprechen steht. Und wie die cen für Schwarz-Grün auszuloten. Einige terschaft gebracht. Für einen kurzen Bundeskanzlerin gesagt hat, sind viele sprangen an, Trittin nicht. Moment bildete Hannelore Kraft den Ge - unserer Vorhaben derzeit möglich, weil Er habe ja nichts Grundsätzliches ge - genpol, sie wollte es Jürgen Trittin gleich - die Beschäftigungslage so gut ist. Da gibt gen Schwarz-Grün, sagt er vor seinem tun als große Unbeugsame. Kraft war mit es natürlich einen Zusammenhang, den Spiegelei, am Ende sei alles eine Frage ihrem Widerstand gegen die Große Koa - wir jährlich neu beurteilen werden. des Preises. Aber wenn man ihm länger lition für viele in der SPD ein Verspre - SPIEGEL: Es gibt neben dem Finanzie - zuhört, ergibt sich ein anderes Bild. Trit - chen, sie war die Heldin der Basis, die rungsvorbehalt im Koalitionsvertrag also tin ist in seinem Herz ein Linker geblie - Heldin auch von Eva Lux. einen „Beschäftigungsvorbehalt“? ben, mit klarem Weltbild: hier die Kräfte „Ich gebe ganz offen zu: Ich war skep - Kauder: Die Beschäftigungssituation ist des Guten, dort die Mächte der Finster - tisch“, erklärt Kraft nun in ihrem Glas - immer ganz entscheidend für die Staats - nis – der BDI, die Arbeitgeberverbände, kasten. „Ich wusste, welchen Widerstand finanzen, aber auch für die Lage des der Wirtschaftsrat der CDU. Er traue der es gab. Viele an der Basis sagten, die ma - ganzen Landes. Aber die Prognosen für Union nicht zu, dass sie sich gegen die chen in Berlin nur eine Koalition, um sich die nächsten Jahre sind doch gut. Es durchsetze, sagt Trittin. die Posten zu sichern.“ Kraft sprach aus, gibt keinen Grund, Negativszenarien Schwarz-Grün hätte das Gesicht der was der Bauch der SPD fühlte. zu entwerfen. Republik verändern können, es wäre ein Mut kann in der Politik vieles verän - I%* (-! .: N!"&#+) B#&$ , P * ( M,## ( Bündnis gewesen, das die alten Lager auf - dern. Angela Merkels Aufstieg zur CDU- bricht und gleichzeitig versöhnt. Zudem Chefin begann mit einem Aufsatz, in dem hätten die Interessenverbände weniger sie sich vom CDU-Übervater Helmut Kohl

 ( )'! # 49/2013 25 Deutschland

Große Verhandlungsrunde im Willy-Brandt-Haus am 30. Oktober

absetzte. Für sie war es ein Spiel um alles aus der Agenda-Zeit zu korrigieren. Die Posten. Während er die Arbeitsgruppe oder nichts. Sie gewann, weil sie die Ner - SPD möchte ihr Gewissen erleichtern. Gesundheit leitet, ahnt Lauterbach, dass ven hatte, alles auf eine Karte zu setzen. Nun treffen die Programme der SPD die Entwicklung gegen ihn läuft. Inhalt - Hannelore Kraft hat für ein paar Tage auf die Beharrungskräfte der Union. Spät lich gebe es Fortschritte, sagt er. „Nur bei auch Platz genommen am Pokertisch der am Abend sagt Schwesig: „Wir haben nur der Frage, wer all das mal umsetzen soll, Macht. Ihr Blatt war nicht schlecht, wenn noch einen Tag Zeit, aber wir haben uns gibt es keine Fortschritte in meine Rich - sie kaltblütig genug gewesen wäre, hätte erst in zwei Punkten geeinigt. So kann tung. Meine Quoten-Pluspunkte Nord - sie die Große Koalition verhindern und ich meiner Partei nicht empfehlen, dem rhein-Westfalen und Experte wiegen gleichzeitig zur SPD-Chefin aufsteigen Koalitionsvertrag zuzustimmen.“ noch nicht schwerer als mein Quoten- können. Denn ohne Regierungsbeteili - Es ist eine Provokation, Schwesig will Minus Nicht-Frau.