2/2012–1/2013 fdst.de

Unterwegs auf dem Wasserweg Inklusive Fotografie im Fokus Miteinander im Sozialraum

Meiner ist nicht deiner Sozialraum entSteht nur gemeinSam

Magazin der Fürst donnersMarck-stiFtung AUGENBLICK

Ein Sozialraum ist Groß und weit, er ist klein und eng Er ist nah und er ist fern Er ist ein fester Ort, er ist virtuell Er ist Heimat, er ist Heimatlosigkeit Er ist nährend, er ist kalt wie Schnee Gedicht und Aquarell Mein Sozialraum ist nicht dein Sozialraum Auch wenn wir uns an gleichen Orten treffen von Doris Brandt Mein Sozialraum und dein Sozialraum werden ein gemeinsamer Durch Begegnung, Kontakt, Kommunikation

Mein Sozialraum ist der Ort meines Seins, meines Lebens Ich nehme mir vor, achtsam zu sein Ich gebe ihm Sinn oder er bleibt leer. 2/2012–1/2013 WIR EDITORIAL 3

Die WIR-Redaktion im Garten der Villa Donnersmarck

WIR bieten Menschen mit Behinde rung und ihren Themen ein Forum …

... und das seit knapp 60 Jahren. 1954 schen mit Behinderung und interviewen Die WIR zum Down- erschien die erste WIR, eine Zeitung von Experten. „Im Fokus“ nehmen wir aktu- load finden Sie unter: Menschen mit Behinderung der Fürst Don- elle sozialpolitische Themen unter die Lupe. www.fdst.de/ nersmarck-Stiftung. Die ersten regelmäßigen In „Unterwegs“ berichten wir von barri- wirmagazin Ausgaben schrieb und gestaltete die „Zei- erefreien Reisen, aber auch Mobilitätsre- tungsgruppe“ der damaligen Freizeit- und ports aus dem Alltag finden hier ihren Platz. Bildungsstätte der Fürst Donnersmarck-Stif- Menschen und ihre Sportarten stellen wir in tung. Die Zeitungsgruppe bestand aus Men- der Rubrik „Sport“ vor – vom Fußballspiel schen mit Behinderung, die sich – sozialpä- auf dem Bolzplatz um die Ecke bis zu den dagogisch betreut – regelmäßig trafen, um Paralympics. In „Leben & Lesen“ rezensie- eigene Artikel über unterschiedliche Themen ren wir Bücher und Filme und portraitieren zu schreiben. historische Persönlichkeiten mit Behinde- rung. „Tipps & Termine“ beinhaltet weiter- Dem authentischen Blickwinkel von hin Veranstaltungshinweise der Fürst Don- Menschen mit Behinderung spüren wir nersmarck-Stiftung. ehrenamtliche Redakteure mit Behinde- rung und Mitarbeiter der Fürst Donners- Eine Zeitung mit langer Tradition braucht marck-Stiftung auch heute nach. Lebhafte von Zeit zu Zeit ein neues Outfit. Wir freu- Diskussionen über Themen, die wir aktu- en uns, Ihnen die WIR ab dieser Ausgabe als ell spannend finden, kennzeichnen unseren ein modern gestaltetes Magazin präsentieren Redaktionsalltag und inspirieren uns zu zu können. Dafür danken WIR besonders manchen Artikeln. In „Stiftung aktuell“ Jürgen Brauweiler und dem Team von blei- berichten wir über Ereignisse aus dem Stif- frei. Trotz neuer Aufmachung ist das Wesent- tungsgeschehen der vergangenen Wochen. liche geblieben: Wo WIR drauf steht, sind Im „Titel“ geben wir einen Überblick WIR auch drin. über ein Thema, portraitieren dazu Men- Ursula Rebenstorf 4 INHALT WIR 2/2012–1/2013

■ Stiftung aktuell Der dritte Forschungspreis zur Neurorehabilitation 6 Heike Götz zu Gast im Gästehaus Bad Bevensen 9 Neue Räume für das P.A.N. Zentrum 10 Gunter Demnig verlegt Stolpersteine 12 Ambulanter Pflegedienst ist umgezogen 13 ■ Titel Leben im Sozialraum – Erfahrungen, Begegnungen, Perspektiven 14 Mein Kiez! 16 Mit dem Rolli durch Neukölln 20 Der Arbeitsweg als Sozialraum 22 Gestatten? Mein Kiez! 25 Ich will weg aus der Platte 26 Die Cafeteria als Sozialraum 28 Teilhabe beginnt am besten im Bezirk 30 „Es geht nicht mehr nur um Teilhabe!“ 32 UNTERWEGS 48 Perspektive Bremen ‘20 – unsere Stadt in der Region 34 Schiff ahoi! WIR machen uns für Sie auf Mietpreise im Städtevergleich 35 den Seeweg: Mit dem barrierefreien Kontrastreiche Gestaltung im öffentlichen Raum 36 Knoops Kolumne 39 Hausboot, mit dem Segelschiff, auf dem Floß und per Kajak ... ■ Im Fokus Rotkäppchen im Rollstuhl 40 Die handliche Plastikkarte 42 Inklusion ist selbstverständlich 42 Berliner Menschenrechtstag 44 Das Behindertentestament 45 Mit dem Segway ins Gelände 46 Antidiskriminierungsberatung 47 ■ Unterwegs Sail away 48 Eine Seefahrt, die ist lustig ... 49 Eben mal flott um Usedom herum! 52 Dresden ist immer eine Reise wert 54 Eine sommerliche Floßfahrt in Lychen 57 Aktionstag in Grünau 58 Ausflug nach Petkus 59 Auf dem „Vordach“ von 60 ■ Sport Ein Hauch von Olympia in Berlin 62 E-Ball im HausRheinsberg 63 ■ Leben & Lesen „Behinderung – Chronik eines Jahrhunderts“ 64 IM FOKUS 40 Soraya, Prinzessin von Iran 65 Eine Brücke zwischen den Welten von Verbotenes Bienenglück: Hanf auf dem Balkon 66 Menschen mit und ohne Behinderung Von Feierlaune und Moral: Generalprobe „Jedermann“ 67 schlagen die inklusiven Bilder der ■ Tipps & Termine Fotografin Anastasia Umrik ... Sehnsuchtsbilder einer Künstlerin mit Handicap 68 Programm Villa Donnersmarck; neues Reiseprogramm 69

Service: Bestellcoupon, Adressen, Impressum 70 2/2012–1/2013 WIR INHALT 5

TITEL14 Lebenswelten mit Gestaltungs- SERVICE 70 spielraum: Begleiten Sie uns in Bestellcoupon verschiedene Sozialräume ... Die Stiftung im Web Stiftungs-Adressen Impressum

TIPPS & TERMINE 68 SPORT 62 Alte Liebe rostet nicht: Eine Ausstellung Reichlich Grund zum Feiern hatten in Tempelhof illustriert die Sehnsucht der die siegreichen deutschen Leicht- Malerin Petra Schönwitz nach ihrer athleten beim Internationalen Stadion- früheren Wahlheimat Italien ... fest (ISTAF) in Berlin ...

6 STIFTUNG AKTUELL WIR 2/2012–1/2013

Prof. Paul Walter Schönle überreicht der Preisträgerin Dr. Stefanie Abel die Urkunde 2/2012–1/2013 WIR STIFTUNG AKTUELL 7

Das Gehirn als Grundlage der Therapieplanung Der dritte Forschungspreis zur Neurorehabilitation

eine Frage, die Auszeichnung der diesjährigen keiten angedeutet schien. Der Kuratoriumsvorsitzende Preisträger sollte einen ganz besonderen Rahmen der Fürst Donnersmarck-Stiftung, Guidotto Fürst von K finden: Die Alte Kommandantur mitten in Ber­ Donnersmarck, eröffnete die Veranstaltung mit einem lin. Das Gebäude ist außen wie innen neu restauriert. Grußwort an alle Anwesenden. Was ursprünglich dem Kurfürsten Friedrich-Wilhelm als Wohnhaus gedient hat, ist heute die Dependance Im Anschluss hat Prof. Herbert Rebscher,Vorsitzender der Bertelsmann-Stiftung in Berlin. Dadurch ist diese des Vorstands der Deutschen Angestellten Krankenkas­ Auszeichnung der medizinischen Forschung gewisser­ se (DAK), einen Vortrag gehalten mit dem Titel: „Eine maßen auf historischem Boden angelangt. Innovationskultur für das Gesundheitswesen – postaku­ te Neurorehabilitation – eine gesellschaftliche Aufga­ Durch den äußeren Rahmen der Veranstaltung ange­ be“. Interessant fand ich, dass der Vorstandsvorsitzende tan, suchte ich bald einen Sitzplatz im Saal. Denn nach einer deutschen Krankenkasse den Begriff der Inno­ einem solch beeindruckenden Empfang war ich beson­ vation genau beschrieben hat. Er sprach davon, dass ders gespannt darauf, inwieweit die Veranstaltung inhalt­ Sozialpolitik seit der Moderne durch die fortschreiten­ lich das halten würde, was bereits durch die Äußerlich- de Aufteilung von Arbeit eingeführt worden war. Die individuellen Probleme von Einzelnen waren zu gesamtg esellschaftlichen Faktoren wie Gesundheit, Lebensalter, Pfle­ ge und individuelle Lebens­ planung geworden. Durch die Finanzierung medizinischer Leistungen sei ein Bedarf an Innovationen geschaffen wor­ den. Prof. Rebscher beschrieb das Problem, dass stets indivi­ dueller vor gesellschaftlichem Nutzen steht. Innovationen im medizinischen Bereich sind zum Nutzen betroffener Menschen, deren Lebensqua­ lität dadurch steigt.

Die Festveranstaltung in der Repräsentanz Anschließend hat Prof. Paul der Bertelsmann-Stifung Walter Schönle als Mitglied des Kuratoriums der Fürst Don­ nersmarck-Stiftung und Vor­ sitzender der Jury moderiert 8 STIFTUNG AKTUELL WIR 2/2012–1/2013

Neue Therapien für Aphasiker und Patienten mit Lähmung

und die Preisträgerin des ersten Preises, Dr. Stefanie sollen somit Wortabruf und Alltagskommunikation bei Abel, und ihre Arbeit vorgestellt.Als promovierte Lin­ betroffenen Menschen verbessert werden können. guistin arbeitet sie interdisziplinär mit Menschen, die entweder eine so genannte erworbene Hirnschädigung Prof. Niels Birbaumer von der Universität Tübingen, haben oder an Demenz leiden und eine gestörte Wort­ geehrt für sein Lebenswerk, hat mit knappen Wor­ verarbeitung haben. Zur Abfrage von Worten oder der ten erklärt, dass er die Gehirn-Computer-Schnittstel­ therapeutischen Vorgehensweise werden generell zwei le (Brain-Computer-Interface) erforscht. Damit kön­ verschiedene Herangehensweisen zur Wortfindung nen Menschen allein durch gedankliche Übertragung unterschieden: Erstens phonologisch, den Wortlaut ihre Handprothese bewegen. Patienten mit Lähmungen betreffend, und zweitens semantisch, die Wortbedeu­ sollen somit kraft ihrer Gedanken wieder eigenständig tung betreffend. In Abhängigkeit von Messungen von gewisse Handgriffe ausführen können. Prof. Birbaumer Gehirnströmen mit der Elektroenzephalografie (EEG) ist Mitglied einer internationalen Forschergruppe. kann erkannt werden, welche Bereiche des Sprachzen­ trums im Gehirn betroffen sind. Zur besseren Untersu­ Es gab noch weitere Auszeichnungen, die aber nicht chung der Patienten kann die Magnetresonanztomogra­ mit einem Förderpreis bedacht worden sind. Belo­ phie (MRT) benutzt werden.Anhand der Gesamtheit bigt wurden Dr. Rob Labruyère von der Eidgenös­ der Ergebnisse soll ein Therapeut (Logopäde) zukünftig sischen Technischen Hochschule Zürich sowie Prof. unter drei Methoden auswählen können: Psycho- und Christoph, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Neurolinguistik und Sprachtherapie. Durch die wis­ zusammen mit Prof. Sascha Köpke von der Universi­ senschaftlich ausgearbeitete Methodik zur Behandlung tät Lübeck. von Menschen mit Wortfindungsproblemen (Aphasie) Ferdinand Ollig

Mit digitaler Musik verzauberte das Digi-Ensemble sein Publikum 2/2012–1/2013 WIR STIFTUNG AKTUELL 9

„Ich bin heute nicht mit dem Fahrrad gekommen.“

NDR-Moderatorin Heike Götz zu Gast im Gästehaus Bad Bevensen

ein, heute ist sie nicht mit dem Fahrrad, sondern mit elf Teammitgliedern acht bis zehn Tage unterwegs mit dem Auto nach Bad Bevensen gekommen. ist. Dieselbe Zeit dauert dann noch mal die Bearbeitung N Die NDR-Moderatorin, die monatlich in N3 die des Filmmaterials. Die Moderatorin stellt auch ihr neues Sendung „Landpartie“ moderiert, ist zu Gast im Gäste­ Buch „Radtour zwischen den Meeren“ vor. Im Sommer haus Bad Bevensen der Fürst Donnersmarck-Stiftung. hat sie Schleswig-Holstein mit dem Fahrrad erkundet und sich dabei richtig Zeit für Land und Leute genom­ Heike Götz berichtet von ihrer Arbeit beim Fern­ men. Sie sagt, dass es gut ist, sich mal wieder in einer sehen und von den vielen Menschen in Norddeutsch­ Geschwindigkeit fortzubewegen, die dem menschlichen land, die sie bei den Dreharbeiten kennenlernt. Lebhaft Auge angemessen ist. Sie beobachtet genau, was sie am und engagiert erzählt sie den gespannten Zuhörern von Wegesrand sieht, und wenn sie aus ihrem Buch vorliest, den Dreharbeiten zur Fernsehsendung „Landpartie – Im hat man das Gefühl, man sitzt mit auf dem Fahrrad. Norden unterwegs“. Fast alle Gäste kennen die beliebte Moderatorin, die mit ihrem Fahrrad in Norddeutschland Aufmerksam hört Heike Götz dann auch hin, als unterwegs ist und dort Menschen auf dem Lande und Michael Klopp, Leiter des Gästehauses, von der Woche deren Arbeit vorstellt. der „Norddeutschen Landpartie“ im barrierefreien Hotel der Fürst Donnersmarck-Stiftung erzählt. Sie findet es Sie erzählt von Hubert Nickels, einem Mann aus Dith­ interessant, dass die Hausgäste ein abwechslungsreiches marschen, der sich ganz dem Sauerkraut verschrieben Urlaubsprogramm erleben – ob es der Ausflug zu einem hat. Er hat eine kleine Sauerkrautproduktion aufgebaut landwirtschaftlichen Milchviehbetrieb in Uelzen ist, eine und experimentiert mit allem, was der Weißkohl so her­ kulinarische Landpartie mit typisch regionalem Essen gibt. Er stellt eine Sauerkrautsalbe und sogar ein Sauer­ oder die Besichtigung des Klosters in Medingen. Hei­ krautshampoo her.Als Heike Götz davon erzählt, schau­ ke Götz war nun schon zum zweiten Mal im Gäste­ en einige Zuhörer etwas ungläubig und verziehen das haus der Fürst Donnersmarck-Stiftung. Sie ist eine Frau, Gesicht. Sauerkraut im Shampoo ist doch sehr exotisch. die hinhört, für ihr Publikum da ist und sich viel Zeit nimmt, um ihre Bücher zu signieren.Viele Gäste nutzen Die Zuhörerinnen und Zuhörer im Gästehaus sind die Gelegenheit, mit ihr ins Gespräch zu kommen.Wann aufmerksam, wenn Heike Götz von den Dreharbeiten trifft man schon mal einen „Promi“? berichtet, wenn sie erzählt, dass sie für eine Sendung Susanne Schiering 10 STIFTUNG AKTUELL WIR 2/2012–1/2013

Zweiter Bauabschnitt fertiggestellt Neue Räume für das P.A.N. Zentrum feierlich eingeweiht

rst wurde der Schlüssel übergeben und dann – wie Werkstätten besitzen eine g roße Raumhöhe – alles wirkt es gute, alte Tradition ist – den neuen Bewohnern hell, offen, transparent. Prof. Stephan Bamborschke leitet E Brot und Salz geschenkt.Am 18. Januar 2013 wur­ das P.A.N. Zentrum. Er beschreibt dasVorgehen bei der den die Wohnräume für 42 Personen,Trainingswerk ­ Planung des Umbaus: „Wir haben richtige Testreihen stätten sowie Kreativ- und Medienräume im P.A.N. durchgeführt, sodass jetzt wirklich für die Bedürfnisse Zentrum für Post-Akute Neurorehabilitation in Ber­ der Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen und lin-Reinickendorf feierlich eingeweiht. Mit Fertigstel­ im Hinblick auf die Konzepte der Rehabilitation alles lung des zweiten Bauabschnitts ist dem P.A.N. Zentrum getan ist, damit die Architektur dies hilft umzusetzen und ein weiterer Meilenstein auf dem Weg hin zu einem der sogar mit abbildet.“ modernsten Zentren für Post-Akute Neurorehabilitation in Deutschland gelungen. Das P.A.N. Zentrum stärkt den Standort Reinickendorf In seiner Eröffnungsrede erklärte Wolfgang Schrödter, der Geschäftsführer der Fürst Donnersmarck-Stiftung: „Ich Große Unterstützung kam auch vom Bezirk Reini­ bin froh und glücklich, dass wir heute hier stehen, in die­ ckendorf. Der zuständige Bezirksstadtrat für Stadtent­ sem aus meiner Sicht ausgesprochen gelungenen Bauwerk. wicklung, Martin Lambert, betonte, dass das P.A.N. Zen­ Wir wollen mit diesem neuen Zentrum beispielhaft auf­ trum ein wichtiger Bereich in Reinickendorf sei.Auch zeigen, wie Rehabilitation der Zukunft aussieht, welche Uwe Brockhausen, Bezirksstadtrat für Gesundheit in Bedingungen erforderlich sind, um nach schweren Krank­ Reinickendorf, lobte: „Sie können mit Recht sehr stolz heits- und Unfallerlebnissen die einzelnen Menschen hier sein auf das, was bisher geleistet wurde. Sie stehen auch wieder im wahrsten Sinn des Wortes auf die Beine zu noch vor anstrengenden, aufwändigen Aufgaben. Und stellen und sie auf ein neues Leben außerhalb der schüt­ ich bin mir ganz sicher, so wie ich die Fürst Donners­ zenden stationären Mauern vorzubereiten.“ marck-Stiftung kennen gelernt habe, dass diese Arbeit sehr erfolgreich vor allem für die Menschen hier in Rei­ Über 200 Gäste, darunter Mitglieder des Kuratoriums nickendorf auch weiter geleistet wird.“ der Fürst Donnersmarck-Stiftung, der Bezirksbürger­ meister von Reinickendorf Frank Balzer nebst Stadträ­ Die Fürst Donnersmarck-Stiftung hat weitere Ziele. ten,Anwohner und natürlich die Rehabilitanden konn­ Bis 2015 soll ein neues großes Therapiegebäude für das ten sich bei Führungen durch die Räumlichkeiten im P.A.N. Zentrum fertig gestellt sein. Insgesamt werden Rahmen der Eröffnungsfeier persönlich einen Eindruck mehr als 30 Millionen Euro aus Stiftungsmitteln zur Ver­ verschaffen. Die neue Konzeption des P.A.N. Zentrums fügung gestellt. Hinzu kommt eine Qualifizierungsoffen­ zeigt sich nicht nur in baulicher Hinsicht. Sie konzen­ sive im Haus. So sollen neue Wege beschritten werden, triert sich auf die postakute Neurorehabilitation der um das Rehabilitationsangebot weiter zu verbessern. Phasen, die oftmals von kaum kalkulierbarer Länge sein können. „Hier wollen wir als Stiftung mögliche Versor­ Ursula Rebenstorf/ gungsengpässe ausgleichen und innovative Behandlungs­ Klaus Fechner, www.reichweiten.net konzepte verwirklichen“, betont auch Graf Guido Hen­ ckel von Donnersmarck in seinem Grußwort. Machen Sie sich selbst ein Bild! Ein Hörbericht Die Apartments sind modern eingerichtet, es gibt Ein­ und eine Fotostrecke geben einen Überblick: zelzimmer mit eigenem Bad, gemeinsame Wohnzimmer www.fdst.de/1801_panzentrum und einen großzügigen Essbereich. Die therapeutischen 2/2012–1/2013 WIR STIFTUNG AKTUELL 11

