Die umweltpolitische Debatte wird in Zukunft mehr und mehr durch den Leitbegriff Umweltgutachten der ökologischen Grenzen bestimmt werden: In einer begrenzten Welt kann es ­keine unbegrenzte Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen geben. Nachhaltiges Wirt- schaften erfordert eine Entkopplung von Wohlfahrt und Ressourcennutzung durch 2012 grundlegende Innovationen, veränderte Lebensstile und die Aufwertung überlebens- wichtiger Ökosystemleistungen. Im vorliegenden Umweltgutachten hat sich der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) bewusst auf wenige Schwerpunktthemen konzentriert, für die er einen besonde- Verantwortung ren Handlungs- oder Orientierungsbedarf sieht. Diese hat er zu den drei thematischen Clustern „Wohlfahrt und Ressourcennutzung entkoppeln“, „Ökosystemleistungen in einer aufwerten“ und „Integrative Konzepte stärken“ gebündelt. begrenzten Welt Der SRU berät die Bundesregierung seit 1972 in Fragen der Umweltpolitik. Die Zu- SRU · Umweltgutachten 2012 · Verantwortung in einer begrenzten Welt in einer begrenzten Verantwortung SRU · Umweltgutachten 2012 sammensetzung des Rates aus sieben Professorinnen und Professoren verschiedener Juni 2012 Fachdisziplinen gewährleistet eine wissenschaftlich unabhängige und umfassende Be- gutachtung sowohl aus naturwissenschaftlich-technischer als auch aus ökonomischer, rechtlicher und politikwissenschaftlicher Perspektive.

(D) € 9 783503 138982 59,00 Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) Prof. Dr.-Ing. Martin Faulstich (Vorsitzender), Technische Universität München, Wissenschaftszentrum Straubing Prof. Dr. med. dent. Heidi Foth (stellvertretende Vorsitzende), Martin Luther Universität Halle/Wittenberg Prof. Dr. iur. Christian Calliess, Freie Universität Berlin Prof. Dr. rer. pol. Olav Hohmeyer, Universität Flensburg Prof. Dr. rer. oec. Karin Holm-Müller, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Prof. Dr. rer. nat. Manfred Niekisch, Goethe-Universität Frankfurt, Zoologischer Garten Frankfurt/Main Prof. Dr. phil. Miranda Schreurs, Freie Universität Berlin

Dieses Gutachten beruht auch auf der sachkundigen und engagierten Arbeit der Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter des SRU. Zum wissenschaftlichen Stab des Umweltra- tes gehörten während der Arbeiten an diesem Gutachten: DirProf. Dr. phil. Christian Hey (Generalsekretär), M. A. Christian Simon (stellver- tretender Generalsekretär), Dr.-Ing. Mechthild Baron, Dipl.-Wi.-Ing. Sönke Bohm (Flensburg), Dipl.-Ing. agr., MSc Johanna Budde (Bonn), Dipl. Vw. Carl-Friedrich Elmer, Dr. rer. nat. Henriette Dahms (Berlin), Dr. rer. nat. Ulrike Doyle, Ass. iur. Miriam Dross LL. M., Dr. rer. nat. Felix Glahn (Halle/Saale), Dipl.-Pol. Julia Hertin, Dipl.-Wi.-Ing. Holger Höfling, Dipl. Geogr. Stefanie Jung, Dipl.-Biol., MES Anna Leipprand (Berlin), Dr. phil. Dörte Ohlhorst (Berlin), Dr. rer. nat. Markus Salomon, Dr. rer. nat. Susanne Schick (Frankfurt/Main), Dr. rer. nat. Elisabeth Schmid, Dipl. iur. Heidi Stockhaus (Berlin), MPP, MA Michael Weber. Zu den ständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle gehörten bei Abschluss des Gutachtens: Petra Busch, Ute Fritsch, Susanne Junker, Rainer Kintzel, Pascale Lischka, Susanne Winkler und Sabine Wuttke.

Anschrift: Geschäftsstelle des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) Luisenstraße 46, 10117 Berlin Tel.: (030) 26 36 96-0, Fax: (030) 26 36 96-109 E-Mail: [email protected], Internet: http://www.umweltrat.de (Redaktionsschluss: 1. März 2012)

5 Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU)

Danksagung Der SRU dankt den Vertretern der Ministerien und Ämter des Bundes und der Län- der sowie den Vertretern von Wissenschaft und Interessenverbänden, die er konsul- tiert hat und ohne deren Kenntnisse, Forschung oder Erfahrungen das vorliegende Gutachten nicht möglich gewesen wäre: – Enquetekommission des Deutschen Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“: Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Prof. em. Dr. Martin Jänicke – Bundeskanzleramt (BKAmt): RDir Dr. Stefan Bauernfeind, Monika Frieling, Friederike Sabiel – Bundesministerium des Innern (BMI): Priv.-Doz. Dr. Gottfried Konzendorf – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU): UAL Reinhard Kaiser, UAL MinDirig Dr. Fritz Holzwarth, RDir’in Heike Imhoff, RDir’in Dr. Eva Kracht, RDir’in Birgit Schwenk, MinR Dr. Christof Sangenstedt, RDir Dr. Jörg Mayer-Ries, Mathias Samson, MinR Dr. Siegfried Waskow, , Gabriele Kuczmiercyk, Anne Miehe, Dr. Julia Werner, MinR Peter Franz, Frank Hönerbach, RDir Dr. Ulf Jaeckel, Frank Klingenstein, Florian Raecke, Matthias Scheffer, – Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS): UAL Dirk Inger, Nilgün Parker, Bernd Altmann-Kaufhold, Almuth Draeger, Michael Greulich, Dietmar Menzer, Eva Schmitz-Michels, Florian Schnoor, Johannes Wien – Umweltbundesamt (UBA): Dr. habil. Kora Kristof, Dr. Gerlinde Knetsch, Christiane Heiß, Petra Röthke-Habeck, Stefanie Werner, Michael Bölke, Dr. Dieter Cohors-Fresenborg, Dr. Jakob Frommer, Dr. Gunnar Gohlisch, Dr. Frank Glante, Ulrich Irmer, Helge Jahn, Michael Jäcker-Cüppers, Marion Malow, Lars Mönch, Thomas Myck, Gertrude Penn-Bressel, Jörg Rechenberg, Nadja Richter, Bernhard Specht, Lars Tietjen, Dr. Hedwig Verron, Maja Zarske – Bundesamt für Naturschutz (BfN): Prof. Dr. Beate Jessel, Dr. Annette Doerpinghaus, Dr. Anke Höltermann, Dr. Wiebke Züghart, Dr. Manfred Klein, Dr. Jochen Krause, Dr. Henning von Nordheim – Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR): Dr. Hildegard Wilken – Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin: Dr. Imke Steinmeyer, Burkhard Horn – Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales Berlin: Heinz-Josef Klimeczek – Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW: Heinrich König, Gero Oertzen – Stadt Zürich, Tiefbauamt: Ruedi Ott – Bezirksregierung Münster: Dr. Johannes Wiedemeier – Bezirksregierung Köln: Franz-Wilhelm Iven – Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU): Prof. Dr. Dirk Messner, Dr. Birgit Soete – Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE): Prof. Dr. Angelika Zahrnt, Dr. Günther Bachmann – Freie Universität Berlin, Forschungszentrum für Umweltpolitik (FFU): Dr. Klaus Jacob, Roland Zieschank – Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK): Prof. Dr. Ottmar Edenhofer – Universität Heidelberg, Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaf- ten: Prof. em. Dr. Malte Faber

6 Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU)

– Johann Heinrich v. Thünen-Institut: Dr. habil. Jens Dauber – Deutsches Institut für Urbanistik: Tilman Bracher, Jürgen Gies – Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR): Katja Köhler – Technische Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung: Prof. Dr. Christian Holz-Rau – Technische Universität Hamburg-Harburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik: Prof. Dr. Heike Flämig – Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Fakultät Landschaftsarchitektur: Prof. Dr. Matthias Drösler – Hochschule Darmstadt, Sonderforschungsgruppe Institutionenanalyse: Prof. Dr. Martin Führ – Universität Osnabrück: Prof. Dr. Bernd Meyer – Universität für Bodenkultur Wien, Institut für Zoologie: Dr. Kathrin Pascher – Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Forst- und Umweltpolitik: Dr. Georg Winkel – Wissenschaftszentrum Berlin (WZB): Prof. em. Dr. Dr. h.c. Udo Ernst Simonis, Dr. Weert Canzler – Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (FEST): Prof. Dr. Hans Diefenbacher – Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI): Nils aus dem Moore – Stadtbaurätin München a. D.: Christiane Thalgott – Beirat für Nachhaltige Entwicklung Brandenburg: RDir a. D. Dr. Albert Statz – Museum für Naturkunde Berlin, Leibniz-Institut für Evolutions- und Bio- diversitätsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin: Dr. Katrin Vohland – Heinrich-Böll-Stiftung: Barbara Unmüßig – Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft: Damian Ludewig, Eike Meyer – Institute for European Environmental Policy (IEEP): Dr. Axel Volkery – Universität Bonn, Institute for International Economic Policy: Martin Stürmer – Naturschutzbund Deutschland (NABU): Dr. Benjamin Bongardt, Magnus Wessel, Johannes Enssle, Felix Grützmacher – Greenpeace: Martin Kaiser – Ver.di: Priv.-Doz. Dr. Norbert Reuter – Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV): Wolfgang Schwenk, Thomas Hilpert – Europäisches Umweltbüro (EEB) (jetzt Forest Stewardship Council): John Hontelez – Bundesvereinigung Torf- und Humuswirtschaft: Johannes Welsch – Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung mbH: Prof. Dr. Bernd Meyer – Umicore AG & Co. KG: Dr. Christian Hagelüken – Hintermann & Weber AG: Urs Hintermann

7 Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU)

Mitglieder des Sachverständigenrates und der Geschäftsstelle haben in den letzten Jahren an zahlreichen Veranstaltungen und Gesprächen wie zum Beispiel Anhörun- gen und an Expertengesprächen teilgenommen und dabei vielfach auch Vorträge ge- halten. Aus diesen Veranstaltungen erhält der SRU wichtige Anregungen und Kon- takte für die Gutachtenarbeit sowie die Gelegenheit, seine Arbeit auf dem jeweils aktuellsten Diskussionstand zu halten. Eine vollständige Dokumentation aller Veran- staltungen würde den Rahmen dieser Danksagung sprengen. Im Laufe des Jahres 2011 und 2012 fanden Vorabkonsultationen und Gespräche mit den zuständigen Abteilungen des BMU sowie weiterer Bundesministerien statt. Die volle Verantwortung für das vorliegende Gutachten übernimmt der SRU. (Redaktionsschluss: März 2012)

8 Inhalt Seite

Kurzfassung ...... 11

0 Einführung ...... 17

1 Die neue Wachstumsdebatte ...... 31

Wohlfahrt und Ressourcennutzung entkoppeln

2 Metallische und mineralische Rohstoffe ...... 65

3 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik ...... 101

4 Güterverkehr und Klimaschutz ...... 135

5 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen ...... 171

Ökosystemleistungen aufwerten

6 Umweltgerechte Waldnutzung ...... 209

7 Moorböden als Kohlenstoffspeicher ...... 241

8 Sektorübergreifender Meeresschutz ...... 271

Integrative Konzepte stärken

9 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagen- zulassungsrechts ...... 305

10 Medienübergreifendes Monitoring ...... 329

11 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien ...... 365

Abkürzungsverzeichnis ...... 397

Stichwortverzeichnis ...... 404

Rechtsquellenverzeichnis ...... 410

Einrichtungserlass ...... 417

Publikationsverzeichnis ...... 419

9

Kurzfassung

Kurzfassung

*1. Die umweltpolitische Debatte wird in Zukunft mehr Entkopplung von Wohlfahrt und Ressourcennutzung sind und mehr durch den Leitbegriff der ökologischen Gren- längst nicht ausgeschöpft, das gilt insbesondere für die zen bestimmt werden: In einer begrenzten Welt kann es Energieversorgung. Unverzichtbar für ein Wirtschaften keine unbegrenzte Inanspruchnahme natürlicher Ressour- innerhalb ökologischer Grenzen ist eine Innovationsstra- cen geben. Nachhaltiges Wirtschaften erfordert eine Ent- tegie, die mit der Transformation großer Infrastrukturen kopplung von Wohlfahrt und Ressourcennutzung durch und Produktionssysteme einhergeht. Die derzeitigen grundlegende Innovationen und die Aufwertung überle- Marktpreise liefern hierfür aber aufgrund vielfältigen benswichtiger Ökosystemleistungen. Markt- und auch Staatsversagens nicht die richtigen Si- gnale. Die staatlichen Institutionen werden – korrespon- Im vorliegenden Umweltgutachten hat sich der Sachver- dierend zu der auch verfassungsrechtlich verankerten ständigenrat für Umweltfragen (SRU) bewusst auf we- Verantwortung (Artikel 20a GG, Artikel 191 AEUV) – nige Schwerpunktthemen konzentriert, für die er einen auch regulativ eingreifen müssen, um Zukunftslösungen besonderen Handlungs- oder Orientierungsbedarf sieht zum Durchbruch zu verhelfen. oder bei denen wichtige grundlegende Weichenstellungen bevorstehen. Mit dieser Schwerpunktsetzung betont der Es ist allerdings möglich, dass selbst bei Ausnutzung aller SRU die ihm übertragene Aufgabe, die Urteilsbildung al- Potenziale einer ökologischen Transformation langfristig ler umweltpolitisch verantwortlichen Instanzen in Grenzen für das Wirtschaftswachstum bestehen. Aus die- Deutschland zu erleichtern. Die Schwerpunktthemen hat sem Grunde ist es wichtig, frühzeitig eine Debatte da- der SRU in einem iterativen Prozess auf der Basis eigener rüber zu beginnen, wie essenzielle gesellschaftspolitische Analysen sowie wichtiger Zukunftsberichte über große Ziele auch ohne oder mit sehr niedrigem Wachstum er- Entwicklungstrends identifiziert und sie zu den drei the- reichbar bleiben. Zentrale Handlungsfelder dieser vor- matischen Clustern „Wohlfahrt und Ressourcennutzung sorglichen Debatte sind die Entschärfung von Vertei- entkoppeln“, „Ökosystemleistungen aufwerten“ und „In- lungskonflikten, die Sicherung der Beschäftigung, tegrative Konzepte stärken“ gebündelt. Investitionen in eine wachstumsunabhängige Wirtschaft und die Finanzierung von Staatsausgaben und Sozialsys- Die neue Wachstumsdebatte temen. Daneben sollte zur besseren Kommunikation der Erreichung wohlfahrtsrelevanter Ziele auch die Messung *2. In Deutschland, aber auch international wird derzeit von Wohlfahrt neu überdacht werden. intensiv über die grüne Wirtschaft und die Postwachs- tumsgesellschaft diskutiert. Im Kern geht es darum, ob Wohlfahrt und Ressourcennutzung entkoppeln und wie ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum mög- lich ist, ohne langfristig globale ökologische Grenzen zu *3. Der erste Themenkomplex des Gutachtens befasst überschreiten. Ökologische Grenzüberschreitungen wer- sich mit den Potenzialen und Gestaltungsmöglichkeiten den im Falle des Klimawandels, des Verlustes von biolo- der Entkopplung anhand von vier Themenfeldern: den gischer Vielfalt, zu hoher Nährstofffrachten, der Überfi- metallischen und mineralischen Rohstoffen, dem Lebens- schung, der Landnahme für kommerzielle Nutzungen, der mittelkonsum, dem Güterverkehr und der Mobilität in Bodenerosion oder der Wasserknappheit bereits in etli- Ballungsräumen. In allen vier Bereichen war ein wach- chen Regionen festgestellt. sendes Volkseinkommen bisher mit einer Zunahme um- weltbelastender Aktivitäten verbunden. Nicht zuletzt des- Die Überschreitung ökologischer Grenzen kann Umkipp- wegen stehen sie aktuell vor großen ökologischen effekte mit sich bringen, die gravierende Rückwirkungen Herausforderungen. In allen diesen Bereichen bestehen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft hätten. Die Ein- aber Möglichkeiten zur Entkopplung von Wohlfahrt und haltung dieser Grenzen sollte daher Priorität in der natio- Umweltbelastung, die darauf abzielen, die Inanspruch- nalen, europäischen und internationalen Umweltdiskus- nahme der Umwelt als Schadstoffsenke oder Ressource sion erhalten – nicht nur im Klimaschutz. deutlich zu verringern, ohne negative Auswirkungen auf So unbestreitbar die Tatsache ist, dass ökologische Gren- die wirtschaftliche Entwicklung und andere Umweltme- zen bestehen, so anspruchsvoll ist es, sie auf den ver- dien zu haben. schiedenen räumlichen Ebenen konkret zu bestimmen. Neben naturwissenschaftlichen Erkenntnissen müssen da- Metallische und mineralische Rohstoffe bei auch normative Wertungen über gesellschaftlich ak- *4. In der aktuellen Diskussion um abiotische, nicht- zeptable Risiken und das erwartete Maß an Vorsorge eine energetische Rohstoffe steht die Versorgungssicherheit wichtige Rolle spielen. für eine leistungsfähige Wirtschaft im Vordergrund. Die Ökologische Grenzen einzuhalten bedeutet jedoch nicht Umweltfolgen der Rohstoffwirtschaft werden dagegen unbedingt das Ende des Wachstums. Die Potenziale der vergleichsweise wenig zur Kenntnis genommen. Insbe-

11 Kurzfassung sondere beim Abbau von Rohstoffen finden weitrei- und Natur. Dies gilt vor allem für den Fleischkonsum, chende Eingriffe in den Naturhaushalt statt. Die weiteren aber auch für den Konsum von Milchprodukten. Der hohe Verarbeitungsschritte sind vielfach mit einem erheblichen Konsum tierischer Produkte in Deutschland, welche je klimawirksamen Energie- und einem risikobehafteten „Kalorie“ deutlich mehr Fläche als pflanzliche Produkte Chemikalieneinsatz verbunden. beanspruchen, ist im Hinblick auf die wachsende Weltbe- völkerung und die gravierenden Umweltfolgen einer in- Eine umweltverträgliche Rohstoffwirtschaft zielt zum ei- tensiven Landwirtschaft nicht global verallgemeinerungs- nen auf eine Entkopplung von Rohstoffverbrauch und fähig. Es stellt sich daher die grundlegende Frage, wie die Wohlfahrt durch mehr Effizienz, zum anderen auf die Politik bei Verbrauchern einen umweltbewussteren Kon- Verminderung der Umweltauswirkungen der Rohstoff- sumstil induzieren kann. wirtschaft. Ansatzpunkte bestehen in einer deutlich ge- steigerten Kreislaufführung von Rohstoffen sowie der Es lassen sich dabei einige allgemeine Leitlinien für einen Reduktion der Umweltbelastungen entlang der gesamten umweltfreundlicheren Lebensmittelkonsum aufstellen: Wertschöpfungskette. Eine besondere Herausforderung Vordringlich ist zunächst eine Verringerung der Lebens- für die Rohstoffwirtschaft ist die Verminderung der Um- mittelverluste. Eine Reduktion um mindestens 50 % bis weltfolgen der Rohstoffgewinnung, weil diese mittler- 2025 sollte als politisches Ziel festgeschrieben werden. weile weitgehend im Ausland stattfindet. Um dies zu erreichen, sollten unter anderem die Vorgaben Der SRU sieht die folgenden Handlungsansätze als ziel- für Haltbarkeitsdaten auf Verpackungen überarbeitet wer- führend für eine umweltverträglichere Rohstoffwirt- den. schaft an: Die Kreislaufführung lässt sich zum Beispiel Wünschenswert ist, dass der Konsum tierischer Produkte durch Mindeststandards für die Entsorgung von Elektro- reduziert wird. Dazu wird der Bundesregierung empfoh- und Elektronikschrott, die Festlegung höherer Verwer- len, den reduzierten Mehrwertsteuersatz auf tierische Pro- tungsquoten, verpflichtende Funktionsnachweise von Ge- dukte abzuschaffen. Des Weiteren sollten die Erfahrun- brauchtgeräten für den Export sowie die Etablierung von Pfandsystemen für Mobiltelefone und Computer aus- gen, die mit der Einführung einer Steuer auf gesättigte bauen. Fettsäuren in Dänemark gemacht werden, evaluiert und eine Einführung auch in Deutschland geprüft werden, National und europäisch kann die Umweltverträglichkeit wenn sich positive Umweltwirkungen zeigen. des Rohstoffabbaus durch ein Bündel ordnungsrechtli- cher und ökonomischer Instrumente verbessert werden. Ferner sollten Produkte aus extensiver Weidehaltung bzw. So sollte das Bergrecht mit dem Ziel einer Stärkung der aus Fütterung mit extensiv produziertem Futter bevorzugt Naturschutzbelange reformiert werden. Zudem kann die werden. Eine Erfolg versprechende Maßnahme zur För- Einführung einer Primärbaustoffsteuer den Druck auf ei- derung des Konsums von Gütern, die auf naturschutzge- nen weiteren Abbau mineralischer Rohstoffe in Deutsch- recht bewirtschafteten Flächen hergestellt werden, wäre land reduzieren und einen Anreiz zur erweiterten Nut- es, zusätzlich zu dem bestehenden EU-Öko-Siegel ein zung von Sekundärrohstoffen in der Bauindustrie geben. „Naturschutz-Siegel“ einzuführen. Dieses soll Produkte kennzeichnen, die auf Flächen hergestellt wurden, auf de- Weiterhin kann eine knappe statt der bisher üblichen nen Agrarumweltmaßnahmen durchgeführt werden oder großzügigen Ausstattung der Industrie mit Emissions- die unter Vertragsnaturschutz stehen. Zur Förderung eines rechten die Klimaverträglichkeit der Produktion rohstoff- umweltbewussteren Konsumstils sollten darüber hinaus intensiver Güter verbessern. Dafür müssen die ab 2013 Informationskampagnen verstärkt, Bildungsangebote ver- zur Vergabe von Zertifikaten festzulegenden sektoralen bessert und das Angebot im öffentlichen Außer-Haus- Benchmarks ambitionierte Emissionsreduktionsverpflich- Verzehr umgestaltet werden. Auch sollte die Politik ver- tungen zur Folge haben. Etwaige Carbon-Leakage- mehrt die Einrichtung von Dialogforen und Runden Effekte dürfen nicht zu Überallokationen von Emissions- Tischen zur Vernetzung privater Akteure anregen, um die rechten in gewissen Sektoren führen, zu denen auch und gerade die rohstoffintensiven Industrien gehören. Überal- großen Potenziale zu nutzen, die nicht-staatliche Akteure lokationen gefährden die Wirksamkeit des gesamten in diesem Bereich haben. Emissionshandelssystems. Um das bestehende Überange- bot an Zertifikaten zu verringern, muss das Emissionsziel Güterverkehr und Klimaschutz bis 2020 verschärft werden. *6. Die prognostizierten Wachstumsraten des (Straßen-) Die Umweltverträglichkeit des Rohstoffabbaus in roh- Güterverkehrs sind so hoch, dass ohne einschneidende stoffexportierenden Ländern sollte durch internationale Maßnahmen die nationalen Klimaschutzziele für 2050 Rohstoffabkommen und Zertifizierungssysteme mit ho- gefährdet sind. Bisher hat es die Verkehrspolitik aller- hen Umwelt- und Sozialstandards für die Rohstoffgewin- dings versäumt, zielführende Konzepte für einen nachhal- nung verankert werden. Die Bundesregierung und die EU tigen Güterverkehr zu entwickeln. können dabei wesentliche Treiber für ein internationales Rohstoffrahmenabkommen werden. Die bisher zugrunde gelegten Wachstumsprognosen scheinen zu hoch angesetzt. Sie setzen zumeist einen dy- namischen Zubau von Infrastrukturen voraus, der ange- Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik sichts stark wachsender Kosten und begrenzter Budgets *5. Der Lebensmittelkonsum hat über Produktion, Ver- nicht realistisch erscheint. Infrastrukturknappheit, deut- arbeitung und Transport erheblichen Einfluss auf Umwelt lich steigende Transportkosten und der Strukturwandel

12 Kurzfassung der Volkswirtschaft werden das Verkehrswachstum aller wendig. Als mittelfristiges Ziel sollte angestrebt werden, Voraussicht nach spürbar dämpfen. den Anteil des Umweltverbundes (öffentlicher Personen- nahverkehr (ÖPNV), Fahrrad- und Fußverkehr) am Mo- Eine solche Entkopplung von Wirtschafts- und Güterver- dal Split bis 2025 vom jeweiligen Stand um 20 % und kehrswachstum sowie weitere – technische und logisti- langfristig auf einen Anteil von 70 bis 80 % zu erhöhen. sche – Effizienzverbesserungen werden allerdings nicht ausreichen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Daher Um ein solches Ziel zu erreichen, sind zum einen ver- ist es langfristig notwendig, den Güterverkehr auf erneu- stärkte Fördermaßnahmen und Investitionen in den Um- erbare Energieträger umzustellen. Da Biokraftstoffe aus weltverbund erforderlich. Dazu zählen eine fahrrad- und nachhaltigem Anbau nur in unzureichenden Mengen ver- fußgängerfreundliche Infrastruktur mit Tempo 30 als Re- fügbar sein werden, erfordert dies vorrangig die Umstel- gelgeschwindigkeit für motorisierte Fahrzeuge in Innen- lung auf regenerativ-elektrische Systeme. Dabei gibt es städten. Die Erhaltung des ÖPNV kann langfristig nur zwar weitgehend unterschätzte Potenziale einer Verlage- durch die Schaffung eines ÖPNV-Finanzierungsgesetzes rung von der Straße auf die Schiene, diese werden aber des Bundes gesichert werden. ebenfalls nicht ausreichen. Ergänzend bedarf es daher auch einer „regenerativen Elektrifizierung der Straße“. Zum anderen ist aber auch die Korrektur ungerechtfertig- ter und umweltschädlicher Subventionen für den Auto- Hierzu stellen nach bisherigen Untersuchungen oberlei- verkehr notwendig (z. B. die ermäßigte Dieselbesteue- tungsgeführte Systeme für Lkws eine interessante Option rung und die niedrige Besteuerung privat genutzter dar. Die Einführung eines Oberleitungssystems für elek- Dienstwagen). trisch betriebene Lkws (Trolley-Trucks) sollte vor diesem Hintergrund umfassend technisch, ökonomisch und euro- Eine integrierte Verkehrsentwicklungsplanung, die eine parechtlich geprüft und in Demonstrationsprojekten er- effektive Stadt-Umland-Kooperation einschließt, kann probt werden. Zudem sollten die Wechselwirkungen zum zur Entkopplung von Verkehr und Mobilität beitragen. Schienengüterverkehr untersucht werden. Der weiterhin verbleibende Autoverkehr muss möglichst emissionsarm sein. Dazu sollten die Umweltzonen stu- Die technischen Potenziale der Effizienzsteigerung des fenweise weiterentwickelt werden. Güterverkehrs sollten insbesondere durch die Festschrei- bung verbindlicher Verbrauchsgrenzwerte für Lkws Ökosystemleistungen aufwerten ausgeschöpft werden. Zusätzliche Anreize für technolo- gische Innovation, logistische Optimierung und Verlage- *8. Der zweite Schwerpunkt „Ökosystemleistungen rung auf die Schiene würden die Besteuerung von Kraft- aufwerten“ befasst sich mit der Frage, wie eine deutliche stoffen gemäß ihres Kohlenstoffgehalts und die Aufwertung bisher vernachlässigter Ökosystemleistungen Berücksichtigung externer Kosten in der Lkw-Maut bie- gelingen kann. Der SRU diskutiert dies beispielhaft für ten. Moore, Wälder und Meere. Bei all diesen Themen stellt sich die Frage, wie Ökosysteme gegenüber unmittelbaren In der Infrastrukturpolitik sind neue Prioritäten zugunsten kommerziellen Nutzungsinteressen so gestärkt werden klimaverträglicher Verkehrslösungen auf der Schiene und können, dass sie dauerhaft auch nicht-marktfähige Leis- der Straße vordringlich. Die Bundesverkehrswegepla- tungen erbringen. nung sollte daher zu einer zielorientierten strategischen Netzplanung mit einer vorrangigen Ausrichtung an Kli- mazielen umgestaltet werden. Hierzu sollte das Verfahren Umweltgerechte Waldnutzung auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden, wobei *9. Um die Waldflächen konkurrieren unterschiedliche Umweltprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Nutzungsansprüche. Als Rohstoff, Baumaterial und Ener- frühen Zeitpunkt zu gewährleisten sind. giequelle ist Holz von besonderer kommerzieller Bedeu- tung. Mindestens ebenso wichtig ist aber die Funktion der Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen Wälder als natürlicher Lebensraum sowie für den lokalen und globalen Klimaschutz. Naturnahe Wälder bilden *7. In Ballungsräumen verdichten sich die Probleme der einerseits eine wichtige Senke für Treibhausgase, ande- Übernutzung natürlicher Ressourcen und die Nutzungs- rerseits sind sie für die Anpassung an die durch den Kli- konflikte um den begrenzten öffentlichen Raum. Hier mawandel zu erwartenden Extremwetterereignisse we- zeigen sich besonders deutlich die Folgen einer vom Au- sentlich. toverkehr geprägten Mobilität für die urbane Lebensqua- lität: Neben Lärmbelastungen, Luftschadstoffemissionen Mit dem Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise droht und Unfallrisiken verringert der Autoverkehr das Ange- eine Kommerzialisierung der Waldnutzung, die die nicht- bot an ruhigen und grünen Aufenthaltsräumen und kommerziellen Funktionen der Wälder zunehmend ge- schränkt die Mobilität nicht-automobiler Bevölkerungs- fährdet. Bei der Nutzung muss jedoch dem Schutz der na- gruppen ein. In Ballungsräumen bieten sich zugleich aber türlichen Lebensgrundlagen Vorrang gegeben werden. auch vielfältige Möglichkeiten für eine nachhaltige Mobi- Daher müssen Maßnahmen ergriffen werden, um diese lität. nachhaltig zu erhalten. Um die Ballungsräume vom Kfz-Verkehr zu entlasten Die Ziele der nationalen Strategie zur biologischen Viel- und den Verkehr insgesamt umweltverträglich zu gestal- falt für den Lebensraum Wald müssen dringend umge- ten, ist eine Verschiebung der Verkehrsträgeranteile not- setzt und in entsprechenden raumkonkreten Strategien der

13 Kurzfassung

Länder festgelegt werden. Dabei sind unter anderem Flä- zial) und Besitzverhältnisse aller Moorflächen erhoben chen mit natürlicher Entwicklung auf 10 % der geeigne- werden. Parallel sind ein Kataster und eine Austausch- ten Waldfläche der öffentlichen Hand rechtlich abzusi- plattform über die abgeschlossenen und laufenden chern. Ein hochwertiges Zertifizierungssystem sollte auf Renaturierungen aufzubauen. Naturnahe Moore sind zu mindestens 80 % der Waldfläche angewendet werden. sichern und ihr Erhaltungszustand soweit notwendig zu verbessern. Ökologische Mindeststandards sollten für die gesamte Waldfläche Deutschlands gelten. Dazu könnten zum Bei- In Phase II wird für alle Hochmoorböden eine Wasser- spiel eine Konkretisierung des Begriffs der „ordnungsge- standsanhebung bis zu einem naturnahen Zustand vorge- mäßen Forstwirtschaft“ in § 11 Absatz 1 Bundeswaldge- sehen (soweit hydrologisch möglich). Für den Schutz von setz beitragen oder eine Verordnungsermächtigung im Hochmoorböden auch über Deutschland hinaus ist ein Bundesnaturschutzgesetz. Diese Standards würden Torfausstiegsplan zu erarbeiten, der neben einem Ende gleichzeitig auch den Bewertungsmaßstab für die Hono- des Torfabbaus in Deutschland auch die Erforschung von rierung darüber hinausgehender öffentlicher Leistungen Alternativen sowie den Erlass eines Verwendungsverbo- bilden. Bei der Erfassung von Wildschäden sollten auch tes für Torf beinhaltet. Auf Niedermoorböden soll der Schäden an der biologischen Vielfalt in die Schadenser- Wasserstand angehoben und die Nutzung extensiviert mittlung mit einbezogen werden. Die Vermeidung von werden, um eine deutliche Senkung der Treibhausgas- Wildschäden sollte prioritär gegenüber monetären Ersatz- emissionen aus diesen Böden zu erreichen. maßnahmen sein. Erfolge sowie Fehlentwicklungen der Schutz-, Exten- Zur Abmilderung des Klimawandels in den kommenden sivierungs- und Renaturierungsmaßnahmen müssen in ei- Jahrzehnten sollte der Aufbau weiterer Kohlenstoffvor- nem Monitoringprogramm dokumentiert werden. räte im Wald durch ein höheres Bestandsalter angestrebt Die Leistung intakter Moore für den Klimaschutz muss werden. Ein hohes Alter des Waldes ist gleichzeitig die zudem angemessen honoriert werden. Infrage kommen Grundlage für das Vorkommen vieler gefährdeter Wald- der Ausbau der Finanzierungsmöglichkeiten des Moor- arten. Um die Kohlenstoffspeicherfunktion zu schützen, schutzes, die Beseitigung von Fehlanreizen, die eine Ent- empfiehlt der SRU eine schonende Nutzung von Bio- wässerung attraktiv machen, und die Honorierung von masse aus Wäldern. Dabei sollten mindestens 50 % der Nutzungsextensivierung und Pflege renaturierter Moor- natürlichen Holzvorräte erhalten bleiben. Unter Berück- böden. Der Schutzstatus von Moorböden sollte zudem im sichtigung von Natur- und Bodenschutz sollten die Poten- Natur- und Bodenschutzrecht gerade gegenüber konkur- ziale von Landschaftspflegeholz und Resthölzern rierenden Nutzungen gestärkt werden. erschlossen werden. Für eine vollständige Kohlenstoff- bilanzierung müsste grundsätzlich neben der ober- und Sektorübergreifender Meeresschutz unterirdischen Biomasse auch der in Totholzvorräten, Streu und Waldboden gespeicherte Kohlenstoff berück- *11. Nord- und Ostsee stehen unter einem erheblichen sichtigt werden. Nutzungsdruck, der zu vielfältigen Belastungen der dorti- gen Ökosysteme führt. Verantwortlich hierfür sind unter- Moorböden als Kohlenstoffspeicher schiedliche Verursacher, vor allem die Fischerei, die Landwirtschaft, die Seeschifffahrt und die Energie- und *10. Moorböden leisten einen herausragenden, jedoch Rohstoffgewinnung. Konsequenzen dieser Eingriffe sind bislang weitgehend vernachlässigten Beitrag zum Klima- unter anderem Veränderungen im Nahrungsnetz, die schutz. Sie enthalten und speichern große Mengen an Schädigung von Bodenlebensgemeinschaften, Eutrophie- Kohlenstoff. Diese Ökosystemleistung der Moorböden rung, Verlärmung und die Anreicherung von Schadstof- wird durch die Entwässerung der Flächen, insbesondere fen in Organismen am Ende der Nahrungsketten. für die landwirtschaftliche Nutzung, zerstört. In Deutsch- land betrifft dies rund 12.000 km², die mit etwa 4 % zu Zentrale Herausforderung der Meerespolitik ist die Inte- den jährlichen Treibhausgasemissionen Deutschlands gration des Meeresschutzes in die verschiedenen Sektor- beitragen und damit etwa ein Drittel der Treibhausgas- politiken. Dafür müssen die Politiken geändert und an- emissionen aus der Landwirtschaft verursachen. spruchsvolle Schutzziele festgelegt werden. Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) der EU ver- Die langfristige Rückführung von Moorböden in einen folgt zwar einen umfassenden Ansatz zum Schutz der naturnahen Zustand durch Wiedervernässung, Nutzungs- Meere, hat aber nur wenig Einfluss auf die relevanten, extensivierung und Renaturierung kann damit einen we- insbesondere europäischen, Sektorpolitiken. Trotzdem ist sentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Neben der eine anspruchsvolle Richtlinienumsetzung mit erhebli- Klimaentlastung entstehen auch positive Synergieeffekte chen Chancen für den Meeresschutz verbunden. Die Ziele für die Biodiversität und den Wasserhaushalt. Um kon- und Instrumente der regionalen Meeresschutzabkommen krete Schutzmaßnahmen vornehmen zu können, müssen (Helsinki- und OSPAR-Übereinkommen) bieten hierfür zunächst die Datengrundlagen geschaffen und harmoni- eine wichtige Grundlage und sollten soweit wie möglich siert werden. Der SRU empfiehlt daher eine Bundesinitia- aufgegriffen werden. tive Moorschutz in zwei Phasen. Auf der europäischen Ebene sind weitergehende Refor- In Phase I sollen bis 2015 Kenndaten über Lage, Zustand men der Gemeinsamen Fischereipolitik und der Gemein- (Nutzung, Wasserstand, Biodiversitätszustand und -poten- samen Agrarpolitik vorrangig. International müssen die

14 Kurzfassung

Umweltstandards in der Seeschifffahrt fortentwickelt Deutschland bislang nur in wenigen Bundesländern der werden. Ambitionierte, im Rahmen der MSRL-Umset- Fall. Weitergehend bestehen sogar Tendenzen zu einer zung festgelegte Meeresschutzziele, die in der europäi- Kommunalisierung der Umweltverwaltungen in einzel- schen Meerespolitik verankert werden, bieten eine nen Bundesländern, was die Integration der Verfahren Chance für eine meeresschutzgerechte Weiterentwick- weiter erschwert. In diesem Sinne sollte das von Arti- lung der relevanten Politiken. kel 23 Absatz 1 IED geforderte System für Umweltins- pektionen genutzt werden, um alle Umweltauswirkungen Darüber hinaus kann der Meeresschutz verbessert werden gemeinsam zu erfassen. Dies wäre ein Anstoß, die Behör- durch die Schaffung eines hohen Schutzstatus in den den so zu organisieren, dass nur eine Stelle für die Inspek- Meeresschutzgebieten, einschließlich zielführender Ma- tionen und für die Genehmigung und Überwachung ins- nagementpläne, der Einrichtung von Nullnutzungszonen gesamt zuständig ist. und von adäquaten Monitoringprogrammen sowie durch die Stärkung der steuernden Wirkung der Raumordnungs- Wünschenswert wäre zudem ein einheitlicher Genehmi- pläne für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone gungstatbestand in Form einer integrierten Vorhabenge- (AWZ). nehmigung (IVG). Ein solcher ließe sich auf Landes- ebene nur sinnvoll mit Leben füllen, wenn die Eine institutionelle und personelle Stärkung des Meeres- entsprechenden Fachbehörden zusammengeführt werden schutzes in Deutschland ist unabdingbar, damit die Erhal- würden. Es wäre beispielsweise möglich, die IVG als tung der marinen Biodiversität und der Ressourcen der Stammregelung im Sinne einer Angebotsgesetzgebung Meere gelingt. In diesem Zusammenhang ist die Einrich- im Verwaltungsverfahrensgesetz zu verankern. tung eines Meeresbundesamtes zu prüfen. Im Hinblick auf die materielle Integration bestehen emis- Integrative Konzepte stärken sionsseitig gute Gründe, auf generell-abstrakte Grenz- werte zurückzugreifen. Allerdings sollten die Emissions- *12. Der dritte Teil des Gutachtens „Integrative Kon- grenzwerte der Technischen Anleitung zur Reinhaltung zepte stärken“ befasst sich mit wesentlichen institutionel- der Luft (TA Luft) im Rahmen einer Rechtsverordnung len Grundlagen erfolgreicher Umweltpolitik. Grundlage (Bundes-Immissionsschutzverordnung) geregelt werden. eines effektiven Umweltschutzes ist ein medienübergrei- Insbesondere mit Blick auf eine verbesserte Umsetzung fendes Umweltmonitoring, das die Wechselwirkungen europarechtlicher Vorgaben des integrierten Umwelt- zwischen Stoffeinträgen und der Dynamik von Ökosyste- schutzes hält der SRU überdies eine Öffnung der gebun- men angemessen abbildet. Zu einem medienübergreifen- denen Genehmigung in Richtung einer Ermessens- den Ansatz im Umweltschutz gehören auch integrative entscheidung für erforderlich. Diese ließe sich Verfahren, die Problemverlagerungen von einem Um- gegebenenfalls um Ermessens- und Abwägungsdirekti- weltmedium auf das andere erfassen und verhindern. ven ergänzen. Eine solche Regelung würde nicht zuletzt Exemplarisch wird dies am Beispiel des Anlagenzulas- der herrschenden Praxis besser gerecht werden, in der sungsrechts diskutiert. Von herausragender Bedeutung ist sich die gebundene Entscheidung weitgehend einer Er- die Integration von Umweltbelangen in andere Sektoren. messensentscheidung angenähert hat. Gerade der Ansatz, Ausgangspunkt hierfür ist ein aktualisiertes und langfris- dass sensible Umweltmedien wie das Wasser grundsätz- tig ausgerichtetes Zielsystem, welches als Kompass dient lich einem staatlichen Ordnungsrahmen unterstellt wer- und an welchem die Leistungsfähigkeit und der Erfolg den können und daher kein strikter Anspruch auf von Maßnahmen gemessen werden können. Umweltpro- Umweltnutzung bestehen kann, lässt sich in verfassungs- gramme und Nachhaltigkeitsstrategien auf der europäi- konformer Weise auch auf andere Umweltmedien wie schen und nationalen Ebene sind die geeigneten Prozesse, Luft und Boden übertragen. Angesichts der ansonsten solche Ziele qualifiziert zu diskutieren und politisch schwer zu erreichenden nationalen Luftqualitätsziele hochrangig zu verankern. könnte den Behörden auf diese Weise ein Versagungser- messen eröffnet werden, wenn gesetzlich vorgeschrie- Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagen- bene Luftqualitätsziele nicht eingehalten werden. zulassungsrechts Medienübergreifendes Monitoring *13. Umweltschutz erfordert grundsätzlich eine inte- grierte Betrachtung, wenn Probleme sinnvoll gelöst und *14. Natur und Umwelt bilden die Grundlage nachhalti- nicht lediglich verschoben werden sollen. In Deutschland ger Entwicklung. Ihr Zustand wird durch multifaktorielle ist aber im Anlagenzulassungsrecht der vom europäi- Umweltbelastungen beeinflusst, deren Regelung durch schen Recht vorgegebene medienübergreifende Ansatz unterschiedliche, teils konkurrierende Zuständigkeiten in noch nicht vollständig verwirklicht. Dieser erfordert eine der Verwaltung gespiegelt wird. Politische und wirt- ganzheitliche Betrachtung der Umwelt, um so Belas- schaftliche Entscheidungen müssen an dem Ziel der Er- tungsverlagerungen zu vermeiden. Dies gilt zunächst im haltung oder Wiederherstellung eines guten Zustands der Hinblick auf die formelle Integration bei der Anlagenzu- Ökosysteme ausgerichtet werden. Umweltmonitoring lie- lassung. Ziel sollte es sein, wie in der Industrieemissions- fert die wesentlichen Grundlagen dafür, Probleme früh- richtlinie (IED) vorgegeben, sicherzustellen, dass alle für zeitig erkennen zu können, die Realitätstauglichkeit mo- diese Verfahren zuständigen Behörden anhand eines dellierter Wirkungszusammenhänge zu prüfen, die wirksamen integrierten Konzepts vorgehen. Dies ist in Effektivität politischer Maßnahmen zu evaluieren und

15 Kurzfassung nicht zuletzt integrierten Umweltschutz materiell zu Solche Prozesse bergen enorme, auch politische Heraus- ermöglichen. Monitoring sollte Nutzungseinflüsse, Stoff- forderungen, die noch kaum in einer breiteren gesell- belastungen und Wirkungen des Klimawandels mit schaftlichen Debatte reflektiert werden. Politische Strate- Zustandsdaten zur Biodiversität verknüpfen und Verände- gieprozesse können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, rungen im Naturraum abbilden. eine qualifizierte Diskussion um ökologische Leitplanken zu führen, solche Leitplanken weiter zu operationalisie- Hierfür ist einerseits ein medienübergreifendes Monito- ren und politisch verbindlich zu verankern. ring erforderlich, welches die Untersuchung von Exposi- tion und Wirkung von Stoffen über mehrere Umweltme- Das 7. Umweltaktionsprogramm der EU bietet eine ak- dien kombiniert. Für allgemeine, repräsentative Aussagen tuelle Gelegenheit, mittel- und langfristige umweltpoliti- zum Zustand der Biodiversität in den verschiedenen sche Ziele zu formulieren, fortzuentwickeln und den um- Landnutzungstypen liefert die flächendeckende Einfüh- weltpolitischen Handlungsrahmen für die nächste Dekade rung der ökologischen Flächenstichprobe die notwendi- abzustecken. gen Informationsgrundlagen. Auch in Deutschland könnte ein übergreifendes Umwelt- programm zur Aufwertung der Umweltpolitik beitragen Die verschiedenen Monitoringaktivitäten sollten durch und wichtige umweltpolitische Impulse geben. Darüber bundesweit einheitliche Standards – auch für das Monito- hinaus ist das Zielsystem der nationalen Nachhaltigkeits- ring von Chemikalien – auf Grundlage der Gesetzge- strategie aktualisierungsbedürftig. Die in den Fortschritts- bungskompetenz im Naturschutzrecht koordiniert und berichten der Nachhaltigkeitsstrategie dokumentierten beim Statistischen Bundesamt institutionalisiert werden. Zielverfehlungen bieten einen Anlass, die Strategie stär- Insgesamt kann durch diese Kooperation der Informa- ker auf das Erreichen von Umweltzielen auszurichten. tionsfluss zwischen den Behörden verbessert werden. Da- Dies gilt auch für thematische Umweltstrategien und für durch könnte auch ein transparenter Zugang der Öffent- relevante Strategien anderer Ressorts (z. B. Verkehr, lichkeit zu den Monitoringergebnissen geschaffen Landwirtschaft und Bauen). werden. Die staatliche Verantwortung für den Schutz der natürli- Konsistenz zwischen den Vollzugsaufgaben stellt auch chen Lebensgrundlagen kann insbesondere auch durch ein wesentliches Ziel der Europäischen Kommission und institutionelle Vorkehrungen gestärkt werden. Hierzu ge- ihrer wissenschaftlichen Gremien dar. Daher sollte dafür hören der Vorschlag der Einführung einer Umweltintegra- gesorgt werden, dass insbesondere die stoffbezogenen In- tionsklausel nach europäischem Vorbild (Artikel 11 formationen aus der REACH-Verordnung in das medien- AEUV) in das Grundgesetz oder auch die Stärkung des übergreifende Monitoring integriert und die Ergebnisse Umweltressorts im Bundeskabinett (z. B. Einführung ei- wiederum beim Vollzug der REACH-Verordnung genutzt nes suspensiven Widerspruchsrechts des Umweltministe- werden. Die entstandenen Kosten sollten insbesondere im riums sowie eines Initiativrechts in anderen Geschäftsbe- Bereich des Monitorings von Chemikalien und der Gen- reichen). technik von den Verursachern übernommen werden. Schlusswort Umwelt- und Nachhaltigkeitsstrategien *16. Angesichts der aktuellen Erkenntnisse über die Grenzüberschreitungen, die das Wohlstandsmodell der *15. Auch zwanzig Jahre nach der Rio-Konferenz ist es letzten Jahrhunderte infrage stellen könnten, ist eine Neu- – trotz partieller Erfolge – nicht gelungen, Entwicklungs- orientierung der Umweltpolitik erforderlich. Eine qualifi- pfade in Deutschland, Europa und der Welt systematisch zierte Debatte über die Neuorientierung erfordert eine so auszurichten, dass ökologische Grenzen eingehalten wissenschaftliche Informationsbasis über die wirtschaftli- werden. Der Widerspruch, dass trotz vieler Erfolge der chen und gesellschaftlichen Folgen von Grenzüberschrei- Umweltpolitik bedrohliche ökologische Trends fortbeste- tungen, Handlungsoptionen zu deren Vermeidung und hen, zeigt, wie groß die politischen Herausforderungen eine breite Öffentlichkeit. Ähnlich wie beim Klimaschutz sind. Der SRU hält es daher für notwendig, die ökologi- sollte es nach Ansicht des SRU grundsätzlich möglich schen Schutzgüter stärker ins Zentrum des (umwelt-)poli- sein, auch trotz sehr unterschiedlicher Interessen in der tischen Handelns zu stellen und tief greifende Transfor- pluralistischen Demokratie einen soliden Konsens über mationsprozesse anzustoßen. den Handlungsbedarf herzustellen.

16 Kapitel 0

Inhaltsverzeichnis Seite

0Einführung ...... 19

0.1 Umweltschutz und -gutachten im Wandel ...... 19 0.1.1 Neue Herausforderungen der Umweltpolitik ...... 19 0.1.2 Das Konzept des Umweltradars ...... 19 0.2 Leitbegriffe des Umweltgutachtens ...... 20 0.2.1 Ökologische Grenzen ...... 20 0.2.2 Dimensionen ökologischer Verantwortung ...... 21 0.3 Grundsatzfragen des Umweltradars ...... 24 0.3.1 Die Themenschwerpunkte ...... 24 0.3.2 Wohlfahrt und Ressourcennutzung entkoppeln ...... 25 0.3.3 Ökosystemleistungen aufwerten ...... 27 0.3.4 Integrative Konzepte stärken ...... 27

17 Einführung Das Konzept des Umweltradars

0 Einführung

0.1 Umweltschutz und -gutachten im Wandel Mittelschichten und die wachsende Nachfrage nach biogener Energie und Rohstoffen. 0.1.1 Neue Herausforderungen der Umwelt- politik – Der Klimawandel, der durch einen bisher ungebrems- ten Anstieg der Treibhausgasemissionen durch immer 1. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) noch zunehmende fossile Energiesysteme und gravie- berät seit nunmehr vierzig Jahren die umweltpolitischen rende Landnutzungsänderungen beschleunigt wird. Instanzen sowie die Öffentlichkeit der Bundesrepublik Die Abwehr gefährlicher Klimaveränderungen setzt in Deutschland. Die Gutachten, Stellungnahmen und Kom- den Industrieländern zwingend eine Dekarbonisierung mentare des Rates sind immer auch ein Spiegel der um- der Energieversorgung bis 2050 und veränderte Land- weltpolitischen Herausforderungen der jeweiligen Zeit. nutzungssysteme voraus. Legt man strenge Nachhal- tigkeitskriterien an, so kann dies nur durch den Aus- Die Umweltpolitik der letzten Jahrzehnte war insbeson- stieg aus dem nuklear-fossilen Energiesystem und dere dort besonders erfolgreich, wo klar abgegrenzte Pro- dem Ausbau erneuerbarer Energieträger gelingen. bleme zu bewältigen waren und technisch wirksame Lö- sungen zur Verfügung standen: Die Luftreinhaltung, der – Das Wachstum des Güterverkehrs. Als besonderes Gewässerschutz und die Abfallpolitik bieten zahlreiche Problem erscheint in diesem Kontext vor allem die un- Beispiele für technikbasierte Problemlösungen, die er- gebremst hohe Zunahme des (Güter-)Verkehrs, dessen folgreich waren ohne steuernd in die Eigenlogik der ver- Verdopplung bis 2050 erwartet wird. Hier sind in der ursachenden Sektoren und Politikbereiche einzugreifen. Diskussion kaum Lösungen in Sicht. Die kostengünstigen Möglichkeiten dieses Musters von Problemlösungen sind in den letzten Jahrzehnten vielfach – Der stark wachsende weltweite Rohstoff- und Res- ausgeschöpft worden. Manche Probleme – beispielsweise sourcenbedarf. Dieser ruft entlang der Wertschöp- die Verschmutzung von Luft und Wasser durch stationäre fungskette von der Rohstoffgewinnung bis zum Abfall Anlagen – sind auf diese Weise erfolgreich angegangen vielfache Umweltschäden hervor. Eine Trendumkehr worden, andere – etwa der Klimawandel, der Verlust der des globalen Ressourcenbedarfes ist nicht in Sicht. biologischen Vielfalt und diffuse Stoffeinträge – entzie- 3. Diese Trends spielen eine wesentliche Rolle für die hen sich aber eines solchen Lösungsansatzes. Um ange- deutsche und europäische Umweltpolitik. Erstens haben messene Strategien für die drängenden Umweltprobleme sie erhebliche Rückwirkungen auf Wirtschaft und Gesell- des 21. Jahrhunderts entwickeln zu können, muss daher schaft. Zweitens ist die Rolle Europas als direkter und in- der Wirkungskreis der Umweltpolitik sektoral, räumlich direkter Mitverursacher nicht zu vernachlässigen. Und und zeitlich neu ausgerichtet und gleichzeitig ausgeweitet drittens sind insbesondere in Deutschland erhebliche, werden. zum Teil vorbildliche Problemlösungskapazitäten vor- Die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Umweltpolitik handen. Sie haben den SRU bewogen, ein neues Konzept wurde bereits im Ersten Umweltprogramm der Bundesre- der Begutachtung zu erarbeiten, welches auf mittelfristige gierung von 1971 erkannt, wonach eine Umweltpolitik Herausforderungen der international wie national zu be- nur erfolgreich sein kann, wenn sie über punktuelle und obachtenden Trends auf die deutsche Umweltpolitik fo- rein technische Problemlösungen hinausreicht. kussiert. Es wurde in bewusster Analogie zur Technik als Umweltradar bezeichnet. 2. Zu Beginn der derzeitigen Ratsperiode (2008 bis 2012) hat sich der SRU daher intensiv mit der Frage be- 0.1.2 Das Konzept des Umweltradars schäftigt, wie die wissenschaftliche Politikberatung den neuen Herausforderungen der Umweltpolitik gerecht 4. Der SRU hat nach seinem Einrichtungserlass den werden kann. Auftrag zur periodischen Begutachtung der Umweltsitua- tion und Umweltbedingungen und zur Erleichterung der Danach sind vier große globale Trends und Herausforde- umweltpolitischen Urteilsbildung. Er soll bei Bedarf auch rungen festzustellen: Fehlentwicklungen aufzeigen. Die im Einrichtungserlass verbriefte Unabhängigkeit des Rates ist dabei neben der – Der Verlust der biologischen Vielfalt, das heißt an Le- interdisziplinären Zusammensetzung des Rates die zen- bensräumen, Arten und genetischer Vielfalt, aufgrund trale Voraussetzung, um diesen Aufgaben fachkundig und des erheblichen Intensivierungsdrucks in der Land- glaubwürdig nachkommen zu können. wirtschaft und einer beträchtlichen Landnahme für die Agrarproduktion. Auslöser hierfür sind eine wach- 5. Im vorliegenden Umweltgutachten erfolgt die perio- sende Weltbevölkerung, die veränderten Ernährungs- dische Begutachtung nicht als Umwelt- oder Nachhaltig- gewohnheiten der größer werdenden globalen neuen keitsbericht, sondern im Sinne einer strategischen

19 Einführung

Schwerpunktsetzung. Der SRU hat bewusst auf eine be- Bei einem ungebremsten Trend bestimmter Wachstums- schreibende Gesamtschau verzichtet und stattdessen we- treiber sind negative Rückwirkungen auf Wirtschaft, Le- nige Themen identifiziert, für die er einen besonderen bensqualität und sogar politische Stabilität nicht auszu- Handlungs- oder Orientierungsbedarf in der öffentlichen schließen. Die Preise für Öl und Rohstoffe sind seit eini- Debatte sieht oder bei denen wichtige grundlegende Wei- gen Jahren überproportional angestiegen. Sie sind auch chenstellungen anstehen. Er betont damit seine im Ein- als Signal für die ökonomischen Rückwirkungen einer richtungserlass formulierte Aufgabe, die Urteilsbildung sehr stark wachsenden globalen Nachfrage für natürliche aller umweltpolitisch verantwortlichen Instanzen in Ressourcen zu werten. Teilweise spiegelt der Preisanstieg Deutschland zu erleichtern. Die Auswahl der strategi- bereits erkennbare Knappheiten, zumeist aber erst poli- schen Schwerpunkte erfolgte in Ergänzung zu den in der tisch oder wirtschaftlich bedingte Angebotsengpässe. Berufungsperiode bereits in Sondergutachten und Stel- lungnahmen ausführlich behandelten Themen: Vorsorge- 7. Viele natürliche Ressourcen haben aber keinen di- strategien für Nanomaterialien (2011), Wege zur 100 % rekten Knappheitspreis. Sie haben den Charakter nicht erneuerbaren Stromversorgung (2011), Fischbestände marktfähiger öffentlicher Güter. Es bestehen zudem lange nachhaltig bewirtschaften (2011), Für eine zeitgemäße Latenzphasen und komplexe Wirkungsketten zwischen Gemeinsame Agrarpolitik (2009). Auswahlkriterien für Übernutzung und direkt spürbaren Folgen. Wenn systemi- die Schwerpunktthemen des vorliegenden Umweltgut- sche Störungen, Zusammenbrüche oder Umkippeffekte achtens waren: auftreten, kann es angesichts erheblicher „Bremswege“ bereits zu spät für eine Kurskorrektur sein. Ökonomische – Tragweite des Problems, Folgen der Übernutzung erscheinen daher erst spät als – Zukunftsrelevanz, Kostenfaktor und oftmals nicht bei denen, die diese Kos- ten verursacht haben. Aus diesem Grunde kann das Pro- – Repräsentativität auch für andere Themen, blem der knappen Verfügbarkeit von Ressourcen nicht al- leine dem Markt überlassen werden. Ernsthafte – Aufmerksamkeitsschwerpunkte der fachlichen Um- Rückwirkungen von Grenzüberschreitungen auf die Wirt- weltdiskussion. schaft und die internationale Sicherheit sind dann zu be- Auf der Basis eigener Analysen sowie wichtiger Zu- fürchten. Insofern sollten rechtzeitig Lektionen aus Er- kunftsberichte über große Entwicklungstrends der nächs- fahrungen in anderen Ländern und aus den zahlreichen ten Jahrzehnte und der oben genannten Kriterien hat der historischen Beispielen gezogen werden SRU in einem Screeningverfahren über neunzig poten- zielle Themen identifiziert, diskutiert und bewertet. Aus Die ökonomische Bedeutung von ökologischen Grenz- einem mehrstufigen Auswahlprozess sind elf Schwer- überschreitungen wird zum Zeitpunkt des Erscheinens punktthemen hervorgegangen, die zu drei thematischen dieses Umweltgutachtens aktuell im Kontext der Rio+20- Clustern gebündelt wurden: Entkopplung, Ökosystem- Konferenz international diskutiert. Das Leitbild der grü- leistungen und Governance. nen Wirtschaft betont dabei nicht nur die Wachstums- und Marktchancen von Umwelttechnologien, sondern gerade Dem Umweltgutachten 2012 hat der SRU den program- auch die ökonomische Bedeutung natürlicher Ressour- matischen Titel „Verantwortung in einer begrenzten cen. Ihre Zerstörung zwingt zu Reparatur- und Defensiv- Welt“ gegeben. „Ökologische Grenzen“ und „Verantwor- ausgaben, die die Wohlfahrtsgewinne des Wachstums tung“ sind die zentralen Leitbegriffe des Gutachtens, die übertreffen können. Natürliche Ressourcen sind ein es- exemplarisch in den jeweiligen Einzelthemen untersucht senzieller Produktionsfaktor, der unzureichend im Wirt- werden. schaftskalkül berücksichtigt wird. 8. Aus diesen Gründen ist ein Wirtschaften innerhalb 0.2 Leitbegriffe des Umweltgutachtens sicherer planetarischer Grenzen, wie es vom Erdsys- 0.2.1 Ökologische Grenzen temansatz vertreten wird, der Ausgangspunkt dieses Um- weltgutachtens. Wo ökologische Grenzen exakt liegen 6. Für die umweltpolitische Zukunftsdebatte sind die könnten, ist international bisher nur für einzelne Stoff- immer stärker sichtbar werdenden „ökologischen Gren- kreisläufe vereinbart worden. Relativ am weitesten zen“ von zentraler Bedeutung. Intuitiv ist sofort erfassbar, fortgeschritten ist die Klimadebatte. Aber ökologische dass es in einer begrenzten Welt keine unbegrenzte Inan- Grenzen sollten auch für andere Belastungsfaktoren na- spruchnahme natürlicher Ressourcen geben kann. Die türlicher Systeme – insbesondere für die Treiber des Ver- Regenerationsfähigkeit nachwachsender Ressourcen ist lustes an biologischer Vielfalt, die Süßwassernutzung ebenso begrenzt, wie die Aufnahmefähigkeit gegenüber oder für die Belastung mit persistenten, toxischen und den Schadstoff- und Abfallfrachten des industriellen bioakkumulierenden Stoffen – national, regional und lo- Stoffwechsels. Zunehmend wird damit sichtbar, dass wir kal bestimmt werden. mittlerweile in einer „vollen Welt“ (Herman E. Daly) le- ben, in der der Raubbau an vorhandenen ökologischen Dabei ist die Bestimmung der ökologischen Grenzen und Vermögensbeständen, am Naturkapital, nicht länger igno- vor allem auch die Formulierung einer fairen Verteilung riert werden kann. Um die weltweite Schädigung lebens- von Nutzungsansprüchen, die solche Grenzen respektie- erhaltender natürlicher Systeme durch den Menschen zu ren, nicht nur eine rein wissenschaftliche, sondern auch beschreiben, wird mittlerweile gar vom „Anthropozän“ eine politische Aufgabe. Technik, Natur- und Gesell- gesprochen. schaftswissenschaften können das Wissen um die Zusam-

20 Leitbegriffe des Umweltgutachtens menhänge zur Verfügung stellen, die Wechselbeziehun- nehmer oder Verbraucher dann besonders ausgeprägt und gen zwischen ökosystemarer und gesellschaftlicher erwartbar, wenn Handlungsfolgen zeitnah und unmittel- Stabilität offenlegen und Handlungsansätze formulieren. bar, mithin also vorhersehbar erfolgen. Dann kann der ka- Letztlich ist es aber Verantwortung und Aufgabe von tegorische Imperativ im Sinne von Immanuel Kant einge- Politik, die Konsequenzen aus solchen Erkenntnissen zu fordert werden: „Handle nur nach derjenigen Maxime, ziehen und Leitbegriffe, wie die Erhaltung der „natürli- durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allge- chen Lebensgrundlagen“ und „Gerechtigkeit“, mit fass- meines Gesetz werde.“ Bei vielen Umweltproblemen sind baren und vermittelbaren Inhalten zu füllen. Der SRU die Folgen individueller Handlungen zu komplex, um spricht sich daher klar für einen Zielbildungs- und Umset- diese Handlungsmaxime praktisch werden zu lassen: Ur- zungsprozess innerhalb der demokratischen Institutionen sache und Wirkung sind zeitlich und örtlich stark entkop- aus. Dabei ist selbstverständlich, dass eine breite gesell- pelt. Der deutsche Philosoph Hans Jonas hat daraufhin schaftliche Unterstützung wesentliche Voraussetzung le- den kategorischen Imperativ von Kant zum ökologischen gitimen politischen Handelns ist, auch wenn dies schwie- Imperativ weiterentwickelt. Demnach lautet die neue Ma- rig und aufwendig erscheint. Wissenschaft kann diesen xime des Handelns: „Handle so, dass die Wirkungen dei- Zielbildungsprozess durch Information fundieren und ner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten durch gute öffentliche Kommunikation auch verstärken, menschlichen Lebens auf Erden.“ Individuelle Konsum- aber nicht ersetzen. oder Investitionsentscheidungen wirken in anderen Teilen der Welt (z. B. Lebensmittel, Rohstoffe, Energiever- Ein umweltpolitischer Handlungsschwerpunkt wird die brauch) und oft mit erheblichen Zeitverzögerungen. Zum Kontingentierung global kritischer systemrelevanter Beispiel schließt sich das Ozonloch nicht sofort, selbst Stoffströme werden. Dabei sollten global verträgliche wenn die Freisetzung ozonschädigender Substanzen ein- Budgets entwickelt und faire nationale und europäische gestellt wird. Solche langen „Bremswege“ erfordern Nutzungsrechte formuliert werden. Frühzeitigkeit im Handeln und damit eine neue Qualität Globale Wertschöpfungsketten und weltweit deutlich für verantwortliches Handeln, die sich inzwischen nicht werdende ökologische Grenzen führen auch zu neuen Di- nur politisch, sondern auch rechtlich im für die Umwelt- mensionen ökologischer Verantwortung. politik allgemein anerkannten Vorsorgeprinzip Ausdruck verschafft (vgl. Sondergutachten „Vorsorgestrategien für 0.2.2 Dimensionen ökologischer Nanomaterialien“ (2011)). Verantwortung Die oftmals beobachtete Kluft zwischen Problemerkennt- 9. Die „technologische Zivilisation“ (Hans Jonas) er- nis und verantwortlichem individuellen Handeln resultiert öffnet in mannigfaltiger Hinsicht neue Dimensionen indi- auch aus der Kluft zwischen dem globalen Charakter ei- vidueller, staatlicher, sowie internationaler Verantwor- nes Problems und den individuellen Wirkungsmöglich- tung, auch und insbesondere in ökologischer Hinsicht. keiten. Viele globale Trends sind Folge unzähliger indi- Die örtliche, zeitliche und intergenerationelle Reichweite vidueller Entscheidungen und haben damit einen anthropogener Handlungen ist größer denn je in der systemischen Charakter. Auch wenn Grenzüberschreitun- Menschheitsgeschichte und stellt damit auch die handeln- gen und verschärfte Problemlagen bereits deutlich er- den Akteure ebenfalls vor neue Herausforderungen, deren kannt werden, sind sie doch zu groß für eine individuelle Dimensionen in der klassischen Verantwortungsethik Beeinflussung. Als Individuum steht man diesen Trends nicht antizipiert werden konnten. zunächst bestenfalls als Beobachter oder politischer Ak- teur gegenüber. Das individuelle Konsumverhalten kann Ökologische Grenzen können vielfach nur in einer globa- daher nur dann Veränderungen bewirken, wenn hieraus len Perspektive angemessen erkannt werden, ihre wirk- eine sehr breite gesellschaftliche Bewegung entsteht, die same Einhaltung und Respektierung setzt aber letztlich durch staatliche Rahmenvorgaben flankiert wird. eine Vielzahl koordinierter individueller Entscheidungen und Verhaltensänderungen auf allen Ebenen voraus. Wie Möglichkeiten und Grenzen individueller sich solchermaßen Verantwortung für die Erhaltung na- Verantwortung türlicher Lebensgrundlagen in den verschiedensten Di- mensionen und Handlungsebenen zwischen Weltgemein- 10. Auf der individuellen Handlungsebene der Verbrau- schaft und Bürger entfalten und ausprägen kann, ist eine cher, Unternehmer oder politisch engagierter Bürger erge- der großen Gestaltungsfragen der umweltpolitischen Dis- ben sich zunächst vielfältige Handlungsmöglichkeiten. kussion. Ein von vielen Menschen praktizierter umweltbewusster Konsum kann Märkte und Marktanteile verschieben. Das Es ist offensichtlich, dass schon wegen der Globalität der Wachstum der ökologischen Landwirtschaft ist nur eines Wirkungszusammenhänge und der zeitlich-räumlichen der Erfolgsbeispiele, die in diesem Gutachten erwähnt Entkopplung von Handeln und Handlungsfolgen der al- werden. Es gibt zahlreiche, wiederholt auch mit Preisen leinige moralische Appell an die individuelle Verantwor- ausgezeichnete Unternehmen, die ökologische Markt- tung eine Überforderung wäre. Schon aus diesem Grunde nischen besetzt haben oder technisch-unternehmerische sind der Staat und seine internationale Kooperationsfä- Pionierleistungen übernommen haben. In Bürgerinitiati- higkeit gefordert. ven, Verbänden und Parteien organisierte Bürger können Traditionell ist der verantwortungsbewusste Umgang mit auf das gesellschaftliche Meinungsklima einwirken und den bürgerlichen Freiheitsrechten als Staatsbürger, Unter- damit auch die Handlungs- und Gestaltungsspielräume

21 Einführung von Politik zum Teil entscheidend beeinflussen. Die ses Untermaß an Schutz nicht unterschritten werden. Ar- Kehrtwende der Bundesregierung in der Energiepolitik ist tikel 20a GG koppelt explizit die „künftigen Generatio- hierfür ein aktuelles Erfolgsbeispiel. Bisher hat diese Be- nen“ mit der Verantwortung im Hinblick auf die wegung von unten aber aus nachvollziehbaren Gründen natürlichen Lebensgrundlagen. Unter den „künftigen Ge- nur bei wenigen Themen die notwendige kritische Masse nerationen“ sind die zur Zeit des jeweiligen Handelns an Teilnehmern erreichen können. Das hat sicher mit ver- noch ungeborenen Generationen zu verstehen. Zu Adres- breiteten konsumorientierten Werthaltungen und Lebens- saten und damit Verpflichteten der Verantwortung werden einstellungen zu tun, aber auch mit den Rahmenbedin- damit die jeweils lebenden, handelnden und entscheiden- gungen für individuelle Marktentscheidungen. Wo den Generationen. Diese dürfen daher nicht nur an sich umweltschädliche Optionen auf dem Markt besonders at- und die bereits lebenden jüngeren Generationen denken, traktiv erscheinen oder wegen einer verfehlten Steuer- sondern haben in eine viel weitere Zukunft zu planen. Da- und Subventionspolitik besonders billig sind, wo die Kos- raus resultieren Aufgaben der „Langzeitverantwortung“ ten individueller Verhaltensveränderungen im Verhältnis und „Generationengerechtigkeit“, die mit dem Begriff der zur Umweltentlastung sehr hoch erscheinen oder mit Po- Nachhaltigkeit korrespondieren. Letztlich gibt es dabei sitionsverlusten am Markt verbunden sind, dort besteht keine Grenze in die Zukunft hinein. Allenfalls nimmt die ein politischer Gestaltungsbedarf über die individuelle Verantwortung auf der Zeitachse eine graduell größere Handlungsebene hinaus. Abstraktheit dergestalt an, dass menschliches Leben auf der Erde unter natürlichen Bedingungen möglich bleiben Die staatliche Verantwortung muss. 11. Gerade wegen dieser Überforderung individueller Der Begriff der Verantwortung in Artikel 20a GG impli- Verantwortung hat der Staat eine besondere Verantwor- ziert eine Pflichtenstellung der lebenden Generationen, tung in der Formulierung von Rahmenbedingungen, nicht aber eine Zuerkennung von Rechten an künftige Ge- Anreizen für die Marktakteure und für den Ausbau um- nerationen. Gleichwohl unterstreichen auch die Grund- weltverträglicher Infrastrukturen. Dies ist verfassungs- rechte die staatliche Verantwortung für den Umwelt- rechtlich anspruchsvoll formuliert. schutz. Mit Blick auf die Bindung allen staatlichen Handelns an die Grundrechte (Artikel 1 Absatz 3 GG) Nach dem Staatsziel „Umweltschutz“ unserer Verfassung, kommt es im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht für Artikel 20a Grundgesetz (GG), sollen die natürlichen Le- verfassungsrechtliche Güter (insb. Leben und Gesund- bensgrundlagen explizit „auch in Verantwortung für die heit, Artikel 2 Absatz 2 GG) nicht zwingend darauf an, ob künftigen Generationen“ geschützt werden. Unter Verant- ein bestimmter Mensch konkret gefährdet wird, sondern wortung wird gemeinhin die Pflicht verstanden, für darauf, dass überhaupt ein Mensch gefährdet werden Handlungen einzustehen, ihre Folgen zu tragen sowie Re- kann. In der Folge muss sich die Schutzpflicht auch in die chenschaft (im Sinne von „Rede und Antwort stehen“) zu Zukunft erstrecken. Der Staat ist demnach auch aus den geben. Verantwortung kann darüber hinaus als ethisches Grundrechten verpflichtet, die grundrechtlichen Schutz- Prinzip und im Rechtssinne konkretisiert werden. Der Be- güter künftiger Generationen zu achten und zu schützen. griff kann die Dimension einer Pflicht haben, für die Fol- gen eigenen Verhaltens einzustehen. Er kann aber auch Unabhängig von aller ethischen Begründung, sei sie phi- die Dimension einer Verantwortung „für etwas“, für das losophisch oder religiös motiviert, impliziert der verfas- man zu sorgen hat, haben. Hieraus erwächst die Pflicht, sungsrechtliche Begriff der Verantwortung somit, dass alles zu tun, was zur Erreichung des vorgegebenen Ziels diejenigen, die aktuell zu handeln und zu entscheiden ha- erforderlich ist. Dabei bleibt Verantwortung immer ein ben, die zukünftigen Generationen im Hinblick auf deren zunächst rein formeller Begriff, der erst durch die Verbin- Lebensmöglichkeiten mit zu berücksichtigen haben. dung mit einem konkreten Gegenstand materiellen Inhalt Auch deren natürlichen Lebensgrundlagen dürfen nicht bekommt. zerstört oder erheblich beeinträchtigt werden. Dabei ist es den gegenwärtig lebenden Generationen nicht generell Nach Artikel 20a GG „schützt“ der Staat die natürlichen verwehrt, bestimmte Entscheidungen mit Langzeitwir- Lebensgrundlagen. Dieser Schutzauftrag umfasst über die kungen zu treffen. Denn auch ihnen kommt aufgrund ih- reine Gefahrenabwehr auch die Risikovorsorge (vgl. Son- res Rechts auf Lebensgestaltung die Möglichkeit zu, ihre dergutachten „Vorsorgestrategien für Nanomaterialien“ Umwelt in eigener Verantwortung zu gestalten. Aus dem (2011)). Insoweit darf in materieller Hinsicht ein gewis- Recht, das eigene Leben zu gestalten, folgt aber nicht das Recht, die Entfaltung nachfolgender Generationen zu be- „Verantwortung für die künftigen Generationen“ eine be- hindern. In der Folge kann eine belastende Gestaltung der sondere Zukunftsdimension, die man mit den Begriffen Umwelt grundsätzlich nur dann legitimiert sein, wenn die der Langzeitverantwortung und der Generationengerech- zukünftigen Generationen die von ihren Vorgängern ge- tigkeit konkretisieren kann. Korrespondierend wird Arti- troffenen Entscheidungen revidieren und die entsprechen- kel 20a GG nicht nur als Ausdruck des Grundsatzes der den Wirkungen beseitigen können. Aktuelle Entscheidun- nachhaltigen Entwicklung, sondern auch des Vorsorge- gen erhalten damit eine speziell zu berücksichtigende, prinzips in seinen Ausprägungen der Ressourcen- und Ri- langfristig orientierte Zukunftsdimension, die auf interge- sikovorsorge verstanden. nerationelle Gerechtigkeit gerichtet ist. Im Ergebnis er- hält der rechtlich verpflichtende Schutzauftrag des Staa- Mit der staatlichen Verantwortung für die Lebensgrundla- tes für die Umwelt gemäß Artikel 20a GG über die gen zukünftiger Generationen ist zum Ausdruck gebracht,

22 Leitbegriffe des Umweltgutachtens dass die natürlichen Lebensgrundlagen auch für die Zu- Interessen faire Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen kunft zu erhalten sind. Erforderlich ist daher zunächst, (Input-Legitimität) und gleichfalls wirksame und effek- dass der Umweltschutz adäquat auf die zeitlichen Erfor- tive Lösungen für öffentliche Probleme entwickeln. dernisse reagieren muss. Er muss daher dynamisch ausge- Schon auf der Ebene des Nationalstaates ist damit die staltet und insofern angemessen zu den Bedrohungen der Wahrnehmung ökologischer Verantwortung im Lichte wi- Umwelt einerseits und den – auch technischen – Möglich- derstreitender Interessen voraussetzungsvoll. Die Ein- keiten andererseits sein. Insoweit drängen sich Parallelen flussmöglichkeiten allgemeiner Langfristinteressen zur Debatte um das Ausmaß der zulässigen Staatsver- gegenüber speziellen Kurzfristinteressen in diesen Kon- schuldung auf, die ebenfalls als staatliche Vorausverfü- flikten können sicher durch kluge institutionelle Arrange- gung über die Zukunft definiert wird. Vereinfacht gesagt, ments, wie sie auch in diesem Gutachten angeregt werden besteht der Grundgedanke der verfassungsrechtlichen Re- (z. B. Stärkung internationaler Panels aus Wissenschaft gelungen darin, die Entscheidungsfreiheit für nachfol- und Politik, Nachhaltigkeitsprüfung politischer Pro- gende Generationen dadurch zu wahren, dass nur so viel gramme), gestärkt werden, aber dies ändert nichts an der an Schulden gemacht wird, wie auch an Werten in Form Notwendigkeit eines Interessenausgleichs durch faire von Investitionen hinterlassen wird. Es ist also die Zu- Verfahren. kunftsbezogenheit, die Kredite und Investitionen mitei- nander verbindet. Hierdurch kann gewährleistet werden, Die internationale Dimension dass künftige Generationen – zumindest theoretisch – im- mer von einem gleichen Wertbestand ausgehen können, 13. Umweltprobleme kennen keine Grenzen. Die Ursa- sodass sie in ihrer demokratischen Entscheidungsfreiheit chen für den Verlust an biologischer Vielfalt, Klimaver- nicht durch finanzielle Altlasten beschränkt werden. Da- änderungen, Luft- und Wasserverschmutzung, Ausbeu- ran anknüpfend lässt sich folgern, dass auch im Bereich tung natürlicher Ressourcen – all dies sind Probleme, die des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen den künf- eine internationale Zusammenarbeit bei der Suche nach tigen Generationen grundsätzlich keine Gesamtver- Lösungen erfordern. Umweltschutz ist zudem eine Frage schlechterung der ökologischen Gesamtsituation hinter- der fairen Lastenverteilung, sowohl innerhalb als auch lassen werden darf. Infolgedessen besteht eine zwischen den Generationen. Da sich viele Folgen von verfassungsrechtliche Pflicht zum sparsamen Umgang Umweltzerstörung in den am wenigsten entwickelten mit Ressourcen, mithin zur Ressourcenvorsorge. Grund- Ländern mit den geringsten Problemlösungskapazitäten sätzlich darf nur so wenig an Umweltressourcen (wozu niederschlagen, ist es im Sinne der internationalen Ge- auch Wasser und Luft zählen) verbraucht werden, wie rechtigkeit notwendig, dass reichere Länder bei der Lö- sich aus eigener Kraft regenerieren kann. Bei nicht-erneu- sung von Umweltproblemen die Führung übernehmen erbaren Ressourcen besteht eine Pflicht zur größtmögli- und die Entwicklungsländer bei einer nachhaltigen Ent- chen Schonung. Wo möglich, ist für funktional adäquaten wicklung und der Eindämmung von Umweltschäden un- Ersatz zu sorgen, sodass der Bestand an Ressourcen ins- terstützen. gesamt betrachtet gleich bleibt. Entsprechend dem Prin- Jedoch ist der Nationalstaat mit der Tatsache konfrontiert, zip eines ausgeglichenen Haushalts, müssen Ressourcen- dass die Reichweite seines Handelns zur Lösung globaler verbrauch und Ressourcenerneuerung grundsätzlich Probleme zu begrenzt ist. Die Kosten einer ökologisch ausgeglichen sein. Auch andere Haushaltsgrundsätze las- abgeleiteten nationalen Selbstbeschränkung aus interna- sen sich als Interpretationsansätze für Artikel 20a GG tionaler Verantwortung heraus sind schwerlich zu vermit- fruchtbar machen. So sind bei der Bestimmung der teln, wenn nicht mindestens die Aussicht besteht, dass Vorgaben des verfassungsrechtlich gebotenen Umwelt- sich alle Staaten früher oder später angemessen beteili- schutzes, entsprechend dem Prinzip der Einheit des Haus- gen. In vergrößertem Maßstab gilt dies auch für die haltes, möglichst alle relevanten Faktoren im Zusammen- Ebene der Europäischen Union. Internationale Umwelt- hang zu sehen und entsprechend dem Prinzip der abkommen bieten damit die geeignete Handlungsebene Vollständigkeit allesamt in die Abwägung einzustellen. für die Regelung globaler Umweltprobleme. Hier spiegelt sich der Ansatz des – mit dem Vorsorgeprin- zip korrespondierenden – integrierten Umweltschutzes 14. Bereits vor vierzig Jahren wurde in der Stockholmer wider. Erklärung über die Umwelt des Menschen die „Pflicht al- ler Regierungen“ verankert, die natürlichen Ressourcen 12. Einem solch anspruchsvollen Auftrag kann der Staat und die ökologischen Systeme des Planeten zu schützen. jedoch nur effektiv nachkommen, wenn es hierfür auch Die Präambel betont die Notwendigkeit, die Umwelt für einen hinreichenden gesellschaftlichen Rückhalt gibt. De- heutige und zukünftige Generationen zu schützen und zu mokratisch verfasste Staaten stehen nicht autonom als verbessern – ein Ziel, das im Einklang mit den etablierten Sachverwalter eines übergeordneten allgemeinen Interes- und grundlegenden Zielen des Friedens und der weltwei- ses, wie dem der Erhaltung natürlicher Lebensgrundla- ten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu verfol- gen, über der Gesellschaft, sondern sie haben die Auf- gen ist. Im ersten Grundsatz der Erklärung heißt es, dass gabe, zu einem Ausgleich der unterschiedlichen und „der Mensch die ernste Verantwortung für den Schutz und widersprüchlichen Interessen in pluralistischen Gesell- die Verbesserung der Umwelt für heutige und künftige schaften beizutragen und gleichwohl allgemein verbindli- Generationen trägt“ und im zweiten Prinzip wird argu- che Entscheidungen zu treffen. Dies muss in offenen und mentiert: „Die natürlichen Ressourcen der Erde, ein- transparenten Entscheidungsverfahren erfolgen, die allen schließlich von Luft, Wasser, Boden, Flora und Fauna,

23 Einführung und vor allem repräsentative Beispiele natürlicher Öko- aber sie müssen zwischen souveränen Staaten vereinbart systeme, müssen zum Nutzen heutiger und künftiger Ge- werden, die in der Lage sind, die vereinbarten Problemlö- nerationen durch sorgfältige Planung und Verwaltung ge- sungen auch innenpolitisch zu legitimieren. Dies ist kein sichert werden […]“. Das fünfte Prinzip unterstreicht die einfacher, zumeist ebenfalls ein sehr langwieriger und Gefahr der Erschöpfung nicht-erneuerbarer Ressourcen konfliktträchtiger Weg. Aus diesem Grunde sollten inter- der Erde und fordert dazu auf, sicherzustellen, dass die nationale Vereinbarungen auch nicht als Voraussetzung Vorteile aus deren Nutzung von allen geteilt werden. national verantwortlichen Handelns gesehen werden, son- dern eher als Ergebnis multipler nationaler Eigenanstren- In der Folge der Stockholmer Erklärung wurden diese gungen. Die Vorbildeffekte, die dieses nationale, verant- Konzepte in verschiedene internationale Abkommen und wortliche Vorgehen auslösen und die Entfaltung von Institutionen eingebettet. Das Übereinkommen über die Handlungs- und Lösungskapazitäten, die hieraus national biologische Vielfalt umfasst Perspektiven sowohl der in- wie international resultieren, können langfristig auch die tra- als auch der intergenerationalen Gerechtigkeit, die Zustimmung zu strengen internationalen Umweltabkom- Forderung nach einer gerechten Verteilung der Vorteile men erleichtern. Es geht damit um das dynamische Wech- aus der Nutzung genetischer Ressourcen sowie die Erhal- selspiel zwischen nationaler Vorreiterrolle und internatio- tung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt nalen Vereinbarungen. Dabei kann die zukünftige zum Nutzen heutiger und künftiger Generationen. In Wirtschaftsentwicklung nur dann innerhalb ökologischer Bezug auf den Klimawandel fordert Artikel 2 des Rah- Grenzen vonstattengehen, wenn der Ressourcenver- menübereinkommens der Vereinten Nationen über Kli- brauch in den westlichen Ländern so umgestellt wird, maänderungen (UNFCCC) eine „Stabilisierung der Treib- dass er global verallgemeinerbar ist. hausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau, das eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert“. Die Präambel des Überein- 0.3 Grundsatzfragen des Umweltradars kommens richtet sich auch auf die Bedeutung der Gerech- 0.3.1 Die Themenschwerpunkte tigkeit zwischen den Generationen und fordert daher den Schutz des Weltklimas für die heutigen und künftigen Ge- 17. Die neue Aktualität der Diskussion um die ökologi- nerationen der Menschheit. Es sollen Vorsichtsmaßnah- schen Grenzen ergibt sich vor allem daraus, dass die pla- men ergriffen werden, um den Ursachen des Klimawan- netarischen Grenzen mittlerweile wissenschaftlich präzi- dels vorzubeugen, sie zu verhindern oder zu minimieren ser erfasst werden konnten als noch vor vierzig Jahren sowie dessen negative Auswirkungen zu mildern. und dass die Überschreitung ökologischer Grenzen be- reits in Teilen belegt ist oder in anderen Fällen absehbar 15. Durch die Bemühungen, das Vorsorgeprinzip im in- bevorsteht. Ein Wirtschaften innerhalb ökologischer ternationalen Recht zu integrieren, sollen die Auswirkun- Grenzen erfordert zunächst die absolute „Entkopplung gen von heute getroffenen Maßnahmen auf zukünftige von Wohlfahrt und Ressourcennutzung“ – so das Thema Generationen berücksichtigt werden. Doch trotz einer zu- des ersten Schwerpunktes des Gutachtens. Gelänge dies nehmenden Verankerung des Vorsorgeprinzips sowie der nicht hinreichend, stünde auch das Wirtschaftswachstum intra- und intergenerationalen Verteilung von Rechten im zur Disposition, alleine schon weil die defensiven Kosten Völkerrecht bleiben internationale Institutionen zu und die Kosten der Umweltschäden stark zunehmen wür- schwach, um den Fortschritt ausreichend voranzutreiben. den. Das erste Themencluster des Gutachtens befasst sich Daher sind nicht nur gesellschaftliche Akteure, wie Um- daher mit den Potenzialen und Gestaltungsmöglichkeiten weltorganisationen, auf internationaler Ebene von großer der Entkopplung anhand von vier Themenfeldern: einer Bedeutung, sondern auch international handlungsfähige umweltverträglichen Rohstoffwirtschaft, dem Lebensmit- Institutionen. telkonsum, dem Güterverkehr und der Mobilität in Bal- lungsräumen. In allen vier Bereichen waren wachsende Es liegt eindeutig in der Verantwortung dieser Genera- Einkommen historisch immer auch mit einer Zunahme tion und in erster Linie in der Verantwortung von Regie- umweltbelastender Aktivitäten verbunden. Nicht zuletzt rungen auf allen Ebenen – international, national und lo- deswegen stehen sie aktuell vor großen ökologischen He- kal – die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit rausforderungen: Klärungsbedürftig ist insbesondere, wie die Belastungsgrenzen der Erde nicht überschritten, son- weit Entkopplungsstrategien reichen, die darauf abzielen, dern das Naturerbe und die Ressourcen des Planeten zum die Inanspruchnahme der Umwelt als Schadstoffsenke Nutzen dieser und der künftigen Generationen geschützt oder Ressource deutlich zu senken, ohne negative Aus- werden. wirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung zu haben und ohne Probleme zu verlagern. 16. Das quälend langsame Tempo der Einleitung von Maßnahmen und Reformen auf internationaler Ebene legt 18. Nutzungsgrenzen gibt es auch für wichtige Ökosys- eine größere Verantwortung auf industrialisierte Länder teme in Deutschland. Viele Ökosysteme befinden sich un- wie Deutschland, die das Know-how und die Fähigkeit ter einem verstärkten Druck konkurrierender, zum Teil haben, um als Vorreiter und Vorbild für andere agieren zu wachsender Nutzungsansprüche, die die Funktionsfähig- können. Internationale Umweltabkommen sind grund- keit und damit auch wichtige Ökosystemleistungen ge- sätzlich realisierbar, wie zahlreiche Erfolgsbeispiele zei- fährden können. Der zweite Schwerpunkt „Ökosystem- gen (z. B. das Montreal-Abkommen oder die internatio- leistungen aufwerten“ befasst sich daher mit der Frage, nalen Meeresschutzabkommen für Nord- und Ostsee), wie eine deutliche Aufwertung bisher vernachlässigter

24 Grundsatzfragen des Umweltradars

Ökosystemleistungen gelingen kann. Der SRU diskutiert weltfolgen des unverzichtbaren Energie- und Materialein- dies beispielhaft für die Wälder, Moore und Meere. Die satzes noch wesentlich reduziert werden können. „Gratisleistung“ der Moorböden für den Klimaschutz – die aktive Festlegung von Kohlenstoff im Boden – ist 21. In der Energiedebatte konnte vielfach – nicht zuletzt bereits heute weitgehend verloren. Auch die Wälder wer- im Sondergutachten des SRU „Wege zur 100 % erneuer- den als Lebensraum und Ökosystem überfordert, wenn baren Stromversorgung“ (2011) – nachgewiesen werden, die Brenn- und Nutzholzgewinnung weiter auf Kosten der dass eine Kombination aus Energieeffizienz und einem anderen Funktionen wie der Festlegung von Kohlenstoff vollständigen Übergang hin zu einer Stromversorgung vorangetrieben wird. Nord- und Ostsee stehen unter be- aus erneuerbaren Energien nicht nur technisch möglich, sonderem Stress, weil sie sowohl als Schadstoffsenke als sondern mit dem konventionellen energiepolitischen Ziel- auch als Transportweg für die internationale Schifffahrt, dreieck vereinbar ist. Auch global könnte ein effizient ge- als Lebensraum für kommerziell genutzte Arten, als Off- deckter Energiebedarf weitgehend mit klimaneutralen, shore-Windenergiestandort und als Erholungsraum kon- erneuerbaren Energien gesichert werden. In diesem Seg- kurrierenden Nutzungen und Belastungen ausgesetzt ment der Umwelt- und Klimapolitik kann damit relativ sind. Als strategische Frage stellt sich, wie Ökosysteme robust postuliert werden, dass grünes Wachstum, die Er- gegenüber unmittelbaren kommerziellen Nutzungsinte- reichung anspruchsvoller, an ökologischen Grenzen aus- ressen so gestärkt werden können, dass sie dauerhaft auch gerichtete Ziele und moderate Wachstumsraten möglich nicht marktfähige Leistungen erbringen. sind, wenn man den weiten Entkopplungsbegriff anlegt. 19. Der dritte Teil des Gutachtens „Integrative Kon- In diesem Umweltgutachten werden weitere, besonders zepte stärken“ befasst sich mit wesentlichen institutionel- anspruchsvolle Handlungsfelder einer Entkopplung be- len Grundlagen erfolgreicher Umweltpolitik. Zu diesen handelt: die Rohstoffwirtschaft, der Lebensmittelkonsum, gehören – neben den hier nicht näher analysierten Um- der Güterverkehr sowie die Mobilität und Lebensqualität weltverwaltungen, mit denen sich der SRU 2007 intensiv in Ballungsräumen. im Rahmen des Sondergutachtens „Umweltverwaltungen unter Reformdruck“ beschäftigt hat – unter anderem die Rohstoffe und Lebensmittel Verfahrensregeln einer wirksamen Integration von Um- 22. Mineralische Rohstoffe und Metalle wie seltene Er- weltbelangen bei der Anlagengenehmigung. Darüber hi- den sind für ein Industrieland, auch insbesondere für den naus stellt ein medienübergreifendes Umweltmonitoring, Übergang in ein regeneratives Zeitalter, unabdingbar. Die das Grundlage eines jeden Frühwarnsystems ist, wichtige verschiedenen Initiativen und Strategien auf nationaler Ursache-Wirkungsketten aufdecken kann oder der Politik- und europäischer Ebene haben dies erkannt und setzen evaluation dient, eine weitere bedeutende Säule eines auf Ressourceneffizienz als zentralen Lösungsansatz. ganzheitlichen umweltpolitischen Konzeptes dar. Ein Ressourceneffizienz setzt aber zunächst nur auf eine Ent- weiterer Gegenstand der Betrachtung der institutionellen kopplung im engeren Sinne durch Kreislaufführung, ei- Möglichkeiten des abschließenden Themenkomplexes ist nen möglichst verlustfreien Rohstoffeinsatz und den Er- ein aktualisiertes und langfristig ausgerichtetes Zielsys- satz knapper durch weniger knappe Rohstoffe. Ein tem, das als Kompass für die Akteure des Umweltschut- umfassendes Verständnis von Entkopplung, das die Ver- zes dient und an dessen Maßstab die Leistungsfähigkeit minderung und Vermeidung der zahlreichen Umweltfol- und der Erfolg umweltpolitischer Maßnahmen gemessen gen der Rohstoffgewinnung adressiert, steht noch nicht werden können. Umweltprogramme und Nachhaltigkeits- auf der Agenda. strategien auf der europäischen und nationalen Ebene sind die geeigneten Foren, solche Ziele qualifiziert zu dis- 23. Das Leitbild der Ressourceneffizienz stößt aber kutieren und politisch hochrangig zu verankern. auch, wie in dem Kapitel zur umweltverträglichen Roh- stoffwirtschaft gezeigt wird, an Grenzen. So entstehen die 0.3.2 Wohlfahrt und Ressourcennutzung Umweltfolgen der Rohstoffgewinnung zumeist außerhalb entkoppeln des territorialen Zugriffs der deutschen oder europäischen Umweltpolitik. Für eine umweltverträgliche Rohstoff- 20. In der Debatte um die Entkopplung von Ressourcen- wirtschaft wäre schon viel getan, wenn in den Exportlän- inanspruchnahme und Wohlfahrt ist zu unterscheiden dern die in der EU gültigen Standards gelten würden. Ein zwischen einem engen Entkopplungsbegriff, wie er oft in Ansatz dies voranzutreiben wären freiwillige Zertifizie- der Debatte um Energie- und Rohstoffeffizienz verwendet rungssysteme, die zumindest Umweltaspekte berücksich- wird, und der das Verhältnis von Energie oder Mate- tigen, oder die Formulierung von Umweltstandards in rialeinsatz zur volkswirtschaftlichen Produktion be- bilateralen Rohstoffpartnerschaften. Letztlich werden sol- stimmt, und einem weiter gefassten, der die Umweltef- che Ansätze modellhaft vorbildliche Lösungen entwi- fekte des Energie- und Materialeinsatzes ins Blickfeld ckeln können. Langfristig wird aber kein Weg an interna- nimmt. Die Potenziale einer eng verstandenen Entkopp- tionalen Handelsabkommen vorbeiführen, in denen lung sind zumeist begrenzt, weil für eine bestimmte umweltpolitische mit sozialpolitischen, entwicklungs- Produktion ein Mindestmaß von Energie- und Materi- politischen und den Exporterlöszielen zu einem Interes- aleinsatz unverzichtbar ist. Auf diesen engen Entkopp- senausgleich gebracht werden können. lungsbegriff beschränken sich viele Wachstumskritiker. Wesentlich weiter reichen aber die Potenziale der weit 24. Auch das Niveau des nationalen Konsums von verstandenen Entkopplung, weil durch sie auch die Um- Fleisch- und Milchprodukten in Industrieländern ist hin-

25 Einführung sichtlich Flächenbedarf und anderer Umweltwirkungen 26. Eine hohe Lebensqualität in Ballungsräumen ist angesichts einer weiter wachsenden Weltbevölkerung ohne eine Entkopplung von Mobilität und (Auto-)Verkehr nicht globalisierungsfähig. Der SRU hat dieses Hand- nicht möglich. Zwar ist Mobilität Bestandteil einer hohen lungsfeld als einen Testfall für Suffizienzstrategien unter- Lebensqualität, aber diese setzt auch eine ruhige Umge- sucht. Wer weniger tierische Produkte zu sich nimmt und bung, attraktive öffentliche Aufenthaltsplätze, Freiräume dabei auch noch konsequent auf Herkunft und Erzeu- für Kinder und vor allem leichte Erreichbarkeit sowie die gungsbedingungen achtet, kann zu einer Umweltentlas- Nähe wichtiger Einrichtungen und Dienstleistungen vo- tung durch einen veränderten Lebensstil und veränderte raus. Der Autoverkehr und autozentrierte Infrastrukturen Konsumgewohnheiten beitragen. Er oder sie tut damit zu- behindern diese Bedürfnisse. Daher ist eine neue Balance meist auch Gutes für die eigene Gesundheit. Individuelles zwischen den konkurrierenden Nutzungsansprüchen an Verbraucherverhalten ist dabei aber nicht immer rich- den urbanen Raum nötig, die den Mobilitätsbedürfnissen tungssicher. Es entstehen zum Beispiel unterschiedliche der Fußgänger, Kinder, älterer Menschen und der Fahr- ökologische Auswirkungen je nachdem, wie intensiv die radfahrer eine höhere Priorität als bisher einräumt. Zen- Flächen zur Produktion des eingesetzten Futters bewirt- tral ist, dass ein attraktiver öffentlicher Personennahver- schaftet werden und ob dabei Acker- oder Grünlandflä- kehr gefördert und auch in Zukunft angemessen finanziert chen genutzt werden. Auf die landwirtschaftliche Produk- wird. Mehr denn je ist hierfür eine integrierte Stadtent- tionsweise können Verbraucher nur sehr begrenzt wicklungs- und Verkehrsplanung nötig. Einfluss nehmen, hier liegen aber große Umweltentlas- tungspotenziale. Insoweit ist ein integrierter Ansatz aus 27. Die Handlungsfelder Rohstoffe, Lebensmittel und strengeren Umweltanforderungen für die Nahrungsmittel- Verkehr machen deutlich: Innovative Ansätze können er- erzeugung und einer intelligenten Kontextsteuerung des heblich zur Entkopplung von Wirtschaftsentwicklung und Verbraucherverhaltens, zum Beispiel durch Information, Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen beitragen. Ge- Umwelt- und Gütesiegel, umweltgerechte Angebote in fragt sind dabei aber komplexe Innovationsstrategien. Kantinen und Mensen und preisliche Instrumente, erfor- Nationales und internationales Handeln muss zukünftig derlich. Anreize für Technikinnovationen, neue Infrastrukturen sowie umweltgerechtes Verbraucherverhalten setzen und dabei Fördermaßnahmen und Beschränkungen klug auf- Verkehr und Mobilität einander abstimmen. Solche Handlungsfelder einer sek- torübergreifenden ökologischen Modernisierung sollten 25. Zwischen dem ungebremst hohen Wachstum des ein Schwerpunkt der Arbeit der Bundesregierung werden. Güterverkehrs und den Klimaschutzzielen klafft eine Lü- cke, die bisher als kaum bewältigbar angesehen wurde. Vorstellbar sind jedoch mehrere Optionen, die in einer Eine neue Wachstumsfrage? klugen Kombination das Problem lösen könnten. Zu- 28. Selbst bei einer umfassenden, ambitionierten und nächst ist mehr Realismus hinsichtlich solcher Zweckpro- optimal umgesetzten Innovationsstrategie zur Entkopp- gnosen angebracht, die davon ausgehen, dass sich das lung von Wohlfahrt und Ressourcennutzung besteht ein Wachstum des Güterverkehrs so fortsetzen könnte wie in begründeter Restzweifel, ob diese auf Dauer hinreichend der Vergangenheit. Realistischer ist es, von Sättigungs- sein kann. Dies mag vielleicht weniger für einen Umstieg tendenzen auszugehen und von Verkehrswegekapazitä- auf eine regenerative Gesamtenergieversorgung gelten als ten, die alleine schon aus finanziellen Gründen nicht mit vielmehr für den besorgniserregend wachsenden mensch- dem prognostizierten Wachstum mithalten können. Die lichen Einfluss auf naturnahe Ökosysteme. Es kann daher Nachfrage nach Logistikdienstleistungen wird sich anpas- möglich sein, dass sich auf Dauer die Wachstumsfrage sen können und müssen. Damit verringert sich die pro- stellt, entweder als Folge der stark wachsenden Kosten gnostizierte Lücke zwischen den CO2-Emissionen des für die Gewinnung, die Erhaltung, die Wiederherstellung Güterverkehrs und den Klimaschutzzielen. Einen weite- oder den Ersatz der für die Wirtschaft erforderlichen na- ren, wenn auch begrenzten Lösungsbeitrag können effi- türlichen Ressourcen, als Folge ungesteuerter Krisenent- zientere Fahrzeuge oder neue Kraftstoffe, die auf der Ba- wicklungen oder aber einer freiwilligen vorsorgenden sis erneuerbarer Energien erzeugt werden, leisten. Es Selbstbeschränkung, um den Stoff- und Energiedurchsatz bleibt als großes Handlungsfeld die Elektrifizierung des auf einer dauerhaft tragfähigen Basis zu halten. Auch Güterverkehrs, primär durch eine Verlagerung auf die wenn es nicht angebracht und vor allem nicht zielführend Schiene, ergänzend durch oberleitungsgeführte Systeme wäre, eine Politik der undifferenzierten Wachstumsdros- für mit Elektromotoren ausgestattete Lkws (Trolley- selung als Element der Umweltvorsorge anzustreben, Trucks) auf den wichtigen Autobahnkorridoren. Die sollte intensiver über die Bedingungen gesellschaftlicher, Potenziale dieser beiden Elektrifizierungsoptionen sind sozialer und ökonomischer Stabilität in wachstumsschwa- wesentlich größer als weitgehend angenommen und soll- chen Demokratien geforscht werden. Viele gesellschaftli- ten unvoreingenommen geprüft werden. Wichtigstes Ge- che Funktionssysteme und auch die Legitimation von staltungsfeld der nächsten Jahre wird die Novellierung Politik sind essenziell noch vom Wachstum abhängig. des Bundesverkehrswegeplans sein, der zu einer strategi- schen Netzplanung umgestaltet und durch den zielorien- 29. Der Ersatz des Wachstumsziels durch ein allgemei- tierte Weichenstellungen für einen zukunftsfähigen und nes Wohlfahrtsziel und die Entwicklung eines entspre- klimaverträglichen Güterverkehr getroffen werden soll- chenden Indikators wären erste Schritte in die Richtung ten. einer Neuorientierung. Diskutiert werden muss aber si-

26 Grundsatzfragen des Umweltradars cher auch über das Verhältnis privaten Konsums zum Starkregen ab und fungieren als Nährstoffpuffer und Schutz öffentlicher Güter, Dienstleistungen und Infra- -speicher. strukturen, über neue Formen der Arbeitszeitpolitik, über Hinsichtlich des Meeresschutzes hat sich bereits der öko- Einkommensverteilung oder die zukunftsfähige Finanzie- systemare Ansatz als Leitlinie etabliert, der langfristige rungsbasis der öffentlichen Haushalte. Nutzungs- und Schutzinteressen zum Ausgleich bringen Eine Wirtschaft ohne oder mit sehr geringem Wachstum soll. wirft zahlreiche ökonomische und gesellschaftspolitische 32. Evident ist aber die Asymmetrie zwischen den un- Grundsatzfragen auf, die auch in der Enquete-Kommis- mittelbar kommerziellen Nutzungen dieser Ökosysteme sion „Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität“ behan- und den nicht monetarisierten oder nur schwer monetari- delt werden und deren Arbeit fortgesetzt werden sollte. sierbaren Leistungen. Als gewinnträchtige Einnahme- Wichtig ist aber auch, dass sich die Gesellschafts- und vor quellen haben die kommerziellen Nutzungen natürlicher allem die Wirtschaftswissenschaften intensiver mit Fra- Ressourcen faktisch Priorität und beeinträchtigen damit gen einer langfristigen Sicherung gesellschaftlicher Stabi- das Potenzial der anderen oder möglicherweise auch zu- lität in einer begrenzten Welt befassen. künftig notwendigen Leistungen. Hier muss die Umwelt- politik zukünftig wesentlich aktiver und energischer ge- 0.3.3 Ökosystemleistungen aufwerten gensteuern, als sie es bisher tut. Die Wertschätzung, insbesondere von unterstützenden und regulierenden 30. Mit dem Millennium Ecosystem Assessment von Ökosystemleistungen, sollte eine umweltpolitische Prio- 2005 und dem TEEB-Bericht (The Economics of Ecosys- rität werden. Diese Ökosystemleistungen, die in den Be- tems and Biodiversity) von 2010 ist der Wert der Leistun- reich der öffentlichen Güter fallen, müssen angemessen gen der Natur für Wirtschaft und Menschen international honoriert werden. Es ist überlegenswert, zum Beispiel die hervorgehoben worden. Die Natur liefert Nahrungsmittel Einnahmen aus der Auktionierung des Emissionshandels und Rohstoffe (sog. bereitstellende Leistungen), wichtige vermehrt für die Stärkung der Klimaschutzleistungen in- Reinigungs- und Schutzleistungen (sog. regulierende takter Moore und nachhaltig bewirtschafteter Wälder ein- Leistungen), kann zum Klimaschutz durch Bodenbildung zusetzen. Die Funktionserhaltung wichtiger Ökosysteme (sog. unterstützende Leistungen) sowie der Erholung und setzt auch aktivere ordnungsrechtliche Eingriffe voraus. dem menschlichen Wohlbefinden beitragen (sog. kultu- So sollten ökologische Mindeststandards auch für die relle Leistungen). Ökosystemleistungen können durch Forstwirtschaft entsprechend konkret und praxisnah aus- sehr unterschiedliche Artenzusammensetzungen und formuliert werden. Insgesamt sind integrierte Erhaltungs- Ökosysteme erbracht werden. Wenn einzelne Ökosystem- und Bewirtschaftungskonzepte gefragt, wie sie im Rah- leistungen übernutzt werden, bedeutet dies überwiegend, men der Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtli- dass andere und auch mögliche zukünftige Ökosystem- nie oder auch in einigen Bundesländern für den Moor- leistungen eingeschränkt werden. Problematisch ist daher schutz und die naturnahe Waldbewirtschaftung entwickelt eine isolierte Betrachtung einzelner Ökosystemleistungen werden. unabhängig von deren Einbindung in den ökologischen 33. Bund und Länder werden gemeinsam eine systema- Kontext. So werden teilweise Maßnahmen dadurch be- tische Bestandsaufnahme ökosystemarer Leistungen und gründet, dass sie bestimmte Ökosystemleistungen fördern ihrer aktuellen und möglichen Funktionsgefährdungen oder bereitstellen, obwohl sie zum Verlust von Biodiver- durchzuführen haben. Diese werden damit messbar und sität führen, wie zum Beispiel die Anlage von Plantagen kommunizierbar. Konflikte zwischen verschiedenen An- für schnell wachsende Hölzer als Brennstoff. Aus diesem sprüchen und Nachfragen an Landschaften werden somit Grunde sollte vorsorgeorientiert immer bewusst der sichtbar und bewusst. Zudem ist ein umfassendes Finan- Schutz der Biodiversität und Ökosystemleistungen im zierungs- und Regulierungskonzept erforderlich, um die Zusammenhang betrachtet werden. Auch wenn Ökosys- Erhaltung und die Wiederherstellung ökosystemarer Leis- temleistungen zum Teil monetarisiert werden können, so tungen im Einklang mit Naturschutzzielen gegenüber rein ist zu beachten, dass schon angesichts der Komplexität kommerziellen Nutzungen attraktiv zu machen. Vordring- von Ökosystemleistungen dieses mit großen Unsicherhei- lich sind dabei die im Gutachten fokussierten Handlungs- ten behaftet ist. felder der Erhaltung naturnaher Wälder, die Sicherung bzw. Renaturierung der Moore und der Schutz der Meere. Wälder, Moore, Meere 0.3.4 Integrative Konzepte stärken 31. Die Funktionsvielfalt von Wäldern und Meeren ist außerordentlich breit. Sie dienen beispielsweise als Roh- 34. Aktueller denn je erforderlich ist die Integration von stoff- und Energielieferant, als Kohlenstoffsenke, als Le- Umweltaspekten in alle relevanten Sektoren, wie sie seit bensraum für Jagdwild bzw. Nutzfischarten oder seltene langem in den EU-Verträgen selbst und in Strategiedoku- Tier- und Pflanzenarten oder als Erholungsgebiet des menten der europäischen Institutionen verankert ist. Im Menschen. Zuge einer externen Integration werden die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Ausgestaltung anderer Sek- Intakte Moore sind zum Beispiel wichtige Lebensräume torpolitiken (z. B. Energie, Verkehr, Landwirtschaft) ein- für viele stark gefährdete Arten, sie speichern Koh- bezogen, während im Zuge einer internen Integration lenstoff, puffern als Wasserspeicher Trockenheit und nicht nur einzelne Medien, sondern die Umwelt als Gan-

27 Einführung zes in den Blick genommen wird. Nur wenn dies erfolgt, den Informationsgewinnen sind die Mehrkosten vertret- können innovative, effiziente und langfristig wirksame bar. Zudem gibt es durchaus auch Einsparmöglichkeiten Lösungen umgesetzt werden. Die Umweltpolitik kann durch die Zusammenfassung bislang unkoordinierter Mo- und sollte zwar nicht in allen relevanten Handlungsfel- nitoringaktivitäten. Ein medienübergreifendes Monito- dern die Federführung übernehmen, so wie es etwa bei ring sollte mit einem bundesweiten Netz der ökologi- den erneuerbaren Energien sehr erfolgreich geschehen ist. schen Flächenstichprobe kombiniert werden. Mehr denn je kommt ihr jedoch eine Impuls-, Vermitt- 37. Vordringlich sind sicher die modulare Einführung lungs- und Innovationsrolle zu, die Bedeutung ökologi- der ökologischen Flächenstichprobe in allen Bundeslän- scher Grenzziehungen auch in die Zielbildung anderer dern sowie eine medienübergreifende Umweltbeobach- Sektoren zu verankern. tung über mehrere Umweltmedien. Auch die Erfolgskon- trolle der REACH-Verordnung kann durch Integration der Integrierter Umweltschutz Ergebnisse in ein medienübergreifendes Monitoring we- sentlich verbessert werden. 35. Es kommt insbesondere darauf an, Problemverlage- rungen zu vermeiden. So könnten unter dem Banner eines Überdies setzt die internationale Diskussion um ökologi- grünen Wachstums eindimensionale Problemlösungen sche Grenzüberschreitungen in wichtigen Ökosystemen gravierende Probleme in anderen Bereichen verursachen. eine bessere Verzahnung von wissenschaftlicher Be- Paradebeispiel einer Problemverlagerung ist der Versuch, obachtung und Politik voraus. Mit dem IPCC wurde hin- Klimaschutz im Verkehrsbereich durch Agrokraftstoffe sichtlich des Klimaschutzes ein solches Gremium ge- voranzutreiben. Zielkonflikte zwischen Klimaschutz und schaffen, das einerseits in regelmäßigen Berichten durch Naturschutz sind auch in anderen Handlungsfeldern, zum hunderte von Klimawissenschaftlern den Stand von Wis- Beispiel dem beschleunigten Bau neuer Stromleitungen sen und Forschung zum Klimawandel sowie die Hand- oder dem Ausbau der Offshore-Windenergie, möglich lungsmöglichkeiten zusammenträgt, zum anderen dies und im Einzelfall auszubalancieren. Mehr denn je kommt eng mit der internationalen Klimapolitik verzahnt. Ohne die regelmäßigen Sachstandsberichte des IPCC wäre der es also auf eine „externe und interne“ Integration zwi- auf der 16. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmen- schen verschiedenen medialen Schutzzielen an. Der SRU konvention in Cancun gefundene internationale Konsens diskutiert Herausforderungen des integrierten Umwelt- kaum vorstellbar. Das 2-Grad-Ziel ist insbesondere des- schutzes am Beispiel des Genehmigungsrechts für Indus- halb bedeutsam, weil es – neben dem weitgehenden Ver- trieanlagen. Eine integrierte Vorhabengenehmigung bot ozonschädigender Substanzen durch das Montreal- könnte nach Auffassung des SRU dazu beitragen, den Protokoll – eines der wenigen internationalen Ziele ist, komplexen Herausforderungen eines übermedialen, Pro- das auf der Basis ökologischer Grenzen eine Leitplanke blemverlagerungen vermeidenden Umweltschutzes durch darstellt. Nach dem Vorbild des IPCC wird zurzeit auch eine kompetente Einheitsbehörde (eine Genehmigung in eine internationale Plattform zwischen Wissenschaft und einem Verfahren durch eine Behörde) Rechnung zu tra- Politik im Bereich der Biodiversität (IPBES) aufgebaut. gen. Ebenso wird nach dem Vorbild des IPCC das UNEP-Res- sourcenpanel etabliert. Vom Wissen zum Handeln Strategien 36. Die Wertschätzung von Ökosystemleistungen be- ginnt mit einer geeigneten Wissensbasis, einerseits zu den 38. Angesichts der Komplexität der Aufgaben und einer aktuellen und potenziellen Leistungen, andererseits aber Impulsrolle, die über die Umweltpolitik hinausreicht, auch zu den oftmals schleichenden Trends der Degradie- kommt großen übergeordneten Strategieprozessen eine rung. Problemanalyse, Frühwarnung und Zielkontrolle besondere Rolle zu. Auf der europäischen Ebene existie- gehören entsprechend zu den wichtigen Aufgaben eines ren zahlreiche Strategiepapiere im Umweltbereich, pro- Monitoring. Vielfach sind die Wirkungen von Stoffeinträ- blematisch ist aber die Konsistenz und Kohärenz zwi- gen in die Natur noch nicht bekannt. Dies gilt insbeson- schen diesen Strategien. Gerade diejenigen Strategien, dere für Kumulationseffekte, Additionseffekte, räumliche bzw. Programme, die diese sichern könnten – die Nach- und zeitliche Distanz von Wirkungen und systemische haltigkeitsstrategie und das 7. Umweltaktionsprogramm – Wirkungen. Ohne ein regelmäßiges und qualitativ hoch- werden im ersten Fall überhaupt nicht mehr, im zweiten wertiges Monitoring wird es kaum möglich sein, den Be- Fall eher halbherzig von der Europäischen Kommission langen des integrierten Umweltschutzes zu entsprechen weiterverfolgt. Beide können nicht durch die Wachstums- und festzustellen, ob bestimmte Umweltpolitikmaßnah- agenda ersetzt werden – auch wenn diese mit „nachhaltig, men zielführend sind oder gegebenenfalls nachgesteuert intelligent und inklusiv“ qualifiziert ist. Auch auf natio- werden müssen. Für jeweils spezielle sektorale Fragen naler Ebene besteht Aktualisierungsbedarf. Der nationa- und Themen gibt es zwar spezielle Beobachtungspro- len Nachhaltigkeitsstrategie fehlt insbesondere der in Be- gramme, diese sind aber nicht zu einer integrierten zug auf die dort akzentuierte Generationsgerechtigkeit Umweltbeobachtung zusammengeführt. Dies gilt insbe- wichtige mittlere Zeithorizont. Ein integriertes nationales sondere für ein allgemeines repräsentatives Biodiversi- Umweltprogramm, das in der Lage wäre, Umweltziele tätsmonitoring, eine Gesamtschau der Folgen von Klima- differenzierter zu behandeln als es die übergreifende wandel, stofflichen Einträgen aus diffusen Quellen und Nachhaltigkeitsstrategie leisten kann, gibt es seit Jahr- den möglichen Wirkungen von gentechnisch veränderten zehnten nicht mehr. Solche Strategieprozesse wären die Organismen auf die biologische Vielfalt. Im Vergleich zu geeignete Plattform, um die dringend anstehende wissen-

28 Grundsatzfragen des Umweltradars schaftliche und politische Diskussion um ökologische Umwelt- und Nachhaltigkeitsstrategien sind auch Instru- Grenzen und faire Nutzungsansprüche Deutschlands und mente der öffentlichen Kommunikation und Vermittlung der EU zu formulieren und verbindlich zu verankern. Sie eines grundlegenderen Handlungsbedarfs und damit auch könnten und sollten die dringend erforderlichen Impulse der dringenden Aufwertung der Umweltpolitik. für eine Wiederaufwertung der Umweltpolitik liefern. Angesichts der aktuellen Erkenntnisse über Grenzüber- 39. Das Konzept der ökologischen Grenzen sollte ein schreitungen, die das Wohlstandsmodell der letzten Jahr- zentraler konzeptioneller Referenzpunkt der Debatte um hunderte infrage stellen könnten, ist eine Neuorientierung die Neuformulierung von Umwelt- und Nachhaltigkeits- der Umweltpolitik erforderlich. Die nachfolgenden Kapi- strategien auf nationaler und europäischer Ebene werden. tel wollen insoweit Wege aufzeigen.