“ Es wird eng. gung hätte sich kaum als den Druck erhöhen, aber ihre Worte las - Parteivorsitzender halten können. Aber sen die Stimmung eskalieren. „Was heißt Leipzig, SPD-Parteitag, 14. November als sie erkannte, wie hoch der Einsatz ist, das jetzt: Wollen Sie die Koalition nicht blinzelte sie. Das ist tödlich beim Pokern. mehr?“, fragt Dorothee Bär, die stellver - Eva Lux ist am Morgen mit dem Flugzeug tretende CSU-Generalsekretärin. Man ei - aus Köln gekommen. Sie sitzt in der fünf - Berlin, Jakob-Kaiser-Haus, nigt sich, schlafen zu gehen, damit sich ten Reihe, nur wenige Meter vom Red - die Gemüter beruhigen können. nerpult entfernt. Sie hört, wie ihr Partei - 11. November Auch Schwesigs Sprecherin geht ins Bett, chef dreimal zitiert, um für Bald ist Mitternacht, und die Arbeitsgrup - schaltet ihr Handy aus. Als sie es am nächs - die Große Koalition zu werben. Sie hört, pe „Familie, Frauen und Gleichstellung“ ten Morgen anschaltet, hat sie fünf Journa - wie er an jene Sozialdemokraten erinnert, tagt noch immer. Es ist das sechste Tref - listen auf der Mailbox, die Wind von einem die für ihre Überzeugungen in der Nazi- fen, doch die Runde kommt nicht voran. „Eklat“ bekommen haben. Die Sozialde - Zeit mit dem Leben bezahlt haben. „De - Manuela Schwesig ergreift das Wort. mokraten vermuten, dass die CDU den nen, die gekämpft haben, die ihr Leben Sie hat es in wenigen Jahren von einer Streit durchgestochen hat – und zwar völlig riskiert haben, denen sind wir doch schul - unbekannten Kommunalpolitikerin aus übertrieben, um Schwesig als Zoffnudel zu dig, dass wir jetzt keine Angst haben, dass Mecklenburg zur stellvertretenden SPD- diskreditieren. Nun macht sich Misstrauen wir das Land für Millionen Menschen bes - Vorsitzenden gebracht. Wenn alles gut breit, rasch erreicht es die anderen Arbeits - ser machen“, ruft Gabriel. Der arme läuft, sitzt sie bald als Familienministerin gruppen. Nirgendwo gedeiht Misstrauen Brandt und die Märtyrer der Sozialdemo - im Kabinett. Aber gerade läuft gar nichts. besser als dort, wo zwei Partner mitein - kratie müssen inzwischen für alles her - Schwesig ist mit einem dicken Stapel ander müssen, obwohl sie nicht wollen. halten, selbst für die Große Koalition un - Forderungen in die Verhandlungen ge - ter Angela Merkel. kommen: Sie wollte die Kinderrechte in ICE von Berlin nach Leipzig, Als Gabriel fertig ist, steht Eva Lux die Verfassung schreiben, mehr Geld für auf und läuft hinaus auf eine Raucher - Kitas, das Adoptionsrecht für schwule Boardrestaurant, 14. November terrasse, schnell eine durchziehen. Rasch Paare und vieles mehr. Die Union wollte Karl Lauterbach ist auf dem Weg zum Bun - kommt sie auf die Toten zu sprechen. im Wesentlichen, dass alles bleibt, wie es desparteitag seiner Partei, er bestellt grü - „Völlig deplatziert. Das stößt mir ganz ist. So läuft es in allen Arbeitsgruppen. nen Tee, ohne Zucker. Der Parteitag sei böse auf.