Brot und Salz für die Klienten des P.A.N. Zentrums V.l.n.r.: Prof. Dr. Stefan Bamborschke, Elke Stommel, Bezirksbürgermeister Frank Balzer

Schlüsselübergabe an den Hausherrn: Kirsten Parma­ kerli (Architektin) und Prof. Dr. Stefan Bamborschke

Umzug in die neuen Räume 12 STIFTUNG AKTUELL WIR 2/2012–1/2013 Gunter Demnig verlegt Stolpersteine Erst wenn der Name vergessen ist, ist der Mensch vergessen

Gunter Demnig (rechts) bei der Verlegung

m 27. November 2012 versammelten sich rund 60 finanziert, das bei der Beerdigung Personen, um der Verlegung von neun Stolperstei- ihres Mannes anstelle von Blumen gespendet wur- A nen vor dem Haus Gervinusstraße 17 in Berlin- de – ganz nach dem Willen ihres verstorbenen Mannes. Charlottenburg beizuwohnen. Gunter Demnig, der gei- stige Vater des Projekts, verlegte die Steine eigenhändig Initiator der Aktion Stolpersteine ist der in Berlin gebo- im Rahmen einer kleinen Feierstunde, bei der an die rene Künstler Gunter Demnig. Sein Projekt eines dezen- neun ehemaligen, von den Nationalsozialisten ermor- tralen Denkmals, das die Erinnerung an die Ermordeten deten Bewohner des Hauses erinnert wurde. zu jenen Orten zurückbringt, wo sie zuletzt freiwillig gelebt hatten, hat schon zu über 35.000 Stolpersteinen in Frank Siebold von der Initiative Stolpersteine Charlot- Deutschland und im europäischen Ausland geführt. „Ein tenburg-Wilmersdorf berichtete kurz aus dem Leben der Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, Menschen, die einst in der Straße wohnten. Zwei Jungen so Demnig. Sein Projekt halte die „Erinnerung an die sangen ein hebräisches Lied und Heide Steinbeck entzün- Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, dete die Kerzen in einem siebenarmigen Leuchter neben der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen den neun Erinnerungssteinen, mit denen die Namen der Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus Ermordeten wieder lebendig wurden. lebendig“. Thomas Golka Die Witwe von Dietrich Steinbeck lud die Teilnehmer der Aktion zu Kaffee und Kuchen in den Eingang des Hauses an der Gervinusstraße 17, das der Fürst Donners- Fotos bei www.fdst.de/demnig marck-Stiftung gehört. Sie hatte die Aktion mit dem Geld 2/2012–1/2013 WIR STIFTUNG AKTUELL 13 Neujahrsempfang in neuen Räumen Ambulanter Pflegedienst ist umgezogen

m 8. Januar 2013 lud der vergangenen Jahren die Grundla- Ambulante Dienst der Fürst ge dafür geschaffen, dass wir heu- Ambulanter Pflegedienst A Donnersmarck-Stiftung (AD) te nicht ohne Stolz auf einen der der Fürst Donnersmarck-Stiftung zu einem Neujahrsempfang in sei- größten Dienste in Berlin schau- Oraniendamm 10–6 ne neuen Räume an der Nord- en können, der sich ganz spezi- Aufgang A meile, in zentraler Position zwi- fisch auf Menschen mit Behin- 13469 Berlin schen Frohnau, Märkischem Viertel derung konzentriert hat und hier Telefon: 0 30 - 40 60 58-0 und Reinickendorfer City. Pflege- auch über spezifisches Know- Telefax: 0 30 - 40 60 58-25 dienstleiter Andreas Seitz begrüßte how verfügt.“ Diese besondere die rund 50 Gäste auch im Namen Pflegekompetenz habe das Woh- seiner rund 60 Mitarbeiter und nen mit Intensivbetreuung mög- Fotostrecke von der hieß besonders den Stadtrat für lich gemacht. „Erst kompetente Eröffnungsfeier: Wirtschaft, Gesundheit und Bür- und funktionierende professio- gerdienste, Uwe Brockhausen, nelle Pflegeleistungen ermögli- www.fdst.de/ad-nordmeile sowie die Bezirksbehindertenbe- chen Normalität und Inklusion auftragte Claudia Meier willkom- von Menschen mit Behinderung.“ men. Er stellte zudem das Leitungs- team des AD vor, der zum Stichtag In weiteren Gruß- 31. Dezember 2012 insgesamt 114 worten dankte Stadt- Klienten dauerhaft versorgt und bei rat Brockhausen für weiteren rund 40 Klienten Bera- die Einladung, die er tungseinsätze durchführt. sehr gerne angenom- men habe. Denn ihm Wolfgang Schrödter, Geschäfts- als Reinickendorfer sei führer der Stiftung, bedankte sich sehr wohl bewusst, was V.l.n.r.: Natalja Belinder, Andreas Seitz, bei den Gästen und den Mitarbei- die Stiftung im Bezirk Elke Stommel, Uwe Brockhausen, terinnen und Mitarbeitern des AD alles leistet. Claudia Meier, Wolfgang Schrödter ganz herzlich: „Sie haben in den Thomas Golka

Großzügige Räumlichkeiten am Oraniendamm 10 14 TITEL WIR 2/2012–1/2013

Leben im Sozialraum ERFAHRUNGEN, BEGEGNUNGEN, PERSPEKTIVEN

as ist Sozialraum? Meine Nach- Orte, sondern auch die Beziehung, die der barschaft, Orte, an denen ich mich Einzelne darin pflegt, zu verstehen.“ In der W gerne aufhalte und wo ich anderen WIR-Redaktion haben wir versucht, uns Menschen begegne? Jeder Mensch beant- eine Vorstellung von unseren Sozialräumen wortet diese Fragen anders. Vorlieben, Akti- zu machen. Auf einem Berliner Stadtplan vitäten, allein die Entscheidung darüber, wo haben wir die Orte, an denen wir uns per- ich lebe, bestimmen und gestalten meinen sönlich gerne aufhalten, farblich gekenn- Sozialraum. Kirsten Bielefeld, Leiterin des zeichnet und festgestellt: Manche Bezirke Ambulant-Betreuten Wohnens der Fürst sind gemeinsame Lieblingsorte, die Vil- Donnersmarck-Stiftung, beschreibt Sozial- la Donnersmarck, in der wir uns u.a. zu raum so: „Jedes Individuum ist Akteur im unseren Redaktionssitzungen treffen, ist sozialen Raum. Darunter sind nicht nur ein gemeinsamer Sozialraum. Hier finden 2/2012–1/2013 WIR TITEL 15

Begegnung und Austausch statt. Doch wie Gästen aus Tempelhof-Schöneberg und Pan- sieht es vor unserer Haustür aus, wie begeg- kow, den wir Ihnen in unserem Themenbe- nen mir Menschen in meinem Umfeld, wie reich vorstellen. Doch nützen Aspekte der eingebunden fühle ich mich? Barrierefreiheit wenig, wenn Geschäftsin- haber die Gehwege mit Auslagen vollstel- Mein Sozialraum ist der Ort meines len, sodass mit dem Rollstuhl kein Durch- Seins, meines Lebens kommen ist. Auch können Menschen mit Behinderung sich ihren Wohnort nicht Ein Fussballfan wird das Stadion seiner immer frei wählen. So berichten wir bei- Lieblingsmannschaft als Teil seines Sozialraums spielhaft von Menschen, die in anonymen aufzählen, Eltern von kleinen Kindern eher Hochhaussiedlungen, wo das einzige Café Wir haben den Spielplatz um die Ecke. Jeder Mensch ausgerechnet der Stammplatz der Hells hat seine eigenen Sozialräume, er kann sich Angels ist, mit ihrem Wunsch nach einem versucht, uns darin geborgen fühlen oder einsam. Auf den lebenswerten Sozialraum scheitern. folgenden Seiten stellen wir Menschen mit eine Vorstellung Behinderung als Akteure ihres Sozialraums Die Fürst Donnersmarck-Stiftung begleitet von unseren vor. Sie erzählen, was sie benötigen, um ihre Menschen mit Behinderung bei der Gestal- Sozialräume als ein Stück Alltag zu erleben, tung ihres Sozialraumes. Die unterschied- Sozialräumen wo sie sich willkommen fühlen. lichen Ergebnisse haben wir hier zusam- mengetragen. Wir bieten keine theoretischen zu machen. Die Voraussetzungen für einen inklu- Definitionen und können keine Anleitungen siven Sozialraum als einen barrierefreien für gelungene Sozialraumarbeit geben. Dafür Lebensraum schaffen Bund, Länder und ist der Prozess zu jung und die individuelle Kommunen. Seit 2011 gibt es nationale Sozialraumarbeit zu vielschichtig. WIR laden Aktionspläne, um gemäß der UN-Behinder- Sie ein, Sozialräume von Menschen mit tenrechtskonvention Inklusions- und Teil- Behinderung zu entdecken und mit ihnen habepläne zu initiieren. Hier sollen Ange- darüber unter dem Aspekt zu diskutieren: bote für Menschen mit unterschiedlichsten Mein Sozialraum und Dein Sozialraum wird Bedürfnissen inklusiv ausgerichtet wer- ein gemeinsamer durch Begegnung, Kontakt den. Best-Practice-Beispiele zeigte der Jour und Kommunikation. Fixe der Fürst Donnersmarck-Stiftung mit Ursula Rebenstorf 16 TITEL WIR 2/2012–1/2013

Hier starte ich zusam­ men mit Helga Hofinger meine kleine Tour.

Ich heiße Michael Streich und wohne seit 21 Jahren in einer Wohngemeinschaft im Tempelhofer Kaiser­ korso. Ich möchte euch gerne meinen Kiez vor­ stellen. Denn hier bin ich zu Hause und fühle mich wohl.

Mein Kiez!

Unser Haus ist altehrwürdig. Das Warten auf den Fahrstuhl kann da schon mal etwas länger dauern. 2/2012–1/2013 WIR TITEL 17

Zwei Häuser weiter hat der Geigenbauer seine Werkstatt.

Unten treffe ich meine Nach­ barin und ihre Kinder. Ich freue mich, dass so nette Leute in unserem Haus wohnen.

Für ein Schwätzchen nimmt Leider halten sich viele kleine er sich immer mal Zeit ... Läden in unserem Kiez nicht lange.

Von Sonntag bis Don­ nerstag kauf ich mir hier Von wegen barrierefrei! Aber mit meine zwei Schrippen dem Rollator schaffe ich das. für die Arbeit. 18 TITEL WIR 2/2012–1/2013

Und wieder – Stufen!

Die Frisörin meines Vertrauens finde ich gleich um die Ecke.

Frau Marianne hat so ein son­ niges Gemüt. Sie ist die Chefin der Drogerie, kennt mich und Sie ist nicht nur zu weiß, was ich brauche. Menschen freundlich.

In der Apotheke bin ich Schon wieder auch Stammkunde … eine Stufe!

Aber die Chefin Weiter ist nett! geht‘s ... 2/2012–1/2013 WIR TITEL 19

Lecker! Ich liebe Senf ...

Ich mache Halt in meiner Stammkneipe, brauche eine kleine Stärkung.

Aber in Zukunft muss ich meineWürstchen woanders Oft gönne ich mir hier noch ein genießen. Meine Stammkneipe macht bald dicht. Eis, aber heute bin ich satt.

Und nun wieder Hoch geht’s mit ab nach Hause. dem Treppenlift.

Und tschüss!

Weiter Home, Fotos: geht‘s ... sweet home … Helga Hofinger 20 TITEL WIR 2/2012–1/2013 Mit dem Rolli durch Neukölln

Harry Winter

Wolfgang Kröpsch (sitzend) zusammen mit Harry Winter

Seit vielen Jahren, die wir hier als Rollstuhl­ fahrer wohnen, sind wir in unserem Kiez Weichselstraße/Son­ nenallee im Bezirk Neu­ kölln bekannt. Für mei­ ne Fotostory ist meine Betreuerin Irene See­ mann zusammen mit meinem Mitbewohner Harry Winter für mich auf Tour gegangen. Ich selber konnte aufgrund der skandinavischen Wetterverhältnisse mit meinem E-Rolli nicht raus, wollte mich aber unbedingt mich an dem Thema Sozialraum in meinem Kiez mit einem Beitrag beteiligen. 2/2012–1/2013 WIR TITEL 21

Die kleinen Geschäfte in der Neu- köllner Weserstraße haben alle Stufen.

Vollgestellte Gehwege in der Weichselstraße

leich bei mir um die Ecke in der Weserstraße rufen. Nach deren Aufforderung wird dann zwar alles (Bezirk Neukölln A.d.R.) befindet sich ein Spät­ etwas beiseite gestellt, aber am nächsten Tag ist es wie­ G kauf. Dieser hat zwar einige Stufen, aber der Ver­ der dasselbe Spiel. käufer kommt heraus und fragt mich, was ich kaufen möchte. Das gleiche gilt auch für ein kleines, neues Der Supermarkt, der sich an der Weichselstraße befin­ Alternativ-Café in der Weichsel-/Ecke Ossastraße. Zwar det, ist zwar ebenerdig, aber durch die engen Gänge und hat der Eingangsbereich eine kleine Rampe, der jedoch das Drehkreuz ist er für Rollstuhlfahrer schlecht geeignet. nur von einem kleinen Rollstuhl genutzt werden kann. Vor kurzem wurde am Rathaus Neukölln eine Rampe für Die Betreiber sind sehr hilfsbereit und man kann im Rollstuhlfahrer gebaut. Der neu erbaute Bioladen an der Sommer draußen sitzen. Problematisch hingegen ist der Weichselstraße hat ebenfalls eine breite Rampe und auch An- und Verkaufsladen in der Weichselstraße: Im Winter im Innenbereich ist genügend Platz vorhanden.Alles in komme ich gut durch, aber im Sommer ist der Geh­ allem fängt der Kiez Neukölln langsam an, sich in Sachen weg dermaßen zugestellt, dass es sehr eng wird. Deswe­ Barrierefreiheit positiv zu verändern. gen mussten wir schon einige Male das Ordnungsamt Wo l f g a n g K r ö p s c h 22 TITEL WIR 2/2012–1/2013

Der Arbeitsweg als Sozialraum 2/2012–1/2013 WIR TITEL 23

ein Sozialraum ist mehr als nur ein Mein Weg zur Arbeit lädt mich besonders Ort – er ist der Raum, wo Begeg­ zum Nachdenken ein, hier durchquere ich M nungen, Erfahrungen, Wahrneh­ verschiedene Sozialräume. Ich verlasse mei­ mungen, soziale Kontakte und Austausch nen privaten Raum, meine Nachbarschaft stattfinden. Hier kann ich die Dinge kaufen, und fahre mit der U-Bahn – einem ganz die ich zum Leben benötige und darüber besonderen Sozialraum.Auf engstem Raum hinaus wichtig finde. Er ist die Basis für mein treffen die Menschen aufeinander, ohne Leben und Erleben. Meine lebensgeschicht­ wirklich etwas miteinander zu tun haben zu lichen Erfahrungen prägen meine Sicht auf wollen. Gemeinsam wichtig sind ihnen nur „Mein Weg meinen Sozialraum. Meinen Sozialraum teile die Fahrtrichtung der U-Bahn und der Ver­ zur Arbeit ich einerseits mit anderen Menschen und such, sich Abstand zu seinen mitfahrenden andererseits ist er doch ganz persönlich und Nachbarn zu verschaffen oder sich abzukap­ lädt mich zum durch die Bedeutung, die ich den einzelnen seln. Nach Erreichen des Zielbahnhofs wähle Aspekten gebe, auch einzigartig und wider­ ich bewusst den weiteren Weg aus, denn in Nachdenken sprüchlich. Zum Sozialraum gehören sowohl dieser Straße sind Bäume, grüne Vorgärten ganz reale Orte als auch soziale Beziehungen. mit Blumen und dieVögel singen – ein guter ein.“ Diese sozialen Beziehungen müssen gestal­ Anfang für einen Arbeitstag. tet, gelebt, genährt werden. Überall dort, wo ich auf einen Menschen treffe, in dessen Und ich begegne hier zwei Stolperstei­ Gegenwart ich mich wohlfühle, dessen Blick nen – Gedenksteine für die Mutter und die Freude und Wertschätzung ausdrückt, wo ein Schwester von Fritz Perls, dem Begründer gegenseitiges Verstehen über kulturelle Gren­ der Gestalttherapie. Hier haben Elisabeth zen hinaus möglich ist, überall dort, wo ich ohne Angst sein kann, lebe ich gern, da ich Ver trautheit und Zugehör igkeit erf ahre.

Mit der U-Bahn zur Arbeit. Illustrationen: Doris Brandt 24 TITEL WIR 2/2012–1/2013

und Amalie Perls gelebt, bis sie aus ihrer ist, dass sich im Kontakt zwischen einem Wohnung geholt und zum Bahnhof Gr u­ Individuum mit seiner Umwelt das Leben newald verbracht wurden.Von dort ging ihr abspielt und dass wir im permanenten Aus­ letzter Weg nach Theresienstadt und weiter tausch mit unserer Umwelt stehen. Meine nach Auschwitz. Sie haben nicht überlebt. Bewusstheit und meine Wahrnehmung sind von diesen Grundgedanken geprägt, den Zunächst war ich sehr traurig und irri­ Fritz Perls gemeinsam mit anderen in der tiert, dann nahm ich eine Verbundenheit Theorie zur Gestalttherapie sichtbar und wahr, die über diesen Ort hinausgeht. Denn begreifbar gemacht hat. in der Auseinandersetzung mit meinem Sozi­ alraum wurde mir bewusst, wie sehr mei­ So ist die Resonanz, die dieser Ort in ne Sichtweise auf den Sozialraum durch mir auslöst, eine Verbundenheit mit Men­ die Theorie der Gestalttherapie geprägt ist. schen, die ich nicht kannte, die mich aber Eine ihrer wesentlichen Grundauffassungen durch ihr Schicksal und durch ihr Wirken in meinem (Geworden)-Sein beeinflusst haben. Ihre Erfahrung, dass der Sozialraum syste­ matisch eingeengt und bedroht wird, über­ steigt meine Vorstellungskraft.Wie die bei­ den bis 1942 in diesem so klein geworden Sozialraum leben und überleben konnten, entzieht sich meiner Kenntnis; ich stelle es mir sehr beklemmend vor. Der Überlebende Fritz Perls konnte sich zusammen mit seiner Frau durch rechtzeitige Flucht in Sicherheit bringen – ihre vielfältige Arbeit zum Thema Kontakt mit der Umwelt ist ihnen fortan ein Hauptanliegen gewesen. „Der Sozial­ Der Sozialraum ist nicht einfach vorhan­ den, er wird durch jeden mitgestaltet und raum wird verändert sich ständig. So kann ein vertrauter Sozialraum im positiven Sinn für den eige­ durch jeden mit­ nen Lebensraum einen stabilisierenden Ein­ fluss haben, er bietet vielfältige soziale und gestaltet.“ kulturelle Möglichkeiten, er lebt durch unser aktives Interesse und Achtsamkeit und die Anerkennung der Vielfältigkeit mensch­ licher Existenz. Bedeutungsvoll ist auch die Fähigkeit der Menschen, über den realen Ort hinaus durch vielfältige Kommunikations­ wege soziale Räume zu gestalten. Eine posi­ tive Begegnung in der Ich-Du-Beziehung ist von größter Bedeutung und durch nichts zu ersetzen. So freue ich mich, wenn ich die Tür zu meiner Arbeitsstelle aufmache – hier im Büro treffe ich auf ein gutes Miteinander und meine Arbeit bietet mir eine Fülle posi­ tiver Kontakte mit den Mitmenschen.