29

Kapitel 1

Inhaltsverzeichnis Seite

1 Die neue Wachstumsdebatte ...... 33

1.1 Einleitung ...... 33 1.2 Nachhaltiges Wirtschaften innerhalb ökologischer Grenzen . . . . . 33 1.2.1 Die Naturbedingtheit der Ökonomie und starke Nachhaltigkeit . . 33 1.2.2 Ökosystemleistungen ...... 35 1.2.3 Ökologische Grenzen ...... 36 1.2.4 Grenzüberschreitungen: Krisenentwicklungen und Indikatoren . . 37 1.3 Die Debatte um Wachstum und Nachhaltigkeit: von Green Growth bis Degrowth ...... 40 1.4 Entkopplung – Perspektiven und Grenzen ...... 41 1.5 Risiken des Nichtwachstums ...... 44 1.5.1 Der „Wachstumszwang“ in der ökonomischen Theorie ...... 44 1.5.2 Wachstumszwänge in der politischen Realität ...... 45 1.6 Herausforderungen für Politik, Gesellschaft und Wissenschaft . . . 46 1.6.1 Umweltziele setzen, Wissenschaft und Politik stärker verzahnen ...... 46 1.6.2 Entkopplungspotenziale ausschöpfen ...... 48 1.6.3 Lebensqualität unabhängig von Wachstum verbessern ...... 50 1.6.4 Herausforderungen für die ökonomische Theorieentwicklung . . . 53 1.7 Schlussfolgerungen ...... 54 1.8 Literatur ...... 55

Abbildungen

Abbildung 1-1 Nachhaltigkeitsmodell, das die Einbettung menschlicher Aktivitäten in eine begrenzte Umwelt hervorhebt ...... 34 Abbildung 1-2 Planetarische Grenzen, Schwellenwerte und Unsicherheit 37 Abbildung 1-3 Markthemmnisse für grünes Wachstum ...... 49

Tabellen

Tabelle 1-1 Kategorien von Ökosystemleistungen ...... 35 Tabelle 1-2 Planetarische Grenzen ...... 39

31 Die neue Wachstumsdebatte Nachhaltiges Wirtschaften innerhalb ökologischer Grenzen

1 Die neue Wachstumsdebatte

1.1 Einleitung 1.2 Nachhaltiges Wirtschaften innerhalb ökologischer Grenzen 40. In Deutschland, aber auch international ist die Frage der Vereinbarkeit von Wirtschaftswachstum und Nach- 1.2.1 Die Naturbedingtheit der Ökonomie und haltigkeit derzeit wieder Gegenstand politischer und starke Nachhaltigkeit gesellschaftlicher Debatten. Dabei mehren sich nach- denkliche und wachstumskritische Stimmen aus unter- 41. Neuere Veröffentlichungen (IPCC 2007; EEA schiedlichen Richtungen (BINSWANGER 2010; 2010a; REID et al. 2005) bringen eine häufig verdrängte ENDERLEIN 2010; FITOUSSI und LAURENT 2008; Erkenntnis wieder verstärkt ins Bewusstsein: Die natürli- HINTERBERGER et al. 2009; JACKSON 2009a; che Umwelt, vor allem das Klima und die Biodiversität, MIEGEL 2010; PAECH 2009a; SCHOR 2010; SEIDL sind die Grundlage des menschlichen Lebens. Ohne funk- und ZAHRNT 2010b). Das Interesse der Politik zeigt sich tionierende Ökosysteme und die Erhaltung des Naturka- nicht zuletzt in der Einsetzung einer Enquete-Kommis- pitals sind stabile Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme sion im Deutschen zum Themenkomplex nicht denkbar. Thermodynamisch gesehen ist das globale Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität. ökologische System durch komplexe Strukturen mit ge- ringer Entropie, das heißt hoher Ordnung, gekennzeich- Die Diskussion um das Wachstum in einer begrenzten net. Das ökonomische System dagegen wandelt natürli- Welt ist nicht neu. Bereits in den 1970er-Jahren löste der che Strukturen mit niedriger Entropie um (beispielsweise Bericht zu den „Grenzen des Wachstums“ an den Club of durch die Verbrennung von Kohle und Öl) und erhöht da- Rome eine Kontroverse in Wissenschaft und Öffentlich- durch das Entropieniveau (DALY 1996; GEORGESCU- keit aus (MEADOWS et al. 1972). Heute lebt die Debatte ROEGEN 1971; CLEVELAND und RUTH 1997). Ohne erneut auf, dabei hat sich der Fokus allerdings verscho- das umfassende ökologische System, das negentropische ben. Während die Diskussion über die Grenzen des Strukturen aufgrund der ihm eigenen Produktivität immer Wachstums in den 1970er-Jahren einen starken Fokus auf wieder neu aufbaut (etwa durch Fotosynthese und geneti- die Verfügbarkeit nicht-erneuerbarer Ressourcen legte, sche Proliferation), wäre die Ökonomie langfristig nicht steht heute die Übernutzung und Zerstörung wichtiger denkbar (SRU 2002, Tz. 20 ff.). Die Ökonomie in ihren Ökosysteme im Lichte erkennbarer biophysischer Gren- stofflichen Dimensionen zehrt von „Größen“, die sie zen im Vordergrund. nicht selbst produzieren, sondern nur verbrauchen kann. Das ökonomische System muss sich daher im Rahmen Im vorliegenden Kapitel setzt sich der Sachverständigen- der Reproduktionskapazität der Natur bewegen. Nachhal- rat für Umweltfragen (SRU) mit dieser neuen Wachs- tigkeit bedeutet, sich innerhalb der damit gegebenen öko- tumsdebatte auseinander. Nach Auffassung des SRU logischen Grenzen zu bewegen. sollte das Konzept der ökologischen Grenzen in den Mit- telpunkt der umwelt-, wirtschafts- und gesellschaftspoliti- schen Debatte gerückt werden. Ökologische Grenzüber- Erster und zweiter Hauptsatz der Thermodynamik schreitungen haben schwerwiegende ökonomische, – Nach dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik soziale und (sicherheits-)politische Folgen. Zu akzeptie- kann Energie weder produziert noch vernichtet wer- ren, dass es ökologische Grenzen gibt, deren Überschrei- den. Energie kann lediglich durch thermodynami- tung unbedingt vermieden werden sollte, hat zwar weit- sche Umwandlungsprozesse – wie beispielsweise reichende Konsequenzen für Wirtschaft und Politik, muss durch Verbrennung – ganz oder teilweise von einer aber nicht von vornherein mit einem Ende des Wirt- Energieform in eine andere überführt werden. In ei- schaftswachstums gleichgesetzt werden. Zunächst ist nem abgeschlossenen System bleibt somit die vielmehr auszuloten, wie weit eine absolute Entkopplung Summe aller Energien bei jeder Umwandlung kon- von Umweltinanspruchnahme und Wirtschaftsentwick- stant. Ebenso kann Materie in einem abgeschlosse- lung reicht. Die Idee einer grünen Wirtschaft, wie sie im nen System weder erzeugt noch vernichtet werden. Vorfeld der Rio+20-Konferenz diskutiert wird (vgl. Ab- Es gilt demzufolge das Gesetz der Massenerhaltung. schn. 11.3.3), ist in dieser Hinsicht sehr optimistisch. Der SRU vertritt in diesem Kapitel die Einschätzung, dass – Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ist als zwar erhebliche Entkopplungspotenziale bestehen, dass maßgebliche Einschränkung des ersten Hauptsatzes aber nicht mit Sicherheit bestätigt werden kann, ob diese zu verstehen. Alle natürlichen Prozesse, nicht nur ausreichen werden. Diese Vorsorgeüberlegung rechtfer- thermodynamische Umwandlungsprozesse, sind tigt ein Nachdenken in Wissenschaft und Politik über die nicht umkehrbar (irreversibel), das heißt, sie können Bedingungen von Wohlfahrt jenseits von Wirtschafts- „von selbst“ nur in eine Richtung ablaufen, während wachstum. des Prozesses wird Energie entwertet und sie lassen

33 Die neue Wachstumsdebatte

Dies impliziert, dass es zulässig ist, Naturkapital zu ver- sich nur durch zusätzlichen Aufwand „von außen“ wieder umkehren, wodurch immer Veränderungen in brauchen und in Sachkapital oder Wissen zu transformie- der Umgebung zurück bleiben. ren, solange dadurch der Gesamtbestand an Nutzen stif- tendem Kapital insgesamt nicht sinkt. Diese These der Zur quantitativen Bewertung und mathematischen For- Substituierbarkeit von Naturkapital durch andere Kapital- mulierung des Grades der Irreversibilität dient die En- formen steht im Zentrum des Konzepts der schwachen tropie „S“ als bestimmende Zustandsgröße. Die Entro- Nachhaltigkeit. pie beschreibt die Unordnung in einem System. Es gelten folgende Voraussetzungen: Demgegenüber bekennt sich der SRU zum Konzept der starken Nachhaltigkeit, er hält die Substituierbarkeit von – Je höher die Entropie in einem System, desto größer Naturkapital durch andere Kapitalformen nur in engen ist dessen Unordnung. Grenzen für möglich. Die Erhaltung der ökologischen – Die Entropie ist immer größer Null. Tragfähigkeit verlangt, dass Abwägungsentscheidungen zwischen verschiedenen Nachhaltigkeitszielen innerhalb – Die Entropie eines vollständig isolierten (adiabaten) eines gesetzten ökologischen Rahmens getroffen werden geschlossenen Systems kann niemals abnehmen. müssen (Abb. 1-1). – Bei irreversiblen Prozessen, das heißt bei jeder Zu- standsänderung, nimmt die Entropie eines vollstän- 42. Es kann jedoch kontrovers diskutiert werden, inwie- dig isolierten (adiabaten) geschlossenen Systems zu. weit es innerhalb dieser Grenzen Ermessensspielräume bei der Abwägung zwischen den verschiedenen Nachhal- – Eine Umkehrung natürlicher Prozesse, was einer Re- tigkeitsdimensionen gibt (SRU 2002, Kap. 1.3). Während duktion der Entropie gleichkommt, ist immer mit ei- im Bereich abiotischer Rohstoffe eine gewisse Substitu- nem bestimmten Energieaufwand „von außen“ ver- ierbarkeit von Naturkapital durch Wissen und Sachkapital bunden. im Einzelfall plausibel sein kann, ist im Bereich der bio- genen Ressourcen und Ökosysteme sowie deren Dienst- leistungen stärker von einer Nicht-Substituierbarkeit aus- Das konventionelle Modell der Nachhaltigkeit, das eine zugehen (SRU 2002, Tz. 28). Auch mit Blick auf das grundsätzlich gleichberechtigte Abwägung von ökonomi- Vorsorgeprinzip wird daraus abgeleitet, dass das Naturka- schen, ökologischen und sozialen Zielen vorsieht, berück- pital möglichst konstant zu halten ist (OTT 2009). sichtigt den übergeordneten Charakter des ökologischen Rahmens nicht ausreichend. Insbesondere in der neoklas- In einer „vollen Welt“ (DALY 2005) – also einer Welt, in sischen Ökonomie ist die These verbreitet, dass zukünfti- der Menschen und menschengemachte Dinge die Natur in gen Generationen lediglich ein konstanter Gesamtbestand erheblichem Maße verdrängt haben – bedarf es daher an Kapitalien hinterlassen werden muss (SRU 2002). Grenzziehungen für den physischen Energie- und Mate-

Abbildung 1-1

Nachhaltigkeitsmodell, das die Einbettung menschlicher Aktivitäten in eine begrenzte Umwelt hervorhebt

absolute Grenzen/ Schutzpflicht bei der Erhaltung der Lebensgrundlagen in globaler Perspektive: Wirtschaft Soziales  Klima  Biodiversität  Böden  Luft Maßnahme  Wasser  relative Grenzen/ Meere Optimierungsgebot  Rohstoffe  ... Umwelt

Quelle: SRU 2011b

34 Nachhaltiges Wirtschaften innerhalb ökologischer Grenzen rieumsatz („throughput“), der notwendigerweise immer 1.2.2 Ökosystemleistungen mit der Nutzung natürlicher Ressourcen und natürlicher Senken für Abfallströme verbunden ist. Wie DALY 44. Eine Veranschaulichung und Konkretisierung der (1992) aufgezeigt hat, kann es angesichts schwindender Bedeutung von Naturkapital liefert das Konzept der Öko- Spielräume für die Naturnutzung nicht mehr nur um die systemleistungen (ecosystem services). Es wurde von traditionellen Aufgaben des effizienten Einsatzes (Allo- EHRLICH und EHRLICH (1981) eingeführt und baut auf kation) und der gerechten Verteilung (Distribution) von früheren Veröffentlichungen auf, die versuchten, den ge- natürlichen Ressourcen gehen, sondern es muss in erster sellschaftlichen Nutzen der Natur und der Naturfunktio- Linie der Umfang der Ressourcennutzung und Schad- nen zu verdeutlichen (GÓMEZ-BAGGETHUN et al. stoffbelastung (Scale) gesteuert werden. Ein überladenes 2010). Die Arbeiten zeigten auf, dass der Verlust von bio- Schiff kann nicht durch das Verschieben der Fracht vor logischer Vielfalt direkt die Prozesse in Ökosystemen be- dem Untergehen bewahrt werden, sondern vor allem da- einflusst, die für das Wohlergehen des Menschen grundle- durch, dass die Ladung auf ein verträgliches Maß redu- gend sein können. Einen frühen Versuch, die Funktionen ziert wird (ebd.). Dies bedeutet, dass es nicht in erster Li- der Natur und die Natur selbst zu monetarisieren, unter- nie darum gehen kann, lediglich eine effiziente Nutzung nahmen COSTANZA et al. (1997). Auf die politische und Verteilung der natürlichen Ressourcen zu erreichen. Agenda gelangte das Thema mit dem Millennium Vor allem muss die Umweltnutzung absolut begrenzt Ecosystem Assessment (MA) (REID et al. 2005). Das werden. MA wurde von den Vereinten Nationen beauftragt, einen Überblick über den globalen Zustand von wichtigen Öko- 43. Bei der Inanspruchnahme globaler Ressourcen stellt systemleistungen zu geben. sich dabei zusätzlich die Frage der intragenerativen, ins- besondere der globalen Verteilungsgerechtigkeit. Der Ökosystemleistungen werden als die Leistungen defi- SRU bekennt sich ausdrücklich zum Prinzip der fairen niert, die Menschen von Ökosystemen erhalten (MA und gleichen Pro-Kopf-Nutzungsansprüche auf natürliche 2003, S. 3: BOX 1 Key Definitions), oder einfacher als Ressourcen, das auch in der nationalen Nachhaltigkeits- „ökologische Prozesse, die für das Wohlbefinden von strategie zum Ausdruck kommt: „In ethischer Betrach- Menschen von Bedeutung und damit wertvoll sind“ tung hat jeder Mensch das gleiche Recht darauf, Ressour- (ESER et al. 2011). Die Definition des MA und der cen in Anspruch zu nehmen, solange sie nicht übernutzt TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodi- werden“ (Bundesregierung 2008, S. 20). Das Ziel muss versity; TEEB 2010, S. 33) schließt in den Begriff „Öko- also sein, in Deutschland die Nutzung ökologischer Res- systemleistungen“ auch Güter wie Holz oder Nahrungs- sourcen auf ein Maß zu reduzieren, das global verallge- meinerbar ist. mittel mit ein, enthält also materielle, energetische und nicht-materielle Aspekte. Die TEEB-Studie unterscheidet Aus Sicht des SRU sollte Deutschland in dieser Weise auch noch zwischen direkten (z. B. Konsum von Nahrung seine globale Verantwortung wahrnehmen, selbst wenn oder Genuss schöner Landschaften) und indirekten Bei- zunächst noch nicht alle anderen Staaten auf denselben trägen (z. B. Reinigung von Trinkwasser durch Bodenfilt- Weg einschwenken. Zum einen sind Vorreiter notwendig, ration). um andere Industrie- und Schwellenländer von der Um- setzbarkeit nachhaltiger Strategien zu überzeugen und bei 45. Ziel all dieser Typologien ist es, die Abhängigkeit Entwicklungsländern Vertrauen zu schaffen. Zudem kön- des Menschen von der Natur sichtbarer zu machen, und nen diese Vorreiter auch selbst profitieren, indem sie zu zeigen, welchen Wert die Leistungen der Natur für das Technologieführerschaft gewinnen und besser als andere menschliche Leben und Wirtschaften besitzen. Vor allem auf neue Anforderungen und Marktsituationen vorbereitet unterstützende Leistungen wie der Nährstoffzyklus und sind (SRU 2002; 2008). Dennoch sollte parallel eine die Bodenbildung und viele regulierende Leistungen wie Verankerung entsprechender Ziele und Maßnahmen Bestäubung oder Schädlings- und Erosionsregulierung (Kap. 11) auf europäischer und internationaler Ebene an- werden bislang von der Gesellschaft selbstverständlich gestrebt werden, um möglichst rasch möglichst große und kostenfrei in Anspruch genommen und nicht ange- Verbesserungen der Umweltsituation zu erzielen. messen geschützt (Tab. 1-1). Tabelle 1-1

Kategorien von Ökosystemleistungen

Unterstützende Leistungen (Supporting services) z. B. Primärproduktion durch Photosynthese, Bodenbildung und Nährstoffkreisläufe Bereitstellende Leistungen (Provisioning services) z. B. das Bereitstellen von Nahrung, Wasser, Holz und Brenn- stoffen sowie pharmazeutischen Produkten Regulierende Leistungen (Regulating services) z. B. das Reinigen von Luft und Wasser sowie die Regulierung des Klimas, Schutz vor Naturkatastrophen und Krankheiten Kulturelle Leistungen (Cultural services) z. B. Inspiration, Bildung, ästhetische Werte sowie Erholung und Entspannung

Quelle: BECK et al. 2006, verändert

35 Die neue Wachstumsdebatte

46. Problematisch ist jedoch eine isolierte Betrachtung als „quantitativ definierte Schadensgrenzen, deren Verlet- einzelner Ökosystemleistungen unabhängig von deren zung heute oder in Zukunft intolerable Folgen mit sich Einbindung in den ökologischen Kontext. So werden teil- brächte“ (WBGU 2005, S. 28; 1997). Die Festlegung weise Maßnahmen dadurch begründet, dass sie be- ökologischer Grenzen oder Leitplanken setzt in demokra- stimmte Ökosystemleistungen fördern oder bereitstellen, tisch verfassten Gesellschaften eine breite gesellschaftli- obwohl sie zum Verlust von Biodiversität führen. Eine che und politische Akzeptanz in einem langfristigen, auf- unreflektierte Nutzung des Begriffs der Ökosystemlei- geklärten Eigeninteresse voraus (vgl. Abschn. 1.6.1 und stungen kann somit gerade dem Natur- und Umweltschutz Kap. 11). entgegenstehen. Nur wenn der Schutz von Ökosys- 49. Operationalisiert wird der Begriff der ökologischen temleistungen Teil des Natur- und Umweltschutzes ist, Grenzen beispielsweise durch das Konzept der „planetari- werden beide Teilziele erreicht. Aus diesem Grund wird schen Grenzen“ (planetary boundaries) und das des „si- im Rahmen des Übereinkommens über die biologische cheren Handlungsraumes“ (safe operating space) für Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) menschliche Aktivitäten (ROCKSTRÖM et al. 2009). auch immer vom Schutz von Biodiversität und Öko- Dabei wird unterschieden zwischen Prozessen mit kriti- systemleistungen gesprochen (z. B. im Strategischen Plan schen globalen Schwellenwerten (wie z. B. bei der welt- 2011 bis 2020, SCBD 2010a). Auch die neue EU-Bio- weit ausgestoßenen Menge an Treibhausgasemissionen) diversitätsstrategie für das Jahr 2020 nennt beide Begriffe und Prozessen wie Landnutzungsänderungen, bei denen im Zusammenhang (Europäische Kommission 2011c). nach derzeitigem Kenntnisstand solche globale Schwel- 47. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die öko- len nicht bestehen. Bei diesen kann es aber durch eine nomische Bewertung von Ökosystemleistungen vor allem stetige bzw. schleichende Verschlechterung zum Zu- dann an ihre Grenzen stößt, wenn Ökosysteme sehr kom- sammenbruch wichtiger Funktionen (wie z. B. der Koh- plex sind, wenn Unsicherheiten über Wirkungszusam- lenstoffaufnahmefähigkeit) kommen, die Auswirkungen menhänge bestehen und wenn Umkipppunkte, an denen auf globale Prozesse haben oder aggregiert zu einem glo- Systeme instabil werden, nicht vorhergesagt werden kön- balen Problem werden können (Abb. 1-2). Ein Über- nen. In diesen Fällen ist eine monetäre Bewertung wis- schreiten der planetarischen Grenzen kann einen „abrup- senschaftlich besonders unzuverlässig. Außerdem sind ten, nicht-linearen ökologischen Wandel in kontinentalen die Methoden der Bewertung bei manchen Gütern we- bis planetarischen Systemen“ auslösen (ROCKSTRÖM sentlich schwieriger anzuwenden als bei anderen. Da- et al. 2009, S. 1). rüber hinaus hängen die Ergebnisse einer ökonomischen Bei schleichenden Entwicklungen liegt der kritische Bewertung ökologischer Güter immer auch von notwen- Schwellenbereich dort, wo die „Resilienz“ von natürli- digerweise subjektiven methodischen Entscheidungen chen Systemen beeinträchtigt wird – also ihre Fähigkeit, derjenigen ab, die solche Studien durchführen. Diese va- sich von Störungen und Schocks zu erholen und ihre riieren je nach Art des zu bewertenden Guts, der verwen- Funktionsfähigkeit aufrecht zu erhalten (WALKER und deten Methoden und des betrachteten Zeitraums in unter- SALT 2006). Ökologische Grenzen können angesichts schiedlichem Maße (BRONDÍZIO und GATZWEILER der Komplexität der Systeme und Prozesse nicht als klare 2010). In der Praxis birgt die ökonomische Bewertung Linie gedacht werden, sondern als „Korridore der Elasti- von Ökosystemen das Risiko einer verengten oder ver- zität“ (SACHS und SANTARIUS 2005). zerrten Wahrnehmung verschiedener Umweltaspekte. Unterhalb der Erdsystembetrachtung auf den regionalen 1.2.3 Ökologische Grenzen oder lokalen Ebenen gibt es schon länger Analysen der Tragfähigkeitsgrenzen oder „critical loads“ vor allem hin- 48. Der Begriff der ökologischen Grenzen verweist zu- sichtlich versauernder und eutrophierender Luftschad- nächst auf die unbezweifelbare biophysische Begrenzt- stoffe (vgl. Kap. 10). Grenzen lassen sich auch auf der heit der Erde im Hinblick auf die Verfügbarkeit von na- Basis der natürlichen Reproduktion erneuerbarer Res- türlichen Ressourcen und die Aufnahmefähigkeit von sourcen identifizieren. Senken. Er kann jedoch nicht als ein rein naturwissen- schaftlicher Begriff verstanden werden. Naturwissen- Ökologische Grenzen und starke Nachhaltigkeit schaften können durch die Beschreibung von faktischen Zusammenhängen Verfügungswissen bereitstellen. So 50. Zu beachten ist, dass die Erhaltung des Naturkapi- können sie Kausalzusammenhänge und Wirkungsketten tals – ein Kernelement des Leitbilds der starken Nachhal- identifizieren und unter Umständen Eintrittswahrschein- tigkeit (vgl. Tz. 41) – ein grundsätzlich anderes Schutz- lichkeiten für bestimmte Entwicklungen oder Ereignisse konzept darstellt als die Einhaltung ökologischer angeben. Ökologische Grenzen beschreiben jedoch Grenzen. Grundsätzlich ist die Erhaltung des Naturkapi- Schwellen, jenseits derer unerwünschte Ereignisse zu er- tals der strengere Maßstab, weil er jede Minderung zu warten sind. Was „unerwünscht“ ist, lässt sich aber nicht vermeiden sucht und sich nicht nur an der Vermeidung nur naturwissenschaftlich bestimmen. Angesichts wissen- von Katastrophen orientiert. Dennoch ist das Konzept der schaftlicher Unsicherheiten erfordern Aussagen über öko- ökologischen Grenzen eine sinnvolle Ergänzung zum logische Grenzen immer auch Urteile über das Maß an Leitbild der starken Nachhaltigkeit, da es expliziter auf Vorsorge, das gesellschaftlich angemessen erscheint kritische Belastungsschwellen für wichtige globale Öko- (ROCKSTRÖM et al. 2011; SRU 2011c). In diesem systeme verweist. Es muss jedoch als komplementär ver- Sinne wird auch der Begriff der Leitplanken verwendet standen werden in dem Sinne, dass es verwendet wird,

36 Nachhaltiges Wirtschaften innerhalb ökologischer Grenzen

Abbildung 1-2

Planetarische Grenzen, Schwellenwerte und Unsicherheit

Quelle: ROCKSTRÖM et al. 2009, eigene Übersetzung um Mindestanforderungen an den Umweltschutz zu for- – Etwa 60 % der untersuchten Ökosystemleistungen mulieren, ohne dabei das höhere Anspruchsniveau der sind bereits degradiert oder durch nicht-nachhaltige starken Nachhaltigkeit infrage zu stellen. Nutzung gefährdet (REID et al. 2005). Die Waldfläche nimmt global ab, insbesondere die Fläche der Tropen- 1.2.4 Grenzüberschreitungen: Krisen- wälder geht kontinuierlich und in dramatischem Aus- entwicklungen und Indikatoren maß zurück. Tropische Korallenriffe kollabieren (UNEP 2007a, S. 88; SCBD 2010b). Die Überfi- Beispiele weltweiter ökologischer schung der Meere ist nach wie vor eines der großen Grenzüberschreitungen ungelösten Probleme; etwa 80 % der Bestände in den 51. Die Menschheit nimmt einen immer größeren Anteil Weltmeeren ist bereits überfischt oder bis an ihre der verfügbaren Umweltressourcen in Anspruch und Grenzen ausgebeutet (FAO 2009). Nicht-nachhaltige schädigt dabei natürliche Systeme irreversibel. Menschli- Land- und Wassernutzung führt in Verbindung mit che Aktivitäten beeinflussen das natürliche Erdsystem dem Klimawandel zur Desertifikation bzw. zum Ver- heute so stark, dass einige Wissenschaftler die gegenwär- lust fruchtbarer Böden durch Erosion, Versalzung und tige geologische Epoche als „Anthropozän“ bezeichnen Nährstoffverlust. (STEFFEN et al. 2007; CRUTZEN 2002). Global werden – Die weltweit pro Kopf verfügbare Wassermenge ökologische Grenzen beispielsweise in folgenden Berei- nimmt ab, vor allem durch Übernutzung von Grund- chen überschritten: und Oberflächenwasserressourcen. In Zukunft wer- – Mit dem fortschreitenden Klimawandel steigt der den immer mehr Menschen unter Wassermangel lei- Meeresspiegel, Gletscher schmelzen ab, wetterbe- den (UNEP 2007b, S. 11). Wasserverschmutzung dingte Extremereignisse treten häufiger auf und irre- bleibt weltweit eine der wichtigsten Ursachen für versible Umkippeffekte werden wahrscheinlicher Krankheit und Tod. (IPCC 2007). – Bereits heute eignet sich die Menschheit etwa ein – Trotz aller internationalen Verhandlungen und An- Viertel der potenziellen Nettoprimärproduktion der strengungen ist es nicht gelungen, den Verlust an bio- Erde an, in erster Linie durch Ernte von Biomasse für logischer Vielfalt auch nur zu verlangsamen, wie es die Produktion von Nahrung oder für die Gewinnung sich die internationale Gemeinschaft im Jahr 2002 als von Baustoffen und Energie, aber auch durch Flächen- Ziel bis 2010 vorgenommen hatte. Der Artenverlust inanspruchnahme für die Siedlungs- und Infrastruktur- setzt sich ungebremst mit einem Vielfachen der natür- entwicklung (HABERL et al. 2007). Lebensräume lichen Verlustrate fort. Der Living Planet Index, ein und Nahrungsangebot für andere Arten werden somit Maß für die Entwicklung der globalen Biodiversität, durch den Menschen bereits in erheblichem Maße ein- zeigt einen Rückgang der Bestände ausgewählter Indi- geschränkt. Durch die wachsende Weltbevölkerung katorarten um fast 30 % seit 1970 (WWF et al. 2010). und sich ändernde Ernährungsgewohnheiten könnte

37 Die neue Wachstumsdebatte

sich der Bedarf an landwirtschaftlichen Produkten bis Ein anderer flächenbezogener Indikator misst im Rahmen 2050 um 70 % erhöhen. Dadurch würden Landnut- einer Lebenszyklus-Analyse den Flächenbedarf entlang zung und Landnutzungsänderungen weiter zunehmen. der gesamten Produktionskette. BRINGEZU und BLEISCHWITZ (2009, S. 39 ff.) schlagen hier das soge- 52. Insgesamt gefährden diese unterschiedlichen, sich in nannte Global Land Use Accounting of Agricultural Crop- vielen Fällen gegenseitig verschärfenden ökologischen land (GLUAcropland) als Indikator vor. Der Indikator umfasst Grenzüberschreitungen die Lebensgrundlagen von meh- die Flächennutzung für landwirtschaftliche Produktion reren hundert Millionen Menschen. Sie wirken sich in für Lebensmittel- und Nicht-Lebensmittel-Verwendungen vielfältiger Weise auf ökologische und gesellschaftliche (inklusive Tierhaltung) weltweit und berücksichtigt damit Systeme aus, indem sie etwa Lebensmittelkrisen verursa- auch die Flächenansprüche, die bei der Produktion impor- chen, Wassermangel verstärken und soziale Konflikte um tierter Produkte entstehen. Wenn die global im Jahr 2050 natürliche Ressourcen verschärfen. Ökologische Grenz- voraussichtlich verfügbare landwirtschaftliche Fläche auf überschreitungen können Lebensräume für Menschen 9 Milliarden Menschen gleichmäßig aufgeteilt werden und Tiere zerstören und Auslöser für Migration und sollte, ergibt sich ein Zielwert von 0,2 ha pro Person Flucht sein. Damit haben sie nicht nur umweltpolitische, (BRINGEZU 2009). Für Deutschland sollte – berücksich- sondern auch wirtschafts- und sicherheitspolitische Be- tigt man die im globalen Vergleich sehr hohe landwirt- deutung. Heute bereits akut betroffen sind häufig die schaftliche Produktivität – der Zielwert noch deutlich ärmsten Teile der Bevölkerung in Entwicklungsländern, niedriger angesetzt werden (vgl. Kap. 3, Tz. 164). Tat- deren Lebensunterhalt von den lokalen natürlichen Res- sächlich lag der GLUA pro Person im Jahr 2004 in sourcen abhängt (NIEKISCH 2006). Die Degradierung cropland Deutschland jedoch nach Berechnungen von BRINGEZU von Ökosystemen ist daher auch ein Hindernis für das Er- und SCHÜTZ (2009, S. 131) mit 0,25 ha um 25 % über reichen der Millenniums-Entwicklungsziele (UNDP dem Zielniveau. Mit circa 61 % macht die tierisch ba- 2011). sierte Ernährung dabei den größten Anteil dieses Flächen- Dagegen sind die Auswirkungen in Industrieländern bis- bedarfs aus (vgl. Kap. 3, Tz. 166). Sollte in Deutschland lang deutlich seltener unmittelbar spürbar. In Deutschland der Verbrauch nachwachsender Rohstoffe, insbesondere sind etwa die Verluste an Ökosystemleistungen in vielen für die energetische Verwendung, wie erwartet deutlich Bereichen geringer als auf globaler Ebene, unter anderem steigen, könnte der GLUAcropland im Jahr 2030 mit aufgrund der bestehenden Umwelt- und Naturschutzge- 0,28 bis 0,3 ha pro Person die dann noch weltweit zur setzgebung und entsprechender Maßnahmen. Gleichzei- Verfügung stehende Fläche deutlich überschreiten (BAU- tig tragen unter anderem aber Importe von Gütern oder Szenarien in BRINGEZU und SCHÜTZ 2009, S. 132). der Ausstoß von Treibhausgasen (THG) in Deutschland dazu bei, dass Ökosysteme auch in anderen Ländern ge- 55. Auf der Basis einer anderen Methodik schlagen schädigt werden (BECK et al. 2006). ROCKSTRÖM et al. (2009) planetarische Belastungs- grenzen für zehn verschiedene natürliche Systeme und Prozesse vor (Tab. 1-2). Die planetarischen Grenzen defi- Indikatoren der Grenzüberschreitung nieren den sicheren Handlungsraum für menschliche Ak- tivität, der jeweils ausreichend weit von möglichen „Um- 53. Verschiedene globale Indikatorensysteme zeigen kipppunkten“ oder gefährlichen Belastungsniveaus auf, dass man bereits heute von Grenzüberschreitungen entfernt ist. Die Systeme sollten innerhalb dieser Grenzen ausgehen muss. Obwohl bei allen Indikatoren, insbeson- bleiben, um abrupte, irreversible und katastrophale Um- dere komplexen Indikatorsystemen, unvermeidliche me- weltveränderungen zu vermeiden. Die Bestimmung der thodische Schwächen bestehen, ist diese Aussage robust. Grenzen orientiert sich soweit möglich an neuester wis- 54. Die Berechnungen zum ökologischen Fußabdruck senschaftlicher Forschung, kann aber aufgrund der Da- etwa zeigen, dass die Menschheit inzwischen mehr natür- tenlage nicht in allen Fällen mit der gleichen Präzision er- liche Ressourcen in Anspruch nimmt, als die Erde auf folgen. Beim Verlust der Biodiversität beispielsweise ist Dauer bereitstellen kann. Der ökologische Fußabdruck der Zusammenhang mit der Stabilität und Resilienz von misst die biologisch produktive Land- und Wasserfläche, Ökosystemen nicht ausreichend wissenschaftlich eta- die notwendig ist, um die vom Menschen genutzten er- bliert. ROCKSTRÖM et al. (2009) setzen eine Verlustrate neuerbaren Ressourcen bereitzustellen und um durch von zehn Arten pro Million Arten pro Jahr als vorläufige menschliche Aktivitäten verursachtes Kohlendioxid Grenze, die nicht überschritten werden sollte. Dies würde (CO2) zu absorbieren. Die sogenannte Biokapazität be- dem zehn- bis hundertfachen der natürlichen Verlustrate zeichnet die Fläche, die zur Erzeugung der Ressourcen entsprechen. Für die atmosphärische CO2-Konzentration und zur Aufnahme der Schadstoffe tatsächlich zur Verfü- wird die sichere Belastungsschwelle auf den Wert von gung steht. Die Belastung ist mit dem Wirtschafts- und 350 ppm gesetzt. Diese Einschätzung ist unter anderem Bevölkerungswachstum seit Beginn der 1960er-Jahre gestützt auf Modellierungen eines amerikanischen For- kontinuierlich gestiegen und die Tragfähigkeit der Erde scherteams (HANSEN et al. 2008), die langsame Feed- wurde bereits Anfang der 1970er-Jahre überschritten. backprozesse beispielsweise durch Änderungen des Heute übersteigt der ökologische Fußabdruck der Rückstrahlvermögens der Erdoberfläche berücksichti- Menschheit die Biokapazität der Erde um 50 % (WWF gen. Zudem könnte bei 350 ppm die Stabilität polarer Eis- et al. 2010). schilder gesichert werden.

38 Nachhaltiges Wirtschaften innerhalb ökologischer Grenzen

Beim Klimawandel, dem Verlust von biologischer Viel- der unabhängige, einfach zu bestimmende Probleme falt und in Bezug auf Eingriffe in den globalen Stickstoff- gesehen werden, sondern müssen als ein komplexes Wir- kreislauf sind die Grenzen der Belastbarkeit nach Ein- kungsgefüge verstanden werden, das durch Rückkopp- schätzung der Autoren bereits überschritten. Andere lungsmechanismen und nicht-lineare Zusammenhänge Belastungen (Phosphorkreislauf, Versauerung der gekennzeichnet ist (EEA 2010b, S. 113 ff.; PBL 2009; Ozeane, Landnutzung, Süßwassernutzung) befinden sich OECD 2008). So kann die erhöhte Nachfrage nach Bio- in der Nähe der Grenzen (Tab. 1-2). kraftstoffen, ursprünglich ökologisch motiviert, zur Ro- dung natürlicher Wälder in Entwicklungsländern und 56. Zudem treten zunehmend die systemischen Zusam- zum Anbau von Biomassepflanzen in Monokulturen füh- menhänge zwischen den verschiedenen Umweltproble- ren. Dies führt zur Freisetzung von THG, zerstört Lebens- men ins Blickfeld. Diese können nicht mehr als voneinan- räume, beeinträchtigt die Bodenfruchtbarkeit, fördert

Tabelle 1-2

Planetarische Grenzen

vorge- vorin- derzeitiger Erdsystemprozesse Parameter schlagene dustrieller Status Grenze Wert

Klimawandel 1. atmosphärische CO2-Konzentration 350 387 280 (ppm, Volumenanteil) 2. Veränderung der Strahlungsleistung 1 1,5 0 (Watt pro m2) Biodiversitäts- Aussterberate (Zahl der Arten pro einer Mil- 10 > 100 0,1 – 1 verlustrate lion Arten pro Jahr)

Stickstoffzyklus Menge an N2, die für anthropogene Nutzung 35 121 0 (mit dem Phosphor- aus der Atmosphäre entnommen wird zyklus verbunden) (Millionen Tonnen pro Jahr) Phosphorzyklus (mit Menge an Phosphor, die in die Ozeane gelangt 11 8,5 – 9,5 ~ 1 dem Stickstoffzyklus (Millionen Tonnen pro Jahr) verbunden) Stratosphärischer Ozonkonzentration 276 283 290 Ozonabbau (Dobson-Einheit) Versauerung der Globale durchschnittliche Aragonitsättigung 2,75 2,90 3,44 Ozeane im Oberflächenwasser von Meeren globale Süß- Verbrauch an Süßwasser durch den Menschen 4.000 2.600 415 wassernutzung (km3 pro Jahr) Landnutzungs- % der globalen Bodenbedeckung, die in 15 11,7 niedrig änderungen Ackerland umgewandelt wird atmosphärische Gesamtpartikelkonzentration in der noch zu bestimmen Aerosolbelastung Atmosphäre, auf regionaler Basis Verschmutzung durch z. B.: emittierte Mengen in die globale Umwelt noch zu bestimmen Chemikalien oder Konzentrationen in der globalen Umwelt an persistenten organischen Schadstoffen, Kunststoffen, endokrinen Disruptoren, Schwermetallen und radioaktiven Abfällen oder die daraus folgenden Wirkungen auf Ökosysteme und die Funktionsfähigkeit des Erdsystems

Graue Schattierung: Planetarische Grenzen sind bereits überschritten.

Quelle: ROCKSTRÖM et al. 2009, eigene Übersetzung

39 Die neue Wachstumsdebatte

Erosion, gefährdet so dauerhaft die Lebensgrundlagen der CAPRA und HENDERSON 2009) oder eines „ökologi- einheimischen Bevölkerung und löst damit heftige soziale schen Strukturwandels“ (SIMONIS 2011). Konflikte aus. Der Verlust von Biodiversität ist ein Bei- spiel für ein hochkomplexes Umweltproblem, dessen Ur- Große Aufmerksamkeit hat das Konzept des grünen sachen in unzähligen wirtschaftlichen Aktivitäten und ih- Wachstums während der jüngsten Wirtschafts- und Fi- rem Zusammenspiel liegen, unter anderem der Nutzung nanzkrise erhalten. In der Folgezeit der Weltwirtschafts- erneuerbarer Ressourcen durch Landwirtschaft und Fi- krise von 2008 entstanden zahlreiche Vorschläge für einen „Green New Deal“, welcher durch Investitionspro- scherei, der Zerstörung und Beeinträchtigung von Öko- gramme umweltfreundliche Infrastrukturen und weitere systemen und Lebensräumen durch den Abbau nicht- umweltorientierte Maßnahmen fördern und auf diese erneuerbarer Rohstoffe oder der Zerschneidung von Öko- Weise Konjunkturpolitik betreiben sollte (UNEP 2010; systemen durch Infrastrukturentwicklung, Industrieent- BLASCH et al. 2010; OECD 2011b; JAEGER et al. wicklung und Siedlung. 2009; JÄNICKE und JACOB 2008; EKINS 2000).

1.3 Die Debatte um Wachstum und Nach- Wohlstand ohne Wachstum, Postwachstum und haltigkeit: von Green Growth bis Degrowth Degrowth 59. Der Vorstellung vom grünen Wachstum gegenüber 57. Von besonderer Brisanz in der aktuellen Wachs- steht eine Position, die auf „Wohlstand ohne Wachstum“ tumsdebatte ist die Frage, ob ein systematisches Respek- (JACKSON 2009a; MIEGEL 2010), Postwachstum tieren ökologischer Grenzen dauerhaft mit ökonomi- (PAECH 2009a; SEIDL und ZAHRNT 2010b) oder in schem Wachstum vereinbar ist. Diese Fragestellung ist extremeren Ausprägungen auch auf Schrumpfung zunächst eine grundsätzlich konzeptionelle. Die gegen- (Degrowth, z. B. Beiträge in FLIPO und SCHNEIDER wärtige Diskussion über die Grenzen des Wachstums ver- 2008; LATOUCHE 2010) abzielt. Ihr liegt in der Regel läuft zwischen zwei Polen: den optimistischen Konzepten die These zugrunde, dass eine hinreichende Entkopplung des grünen Wachstums (green growth) und den wachs- des Wirtschaftswachstums von seiner materiellen und tumskritischen Konzepten einer Postwachstumsgesell- energetischen Basis nicht gelingen wird und sich daher in schaft. Im Folgenden werden die Grundzüge der Debatte einer endlichen Welt das Wachstum der Wirtschaft nicht und die zentralen Argumente und Kontroversen darge- grenzenlos fortsetzen kann. stellt. 60. Die Wachstumskritiker teilen somit den Technolo- gie- und Steuerungsoptimismus nicht, der hinter der Vor- Grünes Wachstum stellung eines grünen Wachstums steht. Sie weisen viel- mehr darauf hin, dass Steigerungen der Effizienz in einer 58. Das Leitbild des grünen Wachstums basiert im We- wachsenden Wirtschaft leicht durch den Gesamtanstieg sentlichen auf dem Konzept der ökologischen Moderni- der Produktion kompensiert werden können (Rebound- sierung (JÄNICKE 2008; MOL und SONNENFELD Effekt), und sehen die Grenzen für Entkopplung und De- 2000; s. a. Abschn. 11.3.3 zum Begriff der grünen Öko- materialisierung. Sie begründen sie sowohl mit den Er- nomie). Es stellt eine Abkehr von einem Paradigma dar, haltungssätzen der Thermodynamik als auch mit der Re- das Umweltschutz aus einer kurzfristigen und statischen alität der bestehenden Produktionsstrukturen sowie der Perspektive grundsätzlich als Kostenfaktor ansieht, der tatsächlich beobachteten engen Kopplung zwischen Wirt- zudem die internationale Wettbewerbsfähigkeit behindert. schaftswachstum und Umweltbelastung (SORRELL Das Konzept des grünen Wachstums geht davon aus, dass 2010; SCHOR 2010; JACKSON 2009a; PAECH 2009b; eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Um- SORRELL 2007; HUESEMANN 2003; Kap. 1.4). Da- weltschäden zu erreichen ist und dass gleichzeitig Um- rüber hinaus werden zwei weitere Argumente für eine kri- weltschutz ökonomische Chancen eröffnen kann. Dahin- tische Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftswachstum ter steht der Gedanke, dass durch gezielte Investitionen in angeführt. Zum einen wird die These vertreten, dass es in umwelteffiziente und ressourcenschonende Technolo- vielen Industrieländern ohnehin eine Tendenz zu langfris- gien Entwicklungspfade eingeschlagen werden können, tig sinkenden Wachstumsraten gäbe (REUTER 2010; die gleichermaßen zur Vermeidung von Umweltschäden, MIEGEL 2010; DIEFENBACHER und ZIESCHANK zur Schonung nicht-erneuerbarer Ressourcen und zu 2009), die auf vielfältige ökonomische und soziale Fakto- Wirtschaftswachstum beitragen (OECD 2011b). Dabei ren zurückzuführen ist. Zum anderen wird darauf ver- soll technologischer Fortschritt die Energie- und Material- wiesen, dass in Ländern, die bereits einen bestimmten effizienz in einem Maße steigern, dass die ökonomische materiellen Lebensstandard erreicht haben, höhere Ein- Wertschöpfung zunimmt und gleichzeitig die Belastung kommen immer weniger zu einer Steigerung des Wohl- der Umwelt vermindert wird. Für wichtige Wirtschafts- ergehens von Gesellschaften beitragen, also der Grenz- und Technologiebereiche ist gezeigt worden, dass eine nutzen steigender Einkommen abnimmt (ausführlich Erhöhung der Öko-Effizienz um den Faktor fünf (von dazu: JACKSON 2009b, S. 38 ff.). Dies zeigen sowohl WEIZSÄCKER et al. 2010) oder sogar zehn (SCHMIDT- Erkenntnisse der Zufriedenheitsforschung als auch eine BLEEK 2009) technisch möglich ist. Verwandt mit den Betrachtung verschiedener objektiver Messgrößen wie Vorstellungen eines grünen Wachstums sind frühere Kon- Lebenserwartung, Bildung und sozialer Zusammenhalt zepte eines „qualitativen Wachstums“ (MAJER 1984; (FREY und FREY MARTI 2010, S. 460; MIEGEL 2010,

40 Die Debatte um Green Growth und Degrowth

S. 30). Während demnach für reiche Länder das durch- Historische Entwicklung: enge Kopplung von schnittliche Einkommen auf viele wohlstandsrelevante Wirtschaftsleistung und Umweltbelastung in Größen keinen erheblichen Einfluss mehr ausübt, gibt es zentralen Problembereichen belastbare Hinweise dafür, dass ein Zusammenhang zwi- schen dem Grad der Einkommensungleichheit innerhalb 63. Das Verhältnis zwischen Wirtschaftsleistung und eines Landes und dem gesellschaftlichen Wohl besteht Umweltbelastung ist schon seit langer Zeit Gegenstand (WILKINSON und PICKETT 2010). wissenschaftlicher Forschung und Debatte. Ein Ergebnis der Forschung ist, dass das Verhältnis differenziert be- 61. Während die Degrowth-Bewegung und verwandte trachtet werden muss, weil wesentliche Unterschiede Strömungen explizit ein Schrumpfen der Wirtschaft als zwischen einzelnen Problembereichen bestehen. Anfang Voraussetzung für Nachhaltigkeit fordern, sehen andere der 1990er-Jahre war die optimistische Sicht verbreitet, Autoren eine Befreiung von Wachstumszwängen als we- dass die Umweltbelastung bei steigendem Wohlstandsni- sentliches Ziel. Als Grundproblematik wird eine Fixie- veau (nach anfänglicher Steigerung aufgrund von Indust- rung auf wirtschaftliches Wachstum gesehen, die nicht rialisierungsprozessen) entwicklungslogisch durch Mo- unterscheidet zwischen nachhaltigeren Produktionen und dernisierungsprozesse sinkt (JÄNICKE 2001; TORRAS Strukturen, die wachsen sollen, und solchen, die und BOYCE 1998; de BRUYN et al. 1998). Die Hoff- schrumpfen müssen, sondern „alles begrüßt, was produ- nung, die Entwicklung reicher Länder hin zu Dienstleis- ziert und abgesetzt wird und Einkommen schafft“ tungsgesellschaften würde ihren ökologischen Fußab- (SCHERHORN 2010, S. 3). Die Postwachstumsgesell- druck von selbst reduzieren, hat sich nicht erfüllt. schaft beschreibt die Zielvorstellung einer Gesellschaft, Während dieses Wandlungsprofil in Bezug auf einige die „nicht existenziell auf Wirtschaftswachstum angewie- – vor allem technisch zu bewältigende – Problembereiche sen“ und in der Wachstum nicht mehr dominierendes zutrifft, zeigt sich für viele Umweltbelastungen ein Paradigma von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ist anderes Bild (VICTOR 2010, S. 241; JÄNICKE und (SEIDL und ZAHRNT 2010b, S. 34). Dabei kann eine VOLKERY 2001). nicht – oder weniger stark – wachsende Wirtschaft trotz- dem dynamisch sein. Ob das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 64. Historische Zeitreihen machen deutlich, dass in der weiterhin wächst, ist aus dieser Perspektive nicht mehr Vergangenheit das Wachstum der Weltbevölkerung und die zentrale Frage. Wirtschaftswachstum ist willkommen, des durchschnittlichen Einkommens mit einem Anstieg solange es nicht auf dem Verzehr der Substanz an Natur- der weltweiten CO2-Emissionen, des Verbrauchs von kapital beruht (SCHERHORN 2010; DALY 1996). Energie und Rohstoffen und des ökologischen Fußab- Insgesamt ist den dargestellten wachstumskritischen Kon- drucks gekoppelt war (WWF et al. 2010). Dabei nahm die zepten – trotz ihrer unterschiedlichen Nuancierungen – ge- Gesamtbelastung kontinuierlich zu, obwohl die Ressour- mein, dass sie einen grundlegenden Paradigmenwechsel cen immer effizienter genutzt wurden, eine relative fordern, bei dem nicht das Wirtschaftswachstum, sondern Entkopplung also stattfand. Zu ähnlichen Ergebnissen das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung im Zentrum kommen Ländervergleiche. So wurde beispielsweise auf- politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Han- gezeigt, dass Einkommen ein wesentlicher Treiber für hö- delns steht (SCHERHORN 2010, S. 6). here CO2-Emissionen und eine Reihe anderer Umweltbe- lastungen ist (BRADSHAW et al. 2010). Im Durchschnitt geht eine Verdopplung des Wohlstands mit einem Anstieg 1.4 Entkopplung – Perspektiven und Grenzen der CO2-Emissionen pro Kopf um 80 % einher (UNEP 62. Die Antwort auf die Frage, ob Strategien des grünen und IPSRM 2010). Wachstums ausreichen, um einen Entwicklungspfad in- nerhalb ökologischer Grenzen zu erreichen oder ob auch 65. Dennoch unterscheiden sich die Emissionen auch Postwachstumsstrategien in Betracht gezogen werden zwischen Ländern mit einem ähnlichen Einkommensni- müssen, hängt davon ab, in welchem Maße Wirtschafts- veau bedingt durch unterschiedliche demografische, tech- leistung und Umweltbelastung entkoppelt werden kön- nologische, kulturelle und geografische Gegebenheiten nen. Dabei kann Entkopplung im engeren Sinne als Ent- (GIROD und de HAAN 2009; LENZEN et al. 2006). Un- kopplung der Wirtschaftsleistung vom Verbrauch terschiedliche Emissionsniveaus bei ähnlichem Pro- natürlicher Ressourcen verstanden werden. Aus ökologi- Kopf-Einkommen sind damit auch ein Hinweis auf Ent- scher Perspektive ist jedoch ein breiteres Verständnis kopplungspotenziale. Ambitionierte Umweltpolitik kann sinnvoll, das auch eine zweite Dimension einbezieht, eine absolute Entkopplung bei zentralen Größen errei- nämlich die Entkopplung des Energie- bzw. Materialver- chen. Dazu gehören beispielsweise der Energie- und Res- brauchs von den Umweltbelastungen (vgl. Kap. 2, sourcenverbrauch in Deutschland und die THG-Emissio- Abb. 2-5). Darüber hinaus muss zwischen relativer und nen in der EU. Entgegen dem globalen Trend zeichnen absoluter Entkopplung unterschieden werden: Von relati- sich in Deutschland beim Energie- und Ressourcenver- ver Entkopplung spricht man, wenn die ökologische Effi- brauch Tendenzen einer absoluten Entkopplung ab. Der zienz der Wirtschaftsaktivität zwar zunimmt, der Effekt Energieverbrauch war in den letzten Jahrzehnten – bei aber zu einem Teil durch das Wachstum der Wirtschaft wachsender Wirtschaftsleistung – leicht rückläufig aufgezehrt wird. Absolute Entkopplung ist erst dann er- (BMWi 2011), der Rohstoffverbrauch weitgehend reicht, wenn trotz Wirtschaftswachstum der absolute Um- konstant (BUYNY et al. 2009, S. 51; SCHÜTZ und fang des Umweltverbrauchs zurückgeht. BRINGEZU 2008).

41 Die neue Wachstumsdebatte

66. Ein Grund für die Schwierigkeit der absoluten Ent- türlicher Ressourcen voraussetzt (DALY 1997; SOLOW kopplung ist der sogenannte Rebound-Effekt. Damit wird 1997; STIGLITZ 1997). SOLOW (1997) korrigierte frü- die Tatsache bezeichnet, dass Effizienzverbesserungen here Aussagen dahin gehend, dass es letztendlich vor al- häufig Nachfragesteigerungen induzieren, welche die er- lem um die Substituierbarkeit nicht-erneuerbarer Res- zielten Einsparungen unter Umständen kompensieren sourcen durch erneuerbare geht und nicht um deren können. Zu diesem Phänomen tragen mehrere Effekte Substituierbarkeit durch menschengemachtes Kapital. bei. Zum einen bringen Effizienzgewinne tendenziell Preissenkungen mit sich, die unmittelbar zu einem erhöh- Auch für die meisten erneuerbaren Ressourcen muss man ten Verbrauch des effizienten Produktes bzw. der effizien- allerdings mittlerweile von deutlichen Nutzungsgrenzen ten Dienstleistung führen können. Zum anderen sind sie ausgehen (WBGU 2009). Zudem ist angesichts des heuti- mit einer Steigerung des Realeinkommens verbunden, die gen Wissensstands aus den Umweltwissenschaften die einen erhöhten Konsum anderer Produkte und Dienstleis- Konzentration auf einzelne begrenzte natürliche Ressour- tungen erlaubt. Die Umweltwirkungen des zusätzlichen cen und deren Substituierbarkeit nicht mehr ausreichend. Konsums bestimmen dabei, in welchem Maße Umweltef- Vielmehr müssen die verschiedenen ökologischen Gren- fizienzeffekte kompensiert werden. Vor allem für den Be- zen und die möglichen Verlagerungseffekte, die bei der reich der Energieeffizienz ist der Rebound-Effekt empi- Substitution einer Ressource durch eine andere entstehen risch gut belegt (SORRELL 2007; 2010 für einen können, integriert betrachtet werden (WESTLEY et al. Überblick), vergleichbare Effekte gibt es aber auch in an- 2011). deren Bereichen, zum Beispiel beim Rohstoff- und Mate- rialverbrauch (MEYER et al. 2011) und im Verkehr Entkopplung bei der Energieversorgung (FRONDEL et al. 2008). 68. Dass eine vollständige Entkopplung wirtschaftlicher Historisch ist somit im Hinblick auf zentrale Problembe- Aktivität von einer energetischen und materiellen Basis reiche wie den Gesamtressourcenverbrauch oder die nicht möglich ist, ergibt sich aus der Naturwissenschaft THG-Emissionen eher die relative als die absolute Ent- und insbesondere den Gesetzen der Thermodynamik, kopplung die Regel. Dabei ist auch relative Entkopplung wird aber vom wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream kein Automatismus, sondern Folge von Weltmarktpreisen nur sehr zögernd anerkannt. Jede wirtschaftliche Aktivität oder regulativer Umweltpolitik (EDENHOFER et al. benötigt den Einsatz von nützlicher Energie (Exergie) 2009, S. 4). und ist mit der Erhöhung von Entropie (nicht mehr nutz- barer Energie und irreversibel dissipierender Materie) Theoretische Perspektiven aus Ökonomie und verbunden (GEORGESCU-ROEGEN 1971). Materielle Thermodynamik Produktion ist damit notwendigerweise mit der Entste- hung nicht mehr nutzbarer Materialien, zumeist dissipati- 67. Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie trotz be- ver Abfallströme oder Emissionen, verbunden (CLEVE- grenzter natürlicher Ressourcen Wachstum aufrecht er- LAND und RUTH 1997). Inputseitig gibt es zunächst halten werden kann, hat in der ökonomischen Theorie keine Grenze des Energieflusses: Die Erde ist in Bezug eine lange Tradition (bereits in den 1970er-Jahren: auf die Energie ein offenes System. Durch die direkt und SOLOW 1974; DASGUPTA und HEAL 1979). Werden indirekt nutzbare Sonneneinstrahlung steht eine erneuer- in der Produktionsfunktion begrenzte natürliche Ressour- bare Energiequelle zur Verfügung. Die Umwandlung der cen als eine eigene Kapitalform berücksichtigt, führt dies von der Sonneneinstrahlung abgeleiteten Energiequellen nur dann zu einer Begrenzung des Wachstums, wenn in nützliche Energie geht jedoch immer auch mit Um- diese Ressourcen nicht erneuerbar und nicht durch men- welteffekten einher, nicht zuletzt mit der Nutzung von schengemachtes Kapital substituierbar sind. Die Antwort Fläche. Ein weiterer Engpass liegt in der Assimilationsfä- der ökonomischen Theorie auf die Entkopplungsfrage higkeit wichtiger natürlicher Systeme als Senke für die hängt somit davon ab, wie optimistisch die Annahmen notwendige Kuppelproduktion beim Einsatz nützlicher sind, die hinsichtlich der Substituierbarkeit getroffen wer- Energie. den. Nimmt man an, dass sogenannte Backstopp-Techno- logien existieren, mit deren Hilfe das gleiche Produkt 69. Für den zentralen Bereich der Energieversorgung ohne die begrenzte Ressource bzw. ohne Umweltbelas- muss zumindest die Entkopplung der Wirtschaftsleistung tung hergestellt werden kann, ist die Wachstumsbegren- vom Energieverbrauch früher oder später aufgrund der zung aufgehoben (SOLOW 1974; DUJMOVITS 2009; thermodynamischen Gesetze an Grenzen stoßen. Die Ab- AGHION und HOWITT 2009, S. 379 ff.). hängigkeit wirtschaftlichen Wachstums von einer steigen- den Zufuhr an hochwertiger Energie ist auch empirisch Traditionell herrschte in der Neoklassik und auch in der gut belegt. Bereits Studien aus dem Bereich der neoklas- aus ihr hervorgegangenen Umweltökonomie hinsichtlich sischen Ökonomie, die mithilfe ökonometrischer Metho- der Substituierbarkeit großer Optimismus. Ende der den und auf der Basis der Energiekosten bzw. -preise den 1990er-Jahre gestanden allerdings zwei führende Ökono- Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und men, Robert Solow und Joseph Stiglitz, in einer Antwort Energieverbrauch untersuchen, geben Hinweise darauf, auf eine heftige Kritik des ökologischen Ökonomen dass ein wechselseitiger Einfluss zwischen Energiever- Herman Daly ein, dass eine vollständige Substitution von brauch und Wirtschaftswachstum besteht (Feedback- natürlichem durch menschengemachtes Kapital nicht Hypothese, z. B. APERGIS und PAYNE 2009; möglich ist, da physisches Kapital immer den Abbau na- CHONTANAWAT et al. 2008; NARAYAN und

42 Entkopplung – Perspektiven und Grenzen

PRASAD 2008; PAYNE 2010; FRONDEL und AG 2009; FoEE und SEI 2009). Auch auf globaler Ebene SCHMIDT 2004). Aus der eher ökologisch geprägten ist eine weitgehend erneuerbare Energieversorgung vor- Ökonomie gibt es darüber hinaus deutliche Hinweise da- stellbar (IPCC 2011; EREC und Greenpeace International rauf, dass der Energieinput deutlich mehr zum Wirt- 2010; WWF et al. 2011). Auch politische Strategiedoku- schaftswachstum beiträgt, als es dem geringen Anteil der mente auf nationaler und europäischer Ebene gehen in- Energie an den Inputkosten und den hieraus abgeleiteten zwischen davon aus, dass eine Reduktion der THG-Emis- Elastizitäten in den Produktionsfunktionen entspricht sionen um 80 % bis zum Jahr 2050 möglich ist (SORRELL 2010; AYRES und WARR 2010; VICTOR (Europäische Kommission 2011d; BMWi und BMU 2008, S. 33; HOMER-DIXON 2006; GRAHL und 2010). KÜMMEL 2006). Für eines der zentralen ökologischen Probleme – die 70. Allerdings sind die thermodynamischen Grenzen Emission von THG – ist somit vermutlich mit den ent- möglicherweise noch weit entfernt, wenn vorhandene Po- sprechenden politischen und gesellschaftlichen Anstren- tenziale bei der Effizienz der Energienutzung ausge- gungen eine umfassende absolute Entkopplung möglich. schöpft werden. AYRES und WARR (2010) zeigen, dass Um die bestehenden Entkopplungsspielräume zu nutzen, die „nützliche Arbeit“, die aus dem Einsatz von Energie sind politisch induzierte, radikale umwelttechnische in die Produktion gespeist wurde, seit Beginn des Innovationen und deren rasche, großflächige Anwendung 20. Jahrhunderts sehr viel stärker zugenommen hat als der notwendig (JÄNICKE 2010a; 2008). Allerdings können Verbrauch von Brennstoffen selbst, da die Effizienz der sich auch hier Problemverlagerungen ergeben, denn die Energiekonversion im Lauf der Jahrzehnte stark gestei- erneuerbaren Energien können aufgrund ihres zum Teil gert wurde. Die Autoren argumentieren, dass das Wachs- hohen Flächenbedarfs negative ökologische Auswirkun- tum der Arbeitsproduktivität in den vergangenen Jahr- gen mit sich bringen (SRU 2011d, Tz. 53 ff.). Durch ei- hunderten nur durch die Verfügbarkeit immer größerer nen Ausschluss ökologisch sensibler Gebiete bei der Mengen hochwertiger Energie ermöglicht wurde und dass Standortauswahl können diese jedoch deutlich vermindert der „technische Fortschritt“ bzw. die „totale Faktorpro- werden. duktivität“ – Konzepte, die in der ökonomischen Theorie vage bleiben – tatsächlich mit der Effizienz der Energie- Fazit bzw. Ressourcenkonversion in der Wirtschaft gleichzu- setzen sind. Die beobachtete Steigerung der Arbeitspro- 72. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Wirt- duktivität kam demnach vor allem dadurch zustande, dass schaftswachstum aufgrund ökologischer Grenzen ver- die Arbeitenden durch immer größere Mengen hochwerti- langsamt, nicht zuletzt auch, weil Umweltprobleme selbst ger Energie unterstützt wurden (SORRELL 2010, – beispielsweise der Klimawandel – negative Folgen für S. 1790). AYRES und WARR (2010) sehen auch weiter- die Wirtschaftsentwicklung haben. Wenn solche Wechsel- hin große Potenziale in einer Steigerung der Effizienz. wirkungen vorausschauend erfasst werden und institutio- CULLEN et al. (2011) schätzen, dass unter technisch- nell, politisch und gesellschaftlich angemessen auf sie re- physikalischen Gesichtspunkten 73 % des globalen Ener- agiert wird, besteht die Chance, vorhandene Potenziale gieverbrauchs allein durch Verbesserungen passiver ener- der Entkopplung zu mobilisieren. Insgesamt ist davon gierelevanter Systeme (etwa Gebäudeisolierung, Design auszugehen, dass hier nach wie vor große Spielräume be- von Geräten, Automobilen, Flugzeugen etc.) eingespart stehen. Zwar existieren langfristig thermodynamische werden könnte. Grenzen für Entkopplung von Wirtschaftsaktivität und Energie- und Materieinput, diese sind jedoch derzeit noch Der zweite Entkopplungsschritt, die Entkopplung des nicht erreicht. Diese Potenziale durch Effizienzsteige- Energieverbrauchs von den Umweltbelastungen, erfordert rung, Energieträgersubstitution und Änderungen bei die Umstellung auf Energiequellen mit einer möglichst Konsummustern zu nutzen, ist im Sinne einer Krisenver- geringen Umweltbelastung. Die Möglichkeiten hierfür meidung unabdingbar und sollte daher politisch vorange- werden im folgenden Abschnitt dargestellt. trieben werden. Hierzu ist unter anderem eine grundle- gende Transformationen großer Versorgungssysteme und Zukunftsperspektiven der Entkopplung bei der Infrastrukturen notwendig, um zu vermeiden, dass Funk- Energieversorgung tionsstörungen natürlicher Systeme sich unkontrolliert und in möglicherweise katastrophaler Art auf das Wirt- 71. Eine Reihe von Szenariostudien für den Bereich schaftssystem auswirken. Klimaschutz verdeutlichen, dass unter technischen und auch ökonomischen Gesichtspunkten eine weitgehend 73. Starke Nachhaltigkeit muss prioritäres politisches emissionsfreie Energieversorgung und damit auch eine Ziel im Sinne langfristiger Systemstabilität sein und da- umfassende absolute Entkopplung der Energiebereit- mit Vorrang vor kurzfristigen Wachstumszielen erhalten. stellung von den THG-Emissionen möglich wäre Die wirtschaftliche Dynamik hat sich damit den vorsorge- (EDENHOFER et al. 2010). Mehrere aktuelle Studien orientiert zu formulierenden Grenzziehungen anzupassen. kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass der Dabei ist es weder sinnvoll noch planvoll steuerbar, Strombedarf in Deutschland bzw. Europa weitgehend Wachstum explizit zu beschränken oder gar zu verhin- oder vollständig auf der Basis erneuerbarer Energien be- dern, aber es sollte auch nicht ohne Berücksichtigung friedigt werden könnte (SRU 2011d; EREC 2010; PwC ökologischer Folgekosten forciert werden. Ein Wert- et al. 2010; ECF et al. 2010; Öko-Institut und Prognos wachstum im Sinne qualitativ besserer und teurerer Pro-

43 Die neue Wachstumsdebatte dukte bei gleichem oder niedrigerem Material- und Ener- trachtet (Abschn. 1.5.2). Ansätze für mehr gieaufwand ist dann unproblematisch, wenn die Unabhängigkeit vom Wachstum werden in Ab- Belastungen für die Umwelt nicht zunehmen bzw. auf ein schnitt 1.6.3 diskutiert. nachhaltiges Maß abgebaut, also Grenzen der ökologi- schen Belastung eingehalten werden (LAWN 2010; PA- 1.5.1 Der „Wachstumszwang“ in der QUÉ 2010). ökonomischen Theorie Allerdings bleibt offen, ob die Einhaltung naturwissen- 75. Das Wachstum einer Volkswirtschaft ist wesentlich schaftlich fundierter und politisch bestimmter ökologi- von der Höhe der Investitionen bzw. der Investitionsquote scher Grenzen langfristig mit Wachstum vereinbar ist. Für abhängig. Investitionen haben einen Modernisierungs-, den Fall, dass aufgrund globaler ökologischer Begrenzun- einen Kapazitäts- und einen Nachfrageeffekt (PRIEWE gen und fairer Nutzungsansprüche an knappe Ressourcen und RIETZLER 2010, S. 44 ff.). Eine durch Investitionen auch Auswirkungen auf das Wachstum nicht zu vermei- eingeführte neue Technologie muss unter Wettbewerbs- den sind, sollten Wirtschaft, Gesellschaft und Politik auf bedingungen besser sein als eine alte, entweder dadurch, die resultierenden Herausforderungen vorbereitet sein. Je dass sie Kosten senkt oder die Produktqualität erhöht besser dies gelingt, umso geringer werden die Kosten der (BARRO und SALA-I-MARTIN 2004; ELSENHANS Anpassung an ökologische Grenzen sein. 2011, S. 35 f.; ROMER 1990). Investitionen sind damit für die Modernisierung einer Volkswirtschaft und die Er- 1.5 Risiken des Nichtwachstums haltung der Wettbewerbsfähigkeit unverzichtbar. Sie kön- nen zudem einen Kapazitätseffekt haben, der sich aus der 74. Wachstumsbefürworter und viele Vertreter von Höhe des Kapitalkoeffizienten, dem Wert der für eine zu- Green Growth halten Wachstum für eine notwendige Vo- sätzliche Wertschöpfungseinheit notwendigen Kapitalgü- raussetzung für das Funktionieren von Gesellschaften ter, bestimmen lässt (HARROD 1968; DOMAR 1968). (PAQUÉ 2010; BÄR et al. 2011). Sie betonen die Rolle Sie haben schließlich einen Nachfrageeffekt, da die In- des Wachstums für die Aufrechterhaltung einer hohen vestitionsausgaben zugleich Nachfrage für Arbeitskräfte, Beschäftigungsquote, die Stabilität öffentlicher Haushalte Güter und Dienstleistungen darstellen. In der Wachstums- und staatlicher Sozialversicherungssysteme. Andere se- theorie wird die Höhe der Investitionen zunächst durch hen das Streben nach Wachstum in der menschlichen Na- die Höhe der Ersparnisse erklärt (HARROD 1968; tur begründet bzw. als eine Voraussetzung für ethischen HELPMAN 2004; DOMAR 1968; SOLOW 1968; kri- und moralischen Fortschritt und warnen davor, dieses tisch: BINSWANGER 2006). Es ist aber alles andere als Streben einzuschränken (FRIEDMAN 2005). selbstverständlich, dass alle inländischen Ersparnisse Viele wachstumskritische Autoren nehmen die Risiken auch im Inland investiert werden (KOO 2003; vgl. zur des Nichtwachstums ernst, sehen die wesentliche Heraus- dramatisch sinkenden Investitionsquote bei steigender forderung aber in ihrer Bewältigung. JACKSON (2009a) Sparquote in Deutschland: JAEGER 2011; REUTER prägte für die Problematik in reichen Ländern den Begriff 2000, S. 151 f. und 320 f.; PRIEWE und RIETZLER des „Wachstumsdilemmas“. Demnach würden Volkswirt- 2010). Da Unternehmensentscheidungen im Wesentli- schaften ohne Wachstum in eine Rezessionsspirale gera- chen von Gewinnerwartungen abhängen, müssen ange- ten, anderenfalls aber würde ein Wachstum in seiner heu- bots- und/oder nachfrageseitige Voraussetzungen für eine tigen Struktur zum ökologischen Kollaps führen (so auch der Sparquote entsprechenden privaten Investitionsnei- VICTOR 2008). Das Dilemma mag sich dadurch ent- gung gegeben sein (KALDOR und MIRRLEES 1968; schärfen, dass seit einigen Jahrzehnten ohnehin in vielen REUTER 2000, S. 63 und 156 ff.; PRIEWE und Industrieländern und insbesondere in Deutschland ein RIETZLER 2010; ELSENHANS 2011). Staatliche Inves- Trend hin zu niedrigeren Wachstumsraten zu beobachten titionen können zeitweilig private Investitionsausfälle ist (zu abnehmenden Wachstumsraten vgl. BOURCADE kompensieren (KOO 2003; MITCHELL und MUYSKEN und HERZMANN 2006; DIEFENBACHER und 2008), lassen sich aber – wie in der aktuellen Vertrau- ZIESCHANK 2009; PRIEWE und RIETZLER 2010; enskrise der Finanzmärkte sichtbar – nicht beliebig schul- REUTER 2010). denbasiert steigern. Es geht demnach um zwei voneinander zu unterschei- 76. Hinreichende Renditeerwartungen für Investitionen dende Fragen: sind in zumindest monetär wachsenden Märkten eher zu erfüllen als bei schrumpfenden. Der Wachstumsprozess – Ist die Stabilität von marktwirtschaftlichen Systemen ist zugleich „Schrumpfungsrisiken“ und potenziellen Un- auf Wachstum angewiesen? gleichgewichten ausgesetzt – sei es durch Kostensteige- – Wie kann, wenn wirtschaftliches Wachstum auf Dauer rungen oder durch Investitionszurückhaltung infolge nicht möglich ist (z. B. wegen Rückwirkungen des schwächelnder Nachfrage oder anderer Faktoren. In die- ökologischen auf das ökonomische System), eine grö- sem Sinne ist er prekär (REUTER 2000). Es gibt kein en- ßere Unabhängigkeit von Wachstum erreicht werden? dogenes Naturgesetz, dass eine Marktwirtschaft dauerhaft gleichgewichtig wächst (ELSENHANS 2011); zugleich Im Folgenden wird zunächst untersucht, inwieweit ein ist Stagnation und Schrumpfung wegen der sich damit de- Wachstumszwang aus der ökonomischen Theorie abzu- stabilisierenden und selbstverstärkenden Tendenzen – der leiten ist (Abschn. 1.5.1). In einem weiteren Schritt wer- „zentrifugalen Kräfte“ (HARROD 1968, S. 44) –, wie sie den Wachstumszwänge in der politischen Realität be- in den aktuellen Finanzkrisen zu beobachten sind

44 Risiken des Nichtwachstums

(PEUKERT 2011), sehr riskant. Vom neoklassischen An- 79. Nicht zuletzt ist die politische Legitimität von Re- passungsoptimismus, der davon ausgeht, dass sich auf gierungen westlicher Demokratien wesentlich von den den verschiedenen Märkten stets ein Gleichgewicht von gelieferten Ergebnissen abhängig (Output-Legitimität): Angebot und Nachfrage einstellt, kann man in der Reali- so insbesondere von einer erfolgreichen Ökonomie, die tät nicht immer ausgehen (PRIEWE und RIETZLER wachsende Realeinkommen und hohe Beschäftigung ver- 2010, S. 41). So führt zum Beispiel eine Zinssenkung ge- spricht, und von einer hohen Qualität öffentlicher Güter rade in Krisenzeiten nicht automatisch zu einer Wieder- und Sozialleistungen. Gleichwohl gibt es auch Beispiele belebung der Investitionstätigkeit (KOO 2003). Struktur- und Erfahrungen, dass in politischen Prozessen, die be- brüche infolge zunächst konjunktureller Einbrüche stimmte Sach- und Handlungszwänge glaubwürdig ver- verstärken oftmals den irreversiblen Verlust ganzer indus- mitteln, auch unangenehme Einschränkungen hingenom- trieller Sektoren, so zum Beispiel der Textilindustrie oder men werden (SCHARPF 2011). Teilen der Stahlindustrie in den 1970er-Jahren (PAQUÉ 2010, S. 187 f.). 80. Die Abhängigkeit wichtiger Institutionen von Wachstum kann exemplarisch am Beispiel von Beschäfti- 77. Ohne wachsende Nachfrage fänden letztlich weitge- gung, öffentlichen Dienstleistungen und Staatshaushalt hend nachfragesenkende Rationalisierungsinvestitionen skizziert werden. Arbeitssparender technischer Fortschritt statt. Theoretisch ließe sich auf der Basis dieses Rationa- ging früher mit produktivitätsorientierten Lohnerhöhun- lisierungstyps möglicherweise auch ein relativ stabiler gen einher, war damit ein wichtiger Treiber des Einkom- Schrumpfungspfad vorstellen, der vor allem auf kosten- menswachstums und ermöglichte eine breite Teilhabe am senkende Rationalisierungsinvestitionen und auf eine erwirtschafteten Reichtum (PAQUÉ 2010, S. 184; Weitergabe von Produktivitätsfortschritten durch HOLZINGER 2010, S. 30 f.). Arbeitssparender techni- Arbeitszeitverkürzungen setzt (JACKSON 2009a; scher Fortschritt bedeutet aber, dass für die gleiche Pro- BINSWANGER et al. 1988). Ob aber die Erwartung dau- duktion weniger Arbeitsstunden erforderlich sind. Ohne erhaft sinkender Konsumnachfrage vereinbar ist mit einer Wachstum bedeutet dies, dass entweder die durchschnitt- stabilen Investitionsquote, die weitgehend durch Rationa- liche Lebensarbeitszeit entsprechend verkürzt wird oder lisierungsinvestitionen getragen ist, ist fraglich. In sich die Arbeitslosigkeit erhöht (SPANGENBERG 2010; Deutschland stehen jedenfalls die abnehmenden und im REUTER 2010; VICTOR 2008, S. 211). Auch wenn man internationalen Vergleich sehr niedrigen Investitionen der in der letzten Dekade OECD-weit (Organisation for Eco- letzten beiden Jahrzehnte in engem Zusammenhang mit nomic Co-operation and Development) eine kontinuierli- der schwachen Nachfragedynamik (PRIEWE und che Abnahme der Jahresarbeitszeit um circa 100 h be- RIETZLER 2010). obachten kann (OECD, 2011), so hat doch die Intensität der politischen und wissenschaftlichen Debatte um die Auch monetäre Theorieansätze, die die Kreditabhängig- Verkürzung der Arbeitszeiten im letzten Jahrzehnt deut- keit privater Investitionen betonen (BINSWANGER lich abgenommen (zu einem aktuellen Stand der Debatte: 2006; SORRELL 2010), kommen letztlich zum selben HOLZINGER 2010, S. 38 f.). Ergebnis, dass eine Mindestrentabilität privater Investi- tionen gesichert sein muss und dass dies unter Wachs- Weitere Bereiche, deren Funktionsweise zurzeit auf tumsbedingungen leichter herstellbar ist als ohne Wachs- Wachstum angewiesen ist, sind vor allem auch das Ren- tum. ten-, das Gesundheits- sowie das Bildungswesen und nicht zuletzt die Staatsfinanzen (PAQUÉ 2010, In diesem Sinne sollten die Risiken wirtschaftlicher Sta- S. 159 ff.). Wegen der absehbaren demografischen Ent- gnation und Rezession ernst genommen werden. wicklung wären ohne Wachstum sowohl Umlage- als auch Kapitaldeckungsverfahren zur Alterssicherung nicht 1.5.2 Wachstumszwänge in der politischen finanzierbar, wenn man stabile Lohnnebenkostenanteile Realität und einen Gleichschritt von Renten- und Einkommens- entwicklung als unverrückbare Randbedingungen an- 78. Die Wachstumsorientierung von Wirtschaft, Politik strebt. Im Gesundheitswesen würden stagnierende Bei- und Gesellschaft ist auch in demokratischen Marktwirt- träge eine Überprüfung des Leistungskatalogs und der schaften fest institutionalisiert. Das expansive Streben Effizienz des Gesamtsystems erfordern. nach mehr Gewinn und Einkommen gehört zu den konsti- tutionellen Merkmalen des Wettbewerbs in Marktwirt- Wirtschaftswachstum gilt auch als Voraussetzung für so- schaften und hat sich zugleich auch zutiefst in die „men- zialen Ausgleich. Empirisch ist der Zusammenhang zwi- talen Infrastrukturen“ (WELZER 2011), in Werte und schen den Einkommen der relativ ärmsten Bevölkerungs- Handlungsorientierungen der Menschen eingeprägt. gruppen und Wirtschaftswachstum in westlichen Ohne die Zähmung durch Zivilgesellschaft und demokra- Industrieländern stark, während er zur Sozialpolitik ins- tisch legitimierten Staat neigt dieser Expansionsdrang zu gesamt sehr schwach ist (KENWORTHY 2010; Grenz- und Maßlosigkeit (STREECK 2011). Zugleich HELPMAN 2004, S. 108). Aber auch die Sozialpolitik sind aber wesentliche Elemente des modernen Wohl- kann – bei geeigneter Ausgestaltung – effektiv die Ein- fahrtsstaates abhängig von einer wachsenden Ökonomie kommen der ärmsten 20 % der Bevölkerung verbessern, (SEIDL und ZAHRNT 2010b, S. 23; OFFE und ohne andere gesellschaftspolitische Ziele dabei zu beein- BORCHERT 2006; PAQUÉ 2010; HOLZINGER 2010; trächtigen (HOLZINGER 2010, S. 32; KENWORTHY STREECK 2011). 2011b).

45 Die neue Wachstumsdebatte

Die Umverteilung von Wachstumsgewinnen ist konflikt- Verminderung der Umweltnutzung auf allen Ebenen zu ärmer als die Umverteilung von Besitzständen (zur Kon- erreichen. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen wer- fliktträchtigkeit umverteilender Politiken schon LOWI den, dass eine Entkopplung nicht in allen Bereichen in 1972; HOLZINGER 2010). Dessen ungeachtet wäre es ausreichendem Maße gelingt und dass längerfristig öko- aber illusionär zu meinen, dass Wachstum Verteilungs- logische Grenzüberschreitungen nur bei begrenztem oder konflikte in reichen Gesellschaften vermeiden würde. Da verlangsamtem Wirtschaftswachstum vermieden werden Verteilungswettbewerb in gesättigten Konsumgesell- können. Auch in diesem Fall sollte das Ziel der Erhaltung schaften sich stärker auf Statusgüter richtet, die nicht be- der natürlichen Lebensgrundlagen im Vordergrund stehen liebig vermehrbar und deshalb strukturell knapp sind, und alle dafür notwendigen Anstrengungen sollten unter- werden steigende Einkommen eher den Statuswert eines nommen werden. Aus der bisherigen Analyse ergeben solchen Gutes entwerten und damit den Statuswettbewerb sich drei grundlegende Strategieansätze, auf die Einhal- auf andere Güter verlagern, als die Gesellschaft tatsäch- tung ökologischer Grenzen hinzuwirken: lich zu befrieden (HIRSCH 1980). Typische Statusgüter, die sich entwerten, wenn sie breit zugänglich sind, sind – Zunächst müssen auf den relevanten Ebenen – je nach Häuser im Grünen, Tourismusparadiese, Bildungstitel Art des Umweltgutes auf globaler, europäischer, natio- und gesellschaftlich wichtige Positionen. Ein verschärfter naler oder ggf. auch sub-nationaler Ebene – Umwelt- Wettbewerb um solche „positionellen Güter“, die knappe ziele formuliert und institutionalisiert werden, die gesellschaftliche Spitzenpositionen symbolisieren, heizt mindestens die Einhaltung wissenschaftlich fundierter die Wachstumsspirale immer wieder von neuem an, weil Grenzen der Tragekapazität sicherstellen. sie letztlich höhere Einkommen oder verstärkte private – Mit Blick auf diese Ziele müssen Strategien für eine Investitionen in die persönliche Karriere erfordern. Wenn weitreichende Transformation der Industriegesell- aber alle dies tun, dann reproduzieren sich die Statusun- schaft entwickelt werden, die neben einem radikalen terschiede nur auf höherem Niveau, ohne das tatsächlich Technikwandel auch soziale Innovationen und Verän- mehr Befriedigung erreicht werden könnte. derungen der Konsum- und Lebensstile anstoßen müs- sen. Aus der Staatsverschuldung resultiert ebenfalls ein Wachstumsdruck. Hohe Wachstumsraten versprechen si- – Schließlich müssen zentrale gesellschaftliche Funk- chere Zinszahlungen und einen Schuldenabbau ohne Ver- tionssysteme auf eine Zukunft vorbereitet werden, in zicht auf bestehende Ausgaben und ohne Steuererhöhun- der die Volkswirtschaft nur in sehr geringem Maße gen. Die Möglichkeit der Verschuldung mit späterem wächst. Dies ist nur durch eine Abkehr von der bisher wachstumsbasierten Schuldenabbau bietet damit Regie- dominanten Strategie zu erreichen, die soziale Ziele rungen ein attraktives Gestaltungsfenster (PAQUÉ 2010, durch eine Erhöhung des Wirtschaftswachstums zu er- S. 204). reichen versucht. Je besser dies gelingt, umso unab- hängiger wird die Gesellschaft von einem fortgesetz- 81. Insgesamt wird deutlich, dass zentrale gesellschaft- ten Wirtschaftswachstum. liche Systeme in einer Wirtschaft mit Wachstum leichter aufrecht erhalten werden können. Ohne Wachstum ver- Um solche Ansätze zu entwickeln, ist unter anderem eine schärfen sich Zielkonflikte, Entscheidungsdilemmata und neue Forschungsagenda für die Wirtschaftswissenschaf- letztlich viele gesellschaftliche Konflikte. Auf gesell- ten zu entwickeln, die sich insbesondere der Frage ma- schaftliche Integration zielende Politik wird wesentlich kroökonomischer Stabilität in einer „vollen Welt“ (full anspruchsvoller und schwieriger, aber nicht unmöglich. world, vgl. DALY 2005) widmet. Zudem könnte die Krisenanfälligkeit marktwirtschaftli- cher Systeme, des Wohlfahrtsstaates und der gesellschaft- 1.6.1 Umweltziele setzen, Wissenschaft und lichen Integration in einer Wirtschaft ohne Wachstum er- Politik stärker verzahnen heblich zunehmen. Wird eine Gesellschaft zur präventiven Abwehr oder aber infolge ökologischer Kri- 83. Politisches Handeln kann nur auf eine Einhaltung sen auf Wirtschaftswachstum verzichten müssen, so sollte ökologischer Grenzen ausgerichtet werden, wenn zu- sie darauf vorbereitet sein. Es ist daher eine der großen nächst eine breite gesellschaftliche Übereinstimmung wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aufga- über die entsprechenden Umweltziele erreicht wird (vgl. ben, über eine deutliche Verminderung der Abhängigkeit Kap. 11). Die Festlegung von Umweltqualitätszielen vieler gesellschaftlicher Funktionsbereiche vom Wirt- muss dabei in angemessener Weise das Wissen um ökolo- schaftswachstum und über die Lösung der daraus resultie- gische Grenzen reflektieren, letztlich sind Umweltziele renden Probleme frühzeitig nachzudenken. In Ab- aber immer auch gesellschaftliche Konventionen (vgl. schnitt 1.6.3 werden Ansätze hierzu diskutiert. Abschn. 1.2.3). Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, dass sie vielfach mit implizit oder explizit formulierten 1.6 Herausforderungen für Politik, Gesell- Gerechtigkeitsvorstellungen über das verbunden sind, schaft und Wissenschaft was als fairer Nutzungsanspruch globaler Gemeinschafts- güter verstanden werden kann. Solche allgemein verbind- 82. Im vorliegenden Kapitel wurde argumentiert, dass lichen Wertentscheidungen gehören zur Kerndomäne de- noch große Spielräume für Entkopplung von Wachstum mokratischer Politik (HABERMAS 1992). Aus diesem und Umweltnutzung bestehen und dass entschiedenere Grunde können Umweltziele nicht rein wissenschaftlich politische Rahmenbedingungen notwendig sind, um eine abgeleitet werden, sondern sind letztlich Ergebnis eines

46 Herausforderungen für Politik, Gesellschaft und Wissenschaft demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungspro- wesentlich von der Finanz- und Personalausstattung und zesses, der allerdings wissenschaftlich informiert sein von der Breite und Tiefe des verfügbaren Wissens um sollte. Von herausragender Bedeutung ist daher eine sys- planetarische Grenzen, Umkippeffekte und systemische tematische Stärkung der Wissensbasis im Bereich der bio- Risiken ab. Die Bundesregierung sollte daher den (Kapa- physischen Grenzen und ihre Verkopplung mit der politi- zitäts-)Aufbau solcher Plattformen aktiv unterstützen. schen Willensbildung. Dies gilt sowohl für die weiter auszubauende wissen- schaftliche Grundlagenforschung hinsichtlich gefährdeter 84. Als ein Modell für eine erfolgreiche Institutionali- Erdsysteme im Verantwortungsbereich des Bundesminis- sierung wissenschaftlicher Politikberatung gelten Struk- teriums für Bildung und Forschung (BMBF) (WBGU tur und Arbeitsweise des Intergovernmental Panel on Cli- 2011), als auch für die internationalen Aufbau- und Grün- mate Change (IPCC), weil sie Politik und Wissenschaft in dungsprozesse zwischenstaatlicher wissenschaftlicher einer Weise verkoppeln, die die Integrität und Autonomie Expertenpanels. der beiden Funktionssysteme bewahrt. Der IPCC gilt als eine der einflussreichsten internationalen Institutionen Die Schlüsselrolle „epistemischer“ Gemeinschaften, bei der Klimapolitik (WBGU 2000). Ohne seine Arbeit wäre denen ein Konsens hinsichtlich Problemdiagnose und Lö- der lange Weg zu einem internationalen Konsens für das sung besteht, ist vor allem im Bereich internationaler 2°-Ziel kaum vorstellbar. Erfolgsbedingung ist zum einen Umweltabkommen hinreichend erforscht (BÖCHER die politische Einbettung der Arbeit. Diese gelingt durch 2007; BRAUN 1998; HAAS et al. 1993; HAAS 2004; die Mandatierung und Verabschiedung der Zusammen- 1992). Ein wissenschaftlich fundierter Fachkonsens in fassung für Entscheidungsträger durch Vertreter der der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft kann zu Mitgliedstaaten sowie andererseits durch die Synchroni- einem umweltpolitischen Anspruchsniveau von Umwelt- sierung der Arbeit mit den internationalen Klimaverhand- abkommen beitragen, das eine an ökonomischen und na- lungen. Zum anderen wird eine außerordentlich breite tionalen Interessen ausgerichtete Realpolitik nicht errei- Beteiligung von mehreren hundert Wissenschaftlern er- chen könnte. möglicht, die die hohe Autorität der wissenschaftlichen 85. Ansätze für eine Identifizierung kritischer Grenzen Erkenntnisse sichert. Dies wird verstärkt durch aufwen- an der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft dige Qualitätssicherungsverfahren und Reviews des vor- gibt es auch auf der europäischen Ebene. Der Bericht der handenen Wissens. Europäischen Umweltagentur zur Lage der Umwelt (EEA Im Bereich der Biodiversität scheiterte dagegen ein rein 2010b) stellt eine besorgniserregende Bestandsaufnahme wissenschaftlich institutionalisierter Ansatz, das Global hinsichtlich der Übernutzung und Überforderung einzel- Biodiversity Assessment von 1995. Der Prozess erhielt ner Ressourcen dar. Es fehlt ihm aber die hinreichend keine hinreichende politische Unterstützung auf Regie- starke Kopplung an den politischen Prozess, die für eine rungsebene, weil einzelne Staaten die Legitimität des politisch konsentierte Formulierung von quantitativen Gremiums und seiner Ergebnisse angezweifelt hatten Grenzziehungen notwendig wäre. Darüber hinaus erfolgt (LARIGAUDERIE und MOONEY 2010; VOHLAND die Verzahnung wissenschaftlicher Analyse und Politik et al. 2011). Von diesen Erfahrungen beeinflusst waren relativ intensiv in einzelnen Umweltbereichen. Ein Bei- die Initiativen, analog zum IPCC ein Panel für Biodiver- spiel ist der Bereich der Fischerei, wo seit jüngster Zeit sität und Ökosystemleistungen aufzubauen: die In- der Internationale Rat für Meeresforschung (International tergovernmental Science-Policy Platform for Biodiversity Council for the Exploration of the Sea – ICES) seine and Ecosystem Services (IPBES). Im Bereich der Nut- Empfehlungen für die Festlegung von Fangquoten für zung natürlicher Ressourcen besteht der International einzelne Fischbestände auf das Konzept des größtmögli- Ressource Panel. Er ist aber noch ein bei der UNEP (Uni- chen Dauerertrags stützt (SRU, 2011a). Auch das Clean ted Nations Environment Programme) angesiedeltes und Air for Europe (CAFE) Programme liefert die Grundla- hinsichtlich Ausstattung und zwischenstaatlicher politi- gen für eine an der Minimierung gesundheitlicher Risiken scher Einbettung relativ schwach institutionalisiertes und der Vermeidung der Überschreitung kritischer Belas- Fachgremium, das ebenfalls eine Aufwertung analog zum tungsgrenzen (critical levels) ausgerichteten europäischen IPCC verdiente. Entsprechende Ideen für einen In- Luftreinhaltepolitik (WURZEL 2002; SRU 2008; tergovernmental Panel for Sustainable Resource Manage- BRUCKMANN 2010; vgl. auch Kap. 10). Gerade die eu- ment sind bereits entwickelt worden (BRINGEZU und ropäische Luftreinhaltepolitik war bisher ein Beispiel in- BLEISCHWITZ 2009). tensiver und geglückter institutioneller Verzahnung natur- wissenschaftlicher und ökonomischer Modellierung und Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Glo- Politik, die anspruchsvolle und robuste Qualitätsziele und bale Umweltveränderungen (WBGU) hatte bereits im Emissionsbudgets für wichtige Luftschadstoffe formulie- Jahre 2000 die Einrichtung eines „Erd-Rates“ empfohlen, ren konnte. Dabei stützt sie sich wesentlich auch auf Er- der zur Früherkennung großer Risikoentwicklungen und kenntnisse der World Health Organization (WHO). Syste- zur Formulierung ökologischer Leitplanken beitragen matische Prozesse zur vorsorgeorientierten und sollte (WBGU 2000, S. 179 f.). Gerade im Hinblick auf wissenschaftlich fundierten Identifikation von Belas- die Wechselwirkungen globaler systemischer Risiken ist tungsgrenzen sollten auch hinsichtlich anderer natürlicher zumindest eine enge Kooperation verschiedener zwi- Gemeinschaftsgüter, Ressourcen und Senken (z. B. Wäl- schenstaatlicher Plattformen aus Wissenschaft und Regie- der, Böden, Meere, Süßwasser, grüne Infrastrukturen und rungen von großer Bedeutung. Zudem hängt ihr Erfolg nachhaltige Landnutzung, Stickstoffkreislauf) weiter vo-

47 Die neue Wachstumsdebatte rangetrieben werden. Sie sollten mit hochrangigen et al. 2011; Europäische Kommission 2011b; 2011a) so- umweltpolitischen Prozessen verkoppelt und auf hoher wie für die globale Ebene (IPCC 2011; WBGU 2011; politischer Ebene in der Programmentwicklung berück- WWF et al. 2011). Durch gezielte Standortauswahl er- sichtigt werden. In diesem Sinne gibt es noch einen er- neuerbarer Energieproduktion und die erfolgreiche Nut- heblichen Ausbaubedarf von Institutionen, die die Ver- zung von Einsparpotenzialen kann eine Problemverlage- zahnung von Wissenschaft und Politik auf allen rung zulasten der Belange des Natur- und Governance-Ebenen vorantreiben sowie die Grundlagen Landschaftsschutzes vermieden werden. Vor einer zu in- für robuste Grenzen, Budgets und Leitplanken formulie- tensiven Nutzung der Biomasse muss in diesem Sinne ren und in die umweltpolitische Zielformulierung einspei- wegen der absehbaren Nutzungskonflikte gewarnt wer- sen. Dabei ist zunehmend auf die Kohärenz und die den. Eine Ausweitung der Anbauflächen von Energie- Wechselwirkungen einzelner Bereiche zu achten, um Pro- pflanzen ist häufig mit negativen Auswirkungen auf Na- blemverlagerungen antizipieren und vermeiden zu kön- tur und Landwirtschaft verbunden, insbesondere in Bezug nen. Vielfach geht es dabei darum, vorhandene Prozesse auf die Biodiversität, den Wasserhaushalt und den Boden und wissenschaftliche Ergebnisse auf einer hochrangigen sowie auf eine Verstärkung der Flächenkonkurrenz (SRU politischen Ebene verfügbar zu machen und in politische 2011d, S. 55; 2007; SCHÜMANN et al. 2010; DOYLE kommunizierbare Botschaften zu übersetzen. et al. 2007; NITSCH et al. 2008; WBGU 2009; THRÄN et al. 2011). 1.6.2 Entkopplungspotenziale ausschöpfen Während das Projekt einer nachhaltigen Energiebasis der 86. Für das Einschwenken auf einen nachhaltigen Ent- Wirtschaft bereits Konturen annimmt, kann dies von der wicklungspfad innerhalb ökologischer Grenzen müssen Erhaltung anderer natürlicher Ressourcen, insbesondere die Potenziale zur Entkopplung von Wachstum und Res- der biologischen Vielfalt, noch nicht gesagt werden. Es sourcen- und Umweltverbrauch voll ausgeschöpft werden wird also darauf ankommen, die Transformationsagenda (FISCHER-KOWALSKI et al. 2011). Je besser die Sen- auch auf andere Schutzgüter zu erweitern, insbesondere kung des Energie- und Materialdurchsatzes der Wirt- um solch Problem verlagernde Strategien zu vermeiden, schaft gelingt, desto weniger dringlich stellt sich dem- die Klimaschutz auf Kosten anderer Naturgüter betreiben nach die Wachstumsfrage. Für eine absolute Entkopplung (WESTLEY et al. 2011; für Interdependenzen: müssen insbesondere zwei Handlungsansätze verfolgt MACLEAN et al. 2010). Wichtige weitere zentrale Hand- werden: Zunächst müssen die Infrastrukturen der Indus- lungsbereiche, die in diesem Gutachten behandelt wer- triegesellschaft einem fundamentalen Umbau unterliegen. den, sind die Rohstoffbewirtschaftung (Kap. 2), die Ver- Zu diesen Infrastrukturen zählen unter anderem die ge- kehrspolitik (Kap. 4 und 5) sowie vor allem die samte Energieversorgung inklusive der Erzeugung und nachhaltige Bewirtschaftung verschiedener bedeutsamer der Übertragung (SRU 2011d), sämtliche Verkehrsinfra- Ökosysteme (Kap. 6 und 7). Auch eine Politik, die einen strukturen (Kap. 4) und in weiterem Sinne auch die land- nachhaltigeren Konsum fördert, sollte hierzu gezählt wer- wirtschaftlichen Versorgungsstrukturen (SRU 2009). Da- den. Überall lassen sich Handlungsstrategien entwickeln, bei müssen biogene Ressourcen nachhaltig bewirtschaftet die den ökonomischen Nutzungsdruck auf wertvolle und werden (SRU 2007; 2011a; vgl. auch Kap. 2, 6 und 7). zum Teil funktionsgefährdete Ökosysteme entscheidend Darüber hinaus werden dort, wo technische Lösungen an vermindern können. ihre Grenzen stoßen, auch veränderte Konsum- und Ver- 88. Innovationskapazitäten liegen in einer freien Markt- haltensmuster für eine Entkopplung bedeutsam (z. B. wirtschaft vor allem im Privatsektor. Aus diesem Grunde beim Lebensmittelkonsum und bei der Mobilität; vgl. ist dieser auch ein Schlüsselakteur, der mobilisiert werden Kap. 3 und 5). muss, um Wege zu einem nachhaltigeren Entwicklungs- Verschiedene Zukunftsszenarien zeigen, dass die Poten- pfad einzuschlagen (ALLENBY 1994). Es besteht aller- ziale für technologische Innovation und Effizienzsteige- dings auch die Möglichkeit, dass technologische Innova- rung längst nicht ausgeschöpft sind, aber dass in vielen tionen eher Teil des Problems als seiner Lösung sind Bereichen neue technische Lösungen auch mit sozialen (WESTLEY et al. 2011; van der LEEUW 2010). Unter- Innovationen einhergehen müssen. Im Folgenden wird ar- nehmen sind zu ständiger Innovation angehalten, um im gumentiert, dass der freie Markt alleine diese Potenziale Wettbewerb gegenüber ihren Konkurrenten zu bestehen. aber nicht nutzen kann. Der Staat wird daher regulativ Es gilt nun, diese Innovationskraft sich dort entfalten zu eingreifen müssen, darf dabei gleichzeitig aber nicht die lassen, wo sie entweder keinen negativen Einfluss auf die Innovationskraft privater Unternehmen unterlaufen. Umwelt hat oder Lösungen zu den Herausforderungen ei- ner nachhaltigen Wirtschaft bieten kann. 87. Der SRU (2011d) hat exemplarisch am Beispiel eines Übergangs zu einer 100 % erneuerbaren Stromver- Radikale Innovation und breitere technologische Durch- sorgung dargelegt, wie ein wichtiger Sektor zu einem Kli- brüche sind oftmals Antworten auf ökonomisch oder poli- maschutzziel beitragen kann, das sich an dem Erkenntnis- tisch ausgelöste Verknappungssituationen (AYRES und stand in Bezug auf ökologische Grenzen orientiert. Eine WARR 2010, mit zahlreichen historischen Beispielen). klimaneutrale Stromversorgung durch erneuerbare Ener- Regulierung, die einen Rahmen für privatwirtschaftliches gien kann im Übrigen nicht nur für Deutschland plausibel Handeln bildet, kann demnach also, anders als häufig von gemacht werden, sondern auch für den europäischen und den betroffenen Akteuren zunächst wahrgenommen, ein nordafrikanischen Raum (HERTIN et al. 2010; PATT Innovationsmotor sein. Damit verbunden sind durchaus

48 Herausforderungen für Politik, Gesellschaft und Wissenschaft auch ökonomische Chancen. In manchen Bereichen wer- Es wird deutlich, dass eine flankierende politische Steue- den ökologische Investitionen (z. B. für erneuerbare rung nicht nur aufgrund von Marktversagen im Zusam- Energien, Gebäudesanierung, Infrastruktur und Netze) so menhang mit externen Effekten gerechtfertigt ist (SRU stark wachsen müssen, dass sie – zumindest für eine 2008, S. 86 ff.; JÄNICKE 2008; 2010a). Vielmehr zeigt Übergangszeit – ein weiteres, aber die Umwelt entlasten- die OECD-Studie, dass auch eine Reihe von Marktun- des Wachstum des BIP generieren werden (BLASCH vollkommenheiten als Investitionshemmnis fungiert et al. 2010; JAEGER et al. 2009; UNEP 2010). (Abb. 1-3). In Industrienationen, in denen Umweltpolitik 89. Um diese Möglichkeiten ausnutzen zu können, muss weit vorangeschritten ist, ist diese Stellschraube entschei- allerdings eine aktive Strukturpolitik zur Stärkung nach- dend. haltiger Technologiepfade betrieben werden (z. B. der Der „ensuring state“ (GIDDENS 2009, S. 69) definiert Elektrizitätsversorgung, vgl. SRU 2011d). Ein aktivieren- sich vor allem durch die staatliche Letztverantwortung für der Staat rechtfertigt sich vor allem wegen der marktinhä- das Einhalten von Umweltzielen, die sich an ökologi- renten Innovationsbarrieren. WESTLEY et al. (2011) se- hen vor allem im „ingenuity gap“, der zeitlichen schen Grenzen orientieren, für deren Monitoring und für Verzögerung zwischen Angebot und Nachfrage techni- die Entwicklung von zielführenden Prozessen zu ihrer in- scher Lösungen, eine Herausforderung. Grund ist eine ge- stitutionellen Verankerung. Innerhalb der gesetzten Leit- wisse Pfadabhängigkeit bei Innovationen, die zu stetigen planken gelten aber die Regeln des freien Marktes, eine inkrementellen Verbesserungen, nicht aber zu fundamen- gezielte Allokation der begrenzten Ressourcen findet tal neuen Entwicklungen führt. Diese Pfadabhängigkeiten nicht statt. Ziel ist es, umfangreiche private Investitionen sind auch einer der Gründe, warum die OECD (2011a) anzureizen, die zum Teil auch entgegen vorherrschenden vor zu niedriger wirtschaftlicher Rentabilität und zu ge- Markttrends die Transformation von Produktionsprozes- ringer Aneigenbarkeit der Renditen von grünen Investi- sen und Infrastrukturen stimulieren. Gleichzeitig darf Re- tionen warnt. Angestoßen werden müssen weitreichende gulierung aber nicht zu weiteren Unsicherheiten führen, institutionelle Veränderungen – sowohl top-down durch sondern muss die ökologischen Grenzen, innerhalb derer staatliche Rahmenbedingungen als auch bottom-up durch sich die Wirtschaft frei entfalten kann, langfristig klar Lernprozesse (WESTLEY et al. 2011). festlegen.

Abbildung 1-3

Markthemmnisse für grünes Wachstum

Niedrige Renditen grüner Innovationen und Investitionen

Geringe Aneigenbarkeit der Geringe wirtschaftliche Rentabilität Renditen

Investitionsträgheit Niedrige soziale Rendite Staatsversagen Marktversagen

Geringe Rentabilität Unzureichende Unvollständige Informations- von F&E Infrastrukturen Eigentumsrechte, externalitäten und umweltschädliche gespaltene Anreize Subventionen, Präferenzen für Geringes Netzwerkeffekte etablierte Betreiber Humankapital Negative Externalitäten Unvorhersehbarkeit der Politik und Wettbewerbs- Geringes Sozialkapital regulatorische hemmnisse und schlechte Unsicherheiten institutionelle Qualität

Normen und Gewohnheiten  Quelle: OECD 2011a, S. 6, basierend auf HAUSMANN et al. 2008, eigene Übersetzung

49 Die neue Wachstumsdebatte

1.6.3 Lebensqualität unabhängig von der Anteil der Bevölkerung, der sich als sehr glücklich Wachstum verbessern empfindet, kaum erhöht und ist seit 1970 sogar leicht gesunken (für Statistiken mehrerer Länder vgl. 90. Es gibt gute Gründe davon auszugehen, dass sich VEENHOVEN 2012). Aus diesen Ergebnissen lässt sich selbst bei Ausnutzung aller Potenziale einer ökologischen schließen, dass eine reine Fokussierung auf Wirtschafts- Transformation langfristig Grenzen für das Wirtschafts- wachstum nicht das prioritäre politische Ziel einer Regie- wachstum ergeben werden (Tz. 72). Aus diesem Grunde rung sein sollte. Andere Faktoren wie soziale Ausgewo- ist es wichtig, frühzeitig eine konzeptionelle Debatte zu genheit in der Bevölkerung, saubere und intakte Umwelt, beginnen, wie gesellschaftliche Stabilität auch ohne ein funktionierendes Gesundheitssystem und kulturelle Wachstum oder mit sehr niedrigen Wachstumsraten erhal- Bildungsmöglichkeiten sind mindestens ebenso wichtig. ten werden kann. Letztlich bedeutet dies, dass Wege ge- sucht werden, wichtige gesellschaftspolitische Ziele und Dass das BIP selbst kein adäquates Maß für gesellschaft- ein hohes Maß an Lebensqualität auch bei sehr niedrigen liche Wohlfahrt ist, ist weitgehend unstrittig. Defensive Wachstumsraten zu erreichen. Folgende Bereiche müssen Ausgaben zur Beseitigung von Umweltschäden oder so- dabei betrachtet werden: zialen Missständen bedeuten Wohlstandsverluste, sie ge- – Messung von Wohlfahrt, hen aber positiv in die Berechnung des BIP ein. Die herausragende Bedeutung, die dem BIP als Wohlstandsin- – Entschärfung von Verteilungskonflikten, dikator in der öffentlichen Präsentation und Wahrneh- mung zukommt, ist zudem nicht gerechtfertigt, da es viele – Sicherung der Beschäftigung, relevante politische Ziele, wie nachhaltige Entwicklung – Investitionen in einer wachstumsunabhängigen Wirt- oder sozialen Zusammenhalt, nicht abbildet schaft und (PENNEKAMP 2011, S. 14). – Finanzierung von Staatsausgaben und Sozialsystemen. 92. Über alternative Methoden und Indikatoren zur Es existieren erste Überlegungen zu der Ausgestaltung ei- Wohlstandsmessung wird national und international breit ner Postwachstumsgesellschaft (JACKSON 2009a; debattiert (für Übersichten s. PENNEKAMP 2011, HOLZINGER 2010; SEIDL und ZAHRNT 2010b), es S. 16 ff.; POLLITT et al. 2010, S. 59 ff.; BANDURA besteht aber Bedarf an weiterer Auseinandersetzung mit 2008; Europäische Kommission 2007, factsheets). Dabei den Herausforderungen, denen sich eine Gesellschaft dreht sich eine zentrale Kontroverse darum, ob sich alter- ohne Wachstum stellen muss. native Messmethoden auf aggregierte Indizes (beispiels- weise ein um ökologische und soziale Faktoren korrigier- Im Folgenden werden erste Lösungsansätze für die oben tes BIP) oder auf einen breiteren Satz von Indikatoren genannten Bereiche skizziert, die näher analysiert und stützen sollen. Disaggregierte Indikatorensätze werden in weiterentwickelt werden müssen. Wichtig ist, dass sich einigen aktuellen Publikationen empfohlen, weil sie zentrale Akteure aus Wissenschaft und Politik, etwa die transparenter sind und die Problematik der Aggregation großen Wirtschaftsforschungsinstitute, politische Par- vermeiden (SVR und CAE 2010; STIGLITZ et al. 2009; teien, Arbeitgeber und Gewerkschaften, mit diesen Fra- BACHMANN und STEUWER 2010). Eine Vielzahl von gen auseinandersetzen. Staatliche Institutionen sollten Indikatoren wird jedoch bereits erhoben und verwendet diesen Prozess unterstützen, indem sie entsprechende (z. B. in politischen Strategieprozessen; vgl. Kap. 11.3), Forschungsprogramme auflegen, Projekte ausschreiben ihr Bekanntheitsgrad und ihre Bedeutung als Orientie- und vergeben und gesellschaftliche Diskussionsprozesse rungsgröße für die Politik sind jedoch im Vergleich zum initiieren. BIP gering. Aggregierte monetäre Indizes können im Ver- gleich zu disaggregierten Indikatorensätzen eine größere Wohlfahrtsmessung kommunikative Kraft entfalten, da sie dem BIP direkt ge- genübergestellt werden können (DIEFENBACHER und 91. Wenn Wohlfahrtssteigerung nicht mehr in erster Li- ZIESCHANK 2009). Daher erscheint es sinnvoll, beste- nie durch Wirtschaftswachstum erreicht werden kann hende Ansätze zu einem robusten, in der Fachwelt aner- oder soll, ist zunächst ein differenzierteres Verständnis kannten Leitindikator auszubauen. von Wohlfahrt notwendig. Wohlfahrt ist als ein Maß des Wohlbefindens bzw. der Lebensqualität einer Bevölke- Ein vielversprechender Ansatz für eine aggregierte alter- rung zu verstehen. Während ein gewisser materieller native Messmethode ist der nationale Wohlfahrtsindex Wohlstand ein zentraler Faktor hoher Lebensqualität ist, (NWI) (DIEFENBACHER und ZIESCHANK 2009). so werden ab einem bestimmten Einkommensniveau eine Ausgangsgröße des NWI ist der private Verbrauch, eine Reihe anderer Indikatoren wie Gesundheit, Bildung, Na- zentrale Komponente des traditionellen BIP. Aufgrund tur, Freundschaften oder sozialer Status insbesondere in der Annahme, dass zusätzliches Wachstum des privaten reichen Industrienationen immer bedeutender. Das Eas- Verbrauchs gesamtgesellschaftlich umso weniger zur terlin-Paradox (EASTERLIN 1974) beschreibt diesbe- Steigerung der Wohlfahrt beiträgt, je ungleicher die Ein- züglich das Phänomen, dass ein steigendes Pro-Kopf-Ein- kommen verteilt sind, wird der private Verbrauch mit ei- kommen wenig Einfluss auf das subjektiv empfundene nem Index der Einkommensverteilung gewichtet (ebd.). Wohlbefinden einer Bevölkerung hat. Während sich in Zusätzlich werden ausgewählte, vom BIP nicht erfasste der führenden Wirtschaftsmacht USA zum Beispiel seit wohlfahrtsstiftende Komponenten hinzuaddiert (z. B. un- 1950 das Pro-Kopf-Einkommen verdreifacht hat, hat sich bezahlte Hausarbeit und ehrenamtliches Engagement).

50 Herausforderungen für Politik, Gesellschaft und Wissenschaft

Abgezogen werden Komponenten, die als wohlfahrtsmin- tusgüter auf immer höherem Niveau angeregt, ohne dass dernd angesehen werden (z. B. Kosten von Verkehrsun- es zur Befriedung kommt. Ein gesellschaftlicher Konsens fällen und von Umweltbelastung). Schließlich werden zur Begrenzung exzessiver Einkommensungleichheit Korrekturen in Bezug auf das zeitliche Auseinanderfallen kann deshalb als eine Voraussetzung für Nachhaltigkeit von Ausgaben und Nutzen sowie im ökonomischen Be- bzw. mehr Wachstumsunabhängigkeit gesehen werden reich (z. B. Nettokapitalausstattung) vorgenommen. Auf- (DALY 2009; SCHERHORN 2010; JACKSON 2009a; grund der Vergleichbarkeit der Kerngrößen kann der Ver- WILKINSON und PICKETT 2010). Zusätzlich kann die lauf des NWI direkt mit dem des BIP verglichen werden. Verminderung der Ungleichheit einen Beitrag zur Erhö- Gleichzeitig können auch die einzelnen Variablen, die in hung der durchschnittlichen Lebensqualität leisten. Kon- den NWI einfließen, separat dargestellt werden, sodass krete Vorschläge beziehen sich auf eine Festlegung von ihr jeweiliger Einfluss transparent bleibt. Minimal- und Maximaleinkommen, Grenzen für das Ver- hältnis zwischen höchstem und niedrigstem Einkommen Der SRU ist der Auffassung, dass – aufbauend auf beste- in einem Unternehmen (DALY 2009) oder mehr Arbeit- henden Vorarbeiten – die Bundesregierung im nächsten nehmerbeteiligung an Unternehmen (WILKINSON und Schritt das Statistische Bundesamt beauftragen sollte, PICKETT 2010). Zu bedenken ist bei all diesen Vorschlä- eine robuste und standardisierte Methode für einen aggre- gen, dass das Verhältnis von Einkommensverteilung zu gierten Wohlfahrtsindex zu erarbeiten. Dieser sollte dann Wachstum wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt ist, es – wie das BIP – regelmäßig an prominenter Stelle veröf- gibt durchaus ernst zu nehmende Hinweise, dass entge- fentlicht, in seinen Komponenten bewertet und diskutiert gen der weitverbreiteten Auffassung stärkere gesell- werden. Dabei bietet sich auch eine Verwendung im Rah- schaftliche Ungleichheit auch zu einem Wachstumshin- men der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie an. dernis werden kann (HELPMAN 2004, S. 90 f.). Die Nutzung eines standardisierten Wohlfahrtsindex Entsprechend ist auch vorstellbar, dass gerade eine stär- macht dabei allerdings keinesfalls die Weiterentwicklung kere Umverteilung zugunsten des ärmeren Fünftels der relevanter Einzelindikatoren überflüssig. Hier ist es wich- Bevölkerung wachstumsförderlich ist (KENWORTHY tig, neben den Indikatoren für monetäre Stromgrößen 2011b, S. 96 f.). auch Indikatoren weiterzuentwickeln und zu erheben, die Auch konventionelle Forderungen nach höherer Besteue- den Vermögensstand für Natur- und Sozialkapital syste- rung von Erbschaften und hohen Vermögen und Einkom- matisch abbilden (STIGLITZ et al. 2009). men werden erhoben (SCHERHORN 2010; BOFINGER 2010). Hierdurch können private Ersparnisse investiven Verteilungskonflikte Zwecken zugeführt werden, beispielsweise um mehr ge- 93. In einer Wirtschaft, in der das Steueraufkommen sellschaftsnahe Dienstleistungen zu finanzieren oder ei- und das BIP wachsen, kann zwar sozialer Ausgleich ohne nen gerechteren Zugang zu Bildungschancen und Infra- absolute Einbußen bestimmter Gruppen organisiert wer- strukturen zu ermöglichen (aus dem MOORE et al. 2010; den, Verteilungskonflikte in Industrienationen finden aber REUTER 2010). insbesondere in Form eines Wettbewerbs um Statusgüter Die Auswirkungen einer Verschlechterung der Einkom- statt und lassen sich durch Wirtschaftswachstum nicht mensposition können zudem durch flankierende Maßnah- vollständig vermeiden. Unabhängig vom zukünftigen men abgemildert werden. Gesellschaftliche Diskussio- Wachstum einer Volkswirtschaft müssen demnach Kon- nen um die Inhalte eines neuen Wohlfahrtsmaßes (Tz. 92) zepte entwickelt werden, die diesen Wettbewerb zähmen. können neue Konzepte gegenüber einer allein an Arbeit HIRSCH (1980) hat diesbezüglich in seinem grundlegen- und materiellen Gütern orientierten Zufriedenheit entwi- den Buch über die „sozialen Grenzen“ des Wachstums ckeln. bereits zahlreiche Vorschläge gemacht (vgl. Ab- schn. 1.5.2). Zu den wesentlichen von ihm vorgeschlage- Beschäftigung nen Ansätzen gehören: 94. Einer der wesentlichen Gründe, dass die Politik auf – verminderte Prämien auf Statusgüter (z. B. durch öf- das Wachstumsziel setzt, ist die Vorstellung, dass Wachs- fentlichen Zugang zu exklusiven Grundstücken), tum hilft, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Im Allgemei- – Dämpfung des positionalen Wettbewerbs (z. B. flache nen wird davon ausgegangen, dass das Wirtschaftswachs- Hierarchien), tum einen bestimmten Wert erreichen muss, damit bei unveränderter durchschnittlicher Lebensarbeitszeit auch – Neuordnung der Einkommens- und Vermögensvertei- die Beschäftigung steigt („Beschäftigungsschwelle“). In lung (z. B. gesellschaftlich akzeptiertes Verhältnis von einer nicht wachsenden Wirtschaft würde die Zunahme Spitzen- und Durchschnittsverdiensten), der Arbeitsproduktivität, also die pro Arbeitseinheit er- – Verminderung der Attraktivität positionaler Arbeits- wirtschaftete Einheit BIP (bei ansonsten gleichbleibenden stellen (z. B. Transparenz über Zeit- oder Mobili- Bedingungen), zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit tätsanforderungen). führen. Manche solcher Ansätze finden sich auch in der neueren Auswege können zum einen in einer Begrenzung des Ar- wachstumskritischen Literatur. Im Fokus steht dort die beitsangebots liegen, was vor allem durch eine Verringe- Einkommensverteilung. Je stärker die Einkommensun- rung der Wochen- bzw. Lebensarbeitszeit erreichbar wäre gleichheit ist, desto stärker wird der Wettbewerb um Sta- (JACKSON 2009a; SCHERHORN 2010; SCHOR 2010).

51 Die neue Wachstumsdebatte

SCHOR (2010) zeigt, dass seit dem Beginn der Industria- vestitionen beruht. Niedriges Wachstum und entspre- lisierung eine Verkürzung der jährlichen Arbeitszeit pro chend geringe Absatzerwartungen können eine Person in den USA und anderen Industrieländern dazu Abwärtsspirale aus sinkender Investitionsneigung und beigetragen hat, Arbeitslosigkeit zu vermeiden – und Einkommen zur Folge haben (Tz. 76). nicht der gesamte Produktivitätszuwachs durch Wachs- tum aufgefangen wurde. In ersten Szenariostudien, die ei- Im Gegensatz zu privaten Investitionen sind staatliche In- nen Übergang zu einer stabilen nicht-wachsenden Wirt- vestitionen nicht auf eine Mindestrentabilität angewiesen schaft erreichen, ist die Verringerung der formalen und deshalb weniger anfällig für krisenhafte Prozesse. Arbeitszeit eine relevante Stellschraube (VICTOR und Voraussetzung ist dabei allerdings, dass es sich um pro- ROSENBLUTH 2007; RASKIN et al. 2010). Kürzere duktive Zukunftsinvestitionen handelt, die zwar wertge- Arbeitszeiten können durchaus als wohlstandssteigernd schätzt, aber privat nicht in gleichem Maße mobilisierbar verbucht werden, sofern Wohlstand nicht nur als Einkom- sind (z. B. Bildung, Infrastrukturen) (PAQUÉ 2010, men, sondern auch als Lebens- und Umweltqualität defi- S. 205). Dabei muss der Bewertungsmaßstab aber deut- niert wird. Soziale Aspekte müssen dabei aber beachtet lich breiter sein, als eine rein ökonomische Rentabilitäts- werden. Eine verkürzte Arbeitszeit darf nicht zu Einkom- betrachtung (PRIEWE und RIETZLER 2010). mensverlusten führen, die sozial schwächere Schichten der Bevölkerung in die Armut treibt. Zudem müsste ge- Staatliche oder durch Anreize und Vorgaben ausgelöste währleistet sein, dass die Reduzierung der Arbeitszeit private Investitionen werden notwendig sein, wenn der entsprechend verteilt wird. Umbau des Wirtschaftssystems auf nachhaltigere Struktu- ren erfolgreich sein soll. Nach unterschiedlichen Schät- Hierbei ist allerdings zu beachten, dass in der Zukunft zungen wird allein ein anspruchsvoller Klimaschutz die auch aufgrund des demografischen Wandels ein Überan- Investitionsquote in der EU um 1 bis 4 % des BIP stei- gebot an Arbeit nicht in allen Qualifikationsfeldern glei- gern können (Europäische Kommission 2011b; JAEGER chermaßen zu finden sein wird, sodass solche Maßnah- et al. 2011). Investitionen können dazu dienen, notwen- men flexibel sein müssen. HÖPFLINGER (2010) dige Infrastrukturen aufzubauen, oder auch verstärkt in argumentiert, dass zur Finanzierung der Alterssicherungs- Naturkapital, also beispielsweise in die Erhaltung von systeme in einer nicht wachsenden Wirtschaft (gerade an- Ökosystemen oder „kultiviertes“ natürliches Kapital wie gesichts des demografischen Wandels) eine Ausweitung bewirtschaftete Wälder und Viehbestände, fließen der formellen und informellen Lebensarbeitszeit nach (DALY 1996, S. 80; ähnlich POLLITT et al. 2010, S. 78; oben („produktives Alter“) notwendig werden wird. HELM 2010). SCHERHORN (2010) spricht von „Rein- Der Anstieg der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsproduk- vestition in Gemeingüter“. Auch die UNEP (2011) betont tivität lässt sich verringern, ohne dass die Innovationstä- in ihrem Ansatz für eine grüne Wirtschaft die deutliche tigkeit einer Industrie begrenzt werden muss, die sich in Steigerung von Investitionen in die Erhaltung des Natur- der internationalen Arbeitsteilung behaupten muss. Be- kapitals. Bei einem solchen Ansatz muss sich laut reits eine stärkere Ausrichtung privaten und staatlichen JACKSON (2009a) auch die „Ökologie des Investierens“ Konsums auf arbeitsintensiver hergestellte Güter (z. B. selbst ändern: Ökologische Investitionen können niedri- Bioprodukte, Qualitätsprodukte) und Dienstleistungen gere Renditeraten und längere Renditezeiträume aufwei- (z. B. Bildung, Kinderbetreuung und Pflege) erhöht die sen und sind von einem konventionellen Standpunkt aus Arbeitsintensität, die als Arbeitseinsatz bezogen auf das gesehen möglicherweise weniger „produktiv“. Ähnliches BIP gemessen wird. Wenn es zunehmend der Einsatz der könnte für verstärkte Investitionen in öffentliche Güter menschlichen Arbeitskraft ist, der den Wert schafft, kann gelten, wie beispielsweise in den Bereichen öffentlicher die Arbeitsproduktivität in diesen Sektoren nur innerhalb Personenverkehr, Bildung, Pflege und Gesundheit enger Grenzen gesteigert werden, ohne die Qualität der (REUTER 2010). Hinsichtlich der staatlichen Nettoinves- Leistung zu reduzieren (JACKSON 2009a, S. 132 f.). titionen in solche öffentlichen Güter ist Deutschland je- Eine Änderung der Besteuerungsgrundlage, die nicht wie doch im europäischen Vergleich Schlusslicht und besaß heute die Unternehmen bestraft, die arbeitsintensiv pro- zeitweise sogar eine negative Nettoinvestitionsquote duzieren, kann zudem die relative Vorzüglichkeit arbeits- (PRIEWE und RIETZLER 2010, S. 20). Dies ist zum Teil sparenden technischen Fortschritts verringern. Hier lässt auch auf die prekäre Finanzsituation der Kommunen zu- sich auch durch den Einsatz von Steuern auf Umwelt- und rückzuführen. Materialverbrauch eine Win-win-Situation erzielen. Vor- Allerdings sind staatliche Investitionen auf Staatseinnah- und Nachteile verschiedener Konzepte sollten hier näher geprüft werden. Ziel eines Umbaus des Steuersystems men angewiesen. Bei schrumpfendem Volkseinkommen muss es auf jeden Fall sein, Arbeit zu entlasten und Ener- nehmen im Wesentlichen auch Einkommen und auf Wert- gie- und Umweltverbrauch zu belasten. schöpfung basierende Staatseinnahmen notwendiger- weise ab. Sie werfen damit das Thema der Staatsfinanzie- rung auf. Ein solcher Ansatz führt letztlich zu einer Investitionen in einer wachstumsunabhängigen stärkeren Verwendung des erwirtschafteten Einkommens Wirtschaft für öffentliche statt für private Güter und damit zu einer 95. In Kapitel 1.5 wurde bereits die Krisenanfälligkeit Zunahme der Staatsquote. Eine große Herausforderung marktwirtschaftlicher Systeme angesprochen, die im We- liegt darin, hierfür die notwendige breite gesellschaftliche sentlichen auf den Rentabilitätserwartungen privater In- Unterstützung zu gewinnen.