“ Mit welchen Mitteln da jetzt Dass bei Koalitionsverhandlungen die ein Risiko, sagt er. Drei Tage lang gebe gekämpft werde. Sie schüttelt den Kopf. Meinungen zweier Parteien aufeinander - man den Genossen Gelegenheit, „uns mit - Aber sie lasse sich nicht einschüchtern. treffen, ist normal. Aber diesmal kollidie - zuteilen, was wir alles erreichen müssen“. Wenn überhaupt, dann wird die SPD tief ren zudem zwei Methoden. Merkels Me - Für Lauterbach selbst läuft es weniger gespalten in die Große Koalition ein- thode heißt Reaktion. Sie wird erst aktiv, gut. Seine Ex-Frau hat in der „Bunten“ ziehen. wenn ein Problem auftaucht. Sie mag kei - gewarnt, er dürfe keinesfalls Minister wer - Das Problem sei, sagt sie, dass die SPD ne Programme, Programme schränken den. Dafür sei er charakterlich nicht ge - immer schön weitermache, ohne innezu - ein. Sie sind die Ketten am Fußgelenk ei - eignet. Sie hat haltlose Vorwürfe über halten. „Wir haben gar nicht analysiert, nes Kanzlers. seine Zahlungsbereitschaft für die vier was seit dem Gefängnis passiert ist.“ Mit Die Methode der SPD ist das Pro - gemeinsamen Kinder verbreitet. Nun Gefängnis meint sie die Große Koalition gramm. Sie hat in der Opposition vieles muss er hoffen, dass niemand ernst von 2005 bis 2009. „Wie soll ich im nächs - gesammelt, was dringend eingeführt wer - nimmt, was die Ex da erzählt. ten Jahr Kommunalwahlkampf in Lever - den müsste. Das meiste geht auf den Überhaupt die Frauen! In der SPD for - kusen machen, wenn wir jetzt wieder in Wunsch zurück, die eigenen Reformen dern sie nun die Hälfte aller wichtigen eine Große Koalition gehen? Klar, dem

26  ( )'! # 49/2013 HENNING SCHACHT Nicht-Genossen ist das egal.“ Sie hält Merkels Antworten machen die Sache Die Diagnose mag zwar paradox klin - kurz inne. „Uns aber nicht.“ nicht besser. In Erfurt sind ihre stärksten gen, weil gerade Lux und ihre Genossen Argumente auch die, die Seehofer und nicht mehr enttäuscht werden wollen, im Erfurt, Deutschlandtag der Gabriel leiten: die Umfragewerte. „Sie Kern aber ist sie richtig. werden sich erinnern, wie populär die „Wir sollten erst mal bei uns aufräu - Jungen Union, 15. November Große Koalition im Wahlkampf war“, men“, sagt sie. „Uns selbst vergewissern, Angela Merkel läuft zu „Can’t stop“ von sagt sie, oder zum Mindestlohn: „78 Pro - mit uns ins Reine kommen.“ Es spricht den Red Hot Chili Peppers in die Messe - zent der Unionswähler finden den super.“ viel dafür, dass die SPD in diesem Zu - halle ein. Die Parteijugend feiert sie mit Es ist ein schwieriges Verständnis von stand nicht wirklich regierungsfähig ist. „Angie, Angie“-Sprechchören, alle ste - Führungskraft und Richtlinienkompetenz. Dass sie weiter jede Chance nutzen wird, hen, nur Merkel, auf der Bühne ange - Hätte Gerhard Schröder immer so ge - an sich selbst zu leiden – die Große Koa - langt, setzt sich auf einen Stuhl. Sie blickt dacht, hätte es die Agenda-Reformen nie lition wird ihr dazu viele Gelegenheiten müde in die Halle, sie lächelt bemüht. gegeben. bieten. Ihre Mitglieder werden nach jeder Die Delegierten möchten, dass sie auf - Viele im Saal fühlen sich veralbert. Als Gelegenheit suchen, das „Gefängnis“, steht, sie wollen sie feiern, aber Merkel Merkel geht, ist wenig übrig von der Eu - wie Eva Lux die Große Koalition nennt, guckt, als wolle sie sagen: Los Freunde, phorie des Anfangs. Spätestens jetzt ist zu verlassen. Am Horizont leuchtet der ich will nach Hause. So redet sie dann klar, dass die CDU-Mitglieder diese Koa - rote Mond der Linkspartei. auch, sie liefert eine Horrorfloskel des lition ähnlich schlechtgelaunt begleiten „Ich schicke meine Partei nicht in eine Polit-Geschäfts nach der anderen ab: werden wie ihre Kollegen von der SPD. Koalition der Beruhigungspillen“, sagt „Wir haben den Auftrag, weiter als Eva Lux. Sie bleibt bei ihrem Nein. Volkspartei nah bei den Menschen zu sein.