Doris Brandt 2/2012–1/2013 WIR TITEL 25

GESTATTEN? MEIN KIEZ! Berichten Sie über Ihren Sozialraum und gewinnen Sie ein Wochenende für zwei Personen im HausRheinsberg

Ob der eigene Kiez oder ein Ort, wo Sie gerne sind – unter dem Motto „Mittendrin, so wie ich bin“ suchen WIR Ihre Reportage. Erlaubt ist alles, was Sie in Fotos, Videos oder auf dem Papier über Ihren Sozialraum erzählen möchten. Schicken Sie Ihren Beitrag an [email protected] und gewinnen Sie einen Wochenendausflug nach Rheinsberg in das barrierefreie Hotel am See. WIR veröffentlichen Ihren Beitrag in unserer nächsten Ausgabe.

Einsendesschluss: 30. Mai 2013 26 TITEL WIR 2/2012–1/2013

Maik Schümann mit Julia Baumgart vor seiner Haustür 2/2012–1/2013 WIR TITEL 27

Ich will weg aus der Platte Wohnungssuche mit Behinderung

ohnst du noch oder lebst du schon?“ So lau­ Als der Kontakt zu seiner Familie sich verschlechtert, tet der Slogan des Möbelriesen in der Nähe steht die Entscheidung fest: „Ich möchte gerne wie­ W von Maik Schümanns Wohnung in Berlin- der im Altbau wohnen, am liebsten in Köpenick oder Hohenschönhausen. Er lebt in einer Zwei-Zimmer- Friedrichhain, wo es nette Cafés und Leben auf der Wohnung in einer typischen Ostberliner Platte, wo man Straße gibt“, sagt Maik Schümann. Zusammen mit viel Geduld für das Finden des richtigen Klingelschilds Julia Baumgart begibt er sich auf Wohnungssuche und braucht, wo vor dem Haus der Verkehr braust und rings­ stellt fest: Nur mit Grundsicherung lässt sich keine herum weitere Plattenbauten stehen, so weit das Auge bezahlbare, barrierefreie und ruhige Altbauwohnung reicht. Das zitierte Möbelhaus hat sich auf dieses Umfeld in Köpenick oder Friedrichshain finden. Seit mittler­ perfekt eingestellt: Möbel mit viel Stauraum und bereits weile zwei Jahren durchforsten die beiden Wohnungs­ zugeschnittene Auslegware für die identischen Grund­ anzeigen, sprechen mit Wohnungsbaugesellschaften und risse der Plattenbauwohnungen. besichtigen Woche für Woche Wohnungen. „Jedes Mal, wenn ich vor einer neuen Wohnung stehe, denke ich, 2005 zog Maik Schühmann vom Fürst Donnersmarck- heute muss es endlich klappen“, erzählt Maik Schür­ Haus hierher. Sein Bruder hat ihm die Wohnung besorgt, mann. wo er in der Nähe der Familie selbstständig in seinen eigenen vier Wänden leben kann. Mit Unterstützung des Doch bislang war die Suche erfolglos. Kaum hören Ambulant-Betreuten Wohnens der Fürst Donnersmarck- Ver mieter, dass Maik Schümann aufg r und seiner Behin­ Stiftung und seiner Familie richtete sich Maik Schümann derung betreut wird, sagen sie ihm ab. Zusammen mit häuslich ein und erkundete die Gegend. Julia Baumgart formuliert Maik Schürmann eine schrift­ liche Bewerbung. Dort erzählt er, warum er behindert Doch schon bald stellte er fest, wie schwierig sich die ist und in eine neue Wohnung ziehen möchte. „Wir Kontaktaufnahme gestaltet in einem Umfeld, wo viele hoffen, dass wir einen Vermieter finden, der sich über­ Menschen auf engsten Raum anonym nebeneinan­ zeugen lässt, dass er in meinem Klienten trotz Sprach­ derher leben. „Hier gegenüber gibt es nur ein unge­ problemen einen zuverlässigen und angenehmen Mie­ mütliches Einkaufscenter“, ter finden wird“, erklärt erzählt er. Hinzu kom­ Julia Baumgart die Idee. men Sprachbarrieren, da „Wohnst du noch, oder Maik Schümann seit seiner lebst du schon?“ Schü­ Erkrankung nur mühsam mann versucht, das Beste sprechen kann. Mit Hil­ aus seiner Situation zu fe seiner Betreuerin Julia machen. So freut er sich Baumgart, die ihn zwei­ auf die Renovierung, die mal pro Woche besucht, seine Wohnungsbaugesell­ lernt er selbstständig zu schaft ihm in Kürze für den Orten zu fahren, an seine Wohnung angeboten denen er früher gelebt hat. Schließlich wohnt er und sich wohlgefühlt hat. hier, auch wenn sich sein So geht er im Treptower Leben woanders abspielt. Park spazieren oder trinkt Kaffee in Friedrichshain. Ursula Rebenstorf

Eine ausführliche Bewerbungsmappe für den ersehnten Mietvertrag 28 TITEL WIR 2/2012–1/2013

Kirsten Heil (Dritte v. l.) bei einer gemütlichen Leserunde in der Cafeteria des Fürst Donnersmarck-Hauses Sozialraum Cafeteria

Kirsten Heil über ein Name ist Kirsten Heil, ich bin Arbeitsjahre plus Ausbildung geschafft.Aber Kontaktmöglich­ 45 Jahre alt, und bis Mai 2011 war aufgrund einer Krebserkrankung konnte keiten im Sozial­ M ich noch berufstätig. Seit Juni 2011 ich die letzten Jahre nur noch in Teilzeit raum. bin ich nun wegen voller Erwerbsminde­ arbeiten und somit fällt die Erwerbsmin- rung in Rente. Meine Grunderkrankung derungs-Rente klein aus. Ich genieße es, ist Spina Bifida, im Volksmund Offener bei schönem Wetter in Frohnau spazieren Rücken mit Wasserkopf genannt. Ich woh­ zu gehen, setze mich auch mal in ein Cafe, ne in der Invalidensiedlung, bin dort hin­ merke aber schnell, dass nicht viel drin ist gezogen, weil ich schon im Kindesalter in – einfach zu teuer! Ich möchte einfach mal Frohnau gelebt habe – genauer gesagt im dort sitzen, die Menschen beobachten, ins Fürst Donnersmarck-Haus. Gespräch kommen. Soweit so gut – aber Essen und Trinken ist einfach zu teuer. Mit Jetzt, wo ich viel Zeit habe, muss ich mir der kleinen Rente nicht machbar, bis auf überlegen, was ich den ganzen Tag mache. höchstens ein- bis zweimal im Monat. Bis auf die üblichen Dinge im Haushalt wie Wäsche, Saugen, Putzen etc. brauche Dann traf ich irgendwann mal Leute aus ich auch soziale Kontakte. Schwierig, wo der Wohnanlage Markgrafen/Zeltinger der Kontakt zu den ehemaligen Kollegen Straße – alle Rollstuhlfahrer.Wir kamen immer mehr verblasst. Sie arbeiten, haben ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass wenig Zeit – ich arbeite nicht, habe viel sie sich dreimal die Woche zum Spielenach­ Zeit. Ja, und dann ist da noch die Rente, die mittag treffen. Eine tolle Sache, dachte ich nicht wirklich hoch ist; habe ich doch 20 und gehe nun regelmäßig dort hin. Freue 2/2012–1/2013 WIR TITEL 29

mich über Gesellschaft, gute Gespräche und Aber wie immer hinkommen, wenn die­ das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Durch se eher im Zentrum von Berlin sind. Dann die Gruppe erfuhr ich auch vom Lesekreis, müssen Rollstuhlfahrer Geld für den Telebus der montags im Fürst Donnersmarck-Haus bezahlen, das wegen der niedrigen Erwerbs­ in der Cafeteria stattfindet. Gern habe ich minderungs-Renten oft knapp ist. mich überreden lassen, da mal vorbeizu­ schauen. Seither nehme ich auch diese Art Wie wäre es mit einem Stammtisch? der Freizeitgestaltung gern in Anspruch. Ich bin immer etwas früher da, nutze die Wie wäre es, wenn man einen Stammtisch Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch mit einrichtet? Ich kenne das von der Lebenshil­ den Bewohnern des Fürst Donnersmarck- fe. Dort gibt es jemanden, der das im Ehren­ Hauses und kann mir hier auch ein Stück amt macht. Er trifft sich einmal im Monat Kuchen leisten und was zu Trinken. mit behinderten Menschen in einer Loka­ lität. Spielt dort mit den Leuten Bingo.Als Wohin sonst – in die Seniorenclubs? Preis gibt es ein Freigetränk. Seine Getränke gehen auf die Rechnung der Lebenshilfe. Im Nebenraum der Cafeteria genieße ich Ich würde bei der Umsetzung behilflich sein die ruhige Atmosphäre, das entspannte Vor­ und den Stammtisch auch gern durchfüh­ lesen und Zuhören beim Lesekreis. Gudrun ren, sollten dafür Mittel zurVerfügung ste­ und Helmut, die jede Woche im Ehrenamt hen.Vielleicht ist das auch durch das Fürst mit uns gemeinsam lesen, sind immer gut Donnersmarck-Haus möglich? „Der Austausch vorbereitet.Teilnehmer, denen das Lesen schwerfällt, haben die Möglichkeit, hier Inklusion funktioniert, wenn man genü­ mit Betroffenen zu üben und es gab, wie man mir berich­ gend Geld hat. Der Austausch mit Betrof­ ist wichtig.“ tet, bereits große Erfolge beim einen oder fenen ist wichtig, den finde ich in der Cafe­ anderen. Eine tolle Sache! Es ist einfach teria des Fürst Donnersmarck-Hauses und in schön, wenn wir gemeinsam über lustige der Wohnanlage Markgrafenstraße. Ich hoffe, Geschichten lachen oder diskutieren und diese Freizeitmöglichkeiten noch lange für analysieren können. Gerade sind wir dabei, mich nutzen zu können! zwei Stücke einzuproben, die wir auf der Kirsten Heil diesjährigen Weihnachtsfeier des Fürst Don­ nersmarck-Hauses vorspielen wollen.

Dann ist da noch die Handarbeitsgrup­ pe, die sich immer mittwochs trifft. Frau Rusch, die mich schon als kleines Kind kannte und mit deren Tochter Mechthild ich früher gespielt habe, hat sich riesig gefreut, als sie mich letztens mal wieder­ gesehen hat. Sie lud mich auch gleich ein, mir mittwochs die Handarbeitsgruppe mal anzuschauen. Ich wäre sehr traurig, wenn diese Möglichkeiten für mich wegfallen würden. Sicherlich kommen auch Men­ schen mit Behinderungen von außerhalb, aber nicht zu vergessen: Es handelt sich hier um ehemalige Bewohner des Fürst Don­ nersmarck-Hauses.

Wohin sonst – in die Seniorenclubs? Wo niemand in unserem Alter ist. Nein danke! Es gibt sicherlich viele Einrichtungen, die Freizeitaktivitäten für Behinderte anbieten. Kirsten Heil vor ihrer Erkrankung 30 TITEL WIR 2/2012–1/2013

Teilhabe beginnt am besten im Bezirk Jour Fixe zum Thema „Nachbarschaft inklusive“

er letzte Jour Fixe 2012 in derVilla Donnersmarck Der runde Tisch, ein Netzwerk von Akteuren aus dem am 28. November 2012 endete mit einem klaren Bezirk, setzt sich aus ganz verschiedenen Bereichen wie D Votum: Inklusion kann Spaß machen, wenn enga­ Schulen, Sportvereinen, Jugendhilfe oder Betrieben gierte Menschen mit und ohne Behinderung gute Ideen zusammen. Das Besondere dabei: Zielgruppe sind Men­ in ihrem Kiez umsetzen. Das bewiesen eindrucksvoll die schen mit Lernschwierigkeiten oder geistigen Beein­ Ver treter innen zweier Projekte aus Tempelhof-Schöne­ trächtigungen. „Eine wichtige Aufgabe des Runden berg und aus Pankow.Der „RundeTisch Inklusion jetzt“ Tisches ist es, die unterschiedlichen Fachangebote oder inTempelhof-Schöneberg mit inklusiven Freizeitkursen Fachkompetenzen aus nichtbehinderten Feldern mit sowie das Stadtteilzentrum Pankow mit einem „Kiezat­ der Betroffenenkompetenz der Menschen mit geistigen las“, basierend auf dem Expertenwissen von Menschen Beeinträchtigungen oder auch deren Familienangehö­ mit Lernschwierigkeiten, wurden einem bunt gemischten rigen zusammenzubringen“, erklärt Franziska Schnei­ Publikum vorgestellt. der, die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen in

Franziska Schneider und Sean Bussenius 2/2012–1/2013 WIR TITEL 31

Tempelhof-Schöneberg:Alle sechs Wochen treffen sich Projekt teilzunehmen“, beschreibtWacker die Idee und die Teilnehmer und besprechen Themen wie Arbeit oder die ersten Schritte, die vom Pankower Stadtteilzentrum Wohnen. Die Ergebnisse werden an die Verwaltung wei­ ausgingen. JederTeilnehmer sollte drei Lieblingsorte in tergeleitet. Pankow mitbringen. Die Orte wurden besichtigt, foto­ grafiert und es wurden Fragebögen ausgefüllt. Sind die Im gleichen Bezirk befindet sich die ufa-Fabrik, ein Eingänge rollstuhlgerecht?Wie ist die Beschriftung?Wie internationales Kulturzentrum. Es beinhaltet auch ein sind die Eintrittspreise? Heraus kam ein Buch mit Fotos Nachbarschaftszentrum, in dem viele Kurse zu vielfäl­ und Infos auf rund 50 Seiten, verfasst in einfacher Sprache. tigen Themen angeboten werden. „Dann kam es zu der Ein Wegweiser für alle, die den Bezirk erkunden wollen. Überlegung, ob diese Kurse auch wirklich für alle offen sind“, schildert Renate Wilkening von der ufa-Fabrik „Gut, dass es diese Projekte gibt“, meint Renate Wilke­ die Entstehung des Projekts „Tempelhof inklusiv“. Dazu ning von der ufa-Fabrik, doch das reiche nicht. Es seien wurden drei Kurse ausgewählt, die speziell Menschen nur Impulse, jetzt müssen auch bezirksweit die Mög­ mit Lernschwierigkeiten ansprechen sollten:Aikido,Yoga lichkeiten dafür geschaffen werden, dass die Arbeit wei­ und Free Dance. tergehen kann. Klaus Fechner, reichweiten.net/ Ein weiteres gelungenes Beispiel für inklusives Mitei­ Ursula Rebenstorf nander ist der Kiezatlas „Pankower Lieblingsorte“. Koor­ diniert wurde das Projekt von der Sozialpädagogin und Kulturmanagerin BarbaraWacker. „Hier wohnen viele Podcast unter: www.fdst.de/teilhabe-im-bezirk Menschen mit einer Lernbehinderung, wir haben in den Wohngruppen herumgefragt, wer Lust hätte, an einem

V.l.n.r. Renate Wilkening, Franziska Schneider, Sean Bussenius,Andrea Kuhn, Doris Grund, Barbara Wacker 32 TITEL WIR 2/2012–1/2013

Kirsten Bielefeld (rechts) im Gespräch mit der WIR-Redaktion

„Es geht nicht mehr nur um Teilhabe!“

Kirsten Bielefeld, Das Ambulant Betreute Wohnen der Fürst Sozialraum ist eine wichtige Ressource Leiterin des Ambu­ Donnersmarck-Stiftung strukturiert seine für den Klienten. Dabei sieht der jeweilige lant Betreuten Arbeit mit Klienten sozialräumlich um.Was Sozialraum für jeden Klienten mit seinen Wohnens der Fürst verändert sich dadurch? verschiedenen Bedürfnissen sehr unter­ Donnersmarck- Die ambulante Bewegung Ende der 70er schiedlich aus. Seine Orientierung hin zum Stiftung, über das Jahre fing bereits mit der Idee an, dass Teil­ Sozialraum ermöglicht ihm Begegnung und veränderte Selbst­ habe nur in der gesellschaftlichen Umge­ Beziehung zu anderen Menschen. Dadurch verständnis in der bung stattfinden kann und es hieß „Rein gewinnt der Klient Einfluss auf die Ressour­ Behindertenhilfe in den Kiez“. Dabei begegneten wir dem cen seiner Region. Raul Krauthausen hat durch Sozialraum­ Unterstützungsbedarf der Klienten mit gesagt, die Menschen haben ein Recht auf orientierung eigenen Angeboten. Wir mieteten eine Begegnung mit behinderten Menschen. Ich Wohnung für die Klienten, die Betreuer bin davon überzeugt, dass Nachbarschafts­ kamen und halfen, z. B. beim Kochen, Ein­ zentren, Kirchengemeinden, politische Par­ kaufen oder bei der Freizeitgestaltung. Der teien, genauso wie Einkaufsläden, Cafes oder 2/2012–1/2013 WIR TITEL 33

Bars davon profitieren, wenn Menschen mache nicht etwas anderes, sondern ich mit Behinderung sich darin aufhalten, sich mache es anders“. Mir gefällt dabei, dass beteiligen und Spaß haben wollen.Teilnah ­ jede neue Idee der Mitarbeiter das System me und Teilhabe der Menschen mit Behin­ in Bewegung bringt. Das ist ein fruchtbarer derung im eigenen Umfeld bereichern das und interessanter Prozess auch für die Orga­ gesellschaftliche Miteinander. nisation.