52 Herausforderungen für Politik, Gesellschaft und Wissenschaft

Finanzierung von Staatsausgaben und Sozialsystemen (HÖPFLINGER 2010). Der Anteil am Volkseinkommen, der für Renten und Pensionen ausgegeben werden muss, 96. Die Finanzierung des Staatshaushaltes hängt we- steigt. Ohne Wachstum führt dies zu einem geringeren sentlich von der Höhe der Steuereinnahmen ab. Im inter- Nettoeinkommen der Erwerbstätigen. Diese sind zwar in nationalen Vergleich gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Summe auch weniger mit Kosten für die Erziehung die Höhe der Steuerquote – zumindest in der beobach- und Ausbildung von Nachkommen belastet, dennoch teten großen Spannbreite – Auswirkungen auf die wirt- wird es aller Wahrscheinlichkeit nach Widerstände gegen schaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes hat hohe Abzüge vom Bruttogehalt geben. Gleichzeitig ver- (KENWORTHY 2011a). Es gibt durchaus sehr dyna- teuert diese Entwicklung unter dem heutigen System der misch wachsende Länder mit einer sehr hohen Steuer- Finanzierung der Sozialsysteme die relativen Arbeitskos- und Abgabenquote. Dessen ungeachtet wird eine – aus ten und erhöht damit die Vorteile arbeitssparenden techni- welchen Gründen auch immer – gering wachsende Wirt- schen Fortschritts. Wie die Sozialsysteme zukunftsfähig schaft ohne eine wachsende Staatsquote kaum sozialver- gemacht werden können, ist dauerhaft Gegenstand von träglich gestaltbar sein. Forschung und politischer Diskussion. Wie sie unabhän- Gleichwohl gilt die deutsche Finanzierungsstruktur des gig vom Wachstum gemacht werden können, sollte in Sozialstaates mit einem überdurchschnittlich hohen diese Arbeiten als zentrale Fragestellung integriert wer- Lohnnebenkostenanteil und einem relativ geringen Anteil den. der Einkommensbesteuerung im internationalen Ver- gleich insbesondere beschäftigungspolitisch als ungünstig 1.6.4 Herausforderungen für die ökonomische (KENWORTHY 2011b, S. 85; BOFINGER 2010, Theorieentwicklung S. 169 f.; JARASS 2010) und ist entsprechend aus vielen Gründen korrekturbedürftig. Einkommensbezogene Steu- 97. Die Weiterentwicklung ökonomischer Theorien und ern sind in den letzten Jahrzehnten – insbesondere man- ihre Vermittlung an deutschen Schulen und Hochschulen gels effektiver internationaler Koordinierung zur Schlie- sollten sich verstärkt mit den ökologischen Grenzen des ßung von Steuerparadiesen – kontinuierlich reduziert Wachstums und ihrer Bedeutung für Ziele und Strukturen worden, indirekte Steuern trotz ihrer eher regressiven des Wirtschaftens auseinandersetzen. Wirkungen erhöht worden (SCHARPF 2006; Diese Diskussion steht bislang zumindest im wirtschafts- GENSCHEL und ZANGL 2007). wissenschaftlichen Mainstream überwiegend noch aus. Solche Fragen einer effektiven Sicherung der Einnahmen Aktuelle Standardlehrbücher zur ökonomischen Wachs- für Staatshaushalt und Sozialversicherungssystem und ih- tumstheorie (AGHION und HOWITT 2009; BARRO und rer Struktur in einer europäisch integrierten und global SALA-I-MARTIN 2004; ROMER 2012) setzen sich verflochtenen Volkswirtschaft sind im Kontext einer nicht angemessen mit den naturwissenschaftlichen Er- schwach wachsenden Volkswirtschaft dringlicher zu klä- kenntnissen zu physischen Grenzen des Wachstums aus- ren, als bei hohen Wachstumsraten. einander. Grundsätzliche theoretische Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen des Wachstums und der Ebenfalls einer differenzierten Betrachtung bedarf das Stabilität des ökonomischen Systems bei einer immer Thema Staatsverschuldung. Zunächst ist festzuhalten, stärker werdenden Belastung der Natur, die auf das Wohl- dass eine Verschuldung bei einem Zinssatz, der dauerhaft befinden der Wirtschaftssubjekte und die Funktionsfähig- über dem Einnahmewachstum des Staates liegt, zu einer keit der Wirtschaft zurückwirkt, fehlen. immer höheren Schuldenquote führt. Gerade wenn der Anteil der Staatsverschuldung am Bruttosozialprodukt Zwar haben die Umwelt- und Ressourcenökonomie sowie bereits hoch ist, führt diese ohne Wirtschaftswachstum in die ökologische Ökonomie dazu beigetragen, der mate- eine bedenkliche Schuldenspirale. riellen Basis der Wirtschaft wieder größere Beachtung zu verschaffen, allerdings bestehen auch hier noch große Zugleich ist ein schneller Abbau der Staatsverschuldung Defizite. So stellt die ökologische Ökonomie keine um- nicht in jeder volkswirtschaftlichen Situation sinnvoll fassende makroökonomische Theorie bereit und kann (SCHARPF 2011; BOFINGER 2010; von Weizsäcker: keine befriedigenden Aussagen darüber treffen, wie sich Das Janusgesicht der Staatsschulden, FAZ.NET vom ökologisch bedingte Restriktionen auf die wirtschaftliche 5. Juni 2010). Wie eine gleichermaßen sozialverträgliche, Dynamik auswirken und ob bzw. unter welchen Bedin- konjunkturneutrale Rückführung der Staatsverschuldung gungen ein makroökonomisch möglichst krisenfreier bei Wahrung der staatlichen Handlungsfähigkeit gelingen Übergang vorstellbar ist (KRONENBERG 2010, kann, ist zweifelsohne eine der zentralen zu klärenden S. 1492). In der aktuellen Literatur sind bisher nur erste Herausforderungen in einer Postwachstumsökonomie. Ansätze einer solchen ökologischen Makroökonomie Allzu rigide institutionelle Vorgaben, die ohne Rücksicht oder Forderungen nach deren Entwicklung zu erkennen auf volkswirtschaftliche oder gesamteuropäische Zusam- (SCHOR 2010; JOHNSON 2010; MIEGEL 2010; JACK- menhänge zu einem ausgeglichenen Haushalt zwingen SON 2009a; VICTOR 2008; FITOUSSI und LAURENT (SEIDL und ZAHRNT 2010a), könnten dabei eher kon- 2008). traproduktiv sein. Die bislang in der Umweltökonomie vorherrschende Ein weiteres Problem ergibt sich für die Sozialversiche- Fokussierung auf einzelne begrenzte Ressourcen und rungssysteme, insbesondere der Rentensysteme, das Umweltprobleme sollte erweitert werden, da sie nicht durch den demografischen Wandel noch verstärkt wird mehr dem Stand der naturwissenschaftlichen Forschung

53 Die neue Wachstumsdebatte zu den Grenzen des Wachstums entspricht. Stattdessen sen unterliegen, was man als faire nationale Nutzungs- müssen verstärkt Systemzusammenhänge berücksichtigt rechte bei der Inanspruchnahme global begrenzter Ge- und ökologische Grenzen als ein multidimensionales Pro- meinschaftsgüter betrachtet. In diesem Sinne bedarf es blem behandelt werden. Der SRU empfiehlt in diesem einer engen Verzahnung wissenschaftlicher Information Zusammenhang: und demokratisch legitimierter, politischer Zielbildung, zum Beispiel nach dem Vorbild des IPCC in der Klima- – Die Frage, wieweit sich Umweltbelastungen durch diskussion. umwelttechnische Innovation vom Wachstum entkop- peln lassen und wieweit Wachstum durch die Be- Unverzichtbar und alternativlos für ein Wirtschaften in- grenztheit natürlicher Ressourcen beschränkt wird, nerhalb sicherer planetarischer Grenzen ist eine techni- sollte verstärkt empirisch, in Zusammenarbeit mit den sche Innovationsstrategie, die einerseits auf Ressour- Naturwissenschaften und unter Berücksichtigung von ceneffizienz setzt und damit den Bedarf von Energie und Verlagerungseffekten zwischen verschiedenen ökolo- Material für die Produktion von Gütern und Dienstleis- gischen Problemen untersucht werden. tungen vermindert, und andererseits den weiterhin hohen und notwendigen Energie- und Materialeinsatz in mög- – Künftig sollte zudem die Frage nach der Substituier- lichst umweltverträglicher Weise herstellt (vgl. Kap. 2 barkeit zwischen erneuerbaren und nicht-erneuerba- und 4). Eine solche Innovationsstrategie, die eine abso- ren Ressourcen eine größere Bedeutung erlangen. Die lute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Natur- maximale nachhaltige Nutzungsrate erneuerbarer Res- verbrauch bewirkt, wird nicht nur mit der Transformation sourcen (bzw. von Senken für Umweltverschmutzung) großer Infrastrukturen und Produktionssysteme, sondern wird dann entscheidend für das maximal erreichbare auch mit einem Wandel von Konsum- und Lebensstilen Wachstum bzw. die dauerhaft erreichbare physische einhergehen müssen. Größe der Ökonomie (AGHION und HOWITT 2009, S. 382; DUJMOVITS 2009, S. 18; JONES 2002). Vo- Gleichwohl gibt es ernst zu nehmende Hinweise darauf, raussetzung für derartige Untersuchungen ist entspre- dass auf Dauer die Einhaltung ökologischer Grenzen chend ein differenzierterer Umgang mit dem Begriff selbst bei einer denkbar radikalen Entkopplungs- und des Kapitals, der neben menschengemachtem Produk- Substitutionsstrategie nicht mit Wirtschaftswachstum tionskapital auch die verschiedenen Arten von Natur- vereinbar sein könnte. Aus Gründen der Vorsorge sollten daher Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Ökonomie kapital berücksichtigt und die jeweilige Bedeutung für sich auf diese Möglichkeit frühzeitig einstellen. Derzeit den Produktionsprozess realistisch beschreibt. sind wichtige Funktionssysteme von Wirtschaft, Staat – Nicht zuletzt verdient auch in der Wirtschaftswissen- und Gesellschaft – beispielsweise die sozialen Versiche- schaft der Umgang mit Unsicherheit und Risiko eine rungssysteme – auf Wachstum essenziell angewiesen. höhere Aufmerksamkeit. Während sich die Umwelt- Wenn jedoch eine hohe Lebensqualität zum zentralen wissenschaft zunehmend auf den Umgang mit Unsi- Maßstab des Wirtschaftens wird, so kann diese grundsätz- cherheit, Wahrscheinlichkeiten und nicht-linearen Er- lich auch jenseits einer Wachstumsorientierung erreicht eignissen konzentriert, bleibt die ökonomische werden. Als Teil einer Vorsorgestrategie bedarf es nach Theorie zu einem hohen Grad deterministisch. „Least Auffassung des SRU eines breiten gesellschaftlichen Dis- risk planning“ könnte zunehmend an die Seite von kussionsprozesses, der insbesondere die folgenden Fra- „least cost planning“ treten (JOHNSON 2010, S. 9). genkomplexe betreffen sollte: – Was ist das Ziel von Wirtschaft? Ist es die Steigerung 1.7 Schlussfolgerungen des verfügbaren Einkommens oder die eines neuen Maßes von Wohlfahrt? Wie sollte ein solches Wohl- 98. Nachhaltiges Wirtschaften setzt die Einhaltung öko- logischer Grenzen voraus. Grenzüberschreitungen führen fahrtsmaß aussehen? nicht nur zu irreversiblen ökosystemaren Schäden, sie un- – Welche Konsum- und Lebensstile sind noch global terminieren auch die ökonomischen Grundlagen und wer- verallgemeinerungsfähig und welche bedürfen einer den damit auch langfristig auf wirtschaftliche Entwick- Änderung? lungsmöglichkeiten zurückwirken. Das Respektieren von ökologischen Grenzen ist damit Langfristökonomie. – Wie soll sich das Verhältnis von Ausgaben für öffentli- che Güter und Gemeinwohlbelange zu privaten Inves- So unbestreitbar die Tatsache ist, dass ökologische Gren- titionen und Konsum, die Staatsquote, weiterentwi- zen bestehen, so problematisch ist ihre konkrete Bestim- ckeln? Der Bedarf an öffentlichen Ausgaben wird in mung. Aus Sicht des SRU kann der Begriff der „ökologi- absehbarer Zeit eher zunehmen. Sie werden auch eine schen Grenzen“ nicht rein naturwissenschaftlich stabilisierende Rolle für die Wirtschaftsentwicklung verstanden werden, sondern enthält immer auch eine nor- einnehmen können, wenn private Investitionen in ei- mative Komponente. Grenzen stehen immer in Bezug zu ner wachstumsschwachen Wirtschaft abnehmen. Zu- dem, was man vermeiden oder erreichen möchte und ent- gleich wird auch die Niveau- und Qualitätserhaltung halten ein Vorsorgeelement. So bedarf es für die Grenzbe- der Sozialversicherungssysteme bei sehr niedrigen stimmung einer wissenschaftlich fundierten Diskussion Wachstumsraten einer verstärkten staatlichen Unter- darüber, welche Arten von Risiken man lieber vermeiden stützung bedürfen. möchte und wie stark die notwendigen Sicherheitsab- stände sein sollen. Einem demokratischen politischen – Wie sollen – möglicherweise steigende – öffentliche Willensbildungsprozess sollte auch die Bestimmung des- Ausgaben hinreichend finanziert werden? Die struktu-

54 Literatur

relle Unterfinanzierung öffentlicher Haushalte, die (2006): Die Relevanz des Millennium Ecosystem Assess- durch Kreditaufnahme gedeckt wurde, wird in einer ment für Deutschland. Leipzig: UFZ. UFZ-Bericht 02/ wachstumsschwachen Wirtschaft nicht mehr möglich 2006. sein. Es bedarf einer verbesserten und erweiterten Steuerbasis. Binswanger, H.-C. (2010): Vorwärts zur Mäßigung. Per- spektiven einer nachhaltigen Wirtschaft. 2. Aufl. Ham- – Wie soll sich die Einkommensverteilung weiterentwi- burg: Murmann. ckeln? Sehr starke Einkommensungleichheit gepaart mit verstärktem Wettbewerb um Statusgüter gilt als ei- Binswanger, H.-C. (2006): Die Wachstumsspirale. Geld, ner der wesentlichen gesellschaftlichen Wachstums- Energie und Imagination in der Dynamik des Marktpro- motoren. Zugleich ist gesellschaftlicher Zusammen- zesses. Marburg: Metropolis-Verlag. halt bei sehr geringen Wachstumsraten und extremer Binswanger, H.-C., Frisch, H., Nutzinger, H. G., Ungleichheit stark gefährdet. Schefold, B., Scherhorn, G., Simonis, U. E., Strümpel, B., – Wie sollen Produktivitätsgewinne in Zukunft verteilt Teichert, V. (1988): Arbeit ohne Umweltzerstörung. Stra- werden – in Form höherer Löhne, kürzerer Arbeitszei- tegien für eine neue Wirtschaftspolitik. Überarb. Fassung. ten oder durch eine höhere Aneignung durch die öf- Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag. Fischer fentlichen Haushalte zur Finanzierung auch durch die Taschenbuch 4189. demografische Entwicklung gefährdeter Sozialver- Blasch, J., Schubert, R., Soete, B. (2010): Grün aus der sicherungen? Krise. Was können „grüne“ Konjunkturpakete leisten? Solche grundlegenden Fragen einer Vorsorgestrategie, die Zürich: ETH Zürich, Institute for Environmental Deci- Wachstumsrisiken in einer begrenzten Welt antizipiert, sions. IED Working Paper 10. bedürfen einer gründlichen natur- und gesellschaftswis- BMWi (Bundesministerium für Wirtschaft und Technolo- senschaftlichen Vorbereitung und einer breiten öffentli- gie) (2011): Energiedaten. Energiegewinnung und Ener- chen Diskussion. gieverbrauch. Tabelle 6: Endenergieverbrauch nach Ener- gieträgern. Deutschland. http://www.bmwi.de/BMWi/ 1.8 Literatur Navigation/Energie/Statistik-und-Prognosen/Energieda Aghion, P., Howitt, P. (2009): The economics of growth. ten/energiegewinnung-energieverbrauch.html Cambridge, Mass., London: MIT Press. (19.12.2011). Allenby, B. R. (Hrsg.) (1994): The Greening of Industrial BMWi, BMU (Bundesministerium für Umwelt, Natur- Ecosystems. Washington, DC: National Academy Press. schutz und Reaktorsicherheit) (2010): Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Apergis, N., Payne, J. E. (2009): Energy consumption and Energieversorgung. Berlin: BMWi, BMU. economic growth: Evidence from the Commonwealth of Independent States. Energy Economics 31 (5), Böcher, M. (2007): Wissenschaftliche Politikberatung S. 641–647. und politischer Prozess. In: Krott, M., Suda, M. (Hrsg.): Macht Wissenschaft Politik? Erfahrungen wissenschaftli- Ayres, R. U., Warr, B. (2010): The Economic Growth En- cher Beratung im Politikfeld Wald und Umwelt. Wiesba- gine. How Energy and Work Drive Material Prosperity. den: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 14–42. Cheltenham, Northampton, Mass.: Edward Elgar. Bofinger, P. (2010): Ist der Markt noch zu retten? Warum Bachmann, G., Steuwer, S. (2010): Nachhaltigkeits-Indi- wir jetzt einen starken Staat brauchen. Akt. Ausg., katoren zur Messung der gesamtwirtschaftlichen Ent- 1. Aufl. Berlin: Ullstein. Ullstein 37341. wicklung. Gutachten an den Sachverständigenrat zur Be- gutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zum Bourcade, K., Herzmann, K. (2006): Normalfall expo- Bericht der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission. Berlin: nentielles Wachstum? Ein internationaler Vergleich. Zeit- Rat für Nachhaltige Entwicklung. schrift für Wachstumsstudien 2006 (2), S. 4–10. Bandura, R. (2008): A Survey of Composite Indices Bradshaw, C. J. A., Giam, X., Sodhi, N. S. (2010): Evalu- Measuring Country Performance: 2008 Update. New ating the Relative Environmental Impact of Countries. York: Office of Development Studies, United Nations PLoS ONE 5 (5), S. 1–16. Development Programme. Braun, D. (1998): Der Einfluß von Ideen und Überzeu- Bär, H., Jacob, K., Werland, S. (2011): Green Economy gungsystemen auf die politische Problemlösung. Politi- Discourses in the Run-up to Rio 2012. Berlin: For- sche Vierteljahresschrift 39 (4), S. 797–818. schungszentrum für Umweltpolitik. FFU-Report Bringezu, S. (2009): Targets for Global Resource 07–2011. Consumption. Vortrag, Factor X: Policies, strategies and Barro, R. J., Sala-i-Martin, X. (2004): Economic Growth. instruments towards a sustainable resource use. Work- 2nd ed. Cambridge, Mass.: MIT Press. shop des Umweltbundesamtes, 18.06.2009, Berlin. Beck, S., Born, W., Dziock, S., Görg, C., Hansjürgens, B., Bringezu, S., Bleischwitz, R. (Hrsg.) (2009): Sustainable Henle, K., Jax, K., Köck, W., Neßhöver, C., Rauschmayer, resource management: Global trends, visions and poli- F., Ring, I., Schmidt-Loske, K., Unnerstall, H., Wittmer, H. cies. Sheffield: Greenleaf Publishing.

55 Die neue Wachstumsdebatte

Bringezu, S., Schütz, H. (2009): Nachhaltige Flächennut- Daly, H. E. (2005): Economics in a full world. Scientific zung und nachwachsende Rohstoffe. Optionen einer American 293 (3), S. 100–107. nachhaltigen Flächennutzung und Ressourcenschutzstra- tegien unter besonderer Berücksichtigung der nachhalti- Daly, H. E. (1997): Georgescu-Roegen versus Solow/ gen Versorgung mit nachwachsenden Rohstoffen. Des- Stiglitz. Ecological Economics 22 (3), S. 261–266. sau-Roßlau: Umweltbundesamt. UBA-Texte 34/09. Daly, H. E. (1996): Beyond Growth. The Economics of Brondízio, E. S., Gatzweiler, F. (2010): Socio-cultural Sustainable Development. Boston, Mass.: Beacon Press. context of ecosystem and biodiversity valuation. In: Daly, H. E. (1992): Allocation, distribution, and scale: Kumar, P. (Hrsg.): The economics of ecosystems and bio- towards an economics that is efficient, just, and sustaina- diversity – Economical and ecological foundations. Lon- ble. Ecological Economics 1992 (6), S. 185–193. don: Earthscan, S. 149–182. Dasgupta, P., Heal, G. M. (1979): Economic Theory and Bruckmann, P. (2010): Umsetzung wissenschaftlicher Er- Exhaustible Resources. Welwyn: Nisbet. kenntnisse in die Politik am Beispiel der EU Luftquali- täts-Richtlinien. Umweltmedizin in Forschung und Praxis Diefenbacher, H., Zieschank, R. (2009): Wohlfahrtsmes- 15 (2), S. 113–121. sung in Deutschland. Ein Vorschlag für einen nationalen Bruyn, S. M. de, Bergh, J. C. J. M. van den, Opschoor, J. B. Wohlfahrtsindex. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt. (1998): Economic growth and emissions: reconsidering UBA-Texte 02/10. http://www.umweltdaten.de/publika the empirical basis of environmental Kuznets curves. tionen/fpdf-l/3902.pdf (05.07.2010). Ecological Economics 25 (2), S. 161–175. Domar, E. D. (1968): Kapitalexpansion, Wachstumsrate Bundesregierung (2008): Für ein nachhaltiges Deutsch- und Beschäftigung. In: König, H. (Hrsg.): Wachstum und land. Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen Nachhaltig- Entwicklung der Wirtschaft. Köln: Kiepenheuer & keitsstrategie. Berlin: Presse- und Informationsamt der Witsch. Neue wissenschaftliche Bibliothek 23, S. 55–66. Bundesregierung. Doyle, U., Vohland, K., Rock, J., Schümann, K., Ristow, M. Buyny, Š., Klink, S., Lauber, U. (2009): Weiterentwick- (2007): Nachwachsende Rohstoffe – eine Einschätzung lung des direkten Materialinputindikators. Endbericht. aus Sicht des Naturschutzes. Natur und Landschaft 82 Dessau-Roßlau, Wiesbaden: Umweltbundesamt, Statisti- (12), S. 529–535. sches Bundesamt. Dujmovits, R. (2009): Nicht erneuerbare Ressourcen, Capra, F., Henderson, H. (2009): Qualitative Growth. A Grenzen des Wachstums und Fallstricke des technologi- conceptual framework for finding solutions to our current schen Optimismus. Graz: Universität Graz, Institut für Fi- crisis that are economically sound, ecologically sustain- nanzwissenschaft und Öffentliche Wirtschaft. Working able, and socially just. London: Institute of Chartered Paper 2009–1. Accountants in England and Wales. Easterlin, R. A. (1974): Does Economic Growth Improve Chontanawat, J., Hunt, L. C., Pierse, R. (2008): Does the Human Lot? In: David, P. A., Reder, M. W. (Hrsg.): energy consumption cause economic growth?: Evidence Nations and Households in Economic Growth: Essays in from a systematic study of over 100 countries. Journal of Honor of Moses Abramovitz. New York: Academic Policy Modeling 30 (2), S. 209–220. Press, S. 89–125. Cleveland, C. J., Ruth, M. (1997): When, where, and by ECF (European Climate Foundation), McKinsey & how much do biophysical limits constrain the economic Company, KEMA, The Energy Futures Lab at Imperial process? A survey of Nicholas Georgescu-Roegen's College London, Oxford Economics (2010): Roadmap contribution to ecological economics. Ecological Econo- 2050: A practical guide to a prosperous, low-carbon mics 22 (3), S. 203–223. Europe. Vol. 1: Technical analysis. Den Haag: ECF. http: //www.roadmap2050.eu/attachments/files/Volume1_full Costanza, R., D'Arge, R., Groot, R. de, Farber, S., Grasso, M., report_PressPack.pdf (20.04.2010). Hannon, B., Limburg, K., Naeem, S., O'Neill, R. V., Paruelo, J., Raskin, R. G., Sutton, P., Belt, M. van den Edenhofer, O., Knopf, B., Barker, T., Baumstark, L., Bel- (1997): The value of the world's ecosystem services and levrat, E., Chateau, B., Criqui, P., Isaac, M., Kitous, A., natural capital. Nature 387 (6630), S. 253–260. Kypreos, S., Leimbach, M., Lessmann, K., Magné, B., Scrieciu, S., Turton, H., Vuuren, D. P. van (2010): The Crutzen, P. J. (2002): Geology of mankind. Nature 415 Economics of Low Stabilization: Model Comparison of (6867), S. 23. Mitigation Strategies and Costs. The Energy Journal 31 (Special Issue 1), S. 11–48. Cullen, J. M., Allwood, J. M., Borgstein, E. H. (2011): Reducing Energy Demand: What are the Practical Edenhofer, O., Knopf, B., Kalkuhl, M. (2009): CCS: Limits? Environmental Science & Technology 45 (4), CO2-Sequestrierung: Ein wirksamer Beitrag zum Klima- S. 1711–1718. schutz? ifo Schnelldienst 62 (3), S. 3–6. Daly, H. E. (2009): Steady-State-Ökonomie. Ein Wirt- EEA (European Environment Agency) (2010a): The Eu- schaftssystem des langfristigen Gleichgewichts. ropean environment – State and outlook 2010. Assess- Zeitschrift für Sozialökonomie 162/163, S. 39–42. ment of global megatrends. Copenhagen: EEA.

56 Literatur

EEA (2010b): The European environment – State and FAO (Food and Agriculture Organisation) (2009): The outlook 2010. Synthesis. Copenhagen: EEA. state of world fisheries and aquaculture 2008. Rome: FAO. Ehrlich, P. R., Ehrlich, A. (1981): Extinction: The Causes and Consequences of the Disappearance of Species. New Fischer-Kowalski, M., Swilling, M., Weizsäcker, E. U. von, York, NY: Random House. Ren, Y., Moriguchi, Y., Crane, W., Krausmann, F., Ekins, P. (2000): Economic Growth and Environmental Eisenmenger, N., Giljum, S., Hennicke, P., Romero Sustainability. The prospects for green growth. London, Lankao, P., Siriban Manalang, A. (2011): Decoupling nat- New York: Routledge. ural resource use and environmental impacts from eco- nomic growth. A report of the Working Group on Decou- Elsenhans, H. (2011): The rise and demise of the capita- pling to the International Resource Panel. Genf: United list world system. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag. Nations Environment Programme. Enderlein, H. (2010): Wenn der Kuchen nicht mehr grö- Fitoussi, J.-P., Laurent, É. (2008): La nouvelle écologie ßer wird. Berliner Republik 2010 (2). http://www.b-repu politique. Économie et développement humain. Paris: blik.de/archiv/wenn-der-kuchen-nicht-mehr-groesser- Éditions du Seuil et La République des Idées. wird (02.03.2012). Flipo, F., Schneider, F. (Hrsg.) (2008): Proceedings of the EREC (European Renewable Energy Council) (2010): RE-thinking 2050. A 100% Renewable Energy Vision for First International Conference on Economic De-Growth the European Union. Brüssel: EREC for Ecological Sustainability and Social Equity. Paris, 18.–19. April 2008. Paris. EREC , Greenpeace International (Hrsg.) (2010): Energy [R]evolution. A Sustainable World Energy Outlook. 3rd FoEE (Friends of the Earth Europe), SEI (Stockholm ed. Brussels, Amsterdam: EREC, Greenpeace Internatio- Environment Institute) (2009): The 40% Study. Mobili- nal. sing Europe to achieve climate justice. Brüssel, Stock- holm: FoEE, SEI. Eser, U., Neureuther, A.-K., Müller, A. (2011): Klugheit, Glück, Gerechtigkeit. Ethische Argumentationslinien in Frey, B. S., Frey Marti, C. (2010): Glück – Die Sicht der der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Bonn- Ökonomie. Wirtschaftsdienst 90 (7), S. 458–463. Bad Godesberg: Bundesamt für Naturschutz. Naturschutz und Biologische Vielfalt 107. Friedman, B. M. (2005): The Moral Case for Growth. The International Economy 40 (Fall 2005), S. 40–45. Europäische Kommission (2011a): Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, Frondel, M., Peters, J., Vance, C. (2008): Identifying the the European Economic and Social Commitee and the Rebound: Evidence from a German Household Panel. Commitee of the Regions. Energy Roadmap 2050. The Energy Journal 29 (4), S. 154–163. COM(2011) 885/2. Brüssel: Europäische Kommission. Frondel, M., Schmidt, C. M. (2004): Facing the truth Europäische Kommission (2011b): Mitteilung der Kom- about separability: nothing works without energy. Ecolo- mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- gical Economics 51 (3–4), S. 217–223. ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Genschel, P., Zangl, B. (2007): Die Zerfaserung von Ausschuss der Regionen. Fahrplan für den Übergang zu Staatlichkeit und die Zentralität des Staates. Aus Politik einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis und Zeitgeschichte 2007 (20–21), S. 10–16. 2050. KOM(2011) 112 endg. Brüssel: Europäische Kom- mission. Georgescu-Roegen, N. (1971): The entropy law and eco- nomic process. Cambridge, Mass.: Harvard University Europäische Kommission (2011c): Mitteilung der Kom- Press. mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Giddens, A. (2009): The politics of climate change. Cam- Ausschuss der Regionen. Lebensversicherung und Natur- bridge: Polity Press. kaptial: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020. KOM(2011) 244 endg. Brüssel: Europäische Kom- Girod, B., Haan, P. de (2009): GHG reduction potential of mission. changes in consumption patterns and higher quality levels from Swiss household consumption survey. Energy Europäische Kommission (2011d): Mitteilung der Kom- Policy 37 (12), S. 5650–5661. mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Gómez-Baggethun, E., Groot, R. de, Lomas, P. L., Mon- Ausschuss der Regionen. Ressourcenschonendes Europa – tes, C. (2010): The history of ecosystem services in eco- eine Leitinitiative innerhalb der Strategie Europa 2020. nomic theory and practice: From early notions to markets KOM(2011) 21 endg. Brüssel: Europäische Kommission. and payment schemes. Ecological Economics 69 (1), S. 1209–1218. Europäische Kommission (2007): Beyond GDP. Measu- ring progress, true wealth and the well-being of nations Grahl, J., Kümmel, R. (2006): Produktionsfaktor Energie – Brüssel: Europäische Kommission, GD Umwelt und GD Der stille Riese. Energie & Zukunft 1, S. 1–20. http:// Eurostat. http://www.beyond-gdp.eu/ (19.12.2011). www.sfv.de/pdf/prodelaspdf.pdf (02.03.2012).

57 Die neue Wachstumsdebatte

Haas, P. M. (2004): When does power listen to truth? A Höpflinger, F. (2010): Alterssicherungssysteme: Doppelte constructivist approach to the policy process. Journal of Herausforderung von demografischer Alterung und Post- European Public Policy 11 (4), S. 569–592. wachstum. In: Seidl, I., Zahrnt, A. (Hrsg.): Postwachs- tumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft. Marburg: Haas, P. M. (1992): Introduction: Epestemic Communi- Metropolis-Verlag. Ökologie und Wirtschaftsforschung ties and International Policy Coordination. International 87, S. 53–63. Organization 46 (1), S. 1–35. Huesemann, M. H. (2003): The limits of technological Haas, P. M., Keohane, R. O., Levy, M. A. (Hrsg.) (1993): solutions to sustainable development. Clean Technologies Institutions for the Earth. Sources of Effecitve Internatio- and Environmental Policy 5 (1), S. 21–34. nal Environmental Protection. Cambridge, Mass.: MIT Press. IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) (2011): Summary for Policy Makers. In: IPCC Haberl, H., Erb, K. H., Krausmann, F., Gaube, V., Bondeau, A., Plutzar, C., Gingrich, S., Lucht, W., (Intergovernmental Panel on Climate Change) (Hrsg.): Fischer-Kowalski, M. (2007): Quantifying and mapping Renewable Energy Sources and Climate Change Mitiga- tion. Special Report of the Intergovernmental Panel on the human appropriation of net primary production in the Earth's terrestrial ecosystems. Proceedings of the Natio- Climate Change. Cambridge: Cambridge University Press, S. 3–26. nal Academy of Sciences 104 (31), S. 12942–12947. Habermas, J. (1992): Faktizität und Geltung. Beiträge zur IPCC (2007): Climate Change 2007: Impacts, Adaptation Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen and Vulnerability. Contribution of Working Group II to Rechtsstaats. 4. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge: Cambridge Uni- Hansen, J., Sato, M., Kharecha, P., Beerling, D., Berner, R., versity Press. Masson-Delmotte, V., Pagani, M., Raymo, M., Royer, D. L., Zachos, J. C. (2008): Target atmospheric CO2: Where Jackson, T. (2009a): Prosperity without growth. Econo- should humanity aim? Open Atmospheric Science Jour- mics for a finite planet. London: Earthscan. nal 2008 (2), S. 217–231. Jackson, T. (2009b): Prosperity without growth? The Harrod, R. F. (1968): Ein Essay zur dynamischen Theo- transition to a sustainable economy. London: Sustainable rie. In: König, H. (Hrsg.): Wachstum und Entwicklung Development Commission UK. der Wirtschaft. Köln: Kiepenheuer & Witsch. Neue wis- Jaeger, C. C. (2011): Wachstum – wohin? Eine kurze Ge- senschaftliche Bibliothek 23, S. 35–54. schichte des 21. Jahrhunderts. München: oekom. Carl- Hausmann, R., Velasco, A., Rodrik, D. (2008): Growth von-Carlowitz-Reihe 2. diagnostics. In: Serra, N., Stiglitz, J. E. (Hrsg.): The Jaeger, C. C., Horn, G., Lux, T. (2009): Eckpunkte einer Washington Consensus reconsidered: Towards a new nachhaltigen Antwort auf die Wachstumskrise. Gutachten global governance. Oxford ; New York: Oxford Univer- im Rahmen der Studie „Wege aus der Wachstumskrise“. sity Press, S. 324–355. Potsdam, Kiel, Düsseldorf: European Climate Forum, In- Helm, D. R. (2010): Rethinking the Economic Borders of stitut für Weltwirtschaft, Institut für Makroökonomie und the State. London: The Social Market Foundation. Konjunkturforschung, Potsdam-Institut für Klimafolgen- forschung. Helpman, E. (2004): The Mystery of Economic Growth. Cambridge, Mass.: Belknap Press. Jaeger, C. C., Paroussos, L., Mangalagiu, D., Kupers, R., Mandel, A., Tabara, J. D. (2011): A New Growth Path for Hertin, J., Hey, C., Ecker, F. (2010): The Future of the Europe. Generating Prosperity and Jobs in the Low-Car- European Electricity Supply: Moving from Energy-Mix bon Economy. Synthesis Report. Potsdam: European Projections to Renewables-Based Scenarios. Renewable Climate Forum. Energy Law and Policy Review 1 (2), S. 131–139. Jänicke, M. (2010a): Die Akzeleration von technischem Hinterberger, F., Hutterer, H., Omann, I., Freytag, E. Fortschritt in der Klimapolitik – Lehren aus Erfolgsfällen. (Hrsg.) (2009): Welches Wachstum ist Nachhaltig? Ein Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht 33 (4), Argumentarium. Wien: Mandelbaum. S. 367–389. Hirsch, F. (1980): Die sozialen Grenzen des Wachstums. Jänicke, M. (2010b): Innovationstempo in der Klimapoli- Eine ökonomische Analyse der Wachtumskrise. Reinbeck tik forcieren! In: Altner, G., Leitschuh, H., Michelsen, G., bei Hamburg: Rowohlt. Simonis, U. E., Weizsäcker, E. U. von (Hrsg.): Die Holzinger, H. (2010): Wirtschaften jenseits von Wachs- Klima-Manipulateure – Rettet uns Politik oder Geo-Engi- tum? Befunde und Ausblicke. Salzburg: Robert-Jungk- neering? Stuttgart: Hirzel. Jahrbuch Ökologie 2011, Bibliothek für Zukunftsfragen. Zukunftsdossiers 1. S. 138–147. Homer-Dixon, T. (2006): The upside of down. Catastro- Jänicke, M. (2008): Megatrend Umweltinnovation. Zur phe, creativity and the renewal of civilization. ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Staat. Washington, Covelo, London: Island Press. München: oekom.

58 Literatur

Jänicke, M. (2001): Towards an end to the „Era of Materi- Lawn, P. (2010): Facilitating the transition to a steady- als“? Discussion of a hypothesis. In: Binder, M., Jänicke, M., state economy: Some macroeconomic fundamentals. Petschow, U. (Hrsg.): Green Industrial Restructuring. In- Ecological Economics 69 (5), S. 931–936. ternational Case Studies and Theoretical Interpretations. Berlin: Springer, S. 45–57. Leeuw, S. van der (2010): The archaeology of innovation: Lessons for our times. In: Moss, F., Machover, T. E. Jänicke, M., Jacob, K. (2008): Eine Dritte Industrielle Re- (Hrsg.): Innovation: Perspectives for the 21st Century. volution? Wege aus der Krise des ressourcenintensiven Madrid: BBVA, S. 33–53. Wachstums. In: BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) (Hrsg.): Die Dritte Lenzen, M., Wier, M., Cohen, C., Hayami, H., Pachauri, S., Industrielle Revolution – Aufbruch in ein Ökologisches Schaeffer, R. (2006): A comparative multivariate analysis Jahrhundert. Dimensionen und Herausfoderungen des in- of household energy requirements in Australia, Brazil, dustriellen und gesellschaftlichen Wandels. Berlin: BMU, Denmark, India and Japan. Energy 31 (2–3), S. 181–207. S. 10–31. Lowi, T. J. (1972): Four Systems of Policy, Politics, and Jänicke, M., Volkery, A. (2001): Persistente Probleme des Choice. Public Administration Review 32 (4), Umweltschutzes. Natur und Kultur 2 (2), S. 45–59. S. 298–310. Jarass, L. (2010): Faire und Effiziente Steuerpolitik. In: MA (Millennium Ecosystem Assessment) (2003): Seidl, I., Zahrnt, A. (Hrsg.): Postwachstumsgesellschaft. Ecosystems and Human Well-being: A Framework for Konzepte für die Zukunft. Marburg: Metropolis-Verlag. Assessment. Washington, DC: Island Press. Ökologie und Wirtschaftsforschung 87, S. 155–166. MacLean, H., Duchin, F., Hagelücken, C., Halada, K., Johnson, I. (2010): The New Economics of Growth, Kesler, S. E., Moriguchi, Y., Mueller, D., Norgate, T. E., Wealth and Real Values: Towards a New Economics for a Reuter, M. A., Voet, E. van der (2010): Stocks, flows, and Global Society. Seed-Ideas. http://www.sd-network.eu/ prospects of mineral ressources. In: Graedel, T. E., Voet, pdf/doc_workshops/2010%20berlin/ E. van der (Hrsg.): Linkages of sustainability. Cambridge, Ian%20Johnson%20-%20The%20New%20Economics% Mass., London: MIT Press, S. 199–218. 20of%20Growth.pdf (22.12.2011). Majer, H. (Hrsg.) (1984): Qualitatives Wachstum Einfüh- Jones, C. I. (2002): Introduction to Economic Growth. rung in Konzeptionen der Lebensqualität Frankfurt am 2nd ed. New York, NY: Norton. Main: Campus Verlag. Kaldor, N., Mirrlees, J. A. (1968): Ein neues Modell des Meadows, D., Meadows, D., Zahn, E., Milling, P. (1972): wirtschaftlichen Wachstums. In: König, H. (Hrsg.): Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome Wachstum und Entwicklung der Wirtschaft. Köln: zur Lage der Menschheit. Stuttgart: Deutsche Verlags- Kiepenheuer & Witsch. Neue wissenschaftliche Biblio- Anstalt. thek 23, S. 97–124. Meyer, B., Meyer, M., Distelkamp, M. (2011): The Policy Kenworthy, L. (2011a): Is heavy taxation bad for the Implications of Economy-Wide Rebound Effects: In- Economy? http://lanekenworthy.net/2011/05/22/is-heavy- sights From A Macroeconomic Model Simulation of taxation-bad-for-the-economy/ (15.12.2011). Concurrent Climate Policy and Resource Efficiency Actions for . Vortrag, European Association of Kenworthy, L. (2011b): Progress for the Poor. Oxford: Environmental and Resource Economists, 18th Annual Oxford University Press. Conference, 02.07.2011, Rome. Kenworthy, L. (2010): Economic Growth, Social Policy Miegel, M. (2010): Exit. Wohlstand ohne Wachstum. and Poverty. Social Science Research Network. Tomor- 3. Aufl. Berlin: Propyläen. row´s Research Today. http://papers.ssrn.com/sol3/pa pers.cfm?abstract_id=1666931 (15.12.2011). Mitchell, W., Muysken, J. (2008): Full Employment Abandoned. Shifting Sands and Policy Failures. Chelten- Koo, R. (2003): Balance Sheet Recession. Japan´s ham: Edward Elgar. struggle with uncharted economies and its global implica- tions. Clementi Loop, Singapore: Wiley. Mol, A. P. J., Sonnenfeld, D. A. (Hrsg.) (2000): Ecologi- cal Modernization Around the World. Perspectives and Kronenberg, T. (2010): Finding common ground between Critical Debates. London, Portland, Or.: Frank Cass. ecological economics and post-Keynesian economics. Ecological Economics 60 (7), S. 1488–1494. Moore, N. aus dem, Drautz, C., Graeger, L., Hommer, M., Jacobi, B., Leipprand, A., Lemke, M., Türk, V., Gracht, Larigauderie, A., Mooney, H. (2010): The Intergovern- H. von der (2010): Wohlstand ohne Wachstum. Analyse mental science-policy Platform on Biodiversity and Eco- von Wechselbeziehungen der drei Ökonomien. Berlin: system Services: moving a step closer to an IPCC-like Stiftung Neue Verantwortung. Policy Paper 2/10. http:// mechanism for biodiversity. Current Opinion in Environ- www.stiftung-nv.de/143667,1031,111427,-1.aspx mental Sustainability 2 (1–2), S. 9–14. (11.10.2010). Latouche, S. (2010): Editorial: Degrowth. Journal of Narayan, P. K., Prasad, A. (2008): Electricity consump- Cleaner Production 18, S. 519–522. tion-real GDP causality nexus: Evidence from a boot-

59 Die neue Wachstumsdebatte strapped causality test for 30 OECD countries. Energy Peukert, H. (2011): Die große Finanzmarkt- und Staats- Policy 36 (2), S. 910–918. schuldenkrise. Eine kritisch-heterodoxe Untersuchung. 3., erg. und akt. Aufl. Marburg: Metropolis-Verlag. Niekisch, M. (2006): Internationale Entwicklungspolitik vor dem Hintergrund schwindender biologischer Res- Pollitt, H., Barker, A., Barton, J., Pírgmaier, E., Polzin, C., sourcen: Ein Beitrag zu den Beziehungen zwischen Na- Lutter, S., Hinterberger, F., Stocker, A. (2010): A Scoping turschutz und Entwicklungszusammenarbeit. Natur und Study on the Macroeconomic View of Sustainability. Landschaft 81 (9–10), S. 484–486. Final Report for the European Commission, DG Environ- ment. Cambridge, Wien: Cambridge Econometrics, Nitsch, H., Osterburg, B., Buttlar, C. von, Buttlar, H.-B. von Sustainable Europe Research Institute. (2008): Aspekte des Gewässerschutzes und der Gewäs- sernutzung beim Anbau von Energiepflanzen. Braun- Priewe, J., Rietzler, K. (2010): Deutschlands nachlas- schweig: Institut für Ländliche Räume, vTI. Arbeitsbe- sende Investitionsdynamik 1991–2010. Ansatzpunkte für richte aus der vTI-Agrarökonomie 03/08. ein neues Wachstumsmodell. Berlin: Friedrich-Ebert-Stif- tung. OECD (Organisation for Economic Co-operation and De- velopment) (2011a): Tools for Delivering on Green PwC (PricewaterhouseCoopers), PIK (Potsdam-Institut Growth. Paris: OECD. für Klimafolgenforschung), IIASA (International Insti- tute for Applied Systems Analysis), ECF (European Cli- OECD (2011b): Towards Green Growth. Paris: OECD. mate Forum) (2010): 100% renewable electricity. A road- OECD (2008): OECD Environmental Outlook to 2030. map to 2050 for Europe and North Africa. London, Paris: OECD. Potsdam, Laxenburg: PwC, PIK, IIASA, ECF. http:// www.pwc.co.uk/pdf/100_percent_renewable_electricity. Offe, C., Borchert, J. (2006): Strukturprobleme des kapi- pdf (06.04.2010). talistischen Staates: Aufsätze zur Politischen Soziologie. Veränd. Neuausg. . Frankfurt am Main, New York: Cam- Raskin, P. D., Electris, C., Rosen, R. A. (2010): The Cen- pus. tury Ahead: Searching for Sustainability. Sustainability 2010 (2), S. 2626–2651. Öko-Institut, Prognos AG (2009): Modell Deutschland – Klimaschutz bis 2050: Vom Ziel her denken. Endbericht. Reid, W. V., Mooney, H. A., Cropper, A., Capistrano, D., Basel, Freiburg: Prognos AG, Öko-Institut. Carpenter, S. R., Chopra, K., Dasgupta, P., Dietz, T., Duraiappah, A. K., Hassan, R., Kasperson, R., Leemans, Ott, K. (2009): Zur Begründung der Konzeption starker R., May, R. M., McMichael, T., Pingali, P., Samper, C., Nachhaltigkeit. In: Hey, C., Koch, H.-J. (Hrsg.): Zwi- Scholes, R., Watson, R. T., Zakri, A. H., Shidong, Z., schen Wissenschaft und Politik. 35 Jahre Gutachten des Ash, N. J., Bennett, E., Kumar, P., Lee, M. J., Raudsepp- Sachverständigenrates für Umweltfragen. Berlin: Erich Hearne, C., Simons, H., Thonell, J., Zurek, M. B. (2005): Schmidt. Materialien zur Umweltforschung 38, S. 63–88. Ecosystems and Human Well-being. Synthesis. A Report of the Millennium Ecosystem Assessment. Washington, Paech, N. (2009a): Die Postwachstumsökonomie – ein DC: Island Press. Vademecum. Zeitschrift für Sozialökonomie 160–161, S. 28–31. Reuter, N. (2010): Der Arbeitsmarkt im Spannungsfeld von Wachstum, Ökologie und Verteilung. In: Seidl, I., Paech, N. (2009b): Wachstum „light“? Qualitatives Zahrnt, A. (Hrsg.): Postwachstumsgesellschaft. Konzepte Wachstum ist eine Utopie. Wissenschaft & Umwelt Inter- für die Zukunft. Marburg: Metropolis-Verlag. Ökologie disziplinär 2009 (13), S. 84–93. und Wirtschaftsforschung 87, S. 85–102. Paqué, K.-H. (2010): Wachstum! Die Zukunft des globa- Reuter, N. (2000): Ökonomik der „Langen Frist“. Zur len Kapitalismus. München: Hanser. Evolution der Wachstumsgrundlagen in Industriegesell- Patt, A., Komendantova, N., Battaglini, A., Lilliestam, J. schaften. Marburg: Metropolis-Verlag. (2011): Regional integration to support full renewable Rockström, J., Costanza, R., Will, S. (2011): How defi- power deployment for Europe by 2050. Environmental ning planetary boundaries can transform our approach to Politics 20 (5), S. 727–742. growth. Solutions 2 (3). http://www.thesolutionsjour- Payne, J. E. (2010): A survey of the electricity consump- nal.com/node/935 (15.12.2011). tion-growth literature. Applied Energy 87 (3), Rockström, J., Steffen, W., Noone, K., Persson, Å., Cha- S. 723–731. pin, F. S., Lambin, E. F., Lenton, T. M., Scheffer, M., PBL (Netherlands Enviornmental Assessment Agency) Folke, C., Schellnhuber, H. J., Nykvist, B., Wit, C. A. de, (2009): Growing within Limits. A Report to the Global Hughes, T., Leeuw, S. van der, Rodhe, H., Sörlin, S., Assembly 2009 of the Club of Rome. Bilthoven: PBL. Snyder, P. K., Costanza, R., Svedin, U., Falkenmark, M., Karlberg, L., Corell, R. W., Fabry, V. J., Hansen, J., Pennekamp, J. (2011): Wohlstand ohne Wachstum. Ein Walker, B., Liverman, D., Richardson, K., Crutzen, P., Literaturüberblick. Köln: Max-Planck-Institut für Gesell- Foley, J. A. (2009): A safe operating space for humanity. schaftsforschung. MPIfG Working Paper 11/1. Nature 461 (7263), S. 472–475.

60 Literatur

Romer, D. (2012): Advanced macroeconomics. 4th ed. Solow, R. M. (1997): Reply: Georgescu-Roegen versus New York, NY: McGraw-Hill, Irwin. Solow-Stiglitz. Ecological Economics 22 (3), S. 267–268. Romer, P. M. (1990): Endogenous Technological Change. Journal of Political Economy 98 (5,2), S. 71–102. Solow, R. M. (1974): The Economics of Resources or the Resources of Economics. The Ameridan Economic Re- Sachs, W., Santarius, T. (2005): Fair Future. Begrenzte view 64 (2), S. 1–14. Ressourcen und Globale Gerechtigkeit. Ein Report. Wup- pertal: Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie. Solow, R. M. (1968): Ein Beitrag zur Theorie des wirt- schaftlichen Wachstums. In: König, H. (Hrsg.): Wachs- SCBD (Secretariat of the Convention on Biological Di- tum und Entwicklung der Wirtschaft. Köln: Kiepenheuer versity) (2010a): COP 10 Decision X/2. Strategic Plan for & Witsch. Neue wissenschaftliche Bibliothek 23, Biodiversity 2011–2020. Montreal: SCBD. http:// S. 67–96. www.cbd.int/decision/cop/?id=12268 (19.12.2011). SCBD (2010b): Global Biodiversity Outlook 3. Execu- Sorrell, S. (2010): Energy, Economic Growth and Envi- tive Summary. Montréal: SCBD. http://www.cbd.int/gbo/ ronmental Sustainability: Five Propositions. Sustainabi- gbo3/doc/GBO3-Summary-final-en.pdf (19.12.2011). lity 2 (6), S. 1784–1809. Scharpf, F. W. (2011): Monetary Union, Fiscal Crisis and Sorrell, S. (2007): The Rebound Effect: An assessment of the Preemption of Democracy. Köln: Max-Planck-Institut the evidence for economy-wide energy savings from im- für Gesellschaftsforschung. MPIfG Discussion Paper 11/ proved energy efficiency. London: UK Energy Research 11. Centre. Scharpf, F. W. (2006): The Joint-Decision Trap Revisited. Spangenberg, J. H. (2010): The growth discourse, growth Journal of Common Market Studies 44 (4), S. 845–864. policy and sustainable development: two thought experi- ments. Journal of Cleaner Production 18 (6), S. 561–566. Scherhorn, G. (2010): Hintergrundpapier zur Tagung „Politik in der Wachstumsfalle“. Vortrag, Tagung „Politik SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen) (2011a): in der Wachstumsfalle“, 2.–4.07.2010, Loccum. Fischbestände nachhaltig bewirtschaften. Zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik. Berlin: SRU. Stellung- Schmidt-Bleek, F. (2009): Wo bleibt die Faktor-10-Revo- nahme 16. lution? Die Regierung ist am Zug. DNR-Themenheft 2009 (2), S. 4–5. SRU (2011b): Ökologische Leitplanken setzen, natürliche Lebensgrundlagen schützen – Empfehlungen zum Fort- Schor, J. B. (2010): Plenitude. The New Economics of schrittsbericht 2012 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrate- True Wealth. New York: Penguin Press. gie. Berlin: SRU. Kommentar zur Umweltpolitik 9. Schümann, K., Engel, J., Frank, K., Huth, A., Luick, R., SRU (2011c): Vorsorgestrategien für Nanomaterialien. Wagner, F. (2010): Naturschutzstandards für den Biomas- Sondergutachten. Berlin: Erich Schmidt. seanbau. Ergebnisse des gleichnamigen F+E-Vorhabens (FKZ 3507 82-150). Bonn-Bad Godesberg: Bundesamt SRU (2011d): Wege zur 100 % erneuerbaren Stromver- für Naturschutz. Naturschutz und Biologische Vielfalt sorgung. Sondergutachten. Berlin: Erich Schmidt. 106. SRU (2009): Für eine zeitgemäße Gemeinsame Agrarpo- Schütz, H., Bringezu, S. (2008): Ressourcenverbrauch litik (GAP). Berlin: SRU. Stellungnahme 14. von Deutschland – aktuelle Kennzahlen und Begriffsbe- SRU (2008): Umweltgutachten 2008. Umweltschutz im stimmungen. Erstellung eines Glossars zum „Ressourcen- Zeichen des Klimawandels. Berlin: Erich Schmidt. begriff“ und Berechnung von fehlenden Kennzahlen des Ressourcenverbrauchs für die weitere politische Analyse. SRU (2007): Klimaschutz durch Biomasse. Sondergut- Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt. UBA-Texte 02/08. achten. Berlin: Erich Schmidt. www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3426.pdf SRU (2002): Umweltgutachten 2002. Für eine neue Vor- (04.01.2012). reiterrolle. Stuttgart: Metzler-Poeschel. Seidl, I., Zahrnt, A. (2010a): Staatsfinanzen und Wirt- Steffen, W., Crutzen, P. J., McNeill, J. R. (2007): The An- schaftswachstum. In: Seidl, I., Zahrnt, A. (Hrsg.): Post- thropocene: Are Humans Now Overwhelming the Great wachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft. Forces of Nature. AMBIO 36 (8), S. 614–621. Marburg: Metropolis-Verlag. Ökologie und Wirtschafts- forschung 87, S. 179–188. Stiglitz, J. E. (1997): Reply: Georgescu-Roegen versus Solow/Stiglitz. Ecological Economics 22 (3), S. 269–270. Seidl, I., Zahrnt, A. (Hrsg.) (2010b): Postwachstumsge- sellschaft. Konzepte für die Zukunft. Marburg: Metropo- Stiglitz, J. E., Sen, A., Fitoussi, J.-P. (2009): Report by the lis-Verlag. Ökologie und Wirtschaftsforschung 87. Commission on the Measurement of Economic Perfor- mance and Social Progress. http://www.stiglitz-sen- Simonis, U. E. (2011): „Ökologischer Strukturwandel“ fitoussi.fr/ documents/rapport_anglais.pdf (05.07.2010). und „Green New Deal“. Beispiele transformativer For- schung. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozial- Streeck, W. (2011): Taking Capitalism Seriously: Toward forschung. an Institutionalist Approach to Contemporary Political

61 Die neue Wachstumsdebatte

Economy. Köln: Max-Planck-Institut für Gesellschafts- Victor, P. A. (2008): Managing without Growth. Slower forschung. MPIfG Discussion Paper 10/15. by Design, Not Disaster. Cheltenham, Northampton, Mass.: Edward Elgar. SVR (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt- wirtschaftlichen Entwicklung), CAE (Conseil d'Analyse Victor, P. A., Rosenbluth, G. (2007): Managing without Economique) (2010): Wirtschaftsleistung, Lebensquali- growth. Ecological Economics 61 (2–3), S. 492–504. tät und Nachhaltigkeit: Ein umfassendes Indikatorensys- tem. Expertise im Auftrag des Deutsch-Französischen Vohland, K., Mlambo, M. C., Horta, L. D., Jonsson, B., Ministerrates. Paris, Wiesbaden: SVR, CAE. http://www. Paulsch, A., Martinze, L. I. (2011): How to ensur a credi- sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/ ble and efficient IPBES? Environmental Science & Expertisen/2010/ex10_de.pdf (04.01.2012). Policy. 14 (8), S. 1188–1194. TEEB (2010): The Economics of Ecosystems & Biodi- Walker, B., Salt, D. (2006): Resilience thinking. Sustaining versity: Mainstreaming the Economics of Nature. A syn- Ecosystems and People in a Changing World. thesis of the approach, conclusions and recommendations Washington, DC: Island Press. of TEEB. Mriehel: Progress Press. WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Thrän, D., Edel, M., Pfeifer, J., Ponitka, J., Rode, M., Globale Umweltveränderungen) (2011): Welt im Wandel. Knispel, S. (2011): Identifizierung strategischer Hemm- Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. nisse und Entwicklung von Lösungsansätzen zur Redu- Hauptgutachten. Berlin: WBGU. zierung von Nutzungskonkurrenzen beim weiteren Aus- WBGU (2009): Welt im Wandel. Zukunftsfähige Bio- bau der Biomassenutzung. Leipzig: Deutsches energie und nachhaltige Landnutzung. Berlin: WBGU. BiomasseForschungsZentrum. DBFZ-Report 4 WBGU (2005): Welt im Wandel. Armutsbekämpfung Torras, M., Boyce, J. K. (1998): Income, inequality, and durch Umweltpolitik. Berlin: Springer. pollution: a reassessment of the environmental Kuznets Curve. Ecological Economics 25 (2), S. 147–160. WBGU (2000): Welt im Wandel. Neue Strukturen globa- ler Umweltpolitik. Berlin: Springer. UNDP (United Nations Development Programme) (2011): Human Development Report 2011. Sustainability WBGU (1997): Ziele für den Klimaschutz 1997. Stel- and Equity: A Better Future for All. New York: UNDP. lungnahme zur dritten Vertragsstaatenkonferenz der Kli- marahmenkonvention in Kyoto. Berlin: WBGU. UNEP (United Nations Environment Programme) (2011): Towards a GREEN economy. Pathways to Sustainable Weizsäcker, E. U. von, Hargroves, K., Smith, M. (2010): Development and Poverty Eradication. A Synthesis for Faktor Fünf: Die Formel für nachhaltiges Wachstum. Policy Makers. Genf: UNEP. München: Droemer. UNEP (2010): GREEN economy. Driving a Green Eco- Welzer, H. (2011): Mentale Infrastrukturen. Wie das nomy Through Public Finance and Fiscal Policy Reform. Wachstum in die Welt und in die Seelen kam. Berlin: Genf: UNEP. Working Paper 10. Heinrich-Böll Stiftung. Schriften zur Ökologie 14. UNEP (2007a): Global Environment Outlook 4: environ- Westley, F., Olsson, P., Folke, C., Homer-Dixon, T., ment for development. Valletta: Progress Press. http:// Vredenburg, H., Loorbach, D., Thompson, J., Nilsson, M., www.unep.org/geo/GEO4/report/GEO-4_Report_Full_ Lambin, E., Sendzimir, J., Banerjee, B., Galaz, V., Leeuw, en.pdf (22.12.2011). S. van der (2011): Tipping Toward Sustainability: Emer- ging Pathways of Transformation. AMBIO 40 (7), UNEP (2007b): Global Environment Outlook 4: environ- S. 726–780. ment for development. Summary for Decision Makers. Valletta: Progress Press. Wilkinson, R., Pickett, K. (2010): The Spirit Level. Why Equality is Better for Everyone. London: Penguin. UNEP, IPSRM (International Panel for Sustainable Re- source Management) (2010): Assessing the Environmen- Wurzel, R. W. (2002): Environmental policy-making in tal Impacts of Consumption and Production: Priority Pro- Britain, Germany and the European Union. The Europea- ducts and Materials. Nairobi: UNEP, IPSRM. http:// nisation of air and water pollution control. Manchester: www.unep.org/resourcepanel/documents/pdf/Priority Manchester University Press. ProductsAndMaterials_Report_Full.pdf (16.07.2010). WWF (World Wide Fund for Nature), Ecofys, OMA (Of- Veenhoven, R. (2012): World Database of Happiness: fice for Metropolitan Architecture) (2011): The Energy Continuous register of scientific research on subjective Report. 100% Renewable Energy by 2050. Gland: WWF. appreciation of life. Rotterdam: Erasmus University. http://www1.eur.nl/fsw/happiness/ (30.01.2012). WWF, Zoological Institute of London, Global Footprint Network (2010): Living Planet Report 2010. Biodiversi- Victor, P. A. (2010): Ecological economics and economic tät, Biokapazität und Entwicklung. Gland, London, Oa- growth. Annals of the New York Academy of Sciences kland, Calif.: WWF, Institute of Zoology, Global Foot- 1185, S. 237–245. print Network.

62 Wohlfahrt und Ressourcennutzung entkoppeln

63

Kapitel 2

Inhaltsverzeichnis Seite

2 Metallische und mineralische Rohstoffe ...... 67

2.1 Problemstellung ...... 67 2.2 Umweltauswirkungen der Rohstoffwirtschaft ...... 68 2.2.1 Auswirkungen auf die biologische Vielfalt ...... 69 2.2.2 Toxische Wirkungen für Mensch und Umwelt ...... 71 2.2.3 Wirkungen auf Grund- und Oberflächenwasser ...... 72 2.2.4 Auswirkungen auf den Energieverbrauch ...... 72 2.2.5 Zwischenfazit ...... 72 2.3 Ziele und Handlungsansätze einer umweltverträglichen Rohstoffwirtschaft ...... 73 2.3.1 Plädoyer für ein zweifaches Entkopplungskonzept ...... 73 2.3.2 Entkopplung von Rohstoffverbrauch und Wohlfahrt ...... 75 2.3.3 Entkopplung von Rohstoffverbrauch und Umweltaus- wirkungen ...... 77 2.3.4 Zieldefinition ...... 78 2.3.5 Indikatoren für Entkopplungsziele ...... 78 2.4 Wege zu einer umweltverträglichen Rohstoffwirtschaft: Instrumente ...... 82 2.4.1 Bergrecht, Naturschutz- und Wasserrecht ...... 82 2.4.2 Ökonomische Anreizinstrumente ...... 85 2.4.3 Instrumente für die Kreislaufführung von Rohstoffen ...... 87 2.4.4 Internationale Ansätze ...... 89 2.5 Fazit und Empfehlungen ...... 92 2.6 Literatur ...... 94

Abbildungen

Abbildung 2-1 Umweltauswirkungen entlang der Wertschöpfungskette . 68 Abbildung 2-2 Weltweite Entnahme von mineralischen und metallischen Rohstoffen 1900 bis 2009 ...... 69 Abbildung 2-3 Erzgehalte in Nickel- und Kupferminen 1885 bis 2010 . . 70 Abbildung 2-4 Produktion 2010 weltweit und Energiebedarf für die Gewinnung ausgewählter Primärmetalle ...... 73 Abbildung 2-5 Die zwei Entkopplungsziele einer umweltverträglichen Rohstoffwirtschaft ...... 74

65 Metallische und mineralische Rohstoffe

Seite

Abbildung 2-6 Hauptumweltbelastungen und -effizienzpotenziale entlang der Wertschöpfungskette ...... 75 Abbildung 2-7 Wege der Rohstoffe im Wirtschaftssystem ...... 79

Tabellen

Tabelle 2-1 Übersicht relevanter Materialflussindikatoren ...... 80 Tabelle 2-2 Handlungsansätze, Instrumente und Anwendungsbei- spiele zur Erreichung der Entkopplungsziele ...... 83

66 Problemstellung

2 Metallische und mineralische Rohstoffe

2.1 Problemstellung Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit (BMU) ergänzt die Strategie und greift dabei 99. Natürliche Ressourcen dienen als Lebensgrundlage nun auch die ökologische Dimension der Rohstoffpolitik und sind Basis der Wirtschaft. Unter Ressourcen sind da- auf (BMU 2011a). Der Schwerpunkt des Programms liegt bei sowohl Wasser, Boden und Luft als auch biotische auf Handlungsansätzen für einen effizienteren Umgang (z. B. Holz) und abiotische Rohstoffe (z. B. Metalle, Mi- mit Rohstoffen, der für eine umweltverträglichere Roh- nerale, fossile Energieträger) zu verstehen. Aufgrund der stoffwirtschaft wesentlich, jedoch allein nicht ausreichend sehr unterschiedlichen Eigenschaften und Verwendungs- ist. zwecke verschiedener Ressourcen ist eine differenzierte Betrachtung sinnvoll. Im vorliegenden Kapitel soll die Dieses Kapitel wird belegen, dass insbesondere die Um- derzeitige Bewirtschaftung der abiotischen, nicht-fossilen weltdimension in der Gewinnungsphase (vgl. Kap. 2.2) Rohstoffe (d. h. metallisch und mineralisch) kritisch ana- sowie die Potenziale einer besseren Verknüpfung der Roh- lysiert werden. Bei der Bewirtschaftung dieser Rohstoffe stoff- und Abfallpolitik stärker berücksichtigt werden kann es zu schwerwiegenden Umweltfolgen kommen. müssen. Durch den Ausbau der Kreislaufführung von Verschärfend kommt hinzu, dass der Bedarf an Metallen Rohstoffen bestehen in einer Volkswirtschaft große Chan- und mineralischen Rohstoffen national und international cen für die Sicherung der Versorgung (RNE 2011). Derzeit rapide ansteigt (vgl. Tz. 104). Der Nachfrageboom sorgt werden die Vorgaben der Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/ bei einigen Rohstoffen zumindest für vorübergehende EG in deutsches Recht umgesetzt. Die Novellierung der Knappheiten und Preissteigerungen. Dies macht ein Vor- Richtlinie über Elektro- und Elektronik-Altgeräte 2002/ dringen in immer tiefer gelegene Erdschichten und die 96/EG (engl. Waste Electrical and Electronic Equipment Erschließung von Minen mit deutlich niedrigeren Erzkon- Directive – WEEE-Richtlinie) wird aber sehr kontrovers zentrationen wirtschaftlich. Gleichzeitig steigt der Explo- diskutiert (Europäische Kommission – Generaldirektion rationsdruck in ökologisch sensiblen Regionen. Ziel die- Umwelt 2012). Außerdem stehen derzeit die niedrigen Re- ses Kapitels ist es, die ökologischen Folgen, die sich aus cyclingraten vieler Rohstoffe (MOSS et al. 2011) im Fo- diesen Entwicklungen ergeben, näher zu beleuchten und kus (UNEP 2011). geeignete Maßnahmen zu untersuchen, die einen umwelt- 101. Eine umweltverträgliche Ausgestaltung der deut- verträglicheren Umgang mit abiotischen, nicht-fossilen schen Rohstoffpolitik stellt insbesondere deshalb eine Rohstoffen ermöglichen. Herausforderung dar, weil Deutschland einen großen Teil der in der Wirtschaft genutzten Rohstoffe importiert. 100. Auf europäischer Ebene wird die Rohstofffrage Während mineralische Rohstoffe wie Sand und Kies durchaus als drängend wahrgenommen: Die Leitinitiative weitgehend in Deutschland gefördert und verarbeitet wer- „Ressourcenschonendes Europa“ (Europäische Kommis- den (BGR 2010), muss nahezu die gesamte Menge an sion 2011f), die Kommissionsmitteilung „Grundstoff- metallischen Rohstoffen aus dem Ausland eingeführt märkte und Rohstoffe: Herausforderungen und Lösungsan- werden. So können die mit dem nationalen Abbau von sätze“ (Europäische Kommission 2011d), die europäische mineralischen Rohstoffen verbundenen Umweltwirkun- Rohstoffinitiative (Europäische Kommission 2008b), der gen direkt überwacht und reguliert werden, die durch me- „Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa“ (Euro- tallische Rohstoffe verursachten Umweltfolgen dagegen päische Kommission 2011c) und der aktuelle Bericht des liegen weitgehend außerhalb des direkten Einflussbe- Europäischen Parlamentes über eine erfolgreiche Roh- reichs Deutschlands. In vielen Förderländern liegen die stoffstrategie für Europa (Europäisches Parlament – Aus- Sozial- und Umweltstandards deutlich unter den in schuss für Industrie, Forschung und Energie 2011) belegen Deutschland geltenden Anforderungen. Die Problematik dies. Das Ziel dieser Dokumente ist jedoch in erster Linie angemessener Arbeits- und Sozialbedingungen kann in die Versorgungssicherheit durch einen ungestörten Zugriff diesem Gutachten nicht ausgeführt werden, sollte von der auf Rohstoffe, während ökologische und soziale Konse- Bundesregierung aber mit gleicher Intensität wie eine Mi- quenzen der Rohstoffwirtschaft nur unzureichend berück- nimierung der Umweltwirkungen vorangetrieben werden. sichtigt werden. Lediglich der Bericht des europäischen Parlamentes greift Fragen der Verbrauchssenkung, des Re- 102. Eine Richtungsänderung der Rohstoffpolitik, die cyclings, der Instrumentierung sowie der Verantwortlich- zur Reduzierung der Umweltauswirkungen der Rohstoff- keiten für Umweltwirkungen in Förderländern auf. Auch wirtschaft führt, hat zahlreiche ökologische Vorteile: Sie die Rohstoffstrategie der Bundesregierung verfolgt vor reduziert die Belastungen für die biologische Vielfalt, die allem das Ziel einer bedarfsgerechten Versorgung der In- toxischen Folgen für Mensch und Umwelt sowie den Ver- dustrie mit Rohstoffen und blendet ökologische Aspekte brauch von Energie und Wasser. Gleichzeitig ist eine um- weitestgehend aus (BMWi 2010). Das Deutsche Ressour- weltverträgliche Rohstoffwirtschaft mit ökonomischen ceneffizienzprogramm (ProgRess) unter Federführung des Chancen verbunden. Rohstoffeffizienz reduziert den Be-

67 Metallische und mineralische Rohstoffe darf an endlichen und teurer werdenden Rohstoffen und der geförderten Rohstoffe selbst (z. B. Bleistäube), von sie verringert die Abhängigkeit von Importen aus unsi- (z. B. radioaktiven) Begleitstoffen bzw. von zum Abbau cheren Versorgungsquellen. Die Wettbewerbsfähigkeit eingesetzten Hilfsstoffen (z. B. Cyanid und Quecksilber der deutschen Industrie wird sich dabei nicht nur durch bei der Gewinnung von Gold). Die Grundstoff- und Güter- eine rohstoffeffizientere Produktion und die damit ver- produktion erfordert häufig einen hohen Energie- und bundenen Kosteneinsparungen erhöhen, sondern auch zu Wassereinsatz und führt zu Emissionen von Schadstoffen, weltweiten Absatzmöglichkeiten durch den Export zu- die Mensch und Natur belasten. Schließlich werden aus kunftsfähiger Technologien führen. Eine Stärkung der den Stoffströmen Abfallmengen, die einerseits unvollstän- Kreislaufwirtschaft kann zudem neue Arbeitsplätze in dig recycelt werden, andererseits die Umwelt bei unsach- Deutschland schaffen. gemäßer Beseitigung schädigen können (SANDER und SCHILLING 2011). 2.2 Umweltauswirkungen der Die Folgen der Rohstoffnutzung sind zunächst lokal und Rohstoffwirtschaft regional begrenzt – mit Ausnahme der Treibhausgasemis- sionen (THG-Emissionen), die aus dem hohen Energiever- 103. Im Folgenden werden unter dem Begriff der Roh- brauch bei der Gewinnung und Verarbeitung resultieren. stoffwirtschaft alle Stufen der Wertschöpfungskette zu- Entwicklungs- und Schwellenländer mit unzureichenden sammengefasst (s. Abb. 2-1). Die Rohstoffgewinnung Umweltstandards sind von den negativen Auswirkungen umfasst den Abbau und die Aufbereitung (Extraktion). in Folge der Rohstoffentnahme besonders betroffen. Auch Unter der Rohstoffverarbeitung werden die Grundstoff- in Deutschland ist der Abbau von Rohstoffen wie Kies und und Güterproduktion verstanden, die Rohstoffnutzung Sand nicht ohne negative Folgen für die Umwelt (MESS- umschreibt die Konsum- und Entsorgungsphase. Der NER und SCHOLZ 2000). Aufgrund der Kumulation der Rohstoffverbrauch ist die messbare Menge an Rohstof- negativen lokalen Belastungen ist in Folge der globalen fen, die in der volkswirtschaftlichen Produktion verwen- Rohstoffentnahme von einem ubiquitären Problem zu det wird. sprechen, das zwar zunächst nur lokal zu Belastungen führt, in der Summe aber ein Problem von globalem Aus- Die zunehmende Entnahme und Nutzung von Rohstoffen maß darstellt. führt über die gesamte Wertschöpfungskette zu Umwelt- belastungen (Abb. 2-1). Die schwerwiegendsten Belastun- 104. Das Bewusstsein für die Auswirkungen des Roh- gen fallen in die ersten drei Stufen der Wertschöpfungs- stoffabbaus ist aufgrund einer fehlenden zentralen Doku- kette. Bei der Rohstoffgewinnung findet ein Flächen- und mentation (von Menge, Herkunft, Gewinnungsverfahren Naturverbrauch statt. Gleichzeitig kommt es zum Austrag usw.) wenig ausgeprägt. Die Umweltauswirkungen in

Abbildung 2-1

Umweltauswirkungen entlang der Wertschöpfungskette

Rohstoffwirtschaft

Rohstoffgewinnung Rohstoffverarbeitung Rohstoffnutzung

Abbau und Grundstoff- Güter- Güter- Abfallwirt- Extraktion produktion produktion nutzung schaft Stufen der Stufen der fungskette Wertschöp-

• Verlust und • Emissionen • Emissionen • Emissionen • Emissionen Verschlechterung (Luft, Wasser, (Luft, Wasser, (Luft, Wasser, (Luft, Wasser, von Ökosystemen Boden) Boden) Boden) Boden) • Flächenverbrauch • Energie- und • Energie- und • Energieeinsatz • Energie- und • Beeinträchtigung Wassereinsatz Wassereinsatz Wassereinsatz Wasserhaushalt • Produktionsabfälle • Produktionsabfälle • Deponieraum • Emissionen (Luft, Wasser, Boden) • Schadstoffe aus der Extraktion

Umweltauswirkungen • Energie- und Wassereinsatz SRU/UG 2012/Abb. 2-1

68 Umweltauswirkungen der Rohstoffwirtschaft

Entwicklungs- und Schwellenländern sind nicht systema- Einflüsse reagieren (wie z. B. die Arktis), und lokal auf tisch quantifizierbar, während die Risiken im europäi- Schutzgebiete und deren unmittelbare Umgebung. schen Umfeld aufgrund bestehender Regulierungen als beherrschbar gelten können. Unstreitig ist jedoch, dass Im Folgenden werden qualitativ die negativen Umwelt- die Belastungen mit einer steigenden Nachfrage weiter auswirkungen der Rohstoffwirtschaft auf die biologische anwachsen. Seit Anfang der 1990er-Jahre hat sich die Vielfalt, die toxischen Folgen für Mensch und Natur so- weltweite Entnahme von mineralischen und metallischen wie der Energieverbrauch der Rohstoffwirtschaft darge- stellt. Die Auswirkungen der Rohstoffgewinnung in mari- Rohstoffen auf 35 Mrd. t verdoppelt (Abb. 2-2). Für das nen und bislang noch weitgehend unerforschten Gebieten mit entnommene, nicht verwertete Material (taubes Ge- wie der Tiefsee können in diesem Rahmen nicht betrach- stein u. ä.) können etwa 40 % hinzugerechnet werden tet werden. (SERI 2009).

Wenn sich der gegenwärtige Trend fortsetzt, ist bis 2030 2.2.1 Auswirkungen auf die biologische Vielfalt mit einer weltweiten Entnahme und Nutzung von minera- lischen und metallischen Rohstoffen von circa 50 Mrd. t 105. Der Abbau von Rohstoffen stellt immer einen Ein- zu rechnen (SERI 2009). Treiber dieses Wachstums ist griff in das jeweilige Ökosystem mit Auswirkungen auf insbesondere die steigende Nachfrage in aufstrebenden die lokale Biodiversität dar. Er führt nicht nur zur Ent- Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien. nahme wertvoller Rohstoffe, sondern setzt außerdem große Massen weiterer, ungenutzter Stoffe in Bewegung, Bei einer Erschließung von Vorkommen mit immer nied- die auch abgebaut werden müssen, um an die gewünsch- rigeren Konzentrationen (Abb. 2-3) verschärfen sich die ten Stoffe zu gelangen. So fallen beispielsweise in Ka- Umweltauswirkungen aufgrund des höheren Energieauf- nada zur Herstellung von 1 t Kupfer 99 t Abraum an, die wands der Förderung, der aufwendigeren Aufbereitung ebenfalls extrahiert werden (SDWF 2011). Der mit dem der Rohstoffe sowie der steigenden Abraummengen. Abbau verbundene Flächenverbrauch kann zu deutlichen Veränderungen der betroffenen Ökosysteme und zu ei- Eine weltweit steigende Rohstoffnachfrage erhöht den nem Verlust der lokalen biologischen Vielfalt führen. Ne- Druck auf Regionen, die sehr sensibel auf anthropogene ben der Zerstörung von Lebensräumen können Belastun-

Abbildung 2-2

Weltweite Entnahme von mineralischen und metallischen Rohstoffen 1900 bis 2009

35

30

25

20 . t] d

[Mr 15

10

5

0 1900 1904 1908 1912 1916 1920 1924 1928 1932 1936 1940 1944 1948 1952 1956 1960 1964 1968 1972 1976 1980 1984 1988 1992 1996 2000 2004 2008 [Jahr] SRU/UG 2012/Abb. 2-2; Datenquelle: KRAUSMANN et al. 2009

69 Metallische und mineralische Rohstoffe

Abbildung 2-3

Erzgehalte in Nickel- und Kupferminen 1885 bis 2010

Quelle: FISCHER-KOWALSKI et al. 2011, S. 24 gen durch Emissionen wie Lärm, Staub und Schadstoffe, Erdgas) gefördert. Dabei gelten bereits hohe Umweltstan- aber auch drastische Veränderungen des Wasserhaushalts dards sowohl beim Abbau als auch für die Folgenutzung. und des Landschaftsbildes entstehen. Die Erheblichkeit Diese Abbauflächen können als Rohbodenstandorte von der Auswirkungen hängt neben der Art und dem Umfang Bedeutung für seltene Pionierarten sein (NABU 2004). des Eingriffs von seiner Dauer, seiner Intensität und dem Dennoch kann es auch hier zu Auswirkungen durch die Zeitpunkt, zu dem er stattfindet, ab. Entscheidend sind Zerstörung von (natürlichen) Ökosystemen, Belastungen weiterhin die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) des jewei- durch Emissionen wie Lärm und Staub, aber auch durch ligen Ökosystems sowie seine Naturnähe (Europäische Veränderungen des Wasserhaushalts und des Land- Kommission 2011b). Je nach Art des Eingriffs ist der Ein- schaftsbildes kommen. Beträchtliche Auswirkungen auf fluss nicht nur auf die eigentliche Abbaufläche be- den Wasserhaushalt hat der Nassabbau von Kies, bei dem schränkt, sondern umfasst auch die für den Abbau benö- nach dem Abtragen der Deckschichten das Grundwasser tigte Infrastruktur wie Straßen oder Lagerflächen und freigelegt wird und es leicht zu Einträgen von Schadstof- angrenzende Gebiete zum Beispiel durch Emissionen fen und zur Verschlechterung der Grundwasserqualität oder Grundwasserabsenkung. kommen kann (MESSNER und SCHOLZ 2000). Ökono- misch abbauwürdige Kiesvorkommen liegen oft in den 106. Mit steigenden Rohstoffpreisen wird die Erschlie- Auen großer Fließgewässer, die durch den sinkenden ßung neuer Abbaugebiete lukrativer. Eine satellitenge- Grundwasserstand infolge des Kiesabbaus austrocknen stützte Studie konnte beispielsweise zeigen, dass die und dadurch zerstört werden können. 90 % dieser natur- Abholzung des peruanischen Regenwaldes – einem welt- schutzfachlich wertvollen Lebensräume sind aufgrund weiten „Biodiversitäts-Hotspot“ – parallel zum steigenden Goldpreis zunimmt. Zwischen 2003 und 2009 vervielfach- intensiver Nutzungen bereits deutlich bis sehr stark ver- ten sich sowohl der Goldpreis als auch die jährlich abge- ändert (BMU und BfN 2009). Wird Kies im Trockenver- holzte Fläche. Gleichzeitig stiegen die Importe von fahren abgebaut, kann der Tagebau nach dem Abbauende Quecksilber, das im Kleinbergbau zur Goldgewinnung wiederverfüllt oder – wie in den meisten Fällen in verwendet und dabei zu großen Teilen freigesetzt wird Deutschland – geflutet werden. Dadurch entstehen zwar (SWENSON et al. 2011). Sekundärhabitate, die aber aufgrund ihrer Attraktivität häufig als Naherholungsgebiete (Baggersee) genutzt wer- In Deutschland werden vor allem mineralische Baustoffe den. Der dadurch entstehende Besucherdruck schränkt (Sande, Kiese, Steine) und fossile Energieträger (Kohle, die Bedeutung für den Naturschutz ein (NABU 2004).

70 Umweltauswirkungen der Rohstoffwirtschaft

Durch umsichtige Auswahl der Abbaugebiete und eine Betroffen von den negativen Auswirkungen sind nicht spätere Renaturierung bzw. Rekultivierung können die nur die Arbeiter, sondern auch die Anwohner. Hier beste- Umweltbelastungen vermindert und Lebensräume gesi- hen starke Belastungen durch Grundwasser- und Luftver- chert oder gezielt als naturschutzfachlich wertvolle Se- schmutzung. So enthält der Staub, der beim Abbau und kundärhabitate entwickelt werden (NABU 2004). Ein Transport entsteht, häufig hohe Dosen Arsen, Blei, andere Eingriff in den Naturhaushalt ökologisch höchst sensibler Schwermetalle oder auch Radionuklide. Gebiete wie zum Beispiel dem Regenwald und Gebieten Die Arbeits- und Umwelttoxizität der Rohstoffgewinnung mit hohem Schutzstatus oder in noch weitgehend uner- und -verarbeitung ist international ein unzureichend be- forschten Gebieten wie der Tiefsee (van DOVER 2011) handeltes Problem. Da die Gesundheitsgefahren der Roh- kann jedoch zu irreversiblen Belastungen und unverhält- stoffförderung meist weit weg von den Verbrauchern in nismäßig großen Schäden führen. den Industrienationen liegen, fehlt diesen häufig ein Be- wusstsein dafür. Das Blacksmith Institute veröffentlicht 2.2.2 Toxische Wirkungen für Mensch gemeinsam mit Green Cross jedes Jahr ein Gutachten und Umwelt über die am stärksten verschmutzten Orte der Welt, die schlimmsten Verursacher von Schadstoffemissionen oder 107. Die akuten toxischen Wirkungen der Rohstoffwirt- die gefährlichsten Schadstoffe (GRANT et al. 2006; schaft rücken vor allem durch spektakuläre Ereignisse wie BLOCK et al. 2007; ERICSON et al. 2008; BLOCK und Dammbrüche in Absetzanlagen von metallurgischen HANRAHAN 2009; McCARTOR und BECKER 2010). Schlämmen (Baia-Mare/Rumänien, Aznalcóllar/Spanien) Ein Großteil dieser Belastungen steht in direktem oder in- ins öffentliche Bewusstsein. Die schleichenden Folgen da- direktem Zusammenhang mit der Rohstoffgewinnung gegen werden kaum wahrgenommen, da sie häufig zeitlich und -verarbeitung. Nach den Untersuchungen sind mehr verzögert auftreten, kaum dokumentiert werden und sich als hundert Millionen Menschen Schadstoffbelastungen vor allem nicht eindeutig einer einzelnen Ursache zuord- ausgesetzt, die über den international empfohlenen Ge- nen lassen. Sie können jedoch ebenfalls schwerwiegende sundheitsstandards liegen. Damit sind im internationalen Schäden an Mensch und Natur verursachen. Vergleich durch Rohstoffnutzung etwa so viele Menschen gesundheitlich betroffen wie von Krankheiten wie Tuber- Arbeits- und Umwelttoxizität kulose, Malaria und HIV/AIDS. Die Folgen sind physi- sche und mentale Behinderungen, Atemwegserkrankun- 108. Der Bergbau und die Aufbereitung von Erzen ge- gen, Fehl- und Frühgeburten, verminderte Intelligenz, hören weltweit zu den größten Einzelquellen von Um- Organfehlfunktionen, neurologische Fehlsteuerungen, weltgiften (HARRIS et al. 2011). Gesundheitsschäden in- Krebserkrankungen und verringerte Lebenserwartungen folge der Rohstoffgewinnung entstehen zunächst für die (McCARTOR und BECKER 2010). Bergleute, die aufgrund unzureichender Sicherheitsstan- dards häufig an Krankheiten wie Staublunge, Asthma Ökotoxizität oder schleichenden Vergiftungen leiden bzw. Unfallge- fahren ausgesetzt sind (SERI 2009). Auch bei der Verar- 109. Eine langfristige und weiträumige Gefährdung der beitung von Rohstoffen und der Entsorgung von Reststof- Natur stellt die Kontaminierung des Grund- und Ober- fen kann es zu Schadstoffemissionen und -immissionen flächenwassers, der Luft und des Bodens mit toxischen kommen, insbesondere wenn veraltete Technologien be- Stoffen dar. Das Abwasser aus Grubenraum oder Abraum- nutzt werden. Im Klein- und Kleinstbergbau werden zum halden kann äußerst säurehaltig sein und hohe Konzentra- Beispiel in der Goldgewinnung Verfahren angewendet, tionen gelöster Schwermetalle enthalten. Vier Hauptfor- die zu erheblichen Quecksilberemissionen führen. Nach men der Belastung von Wasser durch den Bergbau können Schätzungen werden etwa ein Drittel (etwa 1 000 t/a) der unterschieden werden (SDWF 2011): sogenannte „Acid weltweiten Quecksilberemissionen bei der Gewinnung Mine Drainage“ (saure, schwermetallhaltige Grubenwäs- von Gold im Klein- und Kleinstbergbau verursacht, der ser), Kontamination mit Schwermetallen (z. B. Arsen, Ko- 15 % der jährlichen weltweiten Goldproduktion ausmacht balt, Kupfer, Kadmium, Blei, Silber, Zink), chemische (TELMER und VEIGA 2009; Artisanal Gold Council Verschmutzung (z. B. mit Cyanid, Schwefelsäure), Ero- sion des nicht bewachsenen Bodens und anschließende Se- 2011). Die Umweltfolgen der Quecksilberemissionen dimentation. Das Trinkwasser kann so durch Schadstoffe sind die biogene Bildung des viel toxischeren organi- belastet und auch für die Bewässerung landwirtschaftli- schen Quecksilbers, das weiträumig und über Jahrzehnte cher Böden unbrauchbar werden. die Gewässer und die Fische kontaminiert und damit die menschliche Gesundheit gefährdet. Seltene Erden sind Die Hauptverschmutzung der Luft entsteht durch Staub- häufig mit radioaktivem Thorium vergesellschaftet, das belastung während des Abbaus und des Transports von gemeinsam mit weiteren toxischen Abfallprodukten in Rohstoffen (AEA Energy & Environment 2008). Die kilometerlangen Auffangbecken lagert. In Australien Aufbereitung ist meist mit dem Einsatz fossiler Energie- (Mount Weld) liegt das weltweit größte Vorkommen sel- träger verbunden, sodass es auch zu NOx und SO2-Emis- tener Erden außerhalb Chinas. Die dort abgebauten Erze sionen kommt. Stoffeinträge über Luft und Wasser in werden nach Malaysia transportiert (SCHÜLER et al. Böden können auch in größerer Entfernung zu den eigent- 2011), wo auch die radioaktiv belasteten Abfälle aus der lichen Abbauflächen stattfinden. Beispielsweise sind in Aufbereitung abgelagert werden. China 10 % der landwirtschaftlichen Fläche mit Schwer-

71 Metallische und mineralische Rohstoffe metallen belastet. Dabei spielt insbesondere die Belas- Bergbau ist für ungefähr 7 % des weltweiten Energiever- tung mit Blei eine große Rolle, aber auch die Grenzwerte brauchs verantwortlich (MACLEAN et al. 2010). Für die für Cadmium und Zink werden auf vielen Flächen über- Bereitstellung dieser Energie werden meist fossile Ener- schritten (BUCKLEY 2011). gieträger genutzt. Bei abnehmenden Erzkonzentrationen in den Minen ist zukünftig, insbesondere aufgrund der 2.2.3 Wirkungen auf Grund- und größeren Mengen zu entsorgender Reststoffe und der Oberflächenwasser Notwendigkeit immer tieferer Bohrungen, mit einem wei- teren Anstieg des Energieverbrauchs zu rechnen (NOR- 110. Bei der Gewinnung von Rohstoffen unter Tage ist GATE 2010). Diese Entwicklung ist zum Beispiel bei die Absenkung des Grundwassers häufig zwingend not- Gold schon heute deutlich zu erkennen (FISCHER-KO- wendig, wodurch – abhängig von den jeweiligen hydrolo- WALSKI et al. 2011). MACLEAN et al. (2010) kommen gischen und klimatischen Bedingungen – der Haushalt daher in Modellszenarien zu dem Schluss, dass vor allem sowohl des Oberflächen- als auch des Grundwassers be- der Energieverbrauch – neben lokaler Wasserknappheit einflusst werden. Veränderungen des Grundwassers kön- und Flächenverbrauch – zu einem einschränkenden Fak- nen sich auch in weiter Entfernung von den Minen aus- tor der Metallproduktion zu werden droht. wirken (SDWF 2011). Bei der weiteren Aufbereitung und Verarbeitung der Rohstoffe wird Wasser für Trenn- und Abbildung 2-4 zeigt den Energiebedarf für die Gewin- Waschverfahren sowie zur Kühlung (direkte Nutzung) nung und Aufbereitung einzelner Rohstoffe in Verbin- und indirekt bei der Stromerzeugung in Anspruch genom- dung mit den weltweit geförderten Mengen. Die Aufbe- men (NORGATE 2010). Der Wasserverbrauch steigt ana- reitung von Massenmetallen wie zum Beispiel Kupfer log zum Energieverbrauch (s. Abschn. 2.2.4) mit abneh- oder Stahl hat einen vergleichsweise geringen Energiebe- mendem Erzgehalt. darf, diese werden aber in viel größeren Mengen geför- dert bzw. produziert. Der absolute Energieaufwand ist da- In Chile werden beispielsweise jährlich 57 Mio. m³ Was- her deutlich höher. ser für die Kupferaufbereitung verwendet (GLOKAL Change 2011), was insbesondere in einer extrem trocke- Steigende Energiepreise machen das Recycling der Mas- nen Zone wie der Atacama-Wüste, in der Chiles größte senmetalle schon heute attraktiv (s. Tz. 120 ff.). Stahl, Kupfermine liegt, zwangsläufig zu einer Veränderung des Kupfer und Aluminium stehen in lohnenden Mengen, Wasserhaushaltes führt. Problematisch ist dabei einerseits ausreichender Qualität und mit den vorhandenen Techni- die Kontamination des Wassers, andererseits der Wasser- ken rückgewinnbar zur Verfügung (WVM 2011). Der verlust durch Verdunstung bei der Schlammlagerung. Der Energieaufwand für die Herstellung von Sekundärmetal- Wasserbedarf zur Aufbereitung von Erzen bei der Kup- len beträgt für Aluminium beispielsweise nur 5 % und für fergewinnung beträgt circa 4 bis 10 m3/t Roherz (WECO- Kupfer 29 % der Primärproduktion (FRISCHENSCHLA- BIS 2011b) (Weltproduktion 2010: 16,2 Mio. t (USGS GER et al. 2010). 2011)). Bei der Herstellung von 1 t Aluminium (Weltpro- 112. Energierelevant ist bei den mineralischen Rohstof- duktion 2010: 41 Mio. t (USGS 2011)) fallen sogar bis zu fen trotz der hohen Fördermengen weniger die Phase der 57 m3 Abwasser an (WECOBIS 2011a). Gewinnung. Die dabei entstehenden THG-Emissionen sind beispielsweise bei Sand oder Kies wesentlich gerin- Auch die Gewinnung von Lithium, das als Batteriegrund- ger als bei der Metallproduktion. Von großer Bedeutung stoff eine relevante Rolle für den Ausbau der Elektromo- ist dagegen der hohe Energiebedarf bei der Herstellung bilität spielt, kann zu erheblichen Umweltbeeinträchti- von Zement aus mineralischen Rohstoffen, der mit den gungen führen. Bolivien verfügt über die weltweit weltweit stark wachsenden Bedürfnissen nach Wohnraum größten Vorräte – 6 bis 9 Mio. t auf 10.000 km2 Salzton- und Infrastruktur ansteigt (HORVATH 2004). ebene in 3.600 m Höhe –, deren Erschließung derzeit vor- bereitet wird (HONOLD 2010). Für eine Gewinnung Die Substitution fossiler durch regenerative Energieträger wird lithiumhaltige Lauge, die unterhalb der Ebene liegt, kann die THG-Emissionen reduzieren. In verschiedenen an die Oberfläche gepumpt und durch Verdunstung kon- Potenzialanalysen wurde eine mögliche globale Versor- zentriert. Die Hochebene ist jedoch gleichzeitig das wich- gung bis 2050 durch regenerative Energien von 80 bis na- tigste Wassereinzugsgebiet der Region, von dem die hezu 100 % errechnet (WWF 2011; IPCC 2011). Eine Landwirtschaft abhängt. Schon heute herrscht dort Was- große Herausforderung wird darin bestehen, erneuerbare sermangel, die Wasserreserven gelten als nicht erneuer- Energien dort zur Verfügung zu stellen, wo sie zur Roh- bar, da die Grundwasserneubildung lange Zeiträume be- stoffentnahme und -verarbeitung gebraucht werden, also nötigt. Auswirkungen einer Lithiumgewinnung wären vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern. Die neben der Zerstörung von Ökosystemen der hohe Wasser- Nutzung erneuerbarer Energiequellen kann allerdings verbrauch, Abwässer und Luftverunreinigungen (z. B. Li- auch – wegen der damit verbundenen Technologien – zu thiumcarbonat) (Global 2000 und SERI 2011; FEIL und einer steigenden Nachfrage nach bestimmten Rohstoffen RÜTTINGER 2010). beitragen (MOSS et al. 2011).

2.2.4 Auswirkungen auf den Energieverbrauch 2.2.5 Zwischenfazit 111. Die Gewinnung und Weiterverarbeitung von Roh- 113. Der Abbau von Rohstoffen bedingt immer einen stoffen sind sehr energieaufwendige Prozesse. Allein der Eingriff in den Naturhaushalt. Er kann zu einer Ver-

72 Ziele und Handlungsansätze

Abbildung 2-4

Produktion 2010 weltweit und Energiebedarf für die Gewinnung ausgewählter Primärmetalle

Produktion [1.000 t] 1 100 10.000 1.000.000 Kf[t]Kupfer [t] Pyro-Verfahren [MJ/kg] Hydro-Verfahren [MJ/kg]

Nickel [[]t] Pyro-Verfahren [MJ/ kg] Hydro-Verfahren [MJ/kg]

Blei [t] BF-Verfahren [MJ/kg] ISF-Verfahren [MJ/kg] Energiebedarf [MJ/kg] Zink [t] Elect-Verfahren [MJ/kg] Produktion [1.000 t] ISF-Verf[/]fahren [MJ/kg]

Aluminium [t] Aluminium [MJ/kg]

Titan und Titandioxid [t] Titan und Titandioxid [MJ/kg]

Stahl [t] Stahl [MJ/kg] Edelstahl [MJ/kg] 0 50 100 150 200 250 300 350 400 EnerŐiebedarf [MJ/kg] SRU/UG 2012/Abb. 2-4; Datenquelle: USGS 2011; NORGATE 2010 schlechterung oder einem Verlust von Ökosystemen, Be- gänglicher Rohstoffvorkommen in Zukunft weiter steigen einträchtigungen des Wasserhaushalts sowie zu Schad- werden. Besondere Gefahr besteht wegen des wachsenden stoff- und THG-Emissionen führen. Die Stärke der Explorationsdrucks für ökologisch sensible Gebiete, in de- Auswirkungen ist dabei abhängig von den jeweiligen lo- nen auf einen Abbau gänzlich verzichtet werden sollte. kalen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise der Natur- nähe des Ökosystems. Von entscheidender Bedeutung sind 2.3 Ziele und Handlungsansätze einer um- der Ort der Förderung, die Fördermenge, die Konzentra- weltverträglichen Rohstoffwirtschaft tion der geförderten Rohstoffe, die (toxischen) Begleit- stoffe und die eingesetzte Fördertechnik. Die Umweltaus- 2.3.1 Plädoyer für ein zweifaches wirkungen unterscheiden sich weiterhin je nach Art des Entkopplungskonzept abgebauten Rohstoffs. Die Auswirkungen der Gewinnung 114. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenar- von Massenmetallen hängen sowohl mit den erheblichen beit und Entwicklung (OECD) definierte 2001 Entkopp- Mengen als auch mit dem großen Energiebedarf für Ab- lung als Bruch zwischen negativer Umweltbelastung (en- bau, Extraktion und Weiterverarbeitung zusammen. Die vironmental bads) und wirtschaftlicher Produktion Gewinnung von Technologierohstoffen verursacht insbe- (economic goods) (OECD 2001). Die EU verwendet das sondere toxische Folgen für Mensch und Umwelt. Der Ab- Konzept ebenfalls prominent, wie zum Beispiel in der Mit- bau von Baumineralien ist aufgrund der großen Förder- teilung der europäischen Kommission vom 21. Dezember mengen durch einen hohen Flächenverbrauch und damit 2005 „Thematische Strategie für eine nachhaltige Nutzung einhergehenden Veränderungen und Verlusten von Öko- natürlicher Ressourcen“. Demnach sollen natürliche Res- systemen gekennzeichnet. sourcen (Rohstoffe, Luft, Wasser, Boden, der physische Raum, Windenergie, geothermische Energie, Gezeiten-, Die ökologischen Auswirkungen der Rohstoffwirtschaft Sonnenenergie) durch eine Reduzierung der negativen lassen sich aufgrund fehlender Daten und Bewertungs- Umweltauswirkungen bei gleichzeitigem Wirtschafts- grundlagen nicht systematisch quantifizieren. Die qualita- wachstum nachhaltig genutzt werden. Das International tiven Untersuchungen belegen aber, dass die Wirkungen Resource Panel (IRP), das beim Umweltprogramm der der Rohstoffwirtschaft groß sind und aufgrund der steigen- Vereinten Nationen (UNEP) angesiedelt ist, unterscheidet den globalen Nachfrage sowie der Erschöpfung leicht zu- zwischen Entkopplung des Ressourcenverbrauchs („Re-

73 Metallische und mineralische Rohstoffe source decoupling“) und Entkopplung der Auswirkungen rialbedarf reduziert die Notwendigkeit, auch sehr umwelt- („impact decoupling“) (FISCHER-KOWALSKI et al. sensible Vorräte zu erschließen. Strenge Umweltauflagen 2011, S. 5). Eine Entkopplung des Ressourcenverbrauchs verteuern die Rohstoffe und reizen dadurch Effizienz- ist vor allem durch Produktivitätsfortschritte zu erzielen, potenziale an. Gleichzeitig kann aber beispielsweise die wodurch je produzierter Wirtschaftseinheit eine geringere Entwicklung kleinerer Geräte den Einsatz seltener Roh- Menge Ressourcen benötigt werden. Eine Entkopplung stoffe notwendig machen, deren vermehrte Nutzung unter der Auswirkungen erfordert laut dem IRP eine Verringe- Umständen die Erschließung neuer Minen erforderlich rung der Umweltauswirkungen bei wachsender Wert- macht, was mit zusätzlichen Umweltschäden verbunden schöpfung im ökonomischen Sinne. sein kann. Im Gegensatz zu den Massenmetallen werden diese Rohstoffe aufgrund ihres geringen Anteils in Pro- In Anlehnung an diese Studien wird der Sachverständigen- dukten meist nicht zurückgewonnen und gehen damit ver- rat für Umweltfragen (SRU) im Folgenden den Entkopp- loren. Insgesamt muss eine Effizienzsteigerung also nicht lungsbegriff auf abiotische, nicht energetische Rohstoffe zwangsläufig in positiven Umwelteffekten resultieren. anwenden. Eine umweltverträgliche Rohstoffpolitik sollte aus Sicht des SRU zum einen auf einer Entkopplung des Rohstoffverbrauchs und zum anderen auf der Entkopplung Darüber hinaus gibt der Begriff der Wohlfahrt ein umfas- der Umweltauswirkungen aufbauen (vgl. Abb. 2-5). Beide senderes Bild von Lebensqualität wieder als das Bruttoin- Ziele sollten parallel verfolgt werden. Anders als der IRP landsprodukt (BIP) (vgl. Kap. 1). Wohlfahrt ist zunächst definiert der SRU die Entkopplung der Umweltauswirkun- als theoretisches Konzept zu verstehen, das eine Mess- gen als Bruch zwischen den Umweltauswirkungen und größe für den gesamtwirtschaftlichen Nutzen beschreibt und damit über eine eindimensionale Fokussierung auf dem gesamten Rohstoffverbrauch und nicht zwischen den die reine Produktionsquantität einer Volkswirtschaft hi- Umweltauswirkungen und der Wirtschaftsleistung. Dies nausgeht. Bei der Datenerhebung muss derzeit noch auf hat den Vorteil, dass die zwei Entkopplungsziele kumula- das BIP zurückgegriffen werden. Die Messbarkeit von tiv betrachtet und die Wechselwirkungen besser in Bezug Wohlfahrt sollte daher weiterentwickelt werden. gebracht werden. So können zum Beispiel Erfolge in ei- nem der beiden Entkopplungsziele die Erreichung des Unterschieden werden muss zwischen relativer und abso- anderen erleichtern oder erschweren: Ein geringerer Mate- luter Entkopplung. Relative Entkopplung bedeutet, dass

Abbildung 2-5

Die zwei Entkopplungsziele einer umweltverträglichen Rohstoffwirtschaft

Quantität

Wohlfahrt

Entkopplung des Rohstoffverbrauchs

Rohstoffverbrauch

Entkopplung der Umweltauswirkungen

Umweltauswirkungen

Zeit SRU/UG 2012/Abb. 2-5

74 Ziele und Handlungsansätze die Wachstumsrate des Rohstoffverbrauchs kleiner ist als für ist je Material-Input ein größerer volkswirtschaftlicher das Wohlfahrtswachstum (erster Entkopplungsschritt), Nutzen zu erwirtschaften. bzw. dass die Umweltauswirkungen je genutzter Tonne Rohstoffe geringer werden (zweiter Entkopplungsschritt). Global ist eine Entkopplung nur durch gemeinsames Han- Absolute Entkopplung erfordert hingegen, dass sich der deln zu erreichen (vgl. Abschn. 2.4.4), denn es besteht die Rohstoffverbrauch unabhängig vom Wohlfahrtswachstum Gefahr, dass ein Nachfragerückgang eines Landes durch reduziert und die Umweltfolgen des Rohstoffverbrauchs Nachfragesteigerungen anderer kompensiert wird. Es ist in ihrem Gesamtausmaß zurückgehen. Während relative vor allem die Kooperation der Industrienationen gefragt, Entkopplung in Industrienationen nicht ungewöhnlich ist, deren Rohstoffverbrauch um ein Vielfaches über dem der ist eine absolute Reduzierung des Rohstoffverbrauchs äu- Schwellen- und Entwicklungsländern liegt (SERI 2009). ßerst selten (FISCHER-KOWALSKI et al. 2011). Wenn es ihnen gelingt, die Möglichkeiten einer rohstoff- effizienten und gleichzeitig wohlhabenden Gesellschaft Die Entkopplung der Umweltauswirkungen wurde in der vorzuleben, kann dies auch auf die Entwicklungspfade Politik bisher vernachlässigt, bedarf aber einer gleichwer- heute noch ärmerer Länder wirken. tigen Aufmerksamkeit. Eine Quantifizierung der Um- weltfolgen erweist sich allerdings als äußerst komplex, da biophysische Grenzwerte der Belastung nicht verallge- Güterproduktion meinerbar sind und die Umweltwirkungen zudem über 117. Materialeffizienz kann zunächst vor allem durch die Zeit und über Staatsgrenzen hinweg erfasst werden eine Optimierung der Konstruktion, des Designs bzw. von müssen. Umso wichtiger erscheint die Weiterentwicklung Produktionsprozessen (Reduzierung des Verschnitts, in- geeigneter Indikatoren (vgl. Abschn. 2.3.5). nerbetriebliches Recycling) gesteigert werden. Radikale 115. Die größten Potenziale zur Reduzierung der Um- Verbesserungen sind durch Innovationen zu erwarten, die weltauswirkungen der Rohstoffwirtschaft liegen in den zu einem neuen Design von Produkten und Verfahren füh- ersten Stufen der Wertschöpfungskette. Die größten bis- ren und Funktionalitäten von Produkten auf rohstoffärme- lang noch unerschlossenen Potenziale zur Effizienzstei- rem Weg bereitstellen. Ein Beispiel hierfür ist die Kombi- gerung hingegen liegen bei der Güternutzung und der Ab- nation der Funktionen „Drucken“, „Kopieren“, „Scannen“ fallwirtschaft (Abb. 2-6). und „Faxen“ in einem einzigen Gerät. Von entscheidender Bedeutung ist, dass Verbesserungen Rohstoffe können auch eingespart werden, indem ein Pro- der Rohstoffeffizienz an einer Stelle nicht zu einer Erhö- dukt durch ein weniger rohstoffintensives (z. B. CDs statt hung der Umweltauswirkungen auf einer anderen Stufe Schallplatten, Digital- statt Analogfotografie) ersetzt wird. der Wertschöpfungskette führen sollten. Gerade bei der Hierdurch kann der Bedarf an Rohstoffen gesenkt werden, Miniaturisierung muss berücksichtigt werden, dass Er- ohne dass dadurch Einschränkungen für den Konsumenten folge in der Materialeffizienz auf Kosten der Recycling- entstehen. Die Miniaturisierung von Produkten kann aller- fähigkeit der genutzten Rohstoffe gehen können. dings auch zur Folge haben, dass bestimmte Produkte bzw. Produktteile aufgrund ihrer Komplexität und der geringen 2.3.2 Entkopplung von Rohstoffverbrauch Mengen nicht mehr recycelt werden können. Dies ist vor und Wohlfahrt allem ein Problem für Technologierohstoffe, die in Elek- trogeräten, aber auch in umweltrelevanten Technologien 116. Eine Entkopplung des Rohstoffverbrauchs bedeu- verwendet werden, beispielsweise Metalle der Platin- tet, dass der Rohstoffverbrauch und die Wohlfahrt im gruppe (PGM) wie Ruthenium, Rhodium, Palladium, In- Trend auseinandergehen. Während die Wohlfahrt weiter dium, Tellur, Kobalt etc. (HAGELÜKEN und MESKERS wächst, soll der Rohstoffverbrauch langfristig sinken. Da- 2010).

Abbildung 2-6

Hauptumweltbelastungen und -effizienzpotenziale entlang der Wertschöpfungskette

SRU/UG 2012/Abb. 2-6

75 Metallische und mineralische Rohstoffe

Über den gesamten Lebenszyklus hinweg gesehen kann Laufzeiten bis zum Wirksamwerden der Maßnahmen eine effizientere Nutzung von Rohstoffen auch durch eine (VDI Zentrum Ressourceneffizienz 2011). Nutzungsdauerverlängerung sowie eine Erhöhung der Nutzungsintensität erzielt werden (HAAKE 1996). Eine Güternutzung Schwerpunktsetzung auf Haltbarkeit beim Design und bei der Produktion ist hierbei Grundvoraussetzung. Hersteller 119. Gegenwärtig werden Bedürfnisse überwiegend können ihre Produkte langlebiger gestalten, indem sie durch den Kauf oder Konsum von Produkten befriedigt zum Beispiel verschleißfestere Bauteile wählen oder den (HINTERBERGER 2011). Um Wohlstand bei geringerem Verschleiß auf preiswerte, leicht austauschbare Elemente Ressourcenverbrauch zu sichern, müssen sich daher auch lenken. Bereits bei der Konstruktion sollte stärker darauf Nachfragemuster und die Art der Nutzung von Gütern än- geachtet werden, dass später die Demontage erleichtert dern (FAULSTICH und SCHENKEL 1993). Insbesondere wird, und dass Bauteile einzeln ausgetauscht und aufbe- geht es darum, die Nachfrage nach materialintensiven Gü- reitet werden können (modulare Konstruktion). Diese tern zu reduzieren oder auch die Nutzungsintensität zu er- Bauweise ist Voraussetzung für innovationsoffene Lang- höhen. Beispielsweise werden aufgearbeitete Großgeräte zeitprodukte, bei denen materialintensive, aber kaum in der Medizintechnik bereits erfolgreich mit einem noch Neuerungen unterliegende Komponenten (z. B. Ge- Marktanteil von circa 10 % vertrieben (Handelsblatt: Ge- häuse, Trommel und Standgewichte einer Waschma- sundheit vom Recyclinghof, 5. September 2010). Eine weitere Möglichkeit dazu bietet der Ersatz von Produkten schine) möglichst lange genutzt werden, während andere durch Dienstleistungen, sodass nicht mehr die Produktion Bauteile leicht und rasch an den technischen Fortschritt und der Verkauf von Produkten im Vordergrund stehen, angepasst werden können (z. B. Motoren, Steuerungen, sondern die Bereitstellung von Nutzen für den Konsumen- Bedienelemente). Ein weiterer Ansatz ist eine Update- ten. In diesem Sinne können Leasing-Systeme zielführend Funktion von Betriebsprogrammen, wie sie zum Beispiel sein. Beim Leasing bleiben die Hersteller Eigentümer der für Waschmaschinen angeboten wird. Produkte, der Kunde erwirbt lediglich ein Nutzungsrecht. 118. Viele Maßnahmen zur Erhöhung der Rohstoffeffi- Ändern sich die Bedürfnisse des Kunden, erhält der Her- zienz bei der Güterproduktion gehen mit Kosteneinspa- steller seine Produkte während der Nutzungsphase oder rungen für die Produzenten einher und erschließen so am Ende der Lebensdauer zurück und steht in der Verant- auch wirtschaftliche Potenziale. Manche Maßnahmen wortung, diese erneut zu vermarkten oder zu entsorgen. rechnen sich allerdings erst bei weiter steigenden Roh- Damit entsteht ein Anreiz für die Hersteller, Produkte so stoffpreisen. Wiederum andere sind zunächst nicht mit zu produzieren, dass Updates und Verbesserungen leicht kurzfristigen ökonomischen Interessen von Herstellern vorgenommen werden können. vereinbar (z. B. Nutzungsdauerverlängerung). Außerdem kann es aufgrund unzureichend informierter Verbraucher Abfallwirtschaft zu einer Marktverdrängung der rohstoffeffizienten Pro- 120. Die Abfallwirtschaft wird zunehmend als Quelle dukte kommen. für Rohstoffe wahrgenommen (Europäische Kommission Die Möglichkeiten zur Steigerung der Materialeffizienz 2011f; BMU 2011b). Möglicherweise beginnt ein grund- in Unternehmen werden je nach Branche im Bereich we- legender Wandel der Abfallentsorgung von einer Rechts- pflicht hin zu einem attraktiven Geschäftsfeld. Dies hängt niger Prozente bis zu 20 % des Bruttoproduktionswertes aber in hohem Maße von den Primärrohstoffkosten im geschätzt (Arthur D. Little et al. 2005, S. 57). Auch die Vergleich zu den Kosten qualitativ gleichwertiger Sekun- Deutsche Materialeffizienzagentur schätzt, dass in den därrohstoffe ab, die ihrerseits von physikalisch-chemi- kleineren und mittleren Unternehmen des deutschen ver- schen Grenzen, dem Anteil dissipativer Verwendungen arbeitenden Gewerbes im Durchschnitt mindestens 20 % (Feinverteilung eines Rohstoffs in verschiedenen Anwen- der Materialkosten durch effizientere Produktionsabläufe dungsbereichen) sowie dem Vorhandensein von Technolo- eingespart werden könnten. Dies entspräche für die ge- gien und Infrastruktur abhängen (BUCHERT et al. 2009). samte Volkswirtschaft Werten von etwa 100 Mrd. Euro pro Jahr (DEMEA 2011). Alle verarbeiteten Rohstoffe werden nach ihrer Nutzung zu potenziellen Sekundärrohstoffen. Diese werden teil- Dass selbst die wirtschaftlichen Potenziale der Effizienz- weise durch den Export von Gebrauchtwaren und Abfäl- steigerung bisher nicht erschlossen worden sind, ist auf len dem heimischen Wirtschaftssystem entzogen. Abzu- eine Reihe von Hemmnissen zurückzuführen, wie zum ziehen vom theoretischen Gesamtpotenzial sind weiterhin Beispiel fehlende Anreize, fehlender Zugang zu Wissen diffuse Verluste (wie z. B. aufgrund von Abrieb in Pla- und Technologien oder geringe Recyclingqualitäten tinkatalysatoren) (HAGELÜKEN et al. 2005) und durch (RADEMAEKERS et al. 2011, S. 27 ff.). Bei einer Befra- Schadstoffe belastete Mengen, die dem System entzogen gung von kleinen und mittleren Unternehmen gaben nur und sicher abgelagert werden müssen. Allerdings sind 16 % an, Ressourceneffizienzpotenziale bereits vollstän- selbst diese abgelagerten, teilweise belasteten Mengen als dig ausgeschöpft zu haben. Als Hemmnisse für die Inan- Rohstofflager zu betrachten, das unter veränderten öko- spruchnahme von Förderprogrammen nannten die Unter- nomischen und technischen Rahmenbedingungen zu ei- nehmen die Offenlegung von Betriebsgeheimnissen, den ner mittel- oder langfristig nutzbaren Quelle werden kann Einsatz externer Berater, eine komplizierte Antragstel- (z. B. Stäube aus der Abgasreinigung (FEHRENBACH lung, den unsicheren Erfolg der Maßnahmen sowie lange et al. 2007)).

76 Ziele und Handlungsansätze

121. Deutschland hat mit 72 % (Anteil aller „einem kere Rolle bei der Bewertung von Recyclingaktivitäten stofflichen Verwertungsverfahren“ zugeführten Abfall- spielen, auch wenn sie sich (noch) nicht in den Marktprei- mengen) europaweit eine der höchsten Recyclingquoten sen widerspiegeln. (Statistisches Bundesamt 2011b). Eine Bewertung der 122. Die Potenziale der stofflichen Verwertung sind Recyclingpolitik Deutschlands muss aber auch mit Blick noch erheblich. Einzelne Rohstoffe wie Metalle lassen auf weitere Aspekte erfolgen: sich ohne Qualitätsverluste (aber durchaus unter Mengen- Welche Materialmengen stehen in Deutschland für ein Re- verlusten) wieder direkt in die Wertschöpfungskette ein- cycling zur Verfügung? Neben der Recyclingquote ist vor speisen. Mehr als die Hälfte des in Deutschland produ- allem interessant, welcher Anteil der aus Rohstoffsicht be- zierten Aluminiums, Kupfers und Zinks wird bereits aus deutsamen Stoffströme wie Metallschrotte bzw. Ge- Recycling-Vorstoffen gewonnen (WVM 2011). Diese ho- brauchtprodukte in Deutschland (bzw. Europa) für die hen Raten werden jedoch nur für einzelne Massenmetalle Rückgewinnung von Rohstoffen überhaupt zur Verfügung erreicht. Gerade die Technologierohstoffe wie Indium, steht. Hierfür müssen die Stoffströme, die in die nationalen Tantal, Lithium oder Neodym werden dagegen weltweit Entsorgungsanlagen gelangen, mit den exportierten Men- zu weniger als 1 % zurückgewonnen (UNEP 2011). Dies gen verglichen werden. Der Export von Gebrauchtproduk- beruht auf fehlenden Recyclinginfrastrukturen und Auf- ten ist grundsätzlich Teil des internationalen Handels. Er bereitungstechnologien sowie den geringen Mengen je stellt allerdings dann ein Problem dar, wenn Elektro- Produkt. Diese Kleinstmengen sind für die Erreichung schrott, der als Gebrauchtware deklariert wurde, exportiert von Recyclingquoten, die einen Mindestverwertungsan- wird (vgl. Tz. 145). Die Verwertung dieser gefährlichen, teil an der Gesamtmasse fordern, unbedeutend. Auch aber rohstoffreichen Abfälle erfüllt in vielen Ländern, die mangelnde Information der Hersteller und Konsumenten diese Stoffe importieren, weder soziale noch ökologische kann eine Ursache für die niedrigen Recyclingquoten Standards. Es bedarf einer politischen Entscheidung, ob sein. Andere Rohstoffe (z. B. Mischkunststoffe, Bau- und wie Stoffströme (z. B. Gebrauchtfahrzeuge oder Elek- schutt) können aufgrund ihrer Eigenschaften oder Verbin- tro-/Elektronikschrott) in nationale Verwertungswege ge- dungen nicht wieder ihrem ursprünglichen Zweck zuge- lenkt werden können. führt werden, dienen aber an anderer Stelle als Ersatz für Primärrohstoffe. Auch diese Art der Kaskadennutzung Welche Mengen an Sekundärrohstoffen können zurück- führt zu einer Mengen- und Wirkungsreduzierung des gewonnen werden? Aufgrund der Zusammensetzung der Rohstoffverbrauchs. Abfälle sowie technischer und physikalischer Grenzen beim Recycling ist die Outputmenge an Sekundärrohstof- Insgesamt gilt es, hohe Qualitäten in Verbindung mit ho- fen deutlich geringer als die Inputmenge an Abfällen. Ne- hen Rückgewinnungsraten zu erzielen. Dafür bedarf es ben der Unterstützung technischer Innovationen besteht einerseits der Weiterentwicklung der Aufbereitungstech- hier Verbesserungsbedarf bei der Erfassung, um höhere nik, andererseits Veränderungen der Inputstoffe, zum Bei- Reinheiten zu erreichen. spiel durch Verwendungsverbote für Schadstoffe (siehe z. B. RoHS-Richtlinie 2011/65/EU, Forderung nach mi- Auf welchem Niveau werden die gewonnenen Sekundär- neralölfreien Druckfarben u. a.) sowie einer erfolgreiche- rohstoffe eingesetzt? Das Verwertungsspektrum reicht ren Sammlung und Erfassung. von hochwertigem Einsatz auf dem gleichen Niveau wie ein Primärrohstoff (z. B. Metalle) über abnehmende Qua- 123. Zu beachten ist bei all diesen Ansätzen für eine litäten bei mehrfachen Verwertungszyklen (z. B. Papier) Entkopplung von Rohstoffverbrauch und Wohlfahrt, dass bis zum einmaligen Einsatz (z. B. Bauschutt zur Gelände- Effizienzfortschritte grundsätzlich durch Rebound-Ef- modellierung auf Deponien). Aus ökologischer Sicht ist fekte gefährdet sind (vgl. Kap. 1.3). Rebound-Effekte die Aufbereitung und Verwertung eines Sekundärrohstof- sollten daher beachtet und durch entsprechend ausgestal- fes immer auf dem jeweils höchstmöglichen Niveau an- tete flankierende Maßnahmen vermieden werden. zustreben. Kaskadennutzungen sind daher empfehlens- wert, denn sie gewährleisten, dass Rohstoffe so lange wie 2.3.3 Entkopplung von Rohstoffverbrauch möglich im Wirtschaftskreislauf erhalten bleiben. Die und Umweltauswirkungen Bundesregierung sollte Maßnahmen fördern, die den Ein- satz von Sekundärrohstoffen auf hohem Niveau voran- 124. Eine Entkopplung von Rohstoffverbrauch und treiben. Umweltauswirkungen erfordert die Minimierung der Um- weltauswirkungen je Materialeinheit. Eine Festlegung Wie hoch ist der ökologische Nutzen des Recyclings? Der konkreter Entkopplungsziele stellt sich aufgrund der Einsatz von Energie, Wasser, Luft, Fläche usw. für Erfas- Quantifizierungsprobleme der Belastungen schwierig dar sung, Transport und Aufbereitungsverfahren muss ins (vgl. Kap. 2.2). Grundsätzlich sollten aber der Natur- Verhältnis zum ökologischen Aufwand der Primärpro- schutz (Gebiets- und Artenschutz) sowie der Schutz der duktion, aber auch zur Endlichkeit der Vorräte gesetzt menschlichen Gesundheit auf allen Stufen der Wert- werden. Diese Abwägung stand bisher unter der Vorbe- schöpfungskette prioritär berücksichtigt werden. Wie Ka- dingung einer wirtschaftlichen Zumutbarkeit, die sich am pitel 2.2 gezeigt hat, bestehen hohe Belastungen für Vergleich mit den Kosten für alternative Entsorgungsver- Mensch und Natur besonders bei der Rohstoffgewinnung fahren (z. B. thermische Verwertung oder Deponierung) und der Grundstoffproduktion. Die Güterproduktion hat orientiert. Starke Umweltwirkungen der Primärproduk- wegen des Bedarfs an fossilen Energieträgern vor allem tion und Knappheiten müssen künftig eine deutlich stär- Auswirkungen auf den Klimawandel.

77 Metallische und mineralische Rohstoffe

Die Entkopplung von Rohstoffverbrauch und Umweltaus- brauch allmählich zur Erschöpfung führt (SRU 2002, wirkungen mit dem Ziel des Schutzes von Natur, Umwelt S. 66; KLEPPER 1999, S. 313). Mit einem Abbauverzicht und menschlicher Gesundheit kann auf nationaler bzw. wäre allerdings weder heutigen noch künftigen Generatio- EU-Ebene durch verschiedene Maßnahmen gefördert wer- nen gedient. Da außerdem im Bereich der stofflichen Res- den, insbesondere durch eine strenge Umweltgesetzge- sourcen die Annahme einer gewissen Substituierbarkeit bung. Demgegenüber ist es schwieriger, die weltweiten plausibel erscheint, ist hier – im Gegensatz zum Bereich Umweltbelastungen, die durch die Rohstoffwirtschaft ver- der Funktionen ökologischer Systeme – die Anwendbar- ursacht werden, zu beeinflussen. Um Verantwortung für keit des Prinzips der schwachen Nachhaltigkeit zu recht- den deutschen Rohstoffverbrauch zu übernehmen, sollte fertigen. Erschöpfbare Rohstoffe sollten jedoch nur in dem die Bundesregierung anstreben, auch die Umweltwirkun- Maße verbraucht werden, wie gleichzeitig physisch und gen außerhalb Deutschlands zu verringern. Dies lässt sich funktionell gleichwertiger Ersatz an regenerierbaren Res- auf verschiedenen Wegen erreichen. So kann es sinnvoll sourcen geschaffen wird (SRU 2002, Tz. 28 f.). sein, einen Rohstoff durch einen umweltverträglicheren zu ersetzen. Während solche Substitutionen den Druck auf 127. Bei global gehandelten Rohstoffen stellt sich da- die Umwelt kurzfristig für einen Rohstoff verringern kön- rüber hinaus die Frage der intragenerativen, vor allem nen, hat diese Strategie aber ihre Grenzen. Langfristig globalen Gerechtigkeit der Ressourcennutzung. Der SRU werden auch durch sie neue Begehrlichkeiten nach auf- bekennt sich zum Prinzip der fairen und gleichen Pro- wendiger auszubeutenden Rohstofflagern geweckt, wo- Kopf-Nutzungsansprüche auf natürliche Ressourcen, das durch neue Knappheiten entstehen können. auch in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zum Aus- druck kommt (Bundesregierung 2008, S. 20). Auch um Durch internationale Zusammenarbeit im Rahmen der Spielräume für die legitimen Entwicklungsbestrebungen Außen-, Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik sollten ärmerer Weltregionen zu schaffen, sollten Länder mit ho- Deutschland und die EU daher gemeinsam mit Schwel- hem Pro-Kopf-Verbrauch ihren Verbrauch grundsätzlich len- und Entwicklungsländern Umweltprobleme der Roh- auf ein global verallgemeinerbares Niveau absenken stoffwirtschaft im Rahmen von Verträgen minimieren (BRINGEZU und BLEISCHWITZ 2009; BRINGEZU (vgl. Abschn. 2.4.4). Aus ökologischer Sicht ist es priori- 2009; SERI 2009). Nimmt man eine Stabilisierung des tär, die Auswirkungen des Abbaus zu verringern. Ge- globalen Materialbedarfs bis 2050 bei gleichem weltwei- meinsam mit den Förderländern sollten ökologische, öko- ten Pro-Kopf-Verbrauch an, so ergibt sich das Ziel, den nomische und soziale Rahmenbedingungen entwickelt aktuellen Durchschnittsverbrauch in der EU von gegen- werden, um dort eine hohe Akzeptanz zu erreichen. Dafür wärtig circa 16 t auf circa 6 t pro Kopf (gemessen in ist vor allem auch ein gezielter Technologie- und Wissens- DMC (Domestic Material Consumption)) oder 10 t pro transfer erforderlich. Kopf (gemessen in TMC (Total Material Consumption)) zu reduzieren (FISCHER-KOWALSKI et al. 2010, S. 11; 2.3.4 Zieldefinition Cambridge Econometrics et al. 2011, S. 8). Darüber hi- naus sollte Deutschland mehr Verantwortung für die Um- 125. Die Rohstoffwirtschaft trägt in erheblichem Um- weltbelastungen der ersten Stufe der Wertschöpfungs- fang zur Überschreitung globaler, regionaler und lokaler kette, den Abbau und die Extraktion, in anderen Ländern ökologischer Grenzen bei. Den kurzfristigen Vorteilen ei- übernehmen. Auch wenn die Gewinnung vieler Rohstoffe nes großzügigen Konsums erschöpfbarer Rohstoffe ste- außerhalb Deutschlands stattfindet, bestehen Einfluss- hen schwerwiegende Folgen einer nicht-umweltverträgli- möglichkeiten (vgl. Abschn. 2.4.4). chen Rohstoffwirtschaft gegenüber, die vor allem von den Für einen verantwortungsbewussten und umweltverträgli- Entwicklungs- und Schwellenländern getragen werden. chen Umgang mit den begrenzten Rohstoffvorräten der Die Vielzahl der negativen Umweltfolgen, beispielsweise Erde sind daher zusammenfassend die folgenden Ziele zu in den Bereichen Klimawandel, Biodiversitätsverlust und verfolgen: toxische Wirkungen auf Mensch und Umwelt, lassen sich global zwar nicht systematisch quantifizieren, die qualita- – Entkopplung des Rohstoffverbrauchs von der Wohl- tive Betrachtung der Auswirkungen zeigt aber, dass ohne fahrt mit dem Ziel einer Absenkung des Pro-Kopf- einen Kurswechsel in der Rohstoffwirtschaft weitrei- Verbrauchs auf ein global verallgemeinerbares Ni- chende ökologische Schäden zu erwarten sind (vgl. veau, Kap. 2.2). Es ist deutlich geworden, dass der weiterhin weltweit wachsende Rohstoffkonsum gebremst werden – Entkopplung der Umweltauswirkungen vom Rohstoff- muss. Dabei stellt sich die Frage nach dem Anspruchsni- verbrauch vorrangig durch eine Senkung der Umwelt- veau einer umweltverträglichen Rohstoffwirtschaft. belastungen bei der Gewinnung von Rohstoffen und 126. In der neoklassischen Ressourcenökonomik wird – weitreichende Kreislaufführung von Rohstoffen. das optimale Abbautempo von erschöpfbaren Ressourcen bestimmt durch die Nachfragefunktion und die Höhe der 2.3.5 Indikatoren für Entkopplungsziele Diskontrate sowie evtl. verfügbare Ersatzstoffe (MEYER Kenntnis von Stoffströmen et al. 1998). Eine strenge Auslegung des Prinzips der star- ken Nachhaltigkeit würde hingegen bedeuten, dass nicht- 128. Um den Erfolg einer umweltverträglichen Roh- erneuerbare Rohstoffe prinzipiell nicht in Anspruch ge- stoffwirtschaft messen zu können, sind qualifizierte Ziele nommen werden dürfen, da selbst der sparsamste Ver- und eine angemessene Datengrundlage notwendig. Der

78 Ziele und Handlungsansätze

Lebensweg von Rohstoffen ist aber nur in Ausnahmefäl- deren Hauptverwendungsgebiete sowie Exporte von Roh- len von der Exploration bis zur Entsorgung dokumentiert. stoffen erfasst werden. Als erste Grundlage können Daten Bislang werden Indikatoren für den Verbrauch, die Pro- des Statistischen Bundesamtes (Außenhandelsstatistik) duktivität oder die Rückführung in den Produktionskreis- sowie der Deutschen Rohstoffagentur dienen (BGR 2010). lauf vorwiegend massebezogen und ohne Differenzierung Die Einflüsse auf die Rohstoffnutzung (Konjunktur, Tech- nach einzelnen Rohstoffen erhoben. nologiefortschritt, Import/Export, Wiederverwendung etc.) sind sehr vielschichtig, das Stoffstrommodell weist Zur Ausgestaltung effektiver politischer Instrumente fehlt dementsprechend eine erhöhte Komplexität auf. Kritisch es in Deutschland und Europa derzeit häufig an der Erfas- dabei ist unter anderem die zeitliche Verzögerung bis zu ei- sung wichtiger Grundlagendaten (ERDMANN et al. 2011). ner Rückführung eines Rohstoffes in den Produktions- Dringend benötigt wird eine Dokumentation des Lebens- kreislauf. Die Verfolgung der Stoffströme ermöglicht Aus- wegs (Abb. 2-7) ausgewählter Rohstoffe, die entweder in sagen über das mittel- und langfristig verfügbare Potenzial großer Menge in der Wirtschaft benötigt werden oder de- an qualitätsgesicherten Sekundärrohstoffen. Ein aktuelles ren Nutzung besonders kritische Folgen für Mensch und Forschungsvorhaben über die Inhaltsstoffe, Mengen und Umwelt hat (z. B. Technologierohstoffe, einzelne Massen- metalle). Stoffströme von Elektro- und Elektronikgeräten (EUWID 2011b) analysiert beispielsweise Wege der Umsetzung ei- Idealerweise könnte zusätzlich nicht nur die nach ver- ner differenzierten Stoffstromdokumentation. Die Bun- schiedenen Rohstoffen erfasste Menge importierter Pri- desregierung sollte diese Daten für ausgewählte Rohstoffe märrohstoffe sowie Halb- und Fertigwaren, sondern auch verpflichtend erfassen und zentral dokumentieren lassen.