“ Regionalexpress von Leverkusen „Die Würde des Menschen ist unantast - Berlin, Bundespressekonferenz, bar, und das gilt für alle Menschen auf nach Düsseldorf, 27. November der Welt.“ Eva Lux sitzt im Zug, als sie die 185 Sei - 27. November „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“ ten Vertrag per Mail bekommt. Sie leitet Müdigkeit, unendliche Müdigkeit, sie hat Sie hält eine Im-Grunde-ist-mir-alles- ihn gleich an ein paar Genossen weiter, sich in Angela Merkels Gesicht festge - egal-Rede, als habe sie mit Deutschland die sich in einzelnen Bereichen besser setzt. Sie macht gar nicht den Versuch, nichts mehr vor. Wenn sie tiefe Überzeu - auskennen. „Hier die Endfassung“, den überfüllten Saal von diesem Koali - gung darstellen möchte, wird es ungewollt schreibt sie. „Könnt ihr mal übersetzen, tionsvertrag zu überzeugen, der Vertrag komisch. Einmal will sie die Gemeinsam - was das auf Deutsch heißt?“ Später, im heißt: „Deutschlands Zukunft gestalten.“ keiten einer Großen Koalition beschrei - Landtag, studiert sie selbst das Doku - Man hätte ihn besser „Deutschlands Ver - ben und nennt als Erstes „die flächende - ment. Sie wolle dem Verhandlungsteam gangenheit verwalten“ genannt. ckende Berufsberatung von Schülerinnen gar nichts vorwerfen, sagt sie. Trotzdem Vor ein paar Stunden erst hatten sie und Schülern in den Schulen“. Dabei ballt habe sich ihre Befürchtung bestätigt. im Eilverfahren die großen Streitfragen sie die Faust, als gelte es, einen drohenden „Jeder bekommt irgendetwas, aber zu - entschieden, alles, was in den Arbeits - Krieg abzuwenden. Nichts passt zusam - sammen ist es nicht stimmig“, sagt Lux gruppen nicht geklärt werden konnte. men. Die Gesten nicht zur Rede, Merkels am Telefon. Der Schlüssel für eine besse - Politik gehorcht da nicht mehr den Ge - Verzagtheit nicht zu ihrem Wahlergebnis. re Gesellschaft sind für sie Investitionen setzen der Logik, sondern den Regeln der Dass ihre Rede keinen roten Faden hat, in Bildung. Die vielen prekären Beschäf - Tauschwirtschaft. verzeiht die Parteijugend. Schlimmer ist, tigungsverhältnisse etwa könne man nur Die SPD gab ihren Widerstand gegen dass Merkel keine „roten Linien“ kennt, beenden, wenn die Menschen besser qua - das Betreuungsgeld auf, dafür erhielt sie was eine freundliche Umschreibung von lifiziert würden. „Doch statt in die Zu - zwei Milliarden Euro für den Kita-Ausbau. „Überzeugung“ ist. „Wo ist unsere rote kunft zu investieren, wird jetzt ein Rie - Dass sich beide Maßnahmen widerspre - Linie?“, fragt ein Delegierter nach dem sengeld für Renten rausgehauen, allen chen, interessiert auf dem Basar nieman - anderen. Beim Mindestlohn, bei der dop - voran für die Mutti-Rente. Das ist völlig den mehr. Die Union gewährt der SPD pelten Staatsbürgerschaft, in der Renten - falsch.“ Im Text finde sie „mal die eine, den Mindestlohn, dafür schlucken die So - politik, der Generationengerechtigkeit. mal die andere Handschrift“ wieder, aber zialdemokraten die Pkw-Maut. Die Union „Warum sind wir manchmal so unsouve - keine gemeinsame, keine Richtung. „Für will eine höhere Rente für Mütter, im Ge - rän in diesen Koalitionsverhandlungen?“, so etwas brauchte man Mut zum Risiko. genzug wird die Rente mit 67 aufgeweicht. fragt jemand. „Wir haben diese Wahl doch Auch der Mut, die eigene Klientel mal zu Politik bestehe nun mal aus Kompro - gewonnen! Und nicht die anderen!“ enttäuschen. Aber der fehlt.“ missen, man dürfe das nicht verächtlich