Was geschieht mit Klienten, die Beziehungen Gibt es Best-Practice-Beispiele? in ihrem Sozialraum gar nicht suchen, son- Ich kenne Beispiele für Sozialraumarbeit dern lieber alleine zu Hause vor dem Fernse­ aus England, Schweden, Italien und den Nie­ her sitzen möchten? derlanden. Der sozialräumliche Ansatz ist in Wenn sich daraus kein Problem erg ibt, diesen Ländern, die eine andere Sozialver­ muss niemand aktiv werden. Es gibt Men­ sicherungsstruktur haben, länger bekannt. schen, die glücklich sind, alleine zu sein und Ein Projekt aus dem italienischen Trento Gründe haben, nur vor dem Fernseher zu hat mich begeistert. Dort hat der Leiter des sitzen. Problematisch wird es, wenn dieser Gesundheitsdienstes eine Expertengruppe Mensch sich nicht mehr alleine versorgt, initiiert, in der Menschen mit Psychiatrieer­ z. B. nicht mehr einkaufen geht.Was dann fahrungen, deren Angehörige und ehrenamt- Hilfebedarf und was persönliche Freiheit ist, lich aktive Bürger mit der gleichen plane­ muss sorgfältig abgewogen und oft verhan­ rischen Beteiligung wie Ärzte, Sozialarbeiter delt werden. Hier ist viel Arbeit, Feinfüh­ und Pfleger das Sozialsystem in Trento wei­ „Raul Krauthau­ ligkeit und professionelles Wissen unserer terentwickelten. Es geht nicht mehr nur um sen hat gesagt, Mitarbeiter erforderlich, um gemeinsam mit Teilhabe, sondern um Teilnahme. Das ist dem Menschen herauszufinden, was er oder ein wesentlicher Aspekt sozialräumlichen die Menschen sie an Unterstützung braucht. Denkens. haben ein Recht Zum Sozialraum gibt es verschiedene Theo- Wa s g e w i n n t d e r K l i e n t m i t B e h i n d e r u n g auf Begegnung rien.Wie haben Sie den roten Faden für Ihren durch Sozialraumarbeit? Bereich gefunden? In unserer Unterstützungsarbeit steht die mit behinderten Wir sind seit 2009 an dem Thema dran. Suche des Klienten nach eigenständigen Menschen.“ Mir war es wichtig, mit den Mitarbeitern Kontakten verstärkt im Fokus. Hier passt zu schauen, wo die Chancen und Risiken Ihr Beispiel mit dem Klienten, der allei­ der Sozialraumtheorie liegen. Die Theorie ne zu Hause sitzt. Wenn dieser Mensch birgt die Gefahr, sich in der Sozialraum­ beginnt, in der Unterstützung Kontakt und arbeit zu überfordern, denn es gibt Aspekte, Beziehung zuzulassen, und sich dazu öffnet, die lassen sich nicht realisieren. Um den andere Menschen fernab von unserer Hilfe Blick zu schärfen, zu wissen, was es für kennenzulernen, dann existiert dieser neue Theorien gibt, und eine Vorstellung davon Kontakt vielleicht unabhängig von uns wei­ zu entwickeln, wie wir Sozialräumlichkeit ter, selbst wenn unsere Hilfe endet. Darin in der ambulanten Wohnform für Men­ liegt eine große Chance. Es kann sogar sein, schen mit Behinderung verstehen, haben dass unsere Hilfe enden kann, weil ande­ wir angefangen, unsere Organisations­ re Kontakte existieren, die Bestand haben. struktur entsprechend zu ändern.Wir bil- Über die sozialräumliche Unterstützungsar­ den unsere Mitarbeiter fort, damit sie Kom­ beit kann ein Klient eigene Ressourcen ent­ petenz im Sozialraum erlangen. Der Fokus falten, die er vorher vielleicht nicht kannte dieser Schulung liegt darin, dass jeder Mit- oder sich nicht getraut hat, sie auszuprobie­ arbeiter das Sozialraumkonzept für das ren.Auf einmal entdeckt man Fähigkeiten eigene professionelle Handeln übersetzt an sich und kann feststellen, ich bin wichtig und sich dabei an dem entsprechenden für andere. Sozialraum, dem Klienten und den eige­ nen Fähigkeiten orientiert. Sozialräumliches Frau Bielefeld, vielen Dank für das Gespräch. Arbeiten kann nicht verordnet werden, son­ dern funktioniert mit der Erkenntnis „ich Ursula Rebenstorf 34 TITEL WIR 2/2012–1/2013

Perspektive Bremen ’20 – unsere Stadt in der Region: das BlauHaus als Impulsprojekt

ort, wo an der Hafenkante der Über­ dabei sein, mitmachen und mitgestalten. seehafen zugeschüttet wurde, soll Neben Atelier-,Werkstatt-, Dienstleistungs- D innenstadtnah an der Weser auf 300 und Gemeinschaftsräumen im Parterre ist in Hektar ein neues Wohnquartier entstehen: den Obergeschossen barrierefreies Wohnen die so genannte Überseestadt. Ein Mix aus in 36 Wohnungen für 64 BewohnerInnen Dienstleistung, Gewerbe, Industrie und Woh­ mit und ohne Hilfebedarf geplant. Interkul­ nen mit Mietpreisen zwischen vier und 13 turell, inklusiv und nachbarschaftlich soll psy­ Euro ist geplant.Auf dem Gelände befinden chosoziales Engagement gelebt werden. sich der Großmarkt sowie der denkmalge­ schützte Speicher XI, in dem die Hochschu­ Ein offen erreichbarer Innenhof wird als le für Künste, das Hafenmuseum und die ein „Möglichkeitsraum“ zur Begegnung der „Blaue Karawane“ angesiedelt sind. Verschiedenen, ein Platz zumVerweilen für alle – von „normal“ bis „verrückt“ – nutz­ Die „Blaue Karawane“ plant ein „Blau- bar sein. In der multifunktional gestalteten Haus“ als integratives Mehrgenerationen- „Blauen Manege“ können Diskussionsveran­ Projekt inmitten der Wohnhochhäuser am staltungen und Seminare zu gesellschaftspoli­ Boulevard. Hier soll an einem Ort gelebt, tischen Themen wie Arbeit, Muße und Frie­ gewohnt und gearbeitet werden. Bei den den stattfinden, aber auch Tanz und Theater. regelmäßigen Planungstreffen kann jede/r Kiosk, Pflege- und Betreuungsdienst sowie

Das BlauHaus als Lego-Stadt 2/2012–1/2013 WIR TITEL 35

Hol- und Bringedienst und Gäste-Apart­ gemeinsam. Professionelle und Betreute tref­ ments sind eingeplant. Zur Straße hin wird fen sich und tauschen sich über ihre Pro­ das Café Blau eine Oase für buntes Leben bleme und Lebenssituationen aus. Jede/r darf und Ausruhen im neuen Stadtteil bieten. so sein, wie sie/er ist, alle Bedürfnisse wer­ den einbezogen.Alle können im Austausch Große Fensterflächen und helle Farb­ miteinander dazulernen.Wollen wir hoffen, kompositionen sollen neugierig machen dass dieser gemeinschaftlich-akzeptierende und NachbarInnen und BesucherInnen des Umgang von unserem geplanten Projekt Hafenquartiers anziehen. Alle sollen sich ausstrahlt auf die vielen Menschen in der als gern gesehene Gäste fühlen können. Im Überseestadt. In diesem Sinne: „Wir kön­ inklusiven Miteinander haben Besucher - nen noch viel zusammen machen.“ Innen der „Blauen Karawane“ lange Übung. Alle Anwesenden im Projekt kochen täglich Heike Oldenburg

Der aktuelle Bauplan für das BlauHaus

WER ZAHLT AM MEISTEN MIETE? – MIETPREISE IM STÄDTEVERGLEICH

In München befinden sich die teuersten Woh­ senkirchener, müssen aber Münchener Mietpreise nungen, in Gelsenkirchen die günstigsten. Dieses bezahlen. Den Joker haben aber Mieter in Güters­ Ergebnis einer Auswertung von 100 bundesdeut­ loh gezogen: Hier verdienen die Menschen ähnlich schen Städten überrascht nicht. Wer in München gut wie in München, zahlen aber Mietpreise wie in eine Wohnung sucht, muss über ein gutes Ein­ dem nicht fern gelegenen Gelsenkirchen. kommen verfügen, wenn er für durchschnittlich 9,7 Euro pro Quadratmeter eine Wohnung Menschen mit Behinderung, die ihre Miete mit mietet. In Gelsenkirchen sind die Haushaltsein­ Wohngeld finanzieren, steht ein Freibetrag zu. Der kommen bescheidener. Ein genaues Hinschauen ist zum Glück von Bundesland zu Bundesland unter- € zeigt hingegen, dass das Prinzip von Angebot schiedlich. Weitere Informationen und ein Wohn- € und Nachfrage, von Zahlungsfähigkeit und Preis- geldrechner unter: bildung nicht überall funktioniert. Bürger von Kon­ stanz verdienen im Durchschnitt ähnlich wie Gel- www.biallo.de mit dem Suchbegriff „Wohngeldrechner“ 36 TITEL WIR 2/2012–1/2013

Durch die Beleuchtung des Treppenhauses werden Blendung und Schatten vermieden. 2/2012–1/2013 WIR TITEL 37

Kontrastreiche Gestaltung im öffentlichen Raum

pätestens seit dem Gesetz zur Gleich­ Das Zwei-Sinne-Prinzip soll die gleichzei­ Bund, Länder und Kom­ stellung behinderter Menschen (Behin­ tigeVermittlung von Informationen für zwei munen sind gesetzlich S dertengleichstellungsgesetz – BGG) aus Sinne ermöglichen, was soviel bedeutet, dass zu einer barrierefreien dem Jahre 2002, zuletzt geändert 2007, ist neben der visuellen Wahrnehmung (Sehen) Infrastruktur verpflichtet. eigentlich alles geregelt, um die Benach­ auch die taktile (Fühlen,Tasten) oder auditive Das ist eine wesentliche teiligung behinderter Menschen zu besei­ (Hören) genutzt wird. Voraussetzung für Men­ tigen und ihre gleichberechtigte Teilhabe schen mit Behinderung, am Leben in der Gesellschaft zu gewährleis­ Was bedeutet das für die Praxis? ihren Sozialraum zu ten und selbstbestimmte Lebensführung zu gestalten. Doch stehen im ermöglichen. Das bezieht sich auf jede Art Unsere öffentlichen Gebäude,Wege und städteplanerischen Ver­ von Behinderung, was auch in der neuen Plätze müssen so gestaltet werden, dass ständnis die Belange von DIN 18040,Teil 1 – Barrierefreies Bauen – sie für motorische und sensorisch beein­ Rollstuhlfahrern im Fokus. Öffentliche Gebäude, noch einmal klar zu trächtigte Menschen nutzbar sind. Beim Die Architektin Monika jedem Bauteil erläutert wird. Begriff „barrierefrei“ wird immer sofort Holfeld beschäftigt sich ausschließlich an Rollstuhlfahrer gedacht, für den WIR-Themen­ Gerade in dieser DIN Norm wurden während Hör- und Sehbehinderte oft ver­ schwerpunkt mit senso­ die sensorischen Barrieren weitaus stärker gessen werden, was sich hoffentlich durch rischer Barrierefreiheit. berücksichtigt als in der vorhergehenden die neue Norm in Zukunft ändert. Gera­ DIN Norm 18024. Verwiesen wird hier in de auf öffentlichen Plätzen und Wegen sind jedem Bauteil auf die DIN 32975 – Gestal­ oft Höhenunterschiede durch Differenzstu­ tung visueller Informationen im öffentli­ fen gestaltet. Hier sind die einzelnen Stu­ chen Raum zur barrierefreien Nutzung. fen kontrastreich zu kennzeichnen.Wenn es

Darstellung eines Handlaufs, der mit Pyramiden- und Braille-Schrift versehen ist. 38 TITEL WIR 2/2012–1/2013

mehr als drei Stufen sind, muss ein Handlauf angebracht Kennzeichnung in Pyramidenschrift und/oder Braille- sein. Wenn es sich gestalterisch ausführen lässt, so sollte Schrift erfolgen. Aufmerksamkeitsfelder sind bei öffent- zusätzlich eine Rampe vorhanden sein, denn nicht nur lichen Treppen, z. B. in Bahnhöfen, von großer Wichtig- die Rollstuhlnutzung, auch die Nutzung für Kinder- keit, da dem Sehbehinderten dadurch mehr Sicherheit wagen oder Rollenkoffer wird so erleichtert. gewährt wird.

Handläufe bei Treppen müssen generell beidseitig aus- Bei öffentlichen Gebäuden gewinnt in der Architek- geführt werden und noch 30 Zentimeter in die Hori- tursprache Glas immer mehr an Bedeutung. Auch hier zontale weitergeführt werden. Wenn eine Weiterführung ist es wichtig, Türen kontrastreich zu kennzeichnen. nicht möglich ist, so muss der Handlauf nach innen In der DIN sind zwei verschiedene Höhen angege- abgerundet werden. Am Anfang und Ende sollte eine ben, sodass Kinder und Erwachsene das Hindernis oder die Tür schnell erkennen können: auf einer Höhe von 40 bis 70 Zentimetern und 120 bis 140 Zentimetern durch einen ca. acht Zentimeter breiten Streifen im Lichtgestaltung sorgt für eine gute Hell-Dunkel-Kontrast, damit dieser bei Tag und Nacht Wegeführung, um Unfälle zu vermeiden. erkannt wird. Eine wichtige Voraussetzung für das Zurechtfinden im öffentlichen Raum ist die Beschilderung. Auch Licht und Farbe sind zentrale Gestaltungsmittel für die Orientie- rung. Eine blend- und schattenfreie Ausleuchtung sollte selbstverständlich sein. Sensorische Barrieren können nur beseitigt werden, indem bei Planung und Ausführung von Gebäuden und Umfeld eine geeignete Material-, Farb- und Formauswahl von Anfang an in die Planung einfließen. Dabei ist auch die Lichtplanung ein wichtiger Bestandteil. Dipl. Ing. Monika Holfeld, freischaffende Architektin www.architektur-und-farbgestaltung.com

Monika Holfeld: Licht und Farbe Beuth-Verlag, 200 Seiten ab März 2013 ISBN-10: 3410206558 2/2012–1/2013 WIR TITEL 39

Knoops Kolumne Fahrdienst Allgaier macht‘s möglich.

ie Firma Allgaier hat eine Menge Internet. Finden Sie mal einen Fahrdienst, Dienste im Angebot: Behinderten­ der freitags am späten Nachmittag noch D fahrten, Krankenfahrten, Individual- eine Tour unternimmt. Fast ein Ding der und Fernfahrten sowie Tragestuhlfahrten. Unmöglichkeit! Meine Krankengymnastin Betrachtet man die Menge aller Behinder­ war ziemlich entnervt und wollte schon ten z. B. im Norden , so müsste für aufgeben. Ich schlug ihr vor, sie solle es mal jeden Behindertenfahrtwunsch etwas im bei Allgaier versuchen. Den hatte sie in der Angebot sein. Ich benötige zweimal in der langen Liste von möglichen Transportun­ Woche Behindertenfahrten: einmal montags ternehmen einfach übersehen. Friedemann Knoop und einmal freitags. Natürlich auf ein ärzt­ liches Attest, das gleich für ein ganzes Jahr Auf die bange Frage nach Freitagster­ Gültigkeit hat. minen kam nur die Antwort: „Wir lassen keinen im Regen stehen. Natürlich fahren Hiermit fing die ganze Geschichte an: wir.“ Wie war das: „Wir lassen keinen im Es ist völlig klar, wenn man 20 Jahre im Regen stehen?“ Diesen Satz hatte ich das E-Rolli sitzt und sich so gut wie gar nicht letzte Mal vor 20 Jahren gehört! Kurzum: bewegt, dann macht auch ein ehemals gut Das ist mein Fahrdienst! Das war nicht alles, durchtrainierter Rücken irgendwann Pro­ es kommt noch besser: Ich war für die Fir­ bleme. Diese haben sich mit der Zeit so ma Allgaier neu und musste zum ersten Mal entwickelt, dass ich die eineinhalb Kilo­ abgeholt werden. Klar, wenn man nicht meter zur Krankengymnastik nicht mehr weiß, was für ein Typ Behinderter trans­ schmerzfrei überwinden kann. Nachdem portiert werden soll, schickt man erstmal „Wir lassen der Orthopäde sein o.k. für‘s Gefahrenwer­ einen kompletten Krankenwagen mit allen den gegeben hatte, musste ein Transport­ Pipapo und Krankentrage vor. Ich war­ keinen im unternehmen gesucht werden. Das wurde tete bereits im Flur und grinste: „So kaputt Regen stehen.“ nach einigen Mühen gefunden. Mein Attest bin ich nun doch nicht.“ Jetzt geschah das ging vom 1. Januar bis zum 31. Dezem­ völlig Unfassbare: Der Mann an der Tra­ ber, doch bereits Mitte Juni erklärte mir ge nahm sein Handy, rief die Zentrale und der Fahrer plötzlich, dass ich mir etwas ein­ forderte den passenden Transportwagen an. fallen lassen müsse.Ab sofort dürfe er nur Der Sanitäter hatte sein Handy noch nicht noch Patienten befördern, die während der zusammengeklappt und in der Tasche ver­ Fahrt durch einen zweiten Mann medizi­ staut, da stand der angeforderte Wagen vor nisch betreut werden. meiner Haustür.

Für mich ein klarer Fall von Abzocke Mir klappte vor Staunen die Kinnlade des Berliner Etats für Behinderte durch herunter. So ein Tempo hatte ich bei einem dieses Fahrunternehmen. Mein Orthopä­ Transportunternehmen noch nie erlebt. de hätte mir niemals ein Attest ausgestellt, Dabei fahre ich seit 20 Jahren mit den ver­ das einen Sanitäter als Beifahrer fordern schiedensten Firmen. Seit eineinhalb Jah­ würde. Es war Sommer. Für mich hieß das ren transportiert mich nun die Firma All­ wieder unebene Wege und Rückenschmer­ gaier, und noch nie, wohl bemerkt: noch zen. Sommer und Herbst gingen ins Land nie, bin ich enttäuscht worden, obwohl ich und der Winter kam. Ich machte deutlich, im Schnitt alle drei Wochen die Freitagsab­ dass ich mich bei Schnee und Eis keinen holzeiten ändern muss.Tja, gute Planung Millimeter aus meiner Wohnung bewegen und Arbeitsorganisation führen zu Kunden­ würde. Meine Krankengymnastin wusste, zufriedenheit! Mädels und Jungs:Weiter so, dass ich es ernst meinte und begab sich ins mit euch macht‘s einfach nur Spaß! 40 IM FOKUS WIR 2/2012–1/2013 Rotkäppchen im Rollstuhl anderStark – ein Fotoband mit starken Bildern

lles, was nicht der Norm entspricht, Bildband, den Umrik erstmals auf der Termine, weitere gilt als abschreckend. Mit diesem RehaCare 2012 in Düsseldorf präsentierte. Informationen A Vorurteil räumt Anastasia Umrik und Bestellmöglich- aus Hamburg 2012 mit ihrem Bildband Auf den 60 Fotos, gruppiert in Portrait, keiten unter „anderStark“ gründlich auf. Selbst seit Lifestyle, Emotionales, Künstlerischer Akt www.anderstark.de ihrer Kindheit an einer Muskelschwäche und Provokantes, werden Frauen in unter- erkrankt, realisierte die Hamburgerin 2012 schiedlichen Lebenssituationen und Stim- ihre Idee, einen Fotobildband mit Frauen mungslagen fotografiert. Hier befinden sich zu erstellen, die eine Muskelerkrankung u. a. mit Rotkäppchen, Marilyn Monroe haben. „Ich wollte neue Blickwinkel und oder lasziven Poolgrazien bekannte Motive Möglichkeiten schaffen und so zwischen aus der Märchen- und Werbewelt. Nicht den scheinbar unterschiedlichen Welten jedes Bild hat eine bedeutungsschwere Mes- von Menschen mit und ohne Behinde- sage. Zusammen mit ihren Fotografen setzt rung eine Brücke schlagen“, schildert sie Anastasia Umrik ihre Bildideen raffiniert ihre Motivation zu dem Projekt. Heraus- und mit Humor in Szene. „Beim Rotkäpp- gekommen ist ein 100 Seiten starker chen im Rollstuhl haben wir uns gefragt, 2/2012–1/2013 WIR IM FOKUS 41

wer mehr Angst hat: der Wolf vor dem Roll­ in der Zeitschrift der „Deutschen Gesell­ stuhl oder Rotkäppchen, die im Schnee nur schaft für Muskelerkrankung“ (DGM). schwer vorwärtskommt“, so Umrik. Die „Am Anfang des Projekts hatte ich nur drei Ästhetik steht auf allen Bildern im Vorder­ Models, die ich dazu ermutigen konnte, grund, das Thema Behinderung gewinnt sich vor der Kamera zu zeigen“, erinnert eine andere Perspektive. So findet sich auf sich Umrik. Dank der Anzeige in der DGM einem Foto inmitten von makellosen Beau­ meldeten sich schließlich Frauen aus ganz tys am Pool eine körperbehinderte Frau, die Deutschland. Unermüdlich suchte Anasta­ „Es war nur nicht minder schön ist. „Das ist ein typisches sia Umrik nach Sponsoren für ihr Projekt Inklusionsbild, auf den ersten Blick sieht man und fand sie. So stellte der Werbefotograf ein Shooting, keinen Unterschied, wenn man genauer hin­ Konstantin Eulenburg sein Studio nebst guckt, merkt man, hier stimmt etwas nicht“, Equipment für die Shootings zur Verfügung. aber ich habe erläutert Umrik. Neben den Fotos enthält Eine Ballonkünstlerin aus Hamburg entwarf das Buch auch begleitende Texte, die den eigens für „anderStark“ ein Kostüm. Die viel bewegen Leser an das Thema Muskelerkrankung Hauptfotografin Jessica Brautsche erstellte die heranführen und ihn zum Schmunzeln, aber Website und layoutete und textete das Buch. können.“ auch zum Nachdenken in Bezug auf behin­ derte Menschen bewegen sollen. Eine „anderStark“-Ausstellung ist für das Frühjahr 2013 geplant. Dort werden die Bil­ Rund 20 Models haben unentgeltlich für der zusammen mit Motiven, die aus Platz- den Bildband gearbeitet. Die meisten stam­ gründen nicht erscheinen konnten, nebst neu­ men aus Anastasia Umriks Bekanntenkreis, en Fotos zu sehen sein. weitere meldeten sich über eine Anzeige Ursula Rebenstorf 42 IM FOKUS WIR 2/2012–1/2013

DIE HANDLICHE PLASTIKKARTE Inklusion ist selbstverständlich!