Abbildung 2-7

Wege der Rohstoffe im Wirtschaftssystem

Import Inländische Primärrohstoffe Extraktion Halb- und Fertigwaren

Fertigung

Diffuse Rohstoffbestand Verluste Infrastruktur Produkte in Gebrauch Produkte nach Gebrauch („Schublade“) / Abfall Sekundär - rohstoffe

Export Export Abfallwirtschaft Neuprodukte Gebrauchtprodukte Verwertung und Sekundärrohstoffe Beseitigung

Ablagerung  SRU/UG 2012/Abb.2-7

79 Metallische und mineralische Rohstoffe

Indikatoren Im Rahmen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie wurde im Jahre 2002 das Ziel formuliert, bis zum Jahr 2020 eine 129. Es gibt bislang keine Indikatoren, die die Umwelt- Verdopplung der gesamtwirtschaftlichen Rohstoffproduk- wirkungen der Rohstoffwirtschaft umfassend abbilden. tivität (Verhältnis von BIP zu Materialeinsatz) gegenüber Die Entwicklung von Indikatoren ist daher von zentraler 1994 zu erreichen (Bundesregierung 2002). Dafür berech- Bedeutung für die Rohstoffpolitik und sollte von der Bun- net das Statistische Bundesamt den DMI für den abioti- desregierung aktiv unterstützt und europäisch weiterhin schen Rohstoffeinsatz als Summe der Entnahme von Roh- vorangetrieben werden. Ein einziger aggregierter Indika- stoffen im Inland und der Importe von Rohstoffen sowie tor wird allerdings nur unzureichend die verschiedenen von Halb- und Fertigwaren (jeweils in Tonnen). Zwischen Facetten einer umweltverträglichen Rohstoffwirtschaft 1994 und 2010 ist die Rohstoffproduktivität demnach um wiedergeben können. Zum Teil kann auf bestehende Da- 47,5 % gestiegen (Statistisches Bundesamt 2011c). Um tensätze zurückgegriffen werden. Hier sind vor allem so- das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie zu erreichen, ist eine genannte Materialflussindikatoren zu nennen, die Produk- Fortführung derzeitiger Produktivitätsfortschritte nicht tivitätsfortschritte darstellen können. Diese Ansätze sind ganz ausreichend (EGELER 2010). zu begrüßen und weiterzuentwickeln. Dem Produktivitätsfortschritt liegt neben einem Rück- Zur Messung des Materialeinsatzes werden vor allem der gang der Rohstoffentnahme im Inland auch ein Anstieg DMI (Direct Material Input) oder der TMR (Total Mate- der Einfuhr insbesondere von Halb- und Fertigwaren zu- rial Requirement) verwendet (BRINGEZU und grunde. Aufgrund der derzeitigen Berechnungsmethode, BLEISCHWITZ 2009, S. 23 ff.; s. Tab. 2-1). Durch diese die Importe von Halb- und Fertigwaren nur in ihrem Ei- kann der mengenmäßige Materialeinsatz einer Wirtschaft gengewicht betrachtet, ergibt sich auch dann ein ver- berechnet werden. Der Unterschied zwischen den beiden meintlicher Produktivitätsfortschritt, wenn Rohstoffe, die Indikatoren besteht darin, dass der TMR auch nicht ver- bislang im Inland entnommen oder importiert wurden, wertete Entnahme wie Abraum und Bergmaterial berück- nun durch die Einfuhr von weiter verarbeiteten Produkten sichtigt. Da jede bewegte Menge ein Eingriff in die Natur ersetzt werden (EGELER 2010). Das Statistische Bun- darstellt, ist der TMR ökologisch weitreichender. Aller- desamt und das Umweltbundesamt (UBA) haben daher in dings erweist sich die Datenerfassung – vor allem interna- einem Projekt eine Weiterentwicklung des DMI unter- tional – als schwierig. Werden die Materialflussindikato- sucht (BUYNY et al. 2009). Der Indikator soll nun um ei- ren in Relation zur Wirtschaftsleistung gestellt, lassen nen Materialindikator in Rohstoffäquivalenten (DMIRÄ) sich dadurch auch Produktivitätsfortschritte messen. ergänzt werden, der statt nur des Gewichts der importier-

Tabelle 2-1

Übersicht relevanter Materialflussindikatoren

Typ Akronym Name und Beschreibung Input DMI Direct Material Input = Direkter Materialeinsatz (DMI = Inländische Entnahme + Importe)

DMIRÄ DMI in Rohstoffäquivalenten (anstatt nur das reine Gewicht der Importe von Halb- und Fertigwaren zu berücksichtigen, wird zusätzlich auch das Gewicht der für deren Herstel- lung verbrauchten Rohstoffe berücksichtigt) TMR Total Material Requirement = Vollständiger Materialaufwand (TMR = DMI + nicht verwertete inländische Entnahme + nicht verwertete Entnahme der Importe)

TMRRÄ TMR in Rohstoffäquivalenten (TMRRÄ = DMIRÄ + nicht verwertete inländische Entnahme + nicht verwertete Entnahme der Importe) Verbrauch DMC Domestic Material Consumption = Inländischer Materialverbrauch (DMC = DMI – Ex- porte)

DMCRÄ DMC in Rohstoffäquivalenten (anstatt nur das reine Gewicht der Importe und Exporte von Halb- und Fertigwaren zu berücksichtigen, wird zusätzlich auch das Gewicht der für deren Herstellung verbrauchten Rohstoffe berücksichtigt) TMC Total Material Consumption = Vollständiger Materialverbrauch (TMC = TMR – Exporte – nicht verwertete Entnahme von Exporten) SRU/UG 2012/Tab. 2-1

80 Ziele und Handlungsansätze ten Güter auch das Gewicht aller über die gesamte Pro- 2000 und 2008 ist ein Rückgang des inländischen Materi- duktionskette der importierten Güter hinweg eingesetzten alverbrauchs um 18,5 % erkennbar (Statistisches Bundes- Stoffe berücksichtigt (BUYNY et al. 2009). Die nicht amt 2010). Der Rückgang des inländischen Verbrauchs verwertete Entnahme wird dabei nicht einberechnet. Um von Erzen in dieser Zeit beträgt 25,8 %, von Bauminera- auch diese zu berücksichtigen, ist der TMRRÄ erforder- lien 26,4 % und von Industriemineralien 9,9 %. Dieser lich, wofür die Datenlage derzeit aber noch nicht ausrei- Trend sollte abgesichert werden. Neben dem bestehenden chend ist. Die Nutzung des DMIRÄ ist zu begrüßen (SRU Produktivitätsziel der Bundesregierung sollten daher auch 2011a), denn mit diesem werden Produktivitäts- und Effi- Ziele für eine weitere schrittweise Senkung des Pro- zienzfortschritte deutlicher, die nicht Folge wirtschafts- Kopf-Verbrauchs politisch festgelegt werden. struktureller Verschiebung sind (wie z. B. die Verlage- 131. Die Pflichten und Erfolge der Kreislaufwirtschaft rung vorderer Produktionsstufen von Industrienationen in werden über Recyclingquoten dokumentiert, die eine sehr Schwellenländer). unterschiedliche Aussagekraft haben (s. Tz. 121 sowie Wird das Gewicht aller über die gesamte Produktions- UNEP 2011). Kriterium für eine Bewertung der Erfolge kette der importierten Güter hinweg eingesetzten Stoffe der Kreislaufwirtschaft sollte künftig die Substitutions- in die Berechnung einbezogen, liegt die Steigerung der quote sein, das Mengenverhältnis von wieder in der Produk- Produktivität zwischen 2000 und 2008 bei nur 6,9 %, im tion einsetzbaren Sekundärrohstoffen zum gesamtwirt- Vergleich zu 17,1 % nach der Berechnung des Indikators schaftlichen Materialeinsatz. Nach ersten Schätzungen des der Nachhaltigkeitsstrategie. Dem Produktivitätsfort- Statistischen Bundesamtes aus dem Jahre 2006 beträgt die schritt liegt ein steigendes BIP bei einem leicht steigen- Substitutionsquote derzeit 4,1 % für die stoffliche Nut- zung (biotisch, abiotisch sowie Abfälle zur Verwertung) den Materialeinsatz (gemäß DMIRÄ plus 3 % Verände- rung im Zeitraum 2000 bis 2008) zugrunde (Statistisches (Statistisches Bundesamt 2010). Hier ist eine größere In- Bundesamt 2010). Anders als der derzeitige Indikator es dikatortiefe, die für einzelne Rohstoffe trennscharf eine andeutet, wäre der absolute Materialeinsatz in Deutsch- Substitutionsquote erfasst, notwendig. Dies sollte durch land nach diesen Berechnungen nicht rückläufig. Nach das Statistische Bundesamt geschehen. dieser Berechnungsmethode wird das Ziel der Nachhal- Die Bundesregierung sollte außerdem Ziele für eine stei- tigkeitsstrategie weit verfehlt. gende Substitutionsquote formulieren. Dafür sind aber zunächst weitere Untersuchungen erforderlich, welche Für eine Berechnung der Rohstoffproduktivität wären au- Anteile an Primärrohstoffen sich technisch durch Sekun- ßerdem weiter differenzierte Datensätze vorteilhaft (SRU därrohstoffe ersetzen lassen können. 2011a). Ein Blick auf die Entwicklung der verschiedenen Rohstoffarten (Energierohstoffe, Baumineralien, Metall- erze), auf denen der DMI beruht, erlaubt schon heute inte- Umweltbelastungen ressante Schlussfolgerungen. Während sich der Einsatz 132. Die Materialflussindikatoren geben indirekt auch von Baumineralien, gemessen als DMIRÄ, im Zeitraum Auskunft über die durch eine Volkswirtschaft verursach- zwischen 2000 und 2008 um 19,8 % reduziert hat, ist der ten globalen Umweltbelastungen, denn in der Regel geht Materialeinsatz von Erzen in der gleichen Zeit um 14,3 % ein erhöhter Rohstoffverbrauch auch mit verstärkter Um- gestiegen (Statistisches Bundesamt 2010). Produktivitäts- weltzerstörung einher (BRINGEZU 2009). Über spezifi- fortschritte sind bisher also fast ausschließlich auf einen sche Belastungen – zum Beispiel durch bestimmte Minen – geringeren Einsatz von Baumineralien zurückzuführen, können sie allerdings keine Auskunft geben. Der Nachteil auch wenn es durchaus auch Effizienzpotenziale bei der der Materialflussindikatoren ist, dass zwischen der Ab- Nutzung anderer Rohstoffe gibt. Interessant wäre daher baumenge und den negativen Umweltauswirkungen kein eine weitere Aufschlüsselung der Entwicklungen bei den verallgemeinerbarer Kausalzusammenhang bestehen Erzen nach verschiedenen Metallen, sodass die unter- muss. Ein Mengenindikator kann nicht zwischen den äu- schiedlichen Fortschritte erkennbar würden. ßerst verschiedenen Belastungen unterschiedlicher Roh- stoffe differenzieren. Außerdem sind die negativen Aus- 130. Neben dem Materialeinsatz einer Volkswirtschaft wirkungen, neben der reinen Masse des Abbaus, auch von ist auch der inländische Materialverbrauch, der DMC, anderen Faktoren abhängig, wie der genutzten Technolo- eine wichtige Größe. Indem vom Materialeinsatz der gie, der Expertise der Arbeiter, der spezifischen Landes- Wirtschaft eines Landes jegliche Rohstoffexporte subtra- charakteristika, der Toxizität des Rohstoffs in Berührung hiert werden, können Rückschlüsse auf das Konsumver- mit anderen Stoffen oder der Konzentration des Rohstof- halten eines Landes gezogen werden. Verbrauchsindika- fes im Boden. Aus diesem Grund sind weitere Indikato- toren sind gut für länderübergreifende Vergleiche ren erforderlich, die neben den Materialflussindikatoren geeignet. Wie beim DMI ist auch beim DMC eine Be- die negativen Umweltwirkungen besser erfassen können. rechnung in Rohstoffäquivalenten (DMCRÄ) aussagekräf- tiger. Für den internationalen Vergleich sollte der DMCRÄ AYRES (2001) kritisiert den TMC und empfiehlt stattdes- pro Kopf gewählt werden. In Deutschland sinkt der inlän- sen die für die Extraktion, Umwandlung und Veredelung dische Materialverbrauch DMCRÄ, wenn auch ausgehend benutzte Energie als geeigneteres Maß. Der kumulierte von einem hohen Niveau. Gründe für das Absinken sind (fossile) Energieverbrauch als Indikator hat den Vorteil, vor allem ein starker Anstieg der Exporte gegenüber den dass er einen quantifizierbaren Wert für den Aufwand der Importen sowie die durchschnittlich höhere Rohstoffin- Gewinnung und Weiterverarbeitung bietet. Anhand dieses tensität der exportierten Produkte. Im Zeitraum zwischen Ansatzes können Rohstoffvorkommen weltweit besser

81 Metallische und mineralische Rohstoffe miteinander verglichen werden. Der kumulierte Energie- (ProgRess) verwiesen, deren Konkretisierung und Umset- verbrauch kann den Beitrag des Rohstoffabbaus zum an- zung der SRU nachdrücklich unterstützt (BMU 2011a). thropogenen Treibhauseffekt dokumentieren. Weitere Umweltbelastungen wie die negativen Einflüsse auf die 2.4.1 Bergrecht, Naturschutz- und Wasserrecht menschliche Gesundheit oder die Auswirkungen auf die Biodiversität kann er allerdings nicht oder nicht besser als 134. Die Entnahme von Rohstoffen und fossilen Ener- der TMC darstellen. gieträgern kann mit erheblichen Beeinträchtigungen der biologischen Vielfalt verbunden sein. Dazu zählen zum Daten, die als Indikatoren für regionale Belastungen von Beispiel der Verlust an Lebensräumen für Arten und Ar- Mensch und Umwelt geeignet sind, könnten jedoch auch tengemeinschaften, der Verlust gewachsener Bodenstruk- im Rahmen von Monitoringprogrammen zur Überwa- turen und Beeinträchtigungen des Grundwassers (BMU chung (noch festzulegender) international standardisierter 2007, S. 50). Die Gewinnung von Rohstoffen unterliegt Grenzwerte (WHO 2007) erhoben werden. Voraussetzung einer Vielzahl bundes- und landesrechtlicher Regelungen, ist jedoch die Durchführung von entsprechenden Untersu- zu denen insbesondere das Bergrecht zählt, das für die chungen, deren öffentliche Dokumentation und Bünde- von ihm erfassten Sachverhalte eine spezialgesetzliche lung. Regelung darstellt. Abschließend ist daher festzuhalten, dass für eine bessere Das Bundesberggesetz (BBergG) unterscheidet zwischen Dokumentation der Umweltbelastungen der Rohstoff- grundeigenen (Eigentum des Grundeigentümers) und wirtschaft ein Set an Indikatoren zusammengestellt wer- bergfreien (nicht Eigentum des Grundeigentümers) Bo- den sollte. Neben einem Massenindikator – am besten denschätzen (§ 3 Absatz 2 BBergG). Dem BBergG unter- dem TMC – wäre zusätzlich ein Indikator für den kumu- fallen alle bergfreien Bodenschätze. Dazu gehören unter lierten Energieverbrauch sowie regional erhobene Daten anderem Stein- und Braunkohle, Erdöl und Erdgas, Stein- über Umweltbelastungen sinnvoll. und Kalisalz sowie Erze (§ 3 Absatz 3 BBergG). Unter den grundeigenen Bodenschätzen gilt das BBergG nur für 2.4 Wege zu einer umweltverträglichen bestimmte Steine und Erden sowie ausgewählte Industrie- Rohstoffwirtschaft: Instrumente minerale (§ 3 Absatz 4 BBergG). Der größere Teil der 133. Es stehen grundsätzlich zahlreiche, sich gegensei- grundeigenen Bodenschätze wird von dem Gesetz nicht tig ergänzende ordnungsrechtliche, ökonomische und in- erfasst. Allerdings gilt das Bergrecht auch immer dann, formatorische Instrumente zur Verfügung, die die Roh- wenn Rohstoffe untertägig aufgesucht und gewonnen stoffproduktivität erhöhen sowie Umweltauswirkungen werden (§ 3 Absatz 4 Nummer 2 BBergG). reduzieren können (s. Überblick Tab. 2-2). Während in Das BBergG ist ausschließlich auf die Sicherung der Deutschland und Europa hohe Umweltstandards gelten, Rohstoffversorgung durch die Gewinnung von Boden- sind sie in einer Reihe anderer Länder entweder deutlich schätzen gerichtet (§ 1 Nummer 1 BBergG). Dies wird niedriger oder bestehende Umweltgesetze werden nicht auch aus der sogenannten Rohstoffsicherungsklausel in vollzogen. Problematisch bleibt dabei, dass nationale § 48 Absatz 1 BBergG deutlich: Danach ist dafür Sorge Politik nur begrenzt Einfluss auf die Umweltstandards zu tragen, dass die Aufsuchung und Gewinnung so wenig nehmen kann, die beim Abbau von Rohstoffen in anderen wie möglich beeinträchtigt wird. Als Folge ist die Rechts- Ländern angewandt werden. Auf Grundlage einer um- stellung von Naturschutzbelangen im BBergG nur fangreichen Analyse möglicher Handlungsfelder werden schwach ausgeprägt. Eine Prüfung von Naturschutzbelan- einige vielversprechende Instrumente betrachtet, die eine gen ist nicht explizit vorgesehen. Die Zulassung eines Be- strategische Bedeutung für eine umweltverträgliche Roh- triebsplans, der Voraussetzung für das Errichten, Führen stoffwirtschaft haben. Hierzu gehören: und Einstellen von Aufsuchungs- und Gewinnungsbetrie- – das nationale Berg-, Naturschutz- und Wasserrecht, ben ist, ist überdies als gebundene Entscheidung ausge- die einen umweltverträglichen „heimischen“ Roh- staltet. Das heißt, die Genehmigung ist zu erteilen, wenn stoffabbau gewährleisten und die Verwirklichung die in § 55 BBergG aufgeführten Gründe, unter denen der kurzfristiger wirtschaftlicher Interessen auf Kosten Naturschutz nicht erscheint, nicht entgegen stehen. Aller- des Naturkapitals verhindern sollen, dings folgt aus der Rechtsprechung des Bundesverwal- tungsgerichts (BVerwG) zu § 48 Absatz 2 Satz 1 BBergG, – ökonomische und abfallpolitische Instrumente, die auf dass ein bergrechtlicher Betriebsplan nur zugelassen wer- Rohstoff- und Energieeffizienz durch stoffliche Kreis- den darf, wenn keine „überwiegenden öffentlichen Inte- laufführung und klimaschonende Rohstoffwirtschaft ressen“ entgegenstehen (sogenannte Auffangfunktion) setzen, (Urteil des BVerwG v. 29. Juni 2006, BVerwG 7 C 11.05, – Umweltstandards, die insbesondere die internationali- ständige Rechtsprechung). Soweit umweltbezogene Re- sierten Wertschöpfungsketten der Rohstoffwirtschaft gelungen nicht unter die unbestimmten Rechtsbegriffe einbeziehen können. des § 55 BBergG zu subsumieren sind, können sie im Rahmen der Abwägung nach § 48 Absatz 2 Satz 1 Für die im Folgenden nicht ausführlich diskutierten Hand- BBergG als „überwiegend öffentliche Interessen“ ein lungsansätze, insbesondere im Bereich Entkopplung von bergbauliches Vorhaben beschränken oder der Zulassung Rohstoffverbrauch und Wohlfahrt, sei auf die Empfehlun- entgegenstehen. Ein bergbauliches Vorhaben kann daher gen des Deutschen Ressourceneffizienzprogramms unter Umständen auch mit Hinweis auf überwiegende

82 Instrumente

Tabelle 2-2

Handlungsansätze, Instrumente und Anwendungsbeispiele zur Erreichung der Entkopplungsziele

Ziel Handlungsansätze Instrumente Anwendungsbeispiele Reduzierung Materi- Materialinputsteuer Massenmetalle, seltene Erden aleinsatz, Miniaturi- sierung Entnahmesteuer mineralische Baustoffe Emissionshandel Zementindustrie Ökodesign-Richtlinie 2005/32/ Elektrogeräte, Haushaltsgeräte EG Innovations- und Forschungs- ReTech (Exportinitiative Recycling- und förderung, Technologietrans- Effizienztechnik) fer, Beratung Produktionsstandards Elektrogeräte, Haushaltsgeräte Nutzungsdauerverlän- Produktstandards Reparaturfähigkeit, Demontagefähigkeit gerung Innovations- und Forschungs- Förderprogramm „Nachhaltiges Wirt- förderung, Technologietrans- schaften: Möglichkeiten und Grenzen von fer, Beratung neuen Nutzungsstrategien“ Grüne öffentliche Beschaffung Re-use PC, Möbelpool Kreislaufführung Abfallrecht Abfallhierarchie Entkopplung Mindest-Recycling-Anteile Beton Rohstoffver- brauch und Produktverantwortung Altauto-Richtlinie 2000/53/EG Wohlfahrt (Re- duzierung der Pfandsysteme Mobiltelefone, Elektrogeräte, Autobatterie Rohstoff- Stoffflusskataster/Erfassung seltene Erden menge je Wirt- Rohstoffbestand in Deutsch- schaftsleistung) land Subventionierung Sekundärrohstoffe Innovations- und Forschungs- Rückgewinnung seltener Erden in Elektro- förderung, Technologietransfer geräten, PV-Modulen Produktsubstitution Produktsharing, Dienstleis- Autos/Fahrräder/Baumarktgeräte tung statt Produkterwerb Öko-Sonderabgabe auf ökolo- gisch schädliche Rohstoffe Veränderung Konsum Bewusstseinsschaffung/Infor- „Rohstoffengel“ mationspolitik Mehrwertsteuer Senkung für Produkte mit „Rohstoffengel“ Öko-Sonderabgabe auf roh- stoffintensive Produkte Subventionierung rohstoffär- merer Produkte Grüne öffentliche Beschaffung green IT, Bauwesen

83 Metallische und mineralische Rohstoffe n o c h Tabelle 2-2

Ziel Handlungsansätze Instrumente Anwendungsbeispiele Primärrohstoffsubsti- Innovations- und Forschungs- Solarzellen tution förderung, Technologietrans- fer, Beratung nationaler Naturschutz Abbaustandards heimische Baustoffe Naturschutzrecht (Eingriffs- heimische Baustoffe und Ausgleichsregelung, Entkopplung Biotop-/Artenschutz) Umweltauswir- Rekultivierungs-/ Tagebau, Kiesgruben kung und Roh- Renaturierungsverpflichtungen stoffnutzung (Verringerung Öko-Sonderabgabe auf ökolo- der negativen gisch schädliche Rohstoffe Umweltauswir- Internationale Zusam- Rohstoffpartnerschaften umweltverträgliche Rohstoffgewinnung in kung je genutz- menarbeit Partnerländern ter Tonne Roh- stoffe) Zertifizierung Massenmetalle, seltene Erden Internationales Rohstoffrah- menabkommen Technologietransfer Recyclingtechnik Entwicklungszusammenarbeit Rekultivierung/Renaturierung Klimaschutzpolitik Emissionshandel energiesparende Zementherstellung SRU/UG 2012/Tab. 2-2

Interessen des Naturschutzes nicht zugelassen werden. eine Baugenehmigung. Entsteht beim Kiesabbau ein Ge- Nichtsdestotrotz sollte das BBergG neu gefasst werden. wässer, zum Beispiel ein Baggersee, oder wird ein solches Dabei sollte ein Primat zur Konfliktvermeidung etabliert beseitigt oder wesentlich umgestaltet, ist eine wasserrecht- werden und in Abhängigkeit von der Schwere der berg- liche Genehmigung nötig, die in Form eines Planfeststel- baulichen Eingriffe in die Umwelt eine Genehmigungser- lungsbeschlusses ergeht. teilung an besondere Bedingungen zum Nachweis eines Bedarfs geknüpft werden (TEßMER 2009, S. 13). 137. Die Rohstoffgewinnung hat Folgen für bestehende Ökosysteme. Außerhalb von Naturschutzgebieten müssen 135. Neben dem BBergG können gegebenenfalls wei- Eingriffe in Natur und Landschaft regelmäßig im Rahmen tere Genehmigungen zum Beispiel nach Wasserhaushalts- der Eingriffsregelung geprüft werden. Die Europäische gesetz (WHG) erforderlich sein. Die Gewinnung von Kommission hat sich zudem detailliert mit dem Rohstoff- Rohstoffen kann Grundwasserströme und -stände beein- abbau in Natura 2000-Gebieten durch die nichtenergeti- flussen. Grundsätzlich ist eine wasserrechtliche Gestat- sche mineralgewinnende Industrie auseinandergesetzt und tung erforderlich, wenn mit der Gewinnung von Rohstof- hebt hervor, dass es wichtig ist, die potenziellen, nachtei- fen eine Gewässerbenutzung verbunden ist, wozu auch ligen Auswirkungen vorab zu prüfen und nach Möglich- eine Benutzung des Grundwassers zählt. keit zu vermeiden (Europäische Kommission 2011b). In 136. Die Gewinnung von Rohstoffen, die nicht dem ihrem Leitfaden empfiehlt sie, zu versuchen, mögliche Bergrecht unterfallen (s. o.) wie beispielsweise Kies, die Konflikte zwischen Natura 2000-Gebieten und rohstoff- meisten Sande, Anhydrit- und Gipsstein, Kalkstein und Na- reichen Gebieten bereits auf der Ebene der Raumplanung tursteine, unterfällt verschiedenen Regelungen. Zu diesen zu erkennen und zu umgehen (ebd., S. 47 bis 54). Darüber zählen gegebenenfalls Abgrabungsrecht (Landesrecht), hinaus ist das Konfliktlösungsprogramm für widerstrei- Baugesetzbuch, Wasserrecht (WHG und Landeswasserge- tende wirtschaftliche und naturschutzfachliche Interessen setze), Naturschutzrecht, Bundesimmissionsschutzgesetz in Artikel 6 Absatz 3 und 4 der Fauna-Flora-Habitat- (BImSchG), Bundesbodenschutzgesetz und Landesboden- Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) bereits vorhan- schutzgesetze, Planungsrecht, Gesetz über die Umweltver- den. Die Gerichte, insbesondere der EuGH und das träglichkeitsprüfung (UVPG) und andere. So erfordert bei- BVerwG bemühen sich, anhand der FFH-Richtlinie und spielweise eine Abbaugenehmigung für Kies in der Regel der Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG um die Entwicklung

84 Instrumente strikter Prüfungs- und Ausgleichsvorgaben (WEGENER 2.4.2 Ökonomische Anreizinstrumente 2010; zu BVerwG, Urteil v. 17. Januar 2007 – 9 A 20.05 – (Westumfahrung Halle) und der nachfolgenden, weniger 138. Ökonomische bzw. marktwirtschaftliche Instru- strikten BVerwG-Rechtsprechung). mente werden in der Umweltpolitik oft vorgeschlagen, um wirtschaftliche Anreize für ein umweltfreundlicheres Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) ist der Auffas- Verhalten zu setzen. Ziel ist eine effiziente Allokation sung, dass es in vielen Fällen bei ausreichender Kenntnis von Produktionsfaktoren, insbesondere durch die Interna- der Schutzbedürfnisse der örtlich vorkommenden Arten lisierung externer Kosten durch Steuern und Abgaben der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie und der Betriebs- oder aber auch durch handelbare Zertifikatsysteme wie erfordernisse des Abbaus zu einer funktionierenden Ko- zum Beispiel das europäische Emissionshandelssystem. operation zwischen dem Rohstoffabbau und dem Ma- Im Vergleich zu traditionellen ordnungsrechtlichen An- nagement von Natura 2000-Gebieten kommen kann. Dies sätzen gelten marktwirtschaftliche Instrumente als kos- gilt allerdings nur, wenn keine Lebensraumtypenflächen teneffizienter (NEWELL und STAVINS 2003; BAUMOL (Anhang I FFH-Richtlinie) abgebaut und dauerhaft zer- und OATES 1988). Als standortunabhängige Instrumente stört werden (BfN 2011). können sie allerdings Standorte mit verstärkter Umwelt- belastung nicht ausreichend vor lokalen Schäden schüt- Allerdings gibt es Rohstoffe, deren Abbau vergleichs- zen. Marktwirtschaftliche Instrumente können einen An- weise problematisch ist (z. B. Gipsabbau, der den pH-Wert reiz zu einem marktumfassenden umweltverträglicheren der umgebenden Böden verändert) oder deren Abbau ei- Verhalten geben, sie erlauben aber lokal weiterhin hohe nen besonders erheblichen Eingriff darstellt (z. B. Kiesab- Belastungen, solange eine Bereitwilligkeit für monetäre bau in Flussauen) und auf den nach Auffassung des SRU Ausgleichszahlungen besteht. Deshalb ist in jedem Fall deshalb verzichtet werden sollte. Bereits bei der Vergabe eine standortbezogene umweltrechtliche Flankierung von Abbaugenehmigungen sollten zudem Renaturierungs- ökonomischer Instrumente geboten. maßnahmen bzw. Folgenutzung festgelegt werden. Dabei sind die jeweiligen naturschutzfachlichen Ziele dieser Primärbaustoffsteuer Maßnahmen immer von den lokalen Rahmenbedingungen abhängig (z. B. umgebende Landschaft, potenzielles Vor- 139. Anders als in Ländern wie Großbritannien, Däne- kommen geschützter Arten) und müssen im Einzelfall mark, Schweden, Italien und den Niederlanden wird in überprüft und festgelegt werden. Deutschland auf Bundesebene bislang keine Steuer auf die Entnahme abiotischer nicht-energetischer Rohstoffe erho- Der Druck auf Natur und Landschaft wird mit der weite- ben. Da die heimische Rohstoffgewinnung hauptsächlich ren Verknappung und dem Preisanstieg von Rohstoffen Baustoffe betrifft, wäre in Deutschland – ähnlich wie in zunehmen. Entgegen fortdauernder Bestrebungen ver- diesen Ländern – die Einführung einer Mengenbesteue- schiedener Bundesländer, wie zum Beispiel Hessen, ver- rung auf die Extraktion von Primärbaustoffen überlegens- tritt der SRU die Position, dass Naturschutzanforderun- wert. Im Rahmen des Projektes „Materialeffizienz und gen weder auf nationaler (Land Hessen 2011) noch auf Ressourcenschonung“ (MaRess) wurde empfohlen, eine europäischer Ebene (Bundesrat 2007) aufgeweicht wer- solche Baustoffsteuer einzuführen. Ziele dieser Steuer den sollten, auch nicht zugunsten des Rohstoffabbaus. sind die Erhöhung der Ressourceneffizienz, aber auch der Auch wenn in vielen Fällen Kooperationen und Nachnut- Recycling- und Substitutionsquoten, der Sekundärbau- zungen möglich sind, muss ein Abbau von Rohstoffen je- stoffanteile im Bausektor sowie die Reduktion spezifi- denfalls dann unterbleiben, wenn er aus naturschutzfach- scher Umweltbelastungen (BAHN-WALKOWIAK et al. lichen oder aus anderen Umweltschutzerwägungen nicht 2010). SÖDERHOLM (2006) argumentiert hingegen, dass gerechtfertigt werden kann. eine solche Steuer nur auf eine Verringerung der Abbau- menge hinwirkt, aber keinen Anreiz gibt, die Umweltwir- Die Europäische Kommission interpretiert den Begriff des kungen beim Abbau zu vermindern. Umweltbelastungen „überwiegenden öffentlichen Interesses“ in Artikel 6 Ab- sollten besser durch Instrumente adressiert werden, die di- satz 4 FFH-Richtlinie in ihrem Leitfaden dahingehend, rekter am Verursacher der Umweltverschmutzung anset- dass es sich um ein langfristiges Interesse handeln muss. zen, wie zum Beispiel eine Steuer auf Schadstoffemissio- Kurzfristige wirtschaftliche bzw. andere Interessen, die für nen. die Gesellschaft nur kurzfristige Vorteile bringen, sieht die Kommission als nicht hinreichend an, um die in der Richt- Die Bedenken SÖDERHOLMS (2006) sind berechtigt, linie geschützten langfristigen Erhaltungsinteressen zu allerdings könnte gerade die Vielzahl unterschiedlicher überwiegen (Europäische Kommission 2011b, S. 81). Was Umweltbelastungen (vgl. Kap. 2.2) ein Argument für eine als mögliches überwiegendes langfristiges, grundlegendes Grobsteuerung auf der ersten Stufe der Wertschöpfungs- gesellschaftliches Interesse angesehen wird, kann zudem kette sein. Im Gegensatz zu Instrumenten, deren Fokus al- staatlicherseits bereits im Vorfeld in politischen Maßnah- lein auf der Vermeidung von Emissionen liegt, richten men und Strategien entschieden werden (ebd.). Daher sich solche Steuern auf die Inputseite der Ökonomie. Ziel sollte bundesweit klargestellt werden, dass im Kontext von ist es, die Menge des Rohstoffeinsatzes zu verringern und Abwägungsentscheidungen bei Eingriffen in Naturschutz- dadurch die Umweltbelastungen in Folge der Rohstoff- gebiete der Rohstoffabbau kein überwiegendes öffentli- nutzung zu minimieren. Dadurch könnte zunächst der Ex- ches Interesse darstellt, mit dem ein Eingriff gerechtfertigt plorationsdruck, insbesondere auf Kiesgruben, gesenkt werden kann. werden. Spezifische Umweltbelastungen durch Schad-

85 Metallische und mineralische Rohstoffe

stoff-, aber auch CO2-Emissionen können dann in einem Stoffe wie ausgewählte Metalle könnte das Konzept sinn- zweiten Schritt durch weitere Instrumente gezielt verrin- voll sein, muss aber weiter geprüft werden. gert werden, wie dies in Deutschland und Europa zum Beispiel auch durch den Emissionshandel oder das Emissionshandel BImSchG erfolgt. Eine Primärbaustoffsteuer hätte zudem den Vorteil, dass sie die Anreize für den Einsatz von Se- 141. Um den Beitrag der rohstoffintensiven Güterpro- kundärbaustoffen verstärken kann. duktion zum anthropogenen Treibhauseffekt zu reduzie- ren, können bestehende Klimaschutzinstrumente, insbe- Da der Importanteil bei Baustoffen vernachlässigbar ge- sondere der europäische Emissionshandel, dienen. Viele ring ist, besteht keine Gefahr für Wettbewerbsnachteile für die Rohstoffwirtschaft relevante Unternehmen, wie der deutschen Industrie. Die Einführung einer solchen die der Eisen-, Stahl- und Zementindustrie, sind am Emis- Steuer ist daher grundsätzlich zu befürworten. sionshandel beteiligt. Der Emissionshandel hat eine di- rekte Wirkung auf diese Unternehmen. Durch die Emis- Materialinputsteuer sionsobergrenze wird die Höhe der THG-Emissionen für die am Handel beteiligten Sektoren beschränkt. 140. Neben der Einführung einer Primärbaustoffsteuer Der SRU sieht allerdings erheblichen Nachbesserungsbe- wird von mehreren Seiten eine Materialinputsteuer vorge- darf, wenn der Emissionshandel bei der verarbeitenden In- schlagen (STEWEN 1996; HINTERBERGER 1993; dustrie Effizienzmaßnahmen anreizen soll. In den ersten OMANN und SCHWERD 2003). Während sich die Pri- beiden Handelsperioden erhielten große Teile der Indus- märbaustoffsteuer auf einen bestimmten Industriesektor trie, darunter insbesondere die rohstoffintensive Schwer- konzentriert, wäre die Einführung einer Materialinput- industrie, eine beständig zu hoch angesetzte Zuteilung von steuer eine deutlich umfassendere Maßnahme, bei der der Emissionszertifikaten (ELSWORTH und WORTHING- gesamte Materialinput als Bemessungsgrundlage für eine TON 2010; PEARSON und WORTHINGTON 2009; Steuer dient. Dabei sollen alle Materialien, die der Öko- MORRIS und WORTHINGTON 2010; SRU 2011b; sphäre entnommen und in wirtschaftliche Aktivitäten ein- HERMANN et al. 2010). Neben dem Einbruch der Wirt- gebracht werden, mit einer Mengensteuer belegt werden. schaft während der weltweiten Finanz- und Wirtschafts- Der Vorschlag einer Primärrohstoffsteuer (BEHRENS krise 2008 und 2009 ist diese Überallokation für ein et al. 2005) fand bisher aber keinen politischen Zuspruch. Überangebot an Zertifikaten verantwortlich, das den Emissionshandelspreis konstant deutlich unter dem in der Die Materialinputsteuer ist eine Mengensteuer, wobei Folgenabschätzung der Europäischen Kommission antizi- aber auch denkbar ist, den Steuersatz für unterschiedliche pierten Preis von 32 Euro (Europäische Kommission Stoffe anhand ihres Gefährdungspotenzials für Mensch 2008a) hält. Die Anreizwirkung des Emissionshandels, in und Umwelt zu differenzieren (BEHRENS et al. 2005). klimafreundlichere Produktionstechnologien zu investie- Um die Wiederverwendung von bereits genutzten Mate- ren, ist dadurch deutlich geschmälert. Die Anspar-Regel, rialien anzureizen, müssten Sekundärrohstoffe von der die Unternehmen erlaubt, ungenutzte Zertifikate in die Steuer befreit werden. dritte Handelsperiode mitzunehmen, verhindert zwar ei- Die ökologische Treffsicherheit einer Materialinputsteuer nen weiteren Preisverfall, gefährdet aber gleichzeitig auch ist fraglich. Wahrscheinlich würde sie zu einem verlang- die Wirkungskraft des Emissionshandels in der 2013 be- samten Abbauanstieg führen, durch ihre alleinige Wir- ginnenden dritten Handelsperiode. Die Entscheidung, dass kung auf die Fördermenge bietet sie aber keinen direkten in der dritten Handelsperiode die kostenfrei zu verteilen- Schutz für sensible Ökosysteme. Eine Einführung schei- den Zertifikate nicht mehr nach dem „Grandfathering“- tert aber vor allem an Ausgestaltungsproblemen. Nur eine Prinzip, also der Orientierung an historischen Emissionen international harmonisierte Materialbesteuerung, die im einer Anlage, sondern nach sektoralen Benchmarks ausge- besten Falle weltweit am Beginn der Wertschöpfungs- händigt werden sollen, ist zwar zu begrüßen. Dies wird kette ansetzt, würde nicht zu internationalen Wettbe- aber die Folgen der derzeitigen Überallokation selbst bei werbsverzerrungen führen. Ein deutscher oder europäi- strikten Benchmarks zunächst nicht lösen können. Den Unternehmen wird durch die Ansammlung von Zertifika- scher Alleingang würde einen Grenzausgleich in Form ten heute die Möglichkeit geboten, Investitionen in den einer Importabgabe erforderlich machen, um Anreize zur Klimaschutz weiter aufzuschieben. Verlagerung der ersten Wertschöpfungsstufen ins Aus- land zu vermeiden (BEHRENS et al. 2005). Dazu müsste Damit der Emissionshandel einen wirksameren Anreiz auch der Materialeinsatz von Halb- und Fertigwaren er- für eine klimafreundlichere Produktion der rohstoffinten- mittelt werden. Selbst Mindestabschätzungen oder die Er- siven Industrie schaffen kann, sollte die EU zunächst ihr mittlung von Durchschnittswerten scheinen bei der Viel- THG-Emissionsreduktionsziel für das Jahr 2020 von zahl heutiger Produkte nicht praktikabel zu sein. Zudem 20 auf 30 % gegenüber den Emissionen von 1990 anhe- müssten neben Pauschalisierungen auch glaubhafte Le- ben. Darüber hinaus ist es entscheidend, dass sich die benszyklusanalysen und Zertifizierungssysteme entwi- Benchmarks der kostenlosen Verteilung von Zertifikaten ckelt werden, um überdurchschnittlich gute Umweltstan- zukünftig wirklich an technischen Potenzialen und nicht dards bei Abbau und Verarbeitung honorieren zu können. an historischen Emissionen orientieren, damit nicht unbe- In diesem Sinne sind die Konzepte für eine umfassende rechtigte Einnahmequellen gerade in den Branchen ent- Materialinputsteuer derzeit nicht umsetzbar. Für einzelne stehen, in denen bisher wenig getan wurde.

86 Instrumente

2.4.3 Instrumente für die Kreislaufführung ler grundsätzlich verpflichtet, „Erzeugnisse […] mög- von Rohstoffen lichst so zu gestalten, dass bei ihrer Herstellung und ih- rem Gebrauch das Entstehen von Abfällen vermindert 142. Mit der Debatte um Rohstoffsicherheit haben An- wird und sichergestellt ist, dass die nach ihrem Gebrauch sätze der europäischen und deutschen Abfallpolitik eine entstandenen Abfälle umweltverträglich verwertet oder deutliche Aufwertung erfahren. Dies gilt insbesondere für beseitigt werden.“ Die mögliche Verpflichtung zur Rück- den klaren Fokus auf die Ressourcenschonung durch die nahme nach § 25 sollte das Eigeninteresse der Hersteller sogenannte fünfstufige Abfallhierarchie der Abfallrah- an verwertungsgerechten Konstruktionen fördern. menrichtlinie, die der Vermeidung, Wiederverwendung und der stofflichen Verwertung den Vorrang vor der ener- Für einzelne Produktströme ist die Rücknahmeverpflich- getischen Verwertung und Beseitigung gibt. Eine deutli- tung im untergesetzlichen Regelwerk bzw. eigenen Geset- che Wirkung haben die Regelungen für ausgewählte zen ausgeführt. Wichtige Ströme für die Rohstofffrage Stoffströme wie Altautos, Batterien usw. erbracht, da zu- (z. B. Batterien, Altfahrzeuge, Elektro- und Elektronik- mindest für die erfassten Mengen verbindliche Mindest- schrott) sind hier bereits geregelt. Mit den bestehenden anforderungen festgelegt wurden (FAßBENDER 2011). Regulierungen werden die darin festgelegten (gewichtsbe- Trotz der Erfolge sind weder Qualität noch Quantität der zogenen) Verwertungsquoten erreicht, indem insbeson- Rückführung von Rohstoffen in den Produktionskreislauf dere die Hauptbestandteile, die einerseits einen hohen befriedigend. Instrumente müssen dementsprechend zum Massenanteil ausmachen und andererseits am einfachsten einen auf eine höhere Qualität der Sekundärrohstoffe rückgewinnbar sind, aus dem Abfallstrom herausgezogen durch Minimierung von Schad- oder Störstoffen zielen, werden. Rohstoffe, die nur in geringen Mengen und/oder zum anderen auf eine Erhöhung der erfassten Mengen, schwer zugänglich im Produkt vorliegen, sind aus Sicht die Steigerung der gewonnenen Sekundärrohstoffmen- der Verwerter oft von geringem Interesse. Gerade dies sind gen und in Konsequenz auf eine breitere Verwendung der aber die Technologiemetalle wie seltene Erden, deren För- rückgewonnenen Rohstoffe. Adressaten dieser Instru- derung starke Umweltauswirkungen hat, für die Knapp- mente sind sowohl die Hersteller als auch die Konsumen- heiten prognostiziert und eine Verbesserung der Versor- ten: Die Hersteller sind für das Design, die Aufbereitung gungssicherheit gefordert werden. Offensichtlich reichen und den Wiedereinsatz verantwortlich, die Konsumenten die gestiegenen Rohstoffpreise allein jedoch nicht aus, um dagegen beeinflussen durch ihr Kaufverhalten die Nach- eine Rückgewinnung der Technologiemetalle wirtschaft- frage und entscheiden letztlich über die Rückführung in lich tragfähig zu machen: Bisher existieren weltweit nur den Kreislauf. fünf Unternehmen, die Elektronikschrott in großem Maß- stab aufbereiten und neben Massenmetallen einzelne Herstellerorientierte Instrumente Technologiemetalle zurückgewinnen (ERDMANN et al. 2011). Die größte der Anlagen verarbeitet jährlich etwa 143. Zentrales Prinzip für die Stärkung der Anreize zu 300.000 t (HAGELÜKEN 2010). Verglichen mit dem eu- einem recyclingfreundlichen Produktdesign und zu einer ropäischen Aufkommen von knapp 3,6 Mio. t Elektro- hochwertigen Verwertung ist die Produzentenverantwor- und Elektronikschrott im Jahr 2008 (EuroStat 2012) beste- tung, die für den gesamten Lebenszyklus von der Pro- hen dementsprechend erhebliche Lücken in der Rückge- duktplanung und Herstellung, über die Nutzungsphase bis winnung von Rohstoffen. zur Entsorgung eines Produktes gilt. Die größte Bedeu- tung für die Lebensdauer, Reparaturfähigkeit und Ver- 145. Um einen Ausbau der hochwertigen Techniken zu wertbarkeit von Produkten hat dabei die Produktplanung. unterstützen, können Mindeststandards für alle Stufen der Es gilt, die Auswahl von Design, Materialien und Verbin- Entsorgungskette entwickelt und festgelegt werden (Öko- dungen im Sinne einer rohstoffschonenden Wirtschaft zu Institut und Eurometaux 2010). Menge und Qualität der beeinflussen. Die Konkretisierung der Ökodesign-Richt- zur Verfügung stehenden Inputströme sind entscheidend, linie berücksichtigt bisher fast ausschließlich Energie- da die Ergebnisse der Aufbereitung immer vom aspekte, eine Ergänzung um Rohstoffaspekte wäre lang- schwächsten Glied in der Aufbereitungskette (Erfassung, fristig sinnvoll (THOLEN et al. 2011). Schon unter dem Zerlegung, Rückgewinnung) abhängen. Ein erhebliches ausschließlichen Blickwinkel des Energieverbrauchs ist Potenzial an rückführbaren Rohstoffen bleibt ungenutzt, die Umsetzung dieser Richtlinie jedoch sehr aufwendig weil es gar nicht in die nationalen Verwertungswege ge- und langwierig und sollte nicht gebremst werden. langt. Verwertungs- weil qualitätsfördernd wirken Beschrän- Batterien als eher kurzlebige Produkte erreichten bei- kungen für den Einsatz von Schadstoffen. Ein Beispiel spielsweise 2010 eine Sammelquote von 44 % (eingesam- dafür ist die RoHS-Richtlinie, die den Einsatz ausgewähl- melte Menge bezogen auf die in Verkehr gebrachte ter Elemente (wie z. B. Blei, Quecksilber, aber auch eini- Menge), was die Vorgaben des Batteriegesetzes (BattG) ger organischer Verbindungen) begrenzt oder untersagt. übererfüllt (GRS Batterien 2011). Gleichzeitig bleiben Fokus dieser Richtlinie ist zwar die menschliche Gesund- aber 56 %, knapp 20.000 t, im Bestand oder werden über heit, gleichzeitig steigt aber auch die Qualität der zu ver- den Hausmüll entsorgt. Auch die in der Entsorgungswirt- wertenden Materialien. schaft erfassten Mengen an Fahrzeugen und Elektro- 144. Das Instrument, das eigentlich eine deutliche Ver- geräten erreichen hohe Verwertungsquoten. Erhebliche besserung der Produktplanung erbringen sollte, ist § 23 Mengen an Fahrzeugen und Elektrogeräten werden aber des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Demnach sind Herstel- in einen Gebrauchtmarkt überführt und exportiert (UBA

87 Metallische und mineralische Rohstoffe und BMU 2011; BUCHERT et al. 2007; UBA 2010). Ein beitsplätze vor Ort (EUWID 2011a). Die Separation in lo- nicht quantifizierbarer Anteil der Gebrauchtwaren ist kal verwertbare Bestandteile und Fraktionen, die ein kom- nicht mehr gebrauchs- oder reparaturfähig, sodass es sich plexeres Aufbereitungsverfahren erfordern, kann – bei bei einem Export um illegale Abfallverbringung handelt. Re-Import und Aufbereitung dieser Anteile – zur Vermei- Die Ursachen liegen in der unklaren Abgrenzung von Alt- dung von Rohstoffverlusten und zunehmend zur Versor- und Gebrauchtgeräten, einem komplexen Verbringungs- gung mit Technologiemetallen beitragen. recht und unzureichender Überwachung der Exportwege (JANZ et al. 2009). Erreichen die Produkte dann ihr Nut- Verbraucherorientierte Instrumente zungsende an Orten, an denen die Hersteller ihrer Verant- wortung nicht nachkommen müssen oder können, gehen 148. Umweltzeichen bieten dem Verbraucher die Mög- als Konsequenz die Rohstoffe dem heimischen Wirt- lichkeit einer bewussten Produktwahl. Geprüft werden schaftssystem verloren. Ebenso schwindet der Anreiz, sollte die Wirkung von Umweltzeichen mit anspruchsvol- verwertungsgerechte Produkte zu planen. Gleichzeitig len, rohstoffrelevanten Kriterien (Europäische Kom- kommt es bei unsachgemäßer Aufbereitung zu schweren mission 2011a). Auch die Wirkung bereits bestehender Beeinträchtigungen von Gesundheit und Umwelt (WONG Kennzeichen wie Blauer Engel, Nordic Swan oder das et al. 2007). Abhilfe ist möglich durch klare begriffliche Österreichische Umweltzeichen, die bereits entspre- Abgrenzungen, ausreichend Personal für eine wirksame chende Kriterien entwickelt haben, sollte überprüft wer- Kontrollpraxis und Zusammenarbeit der Behörden, Ver- den (TEUFEL et al. 2009). Die Aktivierung der Verbrau- rechtlichung der Anforderungen an Gebrauchtwaren (An- cher allein durch Information und Appelle führt zu laufstellen-Leitlinien über Verbringungen von Elektro- vorübergehenden Erfolgen, die nur durch regelmäßige und Elektronik-Altgeräten/Anlaufstellen-Leitlinien über Wiederholung auf einem Mindestniveau gehalten werden Verbringungen von Altfahrzeugen) und flankierend eine können, wie die Erfahrungen mit der Abfalltrennung in transparente Dokumentation der Gebrauchtwarenströme Haushalten zeigen. Deutlich höhere Erfolge zeigen öko- (SANDER und SCHILLING 2011; SRU 2008). Die im nomische Anreize wie verursacherabhängige Gebühren Entwurf der überarbeiteten WEEE-Richtlinie geplanten oder Pfandregelungen. Änderungen hinsichtlich Recyclingstandards, die anvi- 149. Eine besondere Herausforderung für die Kreislauf- sierte Erhöhung der Sammelmengen sowie die Rahmen- führung sind sehr niedrige Sammelraten von Elektrogerä- bedingungen für den Export sind daher ausdrücklich zu ten. Derzeit wird etwa ein Drittel der in Verkehr gebrach- begrüßen. Diese Maßnahmen haben allerdings nur Aus- ten Mengen an Elektrogeräten separat gesammelt und sicht auf Erfolg, wenn Dokumentation, Überwachung und behandelt (EuroStat 2012). Kritisch sind gerade die Zahlen eine deutliche Ahndung von Verstößen damit einherge- für rohstoffrelevante High-Tech-Geräte wie Mobiltelefone hen. oder Computer. Trotz vielfältiger Wiederverwendungs- und Recyclingprogramme werden für Mobiltelefone nur Die Qualität der Entsorgung lässt sich durch eine Ausdeh- Rücklaufquoten von circa 28 % erzielt, die über Rückgabe nung der Kennzeichnungs- und Informationspflichten für bei Händlern, kommunalen Sammelstellen oder karitati- besonders relevante Produkte erhöhen, indem am Gerät ven Sammlungen dem Recycling zugeführt werden (Pres- Informationen über gerätespezifische Daten, verwendete semitteilung vom 30. Dezember 2011 (Bitkom): 83 Mil- Materialien, Zerlegeanleitungen usw. verfügbar sind lionen Alt-Handys). (FÜHR et al. 2008). Obwohl die kostenfreie Rücknahme von Elektrogeräten 146. Auch innerhalb des funktionierenden Rücknahme- nach Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG) das systems für Elektrogeräte in Deutschland besteht Optimie- Recycling etwas erhöhen konnte, werden Potenziale wei- rungsbedarf. Derzeit basiert die Kostenübernahme für die terhin noch zu wenig ausgeschöpft. Ob die Einführung Entsorgung je Hersteller auf der Angabe „in Verkehr ge- der Wertstofftonne das Recycling von Elektrokleingerä- brachte Stückzahl“, die Entsorgungskosten werden also ten, vor allem von High-Tech-Geräten, erhöhen kann, ist unabhängig vom Produktdesign auf alle Hersteller verteilt. offen, da sowohl rechtliche (SCHINK und KARPEN- In Schweden dagegen werden den Herstellern von recyc- STEIN 2011) als auch technische Schwierigkeiten beste- lingfreundlichen Geräten niedrigere Entsorgungsprämien hen. Die gemeinsame Sammlung mit anderen Wertstoffen in Rechnung gestellt (LEONHARDT 2007), sodass ein verringert die Möglichkeit einer Wiederverwendung und starker Anreiz für Ökodesign von Produkten besteht. Die damit der Lebensdauerverlängerung erheblich, da es zu Übertragbarkeit dieses Ansatzes auf Deutschland sollte Beschädigungen und Verunreinigungen kommt (BEIGL mit Nachdruck geprüft werden, da positive Wirkungen auf et al. 2010). das Produktdesign zu erwarten sind. Ein effektives Instrument für eine qualitativ hochwertige 147. Parallel sollte der Aufbau von Entsorgungsstruktu- Sammlung könnten Pfandsysteme für Elektrogeräte, vor ren in Schwellen- und Entwicklungsländern vorangetrie- allem High-Tech-Geräte, sein. Nach Ansicht des SRU ben werden, da dort mittelfristig nicht nur defekte Ge- würde sich zunächst vor allem eine Einführung für Mobil- brauchtgeräte aus Industrienationen, sondern auch der telefone und Computer lohnen. In den letzten zehn Jahren Abfall aus einer zunehmenden Ausstattung mit Elektroge- ist die Nutzung dieser beiden Güter rasant angestiegen. In räten anfallen wird. Erste Projekte, die in Zusammenarbeit Deutschland besitzen statistisch gesehen 100 Haushalte mit internationalen Herstellern, lokalen Unternehmen und 57,8 Laptops und 160,9 Mobiltelefone (Statistisches Bun- dem informellen Sektor aufgebaut werden, schaffen Ar- desamt 2011a). Vorbild kann die seit 1998 bestehende

88 Instrumente

Pfandpflicht für Autobatterien sein. Das Modell hat sich erste Gold nach Fair-Trade-Standards zertifiziert worden, als Erfolg erwiesen: Aktuell werden nahezu 100 % Ver- die neben sozialen und ökonomischen Kriterien auch die wertung erreicht (UBA 2011). Ein Pfand auf Mobiltele- Einhaltung ökologischer Standards umfassen (Fairtrade fone oder Computer könnte sehr ähnlich aussehen: Beim and Fairmined Gold 2011). Projekte wie Fair Stone und Kauf eines Mobiltelefons wird ein Pfand erhoben, der bei XertifiX haben Umwelt- bzw. Sozialstandards für die Na- Rückgabe des Geräts erstattet wird. Verantwortlich für die tursteinindustrie entwickelt (Fair Stone 2011; XertifiX Abwicklung des Pfandsystems sind Mobilfunkanbieter, 2011). Die meisten Zertifizierungen werden durch unab- Computerfachgeschäfte bzw. Elektrogeschäfte. Statt Zah- hängige Einrichtungen vorgenommen (third-party certifi- lung des Pfandes beim Neukauf kann auch ein altes Mo- cation) (WAGNER et al. 2007). Bestehende internatio- biltelefon abgegeben werden. nale Initiativen können Orientierung bei der Festlegung von Standards bieten: Alternativ könnten Verbraucher auch mit positiven Anrei- zen zu einer längeren Nutzung ihrer Elektrogüter bewegt – Das Intergovernmental Forum on Mining, Minerals werden. Verschiedene Mobilfunkunternehmen bieten ih- and Metals and Sustainable Development ist eine Ini- ren Kunden schon heute günstigere Verträge an, wenn sie tiative verschiedener Regierungen, vor allem von Ent- auf ein neues Mobiltelefon verzichten und stattdessen nur wicklungsländern, die das Ziel verfolgen den Beitrag die SIM-Karte erwerben. Verschiedene Privatunterneh- des Bergbaus zu einer nachhaltigen Entwicklung zu men, die sich hauptsächlich über den Wiederverkauf fi- stärken. nanzieren, bieten über Online-Portale den Ankauf ge- brauchter Mobiltelefone an. In den USA werden derzeit – Der International Council on Mining and Metals erste Rücknahmeautomaten für Mobiltelefone aufgebaut, (ICMM), ein Zusammenschluss von 20 Firmen und 31 an denen der Kunde Wertgutscheine erhält. Vorausset- nationalen, regionalen und globalen Vereinigungen, zung für hohe Sammelraten sind leicht zugängliche Sam- wurde 2001 ins Leben gerufen und hat unter anderem, melsysteme mit vielen Rücknahmestellen (BEIGL et al. gemeinsam mit der International Union for Conserva- 2010). Daher wäre eine enge Zusammenarbeit mit den tion of Nature (IUCN), eine Richtlinie zur Guten Pra- Verkaufsstellen sinnvoll. xis im Bergbau für die Erhaltung der Biodiversität he- rausgegeben (ICMM 2006). Aufgrund der begrenzten Wirkung bestehender Rücknah- meaktionen erscheint die Einführung eines Pfandsystems – Die Initiative Extractive Industry Transparency ver- auf Mobiltelefone und Computer als die am besten geeig- sucht die Transparenz in den Finanzströmen im Erdöl-, nete Lösung und ist zu befürworten. Erdgas- und Bergbausektor zu erhöhen. – Die USA haben im Juli 2010 den Dodd-Frank Act ver- 2.4.4 Internationale Ansätze abschiedet, der den an der Wall Street notierten Öl-, Gas- und Bergbaufirmen vorschreibt, ihre Einkommen Zertifizierungssysteme und Steuerzahlungen offen zu legen. Zusätzlich müs- 150. Zertifizierungssysteme können helfen, Umwelt- sen sie nachweisen, dass ihre Produkte nicht aus den standards beim weltweiten Rohstoffabbau zu setzen. Die Konfliktregionen in der und um die Demokratische Zertifizierung bescheinigt dem Rohstoffproduzenten, Republik Kongo stammen. Die Europäische Kommis- dass definierte Anforderungen innerhalb der Wertschöp- sion hat Ende Oktober 2011 einen Vorschlag für eine fungskette eingehalten werden. Bislang haben sich Zerti- ähnliche EU-Richtlinie gegen Korruption und für fizierungen insbesondere dort erfolgreich etabliert, wo mehr Transparenz vorgelegt (Europäische Kommis- ökologische und soziale Belastungen bei der Gewinnung sion 2011g). von Rohstoffen in der Öffentlichkeit diskutiert werden – Die Äquator-Prinzipien sind eine freiwillige Ver- (z. B. Kinderarbeit in Steinbrüchen, Holzproduktion). Da- pflichtung von Kreditinstituten, bei der Finanzierung bei handelt es sich immer um freiwillige Systeme, die von Projekten bestimmte Umwelt- und Sozialstan- entweder vom Staat oder von nicht-staatlichen Akteuren dards einzuhalten. Sie basieren auf den Standards von initiiert werden. Wenn die EU oder einzelne Mitgliedstaa- Weltbank und International Finance Corporation ten Zertifizierungssysteme entwickeln (z. B. EU-Biosie- (Equator Principles 2012). gel), besteht darüber hinaus die Möglichkeit, den Erhalt von Fördergeldern an die Zertifizierung zu knüpfen (so – Das Business and Biodiversity Offset Programme z. B. durch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009/28/ (BBOP) ist ein Zusammenschluss von Firmen, Kredit- EG). Beispiele für erfolgreiche nicht-staatliche Zertifizie- instituten, Regierungen und zivilgesellschaftlichen rungssysteme sind der Forest Stewardship Council (FSC) Organisationen mit dem Ziel, Kompensationsmaßnah- für Holz aus nachhaltiger Nutzung (s. Tz. 366) und der men für Auswirkungen von Eingriffen in den Natur- Marine Stewardship Council (MSC) für Fisch aus nach- haushalt zu entwickeln und so einen Nettogewinn zu haltiger Fischerei. Auch Kodizes, wie sie beispielsweise schaffen. für Kaffee existieren (4C Association 2011), können die Umweltauswirkungen deutlich verringern. – Das Global Mercury Project wurde initiiert von GEF, UNDP und UNIDO, um die Kontamination von Ge- Im Bereich der Metalle und Mineralien existieren bisher wässern mit Quecksilber im Gold-Kleinbergbau zu re- nur erste Initiativen vor allem für Schmuckrohstoffe wie duzieren. Ein Ziel dabei war die Entwicklung länder- Gold und Diamanten. In Kolumbien ist Anfang 2011 das spezifischer Abbaustandards.

89 Metallische und mineralische Rohstoffe

– Die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsor- – Standards für Handelsketten (Produzent und Konsu- ganisation (International Labour Organization – ILO) ment): fairer und/oder transparenter Handel zwischen formulieren grundlegende Prinzipien und Rechte bei Produzenten und Konsumenten. der Arbeit. Aus Sicht des SRU sind Zertifizierungssysteme ein gut Im Bereich der mineralischen Rohstoffe gibt es bislang geeignetes Instrument, um Nachhaltigkeitsstandards und noch keinen allgemein akzeptierten Mechanismus, der Transparenz in bislang noch unzureichend regulierten eine Produktdifferenzierung auf der Grundlage der Ein- Sektoren zu erhöhen. Im Bereich der mineralischen Roh- haltung von Nachhaltigkeits- und Entwicklungsstandards stoffnutzung wäre vor allem der Kleinbergbau ein wichti- in der Produktion gestattet. Erschwert werden die Etablie- ges Ziel für Zertifizierungen, da dieser häufig unter nicht rung eines solchen Systems und seine Kontrolle unter an- nachhaltigen Bedingungen produziert und Zertifizierun- derem durch die Vielfalt der mineralischen Rohstoffe, die gen insbesondere dort zu einer deutlichen Verbesserung regionalen Besonderheiten der Abbaugebiete, verschie- ökologischer und sozialer Bedingungen führen könnten. dene Abbauverfahren und unterschiedliche Betriebsgrö- ßen (WAGNER et al. 2007). Bisherige Zertifizierungsan- Rohstoffpartnerschaften sätze umfassen vor allem Edelmetalle, Edelsteine für die 151. Mit ihrer Rohstoffstrategie aus dem Jahr 2010 ver- Schmuckindustrie und Natursteine. Ein bekanntes Bei- folgt die Bundesregierung auch das Ziel des Aufbaus bi- spiel ist das Kimberley Process Certification Scheme, das lateraler Rohstoffpartnerschaften, die in Form völker- versucht, die Finanzierung von Bürgerkriegen durch den rechtlicher Verträge geschlossen werden. Diese neue Diamantenhandel (Blood Diamonds) zu unterbinden. Form der Zusammenarbeit mit rohstoffreichen Ländern Trotz einiger Erfolge hat sich eine Umsetzung in fragilen, ist eine Reaktion auf steigende Rohstoffpreise und Ex- undemokratischen Staaten als schwer erwiesen. Die Ab- portbeschränkungen und erfordert eine kohärente Wirt- satzmöglichkeiten für Rohstoffe aus illegalem sowie schafts-, Außen- und Entwicklungspolitik. Während sol- nicht umwelt- und sozialverträglichem Abbau könnten che Partnerschaften aus deutscher Sicht vor allem der durch die Etablierung von Zertifizierungssystemen ver- Rohstoffsicherung deutscher Unternehmen dienen, sollen ringert werden. unter anderem auch die Einhaltung von Umwelt- und So- Die BGR (2011b) unterstützt daher derzeit die Entwick- zialstandards unterstützt werden (BMWi 2010). Nur lung und Umsetzung eines Zertifizierungssystems für wenn Umweltbelastungen durch Rohstoffpartnerschaften Kassiterit, Coltan, Wolframit und Gold in der demokrati- reduziert werden können, sind sie aus ökologischer Sicht schen Republik Kongo. In einem von BMWi und BMZ zielführend. Das heißt, sie sollten nicht dazu führen, dass geförderten Pilotvorhaben (2008 bis 2011) in Ruanda in Drittländern ein Abbau in sensiblen Ökosystemen ge- wird modellhaft die Gewinnung der Rohstoffe Coltan, fördert wird. Stattdessen sollten Deutschland und Europa Zinn und Wolfram zertifiziert, um so Rohstoffmengen in ihren Verträgen auf die Einhaltung strikter Abbau- und und -wege transparent zu machen (BGR 2011c). Diese Sozialstandards bestehen. Deutschland und die EU soll- und weitere erste erfolgreiche Initiativen zur Erhöhung ten im Gegenzug den Transfer moderner Technologien der Transparenz in den Lieferketten von „Konfliktmine- fördern. ralen“ stehen nun vor den Herausforderungen einer sek- Positiv zu bewerten ist in diesem Zusammenhang die Bio- torweiten Umsetzung (SCHÜTTE et al. 2011). diversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020, die die CBD- Ziele (CBD – Convention on Biological Diversity) um- Ein wichtiges Instrument zur Überprüfung der Herkunft setzt. Sie will „den Beitrag der Handelspolitik zum Schutz könnte ein chemisch-mineralogischer „Fingerprint“ sein, der Biodiversität verbessern und potenzielle negative wie ihn die BGR exemplarisch für Coltan entwickelt hat Auswirkungen angehen, indem Biodiversitätsbelange sys- (BGR 2011a). Derzeit ist das Verfahren durch komplexe tematisch in Handelsvereinbarungen und Dialoge mit Analysemethoden und hohe Kosten allerdings eher für Drittländern einbezogen, potenzielle Biodiversitätsaus- konkrete Verdachtsfälle als für die breite, routinemäßige wirkungen der Handelsliberalisierung und der Investi- Anwendung geeignet (WAGNER et al. 2007). Durch tionstätigkeit ex ante durch handelsbezogene Nachhaltig- technische Weiterentwicklungen könnte sich dies jedoch keitsprüfungen (Trade Sustainability Impact Assessments) zukünftig ändern. sowie durch Ex-post-Evaluierungen identifiziert und be- Die BGR nennt als Standards für eine Zertifizierung wertet werden und indem angestrebt wird, alle neuen (WAGNER et al. 2007): Handelsvereinbarungen um ein Kapitel über nachhaltige Entwicklung mit umfassenden handelsbezogenen Um- – Produktstandards (Qualität): Qualität und Leistung, weltvorschriften, die auch Biodiversitätsziele umfassen, ethische Kriterien; zu ergänzen“ (Europäische Kommission 2011e). Weiter- hin dürfen durch den Rohstoffabbau die strategischen – Herkunftsstandards (Transparenz): Ursprung von Ziele der CBD, den Anteil von Schutzgebieten auf dem Rohstoffen und Nachvollziehbarkeit von Wertschöp- Land auf 17 % und auf dem Meer auf 10 % zu erhöhen, fungsketten; nicht behindert werden (SCBD 2010). – Prozessstandards (Umwelt, Gesundheit, Sicherheit): 152. Die EU hat eine Vereinbarung mit Chile über den Vereinheitlichung der Umwelt-, Gesundheits- und Si- Zugang zu Rohstoffen unterzeichnet und ist derzeit be- cherheitsbedingungen der Produktion; strebt, ähnliche Übereinkommen mit Argentinien und Bra-

90 Instrumente silien abzuschließen. Die ersten Rohstoffpartnerschaften ten Ölpreiskrise von 1981 international kontrovers disku- der Bundesrepublik wurden mit der Mongolei und Ka- tiert wurden (SENGHAAS 1978; DONGES 1977; EL- sachstan unterzeichnet (Bundesregierung und Regierung SENHANS 1980). Ausgangspunkt der frühen Diskussion der Mongolei 2011; Bundesregierung und Regierung der waren ein sich verschlechterndes Realaustauschverhältnis Republik Kasachstan 2012). Auch eine Rohstoffpartner- (Terms of Trade) zwischen Rohstofferlösen und notwen- schaft mit Russland wird von Wirtschaftsvertretern befür- digen Importen von Industrieerzeugnissen, sowie die er- wortet. Damit solche Abkommen auch aus ökologischer hebliche Preisvolatilität, die Rohstoffmärkten inhärent ist Sicht Erfolge aufweisen können, müssen sie eine Balance (THE WORLD BANK 2009). Preiserhöhungen und -sta- zwischen Umweltstandards und Rohstoffsicherung her- bilisierung setzen notwendigerweise eine Kontrolle der stellen. Die beiden Abkommen beinhalten zwar als einen Angebotsmengen voraus. Eine besonders wirksame, aber Schwerpunkt die Umsetzung von Umwelt- und Sozial- konfliktträchtige Form ist die Angebotsmonopolisierung standards bei der Rohstoffgewinnung und -aufbereitung über Rohstoffkartelle, die Produktionsquoten für ihre (Artikel 2 Absatz 3 lit. d). Allerdings werden diese Stan- Mitglieder festlegen und hierdurch die Erlössituation ver- dards nicht präzisiert, obwohl beispielsweise in den Ab- bessern. Entsprechende Versuche der Kartellbildung im kommen auf die ILO-Kernarbeitsnormen verwiesen wer- Rahmen von Rohstoffabkommen zwischen Erzeuger- und den könnte. Auch die Klauseln über die Beratung beim Verbraucherländern für Kupfer (ADAM 1980) und Zinn umwelt- und sozialverträglichen Abbau von Rohstoffen (HILLMAN 2010) sind in den 1970er- und 1980er-Jahren und deren Verarbeitung sind in den Rohstoffpartnerschaf- aus politischen und ökonomischen Gründen gescheitert. ten sehr weich formuliert. Im Gegensatz zu dem Abkom- Auch die moderateren Lösungen der EU für eine Export- men mit der Mongolei fehlt im Vertrag mit Kasachstan der erlösstabilisierung im Rahmen der Lomé-Verträge laufen Absatz über die Ausgestaltung der geplanten Beratung. seit dem Jahre 2000 aus (WBGU 2005). Bei entsprechen- der politischer Unterstützung der Industrieländer ist aber Die zweite Leitidee im Entwurf des Deutschen Ressour- eine Mengenkontrolle des Angebots nicht prinzipiell als ceneffizienzprogramms (BMU 2011a) lautet „Globale unmöglich einzustufen (ELSENHANS 1984; 1983). Die Verantwortung als zentrale Orientierung unserer nationa- konsequente Durchsetzung strenger Umweltanforderun- len Ressourcenpolitik sehen“. Dazu wird unter anderem gen wird letztlich auch angebotsbegrenzende und er- ausgeführt: „Hierzu wird sich die Bundesregierung in der lössteigernde Wirkungen haben und bietet damit den Kooperation mit ihren Partnerländern und in europäi- Hebel für eine umweltpolitisch qualifizierte Weiterent- schen und internationalen Gremien intensiv um die nach- wicklung der alten entwicklungspolitischen Idee. haltige Ausgestaltung der Extraktionsverfahren und die stetige Verbesserung der Umweltstandards in Rohstoffab- Dauerhaft tragfähig werden in Zukunft daher nur Export- bau und -verarbeitung bemühen“ (BMU 2011a). Diesem restriktionen im Rahmen konsensualer zwischenstaatli- Anspruch werden die bisherigen Rohstoffpartnerschaften cher Rohstoffabkommen (z. B. Artikel XX (h) des Allge- offensichtlich nicht gerecht. meinen Zoll- und Handelsabkommens – General Agreement on Tariffs and Trade (GATT)) und einer glaub- Internationales Rohstoffrahmenabkommen würdigen umweltpolitischen Begründung sein, die sich auf Artikel XX (g) GATT und die Einhaltung internationa- 153. Zertifizierung von Importen oder bilaterale Roh- ler Umweltabkommen stützen kann (WBGU 2000, stoffabkommen können als erste Schritte auf dem Weg zu S. 114 f.). Willkürliche, einseitige Exportbeschränkungen internationalen Rohstoffabkommen gewertet werden. durch Exportländer wären hingegen nicht mit dem Regel- Gleichwohl werden sie alleine keine befriedigenden Lö- werk der World Trade Organization (WTO) vereinbar, der sungen anbieten können, weil sie Spielräume für Aus- sich viele der rohstoffexportierenden Länder angeschlos- weichreaktionen der Wirtschaftsakteure bieten. sen haben (OECD 2010; STÜRMER 2008; WTO 2011). Deshalb sollte die Idee internationaler Rohstoffrahmen- In den 1980er- und 1990er-Jahren waren die Chancen für abkommen aktiv verfolgt werden. Diese haben aber nur Rohstoffabkommen gering, weil die importierenden In- eine Chance, wenn man sie nicht isoliert nur umweltpoli- dustrieländer ein Interesse an einem liberalen und diskri- tisch formuliert, sondern auch die Erlösziele der Export- minierungsfreien Weltmarkt hatten und dies dank ihrer länder beachtet. Auch entwicklungspolitische Ziele, so Marktmachtposition auch durchsetzen konnten. Diese Si- vor allem die Verwendung der Erlöse (Rohstoffrenten) für tuation hat sich mit der ökonomischen Verknappung Armutsbekämpfung, die soziale und physische Infra- wichtiger Rohstoffe und der Verschiebung zu einem Ver- struktur oder die Diversifikation der Volkswirtschaften, käufermarkt entscheidend verändert (STÜRMER 2008; sollten Berücksichtigung finden, insbesondere um Ein- THE WORLD BANK 2009). In diesem Zusammenhang kommenstransfers von Nord nach Süd überhaupt legiti- entstehen auch neue Interessenkonstellationen: Export- mieren zu können (UNCSD 2011; BLEISCHWITZ und länder haben ein Interesse an einer Sicherung des Erlösni- BRINGEZU 2007; BRINGEZU und BLEISCHWITZ veaus über den aktuellen Preiszyklus hinaus. Verbrau- 2009; The Intergovernmental Forum on Mining, Mine- cherregionen, die auf eine ressourceneffiziente Wirtschaft rals, Metals and Sustainable Development 2010) setzen, wie die EU und Japan (BRINGEZU und In diesem Zusammenhang könnten Ansätze einer „Neuen BLEISCHWITZ 2009), werden ebenfalls eine dauerhafte Internationalen Wirtschaftsordnung“ weiterentwickelt ökonomische Absicherung ihrer Investitionsanstrengun- und insbesondere umweltpolitisch qualifiziert werden, gen zur Importsubstitution sowie strategische Partner- wie sie noch in den Nachkriegsjahrzehnten bis zur zwei- schaften mit Exportländern anstreben. Auch die Sensibilität

91 Metallische und mineralische Rohstoffe gegenüber Importen aus Kriegsgebieten hat zugenommen der Rohstoffwirtschaft vernachlässigt. Die Rohstoffpoli- (Dodd Frank Act). Die Minderung der Umweltfolgen des tik der Bundesregierung setzt weiterhin vor allem auf eine Rohstoffabbaus hat zudem bei Erzeugern und Verbrau- politische Flankierung der Sicherung des Zugangs zu chern einen höheren Stellenwert erhalten (UNCSD 2011). Rohstoffen. Zu begrüßen ist, dass der Entwurf des Deut- In dieser Konstellation sind integrierte multilaterale An- schen Ressourceneffizienzprogramms (ProgRess) erst- sätze gegenüber einer umwelt- und entwicklungspolitisch mals eine ökologische Dimension der Rohstoffpolitik nicht-flankierten Handelsliberalisierung oder gegenüber aufgreift und sich zu einer Verantwortung für die globalen privilegierten bilateralen Partnerschaften mit protektio- Folgen der Rohstoffwirtschaft bekennt. Das Programm nistischen oder gar neokolonialen Tendenzen (STÜRMER definiert wichtige Handlungsansätze, insbesondere für 2008, S. 137) vorzugswürdig. eine Steigerung der Ressourceneffizienz, die allerdings nur ein Teil des Maßnahmenmixes für eine dauerhaft um- Der in den letzten Jahren vor der WTO ausgetragene weltgerechtere Rohstoffwirtschaft sein kann. Konflikt um die chinesischen Exportbeschränkungen für seltene Erden kann sowohl den Strukturwandel vom Käu- Das zweistufige Entkopplungskonzept der UNEP wurde fer- zum Anbietermarkt als auch das Potenzial der neuen für abiotische, nicht-energetische Rohstoffe konkretisiert. umweltpolitischen Dimension von Rohstoffhandelskon- Handlungsansätze und Instrumente sollen den Weg zu ei- flikten illustrieren. Auf der Basis eines Panel-Berichtes ner umweltverträglichen Rohstoffwirtschaft ebnen. Diese (WTO 2011) hat der Appellate Body der WTO im Januar sollte zum einen auf der Entkopplung von Rohstoffver- 2012 endgültig China Exportbeschränkungen untersagt brauch und Wohlfahrt, zum anderen auf der Entkopplung und selbst umweltpolitisch motivierte Ausnahmeregelun- von Rohstoffverbrauch und Umweltauswirkungen auf- gen nach Artikel XX GATT als unvereinbar mit dem Bei- bauen. Beide Ziele sollten parallel verfolgt werden. trittsprotokoll Chinas zur WTO angesehen (WTO 2012). Zugleich wurde die Glaubwürdigkeit der umwelt- und Für eine Entkopplung von Rohstoffverbrauch und Wohl- ressourcenpolitischen Begründung bezweifelt, weil die fahrt sind eine Effizienzsteigerung bei der Produktion und Restriktionen und Auflagen nicht gleichermaßen für die Güternutzung sowie eine deutlich gesteigerte Kreislauf- Rohstoffgewinnung für den heimischen Markt gelten. führung von Rohstoffen erforderlich. Ebenso ist aber China könnte aber theoretisch durchaus seine Monopolsi- auch eine behutsame Infragestellung eines stark konsu- tuation dazu nutzen, indirekt eine signifikante Verteue- morientierten Lebensstils zielführend. rung und Verknappung seltener Erden durch strenge Umweltauflagen für die Rohstoffgewinnung oder nicht Für eine Entkopplung des Rohstoffverbrauchs von den diskriminierende Maßnahmen der Ressourcenschonung Umweltwirkungen gilt es, Umweltbelastungen entlang durchzusetzen (Ekardt, F.: Ressourcen, Umwelt und Welt- der gesamten Wertschöpfungskette zu vermeiden. Neben handelsrecht, Legal Tribune online vom 21. März 2012). Abbaumethoden, die mit dem Natur- und Umweltschutz vereinbar sind, sollten insbesondere die Klimaverträg- Die Langfristperspektive eines internationalen Roh- lichkeit von Rohstoffgewinnung und -weiterverarbeitung stoffrahmenabkommens sollte daher von der Bundesregie- sowie eine optimierte Kreislaufführung und eine weltweit rung und der Europäischen Union aktiv verfolgt werden. sichere Entsorgung in der Abfallphase Priorität haben. Dieses sollte von einem zwischenstaatlichen und wissen- schaftlichen Ressourcenpanel (International Panel on Sus- Voraussetzung für eine realitätsnahe Rohstoffpolitik ist tainable Resource Management IPSRM) fachlich unter- eine deutlich verbesserte Datenerfassung der Rohstoff- stützt werden. Das Panel sollte nach dem Vorbild des ströme auf nationaler, europäischer und internationaler Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) aus- Ebene. Die Berechnung der Rohstoffproduktivität mit- gestaltet werden und damit den Status des existierenden hilfe von Materialflussindikatoren sollte weiterverfolgt IRP deutlich aufwerten. Parallel sollte eine Agentur werden. Neue Berechnungsmethoden in Rohstoffäquiva- grundlegende Informationen über Lagerstätten, Abbaube- lenten sind zu begrüßen. Außerdem sollte die Bundesre- dingungen und Umweltfolgen sammeln und aufbereiten gierung zusätzlich ein Pro-Kopf-Rohstoffverbrauchsziel (BRINGEZU und BLEISCHWITZ 2009). Im Rahmen entwickeln. Einen ökologisch treffsicheren Rohstoffindi- dieses Rohstoffabkommens können grundlegende um- kator, der die Umweltbelastungen differenziert abbilden weltpolitische Anforderungen vereinbart werden: Geneh- kann, gibt es bisher aber nicht. Hier müssen ebenso wei- migungspflicht, Umweltverträglichkeitsprüfung, strenger tere Untersuchungen durchgeführt werden, wie im Be- Gewässerschutz, Vermeidung von Eingriffen in geschützte reich der Stoffströme, wo derzeit noch Kenntnisse fehlen. Gebiete und Minimierung von Risiken für die Biodiversi- Ferner sollte das Statistische Bundesamt mit der Erfas- tät, Verwendung bester verfügbarer Technologien, Finan- sung einer Substitutionsquote beauftragt werden. zierung der Rekultivierung nach Schließung der Minen, si- chere Abfalldeponierung und strenge Anforderungen an Der SRU hat ein breites Spektrum an Instrumenten über die Umwelthaftung. den gesamten Lebenszyklus von Rohstoffen auf ihre Fä- higkeit hin untersucht, einen Beitrag zu einer umweltver- 2.5 Fazit und Empfehlungen träglichen Rohstoffwirtschaft zu leisten. Die folgenden Ansätze erscheinen dem SRU besonders wirksam, effi- 154. In der aktuellen Diskussion um die Sicherheit der zient und praktikabel und sollten daher von der Bundesre- Versorgung mit Rohstoffen wird die Umweltdimension gierung prioritär weiterverfolgt werden.

92 Fazit und Empfehlungen

Reform des Bergrechts und Vorrang Benchmarks klar an den technischen Vermeidungspoten- des Naturschutzes zialen ausrichten.

155. Grundsätzlich sollte das BBergG neugefasst wer- den, das gegenwärtig ausschließlich auf die Sicherung der Produzentenverantwortung stärken Rohstoffversorgung durch die Gewinnung von Boden- 157. Die Entwicklung der Abfall- zu einer Kreislauf- schätzen gerichtet ist. Die Rechtsstellung von Natur- wirtschaft erfordert eine ständige Optimierung der er- schutzbelangen ist im BBergG bislang nur schwach aus- kennbaren Schwachstellen, um Quantität und Qualität der geprägt. Wünschenswert wäre es, in dem Gesetz ein in den Produktionskreislauf zurückgeführten Sekundär- Primat zur Konfliktvermeidung zu etablieren und in Ab- rohstoffe zu steigern. Von hoher Bedeutung sind die hängigkeit von der Schwere der bergbaulichen Eingriffe Ströme an Elektro- und Elektronikschrott, die große Men- in die Umwelt eine Genehmigungserteilung an besondere gen an Technologierohstoffen enthalten. Bedingungen zum Nachweis eines Bedarfs zu knüpfen. Das Instrument der Herstellerverantwortung, das auf An- Wo naturschutzfachliche Erwägung und Rohstoffabbau reize für eine umweltgerechte Ausgestaltung des gesam- nicht miteinander vereinbar sind, muss der Schutz der ten Produktlebenszyklus zielt, soll durch die Entwicklung Natur vorrangig sein. Insbesondere im Rahmen von Ab- von Mindeststandards für die gesamte Entsorgungskette wägungsentscheidungen bei Eingriffen in FFH-Schutzge- von Elektro- und Elektronikschrott, die Erhöhung der zu bieten sollte die Bundesregierung, wie von der Europäi- erreichenden Verwertungsquoten und einen verpflichten- schen Kommission vorgesehen, festlegen, dass der den Funktionsnachweis von Gebrauchtgeräten für den Rohstoffabbau an sich kein langfristiges überwiegendes Export konkretisiert werden. Diese Maßnahmen sollen öffentliches Interesse darstellt (vgl. Tz. 137), mit dem ein durch eine Dokumentation, regelmäßige Überwachung Eingriff im Rahmen von Artikel 6 Absatz 4 FFH-Richtli- und eine konsequente Ahndung von Verstößen begleitet nie gerechtfertigt werden kann. Entgegen bestehenden werden. Bestrebungen, unter anderem einiger Bundesländer, ver- tritt der SRU zudem die Position, dass Naturschutzanfor- Um eine höhere Rückführungsquote der ruhenden Roh- derungen weder auf nationaler noch auf europäischer stoffvorräte in den Kreislauf zu erreichen, wird die Ein- Ebene zugunsten des Rohstoffabbaus aufgeweicht wer- führung eines Pfandsystems für ausgewählte rohstoffin- den sollten. tensive Produkte wie Mobiltelefone und Computer vorgeschlagen. Einführung ökonomischer Instrumente Für einzelne Massen- und Technologierohstoffe, die von 156. Prinzipiell können auch Rohstoffsteuern wirksame hoher Umweltrelevanz sind, soll eine komplexe Stoff- Anreize zum effizienten Umgang mit Rohstoffen leisten. stromdokumentation erstellt werden, um Potenziale und Der SRU empfiehlt daher die Einführung einer Primär- Zugriffsmöglichkeiten abschätzen zu können. Daraus baustoffsteuer in Deutschland. Eine solche Steuer besteht sind verbindliche Substitutionsquoten (Anteil Sekundär- schon in anderen EU-Mitgliedstaaten und würde keine rohstoff am Gesamtverbrauch des einzelnen Rohstoffs) Wettbewerbsnachteile nach sich ziehen, da Primärbau- abzuleiten. stoffe lokal abgebaut werden. Gleichzeitig kann sie den Druck auf einen weiteren Abbau in Deutschland redu- Anregung internationaler sozialer zieren und einen Anreiz zur erweiterten Nutzung von und ökologischer Standards Sekundärrohstoffen in der Bauindustrie geben. Material- inputsteuern hingegen sind aufgrund von Ausgestaltungs- 158. Eine umweltorientierte Rohstoffpolitik kommt auf- schwierigkeiten derzeit nicht praktikabel. grund globalisierter Wertschöpfungsketten schnell an ihre Grenzen: Rein nationalen oder europäischen Ansätzen Bereits bestehende Instrumente, wie der europäische können die Wirtschaftsakteure ausweichen oder sie sind Emissionshandel, können zudem die Klimaverträglichkeit deshalb wirkungslos, weil die wesentlichen Umweltef- der Produktion rohstoffintensiver Güter effektiv verbes- fekte außerhalb des territorialen Zugriffs der EU liegen. sern und Anreize zu einer effizienteren Rohstoffnutzung Freiwillige Zertifizierungssysteme und bilaterale Abkom- schaffen. Die Rohstoffveredelung in den Grundstoffindus- men – wie Rohstoffpartnerschaften – bieten partielle trien ist mit hohem Energieeinsatz und hohen Kohlendi- Übergangslösungen, um international herrschende Um- oxidemissionen verbunden. Diese unterliegen bisher mit welt- und Sozialstandards anzuheben. Wesentlich ist je- Blick auf befürchtete Wettbewerbsnachteile weitreichen- doch, dass die Bundesregierung und die Europäische den Sonderregelungen und insbesondere einer zu großzü- Union auf internationale Abkommen hinarbeiten, in de- gigen Ausstattung mit Emissionsrechten. Die mit der kos- nen hohe Umwelt- und Sozialstandards für die Rohstoff- tenlosen Vergabe von Emissionsrechten verbundenen gewinnung mit entwicklungs- und sicherheitspolitischen Benchmarks werden ab 2013 zu realen Reduktionen füh- Zielen verknüpft werden. Die EU sollte ein wesentlicher ren. Stärkere Anreize für eine erhöhte Energie- und Res- Treiber für ein internationales Rohstoffrahmenabkommen sourceneffizienz können geschaffen werden, wenn die werden, unterstützt von einem wissenschaftlichen Res- Emissionsrechte bis 2020 infolge der Verschärfung des sourcenpanel (IPSRM) und einer grundlegende Informa- EU-Klimaziels auf 30 % gekürzt werden und sich die tionen bereitstellenden Agentur.

93 Metallische und mineralische Rohstoffe

2.6 Literatur LF_Herkunftrsnachweis_COLTAN_Newsletter01-2010. html?nn=1547826 (16.12.2011). 4C Association (2011): What is the 4C Association? Bonn: 4C Association. http://www.4c-coffeeassociation.org/ BGR (2011b): DR Kongo – Stärkung von Transparenz (09.03.2012). und Kontrolle im Rohstoffsektor. Hannover: BGR. http:// www.bgr.bund.de/DE/Themen/Zusammenarbeit/TechnZu Adam, E. (Hrsg.) (1980): „Tribalismus“ und ungleiche sammenarbeit/Projekte/Laufend/Afrika/1046_2006-2202- Entwicklung in Zambia. Zur politischen Ökonomie ge- 7_Kongo_Transparenz_Rohstoffsektor.html (16.12.2011). sellschaftlicher Konflikte. Bad Honnef: Bock + Herchen. BGR (2011c): Technische Zusammenarbeit mit Ruanda AEA Energy & Environment (2008): Significant Natural Hannover: BGR. http://www.deutsche-rohstoffagentur. Resource Trade Flows into the EU. Didcot: AEA Energy de/DE/Themen/Zusammenarbeit/TechnZusammenarbeit/ & Environment, Metroeconomica. AEA/ED05444/Issue 4. Laender/ruanda.html?nn=1542132 (16.12.2011). Arthur D. Little, Fraunhofer ISI (Fraunhofer-Institut für BGR (2010): Bundesrepublik Deutschland: Rohstoffsitua- Systemtechnik und Innovationsforschung), Wuppertal In- tion 2009 Hannover: BGR. Rohstoffwirtschaftliche Län- stitut für Klima Umwelt Energie (2005): Studie zur derstudien 39. Konzeption eines Programms für die Steigerung der Ma- terialeffizienz in mittelständischen Unternehmen. Ab- Bleischwitz, R., Bringezu, S. (2007): Globales Ressour- schlussbericht. Frankfurt am Main, Karlsruhe, Wuppertal: cenmanagement. Konfliktpotenziale und Grundzüge eines Arthur D. Little, Fraunhofer ISI, Wuppertal-Institut für Global Governance-Systems. Bonn: Stiftung Entwicklung Klima Umwelt Energie. und Frieden. Policy Paper 27. http://www.sef-bonn.org/ download/publikationen/policy_paper/pp_27_de.pdf Artisanal Gold Council (2011): Improving Artisanal and (02.07.2010). Small Scale Gold Mining in the Developing World. Artisanal Gold Council. http://www.artisanalgold.org/ Block, M., Hanrahan, D. (2009): Blacksmith Institute’s (08.03.2012). World’s Worst Polluted Places. Report 2009. 12 Cases of Cleanup and Success. New York, Zurich: Blacksmith In- Ayres, R. U. (2001): Resources, Scarcity, Growth and the stitute, Green Cross. Environment. Fontainebleau: Center for the Management of Environmental Resources. Block, M., Hanrahan, D., Singh, A., Spiegler, J., Fuller, R. (2007): The World’s Worst Polluted Places: The Top Ten Bahn-Walkowiak, B., Bleischwitz, R., Sanden, J. (2010): of The Dirty Thirty. New York: Blacksmith Institute. Einführung einer Baustoffsteuer zur Erhöhung der Res- sourceneffizienz im Baubereich: Meilenstein zu AS 3.2 BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und „Maßnahmenvorschläge zur Ressourcenpolitik zur Ge- Reaktorsicherheit) (2011a): Entwurf des BMU für ein staltung der Rahmenbedingungen“ ; Paper zu Arbeitspa- Deutsches Ressourceneffizienzprogramm (ProgRess). ket 3 des Projekts „Materialeffizienz und Ressourcen- Programm zum Schutz natürlicher Ressourcen in einer schonung“ (MaRess). Wuppertal: Wuppertal Institut für ökologisch sozialen Marktwirtschaft. Berlin: BMU. Klima, Umwelt, Energie. Ressourceneffizienz Paper 3.7. BMU (2011b): Kreislaufwirtschaft: Abfall nutzen – Res- Baumol, W. J., Oates, W. E. (1988): The theory of envi- sourcen schonen. Berlin: BMU. ronmental policy. Cambridge, NY: Cambridge University BMU (2007): Nationale Strategie zur biologischen Viel- Press. falt, vom Bundeskabinett am 7. November 2007 be- Behrens, A., Hinterberger, F., Stewen, M., Stocker, A. schlossen. Berlin: BMU. (2005): Eine Materialinputsteuer zur Senkung des Res- BMU, BfN (2009): Auenzustandsbericht. Flussauen in sourcenverbrauchs – und Schaffung von Arbeitsplätzen? Deutschland. Berlin, Bonn: BMU, BfN. In: Aachener Stiftung Kathy Beys (Hrsg.): Ressourcen- produktivität als Chance. Ein langfristiges Konjunktur- BMWi (Bundesministerium für Wirtschaft und Technolo- programm für Deutschland. Norderstedt: Books on De- gie) (2010): Rohstoffstrategie der Bundesregierung. Si- mand GmbH, S. 49–62. cherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutsch- lands mit nicht-energetischen mineralischen Rohstoffen. Beigl, P., Schneider, F., Salhofer, S. (2010): Vergleich von Berlin: BMWi. Sammelsystemen für Mobiltelefone. Müll und Abfall 42 (10), S. 501–507. Bringezu, S. (2009): Targets for Global Resource Con- sumption. Vortrag, Factor X: Policies, strategies and inst- BfN (Bundesamt für Naturschutz) (2011): Rohstoffabbau. ruments towards a sustainable resource use. Workshop Abbau von mineralischen Rohstoffen und das Manage- des Umweltbundesamtes, 18.06.2009, Berlin. ment von Natura 2000. Bonn: BfN. http://www.bfn.de/ 0316_rohstoffabbau-natura2000.html (16.12.2011). Bringezu, S., Bleischwitz, R. (Hrsg.) (2009): Sustainable resource management: Global trends, visions and poli- BGR (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Roh- cies. Sheffield: Greenleaf Publishing. stoffe) (2011a): „Coltan-Fingerprint“ der BGR macht Zertifizierung von Handelsketten möglich. Hannover: Buchert, M., Hermann, A., Jenseit, W., Stahl, H., Osyguß, BGR. http://www.deutsche-rohstoffagentur.de/DE/Themen/ B., Hagelüken, C. (2007): Verbesserung der Edelmetall- Min_rohstoffe/Projekte/Rohstoff-Forschung-abgeschlossen/ kreisläufe: Analyse der Exportströme von Gebraucht-

94 Literatur

Pkw und -Elektro(nik)geräten am Hamburger Hafen. Elsenhans, H. (1984): Abhängiger Kapitalismus oder bü- Dessau: Umweltbundesamt. rokratische Entwicklungsgesellschaft. Versuch über den Staat in der Dritten Welt. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Buchert, M., Schüler, D., Bleher, D. (2009): Critical me- Campus. tals for future sustainable technologies and their recycling potential. Nairobi: UNEP. Elsenhans, H. (1983): Protektionismus oder neue Ent- wicklungspolitik. In: Mäding, H. (Hrsg.): Sparpolitik. Buckley, C. (2011): Heavy metals pollute a tenth of Ökonmische Zwänge und politische Spielräume. Opla- China’s farmland-report. New York: Reuters. http://www. den: Westdeutscher Verlag, S. 123–151. reuters.com/article/2011/11/07/us-china-pollution-agricul ture-idUSTRE7A60DO20111107 (08.03.2012). Elsenhans, H. (1980): Gesellschaftliche Reformen in der Bundesrat (2007): Beschluss des Bundesrates. Entschlie- Dritten Welt gegen Konzessionen in der Weltwirtschafts- ßung des Bundesrates „Das europäische Naturschutzrecht ordnung. Wirtschaftsdienst 60 (10), S. 482–485. evaluieren und zukunftsfähig ausgestalten“. Berlin: Bun- Elsworth, R., Worthington, B. (2010): International Off- desrat. Bundesratsdrucksache 768/07. sets and the EU 2009. Islington: Sandbag. Bundesregierung (2008): Für ein nachhaltiges Deutsch- Equator Principles (2012): Environmental & social risk land. Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen Nachhaltig- management for project finance. Tiptree: Equator Prin- keitsstrategie. Berlin: Presse- und Informationsamt der ciples. http://www.equator-principles.com/ (09.03.2012). Bundesregierung. Erdmann, L., Behrendt, S., Feil, M. (2011): Kritische Bundesregierung (2002): Perspektiven für Deutschland. Rohstoffe für Deutschland. „Identifikation aus Sicht deut- Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung. Ber- scher Unternehmen wirtschaftlich bedeutsamer minerali- lin: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. scher Rohstoffe, deren Versorgungslage sich mittel- bis Bundesregierung, Regierung der Mongolei (2011): Ab- langfristig als kritisch erweisen könnte“. Abschlussbe- kommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik richt. Berlin: Institut für Zukunftsstudien und Technolo- Deutschland und der Regierung der Mongolei über Zu- giebewertung, adelphi. sammenarbeit im Rohstoff-, Industrie- und Technologie- bereich. Ulan Bator: Bundesregierung, Regierung der Ericson, B., Hanrahan, D., Kong, V. (2008): The World’s Mongolei. Worst Pollution Problems: The Top Ten of the Toxic Twenty. New York, Zurich: Blacksmith Institute, Green Bundesregierung, Regierung der Republik Kasachstan Cross. (2012): Abkommen zwischen der Regierung der Bundes- republik Deutschland und der Regierung der Republik Europäische Kommission (2011a): Beschluss der Kom- Kasachstan über Partnerschaft im Rohstoff-, Industrie- mission vom 6. Juni 2011 zur Festlegung der Umweltkri- und Technologiebereich. Berlin: Bundesregierung, Regie- terien für die Vergabe des EU-Umweltzeichens für Note- rung der Republik Kasachstan. books. K(2011) 3736. Brüssel: Europäische Kommission. Buyny, Š., Klink, S., Lauber, U. (2009): Weiterentwick- Europäische Kommission (2011b): Leitfaden. Nichtener- lung des direkten Materialinputindikators. Endbericht. getische mineralgewinnende Industrie und Natura 2000. Dessau-Roßlau, Wiesbaden: Umweltbundesamt, Statisti- Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäi- sches Bundesamt. schen Union. Cambridge Econometrics, Wuppertal Institut (Wuppertal Europäische Kommission (2011c): Mitteilung der Kom- Institut für Klima, Umwelt, Energie), SERI (Sustainable mission an das Europäische Parlament, den Rat, den euro- Europe Research Institute) (2011): Sustainability Scena- päischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den rios for a Resource Efficient Europe. Final Report. Cam- Ausschuss der Regionen. Fahrplan für ein ressourcen- bridge: Cambridge Econometrics. schonendes Europa. KOM(2011) 571 endg. Brüssel: Eu- ropäische Kommission. DEMEA (Deutsche Materialeffizienzagentur) (2011): Ba- sisinformationen. Berlin: DEMEA. http://www.demea.de/ Europäische Kommission (2011d): Mitteilung der Kom- was-ist-materialeffizienz/Basisinformationen (09.03.2012). mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Euro- päischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Aus- Donges, J. B. (1977): The Third World Demand for a schuss der Regionen. Grundstoffmärkte und Rohstoffe: New International Economic Order, Governmental Sur- Herausforderungen und Lösungsansätze. KOM(2011) 25 veillance versus Market Decision-Maing in Trade and In- endg. Brüssel: Europäische Kommission. vestment. Kyklis 30 (2), S. 235–258. Dover, C. L. van (2011): Tighten regulations on deep-sea Europäische Kommission (2011e): Mitteilung der Kom- mining. Nature 470 (7332), S. 31–33. mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Egeler, R. (2010): Rohstoffeffizienz: Wirtschaft entlasten, Ausschuss der Regionen. Lebensversicherung und Natur- Umwelt schonen. Vortrag, Gemeinsame Pressekonferenz kaptial: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr des Statistischen Bundesamtes und des Umweltbundes- 2020. KOM(2011) 244 endg. Brüssel: Europäische Kom- amtes, 17.11.2010, Berlin. mission.

95 Metallische und mineralische Rohstoffe

Europäische Kommission (2011f): Mitteilung der Kom- Landesplanung und Raumforschung) (Hrsg.): Aspekte ei- mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- ner raum- und umweltverträglichen Abfallentsorgung. ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Bd. 2. Hannover: Verlag der ALR. Forschungs- und Sit- Ausschuss der Regionen. Ressourcenschonendes Europa – zungsberichte 196, S. 12–50. eine Leitinitiative innerhalb der Strategie Europa 2020. KOM(2011) 21 endg. Brüssel: Europäische Kommission. Fehrenbach, H., Giegrich, J., Mahmood, S. (2007): Bei- spielhafte Darstellung einer vollständigen, hochwertigen Europäische Kommission (2011g): Vorschlag für Richtli- Verwertung in einer MVA unter besonderer Berücksichti- nie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Ände- gung der Klimarelevanz. Dessau: UBA. UBA-Texte 16/08. rung der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen Feil, M., Rüttinger, L. (2010): Rohstoffkonflikt nachhaltig über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf ei- vermeiden: Risikoreiche Zukunftsrohstoffe? Fallstudie nem geregelten Markt zugelassen sind, sowie der Richtli- und Szenarien zu Lithium in Bolivien (Teilbericht 3.3). nie 2007/14/EG der Kommission. KOM(2011) 683 endg. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt. UBA-Texte 25/11. Brüssel: Europäische Kommission. http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/ 4102.pdf (13.07.2011). Europäische Kommission (2008a): Impact Assessment. Document accompagning the Package of Implementation Fischer-Kowalski, M., Swilling, M., Weizsäcker, E. U. Measures for the EU's objectives on Climate Change and von, Ren, Y., Moriguchi, Y., Crane, W., Krausmann, F., Renewable Energy for 2020. SEC(2008) 85/3. Brüssel: Eisenmenger, N., Giljum, S., Hennicke, P., Romero Lan- Europäische Kommission. kao, P., Siriban Manalang, A. (2011): Decoupling natural resource use and environmental impacts from economic Europäische Kommission (2008b): Mitteilung der Kom- growth. A Report of the Working Group on Decoupling mission an das Europäische Parlament und den Rat. Die to the International Resource Panel. Genf: United Nations Rohstoffinitiative: Sicherung der Versorgung Europas mit Environment Programme. den für Wachstum und Beschäftigung notwendigen Gü- tern. KOM(2008) 699 endg. Brüssel: Europäische Kom- Fischer-Kowalski, M., Krausmann, F., Steinberger, J. K., mission. Ayres, R. U. (2010): Towards a low carbon society: Set- ting targets for a reduction of global resource use. Vienna: Europäische Kommission – Generaldirektion Umwelt Institute of Social Ecology. Social Ecology Working Pa- (2012): Recast of the WEEE Directive. Brüssel: Europäi- per 115. sche Kommission, Generaldirektion Umwelt. http://ec.eu ropa.eu/environment/waste/weee/index_en.htm (15.02.2012). Frischenschlager, H., Karigl, B., Lampert, C., Pölz, W., Schindler, I., Tesar, M., Wiesenberger, H., Winter, B. Europäisches Parlament – Ausschuss für Industrie For- (2010): Klimarelevanz ausgewählter Recycling-Prozesse schung und Energie (2011): Entwurf eines Berichts über in Österreich. Wien: Umweltbundesamt. eine wirksame Rohstoffstrategie für Europa. Brüssel: Eu- ropäisches Parlament. Führ, M., Nuphaus, L., Hottenroth, H., Barginda, K., Roller, G., Cichorowski, G., Assmann, R. (2008): Herstellerver- Eurostat (Statistisches Amt der Europäischen Union) antwortung nach WEEE-Richtlinie und Produktinnova- (2012): Umweltdatenzentrum für den Bereich Abfälle. tionen – Status quo, Szenarien und Handlungsbedarf. Luxemburg: EuroStat. http://epp.eurostat.ec.europa.eu/ Müll und Abfall 40 (1), S. 11–18. portal/page/portal/waste/introduction (08.03.2012). Global 2000, SERI (Sustainable Europe Research Insti- EUWID (Europäischer Wirtschaftsdienst) (2011a): An- tute) (2011): Wie gewonnen, so zerronnen. Vom steigen- lage zur Aufbereitung von E-Schrott in Kenia eröffnet. den Ressourcenverbrauch und den Auswirkungen auf EUWID Recycling und Entsorgung 2011 (45), S. 28. Wasser. Wien: Global 2000, SERI. EUWID (2011b): Ökopol arbeitet an Weiterentwicklung GLOKAL Change (2011): Der Wasserkonflikt in Chile. der abfallwirtschaftlichen Produktverantwortung. EUWID Teil 1. Heidelberg: Pädagogische Hochschule. http://www. Recycling und Entsorgung 2011 (43), S. 2. glokalchange.de/cms/p/boden_global_kupfer04/ (13.03.2012). Fair Stone (2011): Fair Stone Standard. Kirchheim/Teck: Grant, T., Bonomo, J., Block, M., Hanrahan, D., Spiegler, J. WiN=WiN http://fairstone.win--win.de/standards.htm (2006): The World's Worst Polluted Places: The Top Ten. (09.03.2012). New York: Blacksmith Institute. Fairtrade and Fairmined Gold (2011): Every piece tells a GRS Batterien (Gemeinsames Rücknahmesystem Batte- story. London: Fairtrade Foundation. http://www.fairt rien) (2011): Jahresbericht 2010 mit Erfolgskontrolle rade.org.uk/gold/ (09.03.2012). nach Batteriegesetz. Hamburg: GRS Batterien. www.grs- Faßbender, K. (2011): Abfallhierarchie, Vermeidungspro- batterien.de/…2010/GRS_Erfolgskontrolle2010_72dpi. gramme, Recyclingquoten – Wirksame Instrumente für pdf (27.10.2011). Vermeidung und Ressourcenschutz? AbfallR 10 (4), Haake, J. (1996): Langlebige Produkte für eine zukunfts- S. 165–172. fähige Entwicklung. Eine ökonomische Analyse. Wup- Faulstich, M., Schenkel, W. (1993): Strategien und Instru- pertal: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. mente zur Abfallvermeidung. In: ALR (Akademie für Wuppertal Papers 62.

96 Literatur

Hagelüken, C. (2010): Beitrag des Recyclings zur Versor- tion. Special Report of the Intergovernmental Panel on Cli- gungssicherheit mit Technologiemetallen. In: Thomé- mate Change. Cambridge: Cambridge University Press, Kozmiensky, K. J., Goldmann, D. (Hrsg.): Recycling und S. 3–26. Rohstoffe. Bd. 3. Neuruppin: TK Verlag Karl J. Thomé- Kozmiensky, S. 539–548. Janz, A., Prelle, R., Müller, F., Bilitewski, B. (2009): Grenzüberschreitende Ströme von Elektroaltgeräten. Hagelüken, C., Buchert, M., Stahl, H. (2005): Stoffströme Müll und Abfall 41 (3), S. 126–132. der Platingruppenmetalle: Systemanalyse und Maßnah- men für eine nachhaltige Optimierung der Stoffströme Klepper, G. (1999): Wachstum und Umwelt aus der Sicht der Platingruppenmetall. Clausthal-Zellerfeld: GDMB der neoklassischen Ökonomie. In: Weimann, J. (Hrsg.): Medienverlag. Zwei Sichtweisen auf das Umweltproblem: neoklassische Umweltökonomik versus ökologische Ökonomik. Mar- Hagelüken, C., Meskers, C. E. M. (2010): Complex Life burg: Metropolis. Jahrbuch ökologische Ökonomik 1, Cycles of precious and special metals. In: Graedel, T. E., S. 291–318. Voet, E. van der (Hrsg.): Linkages of sustainability. Cam- bridge, Mass., London: MIT Press, S. 163–197. Krausmann, F., Gingrich, S., Eisenmenger, N., Erb, K.-H., Haberl, H., Fischer-Kowalski, M. (2009): Growth in glo- Harris, J., McCartor, A., Fuller, R., Ericson, B., Caravanos, J., bal materials use, GDP and population during the 20th Hanrahan, D., Keith, J., Becker, D. (2011): Blacksmith century. Ecological Economics 68 (10), S. 2696–2705. Institute’s World’s Worst Toxic Pollution Problems. Re- port 2011. The Top Ten of the Toxic Twenty. New York, Land Hessen (2011): Antrag des Landes Hessen zum Mit- Zürich: Blacksmith Institute, Green Cross. teilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus- Hermann, H., Graichen, V., Gammelin, C., Matthes, F. C., schuss und den Ausschuss der Regionen: Fahrplan für ein Cook, V. (2010): Kostenlose CO2-Zertifikate und CDM/JI ressourcenschonendes Europa. Berlin: Bundesrat. Bun- im EU-Emissionshandel. Analyse von ausgewählten desratsdrucksache 590/11. Branchen und Unternehmen in Deutschland. Berlin: Öko- Institut, Umweltstiftung WWF Deutschland. Leonhardt, E. (2007): Geregelte Verantwortungslosigkeit? Erfahrungen mit der Produktverantwortung bei Elektro(nik)- Hillman, J. (2010): The International Tin Cartel. London: Geräten aus Sicht eines Umwelt- und Verbraucherschutz- Routledge. Routledge explorations in economic history verbandes. In: Thomé-Kozmiensky, K. J., Versteyl, A., 48. Beckmann, M. (Hrsg.): Produktverantwortung – Verpa- Hinterberger, F. (2011): Produktdienstleistungen zur Ver- ckungsabfälle, Elektro- und Elektronikaltgeräte, Altfahr- ringerung der Materialintensität. Vortrag, Mit zukunftsfä- zeuge. Neurruppin: TK-Verlag Karl Thomé-Kozmiensky, higen Produktionstechnologien und Materialien zur S. 311–338. „Ökonomie der Zukunft“ – Ergebnisse aus dem For- MacLean, H., Duchin, F., Hagelücken, C., Halada, K., schungsprogramm Fabrik der Zukunft, 31.05.2011, Wien. Kesler, S. E., Moriguchi, Y., Mueller, D., Norgate, T. E., Hinterberger, F. (1993): Reducing material inputs: An Reuter, M. A., Voet, E. van der (2010): Stocks, flows, and economic foundation of the MIPS concept. Fresenius En- prospects of mineral ressources. In: Graedel, T. E., Voet, vironmental Bulletin 2 (8), S. 425–430. E. van der (Hrsg.): Linkages of sustainability. Cambridge, Mass., London: MIT Press, S. 199–218. Honold, D. (2010): Lithium fürs Volk – Begehrter Roh- stoff für Zukunftstechnologien. Rundbrief – Forum Um- McCartor, A., Becker, D. (2010): Blacksmith Institute’s welt & Entwicklung 2010 (4), S. 8. World’s Worst Pollution Problems Report 2010: Top Six Toxic Threats. Six pollutants that jeopardize the health of Horvath, A. (2004): Construction materials and the envi- tens of millions of people. New York, Zurich: Blacksmith ronment. Annual Review of Environment and Resources Institute, Green Cross. 29, S. 181–204 Messner, F., Scholz, M. (2000): Grossräumiger Kiesab- ICMM (International Council on Mining and Metals) (2006): bau in den Elbauen. In: UFZ (Helmholtz-Zentrum für Good practice guidance for mining and biodiversity. Lon- Umweltforschung) (Hrsg.): Jahresbericht 1998–1999 des don: ICCM. http://www.icmm.com/page/1182/good-prac Umweltforschungszentrum Leipzig–Halle GmbH. Leip- tice-guidance-for-mining-and-biodiversity (16.12.2011). zig: UFZ, S. 151–160. The Intergovernmental Forum on Mining, Minerals, Me- Meyer, E. C., Müller-Siebers, K.-W., Ströbele, W. (1998): tals and Sustainable Development (2010): A Mininig Po- Wachstumstheorie. 2., völlig überarb. Aufl. München: Ol- licy Framework. Mining and Sustainable Development. denbourg. Managing one to advance the other. s. l.: The Intergovern- mental Forum on Mining, Minerals, Metals and Sustaina- Morris, D., Worthington, B. (2010): Cap or trap? How the ble Development. http://www.globaldialogue.info/Mining EU ETS risks locking-in carbon emissions. London: %20Policy%20Framework%20final.pdf (09.03.2012). Sandbag. IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) Moss, R. L., Tzimas, E., Kara, H., Willis, P., Kooroshy, J. (2011): Summary for Policy Makers. In: IPCC (Hrsg.): (2011): Critical Metals in Strategic Energy Technologies. Renewable Energy Sources and Climate Change Mitiga- Assessing Rare Metals as Supply-Chain Bottlenecks in

97 Metallische und mineralische Rohstoffe

Low-Carbon Energy Technologies. Luxembourg: Publi- Schink, A., Karpenstein, U. (2011): EU-und verfassungs- cations Office of the European Union. rechtliche Rahmenbedingungen der Einführung einer ein- heitlichen Wertstofftonne. Gutachten. Bonn, Berlin: NABU (Naturschutzbund Deutschland), BBS (Bundes- Schink, Karpenstein. verband Baustoffe – Steine und Erden), IG BCE (Indus- triegewerkschaft Bergbau Chemie Energie), IG BAU (In- Schüler, D., Buchert, M., Liu, R., Dittrich, S., Merz, C. dustriegewerkschaft Bauen – Agrar – Umwelt) (2004): (2011): Study on Rare Earths and Their Recycling. Final Gemeinsame Erklärung: Rohstoffnutzung in Deutsch- Report for the Greens/EFA Group in the European Parlia- land. Bonn, Berlin, Hannover, Frankfurt: NABU, BBS, ment. Freiburg, Darmstadt, Berlin: Öko-Institut. IG BCE, IG BAU. Schütte, P., Franken, G., Gebauer, H. P., Dorner, U., Newell, R. G., Stavins, R. N. (2003): Cost Heterogeneity Hagemann, A. (2011): Rohstoff –Zertifizierung und Sorg- and the Potential Savings from Market-Based Policies. faltspflichten von Unternehmen in den Lieferketten von Journal of Regulatory Economics 23 (1), S. 43–59. Konfliktmineralen. Commodity Top News 2011 (38), Norgate, T. E. (2010): Deteriorating Ore Resources. In: S. 1–6. Graedel, T., Voet, E. van der (Hrsg.): Linkages of sustai- SDWF (Safe Drinking Water Foundation) (2011): Mining nability. Cambridge, Mass., London: MIT Press, and water pollution. Saskatoon: SDWF. http://www.safe S. 131–148. water.org/PDFS/resourcesknowthefacts/Mining+and+Wa OECD (Organisation for Economic Co-operation and De- ter+Pollution.pdf (27.10.2011). velopment) (2010): The Economic Impact of Export Re- strictions on Raw Materials. Paris: OECD. Senghaas, D. (1978): Weltwirtschaftsordnung und Ent- wicklungspolitik. Plädoyer für Dissoziation. 2. Aufl. OECD (2001): OECD Environmental Strategy for the Frankfurt am Main: Suhrkamp. First Decade of the 21st Century. Adopted by OECD En- vironment Ministers. 16 May 2001. Paris: OECD. SERI (Sustainable Europe Research Institute), Global 2000, FoE (Friends of the Earth Europe) (2009): Ohne Öko-Institut, Eurometaux (European Association of Me- Mass und Ziel? Über unseren Umgang mit den natürli- tals) (2010): Eurometaux’s proposals for the Raw Mate- chen Ressourcen der Erde. Wien, Brüssel: SERI, Global rials Initiative. Darmstadt, Brüssel: Öko-Institut, Eurome- 2000, FoE. taux. Söderholm, P. (2006): Environmental Taxation in the Na- Omann, I., Schwerd, J. (2003): Die Materialinputsteuer, tural Resourcen Extraction Sector: Is it a Good Idea? Eu- ein neues Instrument nachhaltiger Entwicklung. Konzep- ropean Environment 16, S. 232-245. tion, Realisierung, Wirkung. In: Spangenberg, J. H. (Hrsg.): Vision 2020. Arbeit, Umwelt, Gerechtigkeit: Strategien SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen) (2011a): für ein zukunftsfähiges Deutschland. München: oekom, Ökologische Leitplanken setzen, natürliche Lebensgrund- S. 203–221. lagen schützen – Empfehlungen zum Fortschrittsbericht Pearson, A., Worthington, B. (2009): ETS S.O.S.: Why 2012 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Berlin: the flagship „EU Emissions Trading Policy“ needs res- SRU. Kommentar zur Umweltpolitik 9. cuing. Based on analysis of 2008 EU Emissions Trading SRU (2011b): Wege zur 100 % erneuerbaren Stromver- Scheme data. Islington: Sandbag. sorgung. Sondergutachten. Berlin: Erich Schmidt. Rademaekers, K., Asaad, S. S. Z., Berg, J. (2011): Study SRU (2008): Umweltgutachten 2008. Umweltschutz im on the Competitiveness of the European Companies and Zeichen des Klimawandels. Berlin: Erich Schmidt. Resource Efficiency. Final Report. Rev. version. Rotter- dam: ECORYS. http://ec.europa.eu/enterprise/policies/ SRU (2002): Umweltgutachten 2002. Für eine neue Vor- sustainable-business/files/competitiveness_of_european_ reiterrolle. Stuttgart: Metzler-Poeschel. companies_150711_en.pdf (09.03.2012). Statistisches Bundesamt (2011a): Laufende Wirtschafts- RNE (Rat für Nachhaltige Entwicklung) (2011): Wie rechnungen (LWR): Ausstattung privater Haushalte mit Deutschland zum Rohstoffland wird. Empfehlungen des Informations- und Kommunikationstechnik im Zeitver- Rates für Nachhaltige Entwicklung an die Bundesregie- gleich Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. http://www. rung. Berlin: Rat für Nachhaltige Entwicklung. Texte 39. destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/ Sander, S., Schilling, S. (2011): Steigerung der Ressour- Content/Statistiken/WirtschaftsrechnungenZeitbudgets/Lau ceneffizienz durch effiziente Kontrollen von Abfallver- fendeWirtschaftsrechnungen/Tabellen/Content75/Infotech bringungen. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt. UBA- nikDeutschland,templateId=renderPrint.psml (27.10.2011). Texte 58/11. http://www.umweltdaten.de/publikationen/ Statistisches Bundesamt (2011b): Umwelt. Abfallentsor- fpdf-l/4171.pdf (16.12.2011). gung. Abfallbilanz 2009. Wiesbaden: Statistisches Bun- SCBD (Secretariat of the Convention on Biological Di- desamt. http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/ versity) (2010): COP 10 Decision X/2. Strategic Plan for destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Umwelt/Umwelt Biodiversity 2011-2020. Montreal: SCBD. http://www. statistischeErhebungen/Abfallwirtschaft/Tabellen/Content cbd.int/ decision/cop/?id=12268 (19.12.2011). 75/Abfallbilanz2009,property=file.pdf (27.10.2011).

98 Literatur

Statistisches Bundesamt (2011c): Umweltökonomische UNCSD (United Nations Commission on Sustainable De- Gesamtrechnungen. Nachhaltige Entwicklung in Deutsch- velopment) (2011): Policy Options and Actions for Expe- land. Indikatoren zu Umwelt und Ökonomie 2011. Wies- diting Progress in Implementation: Mining. Report of the baden: Statistisches Bundesamt. Secretary General. New York: UNCSD. E/CN.17/2011/7. Statistisches Bundesamt (2010): Rohstoffeffizienz: Wirt- UNEP (United Nations Environment Programme) (2011): schaft entlasten, Umwelt schonen. Ergebnisse der um- Recycling Rates of Metals. A Status Report. Nairobi: weltökonomischen Gesamtrechnungen 2010. Begleitma- UNEP. Report of the Global Metals Flows working group terial zur Pressekonferenz am 17. November 2010 in of the International Panel of Sustainable Resource Ma- Berlin. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. nagement of UNEP 2. Stewen, M. (1996): Eine Materialinputsteuer zur Reduzie- USGS (U.S. Geological Survey) (2011): Mineral commo- rung anthropogener Stoffströme? Erste Überlegungen. In: dity summaries 2011. Reston, Va.: USGS. http://minerals. Köhn, J., Welfens, M. (Hrsg.): Neue Ansätze in der Um- usgs.gov/minerals/pubs/mcs/2011/mcs2011.pdf (27.10.2011). weltökonomie. Marburg: Metropolis. Ökologie und Wirt- VDI Zentrum Ressourceneffizienz (2011): Umsetzung schaftsforschung 22, S. 173–202. von Ressourceneffizienz-Maßnahmen in KMU und ihre Stürmer, M. (2008): The International Raw Materials Treiber. Identifizierung wesentlicher Hemmnisse und Boom. A Challenge for Multilateral Tradepolicy. Interna- Motivatoren im Entscheidungsprozess von KMU bei der tionale Politik und Gesellschaft 2008 (2), S. 126–139. Inanspruchnahme öffentlicher Förderprogramme zur Steigerung der Ressourceneffizienz. Berlin: VDI Zentrum Swenson, J. J., Carter, C. E., Domec, J.-C., Delgado, C. I. Ressourceneffizienz. (2011): Gold mining in the Peruvian Amazon: Global pri- ces, deforestation, and mercury imports. PLoS ONE 6 (4), Wagner, M., Franken, G., Martin, N., Melcher, F., Vasters, J., e18875. Westphale, E. (2007): Zertifizierte Handelsketten im Be- reich mineralischer Rohstoffe. Projektstudie. Hannover: Telmer, K. H., Veiga, M. M. (2009): World emissions of Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. mercury from small scale and artisanal gold mining. In: Pirrone, N., Mason, R. (Hrsg.): Mercury Fate and Trans- WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung port in the Global Atmosphere: Emissions, Measurements Globale Umweltveränderungen) (2005): Welt im Wandel. and Models. New York: Springer, S. 131–172. Armutsbekämpfung durch Umweltpolitik. Berlin: Sprin- ger. Teßmer, D. (2009): Rechtsgutachten: Vorschläge zur No- vellierung des deutschen Bergrechts im Auftrag der Bun- WBGU (2000): Welt im Wandel. Neue Strukturen globa- destagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Frankfurt ler Umweltpolitik. Berlin: Springer. am Main: Rechtsanwälte Philipp-Gerlach & Teßmer. WECOBIS (2011a): Aluminium. Berlin: Bundesministe- Teufel, J., Rubik, F., Scholl, G., Stratmann, B., Graulich, K., rium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. http://www. Manhart, A. (2009): Untersuchung zur möglichen Ausge- wecobis.de/jahia/Jahia/Home/Grundstoffe/Metalle_GS/ staltung und Marktimplementierung eines Nachhaltig- Aluminium_GS (13.03.2012). keitslabels zur Verbraucherinformation. Endbericht. Frei- WECOBIS (2011b): Kupfer. Berlin: Bundesministerium burg, Berlin: Öko-Institut, Institut für ökologische für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. http://www.weco Wirtschaftsforschung. bis.de/jahia/Jahia/Home/Grundstoffe/Metalle_GS/Kupfer Tholen, L., Irrek, W., Jepsen, D., Reintjes, N. (2011): Die _GS (13.03.2012). Ökodesign-Richtlinie als Ansatzpunkt zur Steigerung der Wegener, B. (2010): Ist die Planung noch rational? Euro- Ressourceneffizienz. In: Hennicke, P., Kristof, K., Götz, T. päisches Naturschutzrecht und nationale Infrastrukturent- (Hrsg.): Aus weniger mehr machen. Strategien für eine wicklung. Zeitschrift für Umweltrecht 21 (5), S. 227–235. nachhaltige Ressourcenpolitik in Deutschland. München: oekom, S. 89–101. WHO (World Health Organisation) (2007): Exposure to Mercury: A Major Public Health Concern. Geneva: UBA (Umweltbundesamt) (2011): Hintergrund: Batte- WHO. http://www.who.int/entity/ipcs/features/mer- rierecycling in Deutschland: Rücknahme- und Verwer- cury.pdf (08.03.2012). tungsergebnisse 2009. Dessau-Roßlau: UBA. Wong, M. H., Wu, S. C., Deng, W. J., Yu, X. Z., Luo, Q., UBA (Umweltbundesamt) (2010): Export von Elektroalt- Leung, A. O. W., Wong, C. S. C., Luksemburg, W. J., geräten – Fakten und Maßnahmen. Dessau: UBA. Wong, A. S. (2007): Export of toxic chemicals – A re- UBA , BMU (2011): Altfahrzeug-Verwertungsquoten in view of the case of uncontrolled electronic-waste recyc- Deutschland im Jahr 2009 gemäß Art. 7 Abs. 2 der Alt- ling. Environmental Pollution 149 (2), S. 131–140. fahrzeug-Richtlinie 2000/53/EG. Quality Report: Be- The World Bank (2009): Commodities at the Crossroads. schreibung der verwendeten Daten nach Artikel 1 der Global Economic Prospects. Washington, DC: The World KOM-Entscheidung 2005/293/EG über Altfahrzeuge. Bank. Dessau-Roßlau, Berlin: UBA, BMU. http://www.bmu.de/ abfallwirtschaft/abfallarten_ abfallstroeme/altfahrzeuge/ WTO (World Trade Organization) (2012): China – Mea- doc/47598.php (27.10.2011). sures Related to the Exportation of Various Raw Materi-

99 Metallische und mineralische Rohstoffe als. AB-2011-5. Reports of the Appellate Body. Genf: WVM (WirtschaftsVereinigung Metalle) (2011): Metall- WTO. WT/DS394/AB/R, WT/DS395/AB/R, WT/DS398/ statistik 2010. Berlin: WVM. AB/R. WWF (World Wide Fund for Nature), Ecofys, OMA (Of- fice for Metropolitan Architecture) (2011): The Energy WTO (2011): China – Measures Related to the Exporta- Report. 100% Renewable Energy by 2050. Gland: WWF. tion of Various Raw Materials. Reports of the Panel. XertifiX (2011): XertifiX-Kriterien. Freiburg: XertifiX. Genf: WTO. WT/DS394/R, WT/DS395/R, WT/DS398/R. http://www.xertifix.de/siegel/kriterien/ (09.03.2012).