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machen, heißt es nun. Aber gute Politik bedeutet vor allem, Prioritäten zu setzen. KOMMENTAR Union und SPD haben hingegen ihre Lieblingsvorhaben addiert. Nun klebt ein dickes Preisschild auf dem Koalitionsver - trag: 23 Milliarden Euro. Es kann aber Alles kleine Leute? auch teurer werden. Von Nikolaus Blome Hasenfüßigkeit war die leitende Kraft dieser Regierungsbildung, und Hasen- füßigkeit ist auch der Ghostwriter dieses ie Große Koalition will eine Zu diesem Stolz, diesem Fortschritt Vertrags. Er wurde verfasst von Parteien, „für die kleinen Leute“ sein. im kollektiven (Selbst-)Bewusstsein deren Wähler immer älter werden. Des - DSagte Sigmar Gabriel, und ne - der Republik passt das Wort von den halb schließen sie Verträge zu Lasten je - ben ihm nickte Angela Merkel. „kleinen Leuten“ ganz und gar nicht. ner, die in der Minderheit sind. Es ist die Eine zufällige Floskel? Noch ein Zü - Schlimmer noch: Die Milliarden in der Übersetzung von demografischen Tabel - ckerle für die zögernden SPD-Genos - Rentenkasse hätten dem Arbeiter und len in politische Schecks. sen? Nein, es war ein Moment der der Supermarkt-Kassiererin gehört, Was dieser Koalition jetzt noch helfen Wahrheit: Angela Merkel und Sigmar aber ihre Beiträge werden nicht ge - könnte, wäre ein kompetentes Kabinett, Gabriel haben das Bild sehen lassen, senkt. Sie bezahlen die neue Fürsorge Individuen, die sich nicht mit dem Vor - das sie sich von den Menschen in zum großen Teil selbst. Heißt: Den geschriebenen begnügen. Deutschland gemacht haben. Das ihre kleinen Leuten wäre wohl besser Politik prägen soll. Wie entlarvend. gedient, wenn nicht so viel Politik Berlin, Café Einstein, Die „kleinen Leute“, das ist ein an - gemacht würde, die für die kleinen maßendes Wort, alt und prall von Pa - Leute gut sein soll. 28. November ternalismus. Wer Bürger kleine Leute Das hätte nicht so kommen müssen, Wieder grüner Tee. Dazu eine Schale nennt, der macht sie klein. denn zu Beginn von Angela Merkels Beeren, nur Beeren. Lauterbachs Blick Es gab einmal eine Zeit, da sagte dritter Amtszeit gäbe es genug große ist traurig, die Schultern hängen schlaff. Angela Merkel, sie wolle Politik ma - Fragen: Ob Deutschland in Europa un - Hinter ihm sitzt Daniel Bahr von der chen für Menschen, die aus Hartz IV geliebte Führungsmacht sein will oder FDP, der noch immer Gesundheitsminis - wieder herauswollen, wenn sie hinein - besser nicht. Warum 125 Milliarden ter ist. Sie grüßen sich. Lauterbach wollte geraten sind. Heute Euro an „familienbezo - Bahrs Nachfolger werden, aber er wird kümmert sich ihre Gro - genen“ Leistungen je - es nicht. ße Koalition darum, Den Deutschen des Jahr ausgegeben Er selbst darf das nicht bestätigen, weil dass es nicht so schlimm den Mut zur Ver - werden, obwohl sie Parteichef Gabriel die Illusion aufrecht - kommt, wenn man lan - nicht zu mehr Gebur - erhalten will, die Personalfragen seien ge in Hartz