Berliner Inklusion aus Sicht eines gehörlosen Abgeordneten

artin Zierold – seit der Berliner Wahl 2011 Abge­ ordneter der Bezirksverordnetenversammlung M Mitte – ist deutschlandweit der erste gehörlose Parlamentarier. Der 27-Jährige zieht in der WIR eine erste Bilanz und spricht über Perspektiven für ein inklusives Berlin.

Neuer Schwerbehindertenausweis Wer wie Mar tin Zierold als Mittler zwischen der gehör- Für alle Menschen mit schweren Behinde­ losen und der politischen Community agiert, muss für rungen (GdB von mindestens 50) gibt es ab viel Verständnis werben. Seit über einem Jahr ist er Mit­ Januar 2013 den neuen Schwerbehinder­ glied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Berlin- tenausweis. Wie Führerschein, Personalaus­ Mitte und Abgeordneter weis oder Bankkarte ist nun auch der neue in die Bezirksverordne­ Schwerbehindertenausweis eine handliche tenversammlung (BBV). ZUR PERSON Plastikkarte. Alte Ausweise bleiben aber bis „Die Abgeordneten in 2015 weiter gültig, sodass ein Austausch der BBV reagierten schon Martin Zierold, Jahrgang 1985 nicht erforderlich ist. Wer dennoch eine hand­ unterschiedlich auf mich, wuchs im Erzgebirge als Kind liche Plastikkarte erhalten möchte, kann diese viele waren neugierig gehörloser Eltern auf. Der heutige kostenlos beantragen, muss sich allerdings und zugewandt, fragten Sozialpädagogische Assistent auf eine längere Wartezeit einstellen, denn mich viel, einige wenige zieht 2008 nach Berlin und arbei­ Neuausstellungen sind vorrangig. tun sich schwer“, zieht tet als pädagogische Betreuer Zierold Bilanz. In sei- bei Sinneswandel gGmbH, einem Das ist zu beachten: ner Fraktion hingegen ist Jugendclub für hörbehinderte Den alten Ausweis muss man nur zurücksen­ der Rückhalt uneinge- Jugendliche in Berlin-Mitte. den, wenn sich am Grad der Behinderung schränkt groß. Hier hat Seit Oktober 2011 sitzt er für (GdB) oder den Merkzeichen etwas verän­ Martin Zierold auch sei- Bündnis 90/Die Grünen in der dert. Der Antragsteller muss per Post ein Pass­ nen festen Platz.Auf dem Bezirksverordnetenversammlung bild übermitteln, das auf den Ausweis über­ Konferenztisch in dem Mitte von Berlin. tragen wird. Stellt er den Antrag online, kann mit Aktenordnern voll­ er das Bild auch einfach hochladen. Das Bild gestopften Fraktionsbü­ muss nicht biometrisch, aber farbig sein. Der ro klebt ein Namenschild für ihn und gegenüber eines Aufdruck in englischer Sprache („The holder für seine Sprachassistentinnen. „Am besten bekomme ich of this card is severely disabled.“) erleichtert alles mit, wenn ich in der Mitte und gegenüber meiner den Nachweis der Behinderung im Ausland, Dolmetscherin sitze“, erklärt er. Bei jeder Sitzung ist eine z. B. bei besonderen Regelungen wie einem seiner Sprachassistentinnen dabei, übersetzt das Gespro­ ermäßigten Eintritt. chene in Gebärdensprache und Martin Zierolds Beiträ­ ge in Lautsprache. Die langen Sitzungen fordern beiden Bestellmöglichkeiten beim Publikationsver­ höchste Konzentration ab. Oft gibt es dann Pausen. „Viele sand der Bundesregierung unter: kleine Pausen haben wir als Neuerung eingeführt.Wir [email protected] brauchen diese Unterbrechungen, meine Dolmetscherin Weitere Informationen unter: www.bmas.de und ich können Kopf und Augen entspannen, und die anderen freuen sich auch über kleine Sitzungsunterbre­ chungen“, schmunzelt er. 2/2012–1/2013 WIR IM FOKUS 43

Martin Zierold ist Deutschlands erster gehörloser Parlamentarier.

Inklusion ohne Konzepte Den Bürger mit Behinderung beteiligen ZUR PERSON Inklusion ist für Martin Zierold der rote Faden sei­ Auf www.berlin.de kann man sich über Zuständigkeiten Martin Zierold, Jahrgang 1985 ner politischen Arbeit.Als Inklusionssprecher vertritt in Ämtern oder Berliner Kulturhighlights online infor­ wuchs im Erzgebirge als Kind er seine Fraktion in drei Ausschüssen: Sport, Schule mieren – sofern man nicht auf Barrierefreiheit im Netz gehörloser Eltern auf. Der heutige und Bürgerbeteiligung. „Viele Berliner Sportanlagen, angewiesen ist. „Ein Informationsportal, was von vorn Sozialpädagogische Assistent auch in Mitte, sind nicht barrierefrei, hier liegt einiges herein Bürger, die auf barrierefreieWebsites angewiesen zieht 2008 nach Berlin und arbei- brach“, erklärt er.Aber es fehle berlinweit ein barrie­ sind, ausschließt, ist nicht hinnehmbar“, findet Martin Zie­ tet als pädagogische Betreuer refreies Konzept zum Bau und zur Sanierung maroder rold und hat zusammen mit seinen Fraktionskollegen 2012 bei Sinneswandel gGmbH, einem Sportanlagen, eine Voraussetzung, um mehr Menschen einen entsprechenden Antrag formuliert. Berlin als Bun­ Jugendclub für hörbehinderte mit Behinderung einen Zugang zu Sport zu ermög­ deshauptstadt habe hier Vorbildfunktion.Auch im Bundes­ Jugendliche in Berlin-Mitte. lichen. tag über die Situation und die Bedürfnisse von Menschen Seit Oktober 2011 sitzt er für mit Behinderung aufzuklären und sich auszutauschen, ist Bündnis 90/Die Grünen in der Nicht nur im Sport sind fehlende oder unzureichende Martin Zierold wichtig. „Menschen mit Behinderung im Bezirksverordnetenversammlung Konzepte der Grund, dass Inklusion in Berlin viele Deutschen Bundestag“ eineVeranstaltung des Deutschen Mitte von Berlin. Baustellen aufweist. Martin Zierold ärgert es beson­ Bundestages Ende Oktober 2012 sei dafür ein gutes Bei­ ders, dass das Inklusionskonzept für Schulen gerade in spiel. Zum ersten Mal waren Menschen mit Behinde­ Berlin völlig an dem Bedarf von gehörlosen Schülern rung im Deutschen Bundestag zusammengekommen, um vorbeigeht und ihre Erfordernisse an inklusiver Beschu­ selbst an der politischen Entwicklung teilzuhaben. „Es war lung nicht berücksichtigt.Als pädagogischer Betreuer sehr beeindruckend, so viele unterschiedliche Menschen bei Sinneswandel gGmbH, einem Jugendclub für hör- mit Behinderung im Deutschen Bundestag auf einmal zu behinderte Jugendliche in Berlin-Mitte, kennt er die sehen“, erzählt Zierold begeistert, „es sind solche Veran­ Situation gehörloser Schüler genau. Ganze drei Schulen staltungen, die Behindertenpolitik der Zukunft beeinflus­ für Schüler mit Höreinschränkungen gibt es berlinweit. sen können.“ „Das sind aber alles Angebote für schwerhörige Schüler, Ursula Rebenstorf was fehlt ist ein ausreichendes Schulangebot in Gebär­ densprache, wo gehörlose Schüler gebärdengestützten Unterricht erhalten und entsprechend Abitur ablegen Zum Nachlesen: www.martin-zierold.de können“, kritisiert Zierold. Er hofft, dass das neue über­ Zum Nachschauen: www.youtu.be/E58YWKFHLuE arbeitete Inklusionskonzept für Schulen auf die Situa­ Fingerzeig TV: www.alex-berlin.de/lesen/news/285 tion gehörloser Schüler eingeht. 44 IM FOKUS WIR 2/2012–1/2013

Dr. Marianne Hirschberg, Deutsches Institut für Menschenrechte, Joachim Busch, Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V., Markus Schönbauer, Bürgerhaus e.V.

Berliner Menschenrechtstag

m Donnerstag, den 27. September teilbar ist.Am Ende des Saals, wo sich keine 2012 hatte das Deutsche Institut für Fenster befinden, steht ein Podium.Auf dem A Menschenrechte (DIMR) zum Ber­ Podium waren linker Hand ein Rednerpult liner Menschenrechtstag 2012 geladen. Die und ein festes Mikrofon aufgebaut. Für die Das Deutsche Insti­ Tagung stand unter dem Motto: „Selbst­ Zuschauer befanden sich rechts davon vier tut für Menschen­ verständlich miteinander?! Deutschland auf einfache Sessel.Weiter rechts auf der Sitz­ rechte wollte mit dem Weg zur inklusiven Gesellschaft.“ Erst­ ebene der Zuschauer, jedoch einige Meter dieser Tagung die mals wurde zu dieser sensiblen Thematik ein vor der Bestuhlung des Publikums, saßen menschenrecht­ öffentliches Podium auf Bundesebene ver­ zwei Gebärdendolmetscherinnen, die alles liche Debatte zum anstaltet. Relevante ins Publikum übersetzten. Thema Inklusion anstoßen. Der Veranstaltungsort war symbolträchtig. Gerade angekommen und die Szenerie in Die Veranstaltung fand in der Jerusalemkir­ der turbulenten Phase mit den unzähligen che schräg gegenüber des Jüdischen Muse­ Wortfetzen und den fremden Gesichtern ums Berlin statt. Das Gebäude ist ein her­ „abgleichend“, schritt ein Herr ans Mikro­ vorragender Veranstaltungsort, weil es anstelle fon und ließ das Geraune und Gemurmel eines klassischen Kirchenschiffs einen großen verebben: Prof. Eibe Riedel,Vorsitzender des Saal hat, der unterschiedlich bestuhlt wer­ Kuratoriums des Instituts für Menschenrech­ den kann und mit drei Trennwänden auf­ te, eröffnete dieVeranstaltung und kündigte 2/2012–1/2013 WIR IM FOKUS 45

den nachfolgendenVortrag seiner Kollegin an. Es folgte ein knapp 35-minütiger Vortrag von Prof. Beate Rudolf, DAS BEHINDERTENTESTAMENT Direktorin des Instituts für Menschenrechte. Zugriff der Sozialhilfeträger auf das Erbe In ihrem Vortrag beschrieb sie den Begriff der Inklu­ von Menschen mit Behinderung sion ausführlich anhand der Behindertenrechtskonven­ tion (BRK). Dazu nur so viel: Die BRK ist aufgrund Mit dem 18. Geburtstag haben Menschen mit Behin­ der Erfahrung von Ausgrenzung (Exklusion) behinder­ derung einen eigenständigen Anspruch auf Leistun­ ter Menschen mit dem Begriff der Inklusion formuliert gen der Sozialhilfe wie z. B. auf Grundsicherung bei worden, um „das Dabeisein von Vornherein“ zu verge­ Erwerbsminderung, Hilfe zur Pflege und vor allem genwärtigen.Während die Inklusion das Dabeisein an auf Eingliederungshilfe. Nur wenn die behinderte sich meint (passiver Akt), bedeutet Partizipation dage­ Person finanziell hilfebedürftig ist, kommt der Sozi­ gen die aktive Teilhabe und Mitgestaltung. Die einzelnen alhilfeträger für die Kosten auf (Nachrangprinzip). Redebeiträge können im Internet nachgelesen werden. Wer allerdings über eigenes Einkommen oder Ver­ mögen verfügt, muss das Einkommen bzw. Vermögen auch für seinen Lebensunterhalt einsetzen.

Im Erbfall verfügt ein Mensch mit Behinderung über eigenes Vermögen und muss dieses z. B. für seine Pflegekosten einsetzen. Als Folge wird das geerbte Vermögen in Höhe der Kosten vom Sozialhilfeträger zurückgefordert. Mit einem Behindertentestament kann das Vermögen weitgehend vor dem Zugriff des Staats geschützt werden. Unter einem Behinder­ tentestament versteht man im Erbrecht die Gestal­ tung eines Testaments mit dem Ziel, dem Erben trotz seiner Erbschaft die volle staatliche Unterstützung zu erhalten, ohne dass das vererbte Vermögen hierfür eingesetzt werden muss.

Gemäß dem offiziellen Programm gab es nun ein Eine typische Gestaltung bildet hierbei die Anord­ Interview mit verschiedenen Gästen. Es folgte jedoch nung einer Nacherbschaft bei gleichzeitiger Tes­ der wissenschaftliche Erkenntnisstand zum Thema. tamentsvollstreckung. Die Eltern setzen in ihrem Interessant war der Begriff der „Handlungsmächtig- gemeinschaftlichen Testament den überlebenden und -ohnmächtigkeit bei gleicher Armutsbetroffen­ Elternteil zum Vollerben ein. Das behinderte Kind heit“. Das Interview führte Frau Dr. Follmar-Otto vom bestimmen sie zum beschränkten Vorerben. Sein Erb­ Institut für Menschenrechte mit Gästen (siehe Foto). teil muss dabei geringfügig über dem Pflichtteil lie­ Nach der anschließenden Pause folgten drei Foren, gen. Um dem Vorerben Zuwendungen aus dem Erbe auf denen drei verschiedene Themenkomplexe vorge­ zu ermöglichen, wird zumeist ein Dauertestaments­ stellt wurden: 1. Ein ungleiches Paar oder die perfekte vollstrecker bestimmt. Dieser Testamentsvollstrecker Ergänzung? 2. Inklusion und Diskriminierungsschutz. sorgt dann für den Erben und lässt ihm die festge­ Exklusionsrisiken – Inklusionschancen.Welchen Bei­ legten Zuwendungen aus dem Erbe zukommen. trag leistet die Menschenrechtsbildung? 3. Inklusiver Sozialraum – eine Utopie? Danach folgte ein Abend­ essen bzw. eine längere Pause bis 19.30 Uhr. Zum Weitere Informationen: Abschluss gab es für verschiedene Vereine die Mög­ www.bvkm.de (Bundesverband für körper- und lichkeit, sich vorzustellen. mehrfachbehinderte Menschen e.V.) Ferdinand Ollig In der Broschüre „Vererben zugunsten behinderter Menschen“ findet sich Aktuelles zur Rechtsprechung beim Behindertentestament.

www.institut-fuer-menschenrechte.de www.finanztip.de 46 IM FOKUS WIR 2/2012–1/2013

Jörg Nolte (links) mit Trainer bei der Testfahrt

Mit dem Segway ins Gelände

Eine Testfahrt auf der REHACARE 2012

iner der Glanzpunkte der diesjährigen REHA­ Bewegung und ab diesem Moment ist die Fahrt mit dem CARE war für Rollstuhlfahrer sicherlich der Stand Gennymobil ein Riesenspaß. Es ist wendig und schnell, E von Gennymobil. Nachdem das Gefährt im letzten auch auf engstem Raum zu manövrieren und der Spaß­ Jahr schon vorgeführt wurde, war es jetzt für Besucher faktor überwiegt so eindeutig, dass man kaum von einem möglich, das Gennymobil Probe zu fahren. Hilfsmittel für Behinderte sprechen mag.

Voraussetzung war eine gute Rumpfbeweglichkeit, da Genau das ist es aber auch, denn ich bin mir sicher, das Gennymobil über Gewichtsverlagerung gesteuert dass es eine sehr große Erweiterung des Aktionsradius wird. Zum Übersetzen gibt es Füße, die elektrisch aus­ eines Rollstuhlfahrers bedeutet. Die Grenzen, die selbst fahren und für die nötige Standfestigkeit sorgen. Einmal ein sportlicher Aktivrollstuhl irgendwann erreicht, wer­ im Sitz, muss nur noch die Lenkstange mit einem ein­ den hiermit leicht überschritten. Kieswege, heftige Stei­ fachen Mechanismus eingeklinkt werden und das Gerät gungen, auch Bordsteine, Schnee und Eis,Wald- und ist abfahrbereit. Fahren und Bremsen werden durch Vor- Wanderwege, die bisher unpassierbar waren, sollen damit und Zurückverlagerung des Oberkörpers gesteuert, die bewältigt werden. Nach der Fahrt auf dem naturgemäß Fahrtrichtung durch Schwenken der Lenkstange. ebenen Messegelände glaube ich das aber sofort.

Sind die Stützen erst einmal zurückgefahren, hält das Fazit ist, man will es (wie manche andere elektronische Gennymobil das Gleichgewicht auf den beiden großen Spielzeuge auch) sofort nach dem Ausprobieren haben. Rädern.Wirklich erstaunlich war, dass sich das Gerät nach Der Preis ist unglaublich hoch, der Nutzen ebenfalls. einer ersten Unsicherheit, ja vielleicht sogar Angst, nach Kaufen werde ich trotzdem keines, eben wegen des circa drei Minuten intuitiv bedienen lässt. Zunächst neigt enormen finanziellen Aufwandes, der nötig wäre. man wegen der Unsicherheit zu ruckartigen Bewegungen, die von der Steuerung auch ruckartig beantwortet werden. Jörg Nolte, Besucher undTestfahrer Nach ganz kurzer Zeit gewöhnt man sich an die Art der auf der REHACARE 2012 2/2012–1/2013 WIR IM FOKUS 47 Antidiskriminierungsberatung „Alter oder Behinderung“ der LV Selbsthilfe eröffnet

m 5. November 2012 wurde die neue Müller, Projektleiterin der neuen Antidiskri­ Antidiskriminierungsberatung „Alter minierungsberatung, ermuntert Ratsuchen­ A oder Behinderung“ in der Littenstra­ de, sich auch für die praktische Unterstüt­ ße 108 in Berlin-Mitte feierlich von Staats­ zung an die Beschwerdestelle zu wenden: sekretärin Barbara Loth eröffnet. Die neue „Gerne unterstützen wir die Beschwerde Vorsitzende der LV Selbsthilfe, Frau Beate führenden Menschen beim Verfassen von Hübner, wies in ihrem Grußwort darauf hin, Briefen und anderen Schriftwechseln. Falls dass es trotz guter rechtlicher Grundlagen eine Rechtsberatung benötigt wird, verwei­ Weitere Informationen unter: in Deutschland immer noch viel zu häufig sen wir z. B. auf die kostenlose rechtliche www.lv-selbsthilfe-berlin.de zu Diskriminierung und Ausgrenzung von Erstberatung bei der Antidiskriminierungs­ Menschen mit Behinderung kommt. stelle des Bundes oder auf andere erfahrene Rechtsbeistände.Wir sind in der Beratungs­ Die Antidiskriminierungsberatung ist eine stelle offen für alle Formen von Diskriminie­ berlinweite Anlaufstelle für Menschen,die sich rung, also auch für die Fälle, die nicht durch aufgrund ihres Lebensalters oder einer Behin­ das AGG geschützt sind.“ derung diskriminiert fühlen. Die außerge­ richtliche Beratung erfolgt auf der Grundlage Ehrenamtliche Antidiskriminierungs­ des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes beauftragte gesucht (AGG), das seit 2006 in Kraft ist, und unter­ stützt die Ratsuchenden darin,sich gegen die Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erfahrene Diskriminierung zur Wehr zu setzen. und seine Möglichkeiten sind noch immer viel zu wenig bekannt, auch innerhalb der „Behin­ Unterstützung finden hier z. B. Menschen, dertenszene“. Daher sucht die Antidiskrimi­ die im Bewerbungsverfahren auf Grund ihres nierungsberatung der LV Selbsthilfe ehrenamt­ Alters nicht berücksichtigt wurden, denen lich engagierte Menschen aus allen Vereinen, auf Grund einer Behinderung die Auf­ Organisationen und Institutionen, die sich ger­ stiegschancen im Job verwehrt werden oder ne näher mit dem AGG und mit Antidiskri­ die von bestimmten Dienstleistungen zu minierungsarbeit beschäftigen möchten.Diese Unrecht ausgeschlossen werden. Dabei bie­ werden in kostenlose Fortbildungen geschult, tet die neue Beratungsstelle der Landesverei­ damit sie in ihren Organisationen für die Anti­ nigung Selbsthilfe Berlin e.V. bei Bedarf auch diskriminierungsarbeit und die Möglichkeiten, Begleitung der Betroffenen zu Behörden sich gegen Ungleichbehandlung zurWehr zu und zu anderen Gesprächen an. Franziska setzen, sensibilisieren können.