100 Kapitel 3

Inhaltsverzeichnis Seite

3 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik ...... 103

3.1 Einleitung ...... 103 3.2 Umweltauswirkungen des Lebensmittelkonsums ...... 103 3.2.1 Flächen- und Ressourcenbeanspruchung ...... 105 3.2.2 Direkter Einfluss auf die biologische Vielfalt und den Bodenschutz ...... 106 3.2.3 Klimarelevanz des Lebensmittelkonsums ...... 107 3.2.4 Eutrophierung und Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ...... 109 3.2.5 Bildung von Resistenzen durch Antibiotikaeinsatz ...... 110 3.2.6 Wasserverbrauch ...... 111 3.2.7 Zur Bedeutung des ökologischen Landbaus ...... 112 3.2.8 Zur Bedeutung von Lebensmittelverlusten ...... 112 3.3 Gesundheitliche Aspekte einer Veränderung der Ernährungs- gewohnheiten ...... 114 3.4 Schlussfolgerungen für einen umweltbewussten Lebensmittel- konsum ...... 115 3.5 Legitimation von Eingriffen der Politik ...... 115 3.5.1 Konsumentenpräferenzen und Einflüsse auf das Verbraucher- verhalten ...... 115 3.5.2 Auswirkungen individuellen Konsums auf die Rechte Dritter und Gemeingüter-Problematik ...... 116 3.5.3 Fazit im Hinblick auf die Legitimation einer Einflussnahme auf den Konsum ...... 117 3.6 Förderung eines umweltbewussten Lebensmittelkonsums ...... 118 3.6.1 Steuerliche Instrumente: Veränderung der Preisrelationen ...... 118 3.6.2 Bedeutung des Außer-Haus-Verzehrs ...... 120 3.6.3 Regulierung von Lebensmittelwerbung und -kennzeichnung . . . . 121 3.6.4 Kommunikationsinstrumente nutzen ...... 122 3.6.5 Bildung und Beratung ausbauen ...... 124 3.6.6 Netzwerke schaffen ...... 124 3.7 Schlussfolgerungen ...... 125 3.8 Literatur ...... 126

101 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik

Abbildung

Seite Abbildung 3-1 Geschätzte Lebensmittelverluste in den EU-Mitglieds- ländern ...... 114

Tabellen

Tabelle 3-1 Übersicht über ökologische Indikatoren für Auswir- kungen des Lebensmittelkonsums ...... 104 Tabelle 3-2 Flächenbedarf von Lebensmitteln ...... 106 Tabelle 3-3 THG-Emissionen ausgewählter Lebensmittel ...... 108 Tabelle 3-4 Gründe für Lebensmittelverluste nach Sektoren ...... 113 Tabelle 3-5 THG-Emissionen aus Lebensmittelverlusten in der EU-27 nach Sektoren pro Jahr ...... 114 Tabelle 3-6 Maßnahmen zur Verringerung der Lebensmittelverluste . 125

102 Umweltauswirkungen des Lebensmittelkonsums

3 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik

3.1 Einleitung Produktion zukünftig auch Konsumänderungen notwen- dig sind, um bei zunehmender Erdbevölkerung die ökolo- 159. Das Kapitel 1 „Die neue Wachstumsdebatte“ zeigt gischen Grenzen einzuhalten. Nachfolgend wird darge- deutlich auf, dass die zukünftige Wirtschaftsentwicklung legt, dass in Bezug auf den Lebensmittelkonsum innerhalb ökologischer Grenzen vonstattengehen muss. insbesondere der Konsum tierischer Produkte ein relevan- Die Landwirtschaft ist in drei Bereichen, in denen die tes umwelt-, gleichzeitig aber auch gesundheitspolitisches globalen Belastungsgrenzen bereits als überschritten gel- Handlungsfeld darstellt. Das ist der Fall, weil zum einen ten, ein wichtiger Treiber: beim Klimawandel, beim Ver- die Umweltauswirkungen des Fleisch- und teilweise auch lust der biologischen Vielfalt und bei anthropogenen Ein- des Milchkonsums besonders bedeutsam sind (Kap. 3.2), griffen in den Stickstoffkreislauf. Wenn man davon es zum zweiten politisch legitim ist, die Konsumentschei- ausgeht, dass sich weltweit Konsummuster entwickeln, dung staatlicherseits zu beeinflussen (Kap. 3.5) und drit- die denen in Deutschland ähneln, würde dies bei der heu- tens geeignete Steuerungsinstrumente zur Verfügung ste- tigen Art des Konsums und einer Weltbevölkerung von hen (Kap. 3.6). zukünftig neun Milliarden Menschen die Tragfähigkeit der Erde überlasten. 3.2 Umweltauswirkungen des Für eine global verantwortbare Ernährung innerhalb öko- Lebensmittelkonsums logischer Grenzen sind sowohl umweltverträglichere 160. Neben dem Verkehrssektor hat die Ernährung Produktionsmethoden als auch eine Änderung der Kon- – durch die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion – summuster erforderlich. Anders als zum Beispiel bei bei einer umfassenden Stoffstrombilanzierung die größ- Rohstoffen ist eine erhöhte Ressourceneffizienz in der ten Umweltauswirkungen (EEA 2009, S. 86; 2010, Lebensmittelproduktion jedoch in vielen Fällen proble- S. 24 f.). Lebensmittel und Getränke tragen über ihren matisch. In den letzten Jahrzehnten ist durch die Intensi- Lebenszyklus gesehen mit 18 % zu den Treibhausgas- vierung der Landwirtschaft die Flächeneffizienz der Le- emissionen (THG-Emissionen) und mit 31 % zu den ver- bensmittelproduktion deutlich gestiegen. Dies hat aber sauernden Emissionen bei. Sie steuern 15 % zu den Vor- erhebliche negative Auswirkungen auf die biologische läuferstoffen des bodennahen Ozons und 23 % zum Vielfalt allgemein und speziell auf die Biodiversität auf Verbrauch materieller Ressourcen eines durchschnittli- der landwirtschaftlichen Fläche (die sog. Agrobiodiversi- chen nationalen Konsums bei (MOLL und WATSON tät) sowie auf das Grund- und Oberflächenwasser mit sich 2009, Tab. 6). Der Lebensmittelkonsum steht aber bisher gebracht. Die Landwirtschaft, die in Europa einmal zur kaum im Fokus umweltpolitischer Steuerung (HÜNE- Erhöhung der Biodiversität beigetragen hat, ist inzwi- CKE et al. 2010, S. 17). schen auf der Fläche ein Hauptverursacher für die Ge- fährdung und den Verlust von Arten. Dementsprechend 161. Grundsätzlich lassen sich die vielfältigen Umwelt- setzt sich der Sachverständigenrat für Umweltfragen auswirkungen des breiten Bedürfnisfeldes Ernährung mit- (SRU) für einen verstärkten Umwelt- und Naturschutz in hilfe von Stoffstromanalysen beschreiben. Stoffstromana- der Fläche ein, der auch zu einer Extensivierung der Flä- lysen erfassen die gesamte Wertschöpfungskette von den chennutzung in Europa führen würde (SRU 2009). Vorprodukten, der landwirtschaftlichen Erzeugung, über die Weiterverarbeitung und den Verkauf von Lebensmit- Hierbei besteht allerdings die Gefahr, dass der damit ein- teln bis zum Verzehr in Haushalten und Gastronomie. hergehende Rückgang der Produktion in der EU zu Preis- Dies schließt Transporte ebenso wie die Zubereitung und steigerungen auf dem Weltmarkt führen könnte. Diese Lagerung von Lebensmitteln mit ein (WIEGMANN et al. Preissteigerungen können die Produktion außerhalb der 2005, S. 1). EU erhöhen, aus der wieder negative Umwelt- und Natur- schutzauswirkungen folgen können, die global gesehen Die Umweltauswirkungen von Konsumentscheidungen einen Teil der positiven Wirkungen, wie die Einsparung lassen sich mithilfe einer Reihe von Indikatoren wie zum von Treibhausgasen (THG) in der EU, wieder zunichte- Beispiel dem ökologischen Fußabdruck oder dem Koh- machen. Eine naturverträgliche Extensivierung der Pro- lenstoff- oder dem Wasser-Fußabdruck bewerten. Dabei duktion – ohne Probleme auf Drittländer abzuwälzen – ist werden unterschiedliche Bezugsgrößen verwendet (z. B. demnach umso leichter möglich, je mehr es gelingt, die Masse oder Kalorie), was gelegentlich den Vergleich der vom Lebensmittelkonsum ausgehende Flächenbeanspru- untersuchten Umweltauswirkungen verschiedener Stu- chung durch eine Veränderung von Ernährungs- und Ver- dien erschwert. Bei diesen Indikatoren handelt es sich al- haltensgewohnheiten zu vermindern. lerdings nicht um umfassende Ökobilanzen, die in der Lage wären, komplexe Systeme umfassend zu beurteilen. Damit ist der Lebensmittelbereich ein Handlungsfeld, in In der Regel sind es aggregierte Maßzahlen, die häufig dem besonders deutlich wird, dass neben Änderungen der nur einen Problembereich herausgreifen und versuchen,

103 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik den Einfluss unterschiedlicher Produktgruppen auf einer der Indikatoren vor. Trotzdem ist zum Beispiel der Unter- sehr allgemeinen Ebene vergleichbar zu machen. Eine schied zwischen den – in verschiedenen Ländern in der Übersicht über die gängigen Indikatoren gibt Tabelle 3-1. Diskussion befindlichen – methodischen Vorschlägen zur Eine kulissenscharfe Einschätzung der direkten und indi- Bestimmung von Carbon Footprints („CO2-Fußabdrü- rekten lokalen Auswirkungen des Konsums, wie sie ins- cke“, s. Tab. 3-1) groß (OSTERBURG et al. 2009, besondere hinsichtlich der Biodiversität notwendig wäre, S. 14–16; MARSH-PATRICK und ALLISON 2010; ist hiermit allerdings nicht möglich. GRIEßHAMMER und HOCHFELD 2009). Eine einheit- liche Methodik sowie einheitliche Datenbanken, auf denen Manche auf die Biodiversität bezogenen Indikatoren lie- ßen sich allerdings verwenden, um den direkten Einfluss zum Beispiel die Berechnung des Product Carbon Foot- der Produktion bestimmter Lebensmittel auf die Arten- print (PCF) basiert, wird erst erarbeitet und fehlte bislang vielfalt in Deutschland oder Europa zu bewerten. So (PCF Pilotprojekt Deutschland 2009). Erst 2011 wurden könnte der High Nature Value Farmland-Indikator der Standards im Rahmen der Greenhouse Gas Protocol Initia- ELER-Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1974/2006 und tive für die Berechnung der Treibhausgase, bezogen auf der Indikator „Landschaftspflegeleistung“ im DLG- den Produktlebenszyklus sowie entlang der Wertschöp- Nachhaltigkeitsstandard (DLG – Deutsche Landwirt- fungskette des Unternehmens, veröffentlicht (BHATIA schafts-Gesellschaft) genutzt werden, um Produkte zu et al. 2011). Die ISO-Norm 14067 zur Bestimmung von kennzeichnen, bei deren Produktion Flächen erhalten PCF steht ebenfalls kurz vor der Verabschiedung (Carbon werden, die besonders wichtig für den Schutz bestimmter footprints of products – Requirements and guidelines for Arten sind (CHRISTEN et al. 2009). quantification and communication). Die bisher veröffent- lichten Berechnungen sind demnach als vorläufig zu be- 162. Insgesamt begegnet die (quantitative) Bewertung trachten. ökologischer Auswirkungen der Lebensmittelproduktion, wie sie beispielsweise anhand der dargestellten Indikato- Auch die Bewertung des durch den Lebensmittelkonsum ren erfolgt, großen methodischen Schwierigkeiten und ist verursachten Flächenverbrauchs ist komplex. Eine erwei- bislang nicht standardisiert. Die allgemeinen Vorgaben der terte ökologische Beurteilung der Wirkungen des Kon- Normen ISO 14040 (Umweltmanagement – Ökobilanz – sums auf die Tragfähigkeit der Erde bietet das Konzept Grundsätze und Rahmenbedingungen) und ISO 14044 des ökologischen Fußabdrucks (von KOERBER et al. (Umweltmanagement – Ökobilanz – Anforderungen und 2009, S. 180; Tab. 3-1). Hier werden neben unmittelbaren Anleitungen) geben einen Rahmen für die Entwicklung Flächenbeanspruchungen der Produktion auch indirekte

Tabelle 3-1

Übersicht über ökologische Indikatoren für Auswirkungen des Lebensmittelkonsums

Indikator Indikans Beschreibung Literatur Global Land Use Ac- Fläche Globale Fläche, die pro Kopf in Deutschland durch Pro- BRINGEZU und counting of Agricultural duktions- und Konsumaktivitäten in Anspruch genom- SCHÜTZ 2009 Cropland (GLUAcropland) men wird. (ha/funktionelle Einheit)

* CO2-Fußabdruck Klima Maß für alle THG-Emissionen, die im Lebenszyklus ei- PCF Pilotprojekt nes bestimmten Produktes anfallen. (g CO2eq/funktio- Deutschland 2009 nelle Einheit) Stickstoff-Fußabdruck Stickstoff Maß für die Eutrophierung von Böden, Gewässern und XUE und LAN- (N) Meeren. (g N/kg) DIS 2010 Wasser-Fußabdruck Wasser Gesamtmenge an Wasser, die während des Herstel- HOEKSTRA (Virtuelles Wasser) lungsprozesses eines Produktes, Lebensmittels oder ei- et. al. 2011 ner Dienstleistung verbraucht oder verschmutzt wird, oder die dabei verdunstet. (m3 Wasser/funktionelle Ein- heit) Ökologischer Fußab- Fläche, Maß für Inanspruchnahme von produktivem Land und EWING et al. druck Klima und Wasser, das für die Produktion der Güter und Leistun- 2010 Wasser gen bzw. für die Entsorgung der Abfälle (inkl. CO2) be- nötigt wird. (gha (globaler Hektar)/funktionelle Einheit)

* wird vereinfachend für „CO2eq-Fußabdruck“ verwendet SRU/UG 2012/Tab. 3-1

104 Umweltauswirkungen des Lebensmittelkonsums

Beanspruchungen einbezogen, zum Beispiel über die zur sprucht, als eine Tonne Weizen, die in Afrika produziert hypothetisch vollständigen Sequestrierung des emittierten wird. Da aber ein „frei werdender“ Hektar in Deutschland CO2 notwendigen Flächen. mehrere Hektar in Afrika ersetzen kann, müsste er im Prin- zip in globaler Betrachtung unter Berücksichtigung von Im Ergebnis gibt es zwar methodische Schwierigkeiten, möglichen Handelsbeziehungen höher gewichtet werden. die Umweltauswirkungen des Lebensmittelkonsums zu GERBENS-LEENES et al. (2002, S. 55) weisen darauf erfassen, und die gegenwärtigen Methoden erlauben bis- hin, dass Studien, die mit einer globalen Durchschnittspro- lang nur eine Annäherung. Allerdings sind diese Umwelt- auswirkungen so bedeutend, dass es auch unzulängliche duktivität je Hektar arbeiten, einen um ein Vielfaches hö- Bewertungsmethoden nicht rechtfertigen können, das heren Flächen-Fußabdruck für die Niederlande ausweisen Handlungsfeld nicht zu adressieren. würden. Diese Ergebnisse können auch auf Deutschland übertragen werden. 163. Der Konsum von Lebensmitteln allgemein bzw. der Fleischkonsum im Speziellen ist ursächlich für eine 165. Weltweit ist die pro Kopf verfügbare landwirt- Vielzahl von negativen Umweltauswirkungen, die vor al- schaftliche Fläche in den letzten vier Jahrzehnten deutlich lem durch die landwirtschaftliche Produktion, aber auch gesunken. Dieser Rückgang ist besonders in Afrika dra- durch die Verarbeitung, den Transport und die Zuberei- matisch und ist dort vor allem auf das starke Bevölke- tung verursacht werden. Grundsätzlich müssten daher alle rungswachstum zurückzuführen (von KOERBER et al. Lebenswegabschnitte im Bedürfnisfeld Ernährung be- 2009, S. 178). In den Entwicklungs- und Schwellenlän- trachtet werden, wenn man die Frage der ökologischen dern ändern sich die Ernährungsgewohnheiten hin zu ei- Auswirkungen des Konsums vollständig beantworten ner „Wohlstandsernährung“ mit erhöhtem Fleischkon- will. Nachfolgend soll bei der Betrachtung der Umwelt- sum, aber auch steigendem Verzehr von Speiseöl, auswirkungen der Fokus allerdings überwiegend auf die Getränken, Käse, Obst, Keksen und Speiseeis. Zur Pro- ersten Stufen des Lebenszyklus‘ bis zur landwirtschaftli- duktion dieser Produkte wird pro Kalorie mehr Fläche be- chen Lebensmittelproduktion, die den Konsum in nötigt als zur Produktion von Getreide. Diese Ernäh- Deutschland deckt, gelegt werden, weil hier die größten rungsumstellung steigert gemeinsam mit dem – auch in Umweltauswirkungen entstehen (MOLL und WATSON Zukunft zu erwartenden – Wachstum der Weltbevölke- 2009, Tab. 6). rung die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Flächen (GERBENS-LEENES et al. 2002). Dagegen werden sich 3.2.1 Flächen- und Ressourcenbeanspruchung die Ackerflächen in Zukunft nur noch sehr bedingt wirt- schaftlich und ökologisch sinnvoll ausdehnen lassen. So 164. Für den Flächen- und Ressourcenverbrauch spielen geht die Food and Agriculture Organization of the United die Lebensmittelproduktion und damit auch der Lebens- Nations (FAO) davon aus, dass die Ackerfläche weltweit mittelkonsum eine wichtige Rolle. Der Flächenverbrauch bis 2030 um 13 % zunimmt (BRUINSMA 2003, S. 15), stellt einen wichtigen Treiber für eine Anzahl von Um- während die Weltbevölkerung im gleichen Zeitraum um weltproblemen wie den Verlust der biologischen Vielfalt 22 % ansteigen wird (von KOERBER et al. 2009, dar. Wenn die 2050 voraussichtlich global verfügbare landwirtschaftliche Fläche auf zukünftig neun Milliarden S. 179). Menschen gleichmäßig aufgeteilt werden soll, ergibt sich 166. Die Fläche, die ein durchschnittlicher Deutscher rechnerisch ein Wert von circa 0,2 ha/Person (BRINGEZU durch seinen Konsum beansprucht, entfällt momentan zu und SCHÜTZ 2009). Der deutsche Biomassekonsum be- circa 61 % auf den Verzehr von tierischen Produkten. Die ansprucht derzeit nach Berechnungen von BRINGEZU auf pflanzlichen Nahrungsmitteln basierende Ernährung und SCHÜTZ (ebd.) 0,25 ha/Person landwirtschaftliche nimmt 32 % in Anspruch. Nachwachsende Rohstoffe für Fläche (Stand 2004) und damit gleichzeitig etwa ein Fünf- die energetische Nutzung belegen derzeit circa 3 % der tel mehr, als im Inland mit circa 0,21 ha/Person zur Verfü- Fläche und für die stoffliche Nutzung circa 4 % (BRIN- gung steht (eigene Berechnungen nach Statistische Ämter GEZU und SCHÜTZ 2009, S. 131 f.). Die hohe Flächen- des Bundes und der Länder 2011, S. 38). Auch WIEG- MANN et al. (2005) gehen von einer Flächenbeanspru- beanspruchung für die Herstellung tierischer Produkte re- chung für die deutsche Ernährung im Jahre 2005 von sultiert vor allem daraus, dass bei der Fütterung 89 bis 0,24 ha/Person landwirtschaftlicher Fläche aus. LUG- 97 % der im Futter enthaltenen Energie und 80 bis 96 % SCHITZ et al. (2011) berechnen aktuell eine Flächenbean- der enthaltenen Proteine verloren gehen (SMIL 2002). spruchung des deutschen Konsums von 1,2 bis 1,3 ha/Per- Daher erfordert die Produktion von Fleisch, Milch und son an land- und forstwirtschaftlicher Fläche für Eiern eine um ein Vielfaches größere Fläche pro Kalorie Ernährung sowie die stoffliche und energetische Verwer- als nicht verarbeitete pflanzliche Produkte, aber auch tung von Biomasse. All diese Berechnungen variieren den deutlich mehr als zum Beispiel Brot. Von den pflanzli- spezifischen Flächenbedarf (ha/t) allerdings je nach Re- chen Produkten benötigt Gemüse am meisten Fläche, ge- gion, in der die Produkte hergestellt werden. Ein Großteil folgt von Ölfrüchten und Obst. Der Getreide- und Kartof- der Lebensmittel für den deutschen Konsum wird auf deut- felanbau benötigt pro Kalorie am wenigsten Fläche (vgl. schen Flächen produziert. Insofern fällt die deutsche Flä- Tab. 3-2). Es lässt sich zunächst festhalten, dass sich so- chenbeanspruchung vor allem deshalb noch relativ niedrig mit im Hinblick auf die Lebensmittelproduktion am meis- aus, weil zum Beispiel eine Tonne Weizen, die in Deutsch- ten Fläche einsparen ließe, wenn man den Konsum tieri- land hergestellt wird, deutlich weniger Fläche bean- scher Produkte reduzieren würde.

105 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik

Tabelle 3-2 Geflügelfleischanteil am Fleischkonsum auf 50 % erhöht, verringert sich die Flächenbeanspruchung sogar um Flächenbedarf von Lebensmitteln 0,05 ha/Person.

Flächenbedarf (m²/MJ) 3.2.2 Direkter Einfluss auf die biologische Rindfleisch 2,09 Vielfalt und den Bodenschutz Schweinefleisch 0,79 169. Die für die Befriedigung der aktuellen Ernährungsge- wohnheiten der Weltbevölkerung eingesetzte landwirt- Kuhmilch 0,72 schaftliche Produktionsweise hat Einfluss auf das Weltklima Eier 0,60 und die biologische Vielfalt, die auch die Grundlagen der landwirtschaftlichen Produktion sind. Weltweit wurden Geflügelfleisch 0,54 seit Beginn der landwirtschaftlichen Aktivität bis heute Gemüse aus Freiland 0,34 70 % des Graslandes, 50 % der Savannen, 45 % der Wäl- der der gemäßigten Zone und 27 % der tropischen Wälder Brot 0,19 in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt (FOLEY Raps und Rübsen 0,18 et al. 2011). Diese Biotopzerstörungen tragen zusammen mit der übermäßigen Ausbeutung der landwirtschaftli- Äpfel 0,16 chen Ökosysteme und der Stickstoff- und sonstigen Nähr- Getreide 0,12 stoffverschmutzung zum Klimawandel und dazu bei, dass die biologische Vielfalt zurück geht (SCBD 2010). Kartoffeln 0,11 Gleichzeitig wird der Wasserhaushalt in vielen Regionen SRU/UG 2012/Tab. 3-2; gestört und die Schadstoffbelastung des Wassers und der Datenquelle: BRINGEZU und SCHÜTZ 2009, Böden erhöht sowie die Bodenerosion und sonstige Bo- S. 139, verändert und korrigiert dendegradation verstärkt. In der industrialisierten Land- wirtschaft wird außerdem sehr energieintensiv gearbeitet. 167. WHITE (2000) untersucht den ökologischen Fuß- Die Landwirtschaft, die in den vergangenen Jahrhunderten abdruck bezogen auf den Nahrungsmittelkonsum für zur Erhaltung und Schaffung neuer Lebensräume für viele 178 Länder. Dabei zeigt sich, dass die fleischbetonten Er- Arten beigetragen hat (DELCOURT und DELCOURT nährungsweisen in Nordamerika und Ozeanien einen na- 1988; WINGENDER et al. 2002), ist durch ihre Intensi- hezu doppelt so hohen Flächen- und Ressourcenver- vierung und Industrialisierung zu einem der Hauptfakto- brauch pro Nahrungskalorie wie diejenigen in Afrika und ren der Gefährdung der Biodiversität in Deutschland und Asien aufweisen. Obwohl die Europäer insgesamt mehr Europa aber auch weltweit geworden. Besondere Gefahr Kalorien zu sich nehmen als die Ozeanier, ist bei letzteren für die Biodiversität ergibt sich aus den nach wie vor über- der ökologische Fußabdruck aus dem Konsum von Le- höhten Nährstoffeinträgen in empfindliche terrestrische, bensmitteln größer, was auf den dort höheren Konsum Süßwasser- und marine Ökosysteme. Eine große Rolle tierischer Produkte zurückgeführt wird. Auch in einer spielt auch der zunehmende Grünlandumbruch mit seinen Fallstudie für die Stadt Cardiff (Wales, Großbritannien) negativen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, die zeigte sich, dass Essen und Trinken 23 % des ökologi- Flora und Fauna und den Boden. Naturschutzgebiete rei- schen Fußabdrucks verursachten, von diesen 23 % waren chen aufgrund ihrer geringen Größe und des mangelnden wiederum Fleisch- und Milchprodukte für rund 61 % und Grades der Vernetzung nicht aus, um diesen Belastungen Getränke für rund 13 % der Umweltbelastung verant- wirklich entgegen zu wirken (BECK et al. 2006; KETTU- wortlich (COLLINS und FAIRCHILD 2007, S. 13 f.). NEN et al. 2007; MA 2005; SRU 2008, Kap. 5; zur nähe- ren Analyse der Problematik vgl. SRU 2009). Auswirkungen eines veränderten Konsumverhaltens auf den Flächenverbrauch Auch die Vielfalt der genutzten Tiere und Pflanzen ist global in den letzten einhundert Jahren um 75 % zurück- 168. Somit kann davon ausgegangen werden, dass der gegangen. So basiert die Welternährung heute im Wesent- im EU-Vergleich überdurchschnittlich hohe deutsche lichen auf zehn Kulturpflanzenarten, ähnliches gilt für die Konsum von Fleischprodukten (FEFAC 2010, S. 67) so- Tierarten (Deutscher Bundestag 2007). Der Indikator wie der Konsum von Milchprodukten einen entscheiden- „Genetische Vielfalt in der Landwirtschaft“ zeigt für den Einfluss auf die Ressourcen- und insbesondere auch Deutschland, dass der prozentuale Anteil gefährdeter ein- Flächenbeanspruchung des deutschen Lebensmittelkon- heimischer Rassen der Pferde, Rinder, Schweine, Schafe sums ausüben. und Ziegen mit etwas mehr als 83 % sehr hoch ist (BMU Eine Einschränkung des Konsums von Fleisch- und 2010). Milchprodukten könnte den Gesamtkonsum wesentlich ressourcen- und flächenschonender gestalten. So zeigen Umwandlung von Wald, Wiesen BRINGEZU und SCHÜTZ (2009, S. 142 f.), dass bei ei- und Weiden in Ackerland ner Reduktion des Konsums tierischer Produkte um 30 % im Jahre 2030 die Flächenbeanspruchung im In- wie Aus- 170. Weltweit wird immer mehr Land in Ackerland um- land für den deutschen Biomassekonsum um 0,04 ha/ gewandelt. Das hat neben dem Klimaeffekt sehr negative Person (16 %) zurückgehen würde. Wird gleichzeitig der Auswirkungen auf die Biodiversität. Auch die Bodenero-

106 Umweltauswirkungen des Lebensmittelkonsums sion und die damit verbundenen Nährstoffeinträge in Ge- auf landwirtschaftlichen Flächen sowie den Grad der Bo- wässer sind bei Ackerland in Hanglagen deutlich höher dendegradation beeinflusst, ist steigender Flächenver- als bei Dauergrünland, welches eine ganzjährige Boden- brauch bzw. die Umwandlung vormals nicht oder exten- bedeckung garantiert. Dies gilt insbesondere beim Anbau siv genutzter Flächen verantwortlich für den direkten von Kulturen wie Mais und Zuckerrüben (Bayerische Verlust von Lebensraum von Arten anderer Habitattypen. Landesanstalt für Landwirtschaft 2010). Für die Zunahme Die Umwandlung von Dauergrünland in Ackerland geht des Ackerlandanteils ist der hohe Flächenbedarf für Fut- in der Regel auch mit einer höheren Bodenerosion einher. termittel ein entscheidender Faktor. In Deutschland be- Eine Reduzierung des Konsums tierischer Produkte kann steht nur noch knapp ein Drittel der landwirtschaftlichen die Flächenansprüche aus der Ernährung deutlich redu- Fläche aus Grünland. In den letzten fünfzig Jahren wur- zieren und damit eine insgesamt extensivere Produktion den allein in den alten Bundesländern mehr als 3 Mio. ha ermöglichen (vgl. Tz. 166 ff.). (etwa 21 % der landwirtschaftlichen Fläche) natürliches (d. h. nicht eingesätes) Grünland umgebrochen und zu Die Weidehaltung von Wiederkäuern kann sich positiv Ackerflächen gemacht. In den neuen Bundesländern lag auf die Biodiversität auswirken. Global gesehen können der Anteil des Grünlandumbruchs noch höher (BRANDT viele heute von Rindern, Schafen und Ziegen genutzte 2004). Der Verlust von Grünland, das heute zumeist we- Flächen anderweitig für die Produktion von Nahrungs- niger rentabel als Ackerland ist, bedroht insbesondere auf mitteln nicht genutzt werden. Zudem ist die extensive Grünland angewiesene Vogelarten wie Wiesenbrüter und Weidehaltung sowie durch Mähen beerntetes Grünland Gänsearten. Die Individuenzahl der auf Feld und Wiesen für die Futtergewinnung in Europa zur Erhaltung von ar- in Europa lebenden Vogelarten nahm in den vergangenen tenreichem Grünland notwendig. Dieses ist von einer 25 Jahren um 44 % ab (EBCC 2007; 2008). Europäische Nutzungsaufgabe oder von Grünlandumbruch bedroht, Schmetterlingspopulationen, die an das Vorkommen von wenn es keine Verwendung erfährt. Hier sind vor allem Grünland gebunden sind, sind seit 1990 um 60 % zurück- viele für den Naturschutz besonders relevante Flächen gegangen. Ein Abflachen dieses Trends ist nicht in Sicht. (High-Nature-Value-Flächen) hervorzuheben, die auf Hauptursachen sind die Intensivierung der Nutzung bzw. eine extensive Nutzung angewiesen sind. Insofern ist ein der Umbruch von Grünland (EEA 2009). maßvoller Konsum von Fleisch- und Milchprodukten, produziert auf extensiv bewirtschaftetem Grünland, zum In bestimmten Lagen hat eine Tierhaltung positive Aus- Schutz der Biodiversität durchaus positiv zu bewerten. wirkungen auf die Erhaltung des Grünlands. Ökosysteme von besonderer Eigenart und Biodiversität ergeben sich 3.2.3 Klimarelevanz des Lebensmittelkonsums am häufigsten aus der extensiven Viehhaltung (von OHEIMB et al. 2004; GERKEN et al. 2008; VÖGTLIN 172. Die menschliche Ernährung trägt in erheblichem et al. 2009). Diese Nutzungstypen umfassen zahlreiche Ausmaß zu den THG-Emissionen Deutschlands bei (van besonders schützenswerte Lebensräume, die sich von DAM et al. 2006, S. 4; QUACK und RÜDENAUER Mähwiesen bis hin zu Waldweiden und Heiden erstre- 2007, S. 32). So werden dem Ernährungssektor – je nach cken, für deren Erhaltung eine fortwährende extensive Studie – 16 bis 22 % der gesamten Emissionen von Treib- Beweidung oder eine späte Mahd erforderlich ist. Gleich- hausgasen Deutschlands zugerechnet (WIEGMANN zeitig werden in vielen dieser Weidesysteme selten ge- et al. 2005, S. 25; GRÜNBERG et al. 2010, S. 55; wordene Haustierrassen eingesetzt und damit erhalten QUACK und RÜDENAUER 2007). Hierbei werden auch (von KORN 2009). Zum Schutz der Biodiversität ist so- für die Bewertung der Klimaauswirkungen dem Ernäh- mit die Erhaltung extensiver Wiesen und Weiden ein rungssektor sowohl die landwirtschaftliche Produktion wichtiger Ansatzpunkt. Wenn es gelänge, durch den Kon- als auch die Weiterverarbeitung, Lagerung, der Transport sum von Fleisch- und Milchprodukten insbesondere die und die Zubereitung von Lebensmitteln zugerechnet. Zur extensive Weidetierhaltung und eine Futtermittelproduk- Produktion zählt auch der Teil des Energie- und Chemie- tion auf Grünflächen zu stabilisieren, wäre dies für die sektors, welcher landwirtschaftliche Vorleistungen wie Erhaltung der biologischen Vielfalt positiv. Der heutige Düngemittel herstellt (GRÜNBERG et al. 2010, S. 54). Konsum tierischer Produkte geht über den dafür notwen- digen Umfang jedoch weit hinaus. Im Ergebnis trägt ein Vergleich der verschiedenen Lebensmittel undifferenzierter und vor allem zu hoher Fleischkonsum, dessen Produktion zu einem erheblichen Teil auf Futter- 173. Dass der Konsum tierischer Lebensmittel zu ver- mittel angewiesen ist, die auf Ackerflächen erzeugt wer- hältnismäßig hohen THG-Emissionen beiträgt, zeigt sich den und damit den Nutzungsdruck erhöhen, dazu bei, die bereits, wenn man betrachtet, welchen Anteil die THG- biologische Vielfalt zu reduzieren. Emissionen aus der Tierhaltung an den Gesamtemissio- nen der Landwirtschaft ausmachen: So werden 71 % der landwirtschaftlichen THG-Emissionen Deutschlands Direkte Auswirkungen eines veränderten Konsum- durch die Tierhaltung verursacht (HIRSCHFELD et al. verhaltens auf die Biodiversität und den Boden 2008, S. 13). Von den einzelnen Komponenten einer Le- 171. Für die Auswirkungen auf die Biodiversität und benszyklusanalyse von tierischen Produkten in Europa den Boden sind neben der Produktionsweise auch die Flä- entfällt der größte Anteil der berechneten gesamten THG- chenbeanspruchung und die Unterscheidung zwischen Emissionen, nämlich 49 %, auf den landwirtschaft- Grünlandnutzung und Ackerbau von Bedeutung. Wäh- lichen Sektor, 21 % entfallen auf den Energiesektor und rend die Produktionsweise unmittelbar die Biodiversität nur 2 % auf den industriellen Sektor. 15 % werden durch

107 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik

die Landnutzung selbst (CO2-Emissionen durch Kultivie- von Gemüse, Obst und Teigwaren relativ emissionsarm rung auf organischen Böden, reduzierte Kohlenstoffbin- ist, während Milchprodukte mit hohem Fettgehalt und dung der Böden im Vergleich mit derjenigen natürlichen Fleisch höhere THG-Emissionen pro Kilogramm aufwei- Grünlands) und 14 % durch Landnutzungsänderungen, sen. Auch bei der Erzeugung von – zurzeit vorwiegend vor allem in den nicht-europäischen Ländern, erzeugt im Nassanbau produziertem – Reis entstehen hohe Emis- (LEIP et al. 2010). Emissionen aus Landnutzungsände- sionen pro Kilogramm (vgl. Tab. 3-3). Selbst unter Be- rungen finden jedoch in der Regel bei der Berechnung der achtung der unterschiedlichen Kaloriengehalte zeigt sich, THG-Emissionen, welche bei der Produktion einzelner dass tierische Produkte deutlich höhere Emissionen pro Produkte anfallen (vgl. Tab. 3-3), keine Beachtung. Kalorie aufweisen als pflanzliche (eigene Berechnungen auf Basis der Werte in Tab. 3.3). FLACHOWSKY und Die Klimawirksamkeit von zum Beispiel Gemüse hängt HACHENBERG (2009, S. 196) zeigen weiterhin, dass stark davon ab, ob es im Freiland oder in beheizten Treib- die THG-Emissionen von Milch und Rindfleisch pro häusern angebaut wird. So liegen die THG-Emissionen Gramm essbares Protein in der Regel deutlich oberhalb durch den hohen Energieaufwand zur Wärmeerzeugung der THG-Emissionen von Schweine- und Geflügelfleisch beim Anbau im Treibhaus fünf- bis dreißigmal höher als sowie von Eiern liegen. Festzuhalten ist daher, dass ten- beim Gemüseanbau im Freiland (FREYER und denziell der Konsum von Rindfleisch und Milchproduk- DORNINGER 2008, S. 32), welcher jedoch ausschließ- ten, gefolgt von Schweine- und Geflügelfleisch sowie Ei- lich saisonale Gemüse hervorbringen kann. Gleichzeitig ern, besonders hohe THG-Emissionen pro Gramm muss beim sofortigen Konsum saisonaler Produkte keine Eiweiß und Kalorie verursacht. Energie für die Lagerung aufgewandt werden. Transport 174. Die Angaben zu den Emissionen pro Produkt schwanken einer Metastudie zufolge je nach Untersu- 175. Transportemissionen, die während der Erzeugung chung deutlich (GRÜNBERG et al. 2010). Dennoch ist bis zur Stufe des Lebensmitteleinzelhandels entstehen, klar ersichtlich, dass die Produktion und Verarbeitung entsprechen in Deutschland 3 bis 8 % der ernährungsbe-

Tabelle 3-3

THG-Emissionen ausgewählter Lebensmittel

THG in kg Produkt Einbezogener Pfad CO2eq/kg Produkt Gemüse, frisch 0,1 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport Kartoffeln, frisch 0,2 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport Tomaten, frisch 0,3 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport Obst, frisch 0,4 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport Weizen 0,4 – 0,5 Produktion Margarine 0,7 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport Mischbrot 0,7 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport Kuhmilch 0,8 – 2,4 Produktion Joghurt 1,2 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport Zucker 1,5 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport Geflügelfleisch 1,6 – 4,6 Produktion Eier, Freiland 2,7 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport Reis 2,9 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport Schweinefleisch 3,1 – 3,3 Produktion, Verarbeitung, Kühlung Rindfleisch, Schlachtgewicht ab Hof 6 – 14,7 Produktion, Verarbeitung, Kühlung Rindfleisch (nur essbare Teile) 7 – 28 Produktion Käse 8,5 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport Butter 23,7 Produktion, Verarbeitung, Kühlung, Transport SRU/UG 2012/Tab. 3-3; Datenquellen: GRÜNBERG et al. 2010; Öko-Institut 2010; BLENGINI und BUSTO 2009.

108 Umweltauswirkungen des Lebensmittelkonsums dingten THG-Emissionen (WIEGMANN et al. 2005, Kartoffeln, Fleisch und Fleischwaren, Erfrischungsge- S. 35; TAYLOR 2000, S. 139 ff.; GRÜNBERG et al. tränken, Kaffee und Tee – umgestellt auf eine Ernährung 2010, S. 66). Sie machen damit im Vergleich zur Produk- mit hohem Anteil an Gemüse, Obst, Vollkornprodukten, tion und Verarbeitung nur einen relativ geringen Anteil Kartoffeln, Hülsenfrüchten, Milch/-produkten, Nüssen aus, können jedoch je nach Produkt in ihrer Bedeutung und Samen, können nach ihren Schätzungen 37,2 % der variieren. So betragen sie nach WIEGMANN et al. (2005, Emissionen eingespart werden, bei gleichzeitig vollstän- S. 35) beispielsweise für Frischmilch nur gut 2 %, wäh- digem Verzicht auf Fleisch und Fisch sogar 51,6 %. rend sie bei frischem Gemüse bei rund 15 % liegen. Be- sonders hohe Emissionen werden durch Überseetrans- Wie sehr es dabei auf die Gesamtzusammensetzung der porte von Lebensmitteln verursacht, wenn diese Ernährung ankommt, verdeutlichen HÜNECKE et al. eingeflogen werden. Wird zum Beispiel tiefgekühltes (2010), die in einer Projektion für die EU-27 für das Jahr Fleisch aus Neuseeland per Flugzeug nach Europa trans- 2030 schätzen, dass es bei einem Ersatz von 27 % des portiert, beträgt der Energieaufwand für den Transport – Proteingehalts der Fleischprodukte allein durch Milch- mit den dazugehörigen Emissionen – das 48fache des produkte zu einer Erhöhung der Treibhausgase um bis zu Energieaufwands der Herstellung (JUNGBLUTH 2000, 40 % kommen kann, während bei einem Ersatz dieser S. 27). Pro Kilogramm Lebensmittel können bei einem Proteine durch Getreide etwa 5 % CO2eq eingespart wer- Transport per Luftfracht bis zu 170-mal mehr Emissionen den, durch Gemüseprodukte sogar knapp 8 %. als beim Seeschifftransport entstehen. Zurzeit ist die Be- FLACHOWSKY und HACHENBERG (2009, S. 196) deutung der Flugimporte mit 0,5 % am Verkehrsaufkom- machen deutlich, dass es ebenfalls darauf ankommt, wel- men für Überseeimporte noch gering (HOFFMANN und che Art Fleisch ersetzt wird. Zum Beispiel erzeugt die LAUBER 2001, S. 191). Allerdings wird ein weiterer An- Produktion von Geflügelfleisch, auf das Kilogramm ess- stieg erwartet, womit auch die Bedeutung der transport- bares Protein umgerechnet, deutlich weniger Emissionen bedingten THG-Emissionen zunehmen wird (FOSTER als die Produktion von Kuhvollmilch. Auch bei einer et al. 2006, S. 15). Auch wenn nur 3,5 % der in Deutsch- Substitution von Schweinefleisch durch Reis und Gemüse land konsumierten Nahrungs- und Futtermittel aus Über- aus dem Gewächshaus, kann sich die Klimabilanz der Er- see stammen, haben diese mit 27 bis 39 % einen großen nährung verschlechtern, wie CARLSSON-KANYAMA Anteil an den Emissionen, welche durch Transporte von (1998, S. 288) bei einem Vergleich verschiedener Mahl- Nahrungs- und Futtermitteln verursacht werden zeiten mit demselben Energie- und Eiweißgehalt zeigt. (HOFFMANN und LAUBER 2001, S. 192). Der Großteil der Nahrungsmittel wird auf der Straße 3.2.4 Eutrophierung und Einsatz transportiert. Transporte von Nahrungs- und Futtermitteln von Pflanzenschutzmitteln machen mehr als ein Fünftel der gesamten inländischen Straßengüterverkehrsleistung aus (Statistisches Bundes- 177. Stickstoffbelastungen sind der größte Treiber für amt 2011; s. Kap. 4, Abb. 4-2). die Verminderung der Biodiversität, sowohl terrestrisch (McCLEAN et al. 2011; SUTTON et al. 2011) als auch in Süß- und Meerwasser-Ökosystemen. Lebenszyklusanaly- Klimawirkungen von Konsumstiländerungen sen, die Nährstoffeinträge (Eutrophierung) in die Wasser- 176. Einen Ansatzpunkt zur Reduzierung der Treib- körper durch Stickstoff und Phosphate ermitteln, kalku- hausgase aus dem Lebensmittelkonsum stellt eine Redu- lierten in den USA „Stickstoff-Äquivalente“ für Getreide, zierung des Konsums tierischer Produkte dar. Hierfür Fisch, Geflügel, Milchprodukte, Früchte und Gemüse, liegt eine Reihe von Studien vor, die die mögliche Redu- Süßstoffe und Gewürze, Öl und rotes Fleisch (XUE und zierung berechnet haben, allerdings von unterschiedli- LANDIS 2010). In allen Produktgruppen resultierten chen Annahmen ausgehen und verschiedene Systemgren- 70 % des Stickstoff-Fußabdrucks (s. Tab. 3-1) aus dem zen zugrunde legen. So berechnen WIEGMANN et al. direkten Anbau. Die Fertigung selbst spielte vor allem bei (2005) bei einer Halbierung des deutschen Fleischkon- Milchprodukten und bei Gemüse und Fisch eine Rolle. sums gegenüber heute bis zum Jahr 2030 eine Minderung Der Beitrag durch Verpackung und Transport war dage- der THG-Emissionen aus der Ernährung von 7 %. Radi- gen minimal. Rotes Fleisch wies das höchste Eutrophie- kalere Einschränkungen beim Konsum von Fleischpro- rungspotenzial auf, gefolgt von Milchprodukten, Hähn- dukten schlagen POPP et al. (2010) vor: Eine weltweite chenfleisch bzw. Eiern und Fisch. Mit 150 g Emissionen Reduzierung um 25 % pro Dekade von 2005 bis 2055, pro kg war allerdings das Stickstoff-Äquivalent von ro- also eine Reduktion des Fleischkonsums um 76 %, tem Fleisch doppelt so hoch wie das von Milchprodukten. könnte den globalen landwirtschaftlich bedingten Aus- Getreide produzierte nur 2 g Emissionen pro kg (XUE stoß von Lachgas und Methan um mehr als 51 % reduzie- und LANDIS 2010). Die Zahlen spiegeln wider, dass ge- ren. nerell für die Produktion einer Kalorie bzw. eines Kilos tierischen Lebensmittels wesentlich mehr Nährstoffe wie HOFFMANN (2005, S. 88) zeigt, dass der Wechsel der Stickstoff oder Phosphor eingesetzt werden müssen als Ernährungsweise von Mischkost mit vielen emissionsin- für die Erzeugung pflanzlicher Produkte. Aufgrund des tensiven Produkten hin zu einer klimabewussteren Ernäh- höheren Aufkommens an Nährstoffen kann es in tierhal- rung, die in diesem Bedürfnisfeld verursachten Emissio- tenden Betrieben – besonders wenn diese losgelöst vom nen um bis zu 52 % verringern kann. Wird von einer Ackerbau betrieben werden – zu einer Akkumulation von Mischkost – mit hohem Anteil an Brot und Backwaren, Nährstoffen kommen, welche die Gefahr von Nährstoff-

109 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik austrägen in die Umwelt und vor allem in die Gewässer verhalten der einzelnen Landwirte hat der Konsument je- erhöht (JARVIS et al. 2011, S. 226). Somit kann es bei doch kaum Einfluss. der Produktion tierischer Produkte zu einer höheren Frei- setzung von zum Beispiel Stickstoffverbindungen kom- XUE und LANDIS (2010) untersuchen die Möglichkeiten men (UBA 2010, S. 35). Dementsprechend stellen FOS- zur Reduktion des Stickstoff-Fußabdrucks des Konsums TER et al. (2006, S. 13) für Großbritannien fest, dass dort bei gleichbleibender Kalorienaufnahme und kommen zu für die Eutrophierung, die aus der Lebensmittelherstel- dem Ergebnis, dass der Pro-Kopf-Fußabdruck am stärks- lung resultiert, hauptsächlich die Tierhaltung verantwort- ten durch eine Reduktion von Milchprodukten zugunsten lich ist. Eine Verringerung des Konsums tierischer Pro- von Getreide, aber auch schon durch einen Ersatz durch dukte kann daher die Eutrophierung von Gewässern Fisch, Hähnchenfleisch oder Gemüse erreicht werden reduzieren. kann. Auch durch den Ersatz von rotem Fleisch zugunsten der genannten Alternativen kann der Stickstoff-Fußab- Wie dringend eine solche Reduzierung nötig wäre, zeigen druck deutlich verringert werden, wenn auch der Effekt bei die folgenden Zahlen: Im Zeitraum 2003 bis 2005 war die einem Verzicht auf Milchprodukte höher ist. Auch die Landwirtschaft für 70 % aller Stickstoff- und über 50 % Wahl von ökologisch statt konventionell hergestellten Pro- aller Phosphoreinträge in deutsche Oberflächengewässer dukten kann den Stickstoff-Fußabdruck aber auch den verantwortlich (BARTEL et al. 2010, S. 100 f.). Neben Pflanzenschutzmitteleinsatz reduzieren, da die Produktion dem direkten Stickstoffeintrag über die Böden in die Ge- in der Regel mit weniger diffusen Nährstoffausträgen ein- wässer emittiert die Landwirtschaft auch circa 10 % aller hergeht und auf den Einsatz von chemisch synthetischen Stickstoffoxide Deutschlands (UBA 2011b) und trägt da- Pflanzenschutzmitteln verzichtet (vgl. Tz. 184). mit auch über Immissionen zur Eutrophierung bei. Neben den Stickstoffoxiden wird zudem das THG Lachgas 3.2.5 Bildung von Resistenzen (N O) emittiert. 2 durch Antibiotikaeinsatz 178. Pestizide gefährden viele Tier- und Pflanzengrup- pen und damit auch die positiven Funktionen, die sie für 180. Der Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht ist die Produktion haben (z. B. die Bestäubung oder die na- 2012 erneut stark in die öffentliche Diskussion geraten, türliche Schädlingsbekämpfung) (HAFFMANS 2010; nachdem Erhebungen in Niedersachsen und Nordrhein- GEIGER et al. 2010). Daher ist es notwendig, dass der Westfalen (NRW) einen hohen Einsatz von Antibiotika in Einsatz von Pestiziden auf das erforderliche Mindestmaß der Nutztierhaltung aufgezeigt hatten (LANUV NRW reduziert wird, was eine strenge Regulierung erfordert. 2012; s. dazu bereits SRU 2007). Vor allem der nicht Die Regulierung von Pestiziden ist jedoch in den meisten fachgerechte Einsatz von Antibiotika in der Human- und Entwicklungs- und Schwellenländern, aus denen beispiels- Veterinärmedizin kann zum Auftreten resistenter Bakteri- weise in großem Ausmaß Futtermittel importiert werden, enstämme führen. Das Problem multiresistenter Bakte- generell unzureichend (Swedish Chemicals Agency und rien ist in der Humanmedizin nach wie vor von großer Swedish Environmental Protection Agency 2011). Dringlichkeit, denn in der EU werden multiresistente Bakterien für den vorzeitigen Tod von jährlich etwa Nur 35 % der eiweißreichen Futtermittel, die in Europa 25.000 Menschen verantwortlich gemacht (WHO 2011). verwendet werden, stammen aus Europa selbst. Importe Generell sollte daher der Einsatz von Antibiotika sowohl – vor allem von Soja – stammen überwiegend aus gen- in der Human- als auch in der Veterinärmedizin auf das technisch verändertem Saatgut. Der Anbau von gentech- unbedingt notwendige Maß begrenzt werden, um einer nisch verändertem Soja ist mit einem höheren Einsatz von weiteren Zunahme des Auftretens von Antibiotikaresis- Glyphosat verbunden, ein Herbizid, welches aufgrund des tenzen entgegenzuwirken. Verdachts entwicklungstoxisch zu sein, erst kürzlich in die Kritik geraten ist (BVL 2010; ANTONIOU et al. Der Einsatz von Antibiotika ist zwar auch in der Tierme- 2010; MERTENS 2011). Der Konsum von Fleisch, wel- dizin zur Behandlung erkrankter Tiere sowie Gesunderhal- ches mit solchermaßen produzierten Sojaimporten er- tung von Tierbeständen unverzichtbar, er ist aber ebenso zeugt wurde, unterstützt somit indirekt die betreffenden wie in der Humanmedizin restriktiv zu handhaben. Für Anbauformen. Nutz- und Heimtiere wurden Leitlinien zum sorgfältigen Umgang mit antibakteriell wirksamen Tierarzneimitteln formuliert (BTK und AGTAM 2010). Dessen ungeachtet Auswirkungen eines veränderten Konsumverhaltens ist die aktuelle Entwicklung und Verbreitung von Antibio- auf die Stickstoffproblematik und den tikaresistenzen in Verbindung mit dem nicht fachgerech- Pflanzenschutzmitteleinsatz ten Antibiotikaeinsatz trotz einiger Fortschritte hoch pro- 179. Grundsätzlich ermöglicht eine an den Nährstoffbe- blematisch (BVL et al. 2011; BMG 2011). Eine Studie darf der Pflanzen angepasste Düngung, die Stickstoff- zum Antibiotikaeinsatz in der Hähnchenhaltung in NRW und Phosphatausträge in die Umwelt auf das Nötigste zu kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass nur bei 16 % reduzieren. Eine deutliche Reduzierung der momentan der Mastdurchgänge keine Behandlung erfolgt sei. Auf- sehr hohen Nährstoffüberschüsse von – in Bezug auf grund der unterschiedlichen Betriebsgrößen seien sogar Stickstoff – 103 kg N/ha (Stand: 2008, UBA 2011a) nur 8,4 % der Schlachttiere unbehandelt. Dabei käme eine würde somit weiterhin eine ausreichende Nährstoffver- Vielzahl von Wirkstoffen teilweise gleichzeitig zum Ein- sorgung der Pflanzen gewährleisten und gleichzeitig die satz (bis zu acht Wirkstoffe pro Mastdurchgang). Bei 40 % Gewässerbelastung erheblich verringern. Auf das Dünge- der Behandlungen läge die jeweilige Behandlungsdauer

110 Umweltauswirkungen des Lebensmittelkonsums eines Wirkstoffes mit ein bis zwei Tagen deutlich unter den (LANUV NRW 2012, S. 12; zur Kritik am Tierschutzge- Zulassungsbedingungen der verabreichten Wirkstoffe setz vgl. APEL 2012). Für eine Reduzierung des Antibioti- (LANUV NRW 2012). Eine Erhebung in Niedersachsen kaeinsatzes spielt somit das Bestandsmanagement zur Ver- zeigte, dass in der Hähnchenmast bei 72 % aller Mast- meidung von Infektionskrankheiten eine besondere Rolle, durchgänge bzw. bei 76 % der Tiere Antibiotika eingesetzt wozu eine Optimierung der Haltungsbedingungen gehört, wurden, während in der Putenmast bei 71 % der Durch- insbesondere hinsichtlich des Stallklimas, der Besatz- gänge sowie 84 % der Tiere und in der Schweinemast bei dichte, der Fütterung, der Hygienebedingungen und einer 59 % aller Mastdurchgänge und 68 % aller Tiere Behand- sinnvollen Impfstrategie (Niedersächsisches Ministerium lungen stattfanden. Auch bei den wenigen untersuchten für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Betrieben, die Mastkälber und Fresser (junge Rinder von Landesentwicklung und Niedersächsisches Landesamt für vier bis zwölf Monaten) halten, kamen bei dem Großteil Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 2011, der Durchgänge Antibiotika zum Einsatz. Diese Zahlen S. 5). Tierwohlgerechte Haltungsbedingungen, insbeson- müssen jedoch auch vor dem Hintergrund unterschiedlich dere im Ökolandbau, kommen im Allgemeinen mit einem langer Mastdauer der Tiere betrachtet werden (Mastdurch- niedrigeren Antibiotikaeinsatz aus (Deutscher Bundestag gang bei Masthühnern – auch in der Langmast – maximal 2011). Im ökologischen Landbau werden nicht nur gene- 60 Tage; Mastdauer bei Schweinen circa 18 Wochen (Nie- rell höhere Anforderungen an die Haltungsbedingungen dersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirt- gestellt, beispielsweise hinsichtlich des Platzanspruches schaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung und der Tiere, sondern es gelten auch strengere Richtlinien hin- Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und sichtlich des Antibiotikaeinsatzes (Naturland – Verband Lebensmittelsicherheit 2011)). für ökologischen Landbau 2011, S. 23). Zudem unterlie- gen Betriebe des ökologischen Anbaus strengeren und Probleme, die aus der verbreiteten Anwendung von Anti- häufigeren Kontrollen (BLE 2003, S. 18 ff.). Auch inner- biotika herrühren können, wurden bereits in den Ergeb- halb der konventionellen Haltung versprechen verbesserte nissen des nationalen Resistenzmonitorings erkennbar Haltungsbedingungen einen niedrigeren Einsatz von Anti- (BfR 2010). Resistenzen gegen Klassen von Antibiotika, biotika. Seit einiger Zeit wird versucht, Haltungssysteme, die in der Human- und Tiermedizin bereits seit langem die hinsichtlich des Tierschutzes über die gesetzlichen eingesetzt werden, wurden dabei häufig in Isolaten von Vorgaben hinausgehen, über Tierwohl-Labels für den Lebensmitteln, Futtermitteln und gesunden Tieren nach- Kunden kenntlich zu machen. Die Europäische Kommis- gewiesen. Im Durchschnitt über alle Proben waren in die- sion hat bereits 2009 einen Bericht zur Ausgestaltung einer ser Studie bei den Salmonellen 31 % resistent gegen ei- möglichen europäischen Tierschutzkennzeichnung erstellt nen Wirkstoff, 27 % waren mehrfach resistent. Bei den (Europäische Kommission 2009). Isolaten von Nutztieren und Lebensmitteln lagen die Re- sistenzraten noch deutlich höher; so waren beispielsweise Der Verbraucher hat insofern einen Einfluss auf die Re- bei den aus Schweinefleisch isolierten Salmonellen sistenzproblematik, als dass er sich entweder ganz gegen 27,8 % einfach resistent und 55,7 % mehrfach resistent den Konsum von Fleisch entscheiden kann oder eher für (ebd.). Rind- und Schweine- statt für Geflügelfleisch, bei dessen Produktion die Probleme besonders evident erscheinen. Resistente Bakterien können auf den Menschen über den Auch könnte der Griff zu Bioprodukten oder zu Produk- Kontakt mit den Lebensmitteln, den Konsum von Roh- ten, die mit Tierwohl-Labels gekennzeichnet sind, insge- ware und durch die Betreuung von kontaminierten Tieren samt einen geringeren Einsatz von Antibiotika in der übertragen werden. Somit ist es möglich, dass resistente Nutztierhaltung anreizen. Bakterien von den Tieren auf die Lebensmittel übergehen und dann über die Lebensmittelkette bis zum Menschen gelangen (BfR 2010). Darüber hinaus werden die resis- 3.2.6 Wasserverbrauch tenten Keime von den Tieren ausgeschieden. Es gibt Hin- weise darauf, dass sich dadurch der Pool an Resistenzge- 182. Die Lebensmittelproduktion und damit auch der nen in der Umwelt erweitert und die Verbreitung von Lebensmittelkonsum hat auch Einfluss auf den lokalen Resistenzgenen unterstützt wird (BMG 2011). Einige der Wasserhaushalt. Die Erhaltung vieler Biotope ist grund- betroffenen resistenten Bakterienspezies von Isolaten aus und oberflächenwasserabhängig und kann durch den Was- Tieren sind auch für den Menschen pathogen und einige serbedarf der Agrarproduktion unter Umständen beein- der antibakteriellen Wirkstoffe, gegen die Resistenzen trächtigt werden. Deutschland hat nach Lebenszyklusbe- auftreten, haben für die Humanmedizin große Bedeutung. rechnungen von SONNENBERG et al. (2009) einen So werden beispielsweise Cephalosporine der dritten Ge- gesamten Wasser-Fußabdruck von 159,5 Mrd. m3 jährlich, neration und Fluorochinolone als „Reserveantibiotika“ von dem der Agrarsektor mit rund 73 % (117,6 Mrd. m3) eingesetzt, wenn gängige Antibiotika nicht mehr wirken. den größten Anteil trägt. Rund die Hälfte dieses Wasser- bedarfs wird importiert, vor allem in Form von landwirt- 181. Die Tatsache, dass ein so großer Anteil an Masthüh- schaftlichen Produkten (aus Brasilien (5,7 Mrd. m3), der nern in NRW und Niedersachsen mit Antibiotika behan- Elfenbeinküste (4,2 Mrd. m3), Frankreich (3,5 Mrd. m3), delt wird, legt den Schluss nahe, dass das Haltungssystem Türkei (1,9 Mrd. m3), Spanien (1,8 Mrd. m3)). Insbeson- nicht den Vorgaben des Tierschutzgesetzes entspricht, da dere die Kaffee- und Kakaoproduktion ist sehr wasserin- die angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensge- tensiv, aber auch die von Rind- und Schweinefleisch oder rechte Unterbringung infrage gestellt werden muss Ölsaaten wie Olive und Ölpalme.

111 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik

3.2.7 Zur Bedeutung des ökologischen henden Verzicht auf den Einsatz von chemisch-syntheti- Landbaus schen Pflanzenschutzmitteln gekennzeichnet ist, ist er auch in dieser Hinsicht der konventionellen Produktion Bedeutung für das Klima überlegen. Allerdings stellen im ökologischen Landbau 183. Inwieweit der ökologische Landbau zu besseren insbesondere die Kupfereinträge in die Böden ein Pro- Klimabilanzen beiträgt, ist in der Wissenschaft umstrit- blem dar (UBA 2009). ten. Einige Studien ermitteln, dass in der ökologischen Auch der ökologische Landbau ist nicht automatisch „na- Pflanzenproduktion trotz der geringeren Erträge weniger turschutzkonform“ (van ELSEN 2005), jedoch sind ge- THG-Emissionen je Kilogramm Produkt emittiert werden genüber dem konventionellen Anbau die diffusen Schad- als im konventionellen Anbau. Emissionsmindernd wirkt und Nährstoffeinträge insgesamt geringer. Zudem fällt vor allem der Verzicht auf Mineraldünger, welcher sehr die Artenanzahl auf Höfen, die ökologischen Landbau be- energie- und damit emissionsintensiv hergestellt wird. treiben, auf die gesamte Betriebsfläche bezogen, in der LYNCH et al. (2011) kommen dagegen in einem aktuel- Regel höher aus (BENGTSSON et al. 2005; HÖTKER len Literaturreview von über 130 Studien, in denen die et al. 2004). Neben dem ökologischen Landbau erfolgt ökologische mit der konventionellen landwirtschaftlichen insbesondere auch im Rahmen von Agrarumweltmaßnah- Produktion verglichen wird, hinsichtlich der Vorteilhaf- men, welche zurzeit über die 2. Säule der Gemeinsamen tigkeit ökologischer Produkte zu keiner eindeutigen Aus- Agrarpolitik (GAP) gefördert werden, eine ökologisch sage. Während in einer Vielzahl der untersuchten Studien vorteilhaftere Bewirtschaftung von Flächen (SRU 2009). deutliche Vorteile ermittelt werden, zeigen andere Studien keinen eindeutigen Unterschied auf oder bescheinigen 3.2.8 Zur Bedeutung von Lebens- wiederum der konventionellen Landwirtschaft eine kli- mittelverlusten mafreundlichere Produktion (ebd., S. 348). Foodwatch (2008) weist nach einer Auswertung der vom Institut für 185. Lebensmittelverluste bezeichnen die Abnahme der ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) durchgeführten Menge essbarer Lebensmittel innerhalb der logistischen Studie „Klimawirkungen der Landwirtschaft in Deutsch- Kette, die zu essbarer Nahrung für den Menschen führt land“ darauf hin, dass die Wahl zwischen Rindfleisch und (Definition nach GUSTAVSSON et al. 2011). Weltweit Nicht-Rindfleisch, zwischen Fleisch und Getreideproduk- geht wahrscheinlich ein Drittel der essbaren Lebensmittel ten einen deutlich größeren Einfluss auf die Klimawirk- verloren (1,3 Mrd. t/a) (ebd.). Die Ursachen dafür sind samkeit hat als die Entscheidung zwischen konventionell sehr unterschiedlich. In den Entwicklungsländern liegen und ökologisch hergestellten Produkten, auch wenn nach sie insbesondere in mangelhaften Kühltechniken, wäh- den Ergebnissen der IÖW-Studie bei gleicher Wahl hin- rend in den entwickelten Ländern vor allem die Verbrau- sichtlich der Lebensmittelproduktgruppen die Klimawir- cher selbst verschwenderisch mit Lebensmitteln umgehen kung von Bioprodukten immer leicht geringer ist. (PARFITT et al. 2010). Für die EU-27 listet die Europäi- sche Kommission unterschiedliche Gründe für die Berei- Bei einer Steigerung des Anteils ökologisch hergestellter che Haushalt, Lebensmitteldienstleistungen, Verkauf und Produkte an der Ernährung auf 30 % im Jahr 2030 wür- Veredelung auf (Europäische Kommission – Generaldi- den somit ohne weitere Änderungen im Konsumverhalten rektion Umwelt 2010; Tab. 3-4). wahrscheinlich nur unbedeutende Mengen an Treibhaus- gasen eingespart (WIEGMANN et al. 2005, Kap. 4.2.3). 186. Die Europäische Kommission hat errechnet, dass pro Jahr in der EU-27 in der gesamten Lebensmittelkette Bedeutung für die Biodiversität bis zum Verbraucher 89 Megatonnen (Mt) Lebensmittel verschwendet werden (ohne den Verlust in der landwirt- 184. Dagegen würde die mit dem Ökolandbau verbun- schaftlichen Produktion gerechnet). Umgerechnet würde dene extensivere Wirtschaftsweise die biologische Viel- dies bedeuten, dass 179 kg Lebensmittel pro Kopf und falt unmittelbar deutlich weniger gefährden. Dies würde Jahr verschwendet werden (Europäische Kommission – jedoch bei unverändertem Konsumverhalten auch 8 % Generaldirektion Umwelt 2010; vgl. Abb. 3-1). mehr landwirtschaftlich genutzte Fläche für die Ernäh- rung der deutschen Bevölkerung erfordern, selbst wenn 187. Deutschland liegt deutlich unter dem EU-Durch- man weitere Ertragssteigerungen bis 2030 einrechnet schnitt (Abb. 3-1). Den größten Anteil an der EU-weiten (WIEGMANN et al. 2005, Kap. 4.2.3). Durch den größe- Verschwendung in der Lebensmittelkette haben die Haus- ren Flächenbedarf würde sich demnach der Druck auf bis- halte (42 %; 76 kg pro Person und Jahr, 25 % des Ge- her nicht oder als Grünland genutzte Flächen erhöhen. wichtes der gekauften Lebensmittel bzw. ca. 565 Euro pro Haushalt und Jahr). Es folgen das verarbeitende Ge- Da bei der ökologischen Herstellung von Lebensmitteln werbe mit 39 % und der Lebensmitteldienstleistungs- neben organischem Dünger kein Mineraldünger einge- bereich mit 14 %. An letzter Stelle liegt der Verkaufs- setzt wird, ist diese in vielen Fällen mit einem geringeren sektor mit 5 %. Speziell für Deutschland kommt eine Nährstoffeintrag in die Umwelt verbunden als die Erzeu- Untersuchung der Universität Stuttgart zu dem Er- gung konventioneller Lebensmittel (JARVIS et al. 2011, gebnis, dass jährlich knapp 11 Mio. t Lebensmittel als S. 226; UBA 2010, S. 35). Somit trägt die Wahl ökolo- Abfall entsorgt werden. Die Studie zeigt mit 61 % gisch hergestellter Lebensmittel in der Regel dazu bei, (81,6 kg pro Person und Jahr) eine noch größere Beteili- dass weniger Nährstoffe in die Umwelt eingetragen wer- gung der Privathaushalte an den Abfällen, gefolgt von den. Da der ökologische Landbau durch den weitestge- Großverbrauchern – wie Gaststätten oder Kantinen – so-

112 Umweltauswirkungen des Lebensmittelkonsums

Tabelle 3-4

Gründe für Lebensmittelverluste nach Sektoren

Verarbeitendes Gewerbe – unvermeidbare Lebensmittelabfälle (Knochen, Kadaver, bestimmte Organe) – technische Fehler wie Überproduktion, missratene Produkte, Produkt- und Verpackungsschäden Haushaltsbereich – mangelndes Bewusstsein (1) für die selbst produzierte Menge an Lebensmittelabfällen, (2) für Umweltprobleme durch Lebensmittelabfälle und (3) für finanzielle Vorteile, gekaufte Lebensmittel effizienter zu nutzen – mangelnde Kenntnisse über effiziente Lebensmittelnutzung, z. B. Kochen mit vorhandenen Zutaten/Speiseresten – geringe Wertschätzung von Lebensmitteln, dadurch: verschwenderischer Umgang – persönlicher Geschmack: Wegwerfen vieler Lebensmittelteile (Brotrinde etc.) – mangelnde Einkaufsplanung bzw. Kauf zu großer Mengen – Wegwerfen essbarer Lebensmittel durch Missdeutung von Haltbarkeitsdaten – suboptimale Lagerbedingungen und Verpackungen verringern Haltbarkeit – Zubereitung zu großer Essensmengen – Sozioökonomische Faktoren: mehr Einpersonenhaushalte Groß- und Einzelhandelssektor – Ineffiziente Lieferketten: mangelhafte Abstimmung zwischen Einzelhändlern, Lieferanten, Großhändlern und Herstellern – Bestandsmanagement: Überbestände, wenn Nachfrage nicht richtig prognostiziert; fehlende Anreize für bessere Planung durch vertragliche Rücknahmeregelungen mit Lieferanten und geringe Kosten beim Wegwerfen der Le- bensmittel – „2 für 1-Angebote“ und große Verpackungsgrößen ermuntern Konsumenten, mehr zu kaufen als nötig; wenig Ra- batte auf Überbestände und auf Lebensmittel kurz vor Verfallsdatum – Vermarktungsnormen: Aussortieren von Produkten aufgrund von Schönheitsfehlern/Verpackungsschäden, obwohl Lebensmittelqualität/Lebensmittelsicherheit nicht beeinflusst – Hohe Produktspezifität: bestimmte Strategien verringern Haltbarkeit – Temperaturempfindlichkeit: Nichteinhaltung der Kühlkette bei Fleisch und Milchprodukten während Transport und Lagerung Gastronomiesektor – Übliche Strategie „gleiche Portionsgröße für alle“ passt nicht für jeden – Überbestände aufgrund der Schwierigkeit, Kundenzahl richtig vorherzusagen – Einstellung: Mitnehmen von Speiseresten aus Restaurants in Europa eher unüblich – Fehlendes Bewusstsein für das Problem „Lebensmittelabfälle“

Quelle: Europäische Kommission – Generaldirektion Umwelt 2010, S. 10 f., eigene Übersetzung

wie der Industrie mit jeweils rund 17 % und dem Handel Emissionen der EU-27 in 2008 (Tab. 3-5). Die Studie der mit circa 5 %. Von den Abfällen der Privathaushalte wä- Europäischen Kommission geht auf der Basis einer wach- ren laut Studie 65 % völlig oder zumindest teilweise ver- senden Bevölkerung und eines zunehmenden Wohlstands meidbar gewesen (KRANERT et al. 2012). davon aus, dass ohne Gegenmaßnahmen die Verschwen- dung im Jahr 2020 126 Mt/a betragen wird (Europäische Insgesamt werden in der EU-27 durch die Produktion Kommission – Generaldirektion Umwelt 2010). Ein er- später vernichteter Lebensmittel mindestens 170 Mt heblicher Teil der oben beschriebenen Umweltwirkungen

CO2eq/a emittiert, dies entspricht 3 % der gesamten THG- des Konsums ist daher auf die Erzeugung von Lebensmit-

113 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik

Abbildung 3-1

Geschätzte Lebensmittelverluste in den EU-Mitgliedsländern (in kg/Kopf/Jahr)

Quelle: Europäische Kommission – Generaldirektion Umwelt 2010, S. 65, verändert

teln zurückzuführen, die letztendlich weggeworfen wer- hausgase pro Jahr in der EU-27. Dies ist fast das Doppelte den. dessen, was HÜNECKE et al. (2010) für einen Ersatz von 27 % der Proteine aus Fleisch durch Gemüse ermittelt ha- ben. Tabelle 3-5

THG-Emissionen aus Lebensmittelverlusten in 3.3 Gesundheitliche Aspekte einer Veränderung der Ernährungs- der EU-27 nach Sektoren pro Jahr gewohnheiten Verlustmengen Treibhausgase 189. Eine Reduktion des Anteils tierischer Produkte an Sektor der Ernährung kann neben den genannten positiven Ef- (t) (Mt CO2eq) fekten für die Umwelt zudem auch gesundheitliche Vor- Verarbeitendes 34.756.000 59 teile bringen. Gewerbe Fleisch gehört in vielen Haushalten Deutschlands zu den Haushalte 37.703.000 78 täglich konsumierten Lebensmitteln. Gemessen an Emp- fehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung Andere 16.820.000 33 (DGE), aber auch laut Organisationen wie der internatio- Insgesamt 89.279.000 170 nalen Krebsforschungsorganisation (World Cancer Re- search Fund – WCRF), wird jedoch in Deutschland und Quelle: Europäische Kommission – Generaldirektion Umwelt 2010, der EU zu viel davon verzehrt. So kommt die Nationale S. 87, verändert Verzehrstudie (2008) zu dem Ergebnis, dass Männer mit durchschnittlich 103 g/Tag (721 g/Woche) etwa doppelt 188. Somit ließe sich eine erhebliche Reduzierung der so viel Fleisch, Wurstwaren und Fleischerzeugnisse ver- Emissionen von Treibhausgasen durch eine Verringerung zehren wie Frauen (371 g/Woche). Zudem werden täglich der Lebensmittelverluste erreichen. Gelänge es, die Le- Gerichte auf Basis von Fleisch – worunter im wesentli- bensmittelverluste zu halbieren, ergäbe sich bereits unter chen Wurstsalate, fleischhaltiges Fast-Food und Fleisch Beibehaltung der Ernährungsgewohnheiten eine Reduzie- mit Soße fallen – in Höhe von 57 g/Tag (399 g/Woche, rung bei den THG-Emissionen von 85 Mt CO2eq Treib- Männer) bzw. 30 g/Tag (210 g/Woche, Frauen) gegessen

114 Schlussfolgerungen für einen umweltbewussten Lebensmittelkonsum

(MRI 2008b, S. 44). Demgegenüber empfiehlt die DGE die Umwelt. Dies gilt vor allem für die Fleischproduk- erwachsenen Personen, höchstens 300 bis 600 g Fleisch tion. Daneben ist auch die Produktion von Milch und und Wurst pro Woche zu sich zu nehmen (DGE 2011). Milchprodukten aus Umweltsicht kritisch zu bewerten. Während demnach der Fleischkonsum von Frauen gerade Obwohl viel von der sehr konkreten Ausgestaltung des noch innerhalb der Empfehlungen liegt, nehmen deutsche Konsums abhängt, lassen sich ein paar allgemeingültige Männer aus ernährungsphysiologischer Sicht zu viel Leitlinien aufstellen, deren Berücksichtigung die vom Le- Fleisch zu sich. Auch gemessen an den WCRF-Empfeh- bensmittelkonsum ausgehenden Umweltwirkungen deut- lungen, welche einer Senkung des Krebsrisikos dienen lich verringern und die daher als Grundlage der umwelt- sollen und gemäß derer maximal 500 g Fleisch pro Wo- freundlichen Ausrichtung des Lebensmittelkonsums che verzehrt werden sollten, liegt der Konsum der Deut- gelten können. Angestrebt werden sollte: schen deutlich zu hoch (WCRF und AICR 2007, S. 12). – Eine Verringerung der Lebensmittelverluste Eine physiologisch ausgewogene Ernährung deckt den täglichen Energiebedarf zu 28 bis 31 % aus Fetten, zu – Eine Reduktion des Konsums tierischer Produkte (v. a. 16 bis 17 % aus Proteinen und zu 52 bis 53 % aus Koh- Fleisch- und Milcherzeugnisse) lenhydraten. Insgesamt sollten 75 % oder mehr der Kalo- rien aus pflanzlichen Quellen stammen. Die essenziellen – Beim Konsum von Fleisch- und Milchprodukten: die Spurenelemente, Aminosäuren und Vitamine sind jedoch Bevorzugung von Produkten aus extensiver Weidehal- in tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln unterschied- tung bzw. aus Fütterung mit extensiv produziertem lich enthalten. Die essenziellen Spurenelemente kommen Futter vorwiegend in Rindfleisch oder Leber, aber auch in Mu- – Bevorzugung von ökologisch hergestellten Produkten scheln (Eisen), Weizenkeimen (Zink) oder Leguminosen bzw. von Produkten, die zur Erhaltung einer artenrei- (Kupfer) vor. Vitamine sind bevorzugt in Früchten, Ge- chen Landschaft beitragen müsen, Weizenkeimen oder Pflanzen- sowie Fischöl ent- halten. Dies spricht generell eher für eine Mischkost, bei – Reduktion des Konsums von Produkten aus Übersee, Verzicht auf tierische Lebensmittel kann aber grundsätz- insbesondere jener, die mit dem Flugzeug transportiert lich der Vitamin-, Aminosäure- und Spurenelementebe- wurden darf auch anderweitig gedeckt werden. – Bevorzugung von saisonalem Obst und Gemüse, das 190. Mit einem zu hohen Fleischkonsum sind gesund- im Freiland produziert wurde. heitliche Risiken verbunden (McAFEE et al. 2010), wel- Im Ergebnis hat sich gezeigt, dass eine Reduzierung des che sich vor allem aus der Aufnahme tierischer Fette, da- Konsums tierischer Produkte in Deutschland die Umwelt- bei vor allem der gesättigten Fettsäuren, sowie der auswirkungen des Lebensmittelkonsums positiv beein- Zubereitungsart ergeben. Eine zu hohe Aufnahme von flussen würde. Die Substitution von Fleisch durch Milch- Fett und gesättigten Fettsäuren erhöht den Cholesterin- produkte bei konstanter Kalorien- bzw. Proteinaufnahme wert sowie die Wahrscheinlichkeit der Gewichtszunahme kann dabei jedoch nicht das Ziel sein, da dies die Um- und kann dadurch zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen füh- welteffekte nicht verringern würde. Vielmehr muss insge- ren. Zahlreiche Studien zeigen, dass der Genuss von samt die Aufnahme tierischer Proteine reduziert werden. Rind-, Lamm- und Schweinefleisch sowie von verarbeite- Eine reduzierte Aufnahme von Proteinen wäre – auch un- tem Fleisch das Risiko erhöhen, an Krebs zu erkranken ter gesundheitlichen Gesichtspunkten – empfehlenswert, (WCRF und AICR 2007). da in Deutschland je nach Altersgruppe heute circa 130 bis 160 % der von der Deutschen Gesellschaft für Ernäh- Gleichzeitig nehmen die Deutschen im Schnitt mehr Pro- rung empfohlenen Menge Proteine aufgenommen werden teine auf als von der DGE empfohlen – je nach Alters- (MRI 2008b, S. 103 f.). gruppe liegt der Median bei circa 130 bis 160 % der emp- fohlenen Menge (MRI 2008a, S. 103 f.). Bei einer Reduktion des Fleischkonsums müsste somit aus rein er- 3.5 Legitimation von Eingriffen der Politik nährungsphysiologischer Sicht die aufgenommene Prote- 192. Im Folgenden soll zunächst gezeigt werden, dass inmenge nicht konstant gehalten werden, indem die Prote- Eingriffe der Politik in das sehr sensible Feld des Lebens- ine in gleicher Höhe zum Beispiel in Form von mittelkonsums in dem Sinne legitim sind, als dass sie Milchprodukten aufgenommen würden. Während es – wie auch unter Wahrung der Konsumentensouveränität mög- oben aufgeführt (vgl. Tz. 176, 179) – bei vollständigem Er- lich und angesichts der Umwelteffekte angebracht sind. satz von Fleisch durch Milchprodukte zu höheren THG- Anschließend sollen Möglichkeiten einer an Umweltas- und Stickstoffemissionen kommen kann, hätte eine Kost pekten ausgerichteten Verbraucherpolitik aufgezeigt wer- mit verringertem Fleischkonsum ohne vollständige Sub- den. stitution durch Milchprodukte in der Regel positive Um- weltwirkungen. 3.5.1 Konsumentenpräferenzen und Einflüsse auf das Verbraucherverhalten 3.4 Schlussfolgerungen für einen umwelt- bewussten Lebensmittelkonsum 193. Der Lebensmittelkonsum und mithin seine ökolo- gischen Konsequenzen werden wesentlich durch die 191. Die Lebensmittelproduktion und damit der Le- Ausprägung der Verbraucherpräferenzen sowie ihre Re- bensmittelkonsum haben ganz erheblichen Einfluss auf alisierung beeinflussende ökonomische Strukturen (v. a.

115 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik

Preisrelationen) determiniert. Die neoklassische An- mie (z. B. viel Fleisch, aber keine Bioqualität in den nahme stabiler und konsistenter Präferenzen konnte in meisten Kantinen und Restaurants). Durch das Fehlen at- zahlreichen empirischen Untersuchungen der Realität traktiver vegetarischer und besonders umweltfreundlich nicht standhalten. Vielmehr scheinen die Verbraucherprä- erzeugter Alternativen wird sowohl die unmittelbare Aus- ferenzen häufig inkonsistent, kontextabhängig und viel- wahlmöglichkeit von Verbrauchern eingeschränkt als fältig beeinflussbar zu sein (LERCH 2000; von WEIZSÄ- auch ein dauerhafter Einfluss auf die Lebensmittelaus- CKER 2002, S. 429 f.; WELFENS 2010, S. 18). wahl über die Prägung der Konsumgewohnheiten ausge- übt. Gerade der letztgenannte Einfluss ist von besonderer Im Alltag sind die Lebensmittelpräferenzen der Verbrau- Bedeutung, da er sich auch auf die häuslichen Essge- cher einer Vielzahl von Einflüssen ausgesetzt. Häufig ste- wohnheiten auswirkt und Verharrungstendenzen in beste- hen diese Einflüsse einem umweltbewussten Konsum eher henden, wenig umweltverträglichen Konsummustern ver- im Wege, als dass sie ihn fördern. Von besonderer Rele- stärkt. vanz sind solche Einflüsse, die auf das Ernährungsverhal- ten von Kindern einwirken, da Nahrungspräferenzen in er- 196. Um Einflüssen auf die Ausbildung der Verbrau- heblichem Ausmaß bereits in frühen Jahren ausgebildet cherpräferenzen, die umweltverträglichen Konsummus- und somit auch die Konsummuster im Erwachsenenalter tern abträglich sind, entgegenzuwirken, bieten sich als In- mitgeprägt werden (JUST et al. 2007, S. 2; SMITH 2004). strumente zunächst Aufklärung, Transparenz, Information und Bildung an. Allerdings reicht Information in der Regel 194. Ein bedeutender Einfluss wird durch Werbung aus- nicht aus, um eine Verhaltensänderung in Richtung eines geübt. Die Rolle der Werbung im Bereich der Ernährung umweltfreundlichen Konsums zu bewirken, da die Ände- ist insbesondere dann kritisch zu beurteilen, wenn sie sich rung gewohnten Verhaltens für den Einzelnen aufgrund an Kinder richtet. Der Einfluss der Werbung für Lebens- von Verharrungstendenzen und Pfadabhängigkeiten schwie- mittel ist insofern problematisch, als dass vorwiegend rig ist. Die Politik hat jedoch auch die Möglichkeit, aktiv Produkte mit hohen Gehalten an Salz, Zucker oder Fett auf die Präferenzausbildung des Verbrauchers einzuwir- beworben werden (KELLY et al. 2010; EFFERTZ und ken, ohne dabei seine Wahlmöglichkeiten und seine WILCKE 2011). Laut der Deutschen Gesellschaft für grundsätzliche Entscheidungsfreiheit zu beschneiden. In- Kinder- und Jugendmedizin steigt der Verzehr von kalori- dem die Politik beispielsweise Entscheidungssituationen enreichen und nährstoffarmen Getränken und Speisen bei so strukturiert, dass Verbrauchern die Wahl der umwelt- Kindern an, wenn diese intensiver TV-Werbung ausge- freundlicheren Option leichter fällt, lädt sie diese sozusa- setzt sind (DGKJ-Pressemitteilung vom 20. Oktober gen zu einem bestimmten Konsumverhalten ein, ohne es 2010: „Werbung schauen macht Kinder dick. Kinderärzte ihnen aufzuzwingen. Ein Beispiel für diesen sogenannten fordern Werbebeschränkungen“). Die WHO identifiziert „liberalen Paternalismus“ ist die Zusammensetzung und Werbung für energiereiche Lebensmittel und Fast Food, vor allem die Präsentation des Angebots an Speisen in öf- insbesondere solche, die an Kinder gerichtet ist, als einen fentlichen Kantinen oder Mensen (SUNSTEIN und Faktor, der Gewichtszunahme und Fettleibigkeit wahr- THALER 2003; THALER und SUNSTEIN 2009). Eine scheinlich fördert und demnach auch ein mögliches Feld unzulässige Verbraucherbeeinflussung liegt bei einer sol- für politische Interventionen darstellt (WHO 2003, S. 63). chen bewussten Strukturierung nicht vor. Da jede Form der ZIMMERMANN und BELL (2010) konnten eine robuste Entscheidungsstrukturierung notwendigerweise einen Korrelation zwischen der Adipositasrate bei Kindern und gewissen Einfluss auf die Verbraucherpräferenzen impli- dem Ausmaß konsumierter Fernsehwerbung feststellen. ziert, erscheint ihre bewusste Gestaltung im Sinne gesell- Weltweit gibt die Ernährungsindustrie jährlich 1,9 Mil- schaftlich erwünschter Zielstellungen durchaus gerecht- liarden Dollar für an Kinder gerichtete Werbung aus fertigt. (LINN 2010). In Deutschland sehen Kinder bis zu 40.000 TV-Werbespots pro Jahr (DGKJ-Pressemitteilung 197. Somit gilt letztlich auch insbesondere für den Be- vom 20. Oktober 2010). Kinder, vor allem kleine Kinder, reich der Ernährung, dass die durch den Verbraucher re- können den Charakter von Werbung nicht von dem ande- alisierten Konsummuster nicht einem autonomen und sta- rer Informationen unterscheiden und deshalb ihrer persu- bilen Präferenzgebilde folgen, sondern diese Präferenzen asiven Wirkung weniger entgegensetzen als Erwachsene. maßgeblich durch den äußeren Kontext determiniert wer- An diese Zielgruppe gerichtete Werbung kann deshalb als den. Damit fällt dem Staat die Rolle zu, an der Strukturie- manipulativ und zudem besonders effektiv betrachtet rung der unvermeidbaren äußeren Einflüsse auf die Präfe- werden, da sich die – auch langfristig prägenden – Ernäh- renzausbildung und ihre Verwirklichung so mitzuwirken, rungsvorlieben von Kindern unter dem Einfluss der Wer- dass der Lebensmittelkonsum mit den gesetzten Umwelt- bung ausbilden. Eine kritische Auseinandersetzung mit zielen in Einklang gebracht wird. den auf Kinder und Jugendliche abzielenden Marketing- aktivitäten der Lebensmittelindustrie und deren – auch 3.5.2 Auswirkungen individuellen Konsums auf langfristig nachwirkenden – Einfluss auf die Konsumge- die Rechte Dritter und Gemeingüter- wohnheiten findet sich in einer aktuellen Studie der Ver- Problematik braucherschutzorganisation foodwatch (2012). 198. Das stärkste Argument zugunsten politischer Maß- 195. Zu den weiteren strukturellen Einflüssen auf das nahmen, welche individuelle Entscheidungen in Richtung Verbraucherverhalten gehört auch die Zusammensetzung eines umweltfreundlichen Konsums beeinflussen, ist die des Angebots in der öffentlichen und privaten Gastrono- mögliche Beeinträchtigung der Belange Dritter und die

116 Legitimation von Eingriffen der Politik

Schädigung von Gemeingütern durch die Auswirkungen len Kosten der Produkte adäquat widerspiegeln, trägt sie individueller Konsumentscheidungen (LERCH 2000). dazu bei, dass die Preise und Preisrelationen die Kaufent- Viele Einschränkungen der Konsumentensouveränität, scheidung verzerren. Vorhandene Präferenzen der Ver- die in Deutschland bereits Realität sind, werden deshalb braucher für umweltverträglichere (oder fair gehandelte) gesellschaftlich akzeptiert und gefordert, weil dadurch Produkte könnten leichter wirksam werden, wenn die re- das Wohlbefinden, die Gesundheit oder Sicherheit Dritter lativen Preise der Realisierung dieser Präferenzen nicht geschützt werden – dazu zählen etwa weite Teile des Um- entgegenstehen würden (LERCH 2000, S. 177). Dies gilt weltrechts oder auch das Rauchverbot in öffentlichen insbesondere für solche Produkte, bei denen der Verbrau- Einrichtungen. Zudem hat sich die Bundesregierung im cher mit dem höheren Preis – neben dem „guten Gewis- Rahmen internationaler Abkommen (u. a. Übereinkom- sen“ aufgrund der größeren Umweltverträglichkeit – men über die biologische Vielfalt (Convention on Biolo- nicht auch einen unmittelbaren Zusatznutzen für sich gical Diversity – CBD) und UN Klimarahmenkonvention selbst verbindet. So basiert die höhere Zahlungsbereit- (United Nations Framework Convention on Climate schaft für Biolebensmittel auch darauf, dass bei ihrem Change – UNFCCC) sowie ihre jeweiligen Folgeabkom- Konsum Vorteile für die eigene Gesundheit vermutet wer- men) zum Schutz globaler Gemeingüter, die durch den den (BELZ und REISCH 2007, S. 710). Entfällt dieser in- nationalen Lebensmittelkonsum mittelbar beeinträchtigt dividuelle Zusatznutzen, verstärkt sich die Wirkung ver- werden, verpflichtet. zerrter Preisrelationen zulasten umweltfreundlicher bzw. 199. Dabei ist für die Problemstruktur umweltfreundli- nachhaltiger Produkte, deren Vorteile gegenüber konven- chen Konsums charakteristisch, dass (Umwelt-)Schäden tionellen Produkten vor allem auf der Produktionsseite in für die Allgemeinheit durch das Verhalten vieler einzelner Form verbesserter ökologischer und sozialer Bedingun- Konsumenten entstehen (BELZ und BILHARZ 2005, gen bestehen. S. 22) und sich Betroffene und Verursacher selten direkt gegenüberstehen. Zudem können Ursache und Wirkung 3.5.3 Fazit im Hinblick auf die Legitimation zeitlich und geografisch auseinanderfallen – die Kosten einer Einflussnahme auf den Konsum von Umweltschäden werden häufig erst zeitverzögert spürbar oder sie treffen vor allem Menschen in anderen 201. Der Lebensmittelkonsum und mithin seine ökolo- Regionen der Welt. Dadurch erhält die Problematik um- gischen Konsequenzen werden wesentlich durch die weltfreundlichen Konsums die Struktur eines Allmende- Ausprägung der Verbraucherpräferenzen sowie ihre Re- problems bzw. Gefangenendilemmas: für den Einzelnen alisierung bestimmende Angebots- und Preisstrukturen entsteht ein Anreiz, sich nicht umweltfreundlich zu ver- determiniert. Dabei unterliegt die Ausprägung der Ver- halten (ERNST 2010), solange keine Arrangements ge- braucherpräferenzen einer Vielzahl von Einflüssen, die troffen wurden, die sicherstellen, dass alle „Mitspieler“ einem umweltverträglichen Konsum häufig eher im Wege sich an bestimmte Regeln halten und Regelverletzer be- stehen, als dass sie ihn fördern. Zudem ist der Einzelne straft werden. als Konsument angesichts allgemeiner moralischer Ap- pelle zu umweltfreundlichem Konsum, aber entgegenge- Insgesamt können also die kurzfristigen individuellen und setzter realer Anreize, häufig überfordert. Umweltver- die langfristigen kollektiven Interessen beim Konsumver- träglicher Konsum ist somit eine gesamtgesellschaftliche halten deutlich auseinanderklaffen. Entsprechend ist nicht Herausforderung, die eine kollektive Verantwortungs- damit zu rechnen, dass Einzelne in erheblichem Umfang übernahme erfordert sowie die Schaffung von Strukturen, ohne die entsprechenden gesellschaftlichen Rahmenbe- die dem Einzelnen umweltfreundlichen Konsum erleich- dingungen „von allein“ ein nachhaltiges Konsumverhal- tern und ermöglichen. Die negativen Auswirkungen der ten entwickeln („sustainability does not come naturally“, derzeitigen Konsummuster im Bereich Ernährung auf die DAWKINS 2001). Umwelt, auf Menschen in anderen Ländern und auf nach- 200. Ein elementarer Bestandteil dieser Rahmenbedin- folgende Generationen sind hinreichend gravierend, um gungen ist die Preisstruktur der Lebensmittel, die ein Eingriffe der Politik zu rechtfertigen. möglichst vollständiges Bild der Kosten widerspiegeln Im Lichte der Faktoren, die einem umweltverträglichen soll, um eine gesamtwirtschaftlich optimale Lenkungs- Konsum gegenwärtig entgegenwirken, sollte die Politik wirkung zu entfalten. Würden beispielsweise sowohl bei Maßnahmen ergreifen, die unerwünschte Einflussnahmen der Fleisch- als auch bei der Getreideproduktion alle ex- abbauen oder verhindern. Sie könnte zum Beispiel durch ternen Kosten internalisiert, also vollständig der Produk- tion angelastet, lägen die Preise je Kalorie Fleischprodukt Einschränkung der Werbung für bestimmte Produkte oder aufgrund ihrer verhältnismäßig hohen Umweltkosten im für bestimmte Zielgruppen (bereits latent vorhandene) Vergleich zu Getreideprodukten höher (vgl. Kap. 3.2). Präferenzen für umweltfreundliche Lebensmittel aktivie- Somit kann insgesamt davon ausgegangen werden, dass ren und stärken sowie instabile Verbraucherpräferenzen eine Internalisierung externer Kosten den Konsum in um- in Richtung umweltgerechter Konsummuster lenken. Au- weltfreundlichere Bahnen lenken würde. ßerdem sollten bestehende verzerrende ökonomische An- reize abgeschafft werden, möglichst durch die Internali- Indem die Politik es unterlässt darauf hinzuarbeiten, dass sierung externer ökologischer und auch sozialer Kosten in Verbraucherpreise die externen ökologischen und sozia- die Preisgestaltung.

117 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik

3.6 Förderung eines umweltbewussten cherschutz (BMELV): „Verbraucher achten beim Einkau- Lebensmittelkonsums fen vor allem auf Preis und Haltbarkeitsdatum“). Idealerweise sollten die Preise alle negativen Umweltef- 202. Der Lebensmittelkonsum wird von verschiedenen fekte in der Produktion widerspiegeln (Tz. 200). Die voll- Akteuren beeinflusst. Gegenwärtig fehlt es an einer poli- ständige Umsetzung dieser Forderung ist unrealistisch, tisch konsistenten Steuerung in Richtung eines umweltver- aber es sollte angestrebt werden, sich ihr anzunähern. träglichen Konsums (HÜNECKE et al. 2010, S. 17). Grundsätzlich gibt es dafür mehrere Möglichkeiten: Wichtig wäre es aber, eine konsistente nationale Strategie Durch das Ordnungsrecht können negative Effekte land- für den Lebensmittelkonsum zu erarbeiten, mit dem klaren wirtschaftlicher Produktion verringert werden, indem die Ziel, den Lebensmittelkonsum umweltbewusster zu ge- Produzenten zur Einhaltung bestimmter Produktionsstan- stalten. Studien zeigen, dass es sich um ein komplexes dards gezwungen werden. Vormals externe Kosten wer- Politikfeld handelt, in dem ein Bündel von Maßnahmen er- den so internalisiert, wodurch die Produktion in der Regel forderlich ist, um das Problem erfolgreich adressieren zu teurer wird, auch wenn höhere Produktionsstandards Effi- können (HEISKANEN et al. 2009). Bund und Länder kön- zienzsteigerungen anreizen können und somit nicht nen den Konsum zum einen direkt über Auflagen, ökono- zwangsläufig immer zu höheren Produktionskosten und mische Anreize wie Steuern und Subventionen sowie über damit zu Preissteigerungen führen müssen. Informationen beeinflussen, aber auch indirekt, indem sie für den Konsum wichtige Akteure wie Unternehmen und Wird die Umweltbelastung durch Steuern auf bestimmte Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Orga- Produktionsfaktoren wie zum Beispiel Düngemittel er- nisations – NGOs) beeinflussen (SCHRADER und fasst, werden umweltfreundlicher produzierte Güter rela- THØGERSEN 2011, S. 4). Unter den privatwirtschaftli- tiv günstiger. Ein mögliches Problem dieser an der Pro- chen Akteuren der Lebensmittelkette kommt dem Lebens- duktion ansetzenden Maßnahmen könnte jedoch sein, mitteleinzelhandel (LEH) als Kuppelstelle zwischen Lie- dass sie auch die Wettbewerbsrelation zwischen der Pro- feranten und Verbrauchern eine besonders große duktion im Inland und der Produktion in Ländern, in de- Bedeutung zu. Er begrenzt die Auswahlmöglichkeiten der nen eine solche Internalisierung externer Kosten nicht Konsumenten und kann über die Präsentation der Waren stattfindet, verändert. Bei unverändertem Konsum könn- und die Vermittlung von Informationen Impulse für einen ten damit ökologische Probleme ins Ausland verschoben nachhaltigen Warenkorb setzen (SPILLER 2005, S. 119). werden. Dies gilt selbst bei Subventionen für umwelt- Auch Anbieter von Außer-Haus-Verpflegung beeinflussen freundliche Produktionsweisen, da eine Extensivierung über ihre Angebotspolitik maßgeblich die Konsumge- und damit Verringerung der Produktion zum Beispiel in wohnheiten der Verbraucher. Zudem übt die Industrie über der EU über einen Preisanstieg dazu führen kann, dass Werbung (vgl. Tz. 194) und die Kennzeichnung ihrer außerhalb der EU mehr produziert wird. Dadurch kann Produkte bedeutende Einflüsse aus. Auch NGOs wie Ver- – global gesehen – ein Teil der angestrebten Wirkung braucher- oder Umweltschutzorganisationen können den wieder zunichte gemacht werden. Maßnahmen, die direkt Konsumenten – vorwiegend über Kommunikation – be- am Konsum ansetzen, das heißt, alle Produkte unabhän- einflussen. gig von ihrer Herkunft betreffen, geben dagegen keinen Anreiz zu einer Verlagerung der Produktion ins Ausland. 203. Besonders Erfolg versprechend erscheinen – auf- grund der starken Preisabhängigkeit des Lebensmittel- 205. Eine Möglichkeit, den Konsum direkt zu steuern, konsums – Veränderungen der Preisrelationen, die vor al- liegt darin, die Preise von weniger umweltfreundlichen lem durch Steuern und Subventionen, aber auch durch Lebensmitteln durch staatliche Abgaben zu erhöhen. Ein ordnungsrechtliche Anforderungen an die Produktions- Schritt in diese Richtung kann die Aufhebung der Reduk- weise erfolgen können. Demgegenüber haben „weiche“ tion des Mehrwertsteuersatzes auf tierische Produkte dar- Instrumente (z. B. Kommunikationsmittel) eine weniger stellen, welche pro Kalorie bzw. Kilogramm in der Regel starke Steuerungswirkung. Die Steuerungsinstrumente höhere Umwelteffekte als pflanzliche Produkte aufweisen sind von unterschiedlicher Intensität gekennzeichnet: (vgl. Kap. 3.2). Momentan werden alle Lebensmittel mit Während die Verbesserung der Information der Betroffe- dem reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7 % besteuert, nen und Bildungsangebote im schulischen und außer- wovon Getränke (außer Milch, bestimmte Milchmischge- schulischen Bereich einen relativ geringen Eingriff dar- tränke und Leitungswasser) – ob alkoholfrei oder nicht – stellen, bedeuten bereits Vorgaben für die öffentliche ausgenommen sind. Für diese gilt der reguläre Mehrwert- Beschaffung einen erheblichen Eingriff ins Wirtschaftsle- steuersatz. Für Lebensmittel, die außer Haus, also zum ben und unterliegen relativ strengen rechtlichen Vorga- Beispiel im Restaurant, verspeist werden, gilt hingegen ben. Steuerliche Instrumente weisen eine sehr große Ein- generell der reguläre Satz von 19 % (§ 12 UStG). Ökolo- griffstiefe auf. gisch sinnvoll wäre es somit, tierische Produkte – gleich den Getränken – von dieser Regelung generell, also nicht 3.6.1 Steuerliche Instrumente: Verän- nur in Restaurants, auszunehmen. Der SRU spricht sich derung der Preisrelationen daher dafür aus, für tierische Produkte den regulären Mehrwertsteuersatz anzuwenden. 204. Den bedeutsamsten Einfluss auf die Kaufentschei- dung von Lebensmitteln haben in Deutschland die Preise 206. In verschiedenen europäischen Ländern werden (Pressemitteilung Nr. 147 vom 19. Juli 2011 des Bundes- seit 2010 auch andere Steuern eingesetzt, um die Lebens- ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- mittelwahl zu beeinflussen. Dänemark hat aus Gründen

118 Förderung eines umweltbewussten Lebensmittelkonsums der Gesundheitsvorsorge 2011 eine Steuer auf gesättigte Lenkungsbefehl gewissermaßen „freizukaufen“. Im Hin- Fettsäuren eingeführt (Königliche Dänische Botschaft blick auf bestimmte Verhaltensalternativen werden finan- 2011). Diese Steuer soll Produkte, die einen hohen Anteil ziell Leistungsfähigere damit bevorzugt (Belastungswir- an gesättigten Fettsäuren enthalten, teurer und damit für kung). Die steuerliche Lenkungsnorm wirft somit, auch den Konsumenten unattraktiver machen. Ziel ist es, die wenn sie grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig ist, Energieaufnahme in Form von Fett und insbesondere der Fragen nach ihrer Gerechtigkeit auf, sowie danach, ob sie Fette aus gesättigten Fettsäuren zu begrenzen, um chroni- als staatliche Beeinflussung des Verhaltens (Gestaltungs- sche Krankheiten zu vermeiden, wie es von der WHO wirkung) einen zulässigen Eingriff darstellt (BIRK 2010, (2003, S. 56) empfohlen wird (s. a. Tz. 190). Eine solche S. 62). Gleichheitsrechtlich, also im Hinblick auf die Be- Steuer ist jedoch auch unter Umweltgesichtspunkten inte- lastungswirkung, ist eine Steuernorm, die ein unerwünsch- ressant, weil insbesondere tierische Produkte viele gesät- tes Verhalten besteuert, weitgehend unbedenklich, weil tigte Fettsäuren enthalten. Die durch eine „Gesättigte- dem Gesetzgeber bei der Findung des Steuergegenstands Fettsäuren-Steuer“ induzierte Reduktion des Konsums und der Bestimmung des Steuertarifs, ein sehr weiter Ge- von tierischen Produkten kann somit gleichzeitig die staltungsspielraum zukommt (WERNSMANN 2005, S. 487). THG- und Stickstoffemissionen aus der Ernährung wie In Hinblick auf die Gestaltungswirkung wird vertreten, auch den Flächenverbrauch insgesamt reduzieren. Aller- dass diese eigentlich grundsätzlich nicht unverhältnismä- dings sind vor einer Einführung in Deutschland die fol- ßig sein kann (ebd.). Wird durch die Lenkungssteuer we- genden Fragen zu beantworten: Ist eine solche Lenkungs- niger konsumiert, dann wird der damit gesetzgeberisch in- steuer verfassungskonform? Ist die Steuer ökologisch tendierte Zweck erreicht, die Steuer ist also geeignet. Die treffsicher und lassen sich Ausweichreaktionen vermei- gegebenenfalls infrage stehende Angemessenheit wird den? Können die negativen sozialen Folgen adäquat ad- wegen des erwähnten weiten gesetzgeberischen Spiel- ressiert werden? Ist sie praktikabel? raums nahezu immer zu bejahen sein. Nur wenn die Nach- frage völlig unelastisch ist, das heißt auf Preiserhöhungen Verfassungsrechtliche Zulässigkeit überhaupt nicht reagiert, ist die Steuer nicht zur Erfüllung ihres Zwecks geeignet. Die Frage nach der Eignung stellt 207. Zunächst ist festzustellen, dass eine solche „Gesät- sich dann jedoch gar nicht, denn wenn die Lenkungssteuer tigte-Fettsäuren-Steuer“ verfassungsrechtlich zulässig ist. ihre Wirkung nicht erfüllt, weil alle Verbraucher in Lenkungsnormen sollen durch gezielte Steuerent- oder -be- derselben Menge weiter konsumieren wie vorher, tritt gar lastung ein bestimmtes Verhalten des Steuerpflichtigen sti- keine rechtfertigungsbedürftige Gestaltungswirkung ein mulieren, von dem der Gesetzgeber der Auffassung ist, das (WERNSMANN 2005, S. 487). es dem Gemeinwohl entspricht (TIPKE und LANG 2010, § 4 Rn. 21). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat Treffsicherheit entschieden, dass der Gesetzgeber seine Steuergesetzge- bungskompetenz grundsätzlich auch ausüben darf, um 208. Zudem hätte die „Gesättigte-Fettsäuren-Steuer“ Lenkungswirkungen zu erzielen (ständige Rechtspre- auch den Vorteil, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit der chung, zuletzt BVerfG v. 9. Dezember 2008, NJW 2009, Weidehaltung gegenüber ganzjähriger Stallhaltung erhö- S. 48). Es verlangt jedoch rechtsstaatliche Normenbe- hen würde. Der Gehalt an gesättigten Fettsäuren ist bei- stimmtheit, das heißt der Lenkungszweck muss mit hinrei- spielsweise in Milch aus Weidehaltung tendenziell niedri- chender Bestimmtheit erkennbar sein (TIPKE und LANG ger als in Milch von Tieren, die vorwiegend mit siliertem 2010, § 4 Rn. 21). Zudem muss sich die Steuer gemein- Futter und viel Getreide gefüttert werden (KRAFT et al. wohlbezogen rechtfertigen lassen (BVerfGE Bd. 93, 2003; WEIß et al. 2006; WYSS et al. 2010). Die höhere S. 121 (148)). Besteuerung gesättigter Fettsäuren würde damit tierische Produkte zwar in der Regel höher besteuern als pflanzli- Eine solche Lenkungsabgabe stellt trotz Lenkungsabsicht che, im Gegensatz zu beispielsweise einer pauschal höhe- als Handlungsmittel in den Rechtsfolgen und in der Er- ren Besteuerung tierischer Produkte würde sie aber den tragswirkung eine Steuer dar. Der Gesetzgeber regelt gewünschten Wettbewerbseffekt haben (vgl. Tz. 170). nämlich lediglich das Steuerpflichtverhältnis. Die steuer- Die Lenkungswirkung wäre also auch hier die intendierte. gesetzlich intendierte „Ausweichreaktion“ hängt dagegen von dem Willen des Steuerpflichtigen ab. Diese Form der 209. Wie treffsicher eine solche Lenkungssteuer ist mittelbaren Verhaltenssteuerung ist zulässig, solange die – wie auch die Auswirkungen der Aufhebung des redu- steuerliche Lenkung nach Gewicht und Auswirkung nicht zierten Mehrwertsteuersatzes auf tierische Produkte – einer verbindlichen Verhaltensregel nahekommt und da- hängt maßgeblich von der Nachfragereaktion der Konsu- mit die Finanzfunktion der Steuer verdrängt wird. Len- menten ab. Die Nachfragereaktion der Konsumenten auf kungssteuern können vor allem im Falle von Marktversa- Preisveränderungen wird als Preiselastizität der Nach- gen, beispielsweise im Bereich des Umweltschutzes, aber frage bezeichnet. Ist die Nachfrage sehr preisunelastisch auch des Gesundheitsschutzes ein geeignetes Instrument (niedrige Preiselastizität), verringert sich auch bei hoher sein (WERNSMANN 2005, S. 287). Steuer der Konsum nur wenig. Tatsächlich zeigen empiri- sche Untersuchungen, dass die Produktgruppe Lebens- Möchte der Staat erreichen, dass bestimmte Verhaltens- mittel insgesamt langfristig gesehen eine im Vergleich zu weisen vermieden werden, kann er diese steuerlich beson- anderen Produktgruppen – wie zum Beispiel Möbel – re- ders belasten. Dann hat der finanziell leistungsfähigere lativ niedrige Preiselastizität aufweist (von WITZKE Steuerpflichtige die Möglichkeit, sich von dem staatlichen 2011, S. 1; SAMUELSON und NORDHAUS 2010, S. 104).

119 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik

Fleischprodukte und auch Milchprodukte im Speziellen leiden hätten. Dies kann durch entsprechende Gegen- weisen hingegen eine vergleichsweise hohe Preiselastizi- steuerung in anderen Bereichen erreicht werden. tät im Bereich von 1 auf (HENNING und MICHALEK 1992; THIELE 2008, S. 262; WILDNER und von 212. Somit schätzt der SRU das Potenzial einer Steuer CRAMON-TAUBADEL 2000, S. 71). Eine Elastizität auf gesättigte Fettsäuren auch für die Erreichung von Zie- von 1 bedeutet, dass ein Konsument auf eine Preiserhö- len im Umweltbereich als sehr hoch ein. Daher sollten die hung um zum Beispiel 10 % mit einem Nachfragerück- Erfahrungen, welche mit der Einführung einer solchen gang von 10 % reagiert. Bei einer Elastizität kleiner 1 Steuer in Dänemark gemacht werden, evaluiert und eine fällt die Reaktion schwächer aus, bei einer Elastizität grö- Einführung mittelfristig auch in Deutschland geprüft wer- ßer 1 reagiert der Konsument entsprechend stärker auf den, wenn sich in Dänemark positive Umweltwirkungen eine Preisveränderung. Eine Erhöhung der Mehrwert- zeigen. steuer von momentan 7 % auf den Regelsatz von 19 % für tierische Produkte könnte somit erhebliche Steuerungsef- 3.6.2 Bedeutung des Außer-Haus-Verzehrs fekte hervorrufen. Für eine Beeinflussung des Konsums durch Steuern in Ergänzung zu „weichen“ Kommunika- 213. Die Bedeutung des Außer-Haus-Verzehrs nimmt tionsinstrumenten spricht zudem, dass Preisveränderun- aufgrund der soziodemografischen Entwicklung und sich gen eine deutlich stärkere Auswirkung auf die Nachfrage verändernder Berufs- und Zeitstrukturen kontinuierlich haben als Kommunikationsinstrumente wie zum Beispiel zu (SPILLER 2005, S. 113). Insgesamt werden in Werbung (MAUERER 1995). Zudem würde allein die Deutschland 30 % des Lebensmittelumsatzes im Bereich Diskussion um Steuererhöhungen die Aufmerksamkeit des Außer-Haus-Verzehrs getätigt. Der Bereich Gemein- auf die Umweltwirkungen tierischer Produkte lenken, schaftsverpflegung (GV), in den immerhin 11 % aller wodurch in manchen Käuferschichten unter Umständen Ausgaben für den Außer-Haus-Verzehr fließen (RÜCK- Verhaltensänderungen induziert werden könnten. Im Ge- ERT-JOHN 2005, S. 247 f.), scheint besonders gut für die gensatz zu vielen anderen Informationsangeboten würde Durchsetzung von Umwelt- und Nachhaltigkeitszielen diese Information auch nicht nur diejenigen erreichen, die geeignet, da er sich zum Teil in staatlicher Trägerschaft gezielt danach suchen. befindet und wenige Entscheidungsträger weitreichende Veränderungen bewirken können (SPILLER 2005, 210. Für eine Feinsteuerung entsprechend der ökologi- S. 113). Die Adressierung des Außer-Haus-Verzehrs ist schen Wirkung ist eine pauschal höhere Belastung von zudem vielversprechend, da neben der direkten Wirkung tierischen Produkten bzw. Produkten mit besonders ho- des veränderten Konsums vor Ort auch indirekte Effekte hen Gehalten an gesättigten Fettsäuren allerdings nicht entstehen, wenn sich andere Anbieter im Außer-Haus-Be- einsetzbar. Sollen beispielsweise bestimmte Weidehal- reich ein Vorbild daran nehmen und die Konsumenten da- tungsformen aus Naturschutzgründen gefördert werden, durch „auf den Geschmack“ kommen (EUPOPP Project dann muss dies unabhängig von anderen tierischen Pro- 2011, S. 6). Letzteres gilt insbesondere für die Verpfle- dukten zum Beispiel durch eine Honorierung von Weide- gung von Kindern in Kindergärten und Schulen. Da Nah- haltungssystemen erfolgen. So können durch direkte För- rungspräferenzen in erheblichem Ausmaß bereits in frü- derung besonders naturschutzfreundlicher Produkte – vor hen Jahren ausgebildet werden, kann in Kindergärten und allem über die 2. Säule der GAP – die Preise relativ gese- Schulen durch bewusste Einflussnahme auf die Essge- hen zu denen konventioneller Produkte der gleichen Pro- wohnheiten ein langfristiger Effekt in Richtung einer um- duktgruppe gesenkt werden. Auch kann dadurch der An- weltverträglichen und auch gesünderen Ernährung erzielt teil dieser Produkte am Gesamtangebot im Handel werden (JUST et al. 2007, S. 2; MOGHARREBAN und gesteigert und damit die Verfügbarkeit für den Konsu- NAHIKIAN-NELMS 1996; SMITH 2004; LAKKA- menten verbessert werden. Bei besserer Verfügbarkeit KULA 2011, S. 35 ff.). Hierzu bedarf es nicht notwendi- fällt es leichter, naturschutzfreundliche Produkte tatsäch- gerweise einer radikalen Umstellung des Angebots in lich auch zu kaufen. Hier sollte die Förderung von zum Kantinen, Schulküchen und Mensen. Oft reichen bereits Beispiel Bioprodukten oder tierischen Produkten aus ex- einfache zwangfreie Maßnahmen, um das Konsumverhal- tensiver Haltung verstärkt werden (SRU 2009). ten in Richtung umweltverträglicherer Ernährungsmuster zu beeinflussen. Soziale Gerechtigkeit So können allein schon durch die bewusste Präsentation 211. In der letzten Dekade sind die Ausgaben für Le- eines ansonsten weitgehend unveränderten Speisenange- bensmittel und nicht-alkoholische Getränke stabil geblie- bots Konsummuster verändert werden, beispielsweise ben und lagen im Durchschnitt der EU-15 durchgehend durch eine zentrale und attraktive Salattheke (JUST et al. bei 12,5 % und der EU-27 bei 13,1 % der Gesamtkon- 2007, S. 15 f.; JUST und WANSINK 2009). Auch wenn sumausgaben der privaten Haushalte (EuroStat 2011). In die konkreten Möglichkeiten und Potenziale einer sol- Deutschland fiel der Prozentanteil kontinuierlich von chen Einflussnahme von den jeweiligen Gegebenheiten 13,5 % (1991) auf 11,2 % (2009). Die Einkommens- vor Ort abhängig sind, können grundsätzliche Leitlinien effekte einer Preissteigerung bei tierischen Produkten zur zielgerichteten Angebotsstrukturierung die Anbieter dürften somit relativ gering sein. Dennoch ist darauf zu im Bereich Gemeinschaftsverpflegung dabei unterstüt- achten, dass nicht die einkommensschwächsten Gruppen zen, ihre Kunden in Richtung umweltfreundlicherer und der Gesellschaft am stärksten unter solchen Lösungen zu gesünderer Ernährungsmuster zu lenken.

120 Förderung eines umweltbewussten Lebensmittelkonsums

Die Bundesregierung sollte entsprechende Leitlinien aus- den, statt dem Gast eine festgelegte Zusammenstellung arbeiten lassen, den Anbietern zur Verfügung stellen und vorzusetzen (RÜCKERT-JOHN 2005, S. 259). Ferner sie zu deren Anwendung ermuntern. Dabei ist es sinnvoll, sollte darauf geachtet werden, dass der Gast die Größe sei- an bestehende Initiativen zur Verbesserung der Qualität in ner Portion selbst bestimmen kann. Hierbei kann bereits der Gemeinschaftsverpflegung anzuknüpfen. Hierzu bie- die Bereitstellung kleinerer Teller- und Schüsselgrößen tet sich vor allem die „IN FORM“-Initiative des Bundes- dafür sorgen, dass die Verbraucher – aufgrund des opti- ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- schen Eindrucks – keine unnötig großen Mengen wählen cherschutz und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (WANSINK et al. 2009, S. 166 f.). Das vermindert Res- e. V. (DGE) an: Im Rahmen von „IN FORM“-Projekten sourcenverschwendung und Abfälle, aber auch die Gefahr, (z. B. FIT KID, Schule + Essen = Note 1, JOB&FIT) dass der Gast mehr isst als nötig wäre, um seinen Hunger wurden Qualitätsstandards der DGE für verschiedene zu stillen; dies ist somit auch aus gesundheitlichen Grün- GV-Einrichtungen entwickelt, die bereits zahlreiche wert- den positiv zu bewerten. volle Hinweise zur Ausgestaltung des Angebots enthal- ten. Diese Standards könnten verstärkt auch an ökologi- 3.6.3 Regulierung von Lebensmittelwerbung schen Aspekten ausgerichtet und ihre Anwendung und -kennzeichnung insbesondere in öffentlichen GV-Betrieben forciert wer- den. Werbung Weiterhin kann ein fleischfreier Tag pro Woche zum ei- 217. Die Regulierung der Werbung für bestimmte Pro- nen den Konsumenten Alternativen zum fleischhaltigen dukte kann ein weiteres Element einer Politik für umwelt- Mahl nahebringen und zum anderen direkt THG-Emissio- freundlichen Lebensmittelkonsum darstellen (vgl. Tz. 194). nen vermeiden (s. Tz. 173 ff.). Ein solcher „Veggieday“ Bereits seit Langem wird diskutiert, die Regeln für Le- wurde bereits in Bremen im Jahre 2010 eingeführt. An bensmittelwerbung, die sich an Kinder und Jugendliche diesem Tag werden Kantinen, Restaurants, Kitas und richtet, zu verschärfen. Beschränkungen sind in anderen Schulen dazu angehalten, auf Fleisch zu verzichten (Bür- Ländern weit verbreitet (HAWKES 2004). Einzelne Län- gerstiftung Bremen 2011). der wie Schweden und Norwegen verbieten an Kinder ge- richtete TV-Werbung vollständig, was der Europäische 214. Betrachtet man jedoch die Zusammensetzung und Gerichtshof grundsätzlich für zulässig erklärt hat (EuGH, Verfügbarkeit des derzeitigen Angebots, so zeigt sich, dass Urteil v. 9. Juli 1997, verb. Rs. 34, 35, 36/95, de Agostini/ ökologisch vorteilhafte Lebensmittel bisher eine unterge- TV-Shop). Soweit es sich um rechtlich verbindliche Wer- ordnete Rolle spielen. Dadurch werden die Wahlmöglich- beverbote handelt, sollten sie aber – wo möglich – auf eu- keiten der Verbraucher hinsichtlich dieser Lebensmittel de ropäischer Ebene erlassen werden, um Eingriffe in europa- facto eingeschränkt und ihre Konsumgewohnheiten ge- rechtlich gewährte Grundfreiheiten zu vermeiden. In der prägt. So haben beispielsweise ökologische Lebensmittel EU existieren eine ganze Reihe von werberegulierenden gegenwärtig nur einen Anteil von circa 2 % am Gesamt- Bestimmungen, wie zum Beispiel die Tabakwerbe-Richt- umsatz von GV-Einrichtungen. Als Hauptgründe für linie 2003/33/EG (statt vieler WANDTKE 2011, Rn. 23, diesen geringen Anteil werden vor allem die Nicht-Erhält- 117, 162 m. w. N.). lichkeit von großen Mengen an vorverarbeiteten Produkten, mangelnde Personalkapazitäten sowie die eingeschränkte Auch die Bundesregierung hat sich im nationalen Ak- Zahlungsbereitschaft der Gäste genannt (SPILLER 2005, tionsplan für gesunde Ernährung IN FORM 2008 das Ziel S. 113). gesetzt, in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft einen Ver- 215. Aufgrund seiner Vorbildfunktion sollte der Staat als zicht auf Werbung, die sich an Kinder unter zwölf Jahren Träger eines Teils dieser Einrichtungen verstärkt darauf richtet, zu erreichen (BMELV und BMG 2008). Die Um- hinarbeiten, den Anteil umweltgerechter Produkte zu er- setzung dieses Ziels steht jedoch noch aus. Ein Verzicht höhen. Die staatlichen Einrichtungen können gerade durch auf Werbung, die sich an Kinder dieser Altersgruppe rich- eine solche Einkaufspolitik dazu beitragen, dass umwelt- tet, bietet die Chance, dass Appelle für nachhaltigen Kon- verträgliche Angebote kritische Umsatzgrößen und Be- sum weniger stark durch Werbebotschaften konterkariert kanntheitswerte erreichen und so den Weg in den Massen- werden, die zum Konsum problematischer Produkte auf- markt finden (BELZ und REISCH 2007, S. 293 f.), womit rufen. Da die Ausprägung von Ernährungs- und Lebens- sich das genannte Problem der Nicht-Erhältlichkeit großer stil vor allem im Kinder- und Jugendalter abläuft (vgl. Mengen lösen würde. Durch gesetzliche Vorgaben und Tz. 193 f.), hätte die Beendigung einer solchen Beeinflus- Verwaltungsvorschriften kann der Staat die Beschaffung sung auch Auswirkungen auf den Konsum im Erwachse- in öffentlichen Einrichtungen im Bereich des Lebensmit- nenalter, was die Wirkung der Maßnahme verstärken telkonsums beeinflussen. Er ist dabei allerdings an die be- würde. stehenden Vorgaben, die sich aus dem EU-Recht ergeben, gebunden. Daher sind bindende diskriminierende Vor- Mindesthaltbarkeitsdatum schriften, die beispielsweise regional produzierte Lebens- mittel bevorzugen würden, nicht zulässig. 218. Zur obligatorischen Kennzeichnung der Lebens- mittel gehört das Mindesthaltbarkeitsdatum. Dieses stellt 216. Zudem sollten in Mensen und Kantinen die Kom- häufig einen Grund dafür dar, dass viele Lebensmittel ponenten einer Mahlzeit verstärkt einzeln zum Kauf ange- weggeworfen werden, bevor sie verdorben sind: Statt ei- boten und diese vorzugsweise nach Gewicht bezahlt wer- genverantwortlich zu überprüfen, ob die Produkte noch

121 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik zum Verzehr geeignet sind, werden sie oftmals einfach dukte kennzeichnen, die nicht zur Überfischung der Meere nach Überschreiten des Datums weggeworfen. Hilfreich beitragen. Vermehrt wird in letzter Zeit auch der CO2-Fuß- könnte hier eine bessere Aufklärung sein, indem vermittelt abdruck einzelner Produkte ausgewiesen, um es dem Kun- wird, dass Waren, die das Mindesthaltbarkeitsdatum über- den zu ermöglichen, zwischen besonders klimafreundlich schritten haben, in vielen Fällen durchaus noch unbedenk- erzeugten Produkten und herkömmlichen Produkten zu lich verzehrt werden können (Europäische Kommission – unterscheiden. Allerdings ist die Berechnung und Auswei- Generaldirektion Umwelt 2010). Hier ist die Kampagne sung der Klimaauswirkungen von Lebensmittelproduktio- des BMELV „Jedes Mahl wertvoll. Unsere Lebensmittel“ nen mit großen methodischen Schwierigkeiten konfron- zu erwähnen, die unter anderem auf diese Problematik auf- tiert. So hat etwa das Pilotprojekt „Product Carbon merksam machen will (BMELV 2011b). Diskutiert wird Footprint“ (PCF 2009) gezeigt, dass zwar die Erhebung zudem, ob andere Bezeichnungen die Gewohnheiten der der Daten zum Kohlenstoff-Fußabdruck („CO2eq-Fußab- Verbraucher ändern könnten, zum Beispiel wenn die druck“, s. Tab. 3-1) für Unternehmen sinnvoll sein kann, Kennzeichnung „Mindesthaltbarkeitsdatum“ durch „posi- um Einsparpotenziale sichtbar zu machen. Häufig ist die tivere“ Bezeichnungen wie beispielsweise „am frisches- Methode jedoch sehr kompliziert. Zudem informiert das ten/besten vor …“ oder „voller Genuss bis …“ ersetzt Label ausschließlich über die Klimabilanz und lässt andere würde. Auch wird überlegt, zusätzlich noch einen Auf- Umweltprobleme außen vor. Kaufentscheidungen, mit de- druck „Essbar bis …“ einzuführen, der ein späteres Datum nen Klimaeffekte verringert werden, könnten somit wiede- markiert, bis zu dem das Produkt zwar beispielsweise rum in anderen Umweltbereichen wie der Biodiversität ne- nicht mehr die ursprüngliche Form und damit die volle gative Auswirkungen verstärken. Dieser Kritik müssen Produktqualität aufweist, aber noch genießbar ist (Debatte sich alle Labels stellen, die lediglich eine Umweltdimen- im Ernährungsausschuss des Bundestages am 19. Oktober sion abbilden. Darunter fallen unter anderem auch Indika- 2011 auf Antrag der FDP). Der SRU begrüßt diese Versu- toren wie der Wasser- oder der Flächen-Fußabdruck che als einen weiteren Baustein, um die Verschwendung (s. Tab. 3-1), welche allerdings zurzeit noch keine breite von Lebensmitteln zu verringern. Zurzeit ist jedoch über Anwendung bei der Produktkennzeichnung finden. Eindi- die Wirkung einzelner Vorschläge noch nicht genügend mensionale Labels können somit auch zu Fehlsteuerungen bekannt, um sich für oder gegen einen der Vorschläge aus- des Konsums führen. zusprechen. 220. Die ökologische Produktion von Lebensmitteln ge- fährdet im Vergleich zu konventionellen Produkten die 3.6.4 Kommunikationsinstrumente nutzen biologische Vielfalt weniger (vgl. Abschn. 3.2.7). Biosie- Labels gel stellen daher Indikatoren für ein Mehr an Naturschutz im Vergleich zu konventionellen Produkten dar. Nach bis- 219. Um Informationen für den Verbraucher unkompli- herigen Studien hat sich die Kennzeichnung über Labels ziert und schnell sichtbar und dadurch verstärkt verhal- im Bereich der Biolebensmittel auch tatsächlich bewährt tenslenkend zu gestalten, werden Labels als gezielte Pro- (KONRAD und SCHEER 2010, S. 117 ff.). So haben das duktinformation eingesetzt. Durch die Kennzeichnung deutsche Bio-Siegel und das Anbauverbandszeichen Bio- von Produkten mit entsprechenden Labels sollen die Ver- land einen hohen Bekanntheitsgrad. Zudem haben sie bei braucher motiviert werden, ökologisch vorteilhafte Pro- fast der Hälfte derjenigen, die die Kennzeichen kennen, dukte zu kaufen. Zum einen können Labels Konsumenten, einen Einfluss auf das Kaufverhalten. Beim Bio-Siegel die bereits gefestigte Präferenzen für solche Lebensmittel konnte auch eine Mehrpreisbereitschaft nachgewiesen haben, bei der Suche und bewussten Auswahl entspre- werden (ebd.). chender Produkte helfen. Darüber hinaus können bei Ver- brauchern, die ihren Konsum ökologisch-sozial orientie- Allerdings hat eine Umfrage durch das Bundesinstitut für ren wollen, durch eine eindeutige Kennzeichnung und Risikobewertung (BfR) aus dem Jahr 2010 gezeigt, dass Gegenüberstellung mit konventionellen Lebensmitteln die Vielzahl der existierenden Labels auch Nachteile hat. Präferenzen für den Kauf umweltfreundlich produzierter Wegen der großen Anzahl von Labels ist die Bekanntheit Lebensmittel mobilisiert und gestärkt werden. einzelner – von den oben genannten Biosiegeln und weni- gen anderen abgesehen – eher gering (KONRAD und Es lässt sich zwischen staatlich und privatwirtschaftlich SCHEER 2010, S. 163 f.). Insgesamt empfinden Verbrau- initiierten Zertifizierungssystemen unterscheiden. Ein von cher bereits die derzeit verwendeten Kennzeichnungen als der EU initiiertes Zertifizierungssystem zur Produktdiffe- zu vielfältig und damit verwirrend (BELZ und REISCH renzierung ist die EG-Öko-Verordnung (Verordnung (EG) 2007, S. 72). Eine weitere Steigerung der Vielfalt und Nr. 834/2007), die in Deutschland durch das Ökokennzei- Komplexität von Produktkennzeichnungen riskiert, Ver- chengesetz umgesetzt wurde. Unternehmen, die Produkte braucher zu überfordern und damit an Effektivität zu ver- erzeugen, aufbereiten oder importieren, welche sie mit lieren. dem Hinweis auf ökologische Erzeugung vermarkten, werden in regelmäßigen Abständen kontrolliert (BMELV 221. Stattdessen sollten nach Auffassung von TEUFEL 2011a). Daneben existiert vor allem im Bereich der Bio- et al. (2009, S. 74) die verschiedenen bestehenden (oder produkte eine Vielzahl privater Zertifikate und Labels auch zukünftigen) Kennzeichnungssysteme ermutigt wer- (z. B. Demeter, Naturland). Auch im Bereich der Fischerei den, sich selbstständig weiterzuentwickeln, um sich als existieren Labels, wie beispielweise das relativ bekannte Nachhaltigkeitszeichensystem zu qualifizieren. Solche Marine Stewardship Council-Label (MSC-Label), die Pro- Systeme sollten nicht nur die Beanspruchung des Klimas,

122 Förderung eines umweltbewussten Lebensmittelkonsums sondern auch die anderer natürlicher Ressourcen wie Bo- Einstieg in die dauerhafte Verwendung ökologisch er- den, Wasser und Biodiversität adressieren. Allerdings zeugter Lebensmittel zu ermöglichen. Bis jetzt nahmen stellt dies eine große Herausforderung dar und bestehende daran rund 160 Betriebe aus NRW teil. Die Kampagne komplexe integrierende Indikatoren wie der Teilindikator wurde 2005 auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet, Ökologie der DLG oder der DLG-Nachhaltigkeitsstan- indem sie Grundlage für die Biokampagne der (damali- dard für Marktfruchtbaubetriebe werden von den Produ- gen) Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen zenten aufgrund der hohen Kosten bislang nicht ange- Agrarwirtschaft (CMA) für den Außer-Haus-Markt „Bio – nommen. mir zuliebe“ (2007: 500 Teilnehmer) war. Innerhalb der Kampagne werden Beratungen, Schulungen und ver- 222. Aus Sicht des SRU ausgesprochen sinnvoll, trotz kaufsfördernde Mittel angeboten. Auch wurde als Teil der der bereits bestehenden Vielfalt an Labels, wäre die Ein- Kampagne in NRW die Gründung eines Netzwerkes von führung eines „Naturschutz-Siegels“. Es sollte Produkte „Bio-Mentoren“ gefördert. Hierbei geben Küchenleiter kennzeichnen, die auf Flächen mit Agrarumweltmaßnah- und Gastronomen ihre Erfahrungen an interessierte Kol- men oder Vertragsnaturschutz erwirtschaftet wurden. legen weiter. Nach diesem Vorbild wurden auch bereits Dies würde Fleisch und Milchprodukte aus extensiver Mentoren-Netzwerke in Bayern und Baden-Württemberg Viehhaltung bzw. Tiere (und Tierprodukte), die überwie- aufgebaut (Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfa- gend mit dem Aufwuchs extensiv bewirtschafteter Flä- len und Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirt- chen gefüttert wurden, betreffen. Durch dieses Natur- schaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nord- schutz-Siegel würde das öffentliche Gut „Natur- und rhein-Westfalen 2011). Weiter geht ein Konzept des Umweltschutz“ sichtbar und nachgefragt, und Landwirte, Vegetarierbunds Deutschland, das Einrichtungen zur Ge- die sich bewusst dafür einsetzen, würden zusätzlich hono- meinschaftsverpflegung adressiert. Auf einer Internet- riert (SRU 2009). Naturschutzgerecht bewirtschaftete plattform werden unter anderem Informationsangebote zu Flächen sind jedoch oft sehr klein, sodass deren Erträge Produktherkunft und Umweltverträglichkeit, Bezugsquel- in der Regel nicht gesondert vermarktet werden können. Nötig wären somit Kriterien, die es ermöglichen, die len von Lebensmitteln mit guter Klimabilanz, eine Daten- Kennzeichnung auf solche Produkte zu beschränken, die bank klimaschonender Rezepte und Materialien zur Aus- jedenfalls überwiegend auf naturschutzgerecht bewirt- lage in Betriebskantinen und Mensen zur Verfügung schafteten Flächen produziert wurden. Dabei muss jedoch gestellt. Durch letzteres können öffentliche Kantinen als darauf geachtet werden, dass nur solche Flächen ange- Foren für Informationen und Beratung rund um umwelt- rechnet werden, die einen besonderen Wert für den Natur- freundliche Ernährung und sparsamen Umgang mit Le- schutz besitzen. Zur Bestimmung dieser kann auf die bensmitteln genutzt werden). Die Plattform bietet auch Qualitätskriterien zurückgegriffen werden, die zur Identi- Fortbildungsmöglichkeiten zur Vermittlung von Umwelt- fikation von sogenannten High-Nature-Value-Flächen kompetenzen, Kommunikationstechniken und ernäh- (HNV-Flächen) – also für den Naturschutz besonders rungswissenschaftlichem Fachwissen über nachhaltige wertvolle Flächen – entwickelt wurden (Flächentypen, Ernährung (VEBU 2011). Die so angestrebte Aufge- Landschaftselemente und regional differenzierte Kenn- schlossenheit, zum Beispiel gegenüber einer weniger taxalisten). Für Deutschland wurde ein HNV-Flächenan- fleischbetonten Ernährung, soll sich positiv auf die Ver- teil von 13 % an der Landwirtschaftsfläche für das Jahr zehrgewohnheiten der Konsumenten zu Hause auswirken 2009 ermittelt (PAN 2011). und somit eine Multiplikatorwirkung entfalten (vgl. Tz. 195 f.).