IV stecken - änderung abzu - ten führen. Warum es noch offen – bis die SPD-Mitglieder ab - bleibt. Es gab einmal sprechen ist eine in Deutschland nach gestimmt haben. Wieder ist Angst die eine Zeit, da versuchte Ausrede für die 40 Jahren progressiver Triebfeder. Es soll der Eindruck vermie - man, die Leute bei eigene Trägheit. Bildungs- und Gesell - den werden, dass es nur um Posten gehe. ihrem Stolz zu packen, schaftspolitik weiterhin Es soll aber auch verschleiert werden, denn den haben sie. ganz überwiegend am nach welchen Kriterien die Posten am Man sagte ihnen: Wir holen dich aus Geldbeutel der Eltern hängt, wie weit Ende vergeben werden. der Sozialhilfe heraus, zurück auf den es ein Kind bringt. Wie es zusammen - In Lauterbachs Fall haben die Faktoren Arbeitsmarkt. Wir verschaffen dir eine passt, dass der Staat zuerst für Mil - „Frauenquote“ und „Regionalproporz“ Chance, nichts Üppiges, aber eine liarden Kitas baut, um Frauen eine den Faktor „Kompetenz“ geschlagen. Chance. Mehr als zwei Millionen Men - Erwerbstätigkeit zu erleichtern – und Die SPD wird sechs Ministerien erhal - schen haben seitdem Arbeit gefunden, sie dann mit Steuersystem und der ten, bei den Frauen waren Andrea es gibt fast Vollbeschäftigung im Land. kalten Progression ausnimmt wie die Nahles und Manuela Schwesig gesetzt. Was dabei an Stolz gewachsen war auf Weihnachtsgans. Wegen der Quote braucht es noch das Meistern von Härten und Ver - Wer im Koalitionsvertrag nach sol - eine dritte Frau und jemanden aus Nord - änderungen, das konnte man spüren, chen Fragen oder gar nach Antworten rhein-Westfalen, vielleicht also die als es um die Finanzhilfen für Süd - sucht, der findet: nichts. bisherige Schatzmeisterin Barbara Hen - europa ging. Da stellten ganz viele die Wenn dieses Papier die nächsten vier dricks. schweren „Hausaufgaben“ heraus, die Jahre tatsächlich prägt, hat Deutsch - Am Ende hat sich Gabriel gar nicht erst Deutschland gemacht hatte. Die sie ja land eine harmonische Verwaltung, um das Gesundheitsministerium bemüht, selbst gemacht hatten. aber keine Regierung. Angela Merkel weil der logische Kandidat, Lauterbach, Auch durch die Jahre der Finanz- und Sigmar Gabriel meinen, die meis - keine Frau ist. Für Hendricks werde nun und Wirtschaftskrise kamen diese ten Deutschen wollten das so, weil sie verzweifelt nach einem Ressort gesucht, Deutschen viel gelassener und zu- im Grunde wollten, das alles so bleibt, in dem die Inkompetenz den geringsten versichtlicher, als im In- und Ausland wie es ist. Ob das wirklich stimmt, wis - Schaden anrichten könne, spottet ein befürchtet und herbeigeredet wurde. sen die beiden nicht, und sie wollen es Fraktionsmitglied. Weder stopften sie ihr Geld panisch auch nicht herausfinden. Dabei spricht Lauterbach isst seine Beeren. Irgend - unters Kopfkissen, noch wählten viel dafür, dass die Bürger in Mehrheit wann murmelt er etwas. Es klingt wie sie extreme Parteien. Ist das die weiter sind, weiter zumindest als diese „unwürdiges Spiel“. „neue German Lässigkeit“?, fragte Große Koalition, die das aus eigener staunend ein Kolumnist der „New Trägheit nicht wahrhaben will – und Animation: York Times“. es sich lieber viel zu einfach macht. Die Geschichte der SPD spiegel.de/app492013spd oder in der App

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