Franziska Müller mit Staatssekretärin Barbara Loth (r.) bei der Eröffnung der Antidiskriminie­ rungsberatung „Alter oder Behinderung“, November 2012 48 UNTERWEGS WIR 2/2012–1/2013 Sail away!

DER WIR-SOMMERTREND Rio Reiser, Joe Cocker, Hans Albers – die Liste all derer, die die Freiheit des Segelns und die Sehnsucht nach dem Wasser besungen haben, ist Leinen los für den lang. Auch WIR-Redakteure machten sich auf den Segeltörn rund um Wasserweg: Ob Kajak, Hausboot, Segelschiff oder Usedom – Seite 52 Ruderboot: Es gibt vielfältige Möglichkeiten, sich auf dem Wasser zu erholen und zu erproben – gerade für Menschen mit Behinderung. 2/2012–1/2013 WIR UNTERWEGS 49

Eine Seefahrt, die ist lustig ... Mit dem Hausboot die Havel entlang

urch einen Flyer des Unfallopferhilfswerks erfuhr erwählte Route „Untere Havel/Beetzsee“ nicht erfor­ ich von barrierefreien Hausbooten. Ich recher- derlich. Es genügt ein Charterschein, der vor Fahrtantritt D chierte im Internet und wurde beimVercharterer gemacht werden kann. Dabei sind einige Kenntnisse zum Aqua Charter fündig. Die Räumlichkeiten einschließ- Befahren von Wasserstraßen, wie Zeichen, Signale,Vor ­ lich Schlafraum und Dusche/Toilette sagten fahrtsregeln und weiteres, erforderlich.Auch uns zu, auch unter dem Aspekt, dass die bestimmte Knoten muss man beherrschen. Befahrung mit dem Rollstuhl gewährleistet WIR-Redakteur sein musste und Patientenlifter und Dusch-/ Ronald Budach Mitte August hieß es dann nach einer Toilettenrollstuhl zum Einsatz kommen erfüllte sich 2012 dreistündigen Einweisung ab der Marina sollten. Alles passte. Auch eine Überfahr- einen Reisewunsch in Brandenburg/Havel-Plaue mit vier Per­ rampe war vorhanden und machte es mög­ der besonderen sonen einschließlich mir als Rollstuhlfah­ lich, bestimmte horizontale- und vertikale Art: Eine Woche rer „Leinen los“. Bei bestem Sommerwetter Abstände zwischen Boot und Steganlagen Urlaub auf dem schipperten wir die untere Havel nordwärts auszugleichen. Hausboot. Richtung Premnitz und Rathenow. Zum Ankern suchten wir uns kleinere Buchten Das Bungalowboot hat zwei Schlafräume, und andere ruhige und romantische Plätze einen großen Wohnraum, Dusch-/Toilettenraum und am Fluss.Wir erlebten herrliche Sonnenauf- und -unter­ eine überdachte Terrasse, Gasherd, Gasboiler, Gashei- gänge. Es war Natur pur.Auf der Terrasse des Boots war zung, Kühlschrank sowie einen 20-PS-Motor und ein fast täglich Grillen auf der Feuerschale angesagt – mit Echolot. Ein Bootsführerschein ist für die von uns aus- anschließendem kleinem Lagerfeuer zur Nacht. Landgän-

Bei bestem Sommer­ wetter schipperten wir nordwärts Richtung Premnitz und Rathenow. 50 UNTERWEGS WIR 2/2012–1/2013

Ronald Budach auf Hausbootstour

ge mit dem Rollstuhl waren auf diesem Teil der unteren bei unserer Marina in Plaue kam dann innerhalb von Havel leider nicht möglich, da zwar entsprechende Steg- zwei Stunden Hilfe. Mit diesem sehr guten Service waren anlagen vorhanden waren, danach aber Stufen folgten. wir äußerst zufrieden. Unterwegs nahmen wir auf dem Wir lernten auch andere Bunbo(Bungalowboot)fah- Plauer See noch Windstärke vier mit, was unser Boot mit rerInnen kennen, tauschten Gegrilltes aus, plauderten, seinem kleinen 20-PS-Motor ganz schön gegen Wind freundeten uns an und setzten die Fahrt am nächsten und Wellen kämpfen ließ. Aber wir kamen gut an und Tag gemeinsam for t. unsere Sechs-Tage-Seefahrt war leider beendet.

Da wir Abenteuer suchten, passierte es auch, dass Abschließend möchte ich feststellen, dass dieses Haus- wir beim Heranfahren mit unserem Boot ans Ufer der boot für Rollstuhlfahrer gut geeignet ist. Ich konn- Havel auf Grund liefen, was aber unserem als Katamaran te mich auf der Terrasse und im Wohnbereich sogar gebauten Boot nichts ausmachte. Wir konnten zwar das mit meinem großen „Optimus 2“-Rollstuhl bewegen. Boot allein nicht wieder schiffbar machen, aber ande- Natürlich benötigt man für die An- und Ablegemanöver re Wassersportler halfen uns. Ich habe festgestellt, dass zwei Helfer ohne Handicap. Mängelpunkte waren, dass die Hilfsbereitschaft auf dem Wasser ausgeprägter ist als hinter dem Steuerstand zu wenig Platz war, um mit dem anderswo. Es gibt ja auf dem Wasser auch keinen ADAC, Rollstuhl in Fahrtrichtung zu stehen und das Steuerrad also muss man sich mehr untereinander helfen. zu bedienen, sowie die geringe Anzahl von Anlegestel- len für stufenlosen Landgang. Voraussetzung für so eine Über Plaue – Plauer See – Breitlingsee – Brandenbur- Hausbootfahrt ist auch Lust auf viel Natur, Wasser und ger Stadthavel ging es zum Beetzsee, seiner barrierefrei- ein wenig Ruhe. en Marina und dem Restaurant „Beetzseeterrassen“. An Ronald Budach Land inspizierten wir die nähere Umgebung und fuh- ren am nächsten Tag zurück Richtung Plaue. Auf dem Beetzsee folgte dann eine weitere kleine Havarie: Der Bowdenzug als Verbindung zwischen Steuerstand und Weitere Informationen und Serviceangebote unter: Außenbordmotor riss, wir wurden manövrierunfähig www.bunbo.de und www.unfallopfer-hilfswerk.de und mussten den Notanker werfen. Nach einem Anruf 2/2012–1/2013 WIR UNTERWEGS 51

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Für Sabine Lutz war igentlich ist ein Mehrtagestörn auf bislang unergründlichen und unheilbaren es der erste Törn auf einem rollitauglichen Segelschiff so Krankheit MS. Unterm Strich waren es drei einem Segelschiff. E etwas wie eine ideale Bedienungs­ unvergessliche, gehaltvolle Tage, an denen Sonst fährt die ein­ anleitung zum Umgang mit chronischen jeder Beteiligte bestimmt noch einige Zeit stige Redakteurin der Krankheiten. Hier ist der Umgang mit genussvoll herumknabbern wird. Deutschen Welle Multipler Sklerose gemeint, umgangs­ Berlin mit ihren Mann sprachlich besser bekannt als „MS“. Die An Enge, Platznot und gegenseitiges auf einem Motorboot. allseits bekannten Tipps lauten: In Bewe­ Rücksichtnehmen gewöhnen sich alle Zusammen mit neun gung bleiben, Kontakte pflegen, Neues ent­ schon mal bei der Anfahrt im Kleinbus weiteren Berlinern decken und das Wohlbefinden fördern.All nach Ueckermünde, von Berlin ans Stet­ segelte sie im Sep­ das und noch viel mehr hat es an einem tiner Haff. Im Hafen geht ein Großteil der tember 2012 auf der Wochenende Ende September 2012 für Gruppe gleich an Bord, während die ande­ Mecklenburgischen alle neun Berliner Beteiligten in Hülle und ren vier den umfangreichen Lebensmit­ Ostsee. Fülle gegeben. Daneben natürlich auch telgroßeinkauf in dortigen Supermärkten den Hauch von Spannung und Abenteu­ hinter sich bringen.Aber schon hier zwi­ er, das zarte Band von Erfolg und Misser­ schen Reis, Nudeln, Dosen, Getränken und folg und darüber die Unbill des Wetters, der anderen nützlichen Utensilien zeigt sich die verhedderten Leinen und der Launen der gruppentypische gelassene Großmut, die

Die Crew beim Frühstück 2/2012–1/2013 WIR UNTERWEGS 53

allen in den folgenden drei Tagen an Bord Schon frühmorgens erklingen an Deck noch sehr von Nutzen sein wird. die klaren Kommandos der beiden Skip- per. Es heißt: „Antreten!“, „Segel setzen!“, Beim Segeln ist In Ueckermünde scheint die Sonne – und „Schnecken legen!“ – und bereit sein für jedes Mitglied stets bereits am frühen Nachmittag, nach kurzer alle maritimen Eventualitäten. Das sport- angeleint. Begrüßung der beiden Schiffsführer, tuckert liche Abenteuer führt sowohl bei sonnigem, die zweimastige „Wappen von Ueckermün- dann aber auch regnerischem Segelwetter de“ aus dem beschaulichen Hafen. Die noch ins polnische Swinemünde, vorbei an Wol- unerfahrene Crew segelt erwartungsvoll gast bis nach Peenemünde, von Ferne in übers Haff nach Karnin. Die erste Erkennt- Sicht die kalkweißen Steilküsten Rügens. nis nach kurzer Etappe: Das Reisen mit dem Auch am dritten Tag schippert das Schiff Wind ist Treibstoff zahlloser Träume. Jeder wohlbehalten weiter, rund um die Insel ist dem Himmel so nah, die Zeit an Bord Usedom und durch den polnischen Pista- verfliegt. Und doch holt alle die mächtige kowitschkanal zurück nach Ueckermün- Gegenwart jederzeit von den Träumen in de. Manches Manöver war heikel, aber die den Alltag zurück. Schon das Anlegemanö- Mannschaft hat es immer wieder geschafft, ver im Hafen von Karnin ist nicht frei von sich die Wege zu bahnen. Auch wenn es manövertechnischen Schwierigkeiten, und schwer oder schwankend wird im Leben – das erstmalige Kochen am Herd der Kom- das Fazit lautet bei allen: „Wie auch immer, büse scheitert fast an der unzulänglichen jeder sollte sich trauen!“ Ende und over. Bis Landstromversorgung. Aber schlussendlich zum nächsten Mal! werden alle satt. Sabine Lutz 54 UNTERWEGS WIR 2/2012–1/2013

Dresden ist immer eine Reise wert

Elb-Panorama in m 28. September 2012, pünktlich um uns auf den Weg in unser Hotel Kreischaer der „Sächsischen 10.30 Uhr, starteten die 23 Mitglie­ Hof. Dort angekommen, ließen wir dann Schweiz“ von der A der des Aphasie Landesverbands Berlin diesen Tag um 18 Uhr mit einem Abendes­ Festung Königstein e.V. und deren Angehörige ihre Reise nach sen gut ausklingen. aus gesehen Dresden/Kreischa. Der erste Höhepunkt nach zweieinhalb Stunden Fahrzeit war das Am Samstagmorgen fuhren wir zur Barockschloss Moritzburg. Unmittelbar vor Besichtigung der Klinik Bavaria in Krei­ den Toren Dresdens hat August der Starke, scha. Dank unseres Kontakts zum Kommu­ König von Polen und Kurfürst von Sachsen, nikations- und Informationszentrum für auf den Mauern eines ehemaligen Renais­ Aphasiker und Angehörige konnten wir sancebaus das repräsentative Jagd- und Lust­ am Vortrag von Prof. Helmut Teichmann schloss errichten lassen. Hier hatten wir die teilnehmen. Diese Klinik kann in meinen Gelegenheit zur Besichtigung des Schlosses Augen mit ihrer Landschaft und dem baro­ oder zu einem Spaziergang im Park bzw. cken Ensemble wirklich punkten! Der Vor­ konnten es uns bei Kaffee und Kuchen gut trag und die herzliche Art der Pflegeleitung gehen lassen. Gegen 15 Uhr machten wir waren überwältigend. Um 14 Uhr sind wir 2/2012–1/2013 WIR UNTERWEGS 55

dann in die sächsische Schweiz aufgebro­ chen, um die Festung Königstein zu besich­ tigen.

Das fantastische Wetter hielt an, sodass wir einen tollen Blick auf die Elbe, Dresden, das Erzgebirge, die Bastei und den wunder­ schönen Tafelberg Lilienstein hatten. Zwei Stunden Aufenthalt waren einfach zu wenig, um die wunderschönen Impressionen auf­ zunehmen. Ganz besonderer Dank geht an die Damen, die unsere Rolli-Fahrer/innen geschoben haben! Natürlich auch an die Herren …

Dresden individuell besichtigen Oben: Gruppenfoto Berliner Aphasiker Unten: Schloss Moritzburg vom Wasser aus gesehen Sonntagmorgen brachen wir mit dem Bus nach Dresden auf, wo wir eine Reiseleite­ rin vom Tourismusbüro Dresden für eine Sightseeing-Tour an „Bord“ nahmen. Mit fachkundigem Wissen, erklärte sie uns die Sehenswürdigkeiten von „Elbflorenz“: Gol­ dener Reiter, Semperoper, Zwinger,Thea ­ terplatz mit Hofkirche, Fürstenzug, Kreuz­ kirche, Grünes Gewölbe, Neumarkt mit Frauenkirche sowie „Pfunds Milchladen“ – der schönste Milchladen der Welt!

Am Nachmittag konnten wir die High­ lights individuell besichtigen, wie z. B. den herbstlichen Striezelmarkt, die Altstadt und die Brühlschen Terrassen mit der Staatlichen Akademie der bildenden Künste.Viele Apha­ siker waren auch in der Frauenkirche, um sich die 184. Geistliche Sonntagsmusik (Diri­ gent und Trompeter: Ludwig Güttler) anzu­ hören. Die Akustik sowie die lichtdurchflu­ tete Kirche waren ein bleibendes Erlebnis für uns. Es war einfach herrlich!Voller Erlebnisse im Gepäck ging es zurück in unser Hotel.

Am letzten Tag unserer Reise fuhren wir erneut nach Dresden.An den Brühlschen Te r r a s s e n s c h i f f t e n w i r u n s a u f d e r „ M e i ­ ßen“ ein, einem Raddampfer der „Säch­ sischen Dampfschifffahrt“, um elbaufwärts zur Anlegestelle „Schloss Pillnitz“ zu fahren. Unter der Hängebrücke „Blaues Wunder“ (eines der Wahrzeichen der Stadt) hindurch, vorbei an den imposanten Elbschlössern (Albrecht, Lingner, Eckberg) und der idyl­ lischen Kirche „Maria am Wasser“. 56 UNTERWEGS WIR 2/2012–1/2013

Ausblick von der Beim Vorbeidampfen streiften wir die Vil­ Kübelpflanzen und wertvolle alte Bäume. Festung Königstein lenviertel Blasewitz und Loschwitz sowie Orangerie, Bergpalais, Chinesischer Pavil­ die Silhouette von Dresden mit dem welt­ lon und Schloss inklusive Park Pillnitz stan­ berühmten „Canaletto-Blick“ und der Frau­ den zur Besichtigung und einem Spazier­ enkirche. Bernardo Bellotto („Canaletto“) gang frei. war ein venezianischer Maler, der für sei­ ne realistischen Stadtbildansichten europä­ Um 15 Uhr ging diese wundervolle Rei­ ischer Städte, insbesondere Dresden bekannt se dem Ende zu. Dresden und seine Umge­ ist. Eben dieser „Blick“ wurde durch die bung sind immer eine Reise wert! An die­ noch nicht fertiggestellte Waldschlösschen­ ser Stelle möchten wir uns bei unserer brücke gestört. Darum hat die UNESCO Reiseleiterin Christine Busch vom Rei­ Dresden den Status als Weltkulturerbe aber­ sebüro der Fürst Donnersmarck-Stiftung kannt. Knapp zwei Stunden später erreichten recht herzlich bedanken, die alles mit uns wir die Anlegestelle in Pillnitz. Da es ab der geplant und umgesetzt hat. Ebenso bei Anlegestelle sehr uneben und bergauf zum unserem Busfahrer Andreas de la Cheval­ Schloss geht, war es recht anstrengend für lerie (Uhlenköper Reisen), der uns sicher die Rollisschieber/innen. hin- und zurückgebracht hat.Vielen Dank für alles! Der Schlosspark Pillnitz ist für seine Fülle Peter Rose an botanischen Schätzen bekannt, wie die Vorstandsmitglied des mehr als 200 Jahre alte Kamelie, rund 400 Aphasie Landesverbands Berlin e.V. 2/2012–1/2013 WIR UNTERWEGS 57

iemlich kurzfristig hatte ich mich zur becken. Sehr beruhigend, denn schließlich Teilnahme an der Floßfahrt in Lychen wurden auch Getränke verkauft ... Z entschlossen. Ich war froh, noch einen Platz ergattern zu können, denn die Plätze Essen vor Naturpanorama gingen weg wie warme Semmeln. Am Sams- tag, dem 11. August, um 9 Uhr war der Treff- Als alle an Bord waren, legte unser Skip- punkt vor der Fürst Donnersmarck-Stiftung per (Flößer) mit einer zünftigen Flößerstange in der Blissestraße vereinbart. ab. Draußen vertauschte er die Stange mit der Ruderpinne und startete den Motor. Der Morgen war richtig schön, mit Son- Der war kaum zu hören, und so glitten wir nenschein und blauem Himmel. Ich kam als im Tempo eines ambitionierten Fußgängers Letzter zum Treffpunkt und beim Anblick durch die romantische Seenlandschaft der der Gruppe wurde ich doch sehr erwar- Uckermark. Das Holzfeuer wurde entzün- tungsfroh. Zwei Mercedesbusse standen det, das Gulasch erhitzt und die Getränke „Die Flöße Eine sommerliche aus Holz und Baumstämmen Floßfahrt in Lychen sind riesig!“ bereit, 19 Teilnehmer, davon drei Rollis, ins gereicht. Vor dem Naturpanorama einen Abenteuer zu bringen. Trotzdem war genü- leckeren Eintopf mampfen, an seinem Drink gend Zeit, in den Räumen der Stiftung noch nippen und ein nettes Gespräch führen – da in Ruhe einen Kaffee zu trinken. kann man sogar mal die Kamera stecken las- sen und einfach nur genießen. Die Fahrt verging wie im Flug, unser Ziel Lychen in Brandenburg ist schließlich kei- Nach wohlig gefühlten vier, aber real nur ne 90 Kilometer entfernt. Außerdem war zwei Stunden waren wir wieder an unserem sie sehr kurzweilig, denn wir fuhren auf der Ausgangspunkt angelangt. Wir stiegen aus Landstraße durch Wälder und malerische und hatten danach noch zwei Stunden für Städtchen der Uckermark. Nach ca. einein- das Städtchen und uns. Wieder in unseren halb Stunden waren wir da. Durch die alte Bussen verflog die Rückfahrt schneller Stadtmauer ging es hinunter zum Oberpfuhl, als die Hinfahrt, aber genauso amüsant. einem der sieben Seen Lychens, an dessen Gegen 18 Uhr waren wir wieder bei der Ufer die Firma Treibholz liegt, die Veranstal- Fürst Donnersmarck-Stiftung angekommen. terin der Floßfahrten. Nach dem Aussteigen stand da eine lustige Die Flöße aus Holz und Baumstämmen Crew beieina- sind riesig, 30 Personen passen da schon nder, tausch- drauf. Das „Entern“ unseres Floßes war te Nummern auch für die Rollis problemlos. Nichts und Mailadres- schwankte oder wackelte, das Floß lag wie sen aus. Eigent- ein Brett. Zeltdächer schützten vor Sonne lich war es Zeit, und Regen, man saß auf Biergartenbänken sich zu verab- an mehreren Tischen. Im Heck gab es eine schieden, aber so offene Feuerstelle, auf der der große Kes- richtig hatte an - sel mit Gulasch erhitzt wurde. Tom Sawyer scheinend keiner lässt grüßen. Und last but not least gab es Lust dazu. ganz hinten auch noch ein veritables Toi- llettenhaus mit Wasserspülung und Wasch- Stefan Sprenger 58 UNTERWEGS WIR 2/2012–1/2013