Informations- und Kommunikationskampagnen 225. Ein weiterer Weg, um den Verbraucher zu errei- chen, führt über den Lebensmitteleinzelhandel und das 223. Adressat von Informations- und Kommunikations- verarbeitende Gewerbe. Gründe für die sehr große Le- kampagnen der Politik können die Konsumenten, Um- bensmittelverschwendung auf Ebene der Haushalte liegen weltverbände, der Lebensmitteleinzelhandel sowie die zum Beispiel darin, dass mehr gekauft wird, als gegessen Gastronomie sein. An die Verbraucher wendet sich bei- werden kann, dass Unkenntnis über die Haltbarkeit der spielsweise die Kampagne des BMELV „Jedes Mahl Produkte besteht, bzw. dass Mindesthaltbarkeitsdaten wertvoll: Unsere Lebensmittel“, in deren Rahmen Tipps falsch interpretiert oder die Produkte falsch gelagert wer- zur Vermeidung von Haushaltsabfällen verbreitet werden den (EUPOPP Project 2011, S. 7; Tab. 3-4). Produktinfor- (zu Möglichkeiten, Lebensmittelverluste zu vermeiden: Tab. 3-6, vgl. BMLEV 2011b). Die mit solchen Kampa- mationen auf Verpackungen und in den Läden könnten gnen angestrebte Erhöhung der Wertschätzung von Le- hier wichtige Hilfestellungen für einen sparsameren Um- bensmitteln kann nicht nur Lebensmittelverluste reduzie- gang mit Lebensmitteln liefern. Aber auch für einen ren, sondern auch die Bereitschaft erhöhen, für qualitativ nachhaltigen Warenkorb kann der LEH sowohl über die hochwertige und ökologisch vorteilhaftere Produkte ei- Präsentation der Waren als auch über die Vermittlung von nen höheren Preis zu zahlen. Informationen Impulse setzen (SPILLER 2005, S. 119). Da über 60 % der Kaufentscheidungen erst am Verkaufs- 224. Ein anderer Weg, die Konsumgewohnheiten zu än- ort getroffen werden (BLOCK und MORWITZ 1999), dern, führt über die Gastronomie. Als Beispiel sei hier die könnten hier große Potenziale erschlossen werden. Denk- Kampagne „Natur auf dem Teller“ genannt, welche 2000 bar wäre beispielsweise, dass Unternehmen, die beson- in NRW gestartet wurde und zum Ziel hatte, Einrichtun- ders ausgeprägte Anreize zu einem umweltfreundlichen gen der Gemeinschaftsverpflegung und Gastronomie den Konsum am Verkaufsort bieten, prämiert werden.

123 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik

So zeichnet zum Beispiel der Naturschutzbund Deutsch- NGOs, Bildungseinrichtungen und Unternehmen zu ver- land (NABU) mit dem im Jahre 2011 zum zweiten Mal netzen und um mit ihnen gemeinsam Strategien für einen vergebenen „grünen Einkaufskorb“ Lebensmittelmärkte umweltfreundlichen Lebensmittelkonsum zu erarbeiten aus, die mit ihrem Warenangebot und der -präsentation (BELZ und REISCH 2007, S. 295). den Kauf von umweltfreundlichen Produkten in besonde- rem Maße fördern (NABU-Preis „Grüner Einkaufskorb“ Um die Eigenverantwortung gesellschaftlicher Akteure für umweltfreundliche Lebensmittelmärkte, Pressemittei- für nachhaltigen Konsum zu aktivieren, haben BMU und lung vom 25. Oktober 2011). Ähnliche Auszeichnungen Umweltbundesamt (UBA) im Jahr 2011 den „Dialog könnten auch von der Politik angeregt werden. Nachhaltiger Konsum“ initiiert. Ziel dieser Dialogreihe ist es, akteurspezifische Handlungsstrategien zu identifi- zieren sowie strategische Kooperationen für Pilotprojekte 3.6.5 Bildung und Beratung ausbauen zu schaffen, welche die Eigenverantwortung der gesell- 226. Lebens- und Ernährungsstile bilden sich bereits schaftlichen Akteure stärkt. frühzeitig aus, wie empirische Studien zeigen (GER- 228. Gerade vor dem Hintergrund, dass insbesondere HARDS und RÖSSEL 2003; RAITHEL 2004; NOR- private Akteure wie der Lebensmitteleinzelhandel starken MANN 2007; vgl. Tz. 193 f.). Die Vermittlung von Kom- Einfluss auf das Konsumverhalten haben, bietet die Ein- petenzen im Bereich Ernährung und Lebensmittel kann richtung solcher Dialogforen oder Runder Tische die somit dann am wirksamsten Präferenzen für nachhaltige Möglichkeit, auch Maßnahmen zu entwickeln und durch- Konsummuster fördern, wenn sich die Bildungsangebote zuführen, die außerhalb des direkten politischen Einfluss- an Kinder und Jugendliche richten. Vor diesem Hinter- bereichs liegen. Besonders zur Reduzierung der Lebens- grund ist es besonders problematisch, dass es gerade im mittelverluste könnte die Einrichtung von Runden Alter der Lebens- und Ernährungsstilfindung nur wenige Tischen eine zentrale Maßnahme darstellen, da insbeson- Angebote zur Förderung einer umweltfreundlichen Er- dere hier große Reduktionspotenziale durch private Akti- nährung an allgemeinbildenden Schulen gibt. Da Ernäh- vitäten bestehen und die Politik vielfach nur sehr einge- rung kein eigenständiges Fach an diesen Schulen dar- schränkt Einfluss ausüben kann. Der vom Umwelt- und stellt, ist das Lernfeld Ernährung in den Bundesländern Landwirtschaftsministerium NRW 2010 eingerichtete mit unterschiedlichen Anteilen und Konzepten vertreten. Runde Tisch zur Reduktion von Lebensmittelverlusten Auch zur Förderung gesunder Ernährungsstile wird nach- (Pressemitteilung der NRW-Landesregierung vom drücklich gefordert, dem Thema in der schulischen Bil- 17. Dezember 2010) ist hier als ein Beispiel zu nennen, dung mehr Gewicht zu verleihen (DIXEY et al. 1999; nach dessen Vorbild ein solcher Runder Tisch auch auf HEINDL 2003; NORMANN 2007). Bundesebene eingerichtet werden könnte. Aber auch die außerschulische Bildung, Information und Es gibt eine Reihe von Maßnahmen zur Verringerung von Aufklärung sollte sich verstärkt diesem Thema zuwen- Lebensmittelverlusten, die der Politik nur auf indirektem den. So können zum Beispiel Verbraucherzentralen in ih- Wege zugänglich sind. Hierzu zählen zum Beispiel frei- rem Bemühen um Verbraucheraufklärung und -erziehung willige Informationsangebote durch den Handel. Da Ap- generell stärker unterstützt und von Seiten der Politik pelle an Verbraucher am effektivsten sind, wenn sie die mehr eigene Informations- und Aufklärungskampagnen Kunden am Verkaufsort erreichen, könnten sie mehr Wir- durchgeführt werden. Auch durch positive Vorbilder im kung zeigen, als Informationsangebote seitens der Politik Außer-Haus-Verzehr können Kompetenzen und Hand- über Medien oder an öffentlichen Stellen (Tz. 225). Auch lungsoptionen aufgebaut werden, indem zum Beispiel freiwillige Zusatzangaben seitens der Hersteller, die ne- Rezepte zum Nachkochen der jeweils umweltfreundliche- ben dem Mindesthaltbarkeitsdatum auf der Verpackung ren Mahlzeit ausgelegt werden (vgl. Tz. 224). Auskunft geben, bis wann Produkte unbedenklich geges- Insbesondere ist eine spürbare Reduktion der momentan sen werden können, auch wenn dann nicht mehr die volle sehr hohen Lebensmittelabfallmengen auf Ebene der Produktqualität gewährleistet ist („Essbar bis …“, Haushalte nur über eine konsequente Schulung im Um- Tz. 218), könnten im Rahmen eines solchen Runden Ti- gang mit Lebensmitteln zu erreichen. Diese muss bereits sches vereinbart werden. im Schulalter beginnen. Wenn der Einzelne in die Lage Um Lebensmittelverluste zu reduzieren, könnten Händler versetzt wird, selbst zu beurteilen, ob Lebensmittel noch sich selbst verpflichten, immer einen bestimmten Anteil genießbar sind, und fähig ist, sich auch aus Resten eine an Produkten, die bereits das Mindesthaltbarkeitsdatum Mahlzeit zusammenzustellen statt immer neue Produkte überschritten haben, vergünstigt anzubieten oder über die zu kaufen und die „alten“ wegzuwerfen, kann es langfris- genaue Bedeutung von Mindesthaltbarkeitsdaten am Ver- tig gelingen, diese Ressourcenverschwendung spürbar zu kaufsort aufzuklären. verringern. Eine Reduktion des Lebensmittelverlustes auf der ersten 3.6.6 Netzwerke schaffen Stufe der Wertschöpfungskette könnte erreicht werden, indem sich der Handel zum Beispiel darauf verständigt, 227. Um bereits bestehende Bemühungen zu unterstüt- einen bestimmten Prozentsatz an Obst und Gemüse der zen, aber auch um weitere Anstrengungen seitens privater Handelsklasse II zu listen oder eigene Qualitätsstandards Akteure anzuregen, kann die Politik Runde Tische ein- herunterzusetzen. Eine sinnvolle Maßnahme seitens der richten, um Verbraucherorganisationen, Verbände und Lebensmitteldienstleister wie Restaurants und Kantinen

124 Schlussfolgerungen könnte darin bestehen, dass sie ihre Gäste dazu anregen, 3.7 Schlussfolgerungen übrig gebliebene Speisen mitzunehmen statt liegenzulas- sen. Wird dem Gast direkt angeboten, die Reste einzupa- 230. Der Lebensmittelkonsum hat über Produktion, cken, ist er unter Umständen eher geneigt, Reste mit nach Verarbeitung und Transport ganz erheblichen Einfluss auf Hause zu nehmen, als wenn er sich selbst danach erkundi- die Umwelt. Dies gilt vor allem für den Fleischkonsum, gen muss. Die hohen Verluste im verarbeitenden Ge- aber auch für den Konsum von Milchprodukten. Obwohl viel von der sehr konkreten Ausgestaltung des Konsums werbe könnten verringert werden, indem die Verarbeiter abhängt, lassen sich ein paar allgemeingültige Leitlinien durch Behebung technischer Fehler in der Produktion die aufstellen, deren Berücksichtigung die vom Lebensmit- Verluste gezielt minimieren. Tabelle 3-6 fasst Möglich- telkonsum ausgehenden Umweltwirkungen deutlich ver- keiten zur Verringerung der Lebensmittelverluste inner- ringern. Sie können daher als Grundlage der umwelt- halb und außerhalb von Netzwerken zusammen. freundlichen Ausrichtung des Lebensmittelkonsums gelten. Angestrebt werden sollte: Tabelle 3-6 – eine Verringerung der Lebensmittelverluste, Maßnahmen zur Verringerung der – eine Reduktion des Konsums tierischer Produkte (v. a. Lebensmittelverluste Fleisch- und Milcherzeugnisse), – beim Konsum von Fleisch- und Milchprodukten: die Ausbau der Bildung im Bereich „Ernährung und Le- Bevorzugung von Produkten aus extensiver Weidehal- bensmittelzubereitung“ tung bzw. aus Fütterung mit extensiv produziertem Informationskampagnen zum Verständnis von „Min- Futter, desthaltbarkeitsdaten“ – die Bevorzugung von ökologisch hergestellten Pro- Verbesserung der Verpackungskennzeichnung, eventuell dukten bzw. von Produkten, die zur Erhaltung einer ar- Änderung der Kennzeichnung „Mindesthaltbarkeitsda- tenreichen Landschaft beitragen, tum“ – eine Reduktion des Konsums von Produkten aus Außer-Haus-Verpflegung: Anbieten verschiedener Por- Übersee, insbesondere jener, die mit dem Flugzeug tionsgrößen, Selbstbedienung, Möglichkeiten schaffen, transportiert wurden sowie Reste einzupacken – die Bevorzugung von saisonalem Obst und Gemüse, Einrichtung „Runder Tisch Lebensmittelverluste“ das im Freiland produziert wurde. Aktionen privater Akteure, die sich am Runden Tisch 231. Der Lebensmittelkonsum und mithin seine ökologi- vereinbaren ließen: schen Konsequenzen werden wesentlich durch die Aus- – Freiwillige Verbesserung der Verpackungsinforma- prägung der Verbraucherpräferenzen sowie bestehende tionen zur Haltbarkeit von Produkten Angebots- und Preisstrukturen determiniert. Diese Struk- turen und eine Vielzahl von Einflüssen auf die Verbrau- – Vermehrter Verkauf von „abgelaufenen“ aber noch cherpräferenzen stehen einem nachhaltigen Konsum häu- genießbaren Produkten zu reduzierten Preisen fig eher im Wege, als dass sie ihn fördern. Zudem ist der – Verringerung der Qualitätsanforderungen an Obst einzelne Konsument angesichts allgemeiner moralischer und Gemüse bzw. Erhöhung des Anteils an Waren Appelle zu nachhaltigem Konsum einerseits und entge- der Handelsklasse II gengesetzter realer Anreize andererseits häufig überfordert. Nachhaltiger Konsum ist somit eine gesamtgesellschaftli- – Problembewusstsein beim Konsumenten durch In- che Herausforderung, die eine kollektive Verantwortungs- formationsangebote am Verkaufsort schärfen übernahme erfordert. Ebenso wichtig ist es, Strukturen zu – Lebensmitteldienstleistung: vgl. Punkte unter „Au- schaffen, die dem Einzelnen umweltfreundlichen Konsum ßer-Haus-Verpflegung“ erleichtern und ermöglichen. Die negativen Auswirkungen auf die Umwelt, die die derzeitigen Konsummuster im Be- – Verarbeitendes Gewerbe: technische Optimierung in reich Ernährung haben, sind hinreichend gravierend, um der Produktion Eingriffe der Politik zu rechtfertigen. SRU/UG 2012/Tab. 3-6 232. Beim Kauf von Produkten ist eines der entschei- denden Kriterien für die Konsumenten der Preis. Preis- 229. Um all diesen möglichen Maßnahmen einen Rah- veränderungen stellen somit eine wichtige Steuerungs- men zu geben, wäre es wünschenswert, dass zunächst ein möglichkeit dar. Dazu eignen sich zum einen strengere Runder Tisch zur Reduzierung der Lebensmittelverluste Umweltanforderungen, die direkt die Produktion betref- auf Bundesebene eingerichtet wird und sich dieser dann fen und auf diese Weise auch externe Kosten internalisie- auf klare Selbstverpflichtungsziele einigt. Die Halbierung ren. Zum anderen sollte die Politik auch über Steuern len- der Verluste bis 2025, wie vom Europäischen Parlament kend eingreifen. Der Vorteil von konsumseitigen dringend empfohlen, kann ein solches Ziel sein (Europäi- Maßnahmen ist dabei, dass auch Importe erfasst werden sches Parlament – Ausschuss für Landwirtschaft und und dadurch Umweltprobleme nicht ins Ausland verscho- ländliche Entwicklung 2011). ben werden.

125 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik

Der SRU spricht sich deshalb für die Abschaffung des re- Akteure anregen, um die großen Potenziale, die sich vor duzierten Mehrwertsteuersatzes auf tierische Produkte allem durch Aktionen des Handels bieten, zu nutzen. Auf aus. Weiterhin sollten die Erfahrungen, die mit der Ein- dem Feld der Beeinflussung des Konsumverhaltens kann führung einer Steuer auf gesättigte Fettsäuren in Däne- überdies nur eine konzertierte Vorgehensweise Erfolg mark gemacht werden, evaluiert und eine Einführung bringen. Das von der Bundesregierung initiierte „Dialog- auch in Deutschland geprüft werden, wenn sich in Däne- vorhaben nachhaltiger Konsum“ bietet sich hier als Fo- mark positive Umweltwirkungen zeigen. Dies könnte rum an. auch positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Be- völkerung haben, denn mit einem zu hohen Fleischkon- 235. Die Politik sollte trotz aller Schwierigkeiten die sum sind gesundheitliche Risiken verbunden, welche sich Weiterentwicklung von eindimensionalen Labels, wie vor allem aus der Aufnahme von gesättigten Fettsäuren zum Beispiel des „CO2eq-Fußabdrucks“, hin zu mehrdi- ergeben. Die Einkommenswirkungen der induzierten mensionalen Labels, welche Informationen über die Be- Preiserhöhungen für tierische Produkte dürften aufgrund einflussung von Klima, Wasser, Boden und Biodiversität des in Deutschland sehr niedrigen Anteils der Ausgaben geben, fördern. Eine Erfolg versprechende Maßnahme für Lebensmittel an den Gesamtausgaben der Haushalte wäre zudem die Einführung eines „Naturschutz-Siegels“, gering bleiben. Dennoch ist darauf zu achten, dass nicht welches Produkte kennzeichnet, die auf für den Natur- die einkommensschwächsten Gruppen der Gesellschaft schutz besonders relevanten Flächen mit Agrarumwelt- am stärksten unter solchen steuerlichen Lösungen zu lei- maßnahmen oder Vertragsnaturschutz erwirtschaftet wur- den hätten. Dies kann durch entsprechende Gegensteue- den. Damit könnten die Konsumenten in Zukunft nicht rung in anderen Bereichen erreicht werden. nur ökologisch hergestellte Produkte leicht ausmachen und sich aus Gründen des Schutzes von Natur und Um- 233. Um die vom Lebensmittelkonsum ausgehenden welt für diese entscheiden, sondern auch einfacher erken- Umweltwirkungen zu verringern, ist es von zentraler nen, welche weiteren Produkte noch besonders ressour- Wichtigkeit, die hohen Lebensmittelverluste zu reduzie- censchonend sind. ren. Dies erfordert zum einen, verstärkt Informationskam- pagnen durchzuführen. Zum anderen muss an Schulen 236. Für die Umweltwirkung des Konsums spielt neben und an sonstigen Bildungseinrichtungen das Bildungsan- den Konsummustern auch die Produktion eine zentrale gebot zum Umgang mit Lebensmitteln generell verbessert Rolle. Beide Ansatzpunkte sind komplementär. Eine Re- werden. Zudem könnte viel über freiwillige Maßnahmen duktion des Konsums tierischer Produkte sowie die Ver- und die Bemühungen privater Akteure erreicht werden, ringerung der Lebensmittelverluste reduziert die Flächen- welche über die Einrichtung eines bundesweiten Runden ansprüche des einheimischen Konsums und erleichtert so Tisches zur Verringerung der Lebensmittelverluste akti- die Einführung stärkerer Umweltanforderungen an die viert werden sollten. Die Politik sollte sich ein klares Ziel europäische Landwirtschaft, ohne dass negative Umwelt- zur Reduktion der Lebensmittelverluste setzen, damit und Naturschutzauswirkungen in anderen Ländern zu be- diese keinesfalls – wie von der Europäischen Kommis- fürchten sind. sion angenommen – noch weiter ansteigen. Ambitionierte Ziele, wie das vom Europäischen Parlament angemahnte 3.8 Literatur Ziel der Halbierung der Verluste bis 2025, bilden den Rahmen für wirkungsvolle Maßnahmen. Antoniou, M., Brack, P., Carrasco, A., Fagan, J., Habib, M., Kageyama, P., Leifert, C., Nodari, R. O., Pengue, W. 234. Staatliche Stellen können weitere erwünschte Ver- (2010): GV-SOJA Nachhaltig? Verantwortungsbewusst? haltensänderungen durch Änderung der eigenen Beschaf- Bochum: GLS Bank. fung, durch Informationskampagnen, die sich an die Gas- tronomie, den Handel und den Verbraucher wenden, Apel, W. (2012): Verschiebebahnhof EU. Deutschland durch Vorgaben hinsichtlich der Verpackungskennzeich- braucht ein neues Tierschutzgesetz. In: AgrarBündnis nung und durch die Einführung bzw. Unterstützung von (Hrsg.): Landwirtschaft 2012. Der kritische Agrarbericht. zusätzlichen, freiwilligen Kennzeichnungen wie Labels Hamm: AbL Bauernblatt, S. 211–215. fördern. Wichtig ist es auch, die Beratungs- und Bil- Bartel, H., Blondzik, K., Claussen, U., Damian, H. P., dungsangebote im Bereich Ernährung zu verstärken. Döscher, K., Dubbert, W., Fricke, K., Fuß, F., Galander, C., Eine Änderung der Verpflegung in öffentlichen Einrich- Ginzky, H., Grimm, S., Heidemeier, J., Hilliges, F., Hirsch, S., tungen wie Kantinen und Mensen hin zu einer umwelt- Hoffmann, A., Hornemann, C., Jaschinski, J., Kabbe, C., schonenderen, zum Beispiel fleischarme Zusammenset- Kirschbaum, B., Koppe, K., Leujak, W., Mohaupt, V., zung der Speisen, bietet große Chancen, da neben der Naumann, S., Pickl, C., Rechenberg, B., Rechenberg, J., direkten Wirkung des veränderten Konsums auch indi- Reichel, J., Richter, S., Ringeltaube, P., Schlosser, U., rekte Effekte entstehen, wenn sich sowohl andere Anbie- Schmoll, O., Schulz, D., Schwirn, K., Stark, C., Szewzyk, R., ter im Außer-Haus-Bereich ein Vorbild daran nehmen als Ullrich, A., Völker, D., Walter, A., Werner, S., Wolter, R., auch die Konsumenten dadurch „auf den Geschmack“ Wunderlich, D. (2010): Wasserwirtschaft in Deutschland. kommen und auch im eigenen Einkauf Veränderungen Teil 1: Grundlagen. Dessau-Roßlau: UBA. vornehmen. Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (2010): Ero- Auch sollte die Politik vermehrt die Einrichtung von Dia- sionsschutz – Herausforderung für die Landwirtschaft. logforen und Runden Tischen zur Vernetzung privater 8. Kulturlandschaftstag. Freising-Weihenstephan: Bayeri-

126 Literatur sche Landesanstalt für Landwirtschaft. Schriftenreihe 3/ BMELV (2011b): Jedes Mahl wertvoll: unsere Lebens- 2010. mittel. Berlin: BMELV. http://www.bmelv.de/DE/Ernaeh rung/Wert-Lebensmittel/Wert-Lebensmittel_node.html Beck, S., Born, W., Dziock, S., Görg, C., Hansjürgens, B., (11.01.2012). Henle, K., Jax, K., Köck, W., Neßhöver, C., Rauschmayer, F., Ring, I., Schmidt-Loske, K., Unnerstall, H., Wittmer, H. BMELV, BMG (Bundesministerium für Gesundheit) (2006): Die Relevanz des Millennium Ecosystem Assess- (2008): IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde ment für Deutschland. Leipzig: UFZ. UFZ-Bericht 02/ Ernährung und mehr Bewegung. Nationaler Aktionsplan 2006. zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankhei- Belz, F.-M., Bilharz, M. (2005): Nachhaltiger Konsum: ten. Berlin: BMELV, BMG. Zentrale Herausforderung für moderne Verbraucherpoli- tik. Freising: Technische Universität München. Consumer BMG (2011): DART – Deutsche Antibiotika-Resistenz- Science – Diskussionsbeitrag 1. strategie. Berlin: BMG. BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Belz, F.-M., Reisch, L. A. (2007): Geteilte Verantwortung Reaktorischerheit), UBA (Umweltbundesamt) (2011): für nachhaltigen Konsum: Grundzüge einer polyzentri- Dialogprozess Konsum. Berlin, Dessau-Roßlau: BMU, schen Verbraucherpolitik. In: Belz, F.-M., Karg, G., Witt, D. UBA. http://www.dialogprozess-konsum.de/ (11.01.2012). (Hrsg.): Nachhaltiger Konsum und Verbraucherpolitik im 21. Jahrhundert. Marburg: Metropolis. Wirtschaftswissen- BMU (2010): Indikatorenbericht 2010 zur Nationalen schaftliche Nachhaltigkeitsforschung 1, S. 281–315. Strategie zur biologischen Vielfalt. Berlin: BMU. Bengtsson, J., Ahnstrom, J., Weibull, A. C. (2005): The Brandt, H. (2004): Kosten und Auswirkungen der ge- effects of organic agriculture on biodiversity and abun- meinsamen Agrarpolitik (GAP) in Deutschland. Berlin: dance: A meta-analysis. Journal of Applied Ecology 42 Oxfam Deutschland. (2), S. 261–269. Bringezu, S., Schütz, H. (2009): Nachhaltige Flächennut- BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) (2010): Deut- zung und nachwachsende Rohstoffe. Optionen einer sche Antibiotika-Resistenzsituation in der Lebensmittel- nachhaltigen Flächennutzung und Ressourcenschutzstra- kette – DARLink. Berlin: BfR. tegien unter besonderer Berücksichtigung der nachhalti- gen Versorgung mit nachwachsenden Rohstoffen. Des- BfR (2010): Wissenschaftliche Bewertung der Ergebnisse sau-Roßlau: Umweltbundesamt. UBA-Texte 34/09. des Resistenzmonitorings nach dem Zoonosen-Stichpro- Bruinsma, J. (Hrsg.) (2003): World agriculture: towards benplan 2009. Berlin: BfR. Stellungnahme 047/2010. 2015/2030. An FAO Perspektive. London: Earthscan. Bhatia, P., Cummis, C., Brown, A., Draucker, L., Rich, D., BTK (Bundestierärztekammer), AGTAM (Arbeitsgruppe Lahd, H. (2011): Product Life Cycle Accounting and Tierarzneimittel der Länderarbeitsgemeinschaft Verbrau- Reporting Standard. Washington, DC: World Resources cherschutz) (2010): Leitlinien für den sorgfältigen Um- Institute, World Business Council for Sustainable Deve- gang mit antibakteriell wirksamen Tierarzneimitteln. Mit lopment. Erläuterungen. Beilage zum Deutschen Tierärzteblatt Birk, D. (2010): Steuerrecht. 13., neu bearb. Aufl. Heidel- 2010 (10), S. 1–24. berg: C. F. Müller Schwerpunkte 17,3. Bürgerstiftung Bremen (2011): VEGGIDAY – Klima- schutz, Ernährung, Gesundheit, nachhaltige Esskultur. BLE (Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung) Bremen: Bürgerstiftung Bremen. http://veggiday.de/ (2003): Der ökologische Landbau und seine Produkte. (11.01.2012). Eine Arbeitshilfe für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Naturkostfachhandel. 2. Aufl. Bonn: Geschäftsstelle Bun- BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmit- desprogramm Ökologischer Landbau in der Bundesan- telsicherheit) (2010): Glyphosate – Comments from Ger- stalt für Landwirtschaft und Ernährung. many on the paper by Paganelli, A. et al. (2010): „Gly- phosate-based Herbicides Produce Teratogenic Effects on Blengini, G. A., Busto, M. (2009): The life cycle of rice: Vertebrates by Impairing Retinoic Acid Signaling“. Ber- LCA of alternative agri-food chain management systems lin: BVL. in Vercelli (Italy). Journal of Environmental Management 90 (3), S. 1512–1522. BVL, Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie, In- fektiologie Freiburg (2011): GERMAP 2010. Antibiotika- Block, L. G., Morwitz, V. G. (1999): Shopping lists as an Resistenz und -Verbrauch. Bericht über den Antibiotika- external memory aid for grocery shopping. Journal of verbrauch und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen Consumer Psychology 8 (4), S. 343–375. in der Human- und Veterinärmedizin in Deutschland. Rheinbach: Antiinfectives Intelligence Gesellschaft für BMELV (Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- klinisch-mikrobiologische Forschung und Kommunika- schaft und Verbraucherschutz) (2011a): Internetseiten des tion mbH. Biosiegels: Kontrollen nach EG-Rechtsvorschriften. Ber- lin: BMELV. http://www.bio-siegel.de/infos-fuer-zeichen Carlsson-Kanyama, A. (1998): Climate change and die- nutzer/kontrollen/ (11.01.2012). tary choices – how can emissions of greenhouse gases

127 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik from food consumption be reduced? Food Policy 23 EEA (2009): Progress towards the European 2010 biodi- (3–4), S. 277–293. versity target. Kopenhagen: EEA. EEA Report 4/09.

Christen, O., Hövelmann, L., Hülsbergen, K. J., Packei- EEAC (European Environment and Sustainable Develop- ser, M., Rimpau, J., Wagner, B. (2009): Nachhaltige land- ment Advisory Councils) (2009): Towards Sustainable wirtschaftliche Produktion in der Wertschöpfungskette European Infrastructures. Statement and background do- Lebensmittel. Berlin: Erich Schmidt. Initiativen zum Um- cument. Brüssel: EEAC. weltschutz 78. Effertz, T., Wilcke, A.-C. (2011): Do television food com- Collins, A., Fairchild, R. (2007): Sustainable Food Con- mercials target children in Germany? Public Health Nu- sumption at a Sub-national Level: An Ecological Foot- trition. 15 (8), S. 1466–1473. print, Nutritional and Economic Analysis. Journal of En- vironmental Policy & Planning 9 (1), S. 5–30. Elsen, T. van (2005): Einzelbetriebliche Naturschutzbera- Dam, J. van, Junginger, M., Faaij, A., Jürgens, I., Best, G., tung – eine bundesweite Perspektive für die Integration Fritsche, U. (2006): Overview of recent developments in von Naturschutzzielen auf landwirtschaftlichen Betrie- sustainable biomass certification. Paris: IEA. http://www. ben. In: FiBL Deutschland (Hrsg.): Beiträge zur Tagung bioenergytrade.org/downloads/ieatask40certificationpaper 6. bis 8. Oktober 2005 in Witzenhausen. Witzenhausen: draftforcomments22..pdf. FiBL Deutschland, S. 9–18. Dawkins, R. (2001): Sustainability Does Not Come Natu- Ernst, A. (2010): Individuelles Umweltverhalten – Pro- rally. A Darwinian Perspective on Values. The Values bleme, Chancen, Vielfalt. In: Welzer, H., Soeffner, H.-G., Platform for Sustainability Inaugural Lecture at the Royal Giesecke, D. (Hrsg.): Klimakulturen. Frankfurt am Main: Institution, 14.11.2001, The Environment Foundation, Campus, S. 128–143. Fishguard, UK. EUPOPP Project (2011): Policies to Promote Sustainable Delcourt, H. R., Delcourt, P. A. (1988): Quaternary land- Consumption patterns. Policy Brief. EUPOPP WP 6: scape ecology: Relevant scales in space and time. Land- Conclusions and Policy Recommendations, D. 6.1. scape ecology 2 (1), S. 23–44. Darmstadt: Öko-Institut.

Deutscher Bundestag (2011): Antwort der Bundesregie- Europäische Kommission (2009): Bericht der Kommis- rung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Friedrich sion an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäi- Ostendorff, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abge- schen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ausschuss der Regionen. Optionen für eine Tierschutz- Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung. Berlin: Deutscher kennzeichnung und den Aufbau eines europäischen Netz- Bundestag. Bundestagsdrucksache 17/6858. werks von Referenzzentren für den Tierschutz und das Deutscher Bundestag (2007): Antrag der Abgeordneten Wohlergehen der Tiere. KOM(2009) 584 endg. Brüssel: Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike Europäische Kommission. Höfken, Bärbel Höhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Dem Verlust an Agrobiodiversität entge- Europäische Kommission – Generaldirektion Umwelt genwirken. Berlin: Deutscher Bundestag. Bundestags- (2010): Preparatory study on food waste across EU-27. drucksache 16/5413. Final report. Brüssel: Europäische Kommission, General- direktion Umwelt. Technical report 2010-054. DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.) (2011): Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln Europäisches Parlament – Ausschuss für Landwirtschaft der DGE. 8. Aufl. Bonn: DGE. und ländliche Entwicklung (2011): Entwurf eines Berichts über das Thema „Schluss mit der Verschwendung von Le- Dixey, R., Heindl, I., Loureiro, I., Pérez-Rodrigo, C., bensmitteln – Strategien für eine effizientere Lebensmit- Snel, J., Warnking, P. (Hrsg.) (1999): Healthy eating for telversorgungskette in der EU“ (2011/XXXX(INI)). Straß- young people in Europe. A school-based nutrition educa- burg: Europäisches Parlament. tion guide. Copenhagen: European Network of Health Promoting Schools, WHO Regional Office for Europe. EuroStat (Statistisches Amt der Europäischen Union) (2011): Konsumausgaben der privaten Haushalte nach EBCC (European Bird Census Council) (2008): Europe’s Verwendungszwecken. Nahrungsmittel und alkoholfreie farmland birds continue to suffer from agricultural policy. Getränke. Luxemburg: EuroStat. http://epp.eurostat.ec. EU unlikely to meet its 2010 biodiversity target. http:// europa.eu/tgm/table.do?tab=table&plugin=1& language www.ebcc.info/index.php?ID=366 (09.02.2012). =de&pcode=tsdpc520 (05.01.2012). EBCC (2007): European wild bird indicators 2007 up- date. http://www.ebcc.info/ index.php?ID=291. Ewing, B., Moore, D., Goldfinger, S., Oursler, A., Reed, A., Wackernagel, M. (2010): Ecological Footprint Atlas EEA (European Environment Agency) (2010): The Euro- 2010. Oakland, Calif.: Global Footprint Network. http:// pean environment – State and outlook 2010. Consump- www.footprintnetwork.org/en/index.php/GFN/page/eco tion and the environment. Copenhagen: EEA. logical_footprint_atlas_2010 (09.02.2012).

128 Literatur

FEFAC (European Feed Manufacturers’ Federation) Aufklärung. Forschung und Praxis der Gesundheitsförde- (2010): Feed & Food. Statistical Yearbook 2009. Bruxel- rung 20. les: European Feed Manufacturers' Federation. Gerken, B., Krannich, R., Krawczynski, R., Sonnenburg, H., Flachowsky, G., Hachenberg, S. (2009): CO2-Footprints Wagner, H.-G. (2008): Hutelandschaftspflege und Arten- for Food of Animal Origin – Present Stage and Open schutz mit großen Weidetieren im Naturpark Solling- Questions. Journal für Verbraucherschutz und Lebensmit- Vogler. Bonn: Bundesamt für Naturschutz. Naturschutz telsicherheit 4 (2), S. 190–198. und Biologische Vielfalt 57. Foley, J. A., Ramankutty, N., Brauman, K. A., Cassidy, E. S., Grießhammer, R., Hochfeld, C. (2009): Product Carbon Gerber, J. S., Johnston, M., Mueller, N. D., O'Connell, C., Footprint. Memorandum. Position statement on measure- Ray, D. K., West, P. C., Balzer, C., Bennett, E. M., ment and communication of the product carbon footprint Carpenter, S. R., Hill, J., Monfreda, C., Polasky, S., for international standardization and harmonization pur- Rockstrom, J., Sheehan, J., Siebert, S., Tilman, D., Zaks, poses. Freiburg, Berlin, Darmstadt: Öko-Institut. D. P. M. (2011): Solutions for a cultivated planet. Nature Grünberg, J., Nieberg, H., Schmidt, T. (2010): Treibhaus- 478 (7369), S. 337–342. gasbilanzierung von Lebensmitteln (Carbon Footprints): foodwatch (2012): Kinder Kaufen. Wie die Lebensmittel- Überblick und kritische Reflektion. Landbauforschung 60 industrie Kinder zur falschen Ernährung verführt, Eltern (2), S. 53–72. täuscht und die Verantwortung abschiebt. Berlin: food- Gustavsson, J., Cederberg, C., Sonesson, U., Otterdijk, R. van, watch. Meybeck, A. (2011): Global food losses and food waste. foodwatch (2008): Klimaretter Bio? Der foodwatch-Re- Rom: Food and Agriculture Organization. port über den Treibhauseffekt von konventioneller und Haffmans, S. (2010): Auswirkungen chemisch-syntheti- ökologischer Landwirtschaft in Deutschland. Basierend scher Pestizide auf die biologische Vielfalt. Hamburg: auf der Studie „Klimawirkungen der Landwirtschaft in Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. Deutschland“ des Instituts für ökologische Wirtschafts- forschung (IÖW). Berlin: foodwatch. http://www.food Hawkes, C. (2004): Marketing Food to Children: the Glo- watch.de/foodwatch/content/e36/e68/e13683/e17357/e17 bal Regulatory Environment. Geneva: World Health Or- 367/foodwatch-Report_Klimaretter-Bio_20080825_ger. ganization. pdf (09.02.2012). Heindl, I. (2003): Studienbuch Ernährungsbildung. Ein Foster, C., Green, K., Bleda, M., Dewick, P., Evans, B., europäisches Konzept zur schulischen Gesundheitsförde- Flynn, A., Mylan, J. (2006): Environmental Impacts of rung. Bad Heilbrun/Obb.: Klinkhardt. Food Production and Consumption. Final Report. Lon- Heiskanen, E., Brohmann, B., Schönherr, N., Aalto, K. don: Department of Environment Food and Rural Affairs. (2009): Policies to Promote Sustainable Consumption: Freyer, B., Dorninger, M. (2008): Bio-Landwirtschaft und Framework for a Future-Oriented Evaluation. Turku: Fin- Klimaschutz in Österreich: Aktuelle Leistungen und zu- land Futures Research Centre, Turku School of Econo- künftige Potentiale der Ökologischen Landwirtschaft für mics. Future of the Consumer Society. Proceedings of the den Klimaschutz in Österreich. Wien: Institut für Ökolo- Conference „Future of the Consumer Society“, 28–29 gischen Landbau, Department für Nachhaltige Agrarsys- May 2009, Tampere, Finland. http://orgprints.org/16404/ teme. http://www.bio-austria.at/content/download/17281/ 1/consumer.pdf (12.01.2012). 136994/file/BIO%20AUSTRIA%20Klimastudie.pdf Henning, C., Michalek, J. (1992): Innovatives Konsum- (09.02.2012). verhalten für Nahrungsmittel? Ableitung und Schätzung Geiger, F., Bengtsson, J., Berendse, F., Weisser, W. W., eines auf Nahrungsmittel fokussierten kompletten Nach- Emmerson, M., Morales, M. B., Ceryngier, P., Liira, J., fragesytems unter Berücksichtigung von zeitlichen Präfe- Tscharntke, T., Winqvist, C., Eggers, S., Bommarco, R., renzänderungen. Agrarwirtschaft 41 (11), S. 330–342. Pärt, T., Bretagnolle, V., Plantegenest, M., Clement, L. W., Hirschfeld, J., Weiß, J., Preidl, M., Korbun, T. (2008): Dennis, C., Palmer, C., Onate, J. J., Guerrero, I., Hawro, Klimawirkungen der Landwirtschaft in Deutschland. Ber- V., Aavik, T., Thies, C., Flohre, A., Hänke, S., Fischeri, lin: Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung. C., Goedhart, P. W., Inchausti, P. (2010): Persistent nega- Schriftenreihe des IÖW 186/08. tive effects of pesticides on biodiversity and biological control potential on European farmland Basic and Ap- Hoekstra, A. Y., Chapagain, A. K., Aldaya, M. M., Me- plied Ecology 11 (2), S. 97–105. konnen, M. M. (2011): The Water Footprint Assessment Manual. Setting the Global Standard. London, Gerbens-Leenes, P. W., Nonhebel, S., Ivens, W. P. M. F. Washington, DC: Earthscan. (2002): A method to determine land requirements relating to food consumption patterns. Agriculture, Ecosystems Hoffmann, I. (2005): Sustainable Nutrition: Feasibility and Environment 90 (1), S. 47–58. and Consequences – An Overview Sustainability: back- ground and definition. In: Oltersdorf, U., Claupein, E., Gerhards, J., Rössel, J. (2003): Das Ernährungsverhalten Pfau, C., Stiebel, J. (Hrsg.): Consumer & Nutrition. Chal- von Jugendlichen im Kontext ihrer Lebensstile. Eine em- lenges and Chances for Research and Society. 9. Karlsru- pirische Studie. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche her Ernährungstage, 10. bis 12. Oktober 2004 in Karls-

129 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik ruhe. Karlsruhe: Bundesforschungsanstalt für Ernährung Kettunen, M., Terry, A., Tucker, G. (2007): Preparatory und Lebensmittel. Berichte der Bundesforschungsanstalt work for developing guidance on the maintenance of für Ernährung und Lebensmittel 2, S. 84–94. landscape connectivity features of major importance for wild flora and fauna. Guidance on the implementation of Hoffmann, I., Lauber, I. (2001): Gütertransporte im Zu- Article 3 of the Birds Directive (79/409/EEC) and Article sammenhang mit dem Lebensmittelkonsum in Deutsch- 10 of the Habitats Directive (92/43/EEC). London: Insti- land. Zeitschrift für Ernährungsökologie 2 (3), S. 187–193. tute for European Environmental Policy. Hötker, H., Rahmann, G., Jeromin, K. (2004): Positive Koerber, K. von, Kretschmer, J., Prinz, S., Dasch, E. Auswirkungen des Ökolandbaus auf Vögel der Agrar- (2009): Globale Nahrungssicherung für eine wachsende landschaft – Untersuchungen in Schleswig-Holstein auf Weltbevölkerung – Flächenbedarf und Klimarelevanz schweren Ackerböden. In: Rahmann, G., Elsen, T. van sich wandelnder Ernährungsgewohnheiten. Journal für (Hrsg.): Naturschutz als Aufgabe des Ökologischen Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 2009 (4), Landbaus Braunschweig: FAL. Landbauforschung Völ- S. 174–189. kenrode, Sonderheft 272, S. 43–59. Königliche Dänische Botschaft (2011): Die neue däni- Hünecke, K., Fritsche, U. R., Brohmann, B. (2010): Sus- sche Anti-Fett-Steuer ist angenommen. Berlin: Königli- tainability of consumption patterns: Historic and Future che Dänische Botschaft. www.ambberlin.um.dk/NR/ Trends for Europe. In: ERSCP (European Roundtable on ...58B2.../Anleitungfettsteuer20112.pdf (12.01.2012). Sustainable Consumption and Production), EMSU (Envi- ronmental Management for Sustainable Universities) Konrad, W., Scheer, D. (2010): Grenzen und Möglichkei- (Hrsg.): Knowledge Collaboration & Learning for Sustai- ten der Verbraucherinformation durch Produktkennzeich- nable Innovation: 14th European Roundtable on Sustaina- nung. Berlin: Bundesinstitut für Risikobewertung. BfR- ble Consumption and Production (ERSCP) conference Wissenschaft 2010,5. and the 6th Environmental Management for Sustainable Korn, S. von (2009): Landschaftspflege mit Weidetieren. Universities (EMSU) conference, Delft, The Netherlands, Bonn: Bundesamt für Naturschutz. Naturschutz und Bio- October 25–29, 2010. Delft: University of Technology, logische Vielfalt 71. S. 1–21. Kraft, J., Collomb, M., Möckel, P., Sieber, R., Jahreis, G. Jarvis, S., Hutchings , N., Brentrup , F., Olesen, J. E., (2003): Differences in CLA isomer distribution of cow’s Hoek, K. W. van de (2011): Nitrogen flows in farming sys- milk lipids. Lipids 38 (6), S. 657–664. tems across Europe. In: Sutton, M. A., Howard, C. M., Erisman, J. W., Billen, G., Bleeker, A., Grennfelt, P., Grins- Kranert, M., Hafner, G., Barabosz, J., Schneider, F., Le- ven, H. van, Grizzetti, B. (Hrsg.): The European Nitrogen bersorger, S., Scherhaufer, S., Schuller, H., Leverenz, D. Assessment. Sources, effects and policy perspectives. (2012): Ermittlung der weggeworfenen Lebensmittel- Cambridge: Cambridge University Press, S. 211–228. mengen und Vorschläge zur Verminderung der Wegwerf- rate bei Lebensmitteln in Deutschland. Kurzfassung. Jungbluth, N. (2000): Umweltfolgen des Nahrungsmittel- Stuttgart: Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- konsums: Beurteilung von Produktmerkmalen auf Grund- und Abfallwirtschaft. lage einer modularen Ökobilanz. Zürich, Eidgenössische Technische Hochschule, Departement für Umweltnatur- Lakkakula, A. P. (2011): Building Children‘s liking and wissenschaften, Umweltnatur- und Umweltsozialwissen- preferences for fruits and vegetables through school- schaften, Dissertation. based interventions. Baton Rouge, La., Louisiana State University and Agricultural and Mechanical College, Just, D. R., Mancina, L., Wansink, B. (2007): Could be- School of Human Ecology, Dissertation. havioral economics help improve diet quality for nutrition assistance program participants? Washington, DC: United Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Ministe- States Department of Agriculture, Economic Research rium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- Service. Economic research report 43. und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (2011): Ihr Ökolandbauportal für NRW: Öko-Lebensmit- Just, D. R., Wansink, B. (2009): Smarter Lunchrooms: tel in Großküchen und Gastronomie. Bio-Vermarktung an Using Behavioral Economics to improve meal selection. Großküchen ausgeweitet. Bonn: Landwirtschaftskammer Choices 24 (3). http://ageconsearch.umn.edu/bitstream/ Nordrhein-Westfalen, Ministerium für Klimaschutz, Um- 94315/2/2009306.pdf (12.01.2012). welt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. http://www.oekolandbau. Kelly, B., Halford, J. C. G., Boyland, E. J., Chapman, K., nrw.de/fachinfo/verarbeitung/ahv_kampagne.php Bautista-Castaño, I., Berg, C., Caroli, M., Cook, B., Cou- (12.01.2012). tinho, J. G., Effertz, T., Grammatikaki, E., Keller, K., Leung, R., Manios, Y., Monteiro, R., Pedley, C., Prell, H., LANUV NRW (Landesamt für Natur, Umwelt und Ver- Raine, K., Recine, E., Serra-Majem, L., Singh, S., Sum- braucherschutz Nordrhein-Westfalen) (2012): Evaluie- merbell, C. (2010): Television Food Advertising to Chil- rung des Antibiotikaeinsatzes in der Hähnchenhaltung. dren: A Global Perspective. American Journal of Public Überarbeiteter Abschlussbericht. Recklinghausen: LA- Health 100 (9), S. 1730–1736. NUV NRW.

130 Literatur

Leip, A., Weiss, F., Wassenaar, T., Perez, I., Fellmann, T., MRI (Max Rubner-Institut) (2008a): Nationale Verzehrs- Loudjani, P., Tubiello, F., Grandgirard, D., Monni, S., studie II. Ergebnisbericht, Teil 1. Karlsruhe: MRI, Bun- Biala, K. (2010): Evaluation of the livestock sector’s con- desforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel. tribution to the EU greenhouse gas emissions (GGELS). MRI (2008b): Nationale Verzehrsstudie II. Ergebnisbe- Final report. Ispra: European Commission, Joint Research richt, Teil 2. Karlsruhe: MRI, Bundesforschungsinstitut Centre. Administrative Arrangements AGRI-2008-0245, für Ernährung und Lebensmittel. AGRI-2009-0296. Naturland – Verband für ökologischen Landbau (Hrsg.) Lerch, A. (2000): Das Prinzip der Konsumentensouverä- (2011): Naturland Richtlinien Erzeugung. Gräfelfing: Na- nität aus ethischer Sicht. Zeitschrift für Wirtschafts- und turland – Verband für ökologischen Landbau. Unternehmensethik 1 (2), S. 174–186. Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirt- Linn, S. (2010): Commercialism in Children’s Lives. In: schaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung, Nie- Worldwatch Institute (Hrsg.): State of the World 2010. dersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Transforming Cultures. From Consumerism to Sustaina- Lebensmittelsicherheit (2011): Bericht über den Antibio- bility. A Worldwatch Institute report on progress toward a tikaeinsatz in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung in sustainable society. New York, London: Norton. Niedersachsen. Hannover, Oldenburg: Niedersächsisches Lugschitz, B., Bruckner, M., Giljum, S. (2011): Europe’s Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucher- Global Land Demand. A study on the actual land embo- schutz und Landesentwicklung, Niedersächsisches Lan- died in European imports and exports of agricultural and desamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicher- forestry products. Final report. Vienna: Sustainable Eu- heit. rope Research Institute. Normann, K. v. (2007): Münsteraner Ernährungsmuster- Lynch, D. H., MacRae, R., Martin, R. C. (2011): The Car- und Lebensstilstudie bei Schulkindern „MEALS“ 2006. bon and Global Warming Potential Impacts of Organic Münster: Institut für Ökonomische Bildung, Westfälische Farming: Does It Have a Significant Role in an Energy Wilhelms-Universität. IÖB-Diskussionspapier 5/07. Constrained World? Sustainability 3 (2), S. 322–362. Oheimb, G. von, Eischeid, I., Finck, P., Grell, H., Härdtle, W., MA (Millennium Ecosystem Assessment) (2005): Eco- Mierwald, U., Riecken, U., Sandkühler, J. (2004): Halb- systems and Human Well-being: Biodiversity Synthesis. offene Weidelandschaft Höltigbaum – Perspektiven für Washington, DC: Island Press. den Erhalt und die naturverträgliche Nutzung von Offen- landlebensräumen Bonn: Bundesamt für Naturschutz. Marsh-Patrick, A., Allison, C. (2010): Company GHG Naturschutz und Biologische Vielfalt 36. Emissions Reporting – a Study on Methods and Initia- Öko-Institut (2010): GEMIS (Globales Emissions-Modell tives (ENV.G.2/ETU/2009/0073). Revised Final Report. Integrierter Systeme, Ergebnisdaten aus GEMIS 4.6 aus Manchester: Environmental Resources Management. dem Jahre 2010). Freiburg, Berlin, Darmstadt: Öko-Insti- Mauerer, N. (1995): Die Wirkung absatzpolitischer In- tut. http://www.oeko.de/service/gemis (09.02.2012). strumente. Metaanalyse empirischer Forschungsarbeiten. Osterburg, B., Nieberg, H., Rüter, S., Isermeyer, F., Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag. Haenel, H.-D., Hahne, J., Krentler, J.-G., Paulsen, H. M., McAfee, A. J., McSorley, E. M., Cuskelly, G. J., Moss, B. W., Schuchardt, F., Schweinle, J., Weiland, P. (2009): Erfas- Wallace, J. M., Bonham, M. P., Fearon, A. M. (2010): sung, Bewertung und Minderung von Treibhausgasemis- Red meat consumption: an overview of the risks and be- sionen des deutschen Agrar- und Ernährungssektors. nefits. Meat Science 84 (1), S. 1–13. Braunschweig, Hamburg, Trenthorst: Johann Heinrich von Thünen-Institut. Arbeitsberichte aus der vTI-Agra- McClean, C. J., Berg, L. J. L. van den, Ashmore, M. R., rökonomie 3/2009. Preston, C. D. (2011): Atmospheric nitrogen deposition explains patterns of plant species loss. Global Change PAN (Planungsbüro für angewandten Naturschutz), IFAB Biology 17 (9), S. 2882–2892. (Institut für Agrarökologie und Biodiversität), ILN (Insti- tut für Landschaftsökologie und Naturschutz) (2011): Mertens, M. (2011): Glyphosat und Agrogentechnik. Ri- Umsetzung des High Nature Value Farmland-Indikators siken des Anbaus herbizidresistenter Pflanzen für Mensch in Deutschland. Ergebnisse eines Forschungsvorhabens und Umwelt. Berlin: NABU. (UFOPLAN FKZ 3508 89 0400). München, Mannheim Mogharreban, C., Nahikian-Nelms, M. (1996): Auto- und Singen: PAN, IFAB, ILN. nomy at Mealtime: Building Healthy Food Preferences Parfitt, J., Barthel, M., Macnaughton, S. (2010): Food and Eating Behaviors in Young Children. Early Child- waste within food supply chains: quantification and po- hood Education Journal 24 (1), S. 29–32. tential for change to 2050. Philosophical Transactions of the Royal Society / B 365 (1554), S. 3065–3081. Moll, S., Watson, D. (2009): Environmental Pressures from European Consumption and Production. A study in PCF Pilotprojekt Deutschland (2009): Product Carbon integrated environmental and economic analysis. Copen- Footprinting – Ein geeigneter Weg zu klimaverträglichen hagen: European Topic Centre on Sustainable Consump- Produkten und deren Konsum? Erfahrungen, Erkennt- tion and Production. ETC/SCP working paper 1/2009. nisse und Empfehlungen aus dem Product Carbon Foot-

131 Lebensmittelkonsum als Gegenstand von Politik print Pilotprojekt Deutschland. Ergebnisbericht. Berlin: Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011): PCF Pilotprojekt Deutschland. Agrarstrukturen in Deutschland. Einheit in Vielfalt. Re- gionale Ergebnisse der Landwirtschaftszählung 2010. Popp, A., Lotze-Campen, H., Bodirsky, B. (2010): Food Stuttgart: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg. consumption, diet shifts and associated non-CO2 green- house gases from agricultural production. Global Envi- Statistisches Bundesamt (2011): Verkehrsleistung. Güter- ronmental Change 20 (3), S. 451–462. beförderung. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. http:// Quack, D., Rüdenauer, I. (2007): Stoffstromanalyse rele- www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Inter vanter Produktgruppen. Energie- und Stoffströme der pri- net/DE/Content/Statistiken/Verkehr/Gueterbefoerderung/ vaten Haushalte in Deutschland im Jahr 2005. Teilprojekt Tabellen/Content75/Gueterbefoerderung,templateId=ren „EcoTopTen – Innovationen für einen nachhaltigen Kon- derPrint.psml (10.02.2012). sum (Hauptphase)“. Freiburg, Berlin, Darmstadt: Öko-In- Sunstein, C. R., Thaler, R. H. (2003): Libertarian Paterna- stitut. lism Is Not an Oxymoron. The University of Chicago Raithel, J. (2004): Lebensstil und gesundheitsrelevantes Law Review 70 (4), S. 1159–1202. Verhalten im Jugendalter. Soziale Welt 55 (1), S. 75–94. Sutton, M. A., Howard, C. M., Erisman, J. W., Billen, G., Rückert-John, J. (2005): Zukunftsfähigkeit der Ernährung Bleeker, A., Grennfelt, P., Grinsven, H. van, Grizzetti, B. außer Haus. In: Brunner, K.-M., Schönberger, G. U. (2011): The European Nitrogen Assessment. Cambridge: (Hrsg.): Nachhaltigkeit und Ernährung. Produktion – Cambridge University Press. Handel – Konsum. Frankfurt am Main, New York: Cam- pus, S. 240–262. Swedish Chemicals Agency, Swedish Environmental Protection Agency (2011): Swedish Consumption and the Samuelson, P. A., Nordhaus, W. D. (2010): Volkswirt- Global Environment. Sundbyberg, Stockholm: Swedish schaftslehre. Das internationale Standardwerk der Makro- Chemicals Agency, Swedish Environmental Protection und Mikroökonomie. 4., aktualisierte Aufl. München: mi- Agency. Wirtschaftsbuch. Taylor, C. (2000): Ökologische Bewertung von Ernäh- SCBD (Secretariat of the Convention on Biological Di- rungsweisen anhand ausgewählter Indikatoren. Gießen, versity) (2010): COP 10 Decision X/2. Strategic Plan for Justus-Liebig-Universität, Fachbereich Agrarwissenschaf- Biodiversity 2011–2020. Montreal: SCBD. http://www. ten, Ökotrophologie und Umweltmanagement, Disserta- cbd.int/decision/ cop/?id=12268 (19.12.2011). tion. Schrader, U., Thøgersen, J. (2011): Putting Sustainable Teufel, J., Rubik, F., Scholl, G., Stratmann, B., Graulich, K., Consumption into Practice. Journal of Consumer Policy Manhart, A. (2009): Untersuchung zur möglichen Ausge- 34 (1), S. 3–8. staltung und Marktimplementierung eines Nachhaltig- Smil, V. (2002): Worldwide transformation of diets, bur- keitslabels zur Verbraucherinformation. Endbericht. Frei- dens of meat production and opportunities for novel food burg, Berlin: Öko-Institut, Institut für ökologische proteins. Enzyme and Microbial Technology 30 (3), Wirtschaftsforschung. S. 305–311. Thaler, R. H., Sunstein, C. R. (2009): Nudge. Improving Smith, T. G. (2004): The McDonald’s Equilibrium Adver- decisions about health, wealth and happiness. Rev. and tising, Empty Calories, and the Endogenous Determina- expended ed. New York: Penguin Books. tion of Dietary Preferences. Social Choice and Welfare 23 (3), S. 383–413. Thiele, S. (2008): Elastizitäten der Nachfrage privater Haushalte nach Nahrungsmitteln – Schätzung eines AIDS Sonnenberg, A., Chapagain, A., Geiger, M., August, D. auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (2009): Der Wasser-Fußabdruck Deutschlands. Frankfurt 2003. Agrarwirtschaft 57 (5), S. 258–268. am Main: WWF Deutschland. Tipke, K., Lang, J. (2010): Steuerrecht. 20., völlig über- Spiller, A. (2005): Nachhaltigkeit in Distribution und arb. Aufl. Köln: O. Schmidt. Handel. In: Brunner, K.-M., Schönberger, G. U. (Hrsg.): Nachhaltigkeit und Ernährung. Produktion – Handel – UBA (Umweltbundesamt) (2011a): Daten zur Umwelt. Konsum. Frankfurt am Main, New York: Campus, Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft und Stickstoff- S. 107–128. überschuss. Dessau-Roßlau: UBA. http://www.umwelt- bundesamt-daten-zur-umwelt.de/umweltdaten/public/ SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen) (2009): theme.do?nodeIdent=3639 (06.02.2012). Für eine zeitgemäße Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Berlin: SRU. Stellungnahme 14. UBA (2011b): Nationale Trendtabellen für die deutsche SRU (2008): Umweltgutachten 2008. Umweltschutz im Berichterstattung atmosphärischer Emissionen. 1990–2009, Zeichen des Klimawandels. Berlin: Erich Schmidt. klassische Luftschadstoffe. Dessau-Roßlau: UBA. http:// www.umweltbundesamt.de/emissionen/archiv/EM_Entw SRU (2007): Arzneimittel in der Umwelt. Berlin: SRU. icklung_in_D_Trendtabelle_LUFT_v1.3.0_out.xls.zip Stellungnahme 12. (06.02.2012).

132 Literatur

UBA (2010): Stickstoff – zuviel des Guten? Überlastung WHO (World Health Organization) (2011): Tackling anti- des Stickstoffkreislaufs zum Nutzen von Umwelt und biotic resistance from a food safety perspective in Eu- Mensch wirksam reduzieren. Dessau-Roßlau: UBA. rope. Copenhagen: WHO, Regional Office for Europe. UBA (2009): „Kupfer im Pflanzenschutz – geht es auch WHO (2003): Diet, Nutrition, and the Prevention of ohne?“ Eine Fachkonferenz veranstaltet vom Bundes- Chronic Diseases. Geneva: WHO. WHO Technical Re- ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- port Series 916. heit (BMU), 09.06.2009, Bundespresseamt/Presse- und Wiegmann, K., Eberle, U., Fritsche, U., Hünecke, K. Besucherzentrum, Berlin. Dessau-Roßlau: UBA. (2005): Ernährungswende. Umweltauswirkungen von Er- VEBU (Vegetarierbund Deutschland) (2011): GV-nach- nährung – Stoffstromanalysen und Szenarien. Darmstadt, haltig. Berlin: VEBU. http://www.gv-nachhaltig.de/ Hamburg: Öko-Institut. Diskussionspapier 7. start.html (06.03.2012). Wildner, S., Cramon-Taubadel, S. von (2000): Die Be- deutung von Veränderungen der Nachfrage für die Wett- Vögtlin, J., Wippel, B., Weiß, D. (2009): Das Potenzial bewerbsfähigkeit des Agrarsektors: Erste Ergebnisse ei- von Ochsen in Extensivweidesystemen. Eine Nutzungs- ner neuen Nachfrageschätzung. In: Alvensleben, R. von, variante zur Erhaltung artenreichen Grünlands. Natur- Koester, U., Langbehn, C. (Hrsg.): Wettbewerbsfähigkeit schutz und Landschaftsplanung 41 (7), S. 205–208. und Unternehmertum in der Land- und Ernährungswirt- Wandtke, A.-A. (Hrsg.) (2011): Medienrecht. Praxishand- schaft. Münster-Hiltrup: Landwirtschaftsverlag. Schriften buch. Bd. 1: Europäisches Medienrecht und Durchset- der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaf- zung des geistigen Eigentums. 2. Aufl. Berlin: de Gruyter. ten des Landbaues 36, S. 63–74. Wingender, R., Weddeling, K., Beinlich, B., Hill, B., Wansink, B., Just, D. R., Payne, C. R. (2009): Mindless Köstermeyer, H. (2002): Die Bedeutung der landwirt- Eating and Healthy Heuristics for the Irrational. Ameri- schaftlichen Nutzung für die Vielfalt wildlebender Tiere can Economic Review 99 (2), S. 165–169. und Pflanzen in Deutschland. Literaturstudie. Bonn, Mar- WCRF (World Cancer Research Fund), AICR (American burg: Institut für Landwirtschaftliche Botanik, Universi- Institute for Cancer Research) (2007): Ernährung, körper- tät Bonn, Bioplan Marburg. 00HS057. liche Aktivität und Krebsprävention: Eine globale Per- Witzke, H. von (2011): Öffentliche Anhörung des Bun- spektive. Zusammenfassung. London, Washington, DC: destagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und WCRF, AICR. Verbraucherschutz am 04.04.2011. Berlin: Deutscher Bundestag. Ausschussdrucksache 17(10)451-E. http:// Weiß, D., Kienberger, H., Eichinger, H. M. (2006): Fett- www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a10/anhoe säuremuster der Milch in Abhängigkeit praxisüblicher rungen/__A_04_4_2011_Welternaehrung/Stellungnahmen Fütterungsstrategien. Vortrag, Interdisziplinäres Sympo- /A-Drs__451-E.pdf (12.01.2012). sium: Omega-3 Weidemilch – Chancen und Möglichkei- ten für Milch- und Rindfleischerzeugnisse vom Grünland, Wyss, U., Collomb, M., Frey, H. J., Hofstetter, P. (2010): 14.03.2006, Kempten. Jahresverlauf der Fettsäuren in der Milch bei Weide- oder Stallfütterung. In: Kreuzer, M., Lanzine, T., Wanner, M., Weizsäcker, C. C. von (2002): Welfare Economics bei en- Bruckmaier, R., Bee, G. (Hrsg.): Landwirtschaftliche und dogenen Präferenzen:Thünen-Vorlesung 2001. Perspekti- veterinaሷrmedizinische Tierernaሷhrungsforschung im Ver- ven der Wirtschaftspolitik 3 (4), S. 425–446. bund. Tagungsbericht, 6. Mai 2010. Zürich: Institut für Pflanzen-, Tier- und Agrarökosystem-Wissenschaften, Welfens, P. J. (2010): Grundlagen der Wirtschaftspolitik. Tierernährung. ETH-Schriftenreihe zur Tierernährung 33, Institutionen – Makroökonomik – Politikkonzepte. 4., S. 176–179. überarb. und erw. Aufl. Berlin: Springer. Xue, X., Landis, A. E. (2010): Eutrophication Potential of Wernsmann, R. (2005): Verhaltenslenkung in einem ratio- Food Consumption Patterns. Environmental Science & nalen Steuersystem. Tübingen: Mohr Siebeck. Jus Publi- Technology 44 (16), S. 6450–6456. cum 135. Zimmermann, F., Bell, J. F. (2010): Associations of Tele- White, T. (2000): Diet and the distribution of environ- vision Content Type and Obesity in Children. American mental impact. Ecological Economics 34 (1), S. 145–153. Journal of Public Health 100 (2), S. 334–340.

133

Kapitel 4

Inhaltsverzeichnis Seite

4 Güterverkehr und Klimaschutz ...... 137

4.1 Einleitung ...... 137 4.2 Bestand und Entwicklungen ...... 137 4.2.1 Historische Entwicklung und Status quo ...... 137 4.2.1.1 Verkehrsleistung ...... 137 4.2.1.2 Energiebedarf ...... 139

4.2.1.3 CO2-Emissionen ...... 140 4.2.2 Zu erwartende Trends ...... 141 4.3 Ziele und Handlungsmöglichkeiten ...... 143 4.3.1 Anforderungen an einen nachhaltigen Güterverkehr bis 2050 . . . . 143 4.3.2 Ansätze zur Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Güterverkehr ...... 145 4.3.3 Effizienzsteigerungen ...... 147 4.3.4 Verkehrsverlagerung auf die Schiene ...... 148 4.3.5 Energieträgersubstitution im Straßengüterverkehr ...... 150 4.3.5.1 Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs ...... 150 4.3.5.2 Biokraftstoffe ...... 152 4.3.5.3 Wasserstoff und synthetische Kohlenwasserstoffe ...... 153 4.4 Politische Ansätze zur Flankierung der Neuausrichtung des Gütertransports ...... 154 4.4.1 Ökonomische Instrumente ...... 154 4.4.1.1 Emissionsbepreisung ...... 154 4.4.1.2 Maut und Straßenbenutzungsgebühren ...... 156

4.4.2 CO2-Standards für schwere Nutzfahrzeuge ...... 157 4.4.3 Entwicklung eines zukunftsfähigen Verkehrsnetzes ...... 158 4.4.3.1 Schwächen der Bundesverkehrswegeplanung ...... 158 4.4.3.2 Neuausrichtung der Bundesverkehrswegeplanung ...... 159 4.4.4 Flankierende planungs- und ordnungsrechtliche Instrumente . . . . 160 4.4.5 Forschungsbedarf, Test- und Demonstrationsprojekte ...... 162 4.5 Schlussfolgerungen und Empfehlungen ...... 162 4.6 Literatur ...... 164

Abbildungen

Abbildung 4-1 Entwicklung der Güterverkehrsleistung zwischen 1995 und 2010 nach Modi ...... 138 Abbildung 4-2 Güterverkehrsleistung nach Modi und Güterabteilungen im Jahr 2010 ...... 139

135 Güterverkehr und Klimaschutz

Seite

Abbildung 4-3 Entwicklung von Güterverkehrsaufkommen, Güterver- kehrsleistung, CO2-Emissionen und BIP in Deutschland . 140

Abbildung 4-4 Vergleich der CO2-Emissionsentwicklungen und der Minderungsziele im Güterverkehr in Deutschland ...... 144

Abbildung 4-5 Entwicklung der CO2-Emissionen des Güterverkehrs und Größenordnungen der Reduktionspotenziale verschiedener Maßnahmen ...... 150 Abbildung 4-6 Vergleich verschiedener Konversionspfade im Verkehrs- sektor in Bezug auf die am Rad nutzbare mechanische Energie ...... 152

Tabelle

Tabelle 4-1 Szenarien zur zukünftigen Güterverkehrsleistung ...... 141

136 Bestand und Entwicklungen

4 Güterverkehr und Klimaschutz

4.1 Einleitung wicklungen zeigt deutlich, dass zusätzlicher Handlungs- bedarf besteht, um die gesteckten Klimaschutzziele zu 237. Die CO -Emissionen des Straßengüterverkehrs 2 erreichen. sind eines der großen ungelösten Probleme der deutschen Klimapolitik. Während sich mit drastisch erhöhter Ener- gieeffizienz im Bereich der Raumwärmebereitstellung Güterverkehr: Segmentierungen und Maßeinheiten und einer vollständigen Umstellung der deutschen Strom- erzeugung auf regenerative Energiequellen praktikable Der Güterverkehr umfasst die Beförderung von Gütern Lösungen für wichtige Emissionsbereiche abzeichnen mittels verschiedener Verkehrsträger (Modi). Grund- und auch im Bereich des motorisierten Individualver- sätzlich lässt sich der motorisierte Güterverkehr in die kehrs regenerative Elektromobilität auf der Basis von Modi Straßengüterverkehr (Lkws), Schienengüterver- Batteriesystemen in greifbare Nähe rückt, werden im Be- kehr, Frachtschiffverkehr (See- und Binnenschiffe) und reich des Straßengüterverkehrs bisher nicht einmal mögli- Luftfrachtverkehr (v. a. Flugzeuge) unterteilen (Modal che Lösungsansätze in der Klimapolitik thematisiert. Die- Split), die sich unter anderem durch ihre Infrastruktur ser Umstand ist insofern alarmierend, als der voneinander unterscheiden. Oftmals wird zwischen den Straßengüterverkehr nicht nur mit 67 Mt CO2/a einen Hauptverkehrsrelationen Binnenverkehr, grenzüber- substanziellen Anteil an den deutschen Gesamtemissio- schreitender Verkehr sowie Durchgangsverkehr unter- nen hat, sondern Güterverkehrsprognosen auch davon schieden. Darüber hinaus wird der Bereich des landge- ausgehen, dass sich die Güterverkehrsleistung bis 2050 bundenen Güterverkehrs üblicherweise in Nahverkehr verdoppeln kann (ICKERT et al. 2007). Der Sachverstän- (Strecke kürzer als 50 km), Regionalverkehr (Strecke 50 digenrat für Umweltfragen (SRU) hat daher das Problem bis 150 km) und Fernverkehr (Strecke länger der Treibhausgas-Emissionen (THG-Emissionen) des als 150 km) unterteilt. Straßengüterverkehrs aufgegriffen, um eine längst über- fällige Diskussion um notwendige und mögliche Lösun- Güterverkehr wird mithilfe verschiedener Maßzahlen gen anzustoßen. quantifiziert. Das Verkehrsaufkommen wird in Tonnen (t) angegeben. In Verbindung mit der Transportstrecke Auch wenn der Güterverkehr in der Luft sehr hohe (km) ergibt sich die Verkehrsleistung (auch Verkehrsauf- Wachstumsraten verzeichnet und der internationale See- wand) in der Einheit Tonnenkilometer (tkm). Wird bei- güterverkehr das mit Abstand höchste Transportaufkom- spielsweise ein großes Verkehrsaufkommen über eine men hat, hat sich der SRU entschlossen, diese beiden kurze Strecke transportiert, kann damit dieselbe Ver- wichtigen Verursachungsbereiche im Rahmen dieses Um- kehrsleistung verbunden sein wie mit dem Transport ei- weltgutachtens nicht zu thematisieren, da hier sehr viel nes geringen Verkehrsaufkommens über eine längere stärker international einvernehmliche Lösungsansätze Strecke. Unter Gütertransportintensität versteht man das verfolgt werden müssen als im Bereich des Straßengüter- Verhältnis der Güterverkehrsleistung zum Bruttoin- verkehrs. Zudem hätte eine angemessene Behandlung landsprodukt (tkm/€). Wächst die Verkehrsleistung dieser Bereiche den zur Verfügung stehenden Rahmen des Umweltgutachtens gesprengt. Dies soll aber in keiner (tkm) ebenso stark wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP), Weise die Bedeutung durchgreifender Lösungsansätze für bleibt die Verkehrsintensität konstant. den Luft- und Seeverkehr herunterspielen. Aus Klimaschutzgründen ist es erforderlich, bis zum Jahr 4.2.1 Historische Entwicklung und Status quo 2050 die deutschen THG-Emissionen um 80 bis 95 % zu 239. Zum Verständnis des Problembeitrags des Güter- senken (SRU 2011). Legt man dieses Ziel für alle Emit- verkehrs ist es erforderlich, die historische Entwick- tentengruppen zugrunde, betragen die verbleibenden zu- lungsdynamik der Güterverkehrsleistung und des resul- lässigen absoluten THG-Emissionen des Güterverkehrs im Jahr 2050 lediglich 2,3 bis 9,2 Mt/a. Eine derartig tierenden Energiebedarfs zu kennen. Erst vor diesem drastische Reduktion der THG-Emissionen wird ohne Hintergrund erschließt sich die ganze Tragweite des Pro- grundlegend neue Lösungsansätze nicht zu erreichen blems und der sich abzeichnenden Handlungsdefizite. sein, zumal eine Umstellung auf Biotreibstoffe an der be- grenzten Verfügbarkeit nachhaltig angebauter Biomasse 4.2.1.1 Verkehrsleistung scheitert. 240. Im Jahr 2010 betrug die Güterverkehrsleistung (ohne Luftfrachtverkehr) in Deutschland 620 Mrd. tkm 4.2 Bestand und Entwicklungen (Statistisches Bundesamt 2011c). Dem Territorialitäts- 238. Grundsätzlich zeichnen den Güterverkehr hohe prinzip entsprechend wurden bei der Berechnung alle Wachstumsraten und vergleichsweise hohe CO2-Emissio- Verkehre – und nur die – berücksichtigt, die auf deut- nen aus. Eine Analyse voraussichtlicher zukünftiger Ent- schem Territorium erbracht wurden.

137 Güterverkehr und Klimaschutz

Aufgeteilt nach Verkehrsträgern ergab sich folgendes reichte im Jahr 2007 mit 693 Mrd. tkm ihren vorläufigen Bild (vgl. Abb. 4-1): Der Straßengüterverkehr hatte (mit Höchstwert. Die Jahre 2008 und 2009 stellten aufgrund 434 Mrd. tkm = 70 %) im Vergleich zum Schienengüter- der Finanz- und Wirtschaftskrise eine Abweichung vom verkehr (107 Mrd. tkm = 17 %) und zur Binnenschiff- langjährigen Trend dar. Durch die Wirtschaftskrise sank fahrt (62 Mrd. tkm = 10 %) den mit Abstand größten An- die Güterverkehrsleistung bis 2009 um mehr als 10 % teil an der gesamten Güterverkehrsleistung. (vgl. Abb. 4-1), um aber bereits im Jahr 2010 mit der sich erholenden Wirtschaftsleistung wieder deutlich anzustei- Die Wahl des Verkehrsmittels hängt von vielen Faktoren gen. ab, so der Art des zu befördernden Gutes, der Transport- entfernung, der Transportdauer mit verschiedenen Modi Drei Viertel des Gesamtaufkommens (in Tonnen) werden und den mit dem Transport verbundenen Kosten. Eine im Binnenverkehr transportiert, wobei etwa die Hälfte scharf abgegrenzte Zuordnung von Gütergruppen zu Ver- dieses Aufkommens aus dem Bereich der Steine und Er- kehrsmodi existiert daher nicht. Vielmehr werden die Gü- den stammt (ICKERT et al. 2007, S. 68). In der vergange- ter derselben Gütergruppen mithilfe verschiedener Modi nen Dekade sank der Anteil dieses Bereichs, was in ei- über unterschiedliche durchschnittliche Entfernungen nem sinkenden Anteil des Binnenverkehrs am gesamten transportiert. In der Statistik werden Gütergruppen zu Gü- Güterverkehrsaufkommen resultierte. terabteilungen zusammengefasst. Abbildung 4-2 zeigt die Seit 1960 hat sich die Güterverkehrsleistung in Deutsch- Aufteilung der Güterverkehrsleistung nach Modi und Gü- land vervierfacht (LAMBRECHT et al. 2009). Allein terabteilungen (2010). zwischen 1991 und 2010 ist die Güterverkehrsleistung in Die Güterverkehrsleistung in Deutschland hat seit Mitte Deutschland um etwa die Hälfte gewachsen. Auffällig ist, der 1990er-Jahre kontinuierlich zugenommen und er- dass das Güterverkehrsaufkommen langsamer gewachsen

Abbildung 4-1

Entwicklung der Güterverkehrsleistung zwischen 1995 und 2010 nach Modi

700

600

500

400

300 Leistung [Mrd. tkm]

200

100

0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Schiene Straße Binnenschifffahrt Rohrfernleitungen Luftverkehr 2008 bis 2010: keine Angaben zur Luftfrachtverkehrsleistung Quelle: BMVBS 2009; Statistisches Bundesamt 2011c

138 Bestand und Entwicklungen

Abbildung 4-2

Güterverkehrsleistung nach Modi und Güterabteilungen im Jahr 2010

Straßenverkehr inländischer Lkw

Eisenbahn

Binnenschifffahrt

0 50 100 150 200 250 300 350 Mrd. tkm Erzeugnisse der Land- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei Kohle, rohes Erdöl und Erdgas Erze, Steine und Erden, Bergbauerzeugnisse Nahrungs- und Genussmittel Textilien und Bekleidung; Leder und Lederwaren Holzwaren, Papier, Pappe Druckerzeugnisse Kokerei- und Mineralölerzeugnisse Chemische Erzeugnisse Sonstige Mineralerzeugnisse (Glas, Zement, Gips usw.) Metalle und Metallerzeugnisse Maschinen und Ausrüstungen, Haushaltsgeräte etc. Fahrzeuge Möbel, Schmuck, Musikinstrumente, Sportgeräte etc. Sekundärrohstoffe, Abfälle Post, Pakete Geräte und Material für die Güterbeförderung Umzugsgut und sonstige nichtmarktbestimmte Güter Sammelgut Gutart unbekannt Quelle: Statistisches Bundesamt 2011c ist als die Güterverkehrsleistung, es also ein Wachstum nannt, wenn nicht alle Angaben für das gleiche Basisjahr der durchschnittlichen Transportstrecken gegeben hat. Es verfügbar waren. wird angenommen, dass sich dieser Trend auch in Zu- kunft fortsetzen wird (vgl. Abschn. 4.2.2). Im Jahr 2006 betrug der Energieverbrauch des Güterver- kehrs in Deutschland 846 PJ/a (UBA 2009, S. 12), was Im Jahr 2010 wurde jede Tonne des Verkehrsaufkommens etwa einem Viertel des Energieverbrauchs des gesamten über durchschnittlich 187 km transportiert (Statistisches Verkehrssektors entsprach. Im Straßengüterverkehr wur- Bundesamt 2011c). Dabei lagen die Werte des Schienen- den hiervon 704 PJ/a (83 %) verbraucht. Der Luftfracht- güterverkehrs mit 302 km und des Binnenschiffsverkehrs verkehr machte mit 84 PJ/a ein Zehntel, der Schienengü- mit 271 km weit über dem Durchschnitt, der des Straßen- terverkehr mit 44 PJ/a ein Zwanzigstel und die güterverkehrs mit 159 km wenig darunter. Binnenschifffahrt mit 14 PJ/a weniger als ein Fünfzigstel Der Durchgangsverkehr (Transitverkehr) hat einen Anteil des Energieverbrauchs des Güterverkehrs aus. von circa 16 % an der gesamten Güterverkehrsleistung in Als Kraftstoffe werden im Verkehrssektor heute überwie- Deutschland. Besonders aufgrund der EU-Osterweiterung verzeichnete der Transitverkehr ein Wachstum, das mit gend Mineralölprodukte in Verbrennungsmotoren einge- durchschnittlich 7,4 % pro Jahr (ICKERT et al. 2007, setzt, vor allem Diesel im Straßengüterverkehr und Kero- S. 78) deutlich über dem Wachstum des gesamten Güter- sin im Luftverkehr. Der Schienenverkehr wird hingegen verkehrs lag. überwiegend elektrisch betrieben. Der Energiebedarf des Güterverkehrs ist zwischen 2000 und 2006 trotz deutlich gestiegener Güterverkehrsleistung um circa 15 % gesun- 4.2.1.2 Energiebedarf ken. Modal betrachtet, verzeichneten seitdem die Binnen- 241. In Statistiken wird oftmals der Energieverbrauch schifffahrt ein geringes und der Luftverkehr ein starkes des Sektors Verkehr nach den verschiedenen Modi (z. B. Wachstum im Energieverbrauch, der Schienenverkehr Straße, Schiene), jedoch nicht immer unterteilt in Perso- und der Straßengüterverkehr hingegen einen deutlichen nen- und Güterverkehr, angegeben. Um dennoch ein Rückgang. Dabei dürfte der reduzierte Energieverbrauch möglichst aussagekräftiges Bild zu erhalten, werden im insbesondere auf technische Verbesserungen und einen Folgenden zum Teil Werte unterschiedlicher Jahre ge- Trend hin zu längeren Fahrstrecken zurückzuführen sein.

139 Güterverkehr und Klimaschutz

4.2.1.3 CO2-Emissionen der THG-Emissionen durch das Güterverkehrswachstum größer als die Minderungen der THG-Emissionen durch 242. Die vom inländischen Güterverkehr direkt verur- erhöhte Effizienz, sodass der Güterverkehr insgesamt ei- sachten CO -Emissionsmengen betrugen im Jahr 2008 2 nen Anstieg der THG-Emissionen verzeichnete. 43,9 Mt (LAMBRECHT et al. 2009), was 30 % der CO2- Emissionen des Sektors Verkehr (152 Mt) entsprach. Güterverkehrsleistung, Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Durch die Bereitstellung der eingesetzten Energieträger CO2-Emissionen des Güterverkehrs sind seit Mitte der wurden weitere Emissionen in Höhe von 23,5 Mt CO2eq 1990er-Jahre erheblich gewachsen (vgl. Abb. 4-3), wobei verursacht, sodass sich die durch den Güterverkehr insge- die Zunahme der CO -Emissionen (Wachstum um knapp samt verursachten Emissionen auf 67,5 Mt/a summierten 2 ein Viertel) deutlich niedriger ausfiel als die der Güterver- (IFEU 2008). Dies entsprach 6,8 % der nationalen THG- kehrsleistung (Wachstum um mehr als die Hälfte). Die Gesamtemissionen. CO2-Emissionen pro tkm Güterverkehrsleistung sind im Im zeitlichen Verlauf sind zwei gegenläufige Trends zu Betrachtungszeitraum um circa 20 % zurückgegangen. erkennen. Zum einen bewirken technische und organisa- torische Effizienzsteigerungen einen niedrigeren spezifi- Weitere Umweltauswirkungen des Güterverkehrs in den schen Kraftstoffverbrauch und folglich niedrigere spezifi- Bereichen Luftschadstoffemissionen, Lärm und Flächen- sche Emissionen pro Tonnenkilometer Transportleistung. bedarf werden in diesem Kapitel nicht weiter themati- Zum anderen bewirkte das in Abschnitt 4.2.1.1 beschrie- siert, da sich dieses Kapitel auf das ungelöste Problem der bene Güterverkehrswachstum einen Anstieg der Gesamt- THG-Emissionen des Güterverkehrs konzentriert. Sie be- emissionen. In der Vergangenheit waren die Steigerungen sitzen gleichwohl eine hohe Relevanz.

Abbildung 4-3

Entwicklung von Güterverkehrsaufkommen, Güterverkehrsleistung, CO2-Emissionen und BIP in Deutschland (1995 = 100 %)

160%

140%

120%

100%

80%

60%

40% 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Güterverkehrsleistung [tkm] Güterverkehrsaufkommen [t] Bruttoinlandsprodukt [€]

CO2-EmissionenCO2-Emissionen [t [t CO2] CO2] SpezifischeCO2-Emissionen CO2-Emissionen [t CO2/tkm] [t CO2/tkm]

Daten zu CO2-Emissionen nur bis 2008 vorhanden. Quelle: BMVBS 2011; IFEU 2008; Statistisches Bundesamt 2010a; 2011b; 2011c

140 Bestand und Entwicklungen

4.2.2 Zu erwartende Trends Unterschiede zu verzeichnen (EuroStat 2012). So konnte in den meisten Staaten der EU-15 eine gewisse Entkopp- 243. Vorhersagen zur weiteren Entwicklung des Güter- lung der Güterverkehrsleistung vom BIP erreicht werden. verkehrs müssen eine Vielzahl von Einflüssen berück- Demgegenüber wuchs in der Mehrheit der neuen osteuro- sichtigen. Eine einfache Extrapolation vergangener päischen Mitgliedstaaten sowie auf der iberischen Halb- Trends ist als Grundlage verkehrspolitischer Maßnahmen insel die Güterverkehrsleistung deutlich schneller als das unzureichend. Im Fokus von Verkehrsmengenprognosen BIP. Letzteres lässt sich mit der nachholenden Wirt- stehen dabei regelmäßig vor allem nachfrageseitige Ein- schaftsentwicklung und der Integration der neuen Mit- flussfaktoren, insbesondere die ökonomische Entwick- gliedstaaten in den europäischen Binnenmarkt sowie ei- lung (Wirtschaftswachstum, wirtschaftliche Verflechtun- nem erheblichen Infrastrukturzubau erklären. Die von gen, Strukturwandel, Energiepreise etc.). Auch anderen EU-15-Staaten abweichende Entwicklung der Annahmen zu technischen Entwicklungen sind von Be- Güterverkehrsleistung in Deutschland liegt in wesentli- deutung, da die Effizienz des Energieeinsatzes im Ver- chen Teilen in der Rolle Deutschlands als wichtigem kehr erhebliche Rückwirkungen auf die spezifischen Handelspartner und Transitland für die osteuropäischen Emissionen des Verkehrs hat. EU-Staaten begründet. Diese sehr heterogene Entwicklung scheint sich mit zu- Güterverkehrsleistung nehmender wirtschaftlicher Konvergenz abzuschwächen, 244. Zu den zukünftigen Entwicklungen des Güterver- sodass eine langfristige Fortschreibung – gerade der ho- kehrs liegt eine Vielzahl verschiedener Studien sowohl hen Wachstumsraten der zurzeit ökonomisch nachholen- für die EU (Europäische Kommission – Generaldirektion den Länder – fragwürdig erscheint. Zudem erscheint es für Energie und Transport 2010; PETERSEN et al. 2009; sehr wahrscheinlich, dass sich nach einer Phase rasanten ANDERS et al. 2009; SCHIPPL et al. 2008) als auch für Wachstums im Außenhandel, die Zuwachsraten von Au- Deutschland vor (Intraplan Consult und BVU 2007; ßenhandel und BIP künftig europaweit zunehmend an- Deutsche Bahn AG und McKinsey & Company 2010; gleichen werden (ANDERS et al. 2009). Dies spiegelt ICKERT et al. 2007; ifmo 2010). Diese unterscheiden sich auch in den zeitlich und nach Ländern aufgeschlüs- sich zum Teil erheblich in ihren Prognosehorizonten. selten Zahlen der genannten Studien wider. Sie prognosti- Auch wenn alle Studien weiterhin ein deutliches Wachs- zieren eine im Zeitablauf fortschreitende, verstärkt ab tum der Güterverkehrsleistung erwarten, so gibt es doch dem Jahr 2020 einsetzende, Entkopplung des Wachstums erhebliche Abweichungen im Ausmaß des erwarteten von BIP und Güterverkehrsleistung, gerade auch für die Wachstums (vgl. Tab. 4-1). neuen EU-Mitgliedstaaten (ANDERS et al. 2009; Euro- päische Kommission – Generaldirektion für Energie und Die vorliegenden Studien greifen die in den vergangenen Transport 2010). Die absolute Verkehrsleistung steigt Jahren beobachteten Entwicklungen als Basis der Trend- dennoch auch weiterhin an. Im Gegensatz zum grundsätz- prognosen auf. Während die Güterverkehrsintensität in lichen Trend für Gesamteuropa wird für Deutschland Europa (EU-27) insgesamt im Zeitraum von 1995 bis zu mehrheitlich auch weiterhin – bis zum Jahr 2050 – keine Beginn der Krise im Jahr 2008 weitgehend stabil blieb, Entkopplung erwartet, wodurch sich der verkehrs- und sind zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten erhebliche klimapolitische Handlungsdruck erhöht.

Tabelle 4-1

Szenarien zur zukünftigen Güterverkehrsleistung

Güterverkehrs- Güterverkehrs- Projektions- leistung 2005/ leistung im Veränderung1 Studie/Szenario horizont 2010 Projektionsjahr ggü. 2005/2010 (Mrd. tkm) (Mrd. tkm) Europäische Union2 (Veränderungen ggü. 2005) Europäische Kommission – Generaldi- 2030 2.495 3.460 + 39 % rektion für Energie und Transport 2010 PETERSEN et al. 2009: 2030 2.288 3.429 + 50 % Baseline-Szenario ANDERS et al. 2009 2035 2.315 3.472 + 50 % SCHIPPL et al. 20083: 2050 2.060 3.983 + 90 % Baseline-Szenario ANDERS et al. 2009 2050 2.315 3.657 + 58 %

141 Güterverkehr und Klimaschutz noch Tabelle 4-1

Güterverkehrs- Güterverkehrs- Projektions- leistung 2005/ leistung im Veränderung1 Studie/Szenario horizont 2010 Projektionsjahr ggü. 2005/2010 (Mrd. tkm) (Mrd. tkm) PETERSEN et al. 20094: 2050 2.158 4.034 + 87 % Baseline-Szenario Deutschland (Veränderungen ggü. 2010) Intraplan Consult und BVU 20072 2025 604 937 + 55 % Deutsche Bahn AG und McKinsey & 2025 620 771 + 24 % Company 20105: „Stagnationsszenario“ Deutsche Bahn AG und McKinsey & 2025 620 894 + 44 % Company 20105: „Wachstumsszenario“ Deutsche Bahn AG und McKinsey & 2025 620 962 + 55 % Company 20105: „Chancen“-Szenario ifmo 20102: Szenario 2030 604 6981 + 16 % „Gereifter Fortschritt“ ifmo 20102: Szenario 2030 604 8731 + 45 % „Globale Dynamik“ ifmo 20102: Szenario 2030 604 5821 - 4 % „Rasender Stillstand“ ICKERT et al. 2007 2050 604 1.218 + 102 % Öko-Institut und Prognos AG 20096: 2050 604 1.033 + 71 % Referenzszenario Öko-Institut und Prognos AG 20096: 2050 604 1.047 + 73 % Innovationsszenario

1 eigene Berechnungen 2 nur Gütertransporte auf der Straße, auf der Schiene und auf Binnenwasserwegen 3 nur Güterfernverkehr (< 150 km) 4 nur Gütertransporte auf der Straße und auf der Schiene 5 Gütertransporte auf der Straße, auf der Schiene, auf Binnenwasserwegen und durch Pipelines 6 Gütertransporte auf der Straße, auf der Schiene, auf Binnenwasserwegen und Luftfrachtverkehr Zum Teil abweichende Daten (auch für die Basisjahre) erklären sich durch unterschiedliche Methodiken und Abgrenzungen bei der Datenerfas- sung. SRU/UG 2012/Tab. 4-1

Den meisten – nationalen wie europäischen – Abschät- Zudem hängt die Abschätzung zukünftiger Entwicklun- zungen der zukünftigen Verkehrsentwicklung ist zudem gen maßgeblich von einer Vielzahl angenommener Para- gemein, dass sich keine fundamentalen Änderungen beim meter ab und zeigt einen plausiblen, jedoch nicht zwangs- Modal Split ergeben. Bei leichten Unterschieden zwi- läufig den wahrscheinlichen Entwicklungspfad. schen den Szenarien wird der Straßengüterverkehr wei- Angesichts unterschiedlicher sektoraler, regionaler und terhin der dominierende Modus im Güterverkehr sein. internationaler Entwicklungen und ihrer Interdependen- Die beschriebenen Abschätzungen des zukünftigen Gü- zen sowie insbesondere bei einem Projektionszeitraum terverkehrswachstums in Deutschland und der EU fußen von bis zu vierzig Jahren, bestehen erhebliche Unsicher- als sogenannte Baseline-Szenarien auf einer weitgehend heiten im Ergebnis der Studien. Darüber hinaus wird in kontinuierlichen Fortschreibung bestehender Trends. Ak- der Regel nicht berücksichtigt, ob es zu Verlagerungs- tive verkehrs- und klimapolitische Maßnahmen zum Her- oder Vermeidungstendenzen aufgrund des hohen Ver- beiführen einer Trendumkehr durch Adressierung der kehrsaufkommens und damit verbundenen infrastruktu- Treiber werden – über bereits beschlossene oder geplante rellen Knappheiten und Auswirkungen auf die (relative) Maßnahmen hinaus – in den Baseline-Szenarien nicht be- ökonomische Attraktivität der verschiedenen Verkehrs- rücksichtigt. modi kommen wird. Möglicherweise liegen daher die Er-

142 Ziele und Handlungsmöglichkeiten gebnisse für die Entwicklung des Güterverkehrs, insbe- WITTZACK 2006, Rn. 22; SENDMEYER 2010, Rn. 1), sondere die der Langfristabschätzung, zu hoch. In der die sich, dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäi- Kernaussage ist sich die Literatur jedoch einig, dass das schen Union (AEUV) entsprechend, die Zuständigkeit so- starke Wachstum des Güterverkehrs anhalten wird. wohl für den Verkehr (Artikel 90 ff. AEUV) als auch für die transeuropäischen Netze (Artikel 170 ff. AEUV) mit den Mitgliedstaaten teilt. CO2-Emissionen 245. Mit einem zukünftig weiterhin starken Wachstum Sowohl auf europäischer als auch auf deutscher Ebene der Güterverkehrsleistung wird es ohne weitere ein- steht die Politik vor der Herausforderung, dass die Zu- schneidende Maßnahmen zu einem starken Anstieg der nahme des Güterverkehrs nicht nur wegen der örtlichen Umweltbelastungen, sondern auch im Hinblick auf die CO2-Emissionen des Güterverkehrs kommen. Unterstellt man eine zukünftige Entwicklung der Güterverkehrsleis- steigenden CO2-Emissionen zu Konflikten mit dem Um- tung, wie sie ICKERT et al. (2007) für plausibel halten welt- bzw. Klimaschutz führt (EPINEY 2011, Rn. 25). (1.218 Mrd. tkm in 2050), so ergibt sich für das Jahr 2050 Rechtlich wird dieser Konflikt durch die Querschnitts- klausel des Artikels 11 AEUV gelöst, die einen Gestal- eine Emissionsmenge von 120 Mt CO2 aus dem Güter- verkehr unter der konservativen Annahme eines Null- tungsauftrag an den europäischen Gesetzgeber heranträgt. wachstums im Luftfrachtverkehr. Es sei an dieser Stelle Dieser muss verkehrspolitische Maßnahmen zur Förde- aber darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser Studie rung einer nachhaltigen Entwicklung den Erfordernissen um die höchste Schätzung des Güterverkehrsaufkommens des Umwelt- und damit auch Klimaschutzes entsprechend in Deutschland für das Jahr 2050 handelt (vgl. Tab. 4-1). ausgestalten und hat dem Vorsorge- und Verursacherprin- Für das Referenzszenario von Öko-Institut und Prognos zip Rechnung zu tragen (CALLIESS in: CALLIESS/ AG (2009), in dem sich der Luftfrachtverkehr verdoppelt, RUFFERT 2011, Artikel 11 AEUV Rn. 5 ff.). Daneben die Transportleistung jedoch insgesamt niedriger ausfällt, ist ökonomischen und sozialen Belangen Rechnung zu ergibt sich mit derselben Rechenmethode ein annähernd tragen. Ähnliche Anforderungen ergeben sich für den na- tionalen Gesetzgeber aus der Staatszielbestimmung des gleicher Wert für die CO2-Emissionen des Jahres 2050 (s. a. Abb. 4-4). Die jährliche Emissionsmenge würde Artikels 20a GG (vgl. auch Tz. 668). Er hat zusätzlich da- sich demnach etwa verdoppeln. Den Berechnungen dieser rauf zu achten, dass seine Maßnahmen nicht den Zielen Werte ist eine gleichbleibende Emissionsintensität (Basis- des europäischen Binnenmarktes entgegenstehen. jahr 2008) unterstellt, zukünftige Effizienzsteigerungen In diesem Sinne muss sich Güterverkehrspolitik sowohl werden nicht berücksichtigt. Effizienzsteigerungen sind auf europäischer als auch auf nationaler Ebene an den Er- eine von mehreren Optionen, um die zukünftigen CO2- fordernissen einer nachhaltigen Entwicklung und konkret Emssionen des Güterverkehrs zu senken (vgl. Ab- an der Klimaverträglichkeit als einer Komponente nach- schn. 4.3.3). haltiger Entwicklung messen lassen (SRU 2011). Diese soll, wie bereits einleitend erläutert, im Fokus der folgen- 4.3 Ziele und Handlungsmöglichkeiten den Überlegungen stehen, während andere Aspekte der 246. Wie gezeigt, werden die Güterverkehrsleistung Nachhaltigkeit (z. B. Erhaltung der biologischen Vielfalt, Ressourcenschonung oder Verbesserung der Wohnum- und damit auch die CO2-Emissionen des Güterverkehrs in Deutschland auch in Zukunft stark wachsen. Im Folgen- feldqualität) hier nicht behandelt werden. den wird dieses Wachstum im Kontext langfristiger Kli- 248. Um den globalen Temperaturanstieg auf maximal maschutzziele diskutiert, und es werden Optionen erör- 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begren- tert, um die Kluft zwischen Trend und Klimaschutzziel zu zen, müssen die jährlichen THG-Emissionen in den In- schließen. Dabei handelt es sich nicht um eine integrierte dustrieländern bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 % gegen- Gesamtlösung, sondern um einzelne Optionen, die je- über 1990 gesenkt werden (IPCC 2007). Dieses Ziel gilt weils einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen des Ziels zwar als Summe für alle Quellkategorien und nicht not- leisten können. Die Optionen lassen sich grundsätzlich in wendigerweise für jede einzelne. Es gibt jedoch Emitten- die Kategorien Vermeidung, Effizienzsteigerungen, Ver- ten, bei denen ein solches Ziel absehbar nicht zu errei- lagerung und Energieträgersubstitution einteilen. chen ist. Insbesondere in der Landwirtschaft werden die Emissionen von CH4 aus Verdauungsprozessen und NOx 4.3.1 Anforderungen an einen nachhaltigen aus landwirtschaftlich genutzten Böden kaum um 80 bis Güterverkehr bis 2050 95 % gesenkt werden können, sodass die Reduktion in anderen Sektoren stärker ausfallen muss. 247. Die zunehmende Arbeitsteilung im europäischen Binnenmarkt und dessen stetige Erweiterung Richtung Da im Verkehrssektor vergleichsweise hohe Grenzver- Osten haben zu einem starken Zuwachs des Güterver- meidungskosten angenommen werden, kam die Europäi- kehrs in der EU und vor allem auch in der Bundesrepu- sche Kommission in ihren Modellberechnungen zu dem blik als Transitland geführt. Grenzüberschreitender Gü- Schluss, dass bei einem europäischen Emissionsredukti- terverkehr ist Voraussetzung für die Verwirklichung des onsziel von 80 % gegenüber 1990 ein Sektorziel für den europäischen Binnenmarktes und hat daher eine Schlüs- Verkehr zwischen 54 und 67 % kostenoptimal wäre (Eu- selfunktion im Integrationsprozess (EPINEY 2011, ropäische Kommission 2011, S. 6). Ein separates Ziel für Rn. 6). Entsprechend war er schon früh Gegenstand von den Güterverkehr wurde nicht quantifiziert. Müssen aus Liberalisierungsbemühungen der EU (UERPMANN- klimapolitischen Gründen die Emissionsminderungen in

143 Güterverkehr und Klimaschutz

Europa höher ausfallen, so müssten im Verkehrssektor er- für die deutschen THG-Emissionen erscheint dem SRU hebliche zusätzliche Anstrengungen stattfinden. eine frühzeitige Konzentration auf ein relativ ambitionier- tes Minderungsziel dringend angeraten. Würde auch der Die Studie „Modell Deutschland“ zeigt dies exemplarisch Güterverkehr einem Emissionsminderungsziel von 80 bis (Öko-Institut und Prognos AG 2009). Nach diesen Be- 95 % gegenüber 1990 (46 Mt inkl. indirekter Emissionen) rechnungen bedeutet ein Emissionsvermeidungsziel von unterliegen, ergäben sich für den Bereich des Güterver- 87 % gegenüber 1990, dass die Emissionen des Verkehrs- kehrs als Zielwerte maximale erlaubte jährliche THG- sektors um 83 % reduziert werden müssten. Ein 95 %- Emissionen von 2,3 bis 9,2 Mt/a. Ziel für alle Sektoren würde ohnehin mit wenigen Aus- nahmen (z. B. Zementherstellung) die fast komplette De- In Abbildung 4-4 werden die Emissionsziele den Emis- karbonisierung bedeuten und somit auch Klimaneutralität sionsmengen gegenübergestellt, die sich ohne Berück- im Verkehrssektor erfordern. sichtigung zukünftiger Effizienzsteigerungen aus der Abschätzung zur zukünftigen Entwicklung des Güterver- Ein gegenüber den Zielwerten der Europäischen Kom- kehrs in Deutschland (ICKERT et al. 2007) ergeben, bzw. mission ambitionierteres Ziel für den Verkehrssektor auf wesentlichen Ergebnissen aus Öko-Institut und DLR- kann darüber hinaus auch industriepolitisch begründet IVF (2009b) und Öko-Institut und Prognos AG (2009) werden. Aufgrund von Befürchtungen internationaler beruhen (vgl. Abschn. 4.2.2, inkl. indirekter Emissionen Wettbewerbsnachteile infolge sehr stringenter Emissions- aus der energetischen Vorkette). Die Abbildung verdeut- reduktionsverpflichtungen der Industrie wäre ein höheres licht, dass im Güterverkehr die Emissionen der Trend- Vermeidungsziel in Sektoren mit relativ geringem inter- szenarien um Faktor 10 bis 50 über den notwendigen Re- nationalem Wettbewerbsdruck durchaus überlegenswert. duktionszielen liegen und somit außerordentlich großer Für den Verkehrssektor könnte dies – trotz angenomme- Handlungsbedarf besteht. ner hoher Vermeidungskosten – über dem Durchschnitt liegende Vermeidungsziele erfordern. In der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung (2002) sind quantitative Ziele für den Güterverkehr für Vor dem Hintergrund eines nach Einschätzung des SRU die Jahre 2015 bzw. 2020 festgeschrieben: Bis zum Jahr eher wahrscheinlichen Gesamtreduktionsziels von 95 % 2020 soll die Transportintensität um 5 % gegenüber 1999

Abbildung 4-4

Vergleich der CO2-Emissionsentwicklungen und der -Minderungsziele im Güterverkehr in Deutschland

140 Mt/a Trend: 130 basierend auf 120 Ickert et al. (Progtrans) Öko-Institut und Prognos AG 110 (Modell Deutschland), Referenzszenario 100 Öko-Institut und DLR-IVF (RENEWABILITY), 90 Basisszenario

80

70

60

50

40

30

20

10 Ziel 2050 0 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Basis für die Berechnungen: Modal Split der Szenarien (Verkehrsleistung) sowie konstante Emissionsintensität der Modi (Emissionsintensität des Jahres 2008). SRU/UG 2012/Abb. 4-4; Datenquelle: ICKERT et al. 2007; BMVBS 2011; IFEU 2008; Öko-Institut und DLR-IVF 2009b; Öko-Institut und Prognos AG 2009

144 Ziele und Handlungsmöglichkeiten sinken, bis 2015 soll der Anteil der Bahn an der Güterver- der logistischen Kette, Umschlagshäufigkeit, Just-in- kehrsleistung auf 25 % wachsen, der der Binnenschiff- Time-Konzepte), fahrt auf 14 %. Allerdings weicht die tatsächliche Ent- wicklung von diesen Zielen ab. Zwar ist der Anteil des – politische Faktoren (Handelsliberalisierung, Infra- Schienengüterverkehrs seit Formulierung der Ziele leicht struktur- und Steuerpolitik), die die Nachfrage- oder gestiegen (BMVBS 2011), gleichzeitig sank jedoch der Angebotstrends verstärken oder abschwächen können. Anteil der Binnenschifffahrt trotz absoluten Wachstums. Diese Faktoren sind aber einem Strukturwandel unter- Das gesteckte Ziel erscheint daher kaum erreichbar worfen, der auch Tendenzen zur Sättigung und zur (Statistisches Bundesamt 2010b, S. 37). Entkopplung mit sich bringt. Mögliche Entkopplungsten- denzen realistisch wahrzunehmen und in der Verkehrspla- Die folgenden Betrachtungen konzentrieren sich auf den nung zu antizipieren und zu verstärken, bietet Ansatz- landgebundenen Güterverkehr (Straßen- und Schienengü- punkte für eine Politik der Entkopplung. terverkehr). Der Straßengüterverkehr wird voraussicht- lich der Güterverkehrsmodus sein, der ohne zusätzliche Maßnahmen weiterhin stärker absolut wachsen wird als Strukturwandel der Nachfrage die Binnenschifffahrt und der Schienengüterverkehr. Der 250. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich wichtige Nach- Schienengüterverkehr stellt bei vergleichsweise geringen fragetrends nicht bis 2050 ungebrochen fortsetzen. spezifischen CO2-Emissionen pro tkm, die sich durch den Dämpfend dürften sich die folgenden Faktoren auf das Einsatz regenerativ erzeugten Stroms praktisch auf Null Güterverkehrswachstum auswirken: senken lassen, prinzipiell eine Option dar, große Mengen der Güterverkehrsleistung anderer Güterverkehrsmodi – Tendenziell abflachende wirtschaftliche Wachstums- – insbesondere vom Straßengüterverkehr – aufzunehmen. raten (REUTER 2010; SCHADE 2010, S. 87; BOURCADE und HERZMANN 2006): In den Große Herausforderungen bei der Reduktion der THG- 2030er-Jahren wird eher ein Wirtschaftswachstum im Emissionen stellen auch der Güterluftverkehr und der in- Bereich von 1 % jährlich erwartet. ternationale Seeverkehr dar. Beide sind wichtige und stark wachsende Emittenten, die bisher keinem angemes- – Das Wirtschaftswachstum sowie die ökonomische In- senen internationalen Klimaschutzregime unterworfen tegration der osteuropäischen Länder in den europäi- sind. Diese können hier jedoch nicht vertieft betrachtet schen Binnenmarkt und der Strukturwandel in diesen werden. Ländern werden sich nach einer dynamischen Aufhol- phase stabilisieren (KRITZINGER et al. 2008, S. 88; UNECE und FAO 2002; PETERSEN et al. 2009, 4.3.2 Ansätze zur Entkopplung von Wirt- S. 29 ff.). Mit voranschreitender wirtschaftlicher Kon- schaftswachstum und Güterverkehr vergenz in Europa ist überdies eine Zunahme der 249. Gemeinhin wird angenommen, dass Wirtschafts- Transportkostensensitivität zu erwarten (FEIGE 2007, wachstum und die Entwicklung des Güterverkehrs eng S. 72 f.). Transportkostensteigerungen könnten dem- miteinander verkoppelt sind (IEA und OECD 2009, nach eine stärker dämpfende Wirkung auf das Güter- S. 280). Bei genauer Betrachtung ergibt sich jedoch eine verkehrswachstum haben. deutliche Varianz im Zeitablauf und im Vergleich wichti- – Die Tertiarisierung der Ökonomie, das heißt ein fort- ger Industrieländer. Die Verkehrsintensität divergiert zwi- schreitender wirtschaftlicher Bedeutungszugewinn des schen einzelnen EU-Staaten teilweise um den Faktor 3 Dienstleistungssektors, macht auch vor Deutschland (GLEAVE 2003, S. 11). In einigen Ländern wächst der nicht halt (IEA und OECD 2009, S. 274; SCHADE Güterverkehr deutlich schneller als das BIP, in anderen 2010, S. 89; ANDERS et al. 2009, S. 18): Der Anteil gibt es erste Anzeichen einer Entkopplung (EuroStat des Industriesektors wird zwar im internationalen Ver- 2011). Von einem starren Verhältnis von Wirtschafts- und gleich hoch bleiben, der Trend zur Tertiarisierung wird Güterverkehrswachstum kann man daher nicht generell aber zeitverzögert ebenfalls nachvollzogen. ausgehen. In vielen europäischen Ländern und auch in den USA sind bereits Sättigungstendenzen zu beobachten – Eine relative Dematerialisierung der Ökonomie findet (OECD 2006, S. 24 f. und 68 ff.; MCKINNON 2007; seit Jahrzehnten statt, das heißt der gesamte inländi- TAPIO 2005; TAPIO et al. 2007), nicht hingegen in sche Materialverbrauch ist in den letzten Jahrzehnten Deutschland (Statistisches Bundesamt 2011a). in der EU und in Deutschland deutlich langsamer ge- stiegen als das Bruttoinlandsprodukt (EEA 2010; Güterverkehrsintensität und -wachstum werden durch fol- WATSON et al. 2011). Diese Dematerialisierung folgt gende Faktoren beeinflusst (IEA und OECD 2009, neben dem sektoralen Strukturwandel auch dem intra- S. 278 ff.; OECD 2006, S. 24 f. und 68 ff.; BAUM und industriellen Strukturwandel; letzterer beschreibt Ver- HEIBACH 1997; SRU 2005, S. 130 ff.): änderungen innerhalb einer Branche in Richtung – Nachfragefaktoren (Wirtschaftswachstum, internatio- weniger materialintensiver Produkte und Produktions- nale Arbeitsteilung, Fertigungstiefe, Industriestruktur- weisen. Diese Markttrends werden sich mit der abseh- wandel, Raum- und Standortstruktur), baren weiteren Verteuerung mineralischer und bioge- ner Rohstoffe in Zukunft weiter fortsetzen. Mit jedem – Angebotsfaktoren (Zeitkosten der Raumerschließung, Materialeinsatz sind in der Regel auch Transportvor- Transportkosten- und Ölpreisentwicklung, Effizienz in gänge verbunden.

145 Güterverkehr und Klimaschutz

– Trotz der Grundtendenz der vergangenen Jahrzehnte gnostizierten Güterverkehrswachstums mithalten können einer zunehmend weiträumigeren (internationalen) (van ESSEN et al. 2009, S. 42). Im Bereich der Verkehrs- Arbeitsteilung sind auch Gegentrends verbraucherna- wegeinvestitionen für den Schienen- wie auch für den her Erzeugung zu beobachten. Dies gilt insbesondere Straßenverkehr liegt Deutschland signifikant unter dem für die produktionsnahe Beschaffungslogistik durch Niveau anderer europäischer Länder (Allianz pro Schiene die enderzeugernahe Ansiedlung von Zulieferindus- 2011; Pro Mobilität – Initiative für Verkehrsinfrastruktur trien (STORPER 1995; HESSE und RODRIGUE 2011). Bei deutlich steigenden Baukosten stagnieren die 2004). Verkehrswegeinvestitionen – abgesehen von nur vorüber- gehenden Sondereffekten der Konjunkturprogramme I – Nachfragedämpfend wirken sich schließlich Effizienz- und II – in absoluten Zahlen zwischen 2001 und 2012. verbesserungen in der logistischen Kette aus. Zwi- Dies hat zu deutlichen Verzögerungen bei der Abarbei- schen 1960 und 1990 hat sich in Deutschland die Gü- tung der Projekte des vordringlichen Bedarfs aus dem terverkehrsleistung vervierfacht, die Fahrleistung Bundesverkehrswegeplan 2003 und der Unterfinanzie- dank besserer Auslastung aber nur verdreifacht rung der dort genannten Neubauprojekte und Instandhal- (BAUM und HEIBACH 1997, S. 14). Dieser Trend tungsmaßnahmen geführt (BORMANN et al. 2010, hat sich, deutlich verlangsamt, auch in der letzten De- S. 13 f.; ECK und STARK 2011). Infrastrukturengpässe kade fortgesetzt (Statistisches Bundesamt 2011a; spielen eine wichtige Rolle für die in Großbritannien be- KVEIBORG und FOSGERAU 2007, S. 45; obachtete Sättigungstendenz bei der Verkehrsnachfrage SORRELL et al. 2009, S. 3123; AGNOLUCCI und und für die dortige Trendumkehr bei der Standortkonzen- BONILLA 2009; MCKINNON 2007). Beides ist ins- tration der Produktion zugunsten von absatznäheren Pro- besondere auf die bessere Koordination und das bes- duktionsstandorten (MCKINNON 2007, S. 52; sere Auslastungsmanagement in großen Güterver- SORRELL et al. 2009, S. 3123). Mit Infrastrukturengpäs- kehrszentren zurückzuführen (KVEIBORG und sen und wachsender Komplexität der Transportketten FOSGERAU 2007, S. 47; BAUM und HEIBACH steigt auch das Friktionsrisiko, das heißt die Möglichkeit, 1997; Öko-Institut und DLR-IVF 2009a; VERNY dass die Transportkette nicht zeitgenau und reibungslos 2007). organisiert werden kann (HESSE und RODRIGUE 2004, S. 12; HESSE 2007b; 2007a; JANIC 2009). Zur Vermei- Angebotstrends: Kostensteigerungen und dung solcher Risiken haben Unternehmen verschiedene Infrastrukturengpässe mittel- bis langfristig umsetzbare Handlungsoptionen, so 251. Wichtige Angebotsfaktoren für das bisherige Gü- insbesondere: terverkehrswachstum sind die Transportgeschwindigkeit, – die Verminderung der Anzahl der Zulieferindustrien, die Transportkosten und die Effizienz in der logistischen auch durch modulare Beschaffung komplett zusam- Kette (HESSE und RODRIGUE 2004, S. 6; RODRIGUE mengebauter Zulieferteile und damit die Verlagerung 2006; AGNOLUCCI und BONILLA 2009, S. 324). Diese von Friktionsrisiken auf vorgelagerte Wertschöp- Faktoren haben in den letzten Jahren physische und öko- fungsketten (BAUM und HEIBACH 1997, S. 84), nomische Raumwiderstände vermindert und damit den Radius der Verflechtungen und ihre Komplexität erhöht. – die Ansiedelung von Zulieferern in der Nähe der End- Gerade diese Raum-Zeit-Ökonomie ist jedoch einem fertigung (ebd.), Strukturwandel unterworfen. – den Wiederaufbau von Lagern als Puffer (JANIC Der weitere Anstieg der Ölpreise und damit der Trans- 2009, S. 105). Der Abbau der Lagerhaltung in den portkosten ist wahrscheinlich. Die Internationale Energie- 1990er-Jahren und die Dynamik der zeitgenauen An- agentur, die die Preisentwicklung in der letzten Dekade lieferung war auch eine betriebswirtschaftliche Ant- regelmäßig und substanziell unterschätzt hat, vermutet wort auf hohe Lagerhaltungskosten, insbesondere eine Verdoppelung der Ölpreise von 60 auf 113 US-Dollar/ hohe Zinsen, bei sinkenden Transportkosten (BAUM Barrel zwischen 2009 und 2035 (IEA 2010, S. 6). Andere und HEIBACH 1997, S. 98). Diese Rahmenbedingun- Studien sehen deutlich höhere Kostenrisiken (SCHADE gen haben sich mittlerweile grundlegend verändert. 2010, S. 56; Zentrum für Transformation der Bundeswehr Es gibt nur wenige Szenarien, die solche auf eine Dämp- 2010; ANDERS et al. 2009). Auch eine konsequente Kli- fung des Verkehrswachstums hinweisenden Trendbrüche mapolitik würde zu einer signifikanten Erhöhung der antizipieren. So erwartet beispielsweise das Baseline- Transportkosten führen. Dabei ist insgesamt zu beachten, Szenario der IEA vor allem aufgrund der Tertiarisierung dass die Transportkostenelastizität des zwischeneuropäi- der Ökonomie ein globales Wachstum der Güterverkehrs- schen Handels, der trotz eines abnehmenden Anteils am leistung auf Straße und Schiene von circa 50 % zwischen Gesamthandel weiterhin eine dominante Rolle einnimmt, 2005 und 2050. Im BLUE Shift Szenario fällt das pro- hoch ist (FEIGE 2007, S. 72). So wird die abnehmende gnostizierte Güterverkehrswachstum als Folge aktiver Güterverkehrsintensität in Großbritannien auch auf einen Klimaschutzpolitik noch etwas geringer aus, wobei insbe- deutlichen Anstieg der Transportkosten um 25 % in den sondere der Zuwachs beim Straßengüterverkehr mit 35 % 1990er-Jahren zurückgeführt (AGNOLUCCI und deutlich niedriger ist als im Baseline Szenario (75 %) und BONILLA 2009, S. 340). im High Baseline Szenario (100 %) (IEA und OECD Die Infrastrukturinvestitionen werden selbst bei deutli- 2009, S. 274). Ein im Rahmen des Science and Techno- cher Erhöhung nicht mit dem Kapazitätsbedarf des pro- logy Options Assessment-Programmes des Europäischen

146 Ziele und Handlungsmöglichkeiten

Parlaments (STOA) erarbeitetes Szenario erwartet unter und Informationsflüssen übernommen (HESSE 2007a, günstigen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen und S. 95; 2007b). Zudem finden in diesen Zentren zuneh- bei einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von mend auch wertschöpfende Dienstleistungen statt. 1,7 % eine Reduktion der Güterverkehrsnachfrage gegen- Grundsätzlich bieten GVZ eine Möglichkeit, disperse über dem Trend um 45 % bis 2050 (SCHIPPL et al. 2008, Verkehre auf zentralen Verkehrsachsen zu bündeln, hier- S. 37). Wie belastbar solche Zahlen sind, die immerhin durch den Auslastungsgrad zu verbessern und gleichzei- eine Halbierung des prognostizierten Wachstums anneh- tig auch die Wettbewerbsfähigkeit kombinierter Verkehre men, kann auf der Basis der vorliegenden Studien aller- bzw. des Schienengüterverkehrs zu stärken. Auf der ande- dings nicht bewertet werden. ren Seite ist eine sehr zentrale Raumstruktur von GVZ auch mit Umwegverkehr, insbesondere bei den Zubrin- Schlussfolgerungen und Gestaltungsoptionen ger- und Verteiltransporten, verbunden. Viele solcher Umschlagplätze entwickeln sich in der Nähe großer Hä- 252. Eine zukunftsfähige und realitätsorientierte Ver- fen, Flughäfen und im ländlichen Umfeld von Ballungs- kehrspolitik sollte die genannten Faktoren auf der Nach- räumen in Autobahnnähe (HESSE und RODRIGUE frage- und Angebotsseite aufgreifen und Entkopplungs- 2004, S. 7). Diese Standortwahl ist dank der Flächener- tendenzen sinnvoll verstärken. Ein wesentlicher schließung durch das Autobahnnetz wesentlich erleichtert Ansatzpunkt wird sein, das Versprechen einer immerwäh- worden (HESSE 2007b, S. 7). Mittlerweile gibt es aber in renden Anpassung der Straßeninfrastrukturkapazitäten an Deutschland bereits 35 zentrale GVZ, die auch über einen eine scheinbar naturwüchsig steigende Nachfrage aufzu- Bahnanschluss verfügen und an Terminals des kombinier- geben (vgl. Tz. 271). Die Autobahnkapazitäten werden ten Verkehrs angeschlossen sind, die weiterentwickelt absehbar nicht überall bedarfsgerecht mitwachsen kön- werden könnten (NESTLER und NOBEL 2011). Investo- nen. Unternehmerische Innovations- und Standortstrate- ren in Logistikstandorte und die Raumordnung sollten gien werden Angebotsengpässe antizipieren müssen und – insbesondere bei der Ausweisung und Genehmigung auch können. Zudem wird sich die Nachfrage nach Güter- von den erheblichen Flächen für GVZ – wesentlich inten- verkehrsleistungen längerfristig an steigende Trans- siver die Verkehrsauswirkungen der Standortwahl prüfen portkosten anpassen. Zentrale Handlungsfelder einer und minimieren. politischen Flankierung der hiermit verbundenen wirt- schaftlichen Anpassungsprozesse liegen außerhalb der Neben der Standortwahl für Beschaffung, Umschlag und Verkehrspolitik, müssen aber eng mit ihr verzahnt wer- Produktion spielt die Organisation der Verkehrsströme den. Betroffen sind insbesondere die Wirtschafts-, Raum- eine wichtige Rolle. Ein Interesse an einer möglichst ordnungs- und Umweltpolitik. Nachfolgend werden ex- guten Auslastung der Lkws hat zumeist schon aus Kos- emplarisch einige Gestaltungsoptionen genannt. tengründen jeder einzelne Logistikanbieter, Optimie- rungspotenziale liegen aber insbesondere bei der dienst- Die regionale Wirtschaftsförderung kann Nahverflechtun- leisterübergreifenden Zusammenarbeit. Diese hat zwar gen stärker betonen als bisher. Ansätze zur Förderung von ihre Grenzen bei Spezialtransporten, kann aber insbeson- Unternehmensclustern und -netzwerken, die in der Wert- dere durch betriebsübergreifende Informations- und schöpfungskette integriert sind, tragen zu einer Ökono- Kommunikationsinfrastruktur, standardisierte Transport- mie kurzer Distanzen bei (STORPER 1995). Im Mittel- behälter oder durch eine betriebsübergreifende Infrastruk- punkt stehen hierbei informatorische Instrumente und tur an zentralen Umschlagsplätzen, wie GVZ, ausgebaut regionale Infrastrukturen zur Akteursvernetzung und gefördert werden. Mit der Förderung der Kommuni- (SPRENGER et al. 2003). Soweit ökonomisch sinnvoll kationsinfrastruktur und des Aufbaus von GVZ kann auch und praktikabel, gehören hierzu auch Maßnahmen der die Verkehrspolitik einen Beitrag zur betriebsübergreifen- Regionalvermarktung (insbesondere im Bereich der Le- den Kooperation leisten. Das Potenzial organisatorischer bensmittel). So gibt es eine Reihe von Produkten, die we- Maßnahmen wird dennoch lediglich auf eine Reduktion gen ihrer Eigenschaften eher „näheaffin“ sind (KLUGE des Leerfahrtenanteils von heute circa 20 % um 2,2 Pro- und SCHRAMM 2003). Hierzu gehören Produkte mit ei- zentpunkte geschätzt (Öko-Institut und DLR-IVF 2009a, nem niedrigen Verhältnis von Wert zu Volumen (wie z. B. S. 41). Baustoffe) und tendenziell für eine Regionalvermarktung zugängliche Nahrungsmittel. Nahrungsmitteltransporte In der Summe bieten damit die Regionalplanung, die re- machen circa ein Fünftel der Straßenverkehrsleistungen gionale Wirtschaftspolitik, die Verkehrswegepolitik, Stra- aus (s. Tz. 240). Die Infrastrukturpolitik kann einen Bei- tegien der Kosteninternalisierung für den Güterverkehr trag dazu leisten, nahräumliche Kommunikationsverbin- und auch die übergeordnete Wirtschafts- und Umweltpo- dungen systematisch gegenüber den fernräumlichen zu litik Ansatzpunkte dafür, beobachtbare Sättigungs- und privilegieren (SPRENGER et al. 2003). Vielfach werden Entkopplungstendenzen zu verstärken. Dematerialisie- solche Maßnahmen auf die Erhaltung und die Erneuerung rung, verkehrssparende Raumstrukturen und Effizienz in bestehender regionaler Verflechtungen ausgerichtet sein der Logistikkette sind die drei wesentlichen Leitbilder für und damit einen – wenn auch sehr beschränkten – Beitrag eine Senkung der Verkehrsintensität. zur Verminderung der Globalisierungs- und Auflösungs- dynamik regionaler Verflechtungen leisten können. 4.3.3 Effizienzsteigerungen Zentrale große Güterverkehrszentren (GVZ) haben eine 253. Der Problemaufriss (insb. Abschn. 4.3.1) verdeut- Schlüsselfunktion für die Koordination von Verkehrs- licht, dass die antizipierten Entwicklungen im Güterver-

147 Güterverkehr und Klimaschutz kehr in Deutschland und die angestrebten Minderungen tig von hoher Relevanz für die Reduktion von THG- der THG-Emissionen deutlich divergieren. Um das anti- Emissionen im Güterverkehr sein. Zudem führen Effi- zipierte Güterverkehrswachstum nicht mit einem ebensol- zienzsteigerungen und der damit einhergehende redu- chen Wachstum der THG-Emissionen einhergehen zu las- zierte Energiebedarf zu niedrigeren marginalen Trans- sen, kommt Effizienzsteigerungen eine besondere portkosten. Effizienzsteigerungen allein werden jedoch Bedeutung zu. Ziel muss es sein, den spezifischen Ener- absehbar nicht ausreichen, um die Emissionsminderungs- giebedarf bzw. die spezifischen Emissionen (g CO2/tkm) ziele zu erreichen. Das oben beschriebene prognostizierte zu senken. Grundsätzlich werden dabei technische (z. B. Güterverkehrswachstum wird die Differenz zwischen Ist höhere Motoreneffizienz) von organisatorischen (z. B. und Soll noch stark vergrößern. Folglich bedarf es weite- höhere Fahrzeugauslastung) Effizienzsteigerungen unter- rer Emissionsminderungsmaßnahmen. schieden. Bei der Abschätzung des Potenzials von Effi- zienzsteigerungen muss berücksichtigt werden, dass sich 4.3.4 Verkehrsverlagerung auf die Schiene Verkehrsleistung und Effizienz der verschiedenen Modi gegenseitig beeinflussen können. 254. Neben der Effizienzsteigerung sieht der SRU die Elektrifizierung als wesentlichen Baustein einer Entkar- Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Ener- bonisierung des Güterverkehrs. Zentrale Bedingung dafür gieeffizienz von Verbrennungsmotoren und Antriebstech- ist, dass die Elektrizität vollständig regenerativ erzeugt nologien weiter verbessern wird und dass Weiter- und wird, da fossile Erzeugung mit erheblichen CO2-Emissio- Neuentwicklungen (Hybridantriebe, Gasantriebe und nen am Kraftwerk verbunden ist und weder die fossile, auch elektrische Antriebe) in den Markt diffundieren wer- noch die nukleare Stromerzeugung als nachhaltig angese- den (Öko-Institut und Prognos AG 2009, S. 91). Einige hen werden kann (SRU 2011, Tz. 66). Die Umstellung dieser Entwicklungen werden bereits ohne weitergehende der Elektrizitätserzeugung auf erneuerbare Energien ist Instrumentierung zu erreichen sein. So gehen Öko-Insti- technisch möglich und ökonomisch sinnvoll. Selbst eine tut und Prognos AG (2009) von einem Sinken des spezifi- deutlich erhöhte Stromnachfrage im Verkehrssektor in schen Energieverbrauchs um insgesamt circa 23 % bis Deutschland könnte regenerativ gedeckt werden (SRU 2050 aus, was auch für den Dieselantrieb gilt, der im Gü- 2011). Eine Bereitstellung der notwendigen Energie aus terverkehr einen Marktanteil von mehr als 90 % hat. Die regenerativen Energiequellen ist elektrisch sehr viel gleiche Studie zeigt im Szenario „Innovation“ eine Sen- leichter möglich als in Form von Biokraftstoffen, da die kung des spezifischen Verbrauchs der Dieselfahrzeuge energetische Nutzung von Biomasse im Gegensatz zur um 28 %. Weitere technische Maßnahmen zur Effizienz- Stromerzeugung aus Wind und Sonne an enge Grenzen steigerung durch Minderung des spezifischen Verbrauchs stößt (SRU 2007). sind beispielsweise die Reduktion des spezifischen Ge- wichts und die Verringerung des Fahr- und Rollwider- Die Umstellung des Güterverkehrssystems lässt sich standes (HILL et al. 2011; JACKSON 2011; LAW et al. grundsätzlich in die intermodale Verlagerung auf heute 2011). bereits elektrifizierte Systeme (Schienengüterverkehr) und die intramodale Umstellung von Verbrennungs- auf Eine Verbesserung der Fahrzeugauslastung im Straßen- Elektromotoren unterteilen (s. a. Abschn. 4.3.5). Im Fol- und Schienengüterverkehr kann ebenso zur Minderung genden wird beides aufgrund deutlich unterschiedlicher, spezifischer Emissionen beitragen. Öko-Institut und vor allem technischer Herausforderungen getrennt disku- Prognos AG (2009) beziffern die Steigerung der Fahr- tiert. zeugauslastung bis 2050 auf 41 bis 64 % für den Straßen- verkehr und 30 % für den Schienengüterverkehr. Dabei 255. Der Schienengüterverkehr induziert deutlich weni- ist jedoch zu beachten, dass beispielsweise eine höhere ger spezifische Umweltbelastungen in Bezug auf Schad- Auslastung im Schienengüterverkehr „mehr kleinteilige stoff- und CO2-Emissionen als der Straßengüterverkehr Verteilverkehre in der Fläche“ (ebd., S. 217) induzieren oder der Luftfrachtverkehr (Statistisches Bundesamt kann. Somit kann es zu gegenläufigen Tendenzen kom- 2010b, S. 36). Prinzipiell ist es denkbar, große Mengen men, sodass der Nettoeffekt kleiner ausfällt. Eine weitere der Transportleistung mithilfe des Schienengüterver- organisatorische Maßnahme zur Effizienzsteigerung ist kehrs zu erbringen. Eine Verlagerung bedeutet jedoch, beispielsweise die Verkehrstelematik zur verbesserten dass der Schienengüterverkehr nicht nur weiterhin seine Koordinierung von Verkehren. heutige Leistung von etwa 115 Mrd. tkm erbringen, son- dern aufgrund des zukünftigen Wachstums des gesamten Insgesamt kann von einem Potenzial zur Reduktion der Güterverkehrs seinen Beitrag zur Güterverkehrsleistung spezifischen Emissionen von etwa einem Drittel bis zum deutlich steigern müsste. Bereits ein Halten des Anteils Jahr 2030 gegenüber 2005 ausgegangen werden (von des Schienengüterverkehrs an der Güterverkehrsleistung 95 g/tkm auf 61 g/tkm) (Öko-Institut und DLR-IVF setzt hohe Wachstumsraten beim Schienengüterverkehr 2009b, S. 92). Eine Abschätzung des SRU, basierend auf voraus; eine darüber hinausgehende Verlagerungsstrate- der Fortschreibung von Effizienzsteigerungen in der Ver- gie bedingt folglich Wachstumsraten beim Schienengü- gangenheit, kommt zu einem Reduktionspotenzial von terverkehr, die sehr viel höher sind als die des gesamten bis zu 60 % bis 2050 für den Güterverkehr. Das UBA Güterverkehrs. Dies betrifft insbesondere die Hochleis- (2010, S. 45) beziffert das Energieeinsparpotenzial für tungskorridore und Fernrelationen, da dort die Güterver- den Lkw-Bereich mit etwa 40 %. Die Erschließung dieses kehrsleistung am größten ist. Potenziell verlagerungsfä- großen Potenzials für Effizienzsteigerungen wird zukünf- hig sind der gesamte Straßengüterfernverkehr sowie Teile

148 Ziele und Handlungsmöglichkeiten des Straßengüterregionalverkehrs (HOLZHEY et al. mulative Investitionskosten für Aus- und Neubau ergeben 2011, S. 14). Im Güternahverkehr erscheint eine deutliche sich unter den getroffenen Annahmen etwa 50 Mrd. Euro Verlagerung von der Straße auf die Schiene schon wegen bis zum Jahr 2050. Dieser Wert erscheint hoch, relativiert fehlender Infrastrukturen, aber auch etwa wegen man- sich jedoch bei Betrachtung des Zeitraumes von fast vier- gelnder Flexibilität und Wirtschaftlichkeit unrealistisch. zig Jahren und Bundesmitteln von jährlich 2,5 Mrd. Euro, Zudem bestehen Restriktionen bei Nutzung, Aus- und die die Deutsche Bahn AG für die Erneuerung der vor- Neubau des Schienennetzes, was das Verlagerungspoten- handenen Schieneninfrastruktur derzeit erhält (Deutsche zial weiter einschränkt. Bahn AG und McKinsey & Company 2010, S. 53). Zu- sätzliche Investitionen in die Erweiterung der Fahrzeug- Somit kann nur ein Teil der Güterverkehrsleistung der an- flotte (Loks, Güterwagen) zur Bewältigung des Mehrver- deren Modi auf den Schienengüterverkehr verlagert wer- kehrs fallen in einer Deltabetrachtung zum Lkw nicht an, den. Um eine Abschätzung zur Größe des Verlagerungs- wenn die Schiene die unterstellte Produktivitätssteige- potenzials zu erhalten, hat die KCW GmbH im Auftrag rung erreicht. Tatsächlich ergäbe sich in den Szenarien B des SRU die mögliche Leistungsfähigkeit des Schienen- und C bei den Investitionskosten der Betriebsmittel ein güterverkehrs in Deutschland bis zum Jahr 2050 unter- Vorteil, der allerdings in der Tendenz wieder aufgezehrt sucht (HOLZHEY et al. 2011). Aufbauend auf der im wird, weil im Gegenzug die Terminalinfrastruktur in der Auftrag des UBA erstellten Studie „Schienennetz 2025/ Fläche erheblich ausgeweitet werden müsste. 2030“ (HOLZHEY 2010), mit der gezeigt wurde, dass der Schienengüterverkehr eine vom UBA angenommene Die Kosten für Fahrzeuge und Güterwagen, die dem Güterverkehrsleistung von 213 Mrd. tkm bis 2030 absor- leistungsfähigen System entsprechen, fallen im Rahmen bieren könnte und welche infrastrukturellen Folgekosten des „lebenszyklusgetriebenen Güterwagenaustauschs“ dabei zu erwarten wären, wurden drei Szenarien mit län- (HOLZHEY et al. 2011, S. 32) zum Teil ohnehin an. Zu- gerem Zeithorizont und unterschiedlich hoher Güterver- sätzliche Kosten – für systemkonforme Wagen – wurden kehrsverlagerung modelliert. In allen Szenarien wurde nicht explizit berechnet, dürften aber unterhalb der Infra- weiterhin angenommen, dass der Schienengüterverkehr strukturkosten liegen. im Jahr 2030 213 Mrd. tkm leistet. Für das Prognosejahr Darüber hinaus muss das deutsche Schienensystem auch 2050 wurde untersucht, ob und wie eine Güterverkehrs- weiterhin mit den Systemen der europäischen Nachbar- leistung von 300 (Szenario A), 400 (Szenario B) bzw. staaten abgestimmt werden, um Engpässe an den Grenzen 500 Mrd. tkm (Szenario C) auf der Schiene zu realisieren bzw. Umladestationen zu vermeiden. Insbesondere dem wäre. Dies entspräche einem Anteil des Schienengüter- Alpentransit durch die Schweiz und durch Österreich verkehrs von bis zu 41 % an der prognostizierten Güter- könnte dabei eine entscheidende Rolle zukommen, da verkehrsleistung. Die Analyse bestätigt die grundsätzli- auch dort mit starkem Güterverkehrswachstum gerechnet che Machbarkeit, wenngleich die Zielwerte der wird und aufgrund der topografischen Verhältnisse eine Szenarien B und vor allem C nur dann zu erreichen sind, Expansion des heutigen Verkehrssystems nur schwer wenn viele den Schienengüterverkehr unterstützende Ein- möglich ist. flüsse eintreten. Das sind zum einen technische Verbesse- rungen, beispielsweise in der Leit- und Sicherungstech- Geht man von den genannten möglichen 500 Mrd. tkm nik, in der Verkehrssteuerung und Fahrplangestaltung für den Schienengüterverkehr im Jahr 2050 aus, so ist sowie Verbesserungen von Zustellkonzepten, Umschlag- dieser Wert mehr als das Doppelte dessen, was ICKERT techniken und Logistikkonzepten. Die notwendigen Ver- et al. (2007) für dasselbe Jahr als wahrscheinlichen Wert besserungen beinhalten insbesondere eine verbesserte für den Schienengüterverkehr ohne zusätzliche Verlage- Anbindung der Nordseehäfen (Seehafenhinterlandver- rungsbemühungen abschätzen (227 Mrd. tkm im Schie- kehr) und eine zügigere Abfertigung, beispielsweise nengüterverkehr). Es müssten somit bis zum Jahr 2050 durch die räumliche Trennung von Häfen und Rangier- 273 Mrd. tkm von den anderen Güterverkehrsmodi auf bahnhöfen. Zentraler Hebel ist jedoch die Erhöhung der den Schienengüterverkehr verlagert werden. Stammt Zuglänge und damit des Gesamtgewichts der Züge. diese Verlagerung ausschließlich aus dem Straßengüter- KCW GmbH beziffert das Potenzial zur Erhöhung der verkehr und wird der Schienengüterverkehr im Jahr 2050 maximalen Nettoladung eines Zuges mit 40 %. Eine Ver- regenerativ-elektrisch versorgt, könnte mithilfe der Verla- kehrsleistung von 500 Mrd. tkm im Schienengüterver- gerung eine CO2-Emissionsminderung – unter der An- kehr erscheint unter den getroffenen Annahmen sehr am- nahme von starken Effizienzsteigerungen aller Modi – bitioniert, ist aber technisch und organisatorisch um etwa 15 Mt im Jahr 2050 erreicht werden. Sollte die vorstellbar. Güterverkehrsleistung aufgrund von Vermeidungseffek- ten niedriger ausfallen als in ihren Betrachtungen von Neben der Ausschöpfung der technischen und organisato- HOLZHEY et al. (2011) angenommen, würde dies auch rischen Potenziale bedingt eine Schienengüterverkehrs- das Potenzial der verlagerbaren Verkehre und somit der leistung von 500 Mrd. tkm deutlich höhere Zugzahlen als Reduktion von THG-Emissionen reduzieren. Grundsätz- heute und in der Folge den Aus- und zum Teil Neubau lich werden die THG-Emissionen des Güterverkehrs je- von Streckenkapazitäten, der von geeigneten ordnungs- doch auch dann noch oberhalb der Zielwerte liegen. und planungsrechtlichen Instrumenten flankiert werden müsste (vgl. Abschn. 4.4.3). Zudem müssten für Unter- Eine Güterverkehrsleistung des Schienengüterverkehrs in nehmen Anreize zur Verlagerung ihrer Transporte auf die Höhe von 500 Mrd. tkm im Jahr 2050 bedeutet auf der Schiene geschaffen werden (vgl. Abschn. 4.4.4). Als ku- anderen Seite, dass bis zu 700 Mrd. tkm der für das Jahr

149 Güterverkehr und Klimaschutz

2050 prognostizierten Güterverkehrsleistung mithilfe an- sichtlich ihrer technischen Machbarkeit und der notwen- derer Modi erbracht werden müssten (600 Mrd. tkm digen Infrastruktur jeweils Vor- und Nachteile. So könnte Straße, 100 Mrd. tkm Binnenschiff). Deren CO2-Emissio- ein Teil des Güterverkehrs batterieelektrisch angetrieben nen dürfen dabei nicht über dem Klimaschutzziel liegen. werden. Allerdings scheint das Potenzial für den Einsatz Unterstellt man zwar Effizienzsteigerungen bei den Ver- von batterieelektrischen Systemen im Güterverkehr auf brennungsmotoren, jedoch keinen grundsätzlichen Sys- leichte Lkws im Nahverkehr beschränkt zu sein, insbe- temwechsel, so läge die Emissionsmenge des Güterver- sondere aufgrund der vergleichsweise geringen Reich- kehrs mit 35 bis 40 Mt CO2eq/a weiterhin bei einem weiten und des hohen Gewichts von Batterien. Das Leer- Mehrfachen der angestrebten Zielwerte von 2,3 bis gewicht eines Lkws würde stark erhöht werden, wodurch 9,2 Mt/a. Abbildung 4-5 veranschaulicht ungefähre sich die maximale Zuladung und damit die Effizienz THG-Emissionsminderungen durch verschiedene Maß- deutlich verringern würde. Batteriewechselsysteme könn- nahmen. ten diesen Nachteil verringern.

4.3.5 Energieträgersubstitution im 4.3.5.1 Elektrifizierung des Straßengüter- Straßengüterverkehr verkehrs 256. Wie gezeigt, wird eine THG-Emissionsreduktion 257. Zur Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs er- durch organisatorische Maßnahmen (Abschn. 4.3.2), Effi- scheinen dem SRU leitungsgeführte Lkws, sogenannte zienzsteigerungen (Abschn. 4.3.3) und Verlagerung (Ab- Trolley-Trucks (E-Trolleys), eine vielversprechende Op- schn. 4.3.4) mit großer Sicherheit nicht ausreichen, um tion zu sein. Ihre Technik ist mit der von Trolley-Bussen das notwendige Reduktionsziel zu erreichen. Folglich be- (Oberleitungsbusse – Obusse) vergleichbar, wie sie bei- darf es weiterer Überlegungen und Maßnahmen zur spielsweise in Genf, Luzern und auch Solingen im öffent- Zielerreichung. Grundsätzlich ist es notwendig, THG- lichen Personennahverkehr eingesetzt werden. In einem Emissionen verursachende Kraftstoffe durch solche Ener- Trolley-Truck werden Elektromotoren (zentrale Antriebs- gieträger zu ersetzen, die deutlich weniger bzw. gar keine einheit oder Radnabenmotoren) mithilfe eines Stromab- THG-Emissionen verursachen. nehmers und Umrichters über eine fest verlegte Versor- Neben der Verlagerung auf die Schiene gibt es weitere gungsleitung mit Elektrizität gespeist, wobei ein Optionen, den Güterverkehr elektrisch zu versorgen. Dies Schleifschuh oder eine Schleifleiste im Stromabnehmer gilt insbesondere für den Straßengüterverkehr als größter an die Versorgungsleitung gedrückt wird. Der Stromab- Emissionsquelle innerhalb des Güterverkehrs. Dabei ha- nehmer sollte so flexibel sein, dass Ausweich- oder Über- ben die einzelnen im Folgenden gezeigten Optionen hin- holmanöver möglich sind. Die Versorgungsleitung kann

Abbildung 4-5

Entwicklung der CO2-Emissionen des Güterverkehrs und Größenordnungen der Reduktionspotenziale verschiedener Maßnahmen

140 Mt Berechnungen basierend auf 130 Ickert et al. (Progtrans) 120 Öko-Institut und Prognos AG Trend (Modell Deutschland), 110 Referenzszenario bei konstanter 100 Öko-Institut und DLR-IVF Emissionsintensität (RENEWBILITY), 90 Basisszenario Öko-Institut und DLR-IVF 80 (RENEWBILITY), Szenario "Klimaschutz im Verkehr" Effizienzsteigerung 70

60 Ickert et al. (Progtrans), 50 sinkende Emissionsintensität lagerung 40 Ickert et al. (Progtrans), sinkende Emissionsintensität, Ver 30 2050: 500 Mrd. tkm Schienengüterverkehr 20 (erneuerbar-elektrisch) 10 Ziel 2050 0 substitution 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Energieträger- SRU/UG 2012/Abb. 4-5; Datenquelle: ICKERT et al. 2007; BMVBS 2011; IFEU 2008; Öko-Institut und DLR-IVF 2009b; Öko-Institut und Prognos AG 2009

150 Ziele und Handlungsmöglichkeiten entweder im Straßenkörper neben der Fahrbahn (Strom- beziffert. Eine schwedische Studie aus dem Jahr 2011 be- schiene) oder darüber (Oberleitungen) liegen. Sie wird ziffert die spezifischen Leitungskosten mit 10 Mio. SEK/ über regelmäßige Einspeisepunkte elektrisch versorgt. km (1,1 Mio. Euro/km) (RANCH 2010). Geht man über- schlägig davon aus, dass die Hauptmagistralen mit dem Entscheidende Vorteile einer Installation der Oberleitung größten Verkehrsaufkommen über elektrische Oberleitun- über der rechten Fahrspur gegenüber anderen Installa- gen versorgt werden, ergäben sich bei einer Länge von tionsarten sind zum Beispiel eine geringere Fehleranfäl- 5.700 km Investitionskosten von 14,25 Mrd. Euro als ligkeit, bessere Integration in den Verkehr und niedrigere oberer Wert (Annahme: 2,5 Mio. Euro/km). Investitionen Kosten. Ein solches System für den Straßengüterverkehr in flächendeckende Oberleitungen, das heißt auch für den bedarf gegebenenfalls modularer, zum Teil redundanter Verteilverkehr, erscheinen aus Kostengründen und Grün- Übertragungskomponenten und Sicherheitseinrichtungen den der Praktikabilität kaum sinnvoll. Zu denken ist eher oder eines flexibel abrufbaren Energiespeichers im Fahr- an eine Elektrifizierung aller einstellig nummerierten zeug (z. B. Doppelschichtkondensatoren). Diese dienen deutschen Autobahnen (A1 bis A9), um eine gute Abde- dazu, Unterbrechungen der Energieversorgung – bei- ckung der Güterfernverkehre zu erreichen. spielsweise durch Unfall- oder Baustellen – zu vermeiden und die Flexibilität – beispielsweise für Ausweichvor- Für den Übergang sollten zunächst Systeme Anwendung gänge – zu erhöhen und Gefahren zu minimieren. Insbe- finden, die die Vorteile des bisherigen Straßengüterver- sondere Fragen der Fehleranfälligkeit und Sicherheit der kehrs mit denen eines Trolley-Systems vereinen, um Brü- Verwendung eines solchen Systems im Straßengüterver- che zu vermeiden. Eine dieser Optionen ist der Einsatz kehr müssen noch genauer untersucht werden. Hierbei sogenannter Shuttles. Dabei handelt es sich um elektrisch sollte auf Erfahrungen mit ähnlichen Systemen wie der betriebene Zugmaschinen ähnlich der Trolley-Trucks, die elektrifizierten Bahn oder Obus-Systemen, bei denen alle jedoch komplett eingehängte Lkws ziehen. Solche wesentlichen Sicherheitsfragen seit Jahrzehnten intensiv Shuttles haben den Vorteil, dass sie einen elektrisch ange- untersucht worden sind, zurückgegriffen werden. triebenen Güterfernverkehr gewährleisten könnten, der Ein Trolley-Truck-System kann verhältnismäßig einfach auch mit herkömmlichen dieselgetriebenen Lkws kompa- ins bestehende Fernstraßensystem integriert werden. Da- tibel ist. Vielversprechend erscheint eine Variante, bei der für sind grundsätzlich keine zusätzlichen Fahrspuren er- nur die Aufleger, nicht jedoch die Zugmaschinen der forderlich, wenn bei dreispurigen Fahrbahnen, wie auf Lkws mithilfe von Shuttles transportiert werden. Dieses den Hauptstrecken der Autobahnen, die rechte Fahrspur Konzept hätte den Vorteil, dass die zu transportierende mit Oberleitungen ausgestattet wird. Gegebenenfalls be- Last verringert würde. Denkbar ist dabei, dass ein Logis- darf es einer Fahrbahnverstärkung, wenn das durch den tikunternehmen die Wahlmöglichkeit hat zwischen der Einsatz von Telematik mögliche, deutlich höhere Trans- Investition in eigene neue elektrisch betriebene Zugma- portaufkommen durch gleiche Fahrgeschwindigkeit und schinen oder aber der Benutzung von Miet-Shuttles auf geringere Lkw-Abstände genutzt wird. Das zu erwartende den Hauptmagistralen. Güterverkehrswachstum wird entsprechende Fahrbahn- Dabei handelt es sich jeweils um technische Optionen, verstärkungen jedoch vermutlich ohnehin erfordern, so- die es zu entwickeln und auf ihre Machbarkeit – auch im dass hierdurch keine oder allenfalls geringe Zusatzkosten europäischen Kontext – zu prüfen gilt. So birgt eine euro- entstehen würden. päische Lösung für mit regenerativ erzeugtem Strom ver- Es spricht vieles dafür, die Trolley-Trucks zusätzlich mit sorgte Oberleitungssysteme Potenziale für das Erreichen einem Verbrennungsmotor auszustatten, um diese diesel- der europäischen Klimaschutzziele, setzt aber vermutlich elektrisch betreiben zu können (Hybrid-Lkw). Diesel- langwierige Abstimmungs- und Einigungsprozesse zwi- elektrisch betriebene Lkws sind bereits heute erhältlich. schen den Mitgliedstaaten voraus. Bei der Einführung der Der zusätzliche Verbrennungsmotor erhöht zwar das Oberleitungssysteme im Wege eines deutschen Allein- Fahrzeuggewicht, gewährleistet allerdings eine sehr viel gangs müsste nicht nur die technische Kompatibilität mit größere Flexibilität. Gleiches gilt für die Ausstattung der den Güterverkehrssystemen in den anderen Mitgliedstaa- Trolley-Trucks mit Doppelschichtkondensatoren, mit de- ten gewährleistet, sondern im Hinblick auf die primär- ren Hilfe kurze Strecken ohne Oberleitungskontakt über- und sekundärrechtlichen Vorgaben insbesondere zum wunden werden können. Beispielsweise würden dadurch freien Warenverkehr auch eine europaverträgliche Ausge- gegebenenfalls notwendige Überholmanöver und das staltung sichergestellt werden. Shuttlekonzepte könnten Umfahren von Baustellen und Unfällen sowie der Trans- auch hier helfen, eine entsprechende Konformität mit den port zu und von den mit Oberleitungen ausgestatteten europäischen Vorgaben sicherzustellen. Strecken bzw. auf nicht elektrifizierten Strecken ermög- licht. Im Kontext der angestrebten Verlagerung signifikanter Transportvolumina des Güterfernverkehrs auf die Hinsichtlich der Kosten schätzen BRAUNER et al. Schiene stellt sich die Frage nach der Konkurrenz zwi- (2003), dass Lkws mit Hybridantrieb etwa das Doppelte schen dem Ausbau des Schienengüterverkehrs einerseits kosten wie konventionelle Diesel-Lkws, wobei die Ab- und der Elektrifizierung der Straße andererseits. Bei der- schätzung auf geringen Stückzahlen und vergleichsweise zeitiger Güterverkehrsleistung wäre zunächst vorwiegend hohen Kostenannahmen beruht. In BRAUNER et al. von einer Konkurrenzsituation auszugehen. Angesichts (2000) werden die Infrastrukturkosten inklusive Oberlei- des prognostizierten Anstiegs der Transportleistung und tung und Randabsicherung mit circa 2,5 Mio. Euro/km des erforderlichen Zeitbedarfs für die Entwicklung und

151 Güterverkehr und Klimaschutz den Aufbau eines Oberleitungssystems könnte sich das Güternahverkehrs (vgl. Abschn. 4.3.5.1) an Grenzen. Verhältnis bis zur Verfügbarkeit der notwendigen Infra- Auch Batteriesysteme scheinen aufgrund eines notwendi- strukturen jedoch zu einer Komplementaritätsbeziehung gen häufigen Batterieladens bzw. -austauschs und eines entwickeln. So könnten einer aggressiven Verlagerungs- hohen zusätzlichen Gewichts nur einen Teil der verblei- politik von der Straße auf die Schiene durch beschränkte benden Güterverkehrsleistung decken zu können. Wie Kapazitätsausbaumöglichkeiten bei zum Beispiel expo- groß die verbleibende Güterverkehrsmenge ist, wird ins- nentiell verlaufenden Ausbaukosten Grenzen gesetzt sein. besondere von der Gesamtentwicklung der Güterver- Zudem könnte die Verlagerung auf die Schiene für man- kehrsleistung und vom Elektrifizierungsgrad abhängen. che Transporte aufgrund hoher Umwegefaktoren den Um die CO2-Emissionen des Güterverkehrs weiter zu Energieverbrauch erhöhen. Daher ist es grundsätzlich senken, müssen auch verbleibende Verkehre weitestge- denkbar, eine Verlagerungsstrategie auf die Schiene durch hend CO2-neutral dargestellt werden. Hier bietet sich als den gleichzeitigen Aufbau einer Infrastruktur für E-Trol- eine Option grundsätzlich der Einsatz von Biokraftstoffen leys zu ergänzen. an. Für Verteilverkehre, für die weder eine Verlagerung auf Biokraftstoffe lassen sich danach unterscheiden, ob nur die Schiene noch eine Oberleitungslösung infrage bestimmte Pflanzenteile (Biokraftstoffe der ersten Gene- kommt, erscheint der Einsatz batteriegetriebener Lkws ration) oder die gesamte Pflanze (Biokraftstoffe der zwei- als Option, auch vor dem Hintergrund der für den Stra- ten Generation) für die Kraftstoffherstellung genutzt ßenpersonenverkehr geführten Diskussion (NPE 2011). werden. Dabei kommen Öl-, Zucker-, Stärke- und Ligno- Setzt man im Güternahverkehr bei leichten Lkws Wech- zellulosepflanzen zum Einsatz. Zu den Biokraftstoffen selbatteriesysteme und im Fernverkehr Trolley-Trucks der ersten Generation zählen Pflanzenöl, daraus herge- ein, so verbleibt nur noch ein kleiner Teil des Straßengü- stellter Biodiesel sowie Bioethanol auf Basis von Zucker- terverkehrs, der nicht regenerativ-elektrisch versorgt wer- und Stärkepflanzen. Zu den Biokraftstoffen der zweiten den kann, nämlich die mit schweren Lkws durchgeführ- Generation zählen BtL-Kraftstoffe (BtL – Biomass-to- ten Verteil- und Sammelverkehre. Liquid) und Bioethanol auf Lignozellulosebasis (RODT et al. 2010, S. 53 f.). Letztere befinden sich derzeit noch 4.3.5.2 Biokraftstoffe im Forschungsstadium. Weitere Informationen zu Bio- kraftstoffen und Umwandlungsverfahren finden sich bei- 258. Es ist wahrscheinlich, dass nicht der gesamte Gü- spielsweise in einem Gutachten des Wissenschaftlichen terverkehr regenerativ-elektrisch dargestellt werden kann. Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderun- Wie gezeigt, stoßen eine Verlagerung auf die Schiene gen (WBGU 2009, Abschn. 4.1.1.3) und bei EISEN- (vgl. Abschn. 4.3.4) und auch eine Elektrifizierung des TRAUT (2010).

Abbildung 4-6

Vergleich verschiedener Konversionspfade im Verkehrssektor in Bezug auf die am Rad nutzbare mechanische Energie

100 100 „Direkterzeugung“ von Strom Übertragung von regenerativem 90 Strom 90 Vergasung: Elektromotor: Rohgas Strom aus Direkterzeugung 80 80 (Wasser, Wind, Solar) Batterie, Wandler, 70 Elektromotor 70 Elektromotor: Gasreinigung, Strom aus Biomasse 60 Gasreinigung, Fischer-Tropsch- 60 (Holz, KUP, Gras) Methanisierung und Synthese und Upgrading thermisches FT-Diesel (BtL) 50 50 GuD-Kraftwerk Verbrennungsmotor: Biostrom Biokraftstoff 2. Generation 40 40 (FT-Diesel/BtL aus KUP)

30 30 Separation, Verbrennungsmotor: Extraktion von Umesterung Biokraftstoff 1. Generation 20 Rapsöl Biodiesel 20 (Biodiesel aus Raps)

10 Tank, 10 Nutzenergie / mechanische Energie bei Fahrzeugen [%] Verbrennungsmotor Primärenergie / Chemischer Energiegehalt der Rohbiomasse [%] 0 0 1. Wandlungsschritt 2. Wandlungsschritt Zielenergiewandlung Quelle: WBGU 2009, S. 205

152 Ziele und Handlungsmöglichkeiten

Biokraftstoffe werden wie fossile Kraftstoffe in Verbren- lem auf jene Bereiche beschränkt werden, in denen sich nungsmotoren eingesetzt. Ihr Wirkungsgrad ist aufgrund derzeit noch keine Alternativen zu flüssigen Kraftstoffen von Verlusten bei der Herstellung und in der Umwand- für den großflächigen Einsatz abzeichnen. Das sind vor lungskette vergleichsweise gering. Denn nur etwa 5 bis allem der Luft- und der Schiffsverkehr sowie im Straßen- 35 % der in der Pflanze gespeicherten Energie können in güterverkehr zumindest mittelfristig die Restverkehre, die nutzbare mechanische Energie umgewandelt werden, wo- nicht regenerativ-elektrisch betrieben werden können. hingegen bei regenerativ-elektrischen Antrieben der Wir- kungsgrad mit circa 75 % deutlich höher ist (vgl. Abb. 4-6). 4.3.5.3 Wasserstoff und synthetische Vorteilhaft wäre allerdings, dass herkömmliche Verbren- Kohlenwasserstoffe nungsmotoren nur geringfügig technisch verändert wer- den müssen, um mit Biokraftstoffen angetrieben werden 260. Zukünftig ist die Substitution von erdöl- und erd- zu können. gasbasierten Kraftstoffen für den Güterverkehr durch re- generativ erzeugte synthetische Kraftstoffe wie Wasser- 259. Eine intensive Produktion von Biokraftstoffen stoff und Methan denkbar. Während die Verwertung steht mit Naturschutzbestrebungen in einem Zielkonflikt. dieser Energieträger technisch bereits weitgehend eta- Der Anbau von Pflanzen für die Biokraftstoffproduktion bliert ist, bedarf es bei der Erzeugung noch der Verbesse- sollte nach Ansicht des SRU nur – wie bei der energeti- rung oder sogar noch der grundlegenden Erarbeitung. schen Nutzung von Biomasse insgesamt – innerhalb en- ger ökologischer Grenzen erfolgen. Die Biomassenut- Im Mittelpunkt der Erzeugung aller dieser Energieträger zung ist aufgrund der für den Anbau benötigten Flächen, steht die Wasserelektrolyse, mit der zum Beispiel über- aber auch im Hinblick auf die Ziele des Naturschutzes, schüssiger Strom aus Wind und Sonne als chemische die sich im Einzelnen etwa aus dem Bundesnaturschutz- Energie gespeichert werden kann. Durch weitere Um- gesetz (BNatSchG) und der Fauna-Flora-Habitat-Richtli- wandlungsschritte kann mithilfe erneuerbarer Energien nie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) ergeben, begrenzt (SRU Methan aus Wasserstoff und Kohlendioxid hergestellt 2005, S. 181 ff.). Die Abschätzung des Potenzials einhei- werden. Aufgrund der bedeutenden Rolle, die Methan be- mischer Biomasse für die Biokraftstoffherstellung hängt reits heute als Hauptbestandteil des fossilen Erdgases unter anderem stark davon ab, welche naturschutzrechtli- spielt, steht eine ausgebaute Infrastruktur mit hoher Spei- chen Restriktionen unterstellt werden. Abschätzungen cherkapazität zur Verfügung. Im Zuge eines Umbaus des zeigen, dass das Potenzial zukünftig zwar wachsen wird Energieversorgungssystems bietet es sich an, diese beste- (u. a. durch Zuwachs bei Flächenerträgen und durch die hende Struktur mit ihren ausgezeichneten Eigenschaften schrumpfende Bevölkerungsanzahl in Deutschland), je- auch in Zukunft für regenerative Energiesysteme zu nut- doch bei etwa der Hälfte des Potenzials der festen Bio- zen (STERNER 2009). masse und auch weit unter dem biogener Reststoffe liegt (SRU 2005, S. 183). Weitere zu berücksichtigende Eine weitere Möglichkeit zur Nutzung von regenerativ er- Aspekte sind Flächennutzungskonkurrenzen mit dem zeugten Energieträgern stellt die Speicherung von Was- Nahrungs- und Futtermittelanbau und dem Anbau von serstoff in mobilen Systemen dar. Dies kann zukünftig Energiepflanzen für die Strom- und Wärmeerzeugung. In eventuell durch flüssige organische Wasserstoffträgersub- internationaler Perspektive sind – vor dem Hintergrund stanzen wie zum Beispiel Ethylcarbazol geschehen. einer weiterhin wachsenden Weltbevölkerung und der Carbazol ist charakterisiert durch seine hohe Speicherfä- Notwendigkeit der Erhaltung natürlicher Kohlenstoffsen- higkeit von Wasserstoff, der im Bedarfsfall an eine ken – Flächennutzungskonkurrenzen als begrenzender Brennstoffzelle oder auch an einen Wasserstoffmotor ab- Faktor von noch größerer Bedeutung. gegeben werden kann. Da die flüssige Trägersubstanz ähnliche physikalisch-chemische Eigenschaften wie Die- Zwar können die spezifischen CO2-Emissionen durch die sel aufweist, kann auf eine bestehende Infrastruktur zu- Verwendung von Biokraftstoffen reduziert werden, hin- rückgegriffen werden (TEICHMANN et al. 2011). Die sichtlich der anderen Umweltwirkungen (z. B. Versaue- Verwendung von Carbazol steht derzeit jedoch vor bis- rung von Böden und Eutrophierung von Gewässern) lang nicht gelösten technischen Herausforderungen wie schneiden Biokraftstoffe jedoch zum Teil schlechter ab der Reinheit des Wasserstoffs nach dem Abtrennen vom als Erdölprodukte. Zudem besteht beim Import von Bio- Trägermedium, Temperaturunterschieden zwischen Ab- masse die Gefahr, dass Umweltprobleme in andere Län- trennprozess und Brennstoffzelle sowie der Toxizität von der verlagert werden. Hier stellen sich insbesondere Pro- Carbazol. bleme der indirekten Landnutzungsänderung als relevant und komplex dar. Der SRU hat sich in der Vergangenheit Die genannten Kraftstoffe sind derzeit weit entfernt von bereits eingehend mit dieser Thematik befasst und Vor- einer großflächigen Anwendung im Markt. Eine Poten- schläge für Leitplanken und Standards des nachhaltigen zialabschätzung ist daher nicht möglich. Die Umwand- Anbaus und der Nutzung von Biomasse entwickelt (SRU lungsprozesse sind mit hohen Verlusten behaftet, und die 2007, Kap. 4). Systemeffizienz ist daher niedrig. Demgegenüber ist der Wirkungsgrad insbesondere von Güterverkehrssystemen, Nach Maßgabe der weitgehenden Vermeidung anderer die direkt elektrisch gespeist werden (vgl. Abschn. 4.3.4), negativer Umweltauswirkungen ist das Potenzial für den deutlich höher und daher synthetischen Kraftstoffen vor- Anbau von Pflanzen zur Biokraftstoffproduktion stark be- zuziehen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass weitere grenzt. Daher sollte ihre Verwendung langfristig vor al- Forschung offene, vor allem technische Fragen beantwor-

153 Güterverkehr und Klimaschutz ten kann und diese regenerativ erzeugten Energieträger liert die Bepreisung generell alle verfügbaren Hebel zur eine Rolle im zukünftigen Kraftstoffmix spielen werden. Emissionsreduktion: Verkehrsvermeidung, Verlagerung zugunsten relativ emissionsarmer Verkehrsträger, Verbes- 4.4 Politische Ansätze zur Flankierung der serung der Energieeffizienz der Fahrzeuge und der ge- Neuausrichtung des Gütertransports samten Logistikketten, Verminderung der Kohlenstoffin- tensität der eingesetzten Energieträger. Die Effekte der 261. Im Folgenden werden einige verkehrs- und um- einzelnen Hebel auf die erreichbare CO2-Minderung vari- weltpolitische Instrumente dargelegt, die der SRU für ge- ieren dabei jedoch in ihrer Stärke und ihrer zeitlichen eignet erachtet, um einerseits durch vergleichsweise Wirksamkeit sowie je nach betrachtetem Verkehrs- schnell greifende Maßnahmen bereits kurz- und mittel- segment. Kurzfristig können durch eine Anlastung von fristig die Klimabelastung durch den Güterverkehr zu Klimakosten vor allem Effizienzsteigerungen induziert dämpfen und andererseits einen langfristig angelegten werden. Aufgrund der aus der Produktionsstruktur abge- Strukturwandel des Gütertransports einzuleiten. Kurz- bis leiteten Güterverkehrsnachfrage sowie infrastruktureller mittelfristig können vor allem finanzielle Anreize, ver- Trägheiten wirkt die Emissionsbepreisung auf die ande- kehrslenkende Maßnahmen und technische Standards zur ren Hebel vornehmlich erst in längerfristiger Perspektive. Erhöhung der Energie- und CO2-Effizienz innerhalb der Insbesondere um signifikante Verlagerungseffekte zu er- bestehenden Strukturen des Güterverkehrs beitragen und reichen, sind zudem andere Instrumente prioritär, vor al- somit dessen ökologischen Fußabdruck reduzieren. Lang- lem die Entwicklung eines an Nachhaltigkeitskriterien fristig ist es essenziell, diese Strukturen aufzubrechen und ausgerichteten Verkehrsnetzes. die gesamte Verkehrsinfrastruktur klimaverträglicher zu gestalten. Hierbei stehen planerische Instrumente und Idealtypischerweise bemisst sich die Höhe des CO2-Preis- Forschungsaktivitäten im Vordergrund. signals an den marginalen Klimakosten, das heißt den ei- ner zusätzlichen Emissionseinheit (z. B. t CO2) zuzurech- nenden monetarisierten Schäden. Die Höhe der 4.4.1 Ökonomische Instrumente marginalen Klimakosten von THG-Emissionen lässt sich 262. Ziel der hier betrachteten ökonomischen Instru- angesichts einer Kaskade struktureller Unsicherheiten al- mente ist die Anlastung der externen Kosten, insbeson- lerdings nicht sinnvoll eingrenzen (WEITZMAN 2010; dere der des Straßengüterverkehrs, damit eine möglichst 2009). Diese reichen von Unsicherheiten über die lang- umfassende Kostenwahrheit verwirklicht und ein fairer fristige Dynamik im Klimasystem, das Ausmaß und die Wettbewerb der Verkehrsträger innerhalb der gesteckten regionale Verteilung der gesellschaftlichen und wirt- ökologischen Leitplanken ermöglicht wird. Im Fokus ste- schaftlichen Auswirkungen gravierender Temperaturän- hen dabei Ansätze zur unmittelbaren Bepreisung des derungen bis zur Bewertung intra- und intergenerationel- THG-Ausstoßes und zudem Straßenbenutzungsgebüh- ler Gerechtigkeitsfragen. Vorhandene Schätzungen der ren, die der Anlastung weiterer externer Umwelt- und In- marginalen Schäden des THG-Ausstoßes variieren erheb- frastrukturkosten dienen. Es ist zu erwarten, dass infolge lich in Abhängigkeit von den zugrunde liegenden Annah- der Verteuerung von Transportleistungen zunächst vor al- men (z. B. TOL 2005; WATKISS et al. 2005; DOWNING lem vorhandene Effizienzpotenziale erschlossen werden. et al. 2005). Angesichts dieser Unsicherheiten sieht eine Durch die verkehrsträgerübergreifende Anlastung exter- alternative Herangehensweise die – wissenschaftlich in- ner Umwelt- sowie Infrastrukturkosten ließe sich jedoch formierte und dem Vorsorgeprinzip genügende – Festset- auch die Gesamtverkehrsleistung dämpfen und ein Modal zung einer maximalen Emissionsmenge durch die Politik Shift zugunsten umweltfreundlicherer Modi, insbeson- vor. Durch einen Emissionsbepreisungsmechanismus soll dere des Schienenverkehrs, induzieren (den BOER et al. die Einhaltung des maximalen Emissionsbudgets und 2011, S. 38; de JONG et al. 2010; van ESSEN et al. dessen möglichst effiziente Allokation auf die verschie- 2008). denen Emittenten erreicht werden (BAUMOL und OATES 1971). Um faire Wettbewerbschancen zu verwirklichen, müssen die verschiedenen Verkehrsträger allerdings auch mit Grundsätzlich lässt sich die Emissionsbepreisung somit Blick auf andere kostenrelevante Faktoren gleich behan- sowohl über die Besteuerung fossiler Energieträger (Fest- delt werden. Dies betrifft insbesondere die strenge Ein- legung des Preises) als auch mittels Festlegung der Emis- haltung von Sicherheitsvorschriften sowie allgemeiner sionsmenge und der Ermittlung des Preises über ein Arbeitszeit- und Sozialstandards, beispielsweise der Emissionshandelssystem umsetzen. Lenk- und Ruhezeiten im Straßengüterverkehr, durch eine deutlich verbesserte Vollzugskontrolle. Besteuerung

4.4.1.1 Emissionsbepreisung 264. Die Energiesteuer erfüllt als aufkommensstärkste Verbrauchsteuer eine wichtige fiskalische Funktion und 263. Eine tragende Säule der klimapolitischen Strategie belegt Mineralölerzeugnisse, die als Kraftstoffe im Stra- der EU ist die finanzielle Belastung der Emission von ßenverkehr eingesetzt werden, bereits heute mit einer re- Treibhausgasen. Eine angemessene Bepreisung verkehrs- lativ hohen Steuerlast. Im Rahmen der ökologischen bedingter CO2-Emissionen soll gewährleisten, dass die Steuerreform wurden die Steuersätze fossiler Kraftstoffe Emittenten ihren THG-Ausstoß als Kostenfaktor in ihrem zwar auch unter Verweis auf klimapolitische Zielstellun- wirtschaftlichen Kalkül berücksichtigen. Mithin stimu- gen erhöht, dennoch enthält die gegenwärtige Besteue-

154 Politische Ansätze zur Neuausrichtung des Gütertransports

rung fossiler Kraftstoffe keine explizite CO2-Kompo- die erstmaligen Inverkehrbringer von Kraftstoffen (Im- nente. In Deutschland und vielen weiteren europäischen porteure, Raffinerien) zum Nachweis von CO2-Zertifika- Staaten wird Dieselkraftstoff niedriger als Ottokraftstoff ten, entsprechend des in den Kraftstoffen enthaltenen besteuert. Diese Struktur der Kraftstoffbesteuerung wird Kohlenstoffs, verpflichtet. Somit würde der Straßenver- ökologischen Kriterien nicht gerecht. Dieselkraftstoff kehr bezüglich einer expliziten CO2-Bepreisung dem weist nicht nur eine höhere Energiedichte und Kohlen- Schienengüterverkehr gleichgestellt, der bereits – sofern stoffintensität je Liter auf, sondern seine Verbrennung elektrisch betrieben – dem EU ETS unterliegt. Angesichts verursacht zudem in der Regel auch einen höheren Aus- der relativ geringen Preissensitivität der Kraftstoffnach- stoß gesundheits- und umweltschädlicher Luftschad- frage (GRAHAM und GLAISTER 2002; HANLY et al. stoffe. Es findet somit eine ökologisch nicht zu rechtferti- 2002; SMALL und VAN DENDER 2007) erwarten man- gende steuerliche Ungleichbehandlung statt. che Studien (BLOM et al. 2007; Nordic Council of Ministers 2007) für den Fall eines offenen Handelssys- Die bestehende Besteuerung fossiler Kraftstoffe ist daher tems einen Zertifikatzukauf durch den Verkehrssektor, so- seit Langem reformbedürftig (SRU 2005, Tz. 555). Die dass die Emissionsminderungsvorgaben des Straßenver- von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Über- kehrs partiell von den gegenwärtigen EU ETS-Sektoren arbeitung der derzeitigen Energiesteuerrichtlinie 2003/96/ (Industrie und Kraftwerksbereich) erbracht würden. Ob EG, wonach Kraftstoffe gemäß ihres spezifischen Ener- und inwieweit sich die Integration des Straßenverkehrs in giegehalts und der bei der Verbrennung entstehenden das EU ETS auf die Zertifikatpreise und die sektorale Al- CO2-Emissionen zu besteuern sind (Europäische Kom- lokation der THG-Vermeidungsanstrengungen auswirken mission 2011), trüge zum Abbau ökologisch kontrapro- würde, ist jedoch umstritten (FLACHSLAND et al. duktiver steuerpolitischer Verzerrungen bei. Die Bundes- 2011). regierung sollte eine solche Reform der Steuerstruktur auf europäischer Ebene unterstützen und auf die Festsetzung In längerfristiger Perspektive – Zeithorizont 2025 – er- angemessen hoher Mindeststeuersätze hinwirken. Eine wächst aus dem zukünftig erwarteten und erforderlichen verstärkte Harmonisierung der europäischen Kraftstoff- verstärkten Einsatz alternativer Energieträger (u. a. besteuerung ist auch vor dem Hintergrund des stetig an- Strom, Wasserstoff) im Straßenverkehr ein weiteres Ar- steigenden Anteils internationaler Verkehre (Quell-, Ziel-, gument zugunsten der Integration des Transportsektors in Transitverkehr) am gesamten Kraftstoffverbrauch gebo- den europäischen Emissionshandel. Diese Energieträger- ten, da signifikant divergierende Kraftstoffpreise auf Diversifizierung geht mit einer zunehmenden Verschmel- internationalen Güterverkehrsrelationen Ausweichver- zung des Elektrizitäts- und Verkehrssektors einher. Die halten zur Steuerumgehung induzieren. Führte die Neu- Erfassung sämtlicher Energieträger im europäischen justierung der Steuersätze zu einer Erhöhung des absolu- Emissionshandel könnte zur Schaffung eines konsistenten ten Steuersatzes auf Dieselkraftstoff, würden sowohl regulatorischen Rahmens beitragen, der gleiche Wettbe- – vor allem langfristig wirkende – Anreize zu Vermei- werbsbedingungen der verschiedenen Verkehrs- und dung und Verlagerung als auch Impulse für weitere effi- Energieträger hinsichtlich der Anlastung ihrer Klimakos- zienzsteigernde Maßnahmen gesetzt. Im Personenverkehr ten gewährleistet. und zum Teil auch im Verteilverkehr mit leichten Nutz- fahrzeugen würde die veränderte Steuerstruktur zudem In einem geschlossenen Handelssystem für den Verkehrs- voraussichtlich zu einer Verschiebung der Nachfrage vom sektor (z. B. KLOOSTER und KAMPMAN 2006; Diesel- zum Ottokraftstoff führen. DEUBER 2002), das heißt einem ohne Verknüpfung mit dem EU ETS, ist das angestrebte Emissionsziel vollstän- dig durch intrasektorale Vermeidungsanstrengungen zu Emissionshandel erreichen, wodurch unmittelbare Wechselwirkungen mit 265. Alternativ zur Erweiterung der Kraftstoffbesteue- energieintensiven Industriebranchen vermieden werden. rung um eine explizite CO2-Komponente lässt sich der Die fehlende Möglichkeit des Zertifikatezukaufs aus an- Ausstoß von THG-Emissionen mithilfe des Emissions- deren Sektoren gewährleistet die Herausbildung eines handels bepreisen. Der Emissionspreis wird dabei nicht hinreichend starken Preissignals, um die zur Zielerrei- exogen durch die Politik bestimmt, sondern er bildet sich chung notwendigen Anpassungsreaktionen innerhalb des endogen im Markt durch das Zusammenspiel der Nach- Straßenverkehrs anzureizen. frage nach der THG-Aufnahmeleistung der Atmosphäre und des Angebots, das heißt des politisch determinierten Grundsätzlich stellt der Emissionshandel in längerfristi- Emissionsbudgets. Grundsätzlich lassen sich offene und ger Perspektive eine attraktive Regulierungsoption dar, da geschlossene Emissionshandelssysteme für den Straßen- er eine präzise Mengensteuerung des Emissionspfades er- verkehr mit jeweils verschiedenen Ausgestaltungsvarian- leichtert, was auch im Kontext internationaler Klima- ten unterscheiden. abkommen mit verpflichtenden absoluten Emissionsvor- gaben von Nutzen sein kann. Angesichts des bestehenden In einem offenen System ließe sich der Straßenverkehr Steuersystems für Kraftstoffe sowie der noch ungeklärten mittels des sogenannten „Upstream-Ansatzes“ mit relativ Fragen zur institutionellen Ausgestaltung eines Emis- niedrigen administrativen Kosten in den bestehenden eu- sionshandelssystems für den Straßenverkehr sollte sich ropäischen Emissionshandel (EU ETS) einbeziehen (z. B. die Bundesregierung jedoch zunächst nachdrücklich für BERGMANN et al. 2005; FLACHSLAND et al. 2011; eine Reform der Energiebesteuerung nach Maßgabe der HOLMGREN et al. 2006). Gemäß diesem Ansatz werden klimapolitischen Erfordernisse einsetzen.

155 Güterverkehr und Klimaschutz

Grenzen der Wirksamkeit von Maßnahmen zur Komponente des Instrumentenmix und trägt zur Stärkung Emissionsbepreisung der Effektivität komplementärer Politikinstrumente bei.

266. Maßnahmen zur finanziellen Belastung des THG- 4.4.1.2 Maut und Straßenbenutzungsgebühren Ausstoßes entfalten zwar grundsätzlich auf allen unter Kapitel 4.3 diskutierten Handlungsfeldern eine gewisse 267. Straßenbenutzungsgebühren für den Straßengüter- Anreizwirkung Emissionen einzusparen. Dennoch sind verkehr dienen in Europa bisher vornehmlich der De- der Lenkungswirkung preislicher Instrumente hinsicht- ckung von Infrastrukturkosten. Grundsätzlich ist eine lich des Erreichens eines gesamtgesellschaftlich langfris- CO2-Bepreisung zwar auch über entfernungsabhängige tig optimalen Mitigationspfades erkennbar Grenzen ge- Straßenbenutzungsgebühren denkbar, jedoch sind Maut- setzt. Die Grenzen liegen vor allem dort, wo staatliche systeme zur unmittelbaren Steuerung des CO2-Ausstoßes Planungsaufgaben involviert sind (z. B. Gestaltung des weniger präzise als am tatsächlichen Kraftstoffverbrauch Verkehrsnetzes) oder wo Investitionen notwendig sind, ansetzende Instrumente. Gleichwohl können Mautsys- die sich erst sehr langfristig amortisieren (z. B. der Auf- teme bei geeigneter Ausgestaltung einen wichtigen Bei- bau einer alternativen Energieversorgungsinfrastruktur). trag zur Verminderung der Umweltbelastungen und zur Erhöhung der Effizienz des Straßengüterverkehrs leisten. Solche sehr langfristig angelegten emissionsmindernden Zum einen können Mautgebühren zu einer größeren Kos- Investitionen leiden insbesondere unter der mangelnden tenwahrheit beitragen, indem den Verkehrsteilnehmern Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit eines politisch ge- neben den Infrastrukturkosten auch die ökologischen und steuerten Preissignals (BRUNNER et al. 2012). Die Mög- gesundheitlichen Folgekosten ihrer Verkehrsaktivitäten lichkeit, einen beschlossenen Emissionspreispfad oder angelastet werden. Zum anderen erlauben sie bei flexibler ambitionierte Emissionseinsparziele im Zuge geänderter Ausgestaltung eine effizientere Kapazitätsauslastung. Da- politischer Mehrheiten wieder aufzuweichen, verringert mit einher geht eine Senkung unmittelbarer externer Stau- die unternehmerische Bereitschaft zu tief greifenden und kosten wie erhöhte Zeitkosten und eine geringere Verläss- zunächst kostenträchtigen Änderungen. Im Gegenzug er- lichkeit von Reise- und Ankunftszeiten (GOODWIN höht dieses Unterlassen rechtzeitiger Weichenstellungen 2004; SMALL et al. 2005). Ebenso können indirekte Ef- die späteren Kosten der Zielerreichung, wodurch wiede- fekte wie vermehrte Umweltbelastungen aufgrund eines rum der politische Druck zur Aufweichung der Ziele staubedingt höheren (spezifischen) Kraftstoffverbrauchs wächst. Dieser sich wechselseitig verstärkende Effekt adressiert werden (SANTOS et al. 2000; GREENWOOD vermindert die langfristig handlungsleitende Wirkung und BENNETT 2003). preispolitischer Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund stellt die Revision der Eurovi- Zudem begünstigen ökonomische Größenvorteile bereits gnetten-Richtlinie 2011/76/EU eine Verbesserung der bis- etablierter Technologien, welche zunächst niedrigere herigen europäischen Rahmensetzung für die Erhebung Kosten im Vergleich zu technologischen Neuerungen mit von Straßenbenutzungsgebühren dar. Erstmals können sich bringen, das Auftreten sogenannter „Lock-in“-Ef- auch externe Kosten durch Luftschadstoff-Emissionen fekte, das heißt ein Verharren in technologisch inferioren und Lärmbelastung in die Berechnung der Mauthöhe ein- Pfadabhängigkeiten (ARTHUR 2004; 1989; UNRUH bezogen werden. Die Bundesregierung sollte von dieser 2000; KLINE 2001). Positive Externalitäten bei Lernkur- Möglichkeit zeitnah Gebrauch machen. Um die Effektivi- veneffekten können den Übergang zu langfristig überle- tät der Lkw-Maut zu erhöhen und ökologisch kontrapro- genen, emissionsarmen Technologien zusätzlich verzö- duktive Ausweichreaktionen zu vermeiden, empfiehlt der gern, selbst wenn ein stabiles CO2-Preissignal vorhanden SRU weiterhin die Erhebung von Straßenbenutzungsge- ist (KALKUHL et al. 2012). Oftmals sind solche Verhar- bühren bereits für Lkws ab 3,5 t und möglichst umfassend rungstendenzen auch Folge eines zu hohen Aufwandes auch auf dem nachgeordneten Straßennetz (SRU 2005, für die Koordination der an einem möglichen System- Tz. 563). Die gegenwärtige Zweckbindung der Mautein- wechsel beteiligten Marktakteure. So verlangt beispiels- nahmen in Deutschland zugunsten der Straßeninfrastruk- weise der Umstieg auf alternative Energieträger (z. B. tur ist abzulehnen, da sie eine mit langfristigen Klimazie- Elektrizität, Wasserstoff) – parallel zu hohen und unsiche- len im Einklang stehende Investitionspolitik erschwert. ren Investitionen – eine enge und verbindliche Abstim- Hierfür wäre vielmehr eine Zweckbindung der Einnah- mung diverser Akteure (Energieversorger, Infrastruk- men zugunsten von modusübergreifenden Maßnahmen turanbieter, Fahrzeughersteller etc.) (BENTO 2010; zur Verminderung der ökologischen Belastungen durch NYGAARD 2008). den Güterverkehr geboten. Divergierende Renditeerwartungen privatwirtschaftli- Ferner sollte die Bundesregierung auf EU-Ebene im Rah- cher und staatlicher Akteure sind eine weitere Ursache, men zukünftiger Revisionsschritte auf weitere Verbesse- weshalb aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive lang- rungen hinwirken, da auch die überarbeitete Richtlinie fristig kosteneffiziente Investitionen – trotz Emissionsbe- trotz Fortschritten in wichtigen Punkten hinter einem aus preisung – nicht notwendigerweise auch aus einzelwirt- ökologischer Perspektive wünschenswerten Ansatz zu- schaftlicher Perspektive attraktiv sind. Obgleich die rückbleibt. Zentrale Kritikpunkte betreffen den Geltungs- Bepreisung von THG-Emissionen allein folglich nicht bereich und die Verbindlichkeit der überarbeiteten Euro- ausreicht, um die notwendigen Emissionsreduktionen im vignetten-Richtlinie. So können die Mitgliedstaaten auch Güterverkehr zu erreichen, ist sie dennoch eine wichtige künftig Lkws mit einem zulässigen Gesamtgewicht zwi-

156 Politische Ansätze zur Neuausrichtung des Gütertransports schen 3,5 t und 12 t von der Maut befreien oder weiterhin Verbesserungen beim spezifischen Kraftstoffverbrauch vollständig auf die Einführung einer Lkw-Maut verzich- auf (HILL et al. 2011; JACKSON 2011; LAW et al. 2011; ten. s. a. Tz. 253). Zur Erschließung der vorhandenen Poten- ziale sollten verpflichtende CO -Grenzwerte für schwere Als kritisch erweist sich überdies, dass externe Staukos- 2 Nutzfahrzeuge erarbeitet und eingeführt werden. Die ten des Straßengüterverkehrs – entgegen ursprünglichen derzeitigen Bestrebungen seitens der Europäischen Kom- Planungen – nicht in den Mautgebühren erfasst werden mission zur Entwicklung von Testprozeduren zur dürfen, obgleich Staukosten auf einigen Streckenab- Verbrauchsmessung sind dabei als notwendige Vorausset- schnitten und in Abhängigkeit von der Verkehrssituation zung einer solchen Standardsetzung zu begrüßen die dominierende Komponente der externen Kosten sein (BRUNNER 2011). Für eine möglichst effektive instru- können (MAIBACH et al. 2008, S. 32 ff.; SCHREYER mentelle Ausgestaltung ist es wichtig, dass der Regulie- et al. 2004, S. 106). Es ist lediglich eine aufkommensneu- rungsansatz nicht nur die Motoreneffizienz, sondern auch trale zeitliche Differenzierung der Infrastrukturgebühren die Aufbauten bzw. den gesamten Fahrzeugzug umfasst, erlaubt. Diese trägt zwar zu einer effizienteren Nutzung da Potenziale zur Verbesserung der Gesamteffizienz der Straßenkapazitäten bei, kann dabei jedoch auch zu- schwerer Nutzfahrzeuge vor allem auch im Bereich Aero- sätzliche Verkehrsleistung induzieren (KOMANOFF dynamik, bei der Verringerung des Rollwiderstandes und 1997, S. 6 ff.). Demgegenüber ließen sich durch eine stre- bei Gewichtseinsparungen liegen (HILL et al. 2011; ckenspezifische, an den tatsächlichen externen Staukos- JACKSON 2011; LAW et al. 2011). In diesen Bereichen ten orientierte zusätzliche Knappheitsbepreisung gleich- erzielte Effizienzsteigerungen sind auch im Hinblick auf zeitig die Verkehrslenkung verbessern und benötigte eine partielle – direkte und indirekte – Elektrifizierung Finanzmittel für Investitionen in den klimaverträglichen des Straßengüterverkehrs von nachhaltigem Nutzen, da Umbau des Verkehrssystems generieren. In diesem Sinne sie den induzierten Anstieg der Stromnachfrage bremsen. sollte zudem der derzeitigen Empfehlung der Richtlinie, die zusätzlichen Mauteinnahmen durch die Erfassung ex- Die Grenzwertsetzung sollte zwischen verschiedenen terner Kosten für eine nachhaltige Gestaltung des Güter- Fahrzeugtypen für unterschiedliche Einsatzzwecke diffe- verkehrs zu verwenden, verpflichtender Charakter zu- renzieren und sich an der maximalen Zuladung hinsicht- kommen. lich des Gewichts und des Volumens orientieren. Dazu ist Des Weiteren sollte bei zukünftigen Revisionen der Euro- eine Methodik zu entwickeln, welche – unter Zuhilfe- vignetten-Richtlinie erneut konstruktiv geprüft werden, nahme von Simulationsmodellen – mit vertretbarem ad- wie die externen – das heißt die nicht über den Kfz-Versi- ministrativem Aufwand eine hinreichend präzise Erfas- cherungsschutz gedeckten – Unfallkosten zukünftig ange- sung der spezifischen CO2-Emissionen verschiedener messen in den Mautgebühren erfasst werden könnten. Fahrzeugkonfigurationen erlaubt. Hierbei kann auf die Obwohl die marginalen externen Unfallkosten, insbeson- Erfahrungen in Japan und den Vereinigten Staaten zu- dere im nachgeordneten Straßennetz und weniger auf den rückgegriffen werden, wo bereits Standards für schwere Autobahnen, signifikant sein können (SCHREYER et al. Nutzfahrzeuge eingeführt wurden bzw. ihre Einführung 2004, S. 90 ff.; MAIBACH et al. 2008, S. 43 ff.; bevorsteht (KAJIWARA 2011; EPA 2011). LINDBERG 2002), bleiben sie auch in der überarbeiteten Aufgrund der vergleichsweise schnellen Flottenerneue- Richtlinie unberücksichtigt. rung schwerer Nutzfahrzeuge ließe sich durch anspruchs- volle CO2-Standards relativ kurzfristig die CO2-Belas- 4.4.2 CO2-Standards für schwere Nutzfahr- tung je beförderter Tonne spürbar mindern. Damit sich zeuge die Verbesserungen der spezifischen Effizienz auch in ei- ner entsprechenden Minderung der absoluten CO -Emis- 268. CO2-Emissions- bzw. Verbrauchsgrenzwerte für 2 Pkws sind ein weltweit verbreitet eingesetztes Instrument sionen niederschlagen, ist der Rebound-Effekt (d. h. eine durch Effizienzgewinne induzierte Zunahme der Trans- zur Begrenzung der CO2-Emissionen sowie der Ölabhän- gigkeit des Straßenpersonenverkehrs. Auch die spezifi- portleistung) durch geeignete preisliche Instrumente zu adressieren (vgl. Abschn. 4.4.1.1). schen CO2-Emissionen leichter Nutzfahrzeuge werden in der EU bereits über solche Standards reguliert, für Während für neu in Verkehr gebrachte Pkws und leichte schwere Nutzfahrzeuge des Straßengüterverkehrs existie- Nutzfahrzeuge Informationsbereitstellungspflichten zum ren hingegen keine europäischen Grenzwerte für den spe- Kraftstoffverbrauch und zu den spezifischen CO -Emis- zifischen CO -Ausstoß. Diese Beschränkung greift zu 2 2 sionen bestehen, existiert in Europa für schwere Nutz- kurz, da leichte Nutzfahrzeuge die Nutzfahrzeugflotte fahrzeuge kein vergleichbarer genormter Fahrzyklus zur zwar hinsichtlich der Fahrzeuganzahl dominieren, der Ermittlung entsprechender Verbrauchs- und Emissionsan- Schwerverkehr mit Blick auf die Gesamtfahrleistung und gaben (ZIMMER und FRITSCHE 2008). Daher sollte den Kraftstoffverbrauch jedoch die größte Relevanz hat – parallel zur Einführung von ambitionierten Standards – (LENZ et al. 2010; HILL et al. 2011, S. 73 ff.; durch eine verbesserte Bereitstellung von Informationen BRUNNER 2011). zum Kraftstoffverbrauch insbesondere auch kleineren Obschon die Kraftstoffeffizienz bereits heute ein wichti- Spediteuren die Anschaffung von verbrauchsarmen und ges Kriterium bei der Anschaffung schwerer Nutzfahr- für die jeweilige Nutzung optimierten Fahrzeugen er- zeuge ist, zeigen verschiedene Studien das nach wie vor leichtert werden. Dies kann sowohl die Etablierung eines große Potenzial für weitere – größtenteils kosteneffiziente – transparenten Labeling-Systems als auch eines öffentlich

157 Güterverkehr und Klimaschutz zugänglichen Simulationstools zur Berechnung der Ge- che Strategische Umweltprüfung (SUP) nicht ausgegli- samtemissionen eines Fahrzeugzugs für verschiedene chen werden können. Konfigurationen umfassen. Fehlerhafte Bedarfsbestimmung 4.4.3 Entwicklung eines zukunftsfähigen 271. Grundlage der Bundesverkehrswegeplanung sind Verkehrsnetzes zunächst Verkehrsprognosen, die jedoch nicht in Szena- 269. Zentraler Baustein für einen klimaverträglichen rien mit verschiedenen Zeithorizonten verarbeitet wer- Güterverkehr ist die Verlagerung auf die Schiene. Dafür den. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass für die pro- ist ein entsprechend ausgestaltetes Schienennetz notwen- gnostizierten Verkehrsströme die entsprechende dig. Grundsätzlich gilt es daher, bestehende Engpässe zu Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden muss, wo- beseitigen und je nach angestrebtem Verlagerungsumfang durch politische Gestaltungsspielräume negiert werden neue Schieneninfrastruktur zur Verfügung zu stellen. Das (SRU 2005, Tz. 398; BORMANN et al. 2010, S. 15). Der Straßennetz ist hingegen bereits so dicht, dass die Erhal- Bedarf wird nicht aufgrund zuvor festgelegter Kriterien tung Vorrang hat und auch Rückbau nicht ausgeschlossen bestimmt, sondern vielmehr durch die Länder für die sein sollte. Bundesfernstraßen und durch die DB Netz AG für die Schiene angemeldet. In der Folge werden – teils sogar Das Planungsverfahren für Bundesverkehrswege ist umstrittene – Großprojekte für den Personenverkehr auf mehrstufig aufgebaut. Grundsätzlich kann die Klimapro- der Schiene finanziert, statt prioritär die Beseitigung von blematik mit den klassischen Mitteln der Konfliktschlich- Engpässen voranzutreiben (HOLZHEY 2010, S. 164; tung in der Planfeststellung – etwa Trassenverlegung – BORMANN et al. 2010, S. 12). Wegen der Verflechtung nicht gelöst werden (WINTER 2010, S. 200). Daher gilt zwischen Bund und Ländern in der Bundesverkehrswege- es zur Gewährleistung eines klimaverträglichen Güterver- planung (der Bund finanziert Projekte, die von den Län- kehrs auf höchster Ebene, nämlich der Bundesverkehrs- dern angemeldet werden), bestehen auf Seiten der Länder wegeplanung, anzusetzen. Denn hier wird die für die Kli- Anreize einen überzogenen Bedarf anzumelden, wodurch maverträglichkeit relevante Frage des Bedarfs an Neu-, es zur Finanzierung von Verkehrsprojekten von nur regio- Aus- und Rückbau von Verkehrswegen entschieden. Auf naler Bedeutung kommt (SRU 2005, Tz. 399). den nachfolgenden Stufen können nur noch die negativen (Umwelt-)Auswirkungen von bereits beschlossenen Ver- Unzureichende Projektbewertung kehrsprojekten reduziert werden. 272. Ein uneingeschränkter Planungsauftrag wird für Der Bundesverkehrswegeplan ist derzeit ein Investitions- solche angemeldeten Projekte erteilt, die nach Durchfüh- rahmenplan, der das notwendige Investitionsvolumen für rung einer Raumwirksamkeitsanalyse, einer Umweltrisi- die einzelnen während seiner Laufzeit vorgesehenen Ver- koeinschätzung und einer Nutzen-Kosten-Analyse als kehrsprojekte darstellt. Mit ihm wird über den Projektbe- vordringlicher Bedarf klassifiziert wurden, wobei letztere darf, nicht jedoch über die konkrete Projektrealisierung das zentrale Kriterium für Bauwürdigkeit und Dringlich- entschieden. Er ist Grundlage für die Bedarfsgesetze (Än- keit ist (BORMANN et al. 2010, S. 10). Die Auswirkun- derungen des Bundesschienenwegeausbau- bzw. des gen von CO2-Emissionen auf das Klima sind im Rahmen Fernstraßenausbaugesetzes), mit denen der Bundestag be- der Projektbewertung nicht ausschlaggebend. So finden schließt, welche Verkehrsprojekte gebaut werden sollen. sie in der ohnehin nur geringe Steuerungswirkung entfal- Deshalb handelt es sich bei der Bundesverkehrswegepla- tenden Umweltrisikoeinschätzung keine Berücksichti- nung um die entscheidende Weichenstellung. Die Erfor- gung (SRU 2005, Tz. 415). Bei der auf die Bewertung der derlichkeit der dort aufgenommenen Projekte lässt sich in gesamtwirtschaftlichen Effekte angelegten Nutzen-Kos- den nachfolgenden Verfahren nur noch schwer widerle- ten-Analyse werden die Klimaauswirkungen zwar mit ei- gen. nem hohen Kostensatz (205 Euro pro ausgestoßener Tonne CO2) bedacht, die Senkung der Transport- und Be- Für 2015 plant das Bundesministerium für Verkehr, Bau förderungskosten sowie die Verbesserung der Erreichbar- und Stadtentwicklung (BMVBS) eine Neuauflage des keit dominieren jedoch (BORMANN et al. 2010, S. 10). Bundesverkehrswegeplans. Diese sollte genutzt werden, Zudem kommt es weder bei der Umweltrisikoeinschät- um das Verkehrsnetz auf einen klimaverträglichen Güter- zung noch bei der Nutzen-Kosten-Analyse zu einer aus- verkehr entsprechend den für das Jahr 2050 gesetzten Re- reichenden verkehrsträgerübergreifenden Alternativen- duktionszielen für CO2-Emissionen auszurichten. prüfung (BORMANN et al. 2010, S. 15; WINTER 2010, S. 199). 4.4.3.1 Schwächen der Bundesverkehrs- wegeplanung Finanzierungsprobleme 270. Die Bundesverkehrswegeplanung von 2003 weist 273. Mit der Fertigstellung der im Bundesverkehrswe- strukturelle Schwächen im Hinblick auf die Gewährleis- geplan 2003 und den entsprechenden Ausbaugesetzen tung eines klimaverträglichen Güterverkehrs auf, die al- enthaltenen Verkehrswege ist nicht nur wegen der langen lein durch die nach § 14b Absatz 1 Nummer 1 in Verbin- Planungszeiträume, sondern vor allem wegen Finanzie- dung mit Anlage 3 Nummer 1 des Gesetzes über die rungsproblemen erst zwischen 2025 und 2030 für die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) nun erforderli- Bundesfernstraßen bzw. bis 2040 für die Bundesschie-

158 Politische Ansätze zur Neuausrichtung des Gütertransports nenwege zu rechnen (BORMANN et al. 2010, S. 4 und Bundesverkehrswegeplanung auf gesetzliche 14). Es fehlt derzeit an einem Finanzierungskonzept. Die Grundlage stellen Finanzierung neuer Schienenwege erfolgt größtenteils 276. Bisher ist das Verfahren für die Bundesverkehrs- über Haushaltsmittel, ohne dass dabei Einnahmen aus der wegeplanung nicht gesetzlich geregelt. Es sollte daher Lkw-Maut verwendet werden dürften – diese fließen nur künftig auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. in Straßenprojekte (§ 11 Bundesfernstraßenmautgesetz Durch sie werden wichtige Weichenstellungen vorge- (BFStrMG)). nommen, die durch den Gesetzgeber vorstrukturiert sein sollten. Insofern als die wesentlichen Entscheidungen Keine Steuerungswirkung der Strategischen durch den Gesetzgeber selbst zu treffen sind (Wesentlich- Umweltprüfung keitstheorie), sollten daher nicht nur Gegenstand und Ziel der Planung, sondern auch das Aufstellungsverfahren 274. Durch die Pflicht, zukünftig eine SUP durchzufüh- nebst Entscheidungskriterien vorgegeben werden. Der ren, sind positive Impulse für die Bundesverkehrswege- Bund ist hierzu aufgrund seiner ausschließlichen Gesetz- planung zunächst insofern zu erwarten, als dass auch das gebungskompetenz für Eisenbahnen des Bundes nach Ar- globale Klima Schutzgut und daher eine CO2-Emissionen tikel 73 Absatz 1 Nummer 6a Grundgesetz (GG) und sei- berücksichtigende Klimaverträglichkeitsprüfung durch- ner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für den zuführen ist (SRU 2011, Tz. 456). Zudem sind im Rah- Straßenverkehr nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 22 GG men der durchzuführenden Alternativenprüfung nach befugt. § 19b Absatz 2 UVPG alternative Verkehrsnetze und al- ternative Verkehrsträger zu berücksichtigen, zu beschrei- Netzbetrachtung statt Einzelprojektbewertung ben und zu bewerten, wodurch die Prüfung der Um- 277. Statt einen Katalog angemeldeter Einzelprojekte weltauswirkungen von der Projekt- auf die Netzebene zu überprüfen, sollte im Rahmen der Bundesverkehrswe- verlagert wird (GASSNER 2006, § 19b Rn. 13; geplanung künftig eine Netzbetrachtung vorgenommen HÜNNEKENS in: HOPPE 2012, § 19b UVPG Rn. 24; werden. Dazu gilt es die folgenden Verfahrensschritte PETERS/BALLA 2006, § 19b UVPG Rn. 7). Des Weite- durchzuführen: ren ist die nach § 14i UVPG durchzuführende Öffentlich- keitsbeteiligung nicht nur für die Akzeptanz des Plans – Strategische Vorfestlegungen: Die in letzter Zeit unter wichtig (WAGNER in: HOPPE 2012, § 14i UVPG den Stichworten „Bundesmobilitätsplan“ (BORMANN Rn. 7), sondern kann auch zu verstärkten Diskussionen et al. 2010, S. 17 ff.) oder „Strategieplanung Mobilität – auch über die Klimaauswirkungen – in der Öffentlich- und Transport“ (Wissenschaftlicher Beirat für Verkehr keit beitragen und insofern Druck auf die Entscheidungs- 2010, S. 20 ff.) diskutierte vorgelagerte strategische träger ausüben und damit positive Auswirkungen auf den Planungsebene sollte im Rahmen der Bundesverkehrs- weiteren Verfahrensverlauf haben (SRU 2011, Tz. 460). wegeplanung als erster Schritt aufgenommen werden. Hier wären nicht nur die Entwicklungsziele für einen Allerdings vermag die SUP keine Sperrwirkung zu entfal- klimaverträglichen Verkehr etwa in Anlehnung an die ten und kann daher allein keine ausreichende Steuerungs- Vorgaben der Nachhaltigkeitsstrategie zu konkretisie- wirkung entfalten. Denn nach § 14k Absatz 2 UVPG ist ren (LAMBRECHT et al. 2009, S. 80; BORMANN der Umweltbericht lediglich zu berücksichtigen, weswe- et al. 2010, S. 18), sondern auch die Entscheidungskri- gen es weder zu einer Bindung an den Umweltbericht terien zur materiellen Vorstrukturierung der Planungs- kommt (PETERS/BALLA 2006, § 14k UVPG Rn. 5), entscheidung auszudifferenzieren. noch den Umweltbelangen abstrakt-genereller Vorrang – Verkehrsprognosen und -szenarien: Unter Berücksich- einzuräumen ist (PETERS/BALLA 2006, § 14k UVPG tigung der gegenseitigen Beeinflussung sollten meh- Rn. 6; BECKMANN in: HOPPE 2012, § 14k UVPG rere Verkehrsprognosen und -szenarien entwickelt Rn. 11). Vielmehr gehen die im Rahmen der SUP genann- werden, die im Hinblick auf die Entwicklungsziele ten Umweltbelange in die Gesamtentscheidung ein, in de- und andere, klar vorgegebene Rahmenbedingungen ren Rahmen sie auch ganz oder teilweise zurückgestellt mehrere Optionen bis zum Jahr 2050 durchspielen. werden können (PETERS/BALLA 2006, § 14k UVPG Dabei sollten Anforderungen an die Entwicklung die- Rn. 5; BECKMANN in: HOPPE 2012, § 14k UVPG ser Prognosen und Szenarien aufgestellt werden, mit Rn. 9). deren Hilfe ihre Verwendbarkeit sichergestellt werden kann. 4.4.3.2 Neuausrichtung der Bundesverkehrs- – Bundesverkehrswegeplan: Unter Zuhilfenahme der wegeplanung Entscheidungskriterien sollte die im Hinblick auf ein gesamtdeutsches Verkehrsnetz erforderliche Schienen- 275. Um einen klimaverträglichen Güterverkehr zu ge- und Straßeninfrastruktur bestimmt werden. Dazu soll- währleisten, ist ein Paradigmenwechsel in der Bundesver- ten alle bisher noch nicht umgesetzten Projekte aus kehrswegeplanung notwendig. Nachfolgend sollen wich- dem letzten Bundesverkehrswegeplan auf den Prüf- tige Eckpunkte dargestellt werden, die für eine stand, die Fernverkehrsinfrastruktur in den Fokus ge- Neuausrichtung der Bundesverkehrswegeplanung rele- rückt (BORMANN et al. 2010, S. 26 ff.; SRU 2005, vant sind. Tz. 423 ff.) und die Einbindung in das transeuropäi-

159 Güterverkehr und Klimaschutz

sche Verkehrsnetz berücksichtigt werden Einnahmen aus der Lkw-Maut nur in Straßenprojekte (Artikel 170 ff. AEUV). fließen dürfen. – Die Investitionsvolumina sollten verstetigt werden, Öffentlichkeitsbeteiligung und Strategische damit eine stabile finanzielle Basis für den Neu- und Umweltprüfung Ausbau von Schieneninfrastruktur und die Erhaltung bzw. den Rückbau von Straßen geschaffen wird. 278. Um größtmögliche Akzeptanz zu erzielen, sollte – wie für Stromnetze durch § 12a Energiewirtschaftsge- – Grundsätzlich sollten zukünftig die Erhaltung bzw. die setz (EnWG) vorgesehen – schon hinsichtlich der Ver- Verbesserung der Infrastruktur Vorrang vor Strecken- kehrsprognosen und -szenarien eine Öffentlichkeitsbetei- neubauten haben. Im Schienenverkehr lassen sich ligung vorgesehen werden (so auch BORMANN et al. durch infrastrukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der 2010, S. 22), wobei jedoch gesetzlich vorab festzulegen Kapazitäten des Güterverkehrs, insbesondere durch wäre, wie mit deren Ergebnissen umzugehen ist. Die für Netzertüchtigung und die Beseitigung von Engpass- den Bundesverkehrswegeplan durchzuführende SUP um- stellen, mit geringerem Mitteleinsatz häufig höhere fasst sowohl eine Alternativenprüfung als auch eine Öf- Umweltentlastungen als durch teure Neubauvorhaben fentlichkeitsbeteiligung. Erstere verlangt bereits die Be- für den Hochgeschwindigkeitspersonenverkehr erzie- rücksichtigung, Beschreibung und Bewertung alternativer len. Verkehrsnetze und Verkehrsträger, sollte zusätzlich aber auch nicht-infrastrukturelle Maßnahmen wie die Optimie- 4.4.4 Flankierende planungs- und ordnungs- rung der Leit- und Sicherungstechnik als Alternative zum rechtliche Instrumente Neu- und Ausbau einbeziehen. Hinsichtlich der Öffent- lichkeitsbeteiligung ist sicherzustellen, dass sie zu einem 281. Wenn eine Güterverkehrsleistung von bis zu Zeitpunkt erfolgt, in dem es nicht nur um die Ausgestal- 500 Mrd. tkm auf der Schiene realisiert werden soll (vgl. tung, sondern auch um die vorgelagerte Frage der Erfor- Tz. 255), werden die Bereitstellung einer entsprechenden derlichkeit geht. Im Hinblick auf das Ergebnis der SUP überörtlichen Infrastruktur und ökonomische Instrumente wäre eine Steigerung der Verbindlichkeit sinnvoll. Dies wie die Emissionsbepreisung oder Mautgebühren als An- könnte zum Beispiel in der Form geschehen, dass die in reize zur Verlagerung des Straßengüterverkehrs auf die § 14 Absatz 2 Nummer 2 UVPG vorgesehene Begrün- Schiene vermutlich nicht ausreichen. Wichtig wird es dungspflicht präzisiert und verschärft wird. vielmehr zum einen sein, dass Wirtschaftsunternehmen, bei denen mit einem An- und Abtransport von Gütern in relevantem Umfang zu rechnen ist (z. B. Güterverkehrs- Erstellung des Bundesverkehrswegeplans: zentren, herstellende und verarbeitende Industrie), über Zuständigkeit und Form private Gleisanschlüsse Zugang zum öffentlichen Schie- 279. Die administrative Erarbeitung und Aufstellung nenverkehrsnetz haben. Zum anderen wird nach Instru- des Bundesverkehrswegeplans sollte in Kooperation zwi- menten zu suchen sein, durch die der Straßengüterverkehr schen den Ressorts Verkehr und Umwelt entweder auf gezielt zugunsten einer Verlagerung auf die Schiene um- ministerieller oder aber bundesbehördlicher Ebene statt- gelenkt werden kann. finden. Dabei sollte die Unterscheidung zwischen dem Bundesverkehrswegeplan und den vom Parlament verab- Private Gleisanschlüsse ermöglichen schiedeten Ausbaugesetzen für die Verkehrsträger 282. Um Neu- und Ausbau sowie Reaktivierung priva- Schiene und Straße grundsätzlich beibehalten werden, ter Gleisanschlüsse voranzutreiben, gilt es zunächst be- wobei letztere in Zukunft verkehrsträgerübergreifend in stehende Förderprogramme (Gleisanschlussförderrichtli- einem Bedarfsgesetz zusammengeführt werden sollten. nie des BMVBS) zu optimieren (LAMBRECHT et al. Bei der Ausgestaltung sind die verfassungsrechtlichen 2009, S. 96 ff.). Zugleich sollten in Bauleitplänen (Flä- Vorgaben, wie sie vom Bundesverfassungsgericht kon- chennutzungsplan und Bebauungsplan), insbesondere bei kretisiert wurden (BVerfGE Bd. 95, S. 1 (17 f.)), zu be- der Ausweisung neuer Industrie- und Gewerbegebiete, achten. entsprechende Flächen für Schienen vorgehalten werden. Daher sollten zu den bei der Aufstellung von Bauleitplä- Nachhaltige Finanzierung der Bundesverkehrswege nen zu berücksichtigenden Belangen des § 1 Absatz 6 280. Es sollte ein nachhaltiger Finanzierungsrahmen auf Baugesetzbuch (BauGB) das Verlagerungsziel und die einem – für die notwendige Weiterentwicklung des Ver- dazugehörige Anbindung güterintensiver Wirtschaftsun- kehrsnetzes – ausreichend hohem Niveau gesetzt werden, ternehmen an das Schienenverkehrsnetz hinzugefügt wer- der sich an den folgenden Grundsätzen orientiert: den. Denn diesen kommt im Rahmen der Bauleitplanung Orientierungsfunktion zu. Sie sind in die Abwägung – so- – Die Haushaltsmittel sollten durch Nutzungsbeiträge fern dies der Lage der Dinge entspricht – einzustellen und ergänzt werden. Dabei sollten keine geschlossenen Fi- können sich hier gegen andere öffentliche oder private nanzierungskreisläufe vorgeschrieben, sondern eine Belange durchsetzen (SÖFKE in: ERNST/ZINKAHN/ verkehrsträgerübergreifende Mittelverwendung er- BIELENBERG/KRAUTZBERGER et al. 2011, § 1 möglicht werden (BORMANN et al. 2010, S. 25 f.). BauGB Rn. 108, 188; KRAUTZBERGER in: BATTIS/ Daher ist etwa § 11 BFStrMG problematisch, wonach KRAUTZBERGER/LÖHR 2009, § 1 BauGB Rn. 47, 49).

160 Politische Ansätze zur Neuausrichtung des Gütertransports

Insbesondere dann, wenn Gleisanschlüsse im Hinblick Modelle für die Versteigerung von und den Handel mit auf die topografischen Gegebenheiten realisierbar und die Durchfahrtsrechten diskutiert, um zum Schutz der Al- Nähe zum überörtlichen Schienennetz zweckmäßig sind, pen eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene können dann im Rahmen der Bauleitplanung entspre- zu bewirken (vgl. für einen kurzen Überblick EPINEY chende Flächen vorgehalten werden. Eine Beeinträchti- und HEUCK 2009, S. 179 ff.; Bundesamt für Raum- gung des durch Artikel 28 Absatz 2 GG garantierten entwicklung ARE 2007, S. 85 ff.). Die obere Grenze kommunalen Selbstverwaltungsrechts, das über die Pla- soll sich dabei entweder an bestimmten Emissionen nungshoheit auch die örtliche Bodennutzung und damit oder der Anzahl der Fahrten orientieren. In der Bauleitplanung umfasst (TETTINGER/SCHWARZ in: Schweiz wurde der Bundesrat 2008 durch das soge- von MANGOLDT/KLEIN/STARCK 2010, Artikel 28 nannte Güterverkehrsverlagerungsgesetz aufgefor- GG Rn. 181), ist hierdurch nicht zu befürchten, weil le- dert, entsprechende Verhandlungen mit der Europäi- diglich die zu berücksichtigenden Belange ergänzt, beste- schen Union und den Nachbarländern anzustreben. hende Planungen jedoch nicht gestört und zukünftige Pla- nungen nicht entzogen werden. – Sektorales Fahrverbot (mehrfache Beanstandung Wichtig für private Gleisanschlüsse ist neben der Vorhal- durch den EuGH): Schon 2003 hatte das österreichi- tung entsprechender Flächen, dass die Anbindung an das sche Bundesland Tirol per Verordnung auf einem Teil- überörtliche Schienennetz gewährleistet ist. Insofern ist stück der Inntalautobahn Lkw-Transporte, insbeson- die Anschlussgewährleistungspflicht des § 13 Allgemei- dere von Gütern wie etwa Steine und Erden, die nes Eisenbahngesetz (AEG), wonach jede Eisenbahn den zwischen Deutschland und Italien transportiert wer- Anschluss an ihre Schieneninfrastruktur gestatten muss, den, verboten. Nachdem die Verordnung 2005 durch von besonderer Bedeutung. Hierdurch kann die Verknüp- den Europäischen Gerichtshof (EuGH) aufgehoben fung der Einzelstrecken zu einem Gesamtnetz und damit wurde (EuGH, Urteil vom 15. November 2005 in der die zusammenhängende Nutzbarkeit des gesamten Schie- Rechtssache C-320/03, EuZW 2006, S. 50 ff.), hat Ti- nennetzes gewährleistet werden. Negativ kann sich hin- rol 2008 erneut eine solche Verordnung erlassen – nun gegen die Möglichkeit öffentlicher Eisenbahninfrastruk- im Rahmen eines Maßnahmenbündels zur Verbesse- turunternehmen auswirken, die dauernde Einstellung des rung der Luftqualität und nachdem Anstrengungen zur Betriebs einer Strecke zu beantragen (vgl. § 11 Absatz 1 Schaffung von Transportalternativen unternommen AEG). Weil zu befürchten ist, dass sich die Netzdichte wurden. Auch bei dieser Verordnung hat der EuGH ei- hierdurch zunehmend reduziert, bedarf es einer Gegen- nen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit festge- steuerung (kritisch auch REH 2004, S. 42 ff.). stellt, weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass weniger beschränkende Maßnahmen – wie ständige Anreize und Pflichten zur Verlagerung auf die Schiene Geschwindigkeitsbeschränkungen oder eine Auswei- diskutieren tung bestehender Fahrverbote auf weitere Euro-Klas- 283. Sollten die bestehenden Anreize zur Verlagerung sen – zur Gewährleistung der Luftqualität ungeeignet des Güterverkehrs auf die Schiene in Zukunft nicht aus- sind (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 in der reichen, um die verfügbaren Kapazitäten auszunutzen, Rechtssache C-28/09). müsste über zusätzliche Instrumente nachgedacht wer- Diese bis zum Verbot reichenden Maßnahmen lassen sich den. Um den Alpenraum zu schützen, haben sowohl die zwar nicht ohne Weiteres auf die Situation in Deutschland Schweiz als auch Österreich diskussionswürdige Maß- übertragen, liefern aber für die Zukunft interessante An- nahmen zur Verlagerung, insbesondere des (Transit-)Gü- satzpunkte. Sie sind im europäischen Kontext zu sehen terverkehrs auf die Schiene, diskutiert bzw. auch getrof- fen: und müssen daher vor allem mit der Warenverkehrsfrei- heit (Artikel 34 AEUV) und dem Diskriminierungsverbot – Ökopunktesystem (1992 bis 2003): Für den Transitver- (Artikel 18 AEUV) vereinbar sein. Bei entsprechender kehr wurde durch einen Vertrag zwischen Österreich Ausgestaltung sind derartige Maßnahmen zur Verlage- und der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemein- rung des Güterverkehrs einer Rechtfertigung aus Gründen schaft (EWG) sowohl eine Emissionsobergrenze als des Umweltschutzes zugänglich. Dabei wird es hinsicht- auch eine mengenmäßige Obergrenze für die mit lich der Verhältnismäßigkeit vor allem auf den richtigen Lkws durchgeführten Fahrten eingeführt. Zur Durch- Anknüpfungspunkt für Maßnahmen (Fahrzeugemissio- setzung der Grenzen wurden Ökopunkte auf die ein- nen) und realistische Ausweichmöglichkeiten (ausrei- zelnen Mitgliedstaaten verteilt, die bei Fahrten durch chend Schienenkapazitäten) ankommen (vgl. Schlussan- das Land „abgegeben“ werden mussten. Weil dies im träge der Generalanwältin Trstenjak vom 16. Dezember Rahmen der Beitrittsverhandlungen so vereinbart 2010 in der Rechtssache C-28/09). Sofern der Lokal- und wurde, konnte das Ökopunktesystem auch nach dem Kurzstreckenverkehr und damit inländische Transpor- Beitritt Österreichs zur Europäischen Union zunächst teure bevorzugt werden, kann dies nicht mit allein wirt- beibehalten werden (vgl. für einen Überblick OBWEXER schaftlichen Erwägungen gerechtfertigt werden. Des Wei- 2006, S. 300 ff.). teren gilt es, die Vereinbarkeit mit der europäischen – Alpentransitbörse (in der Diskussion): Vor allem in Eurovignetten-Richtlinie 2011/76/EU sicherzustellen und der Schweiz, aber auch in Österreich werden mehrere hier eventuell Modifikationen vorzunehmen.

161 Güterverkehr und Klimaschutz

4.4.5 Forschungsbedarf, Test- und derung der weiteren Erforschung und anschließenden Demonstrationsprojekte Erprobung bisher noch weitgehend unbeachteter Ansätze wie leitungsgebundener elektrisch angetriebener Lkws 284. Seitdem auch der Verkehrssektor verstärkt im kli- (Tz. 257). mapolitischen Fokus steht, ist die Diskussion um seine Dekarbonisierung von verschiedenen technologischen Zudem sollten die Forschungsaktivitäten zur Weiterent- „Hypes“ geprägt (Brennstoffzelle, batterieelektrische wicklung der verkehrsprognostischen Verfahren und de- Fahrzeuge in den Neunzigerjahren, Biokraftstoffe), wel- ren Verkopplung mit einer, an umweltpolitischen Ge- che vermeintlich einen Königsweg zur Lösung der CO2- sichtspunkten orientierten, strategischen Verkehrs- und Problematik des Sektors versprachen. Die anfängliche Infrastrukturplanung (Wissenschaftlicher Beirat für Ver- Euphorie für die jeweilige Technologie legte sich regel- kehr 2010; BORMANN et al. 2010; vgl. Abschn. 4.4.3.2) mäßig bereits nach wenigen Jahren oder verkehrte sich verstärkt werden. So ließen sich beispielsweise die in ver- gar ins Gegenteil. Der gegenwärtige Stand des Wissens schiedenen verkehrspolitischen Szenarien auftretenden hinsichtlich zukünftiger technologischer Optionen zur infrastrukturellen Knappheiten und die dadurch indu- Dekarbonisierung des Güterverkehrs erlaubt noch keine zierten Verkehrswirkungen durch die Entwicklung eines Festlegungen zugunsten bestimmter Technologien. Zu- einstufigen multimodalen Prognoseverfahrens besser ab- dem zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass sich die bilden (NAGEL et al. 2010), wodurch die gesamtsystemi- Gesellschaft voraussichtlich von der Idee des einen tech- sche Verkehrsplanung auf ein qualitativ höherwertiges nologischen Königswegs wird lösen müssen. Wahr- Fundament gestellt werden könnte. scheinlicher ist der Einsatz verschiedener Technologien in Abhängigkeit von den spezifischen Anforderungen der 4.5 Schlussfolgerungen und Empfehlungen jeweiligen Transportaufgaben. 285. Der Güterverkehr, dominiert vom Gütertransport Angesichts der bestehenden Unsicherheiten über die Ent- auf der Straße, trägt bereits heute mit 7 % des gesamten wicklungs-, Realisierungs- und Kostendegressionspoten- THG-Ausstoßes in Deutschland erheblich zur Klimabe- ziale verschiedener Antriebs- und Kraftstoffoptionen ist lastung bei. Angesichts der prognostizierten Wachstums- eine möglichst technologieoffene staatliche Forschungs- raten des Güterverkehrs ist zu erwarten, dass dieser An- politik geboten. Eine frühzeitige Festlegung auf wenige teil in Zukunft weiter ansteigen wird. Um das langfristig Technologien, die kurzfristig gegebenenfalls kostengüns- – bis 2050 – angestrebte Ziel einer weitestgehenden De- tiger und schneller zu realisieren sind, kann sich langfris- karbonisierung des gesamten Wirtschaftssystems zu er- tig als nicht hinreichend effektiv und wesentlich teurer er- reichen, muss auch der Güterverkehr seine Klimabilanz weisen als eine breit gefächerte Forschungs- und substanziell verbessern. Dazu ist es erforderlich, die Ent- Entwicklungsstrategie, die auch solche Technologieoptio- wicklung auf vier verschiedenen Ebenen grundlegend zu nen umfasst, deren Marktreife derzeit noch weit entfernt verändern. Es bedarf und ungewiss ist. – einer Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ver- Die Mittelverteilung einer solchen Forschungs- und Ent- kehrsleistungswachstum, wicklungsförderung sollte sich grundsätzlich an den po- tenziellen Zielerreichungsbeiträgen und der Notwendig- – einer Verbesserung der Energieeffizienz und CO2-In- keit öffentlicher Fördermaßnahmen richten. Mithin tensität sämtlicher Verkehrsmodi, sollten vor allem solche Technologien gefördert werden, – einer Stärkung des Anteils besonders energieeffizien- die erhebliche CO -Einsparpotenziale aufweisen und für 2 ter Verkehrsträger im Modal Split und deren Entwicklung nicht ausreichend private Mittel be- reitgestellt werden. Private Gelder lassen sich umso weni- – einer weitgehenden Umstellung der Energieversor- ger mobilisieren, je weiter die Technologie von der gung auf erneuerbare Energieträger. Marktreife entfernt und desto unsicherer ihr kommerziel- ler Erfolg ist. Eine solche hohe Unsicherheit und damit Um diese Veränderungen zu erreichen, ist eine Kombina- hohe Risikokosten privater Investoren sind insbesondere tion verschiedener ordnungsrechtlicher, planerischer und dann gegeben, wenn für die erfolgreiche Marktetablie- fiskalischer Maßnahmen und Instrumente mit unter- rung der Aufbau umfangreicher Infrastrukturen erforder- schiedlichen Zeithorizonten notwendig. lich ist, da die erfolgreiche Produktentwicklung allein für einen kommerziellen Erfolg nicht ausreicht. Handlungsoptionen So sind zum Beispiel für die verschiedenen Optionen zur 286. Die Güterverkehrsleistung in Deutschland wird in Elektrifizierung des Güterverkehrs sowohl fahrzeug- als den kommenden Jahren weiter steigen, auch wenn eine auch infrastrukturseitig noch erhebliche Entwicklungs- Fortschreibung vergangener, über dem Wirtschaftswachs- schritte notwendig. Mit Blick auf ambitionierte klimapoli- tum liegender, Wachstumsraten kritisch zu hinterfragen tische Langfristziele, die angesichts des prognostizierten ist. Verschiedene Nachfrage- und Angebotstrends spre- Verkehrsmengenwachstums durch Weiterentwicklungen chen für eine sich deutlich verlangsamende Wachstums- des Verbrennungsmotors kaum erreichbar sein werden, dynamik. Zu nennen wären hier zum Beispiel die Stabi- sollte die Forschung im Bereich alternativer, auf regene- lisierung des wirtschaftlichen Aufholprozesses in rativem Strom basierender Transportkonzepte für den Gü- Osteuropa oder die Tertiarisierung der Ökonomie auf der terverkehr verstärkt werden. Hierunter fällt auch die För- Nachfrageseite und steigende Transportkosten oder infra-

162 Schlussfolgerungen und Empfehlungen strukturelle Knappheiten auf der Angebotsseite. Die Poli- Straßengüterfernverkehrs durch Trolley-Systeme ist eine tik kann dabei gezielt bestimmte Entkopplungstendenzen interessante Option zur Nutzung nahezu emissionsneutra- verstärken. Leitbilder für eine Senkung der Verkehrsin- len Stroms aus erneuerbaren Quellen, die ernsthaft ge- tensität der Wirtschaft sind eine verstärkte Demateriali- prüft werden sollte. Mögliche Konkurrenz- und Komple- sierung, verkehrssparende Raumstrukturen sowie eine mentaritätsbeziehungen zwischen den beiden Optionen verbesserte Effizienz der Logistikketten. Beispielhafte einer leitungsgebundenen Elektrifizierung sowie Fragen Ansatzpunkte hierzu sind im Hinblick auf ihre Verkehrs- der Integration in den europäischen Güterverkehrsmarkt auswirkungen optimierte Güterverkehrszentren oder eine müssen noch näher untersucht werden. Für die auf der verbesserte Kommunikationsinfrastruktur zur Förderung Straße verbleibenden, nicht leitungsgebunden zu versor- der Zusammenarbeit verschiedener Logistikanbieter. genden (Verteil- und Zuliefer-)Verkehre sind nachhaltig Auch die regionale und die übergeordnete Wirtschafts- produzierte Biokraftstoffe zwar grundsätzlich eine Op- politik können einen Beitrag zur Verstärkung von Ent- tion, kommen wegen der begrenzten Verfügbarkeit und kopplungstendenzen der Verkehrsnachfrage leisten, in- der Nutzungskonkurrenz zur Luftfahrt jedoch nur in en- dem nahräumliche Wirtschaftsverflechtungen und gem Maße infrage. Stattdessen sollten batterieelektrisch- Unternehmenscluster gefördert werden. bzw. wasserstoffbasierte Ansätze für die Zuliefer- und Verteilverkehre weiter entwickelt werden. Um die Energienachfrage und die THG-Emissionen merklich vom (verbleibenden) Güterverkehrswachstum Solche systemischen Veränderungen erfordern eine aktive zu entkoppeln, sind Effizienzverbesserungen unerläss- Rolle des Staates und können nur über eine abgestimmte lich. Dies betrifft sowohl technische (z. B. höhere Moto- Verkehrs-, Infrastruktur-, Wirtschafts-, Forschungs-, reneffizienz) als auch organisatorische (z. B. höhere Fahr- Raumordnungs- und Umweltpolitik erreicht werden. Die zeugauslastung) Effizienzsteigerungen. Zwar sind bei Notwendigkeit proaktiven staatlichen Handelns ergibt allen Verkehrsträgern weitere Effizienzgewinne nötig und sich dabei zum einen daraus, dass wesentliche Teile der möglich, dem Straßengüterverkehr kommt aufgrund sei- erforderlichen (infra-)strukturellen Anpassungen sowohl ner Dominanz bei der Verkehrsmittelwahl allerdings be- planungsrechtlich als auch hinsichtlich ihrer Finanzierung sondere Bedeutung zu. Durch Verbesserungen der Moto- in staatlicher Verantwortung liegen. Zum anderen verhin- ren und Antriebstechnologien, aber auch mittels dern Investitionsunsicherheiten oder prohibitiv hoher Ko- Reduktion von Roll- und Luftwiderstand und Gewichts- ordinationsaufwand oftmals das selbstständige Ausbre- minderungen, sind hier erhebliche Steigerungen bei der chen privater Akteure des Güterverkehrs aus bestehenden Energieeffizienz realisierbar. Derartige Verbesserungen Pfadabhängigkeiten bzw. technologischen „Lock-in“-Si- der Energieeffizienz sind auch im Hinblick auf eine Elek- tuationen, sodass ein Systemwechsel ohne entschiedenes trifizierung des Straßengüterverkehrs von nachhaltigem staatliches Zutun nicht gelingt. Die infrastrukturellen Nutzen, da sie den induzierten Anstieg der Stromnach- Weichenstellungen müssen ohne Zeitverzug initiiert wer- frage bremsen. Obschon notwendig, sind inkrementelle den, da sie eine lange Vorlaufzeit haben und sich die Um- Strategien, die im Wesentlichen auf Effizienzverbesse- stellung von Logistikstrukturen und Transportströmen rungen innerhalb der bestehenden Strukturen des Güter- nur langsam vollzieht. Ohne frühzeitige Weichenstellun- verkehrs fußen, nicht hinreichend. Langfristig sind tiefer gen in Richtung einer ambitionierten Verkehrsvermei- greifende systemische Änderungen unverzichtbar. dungs-, Verlagerungs- und Energieträgersubstitutionsstra- tegie wird die Politik mit zunehmendem Ehrgeiz der Dies betrifft zunächst die Verlagerung von Transportleis- Vermeidungsziele an Grenzen stoßen, die entweder eine tungen von der Straße auf die Schiene, denn aufgrund der Verfehlung der Ziele implizieren oder ein abruptes und hohen Effizienz des Rad-Schienen-Systems lassen sich so sehr teures Umsteuern erfordern. erhebliche Energieeinsparungen erzielen. Eine erste Machbarkeitsuntersuchung für den SRU ergab, dass eine Flankierende verkehrspolitische Instrumente Transportleistung des Schienengüterverkehrs von 300 bis 500 Mrd. tkm bis zum Jahr 2050 grundsätzlich darstellbar 287. Wesentliches Instrument zur Weiterentwicklung ist. Dies setzt aber grundlegende technisch-organisatori- der Verkehrsinfrastruktur ist die Bundesverkehrswegepla- sche Innovationen in der Abwicklung des Schienengüter- nung, die in ihrer bisherigen Ausgestaltung allerdings verkehrs sowie einen substanziellen, aber finanziell reali- keine Steuerung in Richtung eines zukunftsfähigen Ver- sierbaren Ausbau der Schieneninfrastruktur voraus. kehrsnetzes zu leisten vermag. Hierzu bedarf es einer Bereits relativ kurzfristig und mit vergleichsweise gerin- Neuausrichtung, die vor allem auch frühzeitige strategi- gem Mitteleinsatz können die Kapazitäten für den Schie- sche Festlegungen umfasst. Diese betreffen nicht nur die nengüterverkehr durch Netzertüchtigung und die Beseiti- Konkretisierung klimapolitischer Ziele für den Verkehrs- gung von Engpassstellen erhöht werden. sektor, sondern auch die Untermauerung durch Kriterien für die Weiterentwicklung insbesondere des Straßen- und Vergleicht man die verschiedenen Handlungsoptionen zur Schienennetzes. Erst auf Grundlage solcher Festlegungen Umstellung auf erneuerbare Energien, sollte der leitungs- ist es sinnvoll, ein gesetzlich determiniertes Verfahren zu gebundenen Elektrifizierung des Güterverkehrs Priorität etablieren, das ausgehend von Verkehrsprognosen und -sze- eingeräumt werden. Hier kommen neben der Verlagerung narien transparent und unter Beteiligung der Öffentlich- auf den etablierten Verkehrsträger Schiene auch oberlei- keit den Bedarf an Neu-, Aus- und auch Rückbau von tungsgebundene Trolley-Systeme auf wichtigen Autobah- Verkehrswegen – unter besonderer Berücksichtigung der nen infrage. Die oberleitungsgeführte Elektrifizierung des betroffenen Umweltbelange – im Sinne einer Netzbe-

163 Güterverkehr und Klimaschutz trachtung ermittelt. Grundsätzlich sollten dabei zukünftig Energie- und Kohlenstoffgehalts der Kraftstoffe unter- die Erhaltung bzw. die Verbesserung der Infrastruktur- stützen sowie auf angemessen hohe europäische Min- qualität Vorrang vor Streckenneubauten haben. Um den destsätze hinwirken, um Ausweichverhalten der Ver- solchermaßen auf eine neue Planungsgrundlage gestellten kehrsteilnehmer vor allem im grenzüberschreitenden Umbau der Verkehrsinfrastruktur auch auf eine stabile fi- Straßengüterfernverkehr zu vermeiden. nanzielle Basis zu stellen, ist zudem eine Verstetigung der Investitionsvolumina unabhängig von der aktuellen Haus- – Auf EU-Ebene sollten CO2-Grenzwerte für schwere haltslage und auf ausreichend hohem Niveau erforderlich. Nutzfahrzeuge eingeführt werden, um bisher noch un- genutzte Potenziale zur Verbesserung der Kraftstoffef- Um die technologischen Grundlagen für den notwendigen fizienz im Straßengüterverkehr zu erschließen und Umbau des Verkehrssystems zu schaffen, ist eine strategi- weitere Fortschritte anzureizen. Es sollte ein mög- sche FuE-Förderung (FuE – Forschung und Entwicklung) lichst umfassender Regulierungsansatz gewählt wer- erforderlich. Angesichts der bestehenden Unsicherheiten den, der auch Maßnahmen zur Verringerung des Roll- hinsichtlich der Potenziale verschiedener technologischer und Luftwiderstandes der Fahrzeuge berücksichtigt. Ansätze zur Dekarbonisierung des Güterverkehrs ist eine breit gefächerte technologieoffene, dabei möglicherweise Abschließend lässt sich festhalten, dass anspruchsvolle auch kostenintensivere Förderstrategie einer frühzeitigen klimapolitische Langfristziele nur erreichbar sind, wenn technologischen Festlegung vorzuziehen. Konzepte, die die derzeitigen Emissionstrends im Güterverkehr gebro- auf erneuerbarer Elektrizität basieren, sollten auch hin- chen und umgekehrt werden. Dies stellt eine enorme He- sichtlich der Energieversorgung des Straßengüterverkehrs rausforderung dar, die jedoch erfolgreich bewältigt wer- verstärkt in den Fokus gerückt werden. Dies erscheint mit den kann, wenn sie entschlossen angenommen wird und Blick auf die langfristig anzustrebenden ambitionierten die fundamentalen Weichen zur klimaverträglichen Um- THG-Minderungen des Güterverkehrs und das begrenzte gestaltung des Güterverkehrssystems jetzt gestellt wer- Zielbeitragspotenzial von Biokraftstoffen erforderlich. den.

Kurz- bis mittelfristig können vor allem finanzielle An- 4.6 Literatur reize, verkehrslenkende Maßnahmen und technische Agnolucci, P., Bonilla, D. (2009): UK Freight Demand: Standards zur Erhöhung der Energie- und CO2-Effizienz innerhalb der bestehenden Strukturen des Güterverkehrs Elasticities and Decoupling. Journal of Transport Econo- beitragen und somit dessen ökologischen Fußabdruck re- mics and Policy 43 (3), S. 317–344. duzieren: Allianz pro Schiene (2011): Investitionen in die Schie- – Die Bundesregierung sollte zeitnah die Möglichkeiten neninfrastruktur im europäischen Vergleich. Berlin: Al- der überarbeiteten Eurovignetten-Richtlinie nutzen, lianz pro Schiene. http://www.allianz-pro-schiene.de/inf um zum einen den Straßengüterverkehr stärker an sei- rastruktur/europavergleich-schieneninvestitionen/ nen externen Umweltkosten zu beteiligen und zum an- (17.10.2011). deren durch eine effizientere Verkehrslenkung – unter Anders, N., Knaak, F., Rommerskirchen, S. (2009): So- Zuhilfenahme der Möglichkeiten einer zeitlichen cio-demographic and economic megatrends in Europe Mautdifferenzierung – staubedingte Umweltkosten and in the World – Overview over existing forecasts and des Straßengüterverkehrs zu reduzieren. Um die Ef- conlusions for long-term freight transport demand trends fektivität der Maut zu erhöhen und Ausweichreaktio- in Europe. Deliverable 4.1 of FREIGHTVISION – Vison nen zu vermeiden, sollten Straßenbenutzungsgebühren and Action Plans for European Freight Transport until bereits für Lkws ab 3,5 t und möglichst umfassend 2050. Basel: ProgTrans. auch auf dem nachgeordneten Straßennetz erhoben werden. Die Maut-Einnahmen sollten verpflichtend in Arthur, W. B. (2004): Increasing returns and path depen- Verwendungen fließen, die mit den langfristigen Kli- dence in the economy. Nachdr. Ann Arbor: University of mazielen im Einklang stehen, vornehmlich in den Michigan Press. Ausbau und die Verbesserung der Schieneninfrastruk- tur. Die derzeitige Zweckbindung der Einnahmen aus Arthur, W. B. (1989): Competing Technologies, Increa- der Lkw-Maut in Deutschland zugunsten des Straßen- sing Returns and Lock-in by Historic Events. The Econo- verkehrs lehnt der SRU als nicht zielführend ab. Im mic Journal 99 (394), S. 116–131. Rahmen zukünftiger Reformen der Richtlinie sollte Battis, U., Krautzberger, M., Löhr, R.-P. (Hrsg.) (2009): die Bundesregierung zudem darauf hinwirken, dass Baugesetzbuch. BauGB. Kommentar. 11. Aufl. München: weitere externe Kosten des Straßengüterverkehrs in- Beck. ternalisiert werden. Baum, H., Heibach, M. (1997): Entkopplung von Wirt- – Die Vorschläge der Europäischen Kommission für schaftswachstum und Verkehrsentwicklung. Bonn: Deut- eine Reform der Kraftstoffbesteuerung bedeuten einen sches Verkehrsforum. Schritt in Richtung einer Bepreisung des THG-Aus- stoßes durch den Straßenverkehr, der ökologischen Baumol, W. J., Oates, W. E. (1971): The use of Standards Kriterien gerecht wird. Die Bundesregierung sollte die and Prices for Protection of the Environment. The Swe- vorgeschlagene Bemessung der Steuersätze gemäß des dish Journal of Economics 73 (1), S. 42–54.

164 Literatur

Bento, N. (2010): Is carbon lock-in blocking investments Calliess, C., Ruffert, M. (2011): EUV/AEUV. Das Verfas- in the hydrogen economy? A survey of actors' strategies. sungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Energy Policy 38 (11), S. 7189–7199. Grundrechtecharta. Kommentar. 4. Aufl. München: Beck. Bergmann, H., Bertenrath, R., Betz, R., Dünnebeil, F., Deuber, O. (2002): Einbeziehung des motorisierten Indi- Lambrecht, U., Liebig, L., Rogge, K., Schade, W., vidualverkehrs in ein deutsches CO2-Emissionshandels- Ewringmann, D. (2005): Emissionshandel im Verkehr. system. Freiburg: Öko-Institut. Ansätze für einen möglichen Up-Stream-Handel im Ver- kehr. Endbericht Köln, Heidelberg, Mannheim, Karls- Deutsche Bahn AG, McKinsey & Company (2010): Zu- ruhe: FiFo, IFEU, Fraunhofer ISI. kunftsperspektiven für Mobilität und Transport. Eisen- bahn in Deutschland 2035. Berlin: Deutsche Bahn AG, Blom, M. J., Kampmann, B. E., Nelissen, D. (2007): McKinsey & Company. Price effects of incorporation of transportation into EU ETS. Delft: CE Delft. Downing, T. E., Anthoff, D., Butterfield, R., Ceronsky, M., Grubb, M., Guo, J., Cameron, Hope, C., Hunt, A., Li, A., BMVBS (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt- Markandya, A., Moss, S., Nyong, A., Tol, R. S. J., entwicklung) (2011): Verkehr in Zahlen 2010/2011. Ham- Watkiss, P. (2005): Social Cost of Carbon: A Closer Look burg: DVV Media Group. at Uncertainty. Final project report. London: Stockholm Environment Institute. BMVBS (2009): Verkehr in Zahlen 2008/2009. Ham- burg: Deutscher Verkehrs-Verlag. Eck, F., Stark, S. (2011): Bundesverkehrswegeplan Boer, E. den, Essen, H. van, Brouwer, F., Pastori, E., 20XX. Fortschreibung oder Reform? Internationales Ver- Moizo, A. (2011): Potential of modal shift to rail trans- kehrswesen 63 (1), S. 26–28. port. Study on the projected effects on GHG emissions EEA (European Environment Agency) (2010): The Euro- and transport volumes. Delft: CE Delft. pean environment – State and outlook 2010. Synthesis. Bormann, R., Bracher, T., Flege, D., Groß, M., Heuser, T., Copenhagen: EEA. Holzapfel, H., Kerth, H.-S., Knobloch, M., Kountchev, I., Eisentraut, A. (2010): Sustainable Production of Second Mietzsch, O., Röthke-Habeck, P., Ziesak, M. (2010): Eck- Generation Biofuels. Potential and perspectives in major punkte für eine zielorientierte, integrierte Infrastruktur- economies and developing countries. Paris: IEA. planung des Bundes. Vom Bundesverkehrswegeplan zur Bundesverkehrsnetzplanung. Berlin: Friedrich-Ebert-Stif- EPA (U. S. Environmental Protection Agency) (2011): tung, Arbeitskreis Innovative Verkehrspolitik. EPA and NHTSA Adopt First-Ever Program to Reduce Greenhouse Gas Emissions and Improve Fuel Efficiency Bourcade, K., Herzmann, K. (2006): Normalfall expo- of Medium-and Heavy-Duty Vehicles. Washington, DC: nentielles Wachstum? Ein internationaler Vergleich. Zeit- EPA. http://www.epa.gov/otaq/climate/documents/ schrift für Wachstumsstudien 2006 (2), S. 4–10. 420f11031.pdf (06.03.2012). Brauner, G., Lenz, H. P., Litzka, J., Pucher, E. (2003): Epiney, A. (2011): Verkehrsrecht. In: Dauses, M. A. Ökologisch verträglicher Schwerlasttransit in Österreich. (Hrsg.): Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts. Losebl.- Wien: Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Ausg., 29. Erg.-Lfg., Stand: 09/2011. München: Beck. Technologie Forschungsarbeiten aus dem Verkehrswesen 131. Epiney, A., Heuck, J. (2009): Zur Verlagerung des alpen- querenden Straßengüterverkehrs auf die Schiene: die „Al- Brauner, G., Lenz, H. P., Litzka, J., Pucher, E. (2000): pentransitbörse“ auf dem Prüfstand des europäischen Ge- LKW-Alpentransit elektrisch? VDI-Berichte 1565, meinschaftsrechts. Zeitschrift für Umweltrecht 20 (4), S. 605–623. S. 178–187. Brunner, P. (2011): Reducing CO2 from Heavy Duty Ve- Ernst, W., Zinkahn, W., Bielenberg, W., Krautzberger, M. hicles: Status quo and steps to policy options. Vortrag, (2011): Baugesetzbuch. Kommentar. Losebl.-Ausg., 101. IEA Freight Truck Fuel Economy Workshop – Challenge Erg.-Lfg., Stand: September 2011. München: Beck. Bibendum, 20.–21.05.2011, Berlin. Brunner, S., Flachsland, C., Marschinski, R. (2012): Cre- Essen, H. P. van, Boon, B. H., Schroten, A., Otten, M., dible commitment in carbon policy. Climate Policy 12 Maibach, M., Schreyer, C., Doll, C., Jochem, P., Bak, M., (2), S. 255–271. Pawlowska, B. (2008): Internalisation measures and po- licy for the external cost of transport. Produced within the Bundesamt für Raumentwicklung ARE (2007): Alpen- study Internalisation Measures and Policies for all exter- transitbörse: Untersuchung der Praxistauglichkeit. nal cost of Transport (IMPACT) – Deliverable 3. Delft: Schlussbericht. Bern: Bundesamt für Raumentwicklung CE Delft. ARE. Essen, R. van, Rijkee, X., Verbraak, G., Quak, H., Bundesregierung (2002): Perspektiven für Deutschland. Wilmink, I. (2009): EU transport GHG: Routes to 2050? Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung. Ber- Modal split and decoupling options: Paper 5. Delft: CE lin: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Delft.