m 9. September 2012 haben wir uns mit Petra Besondere Mühe hatte Petra, Andre in ein Boot zu Rohrbach auf dem „Langen See“ in Grünau bekommen. Zunächst wurde das mit einem Einer ver- A getroffen. Mit dabei waren: Dennis, Dirk, Sebastian, sucht. Aber da konnte Andre nicht so gut sitzen. Das Anne, Andre, Linda, Klara, Tanja, Timur und Friedemann. eigenständige Paddeln ging ebenfalls nicht gut. Letztlich Es war ein strahlender Sonntag: beste Bedingung, um auf fand er sich dann in einem Zweier zusammen mit Petra das Wasser zu gehen. wieder – und mitten auf dem See! Das war ein tolles Erlebnis für ihn. Andre ist erst seit kurzem in der Gruppe. Petra gab uns eine gute Einführung zur Paddelbenut- Es zeichnet ihn aus, dass er bislang alles mitmachen wollte. zung, zum Einsteigen in das Boot und zu den Gefahren und Besonderheiten im und um das Boot. Das Tragen Insgesamt waren wir rund dreieinhalb Stunden in Akti- einer Schwimmhilfe war ein Muss! Von jetzt an wissen on und einige waren danach sehr geschafft. Am Ufer gab alle, dass der Begriff Kanu nur ein übergeordneter ist. es eine tolle Möglichkeit, gleich zum Picknick liegen zu Kajak und Kanadier sind die Bootsbezeichnungen. bleiben. Es wurde sehr viel Kuchen verteilt, also waren die Kohlenhydratspeicher schnell wieder aufgefüllt. Die Von einem der Stege aus sind wir dann in die Boote letzte Stunde bis 17 Uhr haben wir dann in der benach- gestiegen und haben im Hafenbereich erst einmal ver- barten Pinte verbracht. Wirklich eine nette Szenerie! sucht, mit den Händen vorwärts zu kommen. Das Wir haben beschlossen, im Winter mal zum „Trocken- klappte gut. Mit dem Paddel und dem anspruchsvollen rudern“ nach Grünau zu fahren. Dann haben wir es für Links-Rechts Rhythmus hatten dann doch einige ihre das Rudern auf dem Wasser leichter, weil das technisch Schwierigkeiten. Das musste gut geübt werden. Aber einfach anspruchsvoller ist, sagt Petra. nach rund zwei Stunden waren schon deutliche Fort- schritte zu erkennen. Alle waren dann mehr oder weni- Angelika Klahr/Robert Freimark ger auf dem „Langen See“ unterwegs. Päd. Leiter der Jugendgruppe der Villa Donnersmarck Aktionstag in Grünau Kajak fahren auf dem „Langen See“ 2/2012–1/2013 WIR UNTERWEGS 59

Ausflug nach Petkus

ir sind mit dem Bus nach Petkus gefahren und Hängebauchschweine, die sehr zahm sind und sich von haben dort vom 24. bis zum 27. August in uns streicheln ließen. Am Ausgang waren noch Ziegen. W einem Gutshaus gewohnt. Hinter dem Haus Eine stand auf dem Haus und beobachtete uns. waren ein Volleyballfeld und eine Tischtennisplatte, im Keller gab es einen Kicker, das Lieblingsspiel der Jungs, Zurück im Gutshaus gab es Kaffee und Kuchen und und das große Fußballfeld auf der gegenüberliegenden ein Sommerfest mit Musik. Kleine Kinder haben etwas Straßenseite, wo wir bis zum Dunkelwerden Fußball vorgetanzt. Man konnte auch etwas gewinnen: Dirk und gespielt haben. Ich habe mit einem Arbeitskollegen Nadeshda haben eine Übernachtung gewonnen und Nils das Zimmer geteilt. Wir hatten ein Doppelbett, einen durfte sich für zwei Stunden Skater ausleihen und ist mit Schrank, einen Fernseher und ein eigenes Bad. Morgens Simon auf der angrenzenden Skaterbahn gefahren. Das gab es Frühstück mit Brötchen, Wurst, Käse, Marmelade, gemeinsame Grillen abends am Lagerfeuer war leider Joghurt, Orangensaft und Kaffee. etwas feucht, da es regnete. Als es richtig dunkel wurde, haben wir eine Nachtwanderung durch den finsteren Am Samstag haben wir uns an den Autos getroffen und Wald gemacht. Einige hatten eine Taschenlampe mit, die sind nach Baruth/Mark gefahren. Ein Förster hat uns in wir aber nicht benutzt haben, weil wir auf die Geräusche die Erlebniswelt Holz eingeführt und uns die Baumarten und Gerüche achten sollten. Wir hatten einen Förster erklärt. Wir mussten die Früchte zuordnen. Das hat mir dabei, der uns alles erklärt hat. Auf dem Rückweg muss- Spaß gemacht. Wir haben dann auch Dachse ausgesägt ten wir uns an einem Seil orientieren, was im Dunkeln und anschließend bemalt. Dann gab es Würstchen vom gar nicht so leicht war. Grill und am Abend ein warmes Abendessen: Spaghetti mit Tomatensauce. Am Montag sind wir nach dem Frühstück wieder zurück nach Berlin gefahren. Die Mitarbeiter des Guts- Sonntag waren wir auf einer Straußenfarm in Merzdorf hauses wollten uns gar nicht gehen lassen und sagten, wir und hatten eine Führung. Es gab viele Strauße zu sehen sollten auf alle Fälle wiederkommen. Ja, und wir wären und wir mussten alle über die Strauße lachen, wie sie uns auch am liebsten alle noch geblieben! mit ihren langen Hälsen und kleinen Köpfen über den Maschendraht anschauten. Das war unser lustigstes Erleb- Sebastian und Tanja nis während der Zeit in Petkus. Auf der Farm leben auch aus der Jugendgruppe der Villa Donnersmarck 60 UNTERWEGS WIR 2/2012–1/2013

Das Berliner Olympiastadion vom Glockenturm aus gesehen

Auf dem „Vordach“ von Berlin Ein Ausflug auf den Glockenturm vom Olympiastadion

orweg eine Empfehlung: Sollte man guter Sicht ist es möglich, sogar das Berliner sich dazu entschließen, auf den 75 Umland – etwa die Gegend rund um Span­ V Meter hohen Turm hinaufzufah­ dau oder die östlich gelegene Trabantenstadt ren, ist es ratsam, zuvor die Ausstellung zur Marzahn zu sehen. Interessant war der Blick Geschichte zu besuchen. Darin erfährt man, von oben auf die Waldbühne, auch 1933 dass vor dem monumentalen Stadionbau errichtet, deren Innenraum man ja sonst von hier schon ein kleineres Stadion existiert Konzerten her nur als Besucher kennt. hat, das zur Austragung der Olympischen Spiele 1916 dienen sollte. Die Spiele konn­ Bizarr und erschreckend nimmt sich hin­ ten allerdings wegen des ErstenWeltkriegs gegen die große Langenmarckhalle aus, die leider nicht stattfinden. den Turm von unten her umschließt. Hier wurden zu Hitlers Zeiten kultische Feiern Darum wurden die Spiele von 1936 an zur Verherrlichung der Toten des Ersten Welt­ unsere Stadt vergeben.Adolf Hitler ließ dafür kriegs abgehalten. Steinerne Inschriften und den monumentalen Stadionbau mit zahl­ Tafeln erinnern noch daran. Absonderlich reichen Nebengebäuden wie beispielsweise möchte ich das Bauwerk nennen, weil man Reitanlage und Schwimmstadion errichten, sich darin als Besucher wirklich erschreckend die wir heute noch sehen können. Zu dem klein fühlt. Den „Teilnehmern“ der Feiern Ensemble gehört auch der Glockenturm. sollte damit wohl klargemacht werden, dass Von dort oben kann man einen großartigen sie nur ein winzig kleines Rädchen im mör­ Rundblick über ganz Berlin genießen. Bei derischen Getriebe des NS-Regimes waren. 2/2012–1/2013 WIR UNTERWEGS 61

Fasst der Besucher Mut und steigt tat­ Fechtwettkämpfen diente. Ihn kann man sächlich über die letzte kleinere Treppe zur leider während einer regulären Stadiontour obersten Plattform hinauf, kann er von oben nicht begehen.Aus bautechnischen Gründen nicht nur den Rundblick genießen, sondern wird er nur am „Tag des offenen Denkmals“ auch die Olympische Glocke in aller Pracht zur Besichtigung geöffnet. Um sich gut zu bewundern. Sie ist zwar leider nur noch orientieren, ist es ratsam, sich den kosten­ ein bronzener Nachguss – das Original ist losen Lageplan genauer anzusehen, auf dem im Krieg schwer beschädigt worden –, die die Nebengebäude von Stadion und Turm britische Besatzungsmacht entschloss sich ausführlich beschrieben sind. Zu dem jedoch, den teilzerstörten Turm wieder zu Ensemble errichten und darin auch einen Nachguss Zum Schluss noch eine kurze Bemerkung: der Glocke zu installieren. Dieser kam jüngst So grausam die mit der Entstehung des Sta­ gehört auch der zu Ehren, als der britische Botschafter mit dions verbundenen Ereignisse auch gewesen dem Anschlag der Glocke die Olympischen sein mögen, ich erinnere mich immer wie­ Glockenturm. Spiele auch für Berlin eröffnete. der gerne an Großveranstaltungen, die ich im Kindes- und Jugendalter dort erleben durfte: Im Bauensemble, zum Haus des Sports zahlreiche Polizeischauen, den Schlussgot­ gehörig, finden wir nicht nur die Geschäfts­ tesdienst zum evangelischen Kirchentag, ein stelle des Berliner Traditionsfußballclubs Rolling Stones- und ein Genesis-Konzert. Hertha BSC, sondern auch einen interes­ santen Kuppelbau, der vor 76 Jahren den Anke Köhler 62 SPORT WIR 2/2012–1/2013

Ein Hauch von Olympia in Berlin

Eindrücke von der ISTAF 2012 als Fotomontage Das Internationale Stadionfest Berlin (ISTAF) ist eine tra­ ditionsreiche Leicht­ o möchte ich meinen Bericht über­ Damit meine ich den Sieg vom Silber­ athletikveranstaltung schreiben, muss das jedoch sofort als medaillengewinner Björn Otto im Stab­ in Berlin. Es gehört S schamlose Untertreibung entlarven. hochsprung genauso wie den regelrechten zur World Challen­ Denn was die Berliner am 2. September Triumph des allseits bekannten Diskus- ge, einer Serie von 2012 im Olympiastadion als ISTAF geboten Olympiasiegers Robert Harting. Er verstand hochkarätig besetz­ bekamen, war nicht nur ein zarter Hauch, es, die Zuschauer eindrucksvoll zu mobili­ ten Meetings. sondern teilweise recht stürmisch. Nament­ sieren. Schon bei seiner Vorstellungsrunde lich die Tageserfolge der deutschen Olym­ im Golf Cabrio erhielt ich einen guten Ein­ piateilnehmer, die ihre guten Leistungen druck davon, wie es nicht nur bei seinem in hier noch einmal eindrucksvoll Triumphzug in London, sondern auch beim bestätigen konnten. ersten Gewinn der Diskus-Weltmeister­ 2/2012–1/2013 WIR SPORT 63

schaft vor heimischer Kulisse zugegangen sein muss. Die Zuschauer tobten, sodass auch ich mich nicht län­ DEUTSCHLANDCUP IM E-BALL 2012 ger zurückhielt. Wie in der Formel 1 Eigentlich wollte ich erst einmal nur beobachten, Der E-Ball DeutschlandCup 2012 im HausRheinsberg wie es bei der traditionellen Leichtathletikveranstaltung ging am 28. Oktober 2012 mit einem Sieg der Mann­ zugeht, ließ mich allerdings recht schnell von der posi­ schaft aus Barmstedt zu Ende. Die Knights Barmstedt tiven Stimmung mitreißen. Obwohl ich die Sportver­ 1 spielten sich auf den 1. Platz, Platz 2 und 3 gingen anstaltung schon seit meiner Kindheit in den Medien an die Ballbusters aus Würzburg und die Berliner mitverfolge, habe ich mich erst jetzt zu einem Besuch Rockey‘s Rolling 2. Zwei Tage lang pfiffen die Reifen im Stadion entschließen können. Es wird nicht der letz­ über die Hallenboden, wenn hart beschleunigt oder te gewesen sein! gebremst wurde. Die Techniker hatten allerhand zu tun. Da wurden Daten aus den Rollstühlen ausgelesen Hürdenlauf faszinierte und neue Software aufgespielt. Und zwischendurch wurde mal eben ein neuer Controller eingebaut. Andre Jubel entfachte auch die sympathische Kugelstoßerin Illgen sagt zum Engagement von Otto Bock im E-Ball: Betty Heidler, gebürtig aus Berlin Marzahn, die zwar „Wir gewinnen Erkenntnisse aus der Sportnutzung für in London nur eine Bronzemedaille erringen konnte, die Motorenentwicklung.“ Wie in der Formel 1, könnte in „ihrem Wohnzimmer“ dann aber doch einen tadel­ man ergänzen. Steffen Mohnke und Carsten Züge losen Tagessieg ablieferte.Wie die Profis wurden auch die organisierten das Turnier, das eine besondere, bundes­ Schulklassen bejubelt, die einen interessanten Staffelwett­ weite Bedeutung besitzt, da es in dieser jungen Sport­ bewerb abhielten und ihren „Laufsuperstar“ ermittelten. art noch keinen regulären Ligabetrieb gibt. Es machte mir Freude zu sehen, wie die Kleinen sich vor einer solchen Zuschauermenge tüchtig anstrengten.

Überhaupt meine ich an diesem Tag eine Ahnung davon erhalten zu haben, was Olympische Spiele und sportliche Betätigung eigentlich bedeuten. Beim Hür­ denlauf faszinierte mich der harmonische Fluss der Kör­ perbewegung. Das gilt natürlich auch für sämtliche Wurf­ disziplinen und den Stabhochsprung. Leider wurden an diesem Tag keine Hochsprungwettbewerbe ausgetra­ gen, die mich zu Hause am Bildschirm immer schon besonders gefesselt haben. Stattdessen drehten Handbiker einige Runden auf der Blauen Bahn, um vorzuführen, was derzeit bei den Paralympischen Spielen in London geschieht. Doch was genau ist E-Ball? Zum Abschluss möchte noch kurz auf das Publikum Ein sehr technischer Sport voller taktischer Raffinesse. eingehen. Es hat mir sehr gut gefallen, wie die Besucher Die Teams bestehen aus vier Spielern oder Spiele­ – ob Fachmann oder interessierter Laie – die einzelnen rinnen, deren E-Rollstühle mit einem Schläger und Disziplinen begleitet haben. Da war kein Pöbeln oder einem Rammschutz ausgestattet sind. Durch geschick­ Skandieren irgendwelcher Unsinnsparolen, nein, auch tes Manövrieren der sporttauglichen Alltagsrollstühle die schlechter Platzierten wurden freundlich mit Applaus wird der Spielball, ein Golfball, mit dem Ziel über das bedacht. Einziges Negativum war, dass sich das Stadion Feld getrieben, ihn in das gegnerische Tor zu versen­ nach der Siegerehrung im Diskuswettbewerb schlagartig ken. Das Tor mit seinen 2,40 Metern Breite erscheint leerte. Meiner Meinung nach hätten auch die Damen zunächst groß, aber der Ball muss eben an den Ver­ beim abschließenden Hürdenlauf Aufmerksamkeit ver- teidigern vorbei in das Gehäuse, die ihrerseits immer dient.Alles in allem muss ich dennoch sagen: Der Sonn­ wieder durch Blocken und Querfahren versuchen, die tag war eine gute Werbung für die Leichtathletik und den Angreifer am Abschluss zu hindern. E-Ball ist eine Wei­ Fortbestand des „Internationalen Stadionfestes“! terentwicklung aus dem E-Hockey. Thomas Golka Anke Köhler 64 LEBEN & LESEN WIR 2/2012–1/2013

haben bereits verschiedene Bücher zu die- „Behinderung. Chronik sem Themenbereich veröffentlicht. In sieben Hauptkapiteln behandeln die Autoren wich- eines Jahrhunderts“ tige historische Stationen beim Umgang mit Behinderung – von der ersten „Krüppelzäh- lung“ Preußens von 1906 über das Thema Ein Spaziergang durch ein Contergan in den 1960er Jahren bis hin zur Jahrhundert der Extreme Umbenennung der „Aktion Sorgenkind“ in „Aktion Mensch“ im Jahr 2000. Beson- ders interessieren sie sich für das Verhältnis von emanzipatorischer Behindertenbewe- gung und dem Staat. Die Autoren beziehen er im Jahr 1900 mit sich zwar immer wieder auf die national- einer Behinderung ge- sozialistische Verfolgung von Menschen mit W boren wurde und im Behinderungen, ihr Buch hat aber vor allem Jahr 2000 starb, der konnte ein dann seine Stärken, wenn es die jüngere Ver- Jahrhundert der Extreme erle- gangenheit ab den 1980ern behandelt. Hier ben. Anfang des 20. Jahrhun- spürt man, dass zwei Zeitzeugen engagiert derts entstand der deutsche von einer Entwicklung berichten, die sie Sozialstaat und gleichzeitig ver- selbst mitgeprägt haben. suchte man, durch geeignete Ausbildungen und Rehabilita- An manchen Stellen wirkt die Darstel- tionsmaßnahmen die Situation lung leider etwas schematisch. Insbesonde- von Menschen mit Behinde- re neigen die Autoren dazu, das Verhalten rung zu verbessern. Als Folge von Menschen mit und ohne Behinderung daraus organisierte sich die erste allzu krass gegenüberzustellen. Dabei sind Selbsthilfebewegung von Men- die Trennlinien zwischen beiden Gruppen schen mit Körperbehinderung. oftmals sehr verschwommen und gerade Auf der anderen Seite wurden auch die positiven Entwicklungen der letz- die Betroffenen im Zuge die- ten Jahrzehnte nur durch eine Kooperation ser Entwicklung zunehmend in von Menschen mit Christian Mürner und Sonderanstalten ausgegrenzt. Diese Ausgren- und ohne Behin- Udo Sierck: „Behin- zung kulminierte darin, dass in den 1930er derung erklärbar. WEITERLESEN derung. Chronik eines Jahren die Nationalsozialisten Menschen mit Dies kann aber Jahrhunderts“, Wein- Behinderung zwangssterilisierten oder gar zum Teil auch mit Weitere Informationen zur heim, Basel: Beltz ermordeten. Auch nach dem Zweiten Welt- dem beschrän- Geschichte von Menschen Juventa, 2012 krieg wurden behinderte Menschen weiter ten Umfang des mit Behinderung finden Sie als Objekte der Fürsorge behandelt. In dieser Buches zusam- u.a. auf www.inklusion-als- Situation begann Ende der 1970er Jahre die menhängen. Von menschenrecht.de oder „Krüppelbewegung“ ihre Rechte offensiv diesem Kritik- www.disability-history.de einzufordern. Mit der UN-Konvention über punkt abgesehen die Rechte von Menschen mit Behinderung bietet Christian (BRK), die in Deutschland 2009 in Kraft trat, Mürners und Udo Siercks Chronik eines konnte sie schließlich einen großen Erfolg Jahrhunderts für alle Interessierten einen erringen. guten Einstieg in die Geschichte des Umgangs mit Behinderung. Wer jedoch Christoph Mürner und Udo Sierck geben aktuelle historische Forschungsarbeiten zu mit ihrem Buch „Behinderung. Chronik diesem Thema lesen möchte, muss zu einer eines Jahrhunderts“ auf nur 142 Seiten einen der zahlreichen im Buch zitierten Studien Überblick über die Geschichte von Men- greifen. schen mit Behinderung im Deutschland des Sebastian Weinert, 20. Jahrhunderts. Beide Autoren sind schon Historiker und Archivar der lange in der Behindertenpolitik aktiv und Fürst Donnersmarck-Stiftung 2/2012–1/2013 WIR LEBEN & LESEN 65

oraya Esfandiary-Bakhtiary, geboren 1932 im iranischen Isfahan, war Toch­ S ter eines persischen Nomadenfürsten und einer Berlinerin. Nach einer freien, wilden Kindheit besuchte Soraya die eng­ lische Missionarsschule für persische Kin­ der in Isfahan, später Schweizer Internate. Schon als Schülerin fühlte sie sich zwi­ schen den Polen „methodisch“-europäisch und „ungezügelt“-persisch, als wäre sie in zwei Hälften zerrissen. Ihr Jugendtraum, Detektivin zu werden, erfüllte sich nicht, denn 1951 heiratete sie den letzten Schah von Persien, Reza Pahlavi. Es war Liebe auf den ersten Blick.Aus politischen Gründen sollte die Hochzeit mit Schah Reza schnell erfolgen.

Sorayas Vorstellung vom Kaiserin-Dasein mit Eselsmilchbädern in einer Schwanen­ hals-Badewanne und „Mondschein im Duft der Jasminblüten“ erfüllte sich jedoch Ehrentitel „Ihre Königliche Hoheit, Prin­ nicht. Sie empfand ihr Leben zuneh- zessin von Iran“ und eine Leibrente in mend als Gefängnis: Die ewigen Famili- Höhe von 17 Millionen Mark. Sie fühlte enmahlzeiten, Langeweile, Einsamkeit, tri- sich wie eine Gefangene, die nach vielen viale Gespräche mit Gästen – und sie war Jahren Einkerkerung vergessen hat, wie man immer zur Diplomatie verpflichtet. Schon inmitten anderer Menschen lebt. bald nach der Hochzeit fand sich das Kai­ serpaar in ein Netz aus Intrigen verstrickt. Soraya lebte anschließend im Luxus, rei- Dass vornehme Familien Soraya umschmei- ste viel und brillierte in der Jet-Set-Soci­ cheln, widert sie an, aber sie lässt sich nichts ety. Die angestrebte Karriere als Schau- Soraya, Prinzessin von Iran Depressionen in Königshäusern

anmerken. Eine Kaiserin darf ihre Gefühle spielerin blieb ihr allerdings versagt. Ihre nicht zeigen. Diese andauernde Versagung, zweite große Liebe mit dem italienischen das eigene Selbst zu leben, war vermutlich Regisseur Indovina wurde 1972 durch ein ein Grund für ihre späteren Depressionen. Flugzeugunglück beendet. Depressionen befielen Soraya. „Prinzessin Schwermut“ Bei Staatsbesuchen trat Soraya als scheute nun öffentliche Auftritte und lebte modern-orientalische Frau auf und sorgte zurückgezogen in ihren luxuriösen Anwe­ am Hof von Teheran für verschwende- sen in Paris und Marbella. 2001 starb sie rischen Glanz. Aber der ersehnte Thron- und wurde im Familiengrab in München folger blieb aus. Das führte schließlich beigesetzt. 1958 zur Scheidung.Was ihr blieb, war der Heike Oldenburg 66 LEBEN & LESEN WIR 2/2012–1/2013

anchmal passieren die ungewöhn- Zunächst machte ich ein Foto und lichsten Dinge. So auch hier in schickte es meiner Tochter nach Köln. Die M unserem Seniorenheim. Es fing alles Antwort kam prompt: „Es ist Hanf! Damit ganz harmlos mit meinem Mini-Apfelbäum- kannst du wirklich die Bienen glück- chen auf dem Balkon an. Es ist besonders lich machen und die ganze Nachbarschaft kleinwüchsig, extra für Engräume gezüchtet dazu. Du entwickelst doch nicht etwa kri- und blüht im Frühling üppig und schön. Nur minelle Energie?“ Sie hat meiner Naivi- Früchte trug es bisher leider nie. tät wegen tüchtig gelacht. Ob ich denn auf meine alten Tage noch einen „Joint“ rau- „Na, klar“, sagte man mir. „Das muss chen wolle … natürlich bestäubt werden! Das weiß doch jeder!“ Bestäuben? Sollte ich das etwa mit Jetzt wurde es mir doch zu bunt. Man hört dem Wattestäbchen selbst besorgen? Wie- ja immer, Unwissenheit schütze vor Strafe der wurde ich belehrt: „Du musst Bienen nicht. So wendete ich mich in meiner Not anlocken.“ Na, gut, aber wie denn? Meine an einen Kripobeamten im Ruhestand, der Tochter gab mir den entscheidenden Tipp: zufällig in unserem Haus wohnt. Dieser gab In der Drogerie sollte es Bio-Samen-Tüt- mir die Telefonnummer der Polizei in Apler- chen mit Namen „Bee-good“ und „Hum- beck, die mich an das Rauschgift-Dezernat mel-Glück“ geben. Die habe ich gekauft weitervermittelte. und ausgesät. Was ich da zu hören bekam, jagte mir end- Undefinierbares Grün wuchs langsam gültig einen Schrecken ein. Ja, hieß es, das heran. Blumen sah ich keine und die Baum- könnte eine Strafanzeige zur Folge haben, blüte war auch längst vorbei. Nach und nach die Pflanze würde beschlagnahmt werden erkannte ich zumindest Kapuzinerkresse, die und, und, und … Man stelle sich die Schlag-

Verbotenes Bienenglück: Hanf auf dem Balkon

zwar keine Bienen, dafür aber ganze Heer- zeilen in der Presse vor: „Rauschgiftskan- scharen von Läusen anlockte. Zwischendrin dal im St.-Ewaldi-Zentrum. Seniorin baut strebte etwas in die Höhe, das hübsch aussah auf Balkon Marihuana an!“ Das gab mir den und immer größer wurde. Sorgfältig habe ich Rest. Schweren Herzens bat ich eine Freun- alles gegossen, gedüngt und schließlich liebe- din, mir (auch als eventuelle Zeugin) bei voll angebunden, damit der stürmische Wind der angeratenen Entsorgung zu helfen. Mir keinen Schaden anrichten konnte. kamen fast die Tränen beim Kleinschneiden der liebevoll gehegten Pflanze, die eine Zier- Noch immer wusste ich nicht, was da so de meines Naherholungsgebietes Balkon war schnell größer wurde und fragte eines Tages und die nun leider im Müll zwischen Kar- eine Freundin, die zufällig vorbeikam: „Sag, toffelschalen und sonstigem Abfall ein jähes mal, weißt du, was das für eine Pflanze ist?“ Ende fand. „Scheint Hanf zu sein“, sagte diese zu mei- ner größten Überraschung. „Hanf?“ Hilfe, Und die Moral von der Geschicht: „Ver- war das nicht die Droge, von der man allent- lieb dich auch in Grünzeug nicht!“ halben hört? Jetzt war ich total verunsichert. Konnte das sein? Doris Corinth 2/2012–1/2013 WIR LEBEN & LESEN 67 Von Feierlaune und Moral …

Barbara Wussow und Francis Fulton-Smith bei der Generalprobe

... erzählt das vor 101 Jahren im Berliner Gemeindeglieder die Möglichkeit, das Stück Zirkus Schumann uraufgeführte Mysteri- zu sehen. Just an diesem Wochenende, dem enspiel „Jedermann“ von Hugo von Hof- 13. Okober 2012, sollte es wieder soweit mannsthal. Bekannt wurde es durch die sein. jährlichen Aufführungen vor dem Dom in Salzburg. Von je her wirken dort prominente An dieser Stelle möch- Schauspieler mit. In der Zeit seit der Urauf- te ich kurz erwähnen, wie INFO führung spielten dort Curd Jürgens und der großartig die Regisseurin spätere Star Klaus-Maria Brandauer und die es immer wieder versteht, In Berlin finden seit 1987 die jähr- weiblichen Mimen Senta Berger oder Vero- ihr Ensemble mit großen lichen Jedermann-Festspiele statt. nica Ferres. Namen zu verstärken. Die Die Inszenierungen leitet Brigitte namengebende Titelrolle Grothum, Spielstätte ist der Berli- Vom andauernden Erfolg angeregt, begann verkörpert in diesem Jahr ner Dom. Die Musik von Johann die Berliner Schauspielerin Brigitte Gro- der Münchner TV-Star Sebastian Bach – live gespielt auf thum (Drei Damen vom Grill), das Stück Francis Fulton-Smith (Dr. der berühmten Sauerorgel des in Berlins 750. Jubiläumsjahr auf die Bühne Kleist) und seine attrak- Berliner Doms, die1903 von Fürst zu bringen. Anfangs noch an verschiedenen tive „Buhlschaft“ wird von Donnersmarck gestiftet wurde Spielorten inszeniert (u.a. in der Kaiser-Wil- von der bekannten Bar- – ist wesentlicher dramaturgischer helm-Gedächtniskirche), bekam der „Jeder- bara Wussow (Schwarz- Bestandteil der Inszenierung. mann“ eine ständige Spiel- und Heimstätte waldklinik, Lernschwester Weitere Infos und Eindrücke von im Berliner Dom unter den Linden. Dort Elke) gespielt. den Festspielen 2012 unter werden die Festspiele ab dem 18. Oktober www.jedermann-festspiele.de 2012 in ihre nächste Spielzeit gehen. Obwohl die Probe mit Publikum nur mit Requi- Seit etwa zehn Jahren finden die vorbe- siten, jedoch ohne Kostüme abgehalten wird, reitenden Proben für die Festspiele in der bekommt man immer einen guten Eindruck Charlottenburger Luisenkirche statt. Am von der Inszenierung. letzten Probentag haben traditionell die Anke Köhler 68 TIPPS & TERMINE WIR 2/2012–1/2013

Italien in meinem Herzen – Sehnsuchtsbilder einer Künstlerin mit Handicap

BU eingefügt

ie Bilder der Autodidaktin wirken vordergründig farbenfroh-naiv AUSSTELLUNG und überraschen bei näherer Betrachtung durch unerwartete und D witzige Details. 30 Jahre war Italien ihre Heimat, doch ein Schicksals­ Ort: Café Q43, schlag zwang Petra Schönwitz, nach Deutschland zurückzukehren.Vor rund Kurfürstenstr. 43 15 Jahren erlitt sie eine Hirnblutung, durch deren schwere kognitive Folgen 12105 Berlin-Tempelhof sie dauerhaft auf Betreuung www.cafeq43.de angewiesen ist. Ihr künstle­ risches Potential entdeckte Die Bilder von Petra Schönwitz sie erst nach ihrer Erkran­ sind bis zum 20. März 2013 kung. Petra Schönwitz lebt im Café Q43 ausgestellt. in einem Apartment des Wohnens mit Intensivbe­ Öffnungszeiten: treuung, einer Einrichtung Montag bis Freitag der Fürst Donnersmarck- 15.00–19.00 Uhr, Stiftung am Tempelhofer samstags ab 12.00 Uhr, Seelbuschring. sonntags ab 14.00 Uhr Petra Schönwitz Helga Hofinger 2/2012–1/2013 WIR TIPPS & TERMINE 69 Programm

Sonntags in der Villa – Der Kultur- stringente Zeichnungen bis hin zu expressi- sonntag „Eindruck und Ausdruck“: onistischer Farbenkraft. Vernissage mit musi- Vernissage Elke Acker kalischer Begleitung.

Pinsel verleihen Flügel. Nicht weniger als Sonntag, 14. April 2013, fliegen lernen möchte Elke Acker durch ihre 15.00–17.00 Uhr, Eintritt frei Kunst. In ihrer Malerei überwindet sie fan- Ausstellung zu sehen bis Herbst 2013, tasievoll und farbenreich alle Grenzen, die Mo.–Fr. 10.00–16.00 Uhr. ihr eine Gehbehinderung im Alltag setzt. Die Ausstellung „Eindruck und Ausdruck“ zeigt die Vielseitigkeit ihrer kreativen Ausflü- Freuen Sie sich auf den Frühling – ge: Von luftigen Landschaftsaquarellen über neues Veranstaltungsprogramm der Villa Donnersmarck

Die Villa Donnersmarck startet in die neue Veranstaltungssaison. Am 25. März 2013 erscheinen das neue Programmheft und der Veranstaltungskalender. Laden Sie beides ein- fach herunter, mithilfe des Codes oder unter www.villadonnersmarck.de

Wer lieber etwas zum Blättern hat, bekommt das neue Programm nach Bestellung auch kostenlos nach Hause geschickt:

Bestellungen an Villa Donnersmarck, Schädestr. 9–13, 14165 Berlin

Neues Reiseprogramm der Fürst Donnersmarck-Stiftung

Mit altbewährten und neuen Zielen star- hausstadt Dessau und die Kaiserstadt Gos- tet das Reisebüro der Fürst Donners- lar mit ihrer tausendjährigen Geschichte marck-Stiftung 2013 mit neuem Programm. sind Höhepunkte für 2013. Auch War- Barrierefrei Städtetouren zu günstigen nemünde und Zinnowitz auf Usedom ste- Preisen genießen, ist der hen wieder im Programm. Anspruch, mit dem die Alle Interessierten sind erfahrenen Reisegestalte- SAISONAUFTAKT sind zum Saisonauftakt rinnen Christine Busch herzlich in die Villa Don- und Ines Voll auch 2013 Freitag, 15. März 2013 nersmarck eingeladen. Hier ein vielfältiges Programm 15.00–17.00 Uhr können sich Reisehung- zusammengestellt haben. Villa Donnersmarck rige im gemütlichen Rah- Das Ergebnis kann sich Schädestr. 9–13 men informieren und Rei- sehen lassen: Die Bau- sepläne schmieden. 70 SERVICE WIR 2/2012–1/2013

Sie möchten regelmäßig die WIR lesen? Die WIR erscheint zweimal im Jahr und wird Ihnen gerne kostenlos zugesandt. Bitte senden Sie uns den ausgefüllten Bestellcoupon oder faxen Sie eine Kopie an 030 - 76 97 00-30. Die WIR gibt es auch zum Download unter www.fdst.de

WIR 1/2011 WIR 2/2011 WIR 1/2012 • Ambulantisierung und • Mittendrin – so wie ich bin • 40 Jahre Gästehaus Regionalisierung • Deutschland inklusiv? Bad Bevensen • Vater und allein erziehend • Interkulturelle Begegnungen • Begeisterung ist im Rollstuhl • Migration und Behinderung inklusiv • Beratung für Mütter • Kundenstudie • Mehr Dünger fürs Hirn mit Behinderung • Lernsehabend • Larper aus Leidenschaft • Das Recht auf Elternassistenz • Medien und Behinderung • Jahresempfang bei • Besuch bei René Koch • Der Seniorentag 2011 Hubert Hüppe • Barrierefreier Arztbesuch? in Berlin • Max lernt schwimmen • Moderne Schatzjäger • Hansesail, die zweite • Wenn der Traumprinz • Yoga in der • Yrsa Sigurðardóttir im Rollstuhl sitzt Villa Donnersmarck „Feuernacht“ • Ein Stoff zum Träumen

Name ...... Ich möchte gerne regelmäßig und kostenlos die WIR erhalten Straße ...... PLZ/Ort ...... Ich möchte weitere Informations- und E-Mail ...... Veranstaltungsangebote der Fürst Donnersmarck-Stiftung Fürst Donnersmarck-Stiftung Öffentlichkeitsarbeit Ich brauche ...... Exemplar(e) Dalandweg 19 der aktuellen Ausgabe der Ausgabe 1/2012 12167 Berlin der Ausgabe 2/2011 der Ausgabe ...... 2/2012–1/2013 WIR SERVICE 71

DIE FÜRST DONNERSMARCK-STIFTUNG UND IHRE TEILBEREICHE

Fürst Donnersmarck-Stiftung zu Berlin Dalandweg 19, 12167 Berlin Tel.: 0 30 - 76 97 00-0

Fürst Donnersmarck-Haus P.A.N. Zentrum Wildkanzelweg 28, 13465 Berlin Tel.: 0 30 - 4 06 06-0

Wohnheim am Querschlag Am Querschlag 7, 13465 Berlin Tel.: 0 30 - 40 10 36 56

Ambulant Betreutes Wohnen DIE STIFTUNG IM WEB Wohngemeinschaften und Betreutes Einzelwohnen Babelsberger Str. 41, 10715 Berlin Sie suchen die passenden Links, Tel.: 0 30 - 85 75 77 30 um uns im Netz zu finden? Sie finden sie hier: www.fdst.de/socialmedia Ambulanter Dienst Oraniendamm 10–6, Aufgang A, 13469 Berlin Tel.: 0 30 - 40 60 58-0 www.facebook.com/fdst.zu.berlin www.facebook.com/Hotel.HausRheinsberg Freizeit, Bildung, Beratung www.facebook.com/villa.donnersmarck Villa Donnersmarck www.twitter.com/donnersmarck1 Schädestr. 9–13 14165 Berlin www.youtube.com/user/fdstmittendrin Tel.: 0 30 - 84 71 87-0 www.youtube.com/user/hausrheinsberg www.flickr.com/hausrheinsberg blisse 14 Blissestr. 14, 10713 Berlin Gruppenräume: www.fdst.de Eingang Wilhelmsaue Tel.: 0 30 - 84 71 87 50

Café blisse 14 Blissestr. 14 10713 Berlin Impressum Wohnanlage für Behinderte WIR – Magazin der Fürst Donnersmarck-Stiftung zu Berlin Zeltinger Str. 24. 13465 Berlin Herausgeber Fürst Donnersmarck-Stiftung zu Berlin Tel.: 0 30 - 4 01 30 28 Redaktionsleitung Thomas Golka/Ursula Rebenstorf Gästehaus Bad Bevensen Fürst Donnersmarck-Stiftung Alter Mühlenweg 7, 29549 Bad Bevensen Dalandweg 19, 12167 Berlin Tel.: 0 58 21 - 9 59-0 Tel.: 0 30 - 76 97 00-27; Fax: -30 E-Mail: [email protected]; Internet: www.fdst.de Reisebüro Gestaltung bleifrei Texte + Grafik Blissestr. 12, 10713 Berlin Titel Foto: Helga Hofinger Tel.: 0 30 - 8 21 11 29 Druck Nordbahn gGmbH, Werkstatt für Behinderte Erscheinungsweise zweimal im Jahr Redaktionsschluss dieser Ausgabe 31. Januar 2013 HausRheinsberg Hotel am See Fotos Sean Bussenius, Enno Hurlin, Susanne Schiering, Donnersmarckweg 1, 16831 Rheinsberg Thomas Golka, Ursula Rebenstorf, Helga Hofinger, Irene Seemann, Tel.: 03 39 31 - 3 44-0 Thomas Boldin, Sabine Dallwitz, Jessica Prautzsch, Sabine Lutz, Ronald Budach, Peter Rose, Stefan Sprenger, Robert Freimark, FDS Gewerbebetriebsgesellschaft mbH Angelika Klahr, Anke Köhler, Doris Corinth, Herbert Waldmann Hausverwaltung/Vermietung Mit freundlicher Genehmigung von Kirsten Heil, Heike Amalienstr. 14, 12247 Berlin Oldenburg, Monika Holfeld, anderStark (Anastasia Umrik), Tel.: 0 30 - 7 94 71 50 Deutsches Institut für Menschenrechte, LV Selbsthilfe, Wikipedia Illustrationen Doris Brandt Barrierefreier Urlaub in der Lüneburgerg Heidee Unser Bonbon für die WIR -Leser: Bei Buchung eines Aufenthaltes im Gäste haus Bad Bevensen nennen Sie bitte das Stichwort „WIR -Zeitung“ und wir schenken Ihnen eine Eintritts karte für die Jod -Sole -Therme.

Gästehaus Bad Bevensen Alter Mühlenweg 7, 29549 Bad Bevensen,Telefon: 05821-959 0 Telefax: 05821-959 160, E-Mail: [email protected], Internet: www.gaestehaus-bad-bevensen.de

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