165 Güterverkehr und Klimaschutz

Europäische Kommission (2011): Vorschlag für eine Hesse, M. (2007b): The System of Flows and the Re- Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/ structuring of Space Elements of a Geography of Distri- 96/EG zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rah- bution. Erdkunde 61 (1), S. 1–12. menvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnis- sen und elektrischem Strom. KOM(2011) 169/3. Brüssel: Hesse, M., Rodrigue, J.-P. (2004): The transport geogra- Europäische Kommission. phy of logistics and freight distribution. Journal of Trans- port Geography 12 (3), S. 171–184. Europäische Kommission – Generaldirektion für Energie Hill, N., Finnegan, S., Norris, J., Brannigan, C., Wynn, D., und Transport (2010): EU energy trends to 2030 – UP- Baker, H., Skinner, I. (2011): Reduction and Testing of DATE 2009. Brüssel: Europäische Kommission, General- Greenhouse Gas (GHG) Emissions from Heavy Duty direktion für Energie und Transport. Vehicles. Lot 1: Strategy. Final Report. Didcot: AEA. EuroStat (Statistisches Amt der Europäischen Union) AEA/ ED46904/Final Report 4. (2012): Güterverkehrsvolumen im Verhältnis zum BIP. Holmgren, K., Belhaj, M., Gode, J., Särnholm, E., Luxemburg: EuroStat. http://epp.eurostat.ec.europa.eu/ Zetterberg, L., Åhman, M. (2006): Greenhouse Gas tgm/table.do?tab=table&init=1&plugin=1&language= Emissions Trading for the Transport Sector. Stockholm: de&pcode=tsdtr230 (06.03.2012). IVL Swedish Environmental Research Institute. IVL Re- EuroStat (2011): Energy, Transport and Environment In- port B1703. dicators. 2010 ed. Luxembourg: Publications Office of Holzhey, M. (2010): Schienennetz 2025/2030. Ausbau- the European Union. konzeption für einen leistungsfähigen Schienengüterver- kehr in Deutschland. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt. Feige, I. (2007): Transport, Trade and Economic Growth – UBA-Texte 42/10. Coupled or Decoupled. An Inquiry into Relationships between Transport, Trade and Economic Growth and into Holzhey, M., Berschin, F., Kühl, I., Naumann, R., User Preferences concerning Growth-oriented Transport Petersen, T. (2011): Modelle für einen nachhaltigen Gü- Policy. Berlin, Heidelberg, New York: Springer. terverkehr. Berlin: KCW. Flachsland, C., Brunner, S., Edenhofer, O., Creutzig, F. Hoppe, W. (2012): Gesetz über die Umweltverträglich- (2011): Climate Policies for Road Transport Revisited keitsprüfung (UVPG). Kommentar mit Kommentierung (II): Closing the Policy Gap with Cap-and-Trade. Energy des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) und Erläute- Policy 39 (4), S. 2100–2110. rungen zum Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz und zum Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Gassner, E. (2006): Gesetz über die Umweltverträglich- Infrastrukturvorhaben. 4., neu bearb. Aufl. Köln: keitsprüfung. Kommentar. Heidelberg: C. F. Müller. Pra- Heymann. xis Umweltrecht 13. Ickert, L., Matthes, U., Rommerskirchen, S., Weyand, E., Gleave, S. D. (2003): Freight Transport Intensity of Pro- Schlesiner, M., Lilmbers, J. (2007): Abschätzung der duction and Consumption. Sevilla: European Commis- langfristigen Entwicklung des Güterverkehrs in Deutsch- sion, Joint Research Centre, Institute for Prospective land bis 2050. Schlussbericht. Basel: ProgTrans. Technological Studies Report EUR 20684 EN. IEA (International Energy Agency) (2010): World Energy Goodwin, P. (2004): The Economic Costs of Road Traffic Outlook 2010. Zusammenfassung. Paris: IEA. Congestion. London: University College London, The IEA, OECD (Organisation for Economic Co-operation Rail Freight Group. and Development) (2009): Transport, Energy and CO2 – Graham, D., Glaister, S. (2002): The Demand for Auto- Moving Toward Sustainability. Paris: OECD/IEA. mobile Fuel. A Survey of Elasticities. Journal of Trans- IFEU (Institut für Energie und Umweltforschung) (2008): port Economics and Policy 36 (1), S. 1–26. Fortschreibung und Erweiterung „Daten- und Rechenmo- Greenwood, I. D., Bennett, C. R. (2003): The Effects of dell: Energieverbrauch und Schadstoffemissionen des Traffic Congestion on Fuel Consumption. http:// motorisierten Verkehrs in Deutschland 1960–2030 www.lpcb.org/lpcb-downloads/isohdm_rue/1995_bennett (TREMOD, Version 5)“. Endbericht. Heidelberg: IFEU. _greenwood_congestion_fuel.pdf (25.01.2012). ifmo (Institut für Mobilitätsforschung) (2010): Zukunft der Mobilität – Szenarien für das Jahr 2030. Zweite Fort- Hanly, M., Dargay, J., Goodwin, P. (2002): Review of schreibung. München: ifmo. Income and Price Elasticities in the Demand for Road Traffic. London: ESRC Transport Studies Unit. ESRC Intraplan Consult, BVU (Beratergruppe Verkehr + Um- TSU Publication 2002/13. welt) (2007): Prognose der deutschlandweiten Verkehs- verflechtungen 2025. München/Freiburg: ITP, BVU. Hesse, M. (2007a): Logistischer Wandel in der Region. Standortdynamiken und -strategien der Distributionslo- IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) gistik im transatlantischen Vergleich. Zeitschrift für Wirt- (2007): Climate Change 2007: Synthesis Report. Genf: schaftsgeographie 51 (2), S. 93–107. IPCC.

166 Literatur

Jackson, M. D. (2011): Technologies to Improve Fuel Lkw-Studie. Fakten, Trends und Perspektiven im Stra- Efficiency of Heavy Duty Trucks. Vortrag, Reducing ßengüterverkehr bis 2030. Hamburg, Berlin: Shell Greenhouse Gas Emissions from Heavy-Duty Vehicles: Deutschland Oil. Policy options, development, and prospects. International Workshop, 10.11.2011, Brüssel. Lindberg, G. (2002): UNITE (UNIfication of accounts and marginal costs for Transport Efficiency). Deliverable 9: Janic, M. (2009): Modelling the Cost Performance of a Marginal accident costs – case studies. Leeds: University Given Logistics Network Operating under Regular and of Leeds, Institute for Transport Studies. Irregular Conditions. European Journal of Transport and Infrastructure Research 9 (2), S. 100–120. Maibach, M., Schreyer, C., Sutter, D., Essen, H. P. van, Boon, B. H., Smokers, R., Schroten, A., Doll, C., Jong, G. de, Schroten, A., Essen, H. van, Otten, M., Pawlowska, B., Bak, M. (2008): Handbook on estimation Bucci, P. (2010): Price sensitivity of European road of external costs in the transport sector. Produced within freight transport – towards a better understanding of exis- the study Internalisation Measures and Policies for All ting results. A report for Transport & Environment. The external Cost of Transport (IMPACT). Version 1.1. Delft: Hague, Delft: Significance, CE Delft. Report 9012-1. CE Delft. Kajiwara, A. (2011): HDV fuel efficiency regulation Mangoldt, H. von, Klein, F., Starck, C. (Hrsg.) (2010): background and implementation to date. Vortrag, Redu- Kommentar zum Grundgesetz. Bd. 2: Art. 20-82. cing Greenhouse Gas Emissions from Heavy-Duty Vehi- 6., vollst. neubearb. Aufl. München: Vahlen. cles: Policy options, development, and prospects. Interna- tional Workshop, 10.11.2011, Brüssel. McKinnon, A. C. (2007): Decoupling of Road Freight Transport and Economic Growth Trends in the UK: An Kalkuhl, M., Edenhofer, O., Lessmann, K. (2012): Lear- Exploratory Analysis. Transport Reviews 27 (1), ning or Lock-in: Optimal Technology Policies to Support S. 37–64. Mitigation. Resource and Energy Economics 34 (1), S. 1–23. Nagel, K., Winter, M., Beckers, T., Röhling, W., Liedtke, G., Scholz, A. (2010): Endbericht zum Forschungsprojekt Kline, D. (2001): Positive feedback, lock-in, and environ- FE 96.029/2009 „Analyse der verkehrsprognostischen In- mental policy. Policy Sciences 34 (1), S. 95–107. strumente der Bundesverkehrswegeplanung“. Berlin: Klooster, J., Kampman, B. (2006): Dealing with Trans- Technische Universität. port Emissions. An emission trading system for the trans- Nestler, S., Nobel, T. (2011): Ausgezeichnete Logistik- port sector, a viable solution? Stockholm: Swedish standorte. Internationales Verkehrswesen 63 (3), Environmental Protection Agency. Report 5550. S. 20–22. Kluge, T., Schramm, E. (Hrsg.) (2003): Aktivierung Nordic Council of Ministers (2007): Road Transport durch Nähe. Regionalisierung nachhaltigen Wirtschaf- Emissions in the EU Emission Trading System. Copenha- tens. München: oekom. gen: Nordic Council of Ministers, Nordic Council. Tema- Komanoff, C. (1997): Environmental Consequences of Nord 2007,536. Road Pricing. A Scoping Paper for The Energy Founda- NPE (Nationale Plattform Elektromobilität) (2011): tion. New York, NY: Komanoff Energy Associates. Zweiter Bericht der Nationalen Plattform Elektromobili- Kritzinger, S., Drewitz, M., Herz, T., Ickert, L., Matthes, U., tät. Berlin: NPE. Rommerskirchen, S., Stumpf, P., Weyand, E. (2008): Ost- Nygaard, S. (2008): Co-Evolution of Technology, Mar- West-Güterverkehre 2030. Analysen, Prognosen und ver- kets, and Institutions. The Case of Fuel Cells and Hydro- kehrspolitische Herausforderungen für Deutschland und gen Technology in Europe. Lund: Lund University, Cen- ausgewählte europäische Länder. Basel: ProgTrans. tre for Innovation, Research and Competence in the Kveiborg, O., Fosgerau, M. (2007): Decomposing the de- Learning Economy. coupling of Danish road freight traffic growth and econo- Obwexer, W. (2006): Die Regelung des Transitverkehrs. mic growth. Transport Policy 14 (1), S. 39–48. In: Hummer, W., Obwexer, W. (Hrsg.): 10 Jahre EU-Mit- Lambrecht, M., Erdmenger, C., Bölke, M., Brenk, V., gliedschaft Österreichs. Bilanz und Ausblick. Wien, New Frey, K., Jahn, H., Kolodziej, A., Kruppa, I., Naumann, S., York: Springer, S. 299–386. Salz, D., Schade, L., Verron, H. (2009): Strategie für ei- OECD (Organisation for Economic Co-operation and De- nen nachhaltigen Güterverkehr. Dessau-Roßlau: Umwelt- velopment) (2006): Decoupling the Environmental Im- bundesamt. UBA-Texte 18/09. pacts of Transport from Economic Growth. Paris: OECD. Law, K., Jackson, M. D., Chan, M. (2011): European Union Greenhouse Gas Reduction Potential for Heavy- Öko-Institut, DLR-IVF (Deutsches Zentrum für Luft- und Duty Vehicles. Report. Cupertino, Calif.: TIAX LLC. Raumfahrt – Institut für Verkehrsforschung) (2009a): Re- TIAX Reference D5625. newbility „Stoffstromanalyse nachhaltige Mobilität im Kontext erneuerbarer Energien bis 2030“. Endbericht. Lenz, B., Lischke, A., Knitschky, G., Adolf, J., Ceng, F. B., Teil 1: Methodik und Datenbasis. Freiburg, Darmstadt, Stöver, J., Leschus, L., Bräuninger, M. (2010): Shell Berlin: Öko-Institut, DLR-IVF.

167 Güterverkehr und Klimaschutz

Öko-Institut, DLR-IVF (Deutsches Zentrum für Luft- und Sendmeyer, S. (2010): Transport- und Verkehrsrecht. In: Raumfahrt – Institut für Verkehrsforschung) (2009b): Re- Schulze, R., Zuleeg, M., Kadelbach, S. (Hrsg.): Europa- newbility „Stoffstromanalyse nachhaltige Mobilität im recht. Handbuch für die deutsche Rechtspraxis. 2. Aufl. Kontext erneuerbarer Energien bis 2030“. Endbericht. Baden-Baden: Nomos, S. 1822–1906. Teil 2: Szenario-Prozess und Szenarioergebnisse. Frei- Small, K., Van Dender, K. (2007): Long Run Trends in burg, Darmstadt, Berlin: Öko-Institut, DLR-IVF. Transport Demand, Fuel Price Elasticities and Implica- Öko-Institut, Prognos AG (2009): Modell Deutschland – tions of the Oil Outlook for Transport Policy. Paris,: Klimaschutz bis 2050: Vom Ziel her denken. Endbericht. OECD, International Transport Forum. JTRC Discussion Basel, Freiburg: Prognos, Öko-Institut. Paper 2007-16. Peters, H.-J., Balla, S. (2006): Gesetz über die Umwelt- Small, K. A., Winston, C., Yan, J. (2005): Uncovering the verträglichkeitsprüfung. Handkommentar. 3. Aufl. Ba- Distribution of Motorists Preferences for Travel Time and Reliability. Econometrica 73 (4), S. 1367–1382. den-Baden: Nomos. Sorrell, S., Lehtonen, M., Stapleton, L., Pujol, J., Cham- Petersen, M. S., Sessa, C., Enei, R., Ulied, A., Larrea, E., pion, T. (2009): Decomposing road freight energy use in Obisco, O., Timms, P. M., Hansen, C. O. (2009): Report the United Kingdom. Energy Policy 37 (8), on Transport Scenarios with a 20 and 40 year Horizon. Fi- S. 3115–3129. nal report. Copenhagen: DG TREN. TRvCR503_001. Sprenger, R.-U., Arnold-Rothmaier, H., Kiemer, K., Pin- Pro Mobilität – Initiative für Verkehrsinfrastruktur tarits, S., Wackerbauer, J. (2003): Entlastung der Umwelt (2011): „Investitionen westeuropäischer Staaten in Stra- und des Verkehrs durch regionale Wirtschaftskreisläufe. ßeninfrastruktur“. Deutschland vernachlässigt sein Stra- Berlin: Umweltbundesamt. UBA-Texte 67/02. ßennetz. Studie. Berlin: Pro Mobilität – Initiative für Ver- kehrsinfrastruktur e.V. SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen) (2011): Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung. Sonder- Ranch, P. (2010): Elektriska vägar – elektrifiering av tunga gutachten. Berlin: Erich Schmidt. vägtransporter. Förstudie. Stockholm: Grontmij AB. SRU (2007): Klimaschutz durch Biomasse. Sondergut- Reh, F. (Hrsg.) (2004): Gleisanschlüsse im Schienenver- achten. Berlin: Erich Schmidt. kehr. Ökonomische Analyse von Gleisanschlussverkeh- SRU (2005): Umwelt und Straßenverkehr. Hohe Mobili- ren und Beurteilung alternativer Fördermaßnahmen. tät – Umweltverträglicher Verkehr. Sondergutachten. Ba- Köln: Kölner Wissenschaftsverlag. den-Baden: Nomos. Rodrigue, J.-P. (2006): Challenging the Derived Trans- Statistisches Bundesamt (2011a): Umweltökonomische port Demand Thesis: Issues in Freight Distribution. Envi- Gesamtrechnungen. Transportleistungen und Energiever- ronment & Planning / A 38 (8), S. 1449–1462. brauch im Straßenverkehr 2000 – 2008. Ausgewählte Er- Rodt, S., Georgi, B., Huckestein, B., Mönch, L., Herbe- gebnisse zum Methodenbericht. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. ner, R., Jahn, H., Koppe, K., Lindmaier, J. (2010): CO2- Emissionsminderung im Verkehr in Deutschland. Mögli- Statistisches Bundesamt (2011b): Verkehr. Eisenbahn. che Maßnahmen und ihre Minderungspotenziale. Ein Beförderungsmenge nach Hauptverkehrsrelation. Wies- Sachstandsbericht des Umweltbundesamtes. Dessau- baden: Statistisches Bundesamt. http://www.destatis.de/ Roßlau: Umweltbundesamt. UBA-Texte 05/10. http:// jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/ www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3773.pdf Statistiken/Zeitreihen/LangeReihen/Verkehr/Content100/ (01.09.2011). lrvkr001a,templateId=renderPrint.psml (07.03.2012). Santos, G., Rojey, L., Newbery, D. (2000): The environ- Statistisches Bundesamt (2011c): Verkehrsleistung. Gü- mental benefits from road pricing. Cambridge: Cam- terbeförderung. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. bridge University, Department of Applied Economics. http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/ Schade, W. (2010): iTREN-2030. Integrated transport and Internet/DE/Content/Statistiken/Verkehr/Gueterbefoerde energy baseline until 2030. The iTREN-2030 Integrated rung/Tabellen/Content75/Gueterbefoerderung,templateId Scenario until 2030. Deliverable D5. Karlsruhe: =renderPrint.psml (10.02.2012). Fraunhofer Institute Systems and Innovation Research. Statistisches Bundesamt (2010a): Beförderte Gütermenge und Beförderungsleistung (Straßengüterverkehr): Schippl, J., Leisner, I., Kaspersen, I., Madsen, A. K. Deutschland, Jahre, Verkehrsart, Verkehrswege. Wiesba- (2008): The Future of European long-distance transport. den: Statistisches Bundesamt. http://opendatalabs.org/de Scenario Report. Bruxelles: European Parliament, statis/table_46231-0004.html (07.03.2012). Science and Technology Options Assessment. IPOL/A/ STOA/2007-07. Statistisches Bundesamt (2010b): Nachhaltige Entwick- lung in Deutschland. Indikatorenbericht 2010. Wiesba- Schreyer, C., Schneider, C., Maibach, M., Rothengatter, W., den: Statistisches Bundesamt. Doll, C., Schmedding, D. (2004): External Costs of Transport. Update Study. Final Report. Karlsruhe, Zürich: Sterner, M. (2009): Bioenergy and renewable power me- IWW Universität Karlsruhe, INFRAS. thane in integrated 100% renewable energy systems. Li-

168 Literatur miting global warming by transforming energy systems. Watkiss, P., Downing, T., Handley, C., Butterfield, R. Kassel, Universität Kassel, Dissertation. (2005): The Impacts and Costs of Climate Change. Final Report. London, Oxford: AEA Technology Environment, Storper, M. (1995): Territories, flows and hierachies in Stockholm Environment Institute. the global economy. Aussenwirtschaft 50 (2), S. 265–293. Watson, D., Herczeg, M., Acosta, J., Wittmer, D. (2011): Key messages on material resource use and efficiency in Tapio, P. (2005): Towards a theory of decoupling: degrees Europe. Insights from environmentally extended input- of decoupling in the EU and the case of road traffic in output analysis and material flow accounts. Copenhagen: Finland between 1970 and 2001. Transport Policy 12 (2), European Topic Centre on Sustainable Consumption and S. 137–151. Production. ETC/SCP working paper 3/2011. Tapio, P., Banister, D., Luukkanen, J., Vehmas, J., Wil- WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung lamo, R. (2007): Energy and transport in comparison: Im- Globale Umweltveränderungen) (2009): Welt im Wandel. materialisation, dematerialisation and decarbonisation in Zukunftsfähige Bioenergie und nachhaltige Landnutzung. the EU15 between 1970 and 2000. Energy Policy 35 (1), Berlin: WBGU. S. 433–451. Weitzman, M. L. (2010): GHG Targets as Insurance Teichmann, D., Arlt, W., Wasserscheid, P., Freymann, R. Against Catastrophic Climate Damages. Cambridge, (2011): A future energy supply based on Liquid Organic Mass.: Harvard University, Department of Economics. Hydrogen Carriers (LOHC). Energy & Environmental Discussion Paper 10–42. Science 2011 (4), S. 2767–2773. Weitzman, M. L. (2009): On Modeling and Interpreting Tol, R. S. J. (2005): The marginal damage costs of carbon the Economics of Catastrophic Climate Change. The dioxide emissions: an assessment of the uncertainties. Review of Economics and Statistics 91 (1), S. 1–19. Energy Policy 33 (16), S. 2064–2074. Winter, G. (2010): Lob des Flaschenhalses. Über Ver- UBA (Umweltbundesamt) (2009): Daten zum Verkehr. kehrsbegrenzung durch Straßenplanungsrecht. In: Dolde, Ausgabe 2009. Dessau-Roßlau: UBA. K.-P., Hansmann, K., Paetow, S., Schmidt-Assmann, E. Uerpmann-Wittzack, R. (2006): Verkehr. In: Isensee, J., (Hrsg.): Verfassung – Umwelt – Wirtschaft. Festschrift Kirchhof, P. (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bun- für Dieter Sellner zum 75. Geburtstag. München: Beck, desrepublik Deutschland. Bd. 4: Aufgaben des Staates. S. 193–206. 3., völlig neubearb. und erw. Aufl. Heidelberg: C. F. Wissenschaftlicher Beirat für Verkehr (2010): Strategie- Müller, S. 783–809. planung „Mobilität und Transport“. Folgerungen für die UNECE (United Nations Economic Commission for Bundesverkehrswegeplanung. Internationales Verkehrs- Europe), FAO (Food and Agriculture Organization) wesen 62 (4), S. 20–29. (2002): Forecasts of Economic Growth in OECD and Zentrum für Transformation der Bundeswehr (2010): Central and Eastern European Countries for the Period Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahr- 2000–2040. A study prepared for the European Forest Sector Outlook Study (EFSOS). New York, Geneva: Uni- hundert. Umweltdimensionen von Sicherheit. Teilstudie 1: Peak Oil: Sicherheitspolitische Implikationen knapper ted Nations. Ressourcen. Strausberg: Zentrum für Transformation der Unruh, G. C. (2000): Understanding carbon lock-in. Bundeswehr. Energy Policy 28 (12), S. 817–830. Zimmer, W., Fritsche, U. (2008): Klimaschutz und Stra- Verny, J. (2007): The importance of decoupling between ßenverkehr. Effizienzsteigerung und Biokraftstoffe und freight transport and economic growth. European Journal deren Beitrag zur Minderung der Treibhausgasemissio- of Transport and Infrastructure Research 7 (2), nen. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, Arbeitskreis Innova- S. 113–128. tive Verkehrspolitik.

169

Kapitel 5

Inhaltsverzeichnis Seite

5 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen ...... 173

5.1 Einleitung ...... 173 5.2 Belastungen durch den motorisierten Straßenverkehr ...... 174 5.2.1 Flächeninanspruchnahme und Einschränkung von Lebensräumen ...... 174 5.2.2 Verkehrsunfälle ...... 175 5.2.3 Straßenverkehrslärm ...... 176 5.2.4 Luftbelastung ...... 177 5.2.5 Schlussfolgerungen ...... 178 5.3 Verkehrsentwicklung und Mobilitätsverhalten in Ballungsräumen ...... 179 5.3.1 Personenverkehrsleistung und Mobilitätsverhalten ...... 179 5.3.2 Güter- und Personenwirtschaftsverkehr ...... 181 5.3.3 Bevölkerungsentwicklung und Szenarien für den Personen- verkehr ...... 182 5.4 Leitbild und Indikatoren für einen umweltfreundlichen Verkehr in Ballungsräumen ...... 182 5.5 Maßnahmen für einen umweltfreundlichen Verkehr in Ballungsräumen ...... 185 5.5.1 Kostentransparenz und -internalisierung ...... 185 5.5.2 Angleichung von Raum und Geschwindigkeiten ...... 189 5.5.3 Förderung des Umweltverbundes ...... 189 5.5.4 Intermodale Verkehrsdienstleistungen, Mobilitätsmanagement und Carsharing ...... 192 5.5.5 Förderung emissionsarmer Fahrzeuge ...... 194 5.5.6 Integrierte Verkehrsentwicklungsplanung ...... 195 5.6 Zusammenfassung ...... 198 5.7 Literatur ...... 199

Abbildungen

Abbildung 5-1 Flächenbeanspruchung durch den fließenden und ruhenden Verkehr ...... 174 Abbildung 5-2 Anzahl der in Deutschland innerhalb von Ortschaften polizeilich erfassten Straßenverkehrsunfälle und der dabei Verletzten und Getöteten von 1973 bis 2010 ...... 176 Abbildung 5-3 Anteil an städtischen Messstationen mit mehr als 35 Über- schreitungen des Feinstaub-Kurzzeitgrenzwerts ...... 178

171 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

Seite

Abbildung 5-4 Entwicklung der Verkehrsleistung für den motorisierten Individualverkehr ...... 179 Abbildung 5-5 Modal Split des Personenverkehrsaufkommens ...... 181 Abbildung 5-6 Pendlerverflechtungen in Deutschland ...... 186 Abbildung 5-7 Preisentwicklung bei Kraftfahrzeugen und öffentlichem Personennahverkehr ...... 191 Abbildung 5-8 Zeit/Entfernung nach Verkehrsmitteln ...... 191 Abbildung 5-9 Integrierte Struktur eines Verkehrsentwicklungsplans am Beispiel Berlin ...... 197

Tabellen

Tabelle 5-1 Belastung der Bevölkerung durch Straßenverkehrslärm in den 27 größten Ballungsräumen in Deutschland ...... 177 Tabelle 5-2 Beispiele für verkehrsbezogene Qualitätsziele und Indikatoren ...... 183

172 Einleitung

5 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

5.1 Einleitung Eine Grundbedingung zur Befriedigung eigener Bedürf- nisse ist es, mobil sein zu können. Mobilität ermöglicht 288. Die meisten Menschen in Deutschland leben in den Menschen die Teilhabe am sozialen und wirtschaftli- Ballungsräumen, das heißt in dicht besiedelten, stark vom chen Leben. Dabei meint Mobilität nicht nur die tatsächli- Verkehr geprägten Gebieten. Setzt man Ballungsräume che Ortsveränderung – den Verkehr –, sondern bezieht mit den sogenannten Stadtregionen gleich (Großstädte sich auch auf die Möglichkeiten, durch Ortsveränderung mit mehr als 100.000 Einwohnern inklusive ihrer umlie- von Personen, eines Gutes oder von Informationen ein genden Pendler-Gemeinden), dann besteht etwa die Bedürfnis zu befriedigen bzw. ein Interesse zu realisieren Hälfte der Fläche Deutschlands aus solchen Ballungsräu- (SRU 2005, Tz. 128 ff.). Die Entfernung, die für die men, in denen fast drei Viertel aller Deutschen leben Zielerreichung zurückgelegt wird, oder das genutzte Ver- (BBSR 2010, dort auch die Definition der „Stadtregio- kehrsmittel sind für die Mobilität einer Person nicht aus- nen“; s. a. Abb. 5-6). schlaggebend. Wer täglich 100 km mit dem Auto zur Ar- Ballungsräume haben eine hohe Bedeutung für die nach- beit pendelt, ist nicht mobiler als jemand, der mit dem haltige Entwicklung unserer Gesellschaft: In verdichteten Fahrrad 5 km zu seinem Arbeitsplatz fährt. Somit erfor- Siedlungsgebieten können Ressourcen wie Energie, Flä- dert Erreichbarkeit nicht notwendigerweise Autoverkehr, chen oder Infrastrukturen effektiver genutzt werden. Bal- wenn wichtige Dienstleistungen fußläufig, mit dem Fahr- lungsräume sind darüber hinaus besser in der Lage, für all rad oder mit Bus und Bahn verfügbar sind. Die Möglich- ihre Bewohner die Erreichbarkeit von Schulen, Einkaufs- keit, viele Ziele auf unterschiedlichen Wegen erreichen zu möglichkeiten, ärztlicher Versorgung und ähnlichen Ein- können, macht einen Teil der Lebensqualität in Ballungs- richtungen sicherzustellen, während dies auf dem Land räumen aus (BMVBS 2011a). nicht zuletzt angesichts des demografischen Wandels im- mer schwieriger wird. Die Frage nach der Lebensqualität 290. Der Anspruch und die Notwendigkeit mobil zu in Ballungsräumen hat auch deshalb eine zunehmende sein und der daraus resultierende Verkehr – dabei handelt Relevanz. es sich überwiegend um den motorisierten Straßenver- kehr – prägen die Ballungsräume in besonderem Maße. 289. Lebensqualität bedeutet mehr als ein angenehmes Einerseits sind motorisierter Individualverkehr sowie Gü- Leben zu haben. Lebensqualität kann als individuelle ter- und Wirtschaftsverkehr fester Bestandteil des indivi- Wohlfahrt verstanden werden und umfasst sowohl objek- duellen Lebensstils unserer Gesellschaft geworden. An- tive Lebensbedingungen als auch das subjektive Wohlbe- dererseits werden die Menschen durch den Lärm und die finden von Individuen und Gruppen (GLATZER und Luftschadstoffe des Pkw- und Lkw-Verkehrs belastet und ZAPF 1984). Zu den objektiven Lebensbedingungen zäh- die hohe Dichte der Verkehrsinfrastruktur führt zur Zer- len zum Beispiel das Einkommen, die Gesundheit, das schneidung von Aufenthaltsräumen. Zu beklagen sind Wohnumfeld und die Wohnsituation, der Grad der sozia- viele Verkehrstote und -verletzte. Verkehr beeinträchtigt len Integration (Familie und Freundschaften) und die vor- die Lebensqualität der Bewohner von Ballungsräumen handenen Möglichkeiten, Bildungs-, Freizeit- und kultu- somit erheblich. relle Angebote wahrnehmen zu können. Entscheidend für die Lebensqualität ist aber auch, wie die Menschen ihre Für eine hohe Lebensqualität in Ballungsräumen ist es Lebenssituation bewerten, also das subjektive Wohlbefin- deshalb nicht nur erforderlich, eine hohe Mobilität der den. Von fundamentaler Bedeutung ist darüber hinaus die Bewohner zu gewährleisten, sondern auch die Belastun- Qualität der Gesellschaft, in der die Menschen leben. gen von Mensch und Umwelt durch den Autoverkehr zu Hierzu zählen Aspekte wie Freiheit, Sicherheit und Ge- rechtigkeit (BULMAHN 2000). verringern. Dafür ist es unumgänglich, den Verkehr um- weltfreundlicher auszugestalten. In diesem Kapitel wird Für eine dauerhafte Erhaltung und Verbesserung der Le- zunächst dargestellt, wie der Autoverkehr in Ballungs- bensqualität müssen auch ökologische Aspekte berück- räumen die Lebensqualität beeinträchtigt (Kap. 5.2). Da- sichtigt werden (NOLL 2010). Denn die Lebensqualität ran anschließend werden die Entwicklungen des Ver- eines Menschen wird nicht nur von seinen eigenen Res- kehrs und das Mobilitätsverhalten in Ballungsräumen sourcen und von seinem unmittelbaren Umfeld bestimmt, beschrieben (Kap. 5.3). Es folgt die Formulierung eines sie ist auch direkt von der lokalen Umgebung und dem Leitbilds für einen umweltfreundlichen Verkehr globalen Ökosystem abhängig (EEA 2009). Auch soziale (Kap. 5.4) und schließlich werden Empfehlungen für die und kulturelle Aktivitäten wie Freizeit und Erholung er- Gestaltung eines umweltfreundlichen Verkehrs gegeben fordern eine gesunde Umwelt. (Kap. 5.5).

173 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

5.2 Belastungen durch den motorisierten Der fließende Pkw-Verkehr beansprucht im Vergleich Straßenverkehr zum Rad- und Fußgängerverkehr etwa fünf- bis zehnmal so viel Fläche. Ähnliches gilt auch für den ruhenden Ver- 5.2.1 Flächeninanspruchnahme und kehr, wobei hier der Unterschied zwischen Pkw und Fahr- Einschränkung von Lebensräumen rad nicht immer ganz so groß ist (ca. Faktor fünf) 291. Das Erscheinungsbild der Straßenräume in den (BRACHER et al. 2002; Abb. 5-1). Zusätzlich sind Flä- Städten wird sehr stark durch den Kfz-Verkehr ein- chen für Tankstellen und Werkstätten sowie die Verlust- schließlich der Parkräume bestimmt. Als Konsequenz und Wirkungsflächen (Gräben, Böschungen, Wälle sowie sind Aufenthaltsräume an den Straßen verloren gegangen lärm- und schadstoffbelastete Randstreifen) in die vom oder aufgrund hoher Verkehrsintensität, gekoppelt mit Autoverkehr „verbrauchte“ Fläche einzurechnen (APEL hohen Lärm- und Luftbelastungen, unattraktiv geworden 1990). (APEL 1990).

Abbildung 5-1

Flächenbeanspruchung durch den fließenden* (A) und ruhenden (B) Verkehr

ÖPNV (gesamt) A

S-Bahn

Straßenbahn

Bus in Mischspur

Bus auf eig. Spur

Pkw

Fahrrad

Fußgänger

0 5 10 15 20 25 30

m2 h/Person

B Lkw**

S-Bahn

Straßenbahn

Bus

Pkw

Fahrrad

Fußgänger

0 5 10 15 20 25 30 m2 /Person (**m2/Fahrzeug)

* Berechnet aus der momentanen Flächenbeanspruchung pro Person mit einem spezifischen Verkehrsmittel und der Dauer des Transportvorgangs Quelle: BRACHER et al. 2002

174 Belastungen durch den motorisierten Straßenverkehr

292. Hinzu kommt, dass durch den Autoverkehr die Be- Straßen. Gerade für Kinder und ältere Menschen ist aber wegungsmöglichkeiten der anderen Verkehrsteilnehmer das unmittelbare Wohnumfeld von großer Bedeutung da- eingeschränkt werden. Dies betrifft besonders Kinder, äl- für, eigenen Bedürfnissen nachgehen zu können. Fami- tere Menschen und in ihrer Mobilität eingeschränkte Per- lien, Alleinerziehende und andere Erholungssuchende sonen (SRU 2005). Kinder zum Beispiel haben Grundbe- sind gezwungen, über größere Entfernungen geeignete dürfnisse wie Autonomie und Bewegung, welche in Erholungs- und Freizeiträume aufzusuchen. Von den Ein- einem städtischen, stark vom Verkehr geprägten Umfeld schränkungen der Mobilität durch den Straßenverkehr nur begrenzt ausgelebt werden können. Eine kinder- und dem Fehlen von Aufenthaltsräumen sind insbeson- freundliche außerhäusliche Umwelt fördert die Entwick- dere Personengruppen betroffen, die weniger Zugang lung der Kinder. Gerade in den Städten ist die Bewe- zum motorisierten Individualverkehr haben, wie zum gungsfreiheit der Kinder aber vor allem wegen der Beispiel Kinder und sozial schwächer gestellte Menschen Belegung von Straßenrändern, Bürgersteigen und anderen (SRU 2005). Dabei sind aufgrund der immer noch beste- öffentlichen und privaten Freiflächen durch geparkte henden Geschlechterrollenverteilung Frauen im stärkeren Fahrzeuge sowie der Verkehrsunsicherheit an den Straßen Maße von diesen Einschränkungen betroffen als Männer stark eingeschränkt. Eine Folge davon ist die beobachtete (SICKS 2011). Tendenz zur generellen Begleitung von Kindern durch Neben Aufenthaltsräumen an der Straße sind für die städ- Erwachsene. Gleichzeitig hat die Aufenthaltszeit der Kin- tische Lebensqualität auch Erholungs- und Freizeiträume der in den Wohnräumen zugenommen. Man spricht von wichtig. Zu diesen zählen insbesondere Grünflächen, die einer „Verhäuslichung der Kindheit“ (ZINNECKER den Bedürfnissen der Anwohner gemäß gestaltet sind, die 2001). Diese steht auch im Zusammenhang mit der Zu- aber auch die Biodiversität in den Städten fördern. Sie nahme bestimmter Auffälligkeiten bei Kindern, wie mo- sind für viele Stadtbewohner die Hauptmöglichkeit mit torische Defizite, Übergewicht und Stoffwechselerkran- Natur, Tieren und Pflanzen in Kontakt zu kommen kungen, wie zum Beispiel Diabetes (KURTH und (WERNER und ZAHNER 2009). Das Fehlen entspre- SCHAFFRATH ROSARIO 2007). chender Flächen wirkt sich negativ auf die Lebensqualität 293. Mit steigendem Lebensalter verändert sich übli- aus. Darüber hinaus erbringen städtische Freiräume auch cherweise das Mobilitätsverhalten. So nimmt oberhalb klimatische Ausgleichsleistungen, die die Auswirkungen von 55 Jahren der Anteil der Wege, die zu Fuß zurückge- des Klimawandels in Städten abschwächen können. Es legt werden, tendenziell eher zu, bei gleichzeitiger Ab- besteht ein Zusammenhang zwischen städtebaulicher nahme der aktiven Teilnahme am motorisierten und nicht Struktur, Grünausstattung und klimatischer Situation. motorisierten Individualverkehr (Tz. 308). Ältere Men- Freiräume leisten somit einen Beitrag zur Erhaltung der schen können besondere Bedürfnisse haben, insbesondere Lebensqualität in Städten, welcher vor dem Hintergrund aufgrund von Einschränkungen in der akustischen und des Klimawandels an Bedeutung gewinnt (MATHEY optischen Wahrnehmung sowie der Beweglichkeit. Au- et al. 2011, S. 17). ßerdem fühlen sich Menschen im hohen Alter vom Straßenverkehr aufgrund der immer größeren Dichte und 5.2.2 Verkehrsunfälle des Anstiegs der Geschwindigkeiten zunehmend überfor- dert oder sogar bedroht (ELLINGHAUSEN und 295. In der Diskussion um das Unfallrisiko im Straßen- STEINBRECHER 1995). Da die Infrastruktur in der Re- verkehr wird immer wieder auf die zurückgehende Zahl gel auf den motorisierten Verkehr ausgerichtet ist, führt der durch Straßenverkehrsunfälle Getöteten und Verletz- dies bei älteren bzw. mobilitätseingeschränkten Personen ten hingewiesen. Die Zahl der Verkehrstoten in Deutsch- zu der Einschätzung, von bestimmten Aktivitäten ausge- land hat sowohl insgesamt als auch innerhalb von Ort- schlossen zu sein. Gleichzeitig werden kurze Ampelpha- schaften seit Beginn der 1970er-Jahre sehr deutlich sen, Straßen mit hohem Verkehrsaufkommen, zu schmale abgenommen (Abb. 5-2). So waren im Jahr 1973 inner- Gehwege, Parken auf den Gehwegen und die unzurei- halb von Ortschaften noch 8.042 im Straßenverkehr Ge- chende Absenkung von Bordsteinen als Hindernisse für tötete zu beklagen. Die Zahl sank bis zum Jahr 2010 auf die eigene Mobilität wahrgenommen (KASPER 2007). 1.011 (Statistisches Bundesamt 2011b). Das im Weißbuch Diese Faktoren schränken auch die Mobilität anderer der Europäischen Kommission zum Verkehr formulierte Gruppen ein – das reicht von Personen, die mit großen Ziel, die Zahl der Verkehrstoten im Zeitraum von 2000 Gepäckstücken oder Kinderwagen unterwegs sind, bis bis 2010 um die Hälfte zu reduzieren, wurde in Deutsch- hin zu solchen, die in ihrer körperlichen und geistigen land erreicht (Europäische Kommission 2001). Diese Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind (RAU et al. 1997). Entwicklung ist auch deshalb beachtenswert, weil der Fahrzeugbestand bei fast konstanter Fahrleistung pro Pkw 294. Darüber hinaus beeinflusst der Straßenverkehr stetig zugenommen hat bzw. seit 1970 um das Zweiein- auch das soziale Leben auf der Straße und in ihrer unmit- halbfache angestiegen ist (BMVBS 2011b). Dagegen ha- telbaren Nähe. So gibt es an verkehrsreichen Straßen ben polizeilich erfasste Verkehrsunfälle weder innerhalb deutlich weniger soziale Interaktionen, wie zum Beispiel (Abb. 5-2) noch außerhalb von Ortschaften abgenommen Gespräche, als in verkehrsberuhigten Zonen. An stark und liegen seit Anfang der 1990er-Jahre auf einem konti- vom Verkehr geprägten Straßen ist die Aufenthaltszeit der nuierlich hohen Niveau. Während die meisten Verkehrs- Bewohner deutlich kürzer und der Straßenraum wird auf- unfälle mit Personenschaden innerorts zu verzeichnen grund der Lärm- und Luftbelastung seltener als Freizeit- sind (etwa 68 %), sind die meisten Todesopfer bei Ver- und Erholungsraum genutzt als an verkehrsberuhigten kehrsunfällen auf Landstraßen zu beklagen (Statistisches

175 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

Abbildung 5-2

Anzahl der in Deutschland innerhalb von Ortschaften polizeilich erfassten Straßenverkehrsunfälle und der dabei Verletzten und Getöteten von 1973* bis 2010

Polizeilich erfasste Unfälle Verletzte Getötete 2,5 10000

2 8000

1,5 6000

1 4000 Getötete Millionen e oderVerletzte l

Unfäl 0,5 2000

0 0

* Zahlen für polizeilich erfasste Unfälle erst ab 1991 Quelle: Statistisches Bundesamt 2011b

Bundesamt 2011b; DVR 2006). Im Gegensatz zu dem natsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2007). Zu- bislang positiven Trend weist das erste Halbjahr 2011 dem hat die Zahl der Kinder, die in Deutschland im Stra- eine Zunahme der in Deutschland im Straßenverkehr Ver- ßenverkehr getötet wurden, während sie als Fußgänger letzten oder Getöteten um mehr als 8 % im Vergleich zum unterwegs waren, im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr Halbjahr 2010 auf (Pressemitteilung Nr. 305 des Statisti- um 22 % zugenommen (Statistisches Bundesamt 2011c). schen Bundesamtes vom 22. August 2011). 296. Der deutliche Rückgang der Verkehrstoten hängt 5.2.3 Straßenverkehrslärm vor allem mit der verbesserten passiven Sicherheit in den 297. Der Straßenverkehrslärm ist die Hauptlärmquelle Kraftfahrzeugen und der medizinischen Notfallversor- in Ballungsräumen. Dabei spielt nicht nur der dominante gung von Verletzten zusammen (Wissenschaftlicher Bei- Pkw-Verkehr eine wichtige Rolle, denn die Lärmemissio- rat beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtent- nen von Lkws sind erheblich höher als die von Pkws und wicklung 2010; BASt 2011a). Trotz der genannten tragen somit maßgeblich zur Belastung bei (Senatsver- positiven Entwicklungen bei den Verkehrstoten ist die waltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz Tatsache, dass nach offizieller Statistik jährlich in Berlin 2009). Lärm wirkt sich negativ auf das Wohlbefin- Deutschland etwa 375.000 Menschen im Straßenverkehr den und die Gesundheit der Betroffenen aus. Die Beein- verletzt und mehr als 3.500 Menschen getötet werden, al- trächtigungen reichen von einer leichten Belästigung, les andere als befriedigend. Innerhalb von Ortschaften über Einschränkungen in der Kommunikation bis hin zu waren es im Jahr 2010 etwa 240.000 Verletzte, davon physiologischen Stressreaktionen, die auf das Herz-Kreis- 33.262 Schwerverletzte, und mehr als 1.000 Getötete lauf-System wirken können. Bei der Induktion von (Statistisches Bundesamt 2011b). Beunruhigend ist des Stressreaktionen steht die Störung des Schlafs im Vorder- Weiteren, dass unter den bei Verkehrsunfällen Verun- grund (SRU 2002b; 2004). So steht eine hohe Lärmbelas- glückten eine stetige Zunahme des Anteils der motorisier- tung mit einem erhöhten Risiko von Herz-Kreislauf-Er- ten und nicht motorisierten Zweiradfahrer zu beobachten krankungen im Zusammenhang (BABISCH 2006). ist. In Berlin beispielsweise ist der Anteil der im Straßen- verkehr verunglückten Zweiradfahrer im Verhältnis zu Mit dem ersten Schritt zur Umsetzung der Umgebungs- ihrem Anteil am Modal Split (prozentualer Anteil der ver- lärmrichtlinie 2002/49/EG wurden für die 27 größten Bal- schiedenen Verkehrsträger am Verkehrsaufkommen) lungsräume in der Bundesrepublik Deutschland Lärmkar- deutlich höher als bei Fußgängern und Autofahrern (Se- tierungen durchgeführt. Anhand dieser Lärmkarten

176 Belastungen durch den motorisierten Straßenverkehr wurden die Lärmschwerpunkte in den Städten identifi- Die in der Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG festgelegten ziert. Dabei zeigte sich, dass ein erheblicher Teil der Be- Luftqualitätsgrenzwerte für Feinstaub (PM10) und Stick- völkerung in den Ballungsräumen hohen bis sehr hohen stoffdioxid (NO2) dienen dem Schutz der Gesundheit. Der Lärmbelastungen durch Straßenverkehr ausgesetzt ist. So Kurzzeitgrenzwert für Feinstaub aus der Luftqualitäts- sind etwa 4,2 Millionen bzw. 24,5 % der Bewohner von richtlinie wird weiterhin insbesondere in den Ballungs- Lärmaußenpegeln oberhalb von 55 dB(A) im Tag-Abend- räumen an vielen verkehrsnahen Messstationen über-

Nacht-Index (LDEN) betroffen, ab denen mit einer erhebli- schritten (Abb. 5-3). So wurden an 44 % der städtischen, chen Belästigung zu rechnen ist. Bei etwa 2,8 Millionen verkehrsnahen Messstationen mehr als die 35 zulässigen Einwohnern liegt die Lärmbelastung außerhalb der Woh- Überschreitungen von 50 µg/m3 im Jahr 2011 verzeichnet (UBA 2012). Unter Berücksichtigung des großen Einflus- nungen in der Nacht oberhalb von 50 dB(A) (LNight) und ses der meteorologischen Bedingungen wird in einer Pro- bei etwa 1,5 Millionen oberhalb von 55 dB(A) (LNight) (Tab. 5-1). Alleine in Berlin betrifft Letzteres 340.000 Men- gnose aus dem Jahr 2009 angenommen, dass an beson- schen (Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und ders hochbelasteten Standorten auch im Jahr 2020 der Verbraucherschutz Berlin 2009). Bei diesen Werten chro- Grenzwert nicht eingehalten werden wird (STERN 2010). nischer Lärmbelastung in der Nacht nehmen Risiken wie 299. Anthropogen freigesetzte Stickstoffoxide (NO ) Bluthochdruckerkrankungen bzw. ischämische Herz- x stammen primär aus Verbrennungsprozessen, wobei der erkrankungen nennenswert zu (GIERING 2010; SRU Hauptanteil als Stickstoffmonoxid (NO) emittiert wird. 2008). Dieses kann wiederum durch Ozon oder Peroxidradikale in der Luft zu Stickstoffdioxid (NO2) oxidieren. Der Ver- 5.2.4 Luftbelastung kehr ist mit fast 44 % Hauptemittent für anthropogen ver- ursachtes NOx (UBA 2009b). Die höchsten NOx-Belas- 298. Die Luftqualität in den Ballungsräumen hat sich in tungen treten in den Ballungsgebieten an stark vom den letzten zwanzig Jahren verändert, zum Teil sogar Verkehr geprägten Standorten mit durchlüftungshemmen- deutlich verbessert. Mit der Abnahme der in der Vergan- der Baustruktur wie Straßenschluchten auf. Dabei ist genheit dominierenden Luftschadstoffe aus Industrieanla- nicht nur die Verkehrsdichte, sondern auch die Zusam- gen bzw. Kraftwerken wie Schwefeldioxid und Ruß sind mensetzung des Verkehrs für die NOx- und NO2-Belas- die Luftverunreinigungen aus dem Verkehr wie Feinstaub tungen relevant. Die Immissionsdaten zeigen, dass die und Stickstoffoxide (NOx) sowie sekundär gebildetes NO-Konzentrationen in den letzten Jahren in den Städten Ozon zunehmend in den Blickpunkt der Betrachtung ge- stetig gesunken sind, die Konzentrationen des gesund- rückt. heitlich relevanteren NO2 dagegen kaum (FISCHER et al. 2006; UBA 2010a; 2012). Ursache hierfür ist der wach- Die hohen Feinstaubemissionen des Straßenverkehrs re- sende Anteil an Dieselfahrzeugen im Straßenverkehr, die sultieren insbesondere aus dem Ruß, dem Reifenabrieb generell mehr NO emittieren und auch einen höheren und der Aufwirbelung von Straßenstaub. Besonders x NO2-Anteil im Abgas aufweisen als Benzinfahrzeuge schädlich für die Gesundheit sind Partikel aus Verbren- (MAYER et al. 2007). nungsprozessen wie Dieselruß, da sie oft Träger von reak- tiven Verbindungen sind. Feinstäube sind Auslöser für Stickstoffoxide besitzen eine starke Reizwirkung auf die negative Effekte in der Lunge wie Entzündungsreaktio- Atemwege. So wird die Langzeitexposition gegenüber nen und wirken verstärkend hinsichtlich allergischer NO2 mit Symptomen in den Atemwegen, wie zum Bei- Atemwegserkrankungen. Sie stehen des Weiteren im Zu- spiel Einschränkungen der Lungenfunktion und der Zu- sammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen (SRU nahme von chronischem Husten und Bronchitis bei Kin- 2004; 2008). dern, in Zusammenhang gebracht. Außerdem ist eine

Tabelle 5-1

Belastung der Bevölkerung durch Straßenverkehrslärm in den 27 größten Ballungsräumen in Deutschland

L L L L L L Pegel DEN DEN DEN Night Night Night > 55 dB(A) > 65 dB(A) > 70 dB(A) > 50 dB(A) > 55 dB(A) > 60 dB(A) Anzahl Betroffener 4.241 1.391 522,1 2.802,1 1.514,2 594,5 in Tausend (prozentualer Anteil) (24,5 %) (8 %) (3 %) (16,2 %) (8,7 %) (3,4 %)

dB(A) = Dezibel (korrigiert nach Bewertungskurve A)

LDEN = Lärmschallpegel im Tag-Abend-Nacht-Index LNight = Lärmschallpegel in der Nacht SRU/UG 2012/Tab. 5-1; Datenquelle: UBA 2011a

177 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

Abbildung 5-3

Anteil an städtischen Messstationen mit mehr als 35 Überschreitungen des Feinstaub-Kurzzeitgrenzwerts

% städtisch, verkehrsnah städtisch, Hintergrund 80 70 60 50 40 30 20 10 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

Quelle: UBA 2012, verändert verstärkende Wirkung auf allergische Erkrankungen der nie), ist ein Rückgang der Überschreitungen in den letz- Atemwege gut dokumentiert (KRdL 2003; SRU 2008). ten zehn Jahren zu beobachten. Am häufigsten treten Überschreitungen des Ozonzielwertes an Messstationen Der seit Januar 2010 einzuhaltende Jahresmittelgrenzwert für den ländlichen Hintergrund auf, was damit zusam- 3 für NO2 von 40 g/m (Tz. 298) wird insbesondere in menhängt, dass in den Städten gebildetes Ozon sehr Ballungsgebieten weiterhin überschritten. Im Jahr 2009 schnell durch die dort hohen Konzentrationen an NO re- betraf dies noch 69 % der städtischen, verkehrsnahen duziert wird (UBA 2010c). Da Menschen insbesondere Messstationen in Deutschland (UBA 2012). Verschiedene im städtischen Raum gegenüber einer Mischung aus Luft- Modellierungen zur Entwicklung der NO2-Belastung schadstoffen exponiert werden, ist eine summative Be- kommen zu dem Ergebnis, dass es selbst unter günstigs- wertung der Belastungen erforderlich. ten Bedingungen in Deutschland nicht gelingen wird, an allen Messstationen den Jahresmittelgrenzwert bis zum 5.2.5 Schlussfolgerungen Jahr 2020 einzuhalten (DIEGMANN et al. 2009; IFEU 2010). 301. Insgesamt belastet der Autoverkehr in vielfältiger Weise die Umwelt und die Gesundheit von Menschen in 300. Bodennahes Ozon bildet sich fotochemisch aus Ballungsräumen und schränkt damit ihre Lebensqualität Sauerstoff und sogenannten Ozonvorläufersubstanzen ein. Insbesondere die Lärmemissionen und die Einhal- wie NO und flüchtigen organischen Verbindungen unter x tung der NO2- und Feinstaubgrenzwerte werden in Zu- Einfluss intensiver Sonnenstrahlen. Der Straßenverkehr kunft noch eine Herausforderung darstellen. Dabei spielt ist Hauptverantwortlicher für die NOx-Emissionen und der Lkw-Verkehr eine besondere Rolle, weil er überpro- trägt des Weiteren zu etwa 10 % der Gesamtbelastung mit portional zur Lärm-, NO2- und Feinstaubbelastung bei- flüchtigen organischen Verbindungen bei (UBA 2010b). trägt (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin Während die Höhe der Ozonspitzenwerte und die Häufig- 2011b). Aber selbst wenn die Luftqualitätsgrenzwerte keit sehr hoher Ozonbelastungen in den letzten Jahren ab- eingehalten werden, gibt es noch keinen Grund zur Ent- genommen haben, ist der Ozonjahresmittelwert insbeson- warnung. Denn diese sind nur als Zwischenziel für eine dere im städtischen Hintergrund stetig angestiegen. Ozon Luftqualität zu verstehen, die in keiner Weise mehr die wirkt als Reizgas ebenfalls auf die Atemwege und steht Gesundheit belastet. Hinzu kommt, dass die Auswirkun- unter anderem mit Lungenfunktionsstörungen und Ent- gen des Klimawandels in den Ballungsräumen an Bedeu- zündungen im Lungengewebe im Zusammenhang. Au- tung gewinnen werden. Steigende Temperaturen, insbe- ßerdem kann es ähnlich wie NO2 allergische Reaktionen sondere das Auftreten von Hitzewellen, machen sich in in den Atemwegen verstärken. Beim seit 2010 gültigen dicht besiedelten bzw. stark zugebauten Gebieten beson- Ozonzielwert von 120 µg/m3 im 8-Stunden-Mittel, der ders bemerkbar. Außerdem fehlen ruhige Aufenthalts- nicht öfter als 25-mal pro Kalenderjahr, gemittelt über räume an den Straßen sowie Erholungs- und Freizeit- drei Jahre, überschritten werden darf (Luftqualitätsrichtli- räume. Zu diesen zählen insbesondere Grünflächen, die

178 Verkehrsentwicklung und Mobilitätsverhalten den Bedürfnissen der Anwohner gemäß gestaltet sind, die barkeit von Grünanlagen und dem Sozialstatus zu geben aber auch die Biodiversität in den Städten fördern. Sie (CLAßEN et al. 2011). sind für viele Stadtbewohner die Hauptmöglichkeit mit Natur, Tieren und Pflanzen in Kontakt zu kommen Es besteht erheblicher Handlungsbedarf in den Ballungs- (WERNER und ZAHNER 2009). räumen, die Belastungen und Beeinträchtigungen durch den Straßenverkehr zu mindern. Nachfolgend wird zu- Die Belastungen durch den motorisierten Verkehr in den nächst die Verkehrsentwicklung diskutiert und dann ein Städten sind zudem ungleichmäßig auf die unterschiedli- Leitbild eines umweltfreundlichen Verkehrs in den Bal- chen Bevölkerungsgruppen verteilt. Erste Studien haben lungsräumen formuliert. sich inzwischen mit dem Zusammenhang zwischen der sozialen Stellung und der Gesundheitsbelastung durch 5.3 Verkehrsentwicklung und Mobilitäts- Umweltprobleme auseinandergesetzt. Das Umweltbun- verhalten in Ballungsräumen desamt (UBA) hat in Zusammenarbeit mit dem Bundes- amt für Strahlenschutz (BfS), dem Bundesinstitut für 5.3.1 Personenverkehrsleistung und Risikobewertung (BfR) und dem Robert-Koch-Institut Mobilitätsverhalten (RKI) wesentliche Studien hierzu zusammengefasst 302. Nach hohen Zuwachsraten in den 1960er- bis (BUNGE und KATZSCHNER 2009; BfS et al. 2011). 1990er-Jahren ist die Verkehrsleistung des motorisierten Dabei zeigt sich, dass sozial schwächer gestellte Gruppen Individualverkehrs zuletzt nur noch gering angestiegen – oftmals überproportional durch Luftschadstoffe und Lärm von 2002 bis 2009 um 2,7 % (Abb. 5-4). Die Verkehrs- belastet sind. Besonders auffällig ist die Situation von Fa- leistung ist das Produkt aus durchschnittlicher Fahrleis- milien mit geringem Einkommen und niedrigem Bil- tung (in km) und Zahl der beförderten Personen. Die Zahl dungsstand. Sie sind relativ häufig höheren Verkehrsim- der beförderten Personen (das Verkehrsaufkommen) blieb missionen ausgesetzt (GOTTSCHALK et al. 2011). im gleichen Zeitraum fast konstant und erhöhte sich nur Zudem scheint es eine Verbindung zwischen der Verfüg- um 0,8 % (BMVBS 2011b).

Abbildung 5-4

Entwicklung der Verkehrsleistung für den motorisierten Individualverkehr

Mrd. Pkm

1200

1100

1000

900

800

700

600

500

400

Pkm = Personenkilometer Quelle: BMVBS 2011b

179 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

303. Nach wie vor aber dominiert der motorisierte Indi- wachsen zwischen 1972 und 1998 erstmals in 2008 der vidualverkehr die insgesamt im Personenverkehr er- Anteil des motorisierten Individualverkehrs an allen brachte Verkehrsleistung mit einem Anteil von circa 81 % Wegen im Personenverkehr zurückging. Gleichzeitig (2009). Dies gilt, wenn nur die motorisierten Verkehrsträ- stieg der Anteil der Wege des öffentlichen Personennah- ger verglichen werden. Bei dieser Berechnung des Modal verkehrs (ÖPNV) um 2 %, der des Fahrradverkehrs um Split haben der öffentliche Straßenpersonenverkehr (Om- 1 %. Der entsprechende Anteil des Fußverkehrs verrin- nibus, Straßenbahn, U-Bahn) und der Eisenbahnverkehr gerte sich um 1 % (AHRENS et al. 2010). jeweils einen Anteil von rund 7 %, der Anteil des Flug- verkehrs, der in den letzten Jahren hohe Zuwachsraten er- fuhr, betrug 5,2 % (alle Zahlen für 2009: BMVBS 306. Die Daten der MiD-Studie zur Alltagsmobilität 2011b). Wird der Fuß- und Fahrradverkehr in den Ver- (s. Kasten) zeigen außerdem, dass es von 2002 bis 2008 gleich mit einbezogen und gleichzeitig die Zahl der zu- je nach Siedlungsdichte unterschiedliche Entwicklungen rückgelegten Wege (Verkehrsaufkommen) als Grundlage der Personenverkehrsleistung gab. In den Kernstädten genommen, verändert sich der Anteil des motorisierten veränderte sich die Verkehrsleistung des Personenver- Individualverkehrs auf 58 % (Abb. 5-5). kehrs kaum, in den sogenannten verdichteten Kreisen nahm diese Größe im gleichen Zeitraum zu, in ländlichen 304. Die oben genannten Zahlen zur Verkehrsentwick- Kreisen dagegen ab. Je nachdem, wo die Menschen woh- lung und zum Mobilitätsverhalten spiegeln sich auch in nen, benutzen sie auch unterschiedliche Verkehrsmittel: den Ergebnissen von Haushaltsbefragungen wider (infas in Kernstädten beträgt der Anteil von Eisenbahn-, öffent- und DLR 2010; ZUMKELLER et al. 2011; AHRENS lichem Straßenpersonen-, Flug-, Fahrrad- und Fußverkehr et al. 2010; s. Kasten). Demnach legen die Menschen am Verkehrsaufkommen durchschnittlich 51 %, in ver- zwar etwas weniger Wege mit dem Auto zurück, dafür dichteten Kreisen 39 % und in ländlichen Kreisen nur werden diese Wege aber länger. Der Trend beim Eisen- noch 38 % (infas und DLR 2010; Abb. 5-5). Auch von bahnverkehr, öffentlichen Straßenpersonenverkehr und Stadt zu Stadt kann sich der Anteil von öffentlichem Ver- Flugverkehr, aber auch beim Fuß- und beim Fahrradver- kehr, Fahrrad- und Fußverkehr ändern und variiert zum kehr ist dagegen etwas anders: hier erhöhte sich die An- Beispiel von 66 % in Berlin bis 41 % in Ludwigsburg zahl der Wege leicht. (UBA 2009a). Darüber hinaus können laut infas und DLR (2010) 19 % der Bevölkerung über 14 Jahren als poten- zielle ÖPNV-Kunden eingestuft werden. Dieser Anteil er- Befragungen bundesdeutscher Haushalte zu ihrem gibt sich aus der Anzahl derjenigen, die einen Pkws zur Verkehrsverhalten Verfügung haben, seltener den ÖPNV benutzen aber den- 305. Das Wachstum der Personenverkehrsleistung ins- noch die Erreichbarkeit der Ziele mit dem ÖPNV als gut gesamt und für den motorisierten Individualverkehr im bzw. sehr gut einschätzen. Einzelnen ist seit circa zehn Jahren sehr gering. Nach 307. Nach den Ergebnissen der MiD-Studie gab es zwi- der Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD) erhöhte schen 2002 und 2008 nur geringe Veränderungen in Be- sich das Verkehrsaufkommen über alle Verkehrsträger zug auf Anzahl, Länge und Zweck der Wege der befrag- im Personenverkehr zwischen 2002 und 2008 um 3 % ten Haushalte. Rund ein Drittel der Wege werden für (infas und DLR 2010). Im „Deutschen Mobilitätspanel“ Freizeitzwecke zurückgelegt (32 %), an zweiter Stelle (MOP) wird sogar ein leichter Rückgang bei der Anzahl steht das Einkaufen (21 %). Der Anteil der Wege zur Ar- aller Wege beobachtet (ZUMKELLER et al. 2011). beit beträgt nur 14 %. Je geringer das monatliche Haus- Auch das Verkehrsaufkommen des motorisierten Indivi- haltseinkommen ist, desto geringer ist auch der Motori- dualverkehrs verringerte sich in den letzten Jahren in sierungsgrad der Haushalte und dementsprechend beiden Studien. Gleichzeitig stieg seine Verkehrsleis- seltener wird das Auto als Fortbewegungsmittel gewählt. tung in der MiD-Studie um etwa 5 % an. Das bedeutet, Die Gründe, keinen Pkw zu besitzen, sind überwiegend dass die befragten Personen das Auto nicht öfter, son- ökonomische (50 % der befragten Haushalte, die kein dern für weitere Wege verwendeten. Die detaillierte Auto besitzen), wobei hier auch eine veränderte Prioritä- Auswertung ergibt, dass dies vor allem für Mitfahrer tensetzung bei geringerem Einkommen eine Rolle spielt. gilt, bei denen in der MiD-Studie eine deutliche Zu- Allerdings geben 16 % der Haushalte an, dass sie kein nahme der durchschnittlichen Wegelänge zu beobachten Auto benötigen und 5 % verzichten bewusst auf ein Auto. ist. Zum Beispiel werden Kinder häufiger mit dem Auto In den Kernstädten benötigen sogar 21 % kein Auto bzw. zum Kindergarten oder zur Schule gebracht. Im Unter- verzichten 6 % bewusst auf ein solches. schied zum Verkehrsaufkommen des motorisierten Indi- vidualverkehrs erhöhte sich zwischen 2002 und 2008 308. Auch im Bezug auf Gender- und Generationenas- die Anzahl der Wege sowohl bei der Verkehrsmittel- pekte lassen sich aus den beiden Haushaltsbefragungen gruppe „Eisenbahnverkehr, öffentlicher Straßenperso- (MiD- und MOP-Studie, s. Tz. 305) interessante Erkennt- nenverkehr und Flugverkehr“ als auch beim Fuß- und nisse gewinnen. Bislang ist es noch so, dass Männer häu- beim Fahrradverkehr, sodass ihr Anteil am Verkehrsauf- figer den Pkw benutzen als Frauen, diese gehen dafür kommen jeweils um 1 % anstieg. häufiger zu Fuß und nutzen öfter den ÖPNV. Insgesamt ist jedoch eine Entwicklung zu beobachten, die zu einer In der Untersuchung „Mobilität in Städten – SrV 2008“ Angleichung des Mobilitätsverhaltens beider Geschlech- konnte gezeigt werden, dass nach einem beständigen An- ter führt (ifmo 2011).

180 Verkehrsentwicklung und Mobilitätsverhalten

Abbildung 5-5

Modal Split des Personenverkehrsaufkommens

Motorisierter Individualverkehr ÖPV Fahrrad Fußverkehr

24 27 22 23

10 10 10 10 6 5 9 15

58 49 61 62

Gesamt Kernstädte Verdichtete Kreise Ländliche Kreise

SRU/UG 2012/Abb. 5-5; Datenquelle: infas und DLR 2010 Ältere Menschen sind generell weniger mobil und gehen wurden einige mögliche Gründe für die Verhaltensände- öfter zu Fuß bzw. benutzen häufiger den ÖPNV als der rung herausgearbeitet (ifmo 2011). Danach gilt als eine Durchschnitt. In den letzten Jahren benutzten aber vor al- wichtige Ursache, dass mehr junge Menschen studieren lem die über 60-Jährigen, und hier insbesondere die und damit die Zahl der Haushalte mit geringerem Ein- Frauen, vermehrt das Auto. Eine gegenläufige Entwick- kommen in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen zu- lung findet sich bei jungen Erwachsenen (18 bis ca. genommen hat. Außerdem leben Studenten eher in gro- 34 Jahre). Hier nehmen die Pkw-Verfügbarkeit, der Füh- ßen Städten und die Familiengründung erfolgt in der rerscheinbesitz und die Pkw-Nutzung langsam ab. Diese Regel erst später. Insgesamt sind junge Erwachsene damit Altersgruppe benutzt – insbesondere im urbanen Raum – zunehmend in Lebenssituationen, in denen man eher kein vermehrt den ÖPNV und das Fahrrad (infas und DLR Auto besitzt und nutzt. Zu diesen strukturellen Ursachen 2010). Die MOP-Studie nennt als mögliche Ursachen un- gesellt sich aber auch ein verändertes Mobilitätsverhalten ter anderem eine steigende Multimodalität (es wird regel- von Pkw-Besitzern. Junge Autofahrer sind zunehmend mäßig mehr als ein Verkehrsträger genutzt) sowie einen multimodal, das heißt sie nutzen nicht nur das Auto, son- Anstieg inhäusiger Aktivitäten, zum Beispiel Internetnut- dern auch andere Verkehrsmittel. Dies hängt auch mit zung, bei jungen Menschen (ZUMKELLER et al. 2011). Veränderungen im Verkehrssystem zusammen, zum Bei- Als Motive für dieses Verhalten vermutet man zudem ein spiel günstigen ÖPNV-Angeboten wie Semestertickets stärkeres Fitness- und Körperbewusstsein (Rad fahren) oder Fahrradkampagnen. Gleichzeitig gibt es weniger und einen kommunikativen, kreativen Lebensstil sowie Parkraum. Billige Flugpreise und schnelle Bahnfahrten geringere Einkommen und veränderte Konsumprioritäten tragen zum Bedeutungsverlust des Autos im Fernverkehr (BECKMANN et al. 2011). Die Autoren der MOP-Studie bei. Unsicher ist, welche Einflüsse die Informations- und weisen allerdings darauf hin, dass die Ergebnisse der Er- Kommunikationstechnologie (IKT) auf das Verkehrsver- hebungen des Mobilitätspanels aus 2009 und 2010 den halten hat. Ein Vorteil des ÖPNV ist aber zum Beispiel, Trend zu einem abnehmenden Verkehrsaufkommen bei dass er es erlaubt unterwegs zu sein und dabei die IKT zu Männern und bei Jüngeren nicht mehr wiedergeben. Dies benutzen. Diskutiert wird auch ein möglicher Bedeu- könnte auf eine beginnende Stabilisierung auf niedrigem tungsverlust des Autos als Mittel für die soziale Teilhabe, Niveau hinweisen (ZUMKELLER et al. 2011). unter anderem durch die steigende Bedeutung der IKT.

Die Änderung im Mobilitätsverhalten junger Erwachse- 5.3.2 Güter- und Personenwirtschaftsverkehr ner in Deutschland ist von Bedeutung, weil sie die zu- künftige Verkehrsentwicklung beeinflusst. In einer Stu- 309. Ziele und Quellen des Güterverkehrs liegen in den die, die die oben genannten Ergebnisse der MiD- und Ballungsräumen. In Deutschland werden 57 % der Güter MOP-Untersuchungen zusammenfasst und analysiert, im Nahbereich bis 50 km transportiert. Dies gilt für die

181 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

Zahl der beförderten Gütertonnen (Verkehrsaufkommen) 311. Die Bedeutung der zukünftigen Siedlungsstruktu- inländischer Lkws über 3,5 t und Sattelzugmaschinen ren für die Entwicklung des Personenverkehrs ist in ver- (BMVBS 2011b). Auf Straßen innerorts hatte der Lkw- schiedenen Studien untersucht worden. Dabei wird im Verkehr 2002 einen Anteil an der gesamten Fahrleistung Wesentlichen von zwei möglichen Entwicklungen ausge- des Kfz-Verkehrs von schätzungsweise 10,4 %, wobei der gangen. Die eine – aus ökologischer Sicht negativ zu be- Lkw-Verkehr kleine und große Lkws sowie Sattelzug- wertende – Entwicklung geht davon aus, dass zwar das und übrige Zugmaschinen umfasste. Der Anteil stieg bis Verkehrsaufkommen (das heißt die Zahl der Wege über 2007 leicht auf 11,1 % an, was einem Anstieg der Fahr- alle Verkehrsträger) aufgrund der rückläufigen Bevölke- leistung um 2,7 % entsprach. Die Fahrleistung des übri- rungszahl zurückgeht. Allerdings bedeutet das nicht auto- gen Verkehrs innerorts ging dagegen um 4,7 % zurück matisch, dass auch der motorisierte Individualverkehr ab- (BIRN et al. 2009). nimmt. Diese Szenarien und Modellrechnungen kommen im Gegenteil zu dem Schluss, dass bei einem leichten Be- Neben dem Güterverkehr ist in Ballungsräumen auch der völkerungsrückgang und fehlender Gegensteuerung der sogenannte Personenwirtschaftsverkehr (u. a. Handwer- motorisierte Individualverkehr der dominierende Ver- ker- und Kundendienstfahrten) von Bedeutung. Personen- kehrsträger bleibt und unter Umständen sogar das Fahr- wirtschafts- und Güterverkehr haben zum Beispiel in Ber- tenaufkommen des motorisierten Individualverkehrs zu- lin zusammen einen Anteil von 22 % am gesamten nimmt. Vor allem sehen sie einen dramatischen Rückgang Aufkommen (Anzahl der Fahrten pro Werktag) des moto- des Eisenbahnverkehrs, öffentlichen Straßenpersonenver- risierten Straßenverkehrs, bzw. einen Anteil von 26 % an kehrs und Flugverkehrs insbesondere in schrumpfenden den insgesamt von Pkws und Lkws zurückgelegten Fahr- Regionen voraus. Der Autoverkehr wird nach dieser An- zeugkilometern. Über 87 % der Fahrten werden mit Lkws sicht dann dominieren, wenn die prozentualen Preiser- unter 3,5 t durchgeführt (Senatsverwaltung für Stadtent- höhungen des motorisierten Individualverkehrs moderat wicklung Berlin und Ministerium für Infrastruktur und über der Wirtschaftswachstumsrate liegen und die Preise Raumordnung Brandenburg 2009). im ÖPNV genauso schnell wie beim Pkw steigen Für den Güterverkehr wird eine starke Zunahme der Ver- (OELTZE et al. 2006; OHM et al. 2006). kehrsleistung sowie eine moderate Zunahme des Ver- Eine aus Umweltsicht optimistischere Studie geht von ei- kehrsaufkommens prognostiziert (s. Kap. 4). In Berlin nem gleichbleibenden oder abnehmenden Anteil des mo- wurde in den vergangenen Jahren bei innerstädtischen torisierten Individualverkehrs bei relativ stabiler Perso- Lieferverkehren eine gestiegene Nachfrage nach schnel- nenverkehrsleistung aus. Für den Eisenbahnverkehr und len und kleinteiligen Waren- und Güterlieferungen festge- öffentlichen Straßenpersonenverkehr wird dabei eine un- stellt (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin veränderte oder sogar zunehmende Verkehrsleistung pro- 2011b). Für diese Entwicklung werden vielfältige Ursa- gnostiziert (ifmo 2010). chen genannt, wie zum Beispiel der Internethandel, insbe- sondere aber eine veränderte Lagerhaltungsstrategie auf- Im Ergebnis kommen die Szenarien daher im Bezug auf grund gestiegener Ladenmieten (VCD 2006). Die die zukünftige Entwicklung des Verkehrs unter den zu- Lieferungen erfolgen zunehmend durch Kurier-, Express- künftigen demografischen Entwicklungen zu keiner ein- und Paketdienste (KEP-Dienste). Auch für den Personen- deutigen Einschätzung. Weitgehend einig sind sich die wirtschaftsverkehr wird wegen der steigenden Bedeutung Studien dagegen im Hinblick auf die relevanten Einfluss- des Dienstleistungssektors eine weitere Zunahme erwar- faktoren. Zu diesen zählen ein anhaltender Trend zu Ein- tet (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin personenhaushalten, eine zunehmende Konzentration der 2011b). Genaue Prognosen für den Güter- und Personen- Bevölkerung in strukturstarken Ballungsräumen und eine wirtschaftsverkehr in Ballungsräumen fehlen aber. Abnahme in strukturschwachen ländlichen Räumen. Auch die Wirtschaftsleistung und die Preisentwicklung 5.3.3 Bevölkerungsentwicklung und Szenarien im motorisierten Individualverkehr und ÖPNV werden für den Personenverkehr als zentral betrachtet.

310. Die Bevölkerungszahl wird zukünftig deutlich zu- 5.4 Leitbild und Indikatoren für einen rückgehen: Das Statistische Bundesamt geht davon aus, umweltfreundlichen Verkehr in dass Deutschland im Jahr 2050 zwischen 69 und 74 Mil- Ballungsräumen lionen Einwohner (Statistisches Bundesamt 2006, S. 5) und im Jahr 2060 nur noch zwischen 65 und 70 Millionen 312. Leitbild für einen umweltfreundlichen Verkehr in Einwohner haben wird (Statistisches Bundesamt 2009, Ballungsräumen muss aus Sicht des Sachverständigenrats S. 5). Daher wird vorhergesagt, dass sich Siedlungen für Umweltfragen (SRU) sein, die Belastungen, die durch langfristig flächenmäßig nicht weiter ausdehnen und be- den motorisierten Verkehr entstehen, so weit wie möglich stimmte Räume in Deutschland stark schrumpfen werden zu vermindern. Gleichzeitig sollte die Mobilität nicht ein- (MÜLLER und SIEDENTOP 2003). Wenn dies unge- geschränkt und die Erreichbarkeit wichtiger Ziele sicher- steuert erfolgt, ist in Zukunft in ländlichen Gebieten mit gestellt werden (vgl. Tz. 289). Für die Minimierung der sich „entleerenden“, „durchlöcherten“ Räumen zu rech- Belastungen lassen sich Qualitätsziele formulieren. Dazu nen. Auch für viele deutsche Kernstädte wird langfristig gehören eine gesunde Umwelt, insbesondere saubere Luft ein Bevölkerungsrückgang prognostiziert. Zudem wird und Ruhe, die Möglichkeit, ruhige und friedliche Plätze der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung steigen. zu genießen, sowie zugängliche, gut unterhaltene Grün-

182 Leitbild und Indikatoren für einen umweltfreundlichen Verkehr flächen und Spielplätze von hoher Qualität (EEA 2009). tig eine nachhaltige Mobilität zu erreichen. Einige der Gerade in Ballungsräumen sind Grünflächen im direkten Indikatoren müssten aktualisiert werden (s. a. Senatsver- Wohnumfeld von besonderer Bedeutung. Sie fördern Er- waltung für Stadtentwicklung Berlin 2011b). Es sollte holung, Freizeitaktivitäten und Sport im Freien und tra- auch berücksichtigt werden, dass in den „Night Noise gen damit auch zur Stärkung des emotionalen Wohlbefin- Guidelines“ der World Health Organization (WHO) von dens, zum Stressabbau und zur psychischen Stabilität bei 2009 der Wert zur Vermeidung von Schlafstörungen von (JOB-HOBEN und ERDMANN 2008). Zur Lebensquali- 45 auf 40 dB(A) gesenkt wurde. Außerdem müsste noch tät in Städten gehören auch attraktive öffentliche Räume, das Qualitätsziel „Keine Gesundheitsgefährdung der in denen man gern sitzt und flaniert, ein sicherer, leiser Menschen durch Feinstaub“ mit einem entsprechenden und abgasarmer Verkehr sowie verkehrsberuhigte Stra- Indikator ergänzt werden. Für den Bereich der Verkehrs- ßen, in denen die reduzierten Geschwindigkeiten des sicherheit könnte – als Zwischenetappe zum Ziel, Ver- Straßenverkehrs ein verträgliches Miteinander erlauben letzte und Getötete im Straßenverkehr vollständig zu ver- und das Fahrradfahren und das Zufußgehen fördern. Qua- meiden – beispielsweise die Halbierung der Zahl der im litätsziele lassen sich auch für die Frage der Sicherheit, Straßenverkehr Getöteten und Verletzten bis 2020 ange- der Angleichung der Geschwindigkeit, den Modal Split strebt werden (Wissenschaftlicher Beirat beim Bundes- und den Umweltverbund aufstellen. Unter dem Umwelt- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2010). verbund versteht man den Anteil des Verkehrs, der zu Fuß, mit dem Fahrrad sowie mit dem öffentlichen Stra- Der SRU schlägt vor, dass die Ballungsräume Maßnah- ßenpersonenverkehr (Bus, Straßenbahn und U-Bahn) men ergreifen, um den Anteil des Umweltverbundes am zurückgelegt wird. Aus den Qualitätszielen lassen sich Modal Split bis 2025 um 20 % zu erhöhen. Dieses Ziel ist konkrete Indikatoren ableiten, anhand derer die Zielerrei- nicht unrealistisch, denn schon die Befragungen zum Mo- chung überprüft werden kann. bilitätsverhalten zeigen, dass es einen hohen Anteil (19 %) an Autofahrern gibt, die zwar selten den ÖPNV 313. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens im Auf- benutzen, aber trotzdem die Erreichbarkeit von Zielen mit trag des UBA entwickelten SURBURG et al. (2002) ei- dem ÖPNV als gut bis sehr gut einschätzen. Gleichzeitig nen Katalog technischer und planerischer Qualitätsziele gibt es ein zunehmendes Interesse am Zufußgehen und für eine nachhaltige Mobilität im kommunalen und regio- am Fahrradfahren (Tz. 308). Langfristig hält der SRU ei- nalen Bereich. Fünfzehn dieser Qualitätsziele und die da- nen Anteil von 70 bis 80 % für den Umweltverbund in raus abgeleiteten Indikatoren sind beispielhaft in der Ta- den Ballungsräumen für zielführend. Berlin beispiels- belle 5-2 aufgeführt. Insgesamt ist ein solches Zielsystem weise hat sich für 2025 das Ziel gesetzt, den Umweltver- gut geeignet, um das Leitbild eines umweltfreundlichen bund in der Gesamtstadt auf 75 % und in der Innenstadt Verkehrs in Ballungsräumen abzubilden. Die Qualitäts- auf 80 % zu erhöhen (Senatsverwaltung für Stadtentwick- ziele sind ambitioniert, aber auch notwendig, um langfris- lung Berlin 2011b).

Tabelle 5-2

Beispiele für verkehrsbezogene Qualitätsziele und Indikatoren

Bereich Qualitätsziel Indikator Flächeninanspruch- Sparsamer Umgang mit Bodenfläche Fahrbahnfläche pro Einwohner nahme Etappenziel: Keine zusätzliche Flächen- inanspruchnahme durch den Verkehr ohne Ausgleich Lärm Kein Verkehrslärm, der zu einem erhöhten Anteil der Einwohner mit einer Lärmbelas- Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen tung unterhalb von 65 dB(A) tags führen kann Kein Verkehrslärm, der Schlafstörungen Anteil der Einwohner mit einer Lärmbelas- verursacht tung unterhalb von 45 dB(A) nachts Kein Verkehrslärm, der die Kommunikation Anteil der Einwohner mit einer Lärmbelas- im Außenwohnbereich sowie im öffentlichen tung unterhalb von 55 dB(A) tags im Straßenraum beeinträchtigt öffentlichen Straßenraum

183 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen n o c h Tabelle 5-2

Bereich Qualitätsziel Indikator

Luftbelastung Keine Gesundheitsgefährdung des Men- Anteil der Einwohner mit einer NO2-Belas- 3 schen durch bodennahes Ozon, NOx und tung unterhalb von 1,9 µg/m ; sowie als flüchtige organische Verbindungen Etappenziel unterhalb von 10 µg/m3 im ländlichen Raum bzw. 25 µg/m3 in Groß- städten/Ballungsräumen (Jahresmittelwerte) Keine kanzerogene Belastung durch den Anteil der Einwohner mit einer Rußbelas- Verkehr tung von < 0,8 µg/m3; bzw. als Etappenziel von < 4,0 µg/m3 (Jahresmittel) Sicherheit Erhaltung von Gesundheit und Unversehrt- Zahl der schwerverletzten Verkehrsopfer je heit, keine Getöteten, keine Verletzten 1.000 Einwohner Zahl der getöteten Verkehrsopfer je 1.000 Einwohner Verträgliche Kfz- Stadtverträgliche Geschwindigkeiten auf Länge (km) und Anteil (%) der Tempo-30- Geschwindigkeiten allen Innerortsstraßen < 30 km/h Straßen und verkehrsberuhigten Bereiche bezogen auf die Gesamtstraßennetzlänge Infrastruktur- Vollständiges, qualitativ hochwertiges Fuß- Länge und Anteil der Gehwege bezogen auf Anforderungen wegenetz mit Fußwegen ausreichender Breite die Gesamtstraßennetzlänge, Gehwegbreite Fußverkehr mindestens 2,5 bis 3,5 m Infrastruktur- Geschlossenes, qualitativ hochwertiges Rad- Länge und Anteil der verschiedenen Radver- Anforderungen verkehrsnetz mit Radverkehrsanlagen aus- kehrsanlagen bezogen auf die Gesamtstra- Radverkehr reichender Breite und ergänzenden Infra- ßennetzlänge, Mindestbreite struktureinrichtungen 2,5 bis 3 m. Infrastruktur- Ausreichendes ÖPNV-Angebot zur Gewähr- Infrastruktur: Anteil der Siedlungsfläche in Anforderungen leistung gleicher Teilnahmechancen einem 150 m- bis 300 m-Haltestellenradius ÖPNV (je nach Siedlungsstruktur) ÖPNV-Betrieb Gute Erreichbarkeit von Orten zur Ausübung Anteil der Linienlänge, auf der an Werktagen der Grunddaseinsfunktionen mit öffentlichen bestimmte Taktfrequenzen eingehalten Verkehrsmitteln in angemessener Zeit werden (z. B. 5-Min.-Takt in Innenstädten, 10-Min.-Takt in Groß- und Mittelstädten usw.) Modal Split Hoher Anteil des Umweltverbundes am Anteil des Umweltverbundes am Modal Split Modal Split und Abweichung von folgenden Zielwerten: 70 % in Großstädten, 60 % in Mittelstädten, 50 % in Kleinstädten/ländlichem Raum Stadtbild/ Umweltverträgliche Querschnittsgestaltung Länge und Anteil der Straßen mit überwie- Gestaltung von Straßen mit überwiegender Aufenthalts- gender Aufenthaltsfunktion mit einem Ver- funktion hältnis der Breite von Fußweg, Radweg und Grünfläche zu Kfz-Verkehrsfläche von min- destens 1,0 (1:1) Begrünung/ Straßenbäume und Grünelemente prägen den Länge und Anteil der Straßen mit mind. Kleinklima Charakter der Straße 15 Bäumen je 100 m bezogen auf die Gesamtstraßennetzlänge

Quelle: SURBURG et al. 2002, Ziele und Indikatoren teils gekürzt zitiert

184 Maßnahmen für einen umweltfreundlichen Verkehr

Zur Erreichung dieser Ziele muss die klassische Trias der führung von emissionsfreien Fahrzeugen zur umwelt- Verkehrslenkung verwendet werden: zunächst so viel freundlichen Gestaltung des Wirtschaftsverkehrs von be- Verkehr wie möglich vermeiden, den verbleibenden Ver- sonderer Bedeutung. Darüber hinaus sollten regionale kehr nach Möglichkeit auf den Umweltverbund verlagern Wirtschaftskreisläufe gefördert werden (RODT et al. und den nicht vermeidbaren Autoverkehr so verträglich 2010). wie möglich gestalten. Das bedeutet konkret, den Anteil 315. In seinem Sondergutachten „Umwelt und Straßen- des motorisierten Verkehrs zu verringern, ihn langsamer, verkehr“ hat sich der SRU (2005, S. 85–97) ausführlich sicherer und sauberer zu machen und den Umweltver- mit den Akteuren und Rahmenbedingungen der Verkehrs- bund zu stärken. politik auseinandergesetzt. Die dort vorgenommene Ana- lyse (insb. das hohe Einflusspotenzial nichtstaatlicher 5.5 Maßnahmen für einen umweltfreund- Akteure – namentlich der Anbieter- und Nutzerinteres- lichen Verkehr in Ballungsräumen sen) ist nach wie vor aktuell. In Bezug auf die institutio- 314. Um die genannten Qualitätsziele für einen umwelt- nellen Rahmenbedingungen, die Einfluss auf den Verkehr freundlichen Verkehr in Ballungsräumen zu erreichen, in Ballungsräumen haben, sind einige zentrale Aspekte können sehr unterschiedliche Maßnahmen ergriffen wer- hervorzuheben: Die verkehrspolitischen Zuständigkeiten den. Umfassende Ausführungen zu verkehrspolitischen sind in Deutschland auf die Bundes-, Landes- und kom- Strategien, Maßnahmen an der Quelle, Maßnahmen der munale Ebene verteilt. Dabei ist hinsichtlich der Zustän- (vor allem überörtlichen) Verkehrswege- und Raumpla- digkeiten grundsätzlich zwischen Gesetzgebung, Finan- nung, zum Ordnungsrecht und zur Verkehrslenkung fin- zierung von Infrastrukturmaßnahmen, Bedarfsplanung den sich bereits im Sondergutachten „Umwelt und Stra- und Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen, Verwal- ßenverkehr“ des SRU (2005, S. 85–97). Das vorliegende tung der Verkehrswege und Vollzug des Straßenverkehrs- Kapitel konzentriert sich auf Maßnahmen, die in beson- rechts zu differenzieren. Diese zersplitterte Zuständigkeit derem Maße geeignet sind, die oben beschriebenen Be- erschwert eine integrierte Verkehrsplanung. Änderungen lastungen durch den Autoverkehr in Ballungsräumen zu der Zuständigkeiten, die sich aus der Föderalismusreform verringern, gleichzeitig aber eine hohe Mobilität zu er- von 2006 ergaben, haben dieses Problem eher verstärkt. möglichen. Dazu muss das Verkehrsgeschehen insgesamt Zum Beispiel wurde das bisherige Aufgabengebiet der umgestaltet und der Autoverkehr vermindert werden. Gemeindeverkehrsfinanzierung (teilweise) auf die Länder Ökologische und gesundheitliche Auswirkungen des Ver- übertragen. Weiterhin darf der Bund den Gemeinden kehrs sowie soziale Belastungen müssen den Mobilitäts- keine Aufgaben mehr zuweisen (Artikel 84 Absatz 1 bedürfnissen gegenübergestellt und versteckte Kosten des Satz 7 Grundgesetz (GG)). Verkehrs offen gelegt werden. Im Mittelpunkt der nach- Eine weitere und besondere Schwierigkeit im Hinblick folgenden Diskussion stehen deshalb erstens Instrumente, auf den Verkehr in Ballungsräumen ergibt sich aus der die zur Internalisierung externer Kosten des Verkehrs und Bedeutung, die Pendlerverflechtungen für die Ballungs- zu mehr Kostenwahrheit beitragen. Zweitens werden räume haben (Abb. 5-6). Die Pendlerverflechtungen er- Maßnahmen dargestellt, die auf den Interessenausgleich fordern grundsätzlich eine Verkehrsentwicklungsplanung zwischen den unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern zie- auf der Ebene des Ballungsraums bzw. der entsprechen- len, namentlich die Angleichung von Raum und Ge- den Region. Die Zuständigkeit für die Planung ist aber schwindigkeiten sowie die Förderung des Umweltverbun- auf die Kommunen begrenzt. Oftmals hat eine Kommune des, einschließlich intermodaler Verkehrsdienstleistungen keinen Einfluss auf verkehrsrelevante Entscheidungen und Mobilitätsmanagement. Zusätzlich sollen Ansätze der umliegenden Gemeinden. Einzelne Regionen wie zur Förderung emissionsarmer Fahrzeuge, insbesondere München versuchen dieses Problem durch eine enge Ko- die Einführung von Umweltzonen und die Förderung der operation bei der Verkehrsentwicklungsplanung zwischen Elektromobilität, dargestellt werden. Die nachfolgend Kernstadt und Region zu lösen. Die Region Hannover hat aufgeführten Maßnahmen sind nicht für alle Ballungs- bundesweit einmalig (auch zur Wahrnehmung anderer räume oder Verkehrsentwicklungen gleich geeignet. Be- Aufgaben) eine Gebietskörperschaft aus dem Landkreis sondere Bedeutung besitzt deshalb die abschließend dar- Hannover und dem Kommunalverband Großraum Han- gestellte integrierte Verkehrsentwicklungsplanung, die nover gebildet, die zum Beispiel Trägerin des ÖPNV ist. von den Kommunen durchgeführt wird und mit deren Hilfe die Maßnahmen ausgewählt werden, die auf die je- 5.5.1 Kostentransparenz und -internalisierung weilige Situation zugeschnittenen sind. Volkswirtschaftliche Kosten Für den Güter- und Wirtschaftsverkehr gilt die Besonder- heit, dass die Beschränkung der Anlieferung der Waren 316. Der Autoverkehr verursacht vielfältige Kosten. oder die Einschränkung des Personenwirtschaftsverkehrs Dazu zählen Umwelt- und Gesundheitskosten, die Kos- (z. B. Kundendienste) schwierig oder auch unerwünscht ten, die durch Straßenverkehrsunfälle verursacht werden, ist, weil dies die wirtschaftliche Entwicklung des Bal- sowie Investitionskosten (Straßenbau und -unterhaltung, lungsraums behindert. Dabei trägt gerade der Lkw-Ver- Verkehrsmanagement z. B. Ampeln und Anzeigesysteme kehr in besonderer Weise zur Belastung von Mensch und sowie Parkraum). In Ballungsgebieten kommen (externe) Umwelt bei (Tz. 301). Eine Verlagerung oder Vermei- Kosten durch Zerschneidungseffekte hinzu. Zudem ent- dung des Güterverkehrs durch Logistik-Konzepte war stehen externe Kosten, weil der Autoverkehr das Platzan- bisher wenig erfolgreich (VCD 2006). Daher ist die Ein- gebot für den Langsamverkehr (Radfahren und Zufußge-

185 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

Abbildung 5-6

Pendlerverflechtungen in Deutschland

Quelle: Deutscher Bundestag 2012, S. 102

186 Maßnahmen für einen umweltfreundlichen Verkehr hen) verknappt (SCHREYER et al. 2004, S. 57 ff.; Grünflächen und übergeordneter Verkehrsverbindungen, Tz. 291). Das UBA berechnet für das Jahr 2005, dass die wobei vor allem der Unterhalt der Infrastrukturen über Summe der dem Kfz-Personenverkehr zurechenbaren mindestens zwanzig Jahre relevant ist. Der SRU befür- Wegekosten sowie externen Umwelt- und Unfallkosten wortet deshalb unverändert eine ökologische Erweiterung die Summe der staatlichen Einnahmen aus verkehrsbezo- des kommunalen Finanzausgleichs, um diese Fehlanreize genen Abgaben des Kfz-Personenverkehrs um circa zu korrigieren (SRU 2000, Tz. 540; 1998, Tz. 241; 47 Mrd. Euro übersteigt (UBA 2009a). Die externen Un- 2002a, Tz. 183; 2008, Tz. 352). fallkosten bilden dabei die dominierende Komponente der externen Kosten (BASt 2011b). Kfz-bezogene Steuern Da die Ausgaben der Kommunen für den Straßenverkehr 318. Unverzichtbar zur Korrektur verkehrserzeugender nicht zusammengefasst dargestellt werden, herrscht im Anreize ist es, die Steuern auf Fahrzeuge und Kraftstoffe Hinblick auf die Finanzierung des Straßenverkehrs durch anzupassen. Dies würde dazu beitragen, die Umweltaus- die Kommunen keine Transparenz (ERDMENGER und wirkungen des Verkehrs zu mindern und die Verkehrsver- FÜHR 2005). Hilfreich für die kommunale Praxis ist der lagerung auf den Umweltverbund zu fördern (SRU 2005, Ansatz des Least Cost Transportation Planning, mithilfe Tz. 551 ff.). Seit dem 1. Juli 2009 gilt die CO2-bezogene dessen die Kosten privater Kostenträger und die auf kom- Kfz-Steuer. Neben der Größe des Hubraums ist für Neu- munaler, Landes- oder Bundesebene anfallenden Kosten zulassungen für die Höhe der Kfz-Steuer nur noch der des Verkehrs differenziert dargestellt werden können. Das CO2-Ausstoß ausschlaggebend. Bis 2011 mussten für Au- Verfahren ermöglicht somit einen verkehrsträgerübergrei- tos mit Emissionswerten oberhalb von 120 g/km zusätz- fenden Kosten- und Leistungsvergleich und verbessert lich zur Hubraumbesteuerung für jedes weitere Gramm die Transparenz der Ausgaben für Verkehrszwecke CO2 zwei Euro veranschlagt werden. Der Schwellenwert (BRACHER et al. 2002). liegt 2012 und 2013 bei 110 g/km und ab 2014 bei 95 g/km. Außerdem bestehen viele direkte und indirekte Subven- Autos, die vor Juli 2009 zugelassen wurden, werden zu- tionierungen des privaten Autoverkehrs durch steuerliche nächst wie bisher nach Hubraum und Schadstoffklasse Regelungen, die dem Umweltschutz widersprechen. Eine besteuert und erst ab 2013 in die neue Steuersystematik Untersuchung umweltschädlicher Subventionen im Auf- überführt. trag des UBA kommt zu dem Ergebnis, dass im Verkehrs- Durch die Kombination von Hubraum und CO2-Ausstoß sektor im Jahr 2008 Subventionen in Höhe von 23 Mrd. differenziert die Reform nicht ausreichend zwischen Kfz Euro zur Belastung der Umwelt beitrugen (SCHRODE mit hohem und mit niedrigem CO2-Ausstoß. Aus klima- et al. 2010). politischer Perspektive wäre es zielführender, die Steuer- sätze noch stärker (oder ausschließlich) am spezifischen Korrektur verkehrserzeugender ökonomischer CO2-Ausstoß der Kfz auszurichten, da das Hubraumvolu- Anreize men lediglich einen groben und unzuverlässigen Indika- tor für die Umweltschädlichkeit eines Fahrzeugs darstellt. 317. Es bestehen viele ökonomische Fehlanreize zu- Nach Auffassung des SRU kann eine CO2-bezogene Kfz- gunsten des Autoverkehrs, wie die Entfernungspauschale, Steuer nur Lenkungswirkung entfalten, wenn sie ausrei- die auch negative Anreize im Hinblick auf die Flächenin- chend deutlich gespreizt ist. Bisher stellen die höheren anspruchnahme setzt, Teile der Regionalförderung, die Kfz-Steuern für Dieselfahrzeuge einen Ausgleichsmecha- Energiesteuervergünstigung für Dieselkraftstoff und die nismus für die steuerliche Begünstigung von Diesel- ge- niedrige pauschale Besteuerung privat genutzter Dienst- genüber Ottokraftstoff dar. Eine ausschließlich am spezi- wagen. Diese sollten auf Bundesebene überprüft und fischen CO2-Ausstoß orientierte Kfz-Besteuerung müsste – gegebenenfalls unter Beachtung der dazu ergangenen daher im Einklang mit einer Reform der Energiesteuer- Rechtsprechung („Pendlerpauschale“, BVerfGE Bd. 122, sätze erfolgen. S. 210) – neu gefasst werden (SRU 2005, Tz. 624 ff.). Negativ wirkt auch das gegenwärtige System der Steuer- 319. Derzeit werden Dieselfahrzeuge über den Energie- einnahmen der Kommunen. Um langfristig Verkehr zu steuersatz bevorzugt. Dieser liegt für Dieselkraftstoff vermeiden, muss sich die Raumstruktur anpassen, die (47,04 ct/l) deutlich unter dem für Benzin (65,45 ct/l) durch die anhaltende Suburbanisierung autoaffin ist. (BMF 2011). Trotz der höheren Kfz-Steuer auf Diesel- Diese lässt sich langfristig nur verändern, wenn die fiska- Pkw werden immer mehr Diesel-Fahrzeuge angeschafft. lischen Fehlanreize wegfallen, die die Kommunen weiter- Der Anteil von Pkws mit Dieselantrieb an den Neuzu- hin dazu veranlassen, Flächen für Wohnen und Gewerbe lassungen hat sich im Jahr 2010 um mehr als 11 Prozent- „auf der grünen Wiese“ auszuweisen und damit zu neuem punkte auf 41,9 % deutlich erhöht (Der Mobilitätsmanager, Verkehr beizutragen. Ursächlich für diese Entwicklung ist Pressemitteilung vom 4. Januar 2011). Dieselfahrzeuge die Konkurrenz von Kommunen um die Ansiedlung von belasten aber die Luft stärker mit NOx und Feinstaub als Einwohnern und Gewerbe, die höhere Gewerbesteuer- mit Benzin angetriebene Pkws. Die Europäische Kom- und Einkommensteuereinnahmen verspricht. Zudem wer- mission hat einen Vorschlag zur Überarbeitung der Ener- den bei Flächenausweisungen die langfristigen Folgekos- giesteuerrichtlinie 2003/96/EG gemacht, nach der Kraft- ten oftmals ausgeblendet. Von Bedeutung sind hier zum und Heizstoffe nicht mehr nach der Menge, sondern nach Beispiel die Kosten im Bereich der technischen Infra- dem Energiegehalt und verbrauchsbedingten CO2-Emis- struktur der Erschließung, der sozialen Infrastruktur, der sionen besteuert werden würden, was zur Folge hätte,

187 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

dass Diesel im Verhältnis zu Ottokraftstoff höher besteu- sowie der Betriebskosten nach den spezifischen CO2- ert werden würde. Damit würde auch die durch die niedri- Emissionen differenziert werden. Dies würde bedeuten, gen Steuern bedingte indirekte Subventionierung des dass die steuerliche Abzugsfähigkeit für Fahrzeuge mit Lkw-Verkehrs zurückgenommen werden (vgl. Kap. 4, geringen CO2-Emissionen steigen würde, während sie für Tz. 264). Fahrzeuge mit höheren Emissionen stufenweise absinken würde (DIEKMANN et al. 2011; SCHRODE et al. 2010; 320. Ziel einer Änderung der Kfz-Besteuerung sollte FÖS 2011, S. 8). nicht nur sein, den Verkehr auf weniger umweltschädli- che Fahrzeuge zu verlagern, sondern auch Autoverkehr zu vermeiden, denn auch schadstoffarme Fahrzeuge ha- Mobility Pricing ben, zum Beispiel durch Lärm und Gefährdung der Si- 322. Unter Mobility Pricing versteht man benutzungs- cherheit, negative Auswirkungen auf Umwelt und Le- bezogene Abgaben für Infrastrukturnutzung und Dienst- bensqualität. Daher sollte angestrebt werden, den leistungen im Individualverkehr und öffentlichen Ver- Autobesitz langfristig zu verteuern. Untersuchungen zei- kehr, mit dem Ziel die Mobilitätsnachfrage zu gen, dass der Autobesitz entscheidende Stellschraube für beeinflussen (RAPP 2007). Ein Unterbegriff stellt das die Nutzung ist. Sobald ein Haushalt über einen Pkw ver- Road Pricing dar, bei dem benutzungsabhängige Abgaben fügt, geht der Anteil der Wege mit öffentlichen Verkehrs- für den motorisierten Individualverkehr erhoben werden, mitteln deutlich zurück (infas und DLR 2010, S. 2). um die Verkehrsnachfrage zu beeinflussen. Dabei sollte 321. Eine Sonderrolle bei der Kfz-Besteuerung spielt auch der Schadstoffausstoß der Fahrzeuge ähnlich wie bei die Dienstwagennutzung. Diese wird stark steuerlich be- der Lkw-Maut berücksichtigt werden. Instrumente wie vorteilt: Betriebsausgaben für Firmenwagen können voll- die City-Maut oder Vignetten für die Straßenbenutzung ständig steuermindernd geltend gemacht werden. Zudem sind Beispiele für das Road Pricing (Übersicht über Aus- schafft die pauschale Besteuerung in Höhe von monatlich gestaltungsformen der Instrumente bei ROTH 2009). Ziel 1 % des Listenpreises für die private Nutzung von Dienst- ist es unter anderem, im Wege eines Systemwechsels die wagen einen Anreiz für Unternehmen, einen Teil des Ge- Kosten für Kfz weg von Fixkosten zugunsten variabler halts an die Arbeitnehmer in Form von Dienstwagen aus- Kosten zu verschieben. Dahinter stehen mehrere Erwä- zuzahlen. Fast 58 % aller Pkw-Neuzulassungen 2010 gungen. Zum einen würde das Kostenbewusstsein stei- waren Firmenwagen (Der Mobilitätsmanager, Pressemit- gen, weil Autofahrer oftmals die Höhe der Fixkosten teilung vom 4. Januar 2011). Auch diese Zahl ist gegen- drastisch unterschätzen. Durch die Stärkung der besser über den Vorjahren gestiegen. Zudem ist der Anteil PS- sichtbaren fahrleistungsabhängigen Kostenbestandteile starker Fahrzeuge an den Dienstwagen besonders hoch könnte die Verkehrsvermeidung gefördert werden. Zum (2008 waren 71 % der neu zugelassenen Fahrzeuge mit anderen muss bei einem steigenden Anteil von Elektro- mehr als 200 PS Dienstwagen (DIEKMANN et al. 2011, und kraftstoffsparenden Autos damit gerechnet werden, S. 20)). Die bestehende Dienstwagenbesteuerung hat da- dass die Steuereinnahmen aus Kraftstoffsteuern im Stra- her mehrere ökologische Nachteile: Es werden besonders ßenpersonenverkehr stark zurückgehen. Um die Erhal- viele umweltschädliche Fahrzeuge zugelassen, die Fir- tung der Verkehrsinfrastruktur langfristig zu finanzieren, men haben einen Anreiz, Dienstwagen anzuschaffen, weil sollten Finanzierungsmodelle gewählt werden, die dem sie sie von der Steuer absetzen können und durch die Prinzip der Kostenwahrheit und dem Verursacherprinzip mögliche private Nutzung wird ein Anreiz für Mitarbeiter entsprechen. Modelle, die die tatsächliche Kilometerleis- geschaffen, das Auto zu nutzen. Da Dienstwagen nur kurz tung bepreisen, würden diesen Prinzipien am besten ent- in der Nutzung sind, prägen sie als Gebrauchtwagen die sprechen, können aber Bedenken aus Gründen des Daten- umweltschädliche Zusammensetzung der gesamten schutzes begegnen. Das Thema Mobility Pricing muss Flotte. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und daher in Deutschland noch weiter erforscht und diskutiert FDP von 2009 sieht deshalb vor, die Ausgestaltung des werden. Dienstwagenprivilegs zu prüfen. Eine Reform würde nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Abbau umwelt- Parkraummanagement schädlicher Subventionen leisten, sondern zudem auch zur Steuergerechtigkeit beitragen (DIEKMANN et al. 323. Das Parkplatzangebot und die Verfügbarkeit von 2011). Die Berücksichtigung der privaten Fahrleistung Parkraum stellen wichtige Einflussgrößen der Verkehrs- bei der Bemessung des zu versteuernden geldwerten Vor- mittelwahl in Ballungsräumen dar (LEHMBROCK 1991, teils stellt einen wirksamen Ansatz zur Verminderung S. 1). Bestandteile der Parkraumbewirtschaftung sind die übermäßiger – da steuerlich subventionierter – Privatfahr- Erhebung von Parkgebühren, die zeitliche Begrenzung ten dar. Als administrativ unkompliziertes Vorgehen zur der Parkraumnutzung und – als zentraler Aspekt – die Abschätzung der privat gefahrenen Kilometer böte sich physische Begrenzung des Parkraums. Die einzelnen die Kopplung an die jährliche Gesamtfahrleistung, nach Komponenten können differenziert kombiniert und da- Maßgabe eines pauschalisierten Anteils von Privatfahr- durch den örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. ten, an. Alternativ könnten Arbeitnehmer ihre Privatfahr- Eine Lenkungswirkung zur Entlastung der Ballungs- ten auch über ein Fahrtenbuch belegen (DIEKMANN räume vom Autoverkehr wird mit dieser Maßnahme nur et al. 2011). Um die Anschaffung emissionsärmerer erreicht, wenn der Parkraum verknappt wird. Anderen- Dienstwagen durch die Unternehmen anzureizen, sollte falls zeigt die Erfahrung, dass nur die Parkdauer verkürzt die steuerliche Abzugsfähigkeit der Anschaffungskosten wird, im ungünstigsten Fall mit einer hohen Wechselfre-

188 Maßnahmen für einen umweltfreundlichen Verkehr quenz der parkenden Autos. Bislang hat der SRU die Geschwindigkeitsbeschränkungen Wirksamkeit der öffentlichen Parkraumbewirtschaftung zur Verlagerung des motorisierten Individualverkehrs auf 325. Der SRU (2005, Tz. 549) vertritt weiterhin die umweltfreundliche Verkehrsmittel wie das Fahrrad und Auffassung, dass eine innerstädtische Regelgeschwindig- den ÖPNV eher skeptisch bewertet (SRU 2005, keit von 30 km/h festgesetzt werden sollte. Zentrale Vo- Tz. 579–583). Grund dafür war, dass das private Stell- raussetzung für eine bessere Koexistenz der Verkehrsträ- platzangebot in Innenstädten einen erheblichen Anteil der ger im Stadtverkehr ist eine langsamere Geschwindigkeit zur Verfügung stehenden Parkplätze ausmacht, der öffent- des Autoverkehrs, die auch zu einem gleichmäßigeren lichen Parkraumbewirtschaftung aber entzogen ist. Dem Verkehrsfluss beitragen würde. Dies bewirkt eine Ver- kann allerdings durch eine Reduktion des Stellplatzneu- minderung von Brems- und Beschleunigungsvorgängen baus durch Beschränkungssatzungen und der Ablösung und reduziert Kraftstoffverbrauch, Luftschadstoffe und von Stellplatzbaupflichten begegnet werden (LEHM- Lärmemissionen. Durch die Beschränkung der Höchstge- BROCK 1991; HUBER-ERLER 2010). schwindigkeit auf 30 km/h kann eine deutliche Verminde- rung der Lärmimmission erreicht werden (SPESSERT Parkraumkonzepte werden in umfassenden Untersuchun- et al. 2010, S. 45). Wird die Geschwindigkeit von 50 km/ gen positiv bewertet (BAIER et al. 2000; BRACHER und h auf 30 km/h gesenkt, geht die Lärmbelastung um 2 bis LEHMBROCK 2008; PONEL 1999; HUBER-ERLER 3 dB, der Spitzenpegel sogar um 9 dB zurück (Senatsver- 2010). Es wird hervorgehoben, welche Bedeutung sie für waltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz die Umgestaltung des Straßenraums, die Verbesserung Berlin 2009, S. 10). Positive Auswirkungen ergeben sich der Umfeldqualität und die bessere Verkehrssicherheit ha- auch auf die Flächeninanspruchnahme durch Kraftfahr- ben. Die Parkraumbewirtschaftung kann insbesondere zeuge, weil bei geringeren Geschwindigkeiten Fahrbah- dann dazu beitragen, den Verkehr in Ballungsräumen zu nen weniger breit sein müssen. Dadurch steht für andere reduzieren, wenn sie in ein Mobilitätskonzept eingebun- Verkehrsteilnehmer und Nutzer des öffentlichen Straßen- den ist, gut vorbereitet und kommuniziert wird und at- raums mehr Platz zur Verfügung. Die eingesparte Fahr- traktive Alternativen zur Nutzung des eigenen Pkw zur bahnfläche kann zum Beispiel entsiegelt und begrünt Verfügung stehen (BRACHER und LEHMBROCK werden oder als Aufenthalts- und Bewegungsfläche für 2008). Die Kombination von Parkraumbewirtschaftung Fußgänger oder für Fahrradstreifen genutzt werden (UBA und anderen Maßnahmen sowie eine sinnvolle Gesamt- 2003, S. 305 ff.). konzeption (wie im Verkehrsentwicklungsplan 2010 von Berlin unter dem Titel „Masterplan Parken“ vorgesehen) Einen entscheidenden Vorteil hätte die Einführung von kann erhebliche Synergieeffekte erzielen (BRACHER Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit für die Verkehrssi- und LEHMBROCK 2008, S. 112; LEHMBROCK und cherheit (SRU 2005, Tz. 543). Empirische Untersuchun- HERTEL 2007; HUBER-ERLER 2010). gen zeigen, dass die Zahl der Verkehrsopfer deutlich zu- rückgeht, insbesondere sind weniger Kinder darunter. In der Stadt gibt es bei Tempo 30 auch weniger schwer und 5.5.2 Angleichung von Raum und tödlich Verletzte (Wissenschaftlicher Beirat beim Bun- Geschwindigkeiten desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2010, Umverteilung des öffentlichen Raums S. 179). Eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h in der Stadt würde von der Mehrheit der Be- 324. In Ballungsgebieten ist der zur Verfügung stehende völkerung unterstützt werden (58 %). Große Zustimmung Platz für den Verkehr besonders begrenzt. Diese Tatsache (87 %) findet auch die Schaffung verkehrsberuhigter erfordert gegenseitige Rücksichtnahme im Verkehr. Mo- Wohngebiete (BORGSTEDT et al. 2010, S. 54). derne Verkehrsplanung berücksichtigt daher – in Abkehr von früher vertretenen Konzepten der Verkehrstrennung – 5.5.3 Förderung des Umweltverbundes dass es wichtig ist, zu mehr Koexistenz zwischen den Be- nutzern zu kommen (Stadt Zürich 2005, S. 5). Dazu muss 326. Die Bedeutung des ÖPNV für die Mobilität der die Dominanz des motorisierten Verkehrs zugunsten an- Menschen ist hoch: 2010 wurden täglich fast 30 Millio- derer Mobilitätsbedürfnisse abgebaut werden (zum unter- nen Fahrten im ÖPNV unternommen. Im mittelfristigen schiedlichen Flächenbedarf der einzelnen Verkehrsträger Vergleich gegenüber 2005 zeigt sich ein fortgesetzter Zu- s. Abb. 5-1). Aufgrund der Alterung der Infrastruktur in wachs der Fahrgastzahlen (Destatis, Pressemitteilung den Städten stehen Umbauprozesse bevor, die dazu ge- vom 7. April 2011). Rund 9 Millionen, das heißt knapp nutzt werden können, den zur Verfügung stehenden öf- ein Viertel der insgesamt 39 Millionen privaten Haushalte fentlichen Raum umzuverteilen. Regelmäßig sollte den in Deutschland, besaßen – vor allem aus finanziellen Fußgängern und Fahrradfahrern mehr Raum zugestanden Gründen – 2008 kein Auto (Destatis, Pressemitteilung werden. Damit würde auch anstelle der gegenwärtigen vom 15. September 2009), waren also auf den ÖPNV an- ausschließlichen Ausrichtung am Pkw-Aufkommen die gewiesen. Ein leistungsfähiges, attraktives und preiswer- tatsächliche Personenbeförderungskapazität besser be- tes Nahverkehrssystem trägt daher entscheidend zur indi- rücksichtigt werden. Weniger Platz für Autofahrer wäre viduellen Mobilität und zur Lebensqualität insbesondere mit langsameren Geschwindigkeiten verbunden und auch der Einkommensschwächeren in Ballungsräumen könnte somit die Schadstoff- und Lärmbelastung min- bei. Die ÖPNV-Betriebe sollen ihr Angebot aufwerten, dern. Langsamere Geschwindigkeiten tragen zudem zur indem sie ein besseres, ausgeweitetes Leistungsangebot, Senkung der Zahl der Verkehrsunfälle bei. höhere Beförderungsgeschwindigkeiten, leichtere Zu-

189 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen steige- und Umsteigemöglichkeiten sowie einen guten zierung. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass Service (Pünktlichkeit, Sitzmöglichkeiten, Sauberkeit, Si- sich die Anforderungen an die Finanzierung, die sich bis- cherheit, Fahrgastinformationen), sozial verträgliche lang vor allem durch Unübersichtlichkeit und Inkonsis- Preise, flexible Angebote (z. B. übertragbare Monatskar- tenz auszeichneten (EICHMANN et al. 2005, S. 11), ver- ten, Jobtickets), eine verbesserte Fahrradmitnahme und ändert haben. Zum einen steht zukünftig weniger der einen Vorrang gegenüber dem motorisierten Individual- Neubau von ÖPNV-Infrastruktur, sondern die Erhaltung verkehr im Straßenraum zur Erhöhung der Pünktlichkeit im Vordergrund (Intraplan Consult und VWI 2009, (Busspuren) anstreben (APPELHANS et al. 2009, S. 67). Darauf war das bisherige Finanzierungsinstrumen- S. 166). Besonders wichtig ist es für die Nutzer, sich indi- tarium von Bund und Ländern nicht eingerichtet, denn viduell und flexibel fortzubewegen. Daher sollte der das bislang geltende Gemeindeverkehrsfinanzierungsge- ÖPNV in intermodale Verkehrsdienstleitungen, zum Bei- setz (GVFG) war ein reines Investitionsförderungsgesetz, spiel durch Kombinationsangebote mit Car Sharing und das laufende Betriebskosten nicht bezuschusst hat. Zum Leihfahrrädern, eingebunden werden (Tz. 332). Die aus anderen haben sich die gesetzlichen Voraussetzungen für der demografische Entwicklung folgende Siedlungsent- die Finanzierung des öffentlichen Straßenpersonennah- wicklung wird es zukünftig erforderlich machen, dass der verkehrs (insbesondere Straßenbahnen, U-Bahnen, ÖPNV vor allem im Stadt-Umland-Verhältnis sowie in Busse) aufgrund der Föderalismusreform zur Vermeidung den tangentialen Beziehungen am Stadtrand und in der von Mischfinanzierungen verändert. Sowohl das GVFG- Region konkurrenzfähige Angebote zum motorisierten Bundesprogramm wie auch die Mittel aus dem Entflech- Individualverkehr bereitstellt (EICHMANN et al. 2005, tungsgesetz, das das GVFG-Länderprogramm ersetzt, S. 17). Eine Flexibilisierung des ÖPNV durch Angebote sind bis 2019 befristet. Einer Revision unterliegen zudem wie Ruf- und Sammeltaxen kann es hier ermöglichen, ei- nach 2014 die Mittel, die gegenwärtig durch das Regiona- nen Service aufrecht zu erhalten, auch wenn durch den lisierungsgesetz (RegG) für den Schienenpersonennah- demografischen Wandel die Fahrgastzahlen zurückgehen. verkehr zur Verfügung gestellt werden. Auch der Wegfall Ein funktionsfähiger ÖPNV, der für alle Bevölkerungs- des 2019 auslaufenden Solidarpakts II wird starke Aus- gruppen Mobilität unabhängig vom Autobesitz sicher- wirkungen auf die Finanzierung des ÖPNV haben. Da- stellt, ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Daher ist rüber hinaus werden sinkende Schüler- und Auszubilden- eine ausreichende Finanzierung sicherzustellen. denzahlen die finanziellen Probleme des ÖPNV verschärfen (einen genaueren Überblick über die aktuelle Der ÖPNV ist deutlich weniger umweltbelastend als der Situation der ÖPNV-Finanzierung bieten BORMANN motorisierte Individualverkehr (VCD 2001; UBA 2009a). et al. 2010). Dies ist vor allem auch deshalb problema- Er dient gegenüber dem motorisierten Individualverkehr tisch, weil alle Rahmenbedingungen des ÖPNV (Investi- insbesondere dann der Umweltentlastung und damit auch tionen wie z. B. in den Schienenverkehr, Prozesse der der Steigerung der Lebensqualität, wenn die eingesetzten Raum- und Siedlungsentwicklung, einschließlich der in- Fahrzeuge anspruchsvolle Umweltstandards erfüllen, das dividuellen Entscheidungen der Nutzer) langfristige Aus- heißt wenn sie schadstoff- und lärmarm sind. Die ver- wirkungen haben (BORMANN et al. 2010, S. 21). nünftige Planung erfolgt durch den Nahverkehrsplan, der aufgrund der Nahverkehrsgesetze aufzustellen ist und Im Ergebnis ist erkennbar, dass zahlreiche Quellen für die auch Bestandteil einer integrierten Gesamtverkehrspla- Finanzierung des ÖPNV nicht fortbestehen werden. Die nung (s. Tz. 337) sein sollte (EICHMANN et al. 2005). Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevöl- kerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV bleibt aber eine Aufgrund der Komplexität des Aspekts ÖPNV im Rah- Aufgabe der Daseinsvorsorge. Erforderlich ist deshalb men des kommunalen Verkehrsmanagements wäre es eine konsistente, verfassungsgerechte Finanzierung durch wünschenswert, das Know-how in den Kommunen zu den Bund, die durch ein eigenes ÖPNV-Finanzierungsge- verbessern. Analog des auf der Basis des Nationalen Rad- setz oder die Einbeziehung der Aufgaben des GVFG in verkehrsplans 2002 bis 2012 eingeführten Fortbildungs- das RegG erfolgen könnte. Ein auf Bundesebene geschaf- angebots „Fahrradakademie“ für Kommunen sollte eine fenes ÖPNV-Finanzierungsgesetz könnte auch durch die „Nahverkehrsakademie“ mit kontinuierlichen Fortbil- Bündelung aller Bundesleistungen zur Transparenz bei- dungsangeboten für kommunale Verwaltungen eingerich- tragen. Die finanzielle Ausstattung sollte der Bedeutung tet werden. Zudem müssen Maßnahmen grundsätzlich des ÖPNV entsprechen. Hier drängt die Zeit, wenn der Wechselwirkungen im Blick haben, denn eine breitere ÖPNV nicht in Kürze vor gravierenden Finanzierungs- Nutzung des ÖPNV muss nicht unbedingt zulasten des problemen stehen soll. Einem steigenden Anteil der Nut- motorisierten Individualverkehrs erfolgen, sondern kann zerfinanzierung sind sowohl kosten- wie ertragsseitig auch aus einer Verlagerung vom Fahrrad oder Zufußge- Grenzen gesetzt, weil bei Preiserhöhungen die Nachfrage hen resultieren (RODT et al. 2010, S. 31). Wichtig ist es deutlich zurückgeht (BORMANN et al. 2010, S. 10). deshalb auch, den Ausbau des ÖPNV mit Instrumenten Auch im internationalen Vergleich ist der Anteil der Fahr- zur Vermeidung des motorisierten Individualverkehrs zu geldeinnahmen an der Finanzierung des ÖPNV in verbinden. Deutschland hoch. Der finanzielle Beitrag der ÖPNV- Nutzer sollte sich deshalb nicht weiter erhöhen, denn das Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs macht die Nutzung unattraktiver und damit die Finanzie- rung noch schwieriger. Zudem war der Preisanstieg bei 327. Zentral für die Erhaltung, den Ausbau und eine öffentlichen Verkehrsmitteln zuletzt höher als beim Auto gute Gestaltung des ÖPNV ist eine ausreichende Finan- (Abb. 5-7).

190 Maßnahmen für einen umweltfreundlichen Verkehr

Ausweitung des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs aber Auto und Fahrrad von Tür zu Tür gleich schnell (Abb. 5-8), bei kürzeren Strecken ist Fahrradfahren sogar 328. Die Ausweitung insbesondere des Fahrradverkehrs schneller. besitzt ein großes Potenzial für die Verlagerung weg vom motorisierten Individualverkehr in den Ballungsräumen, 329. Die Bundesregierung hat in Form des Nationalen wo 50 % aller Pkw-Fahrten kürzer als 5 km sind (Bundes- Radverkehrsplans 2002 bis 2012 einen umfangreichen regierung 2007, S. 6). Gerade bei dieser Entfernung sind Maßnahmenkatalog zur Förderung des Fahrradverkehrs

Abbildung 5-7

Preisentwicklung bei Kraftfahrzeugen und öffentlichem Personennahverkehr

Quelle: Statistisches Bundesamt 2011a, S. 17; unveröffentlichte Fortführung für 2011

Abbildung 5-8

Zeit/Entfernung nach Verkehrsmitteln

Wegggevergleich: von Tür zu Tür im Stadtverkehr 50

40

30 n n

in mi 20 t t Zei 10

0 012345678910

Entfernung in km

zu Fuß Rad Bus&Bahn Pkw

Quelle: UBA-Expertenschätzung

Quelle: UBA 2011b

191 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen aufgestellt, der jedoch nur begrenzte Umsetzungserfolge zwölf neue radiale Fahrradkorridore ins Stadtzentrum und erzielte. Ziel war es eigentlich, dass Länder und Gemein- Fahrradzonen mit Fahrradstraßen sowie Geschwindig- den den Radverkehr als gleichwertiges Verkehrsmittel ne- keitsbeschränkungen (BMVBS 2008). Auch das Fahrrad- ben dem motorisierten Individualverkehr und dem öffent- leihsystem „vélib“ in Paris, bei dem das Leihfahrrad bis lichen Verkehr anerkennen und ihn entsprechend in die zu dreißig Minuten kostenlos genutzt werden kann, erst regionale und kommunale Verkehrsentwicklungsplanung danach kostenpflichtig ist und ein Jahresabonnement nur integrieren. Der Nationale Radverkehrsplan soll durch ei- 29 Euro kostet, hat eine enorme Akzeptanz erreicht (von nen Folgeplan für den Zeitraum von 2013 bis 2020 fort- SASSEN 2009, S. 136). geführt werden. Experten empfehlen, nunmehr auch Um den Fußverkehr anzureizen sind breite Gehwege, at- quantifizierte Ziele zum Modal Split und zu gefahrenen traktive Plätze, Flaniermeilen, Überquerungshilfen und Kilometern aufzunehmen (ADLER et al. 2011). eine Verkehrsberuhigung erforderlich (Senatsverwaltung Zudem sollten die Ausgaben des Bundes für den Radver- für Stadtentwicklung Berlin 2011a). Hilfreich für die kehr deutlich steigen. Wünschenswert wäre es, den Natio- Stärkung des Fahrrad- wie Fußverkehrs ist es zudem, eine nalen Radverkehrsplan in ein integriertes Gesamtkonzept neue Mobilitätskultur zu fördern. Die Schweiz hat sich einzubetten, wie in der Schweiz, wo ein Gesamtkonzept zum Ziel gesetzt, den Langsamverkehr, zu dem auch das „Motorisierter Individualverkehr – Bahn – Langsamver- Zufußgehen zählt, als gleichwertige dritte Säule neben kehr“ erarbeitet wurde. In Ländern und Städten mit ho- dem motorisierten Individualverkehr und dem ÖPNV zu hem Radverkehrsanteil wie zum Beispiel in den Nieder- realisieren. landen, der Schweiz oder Kopenhagen ist die Zahl der Fahrradfahrer nicht von allein gestiegen, sondern der 5.5.4 Intermodale Verkehrsdienstleistungen, Radverkehr wurde durch große und umfangreiche Pro- Mobilitätsmanagement und Carsharing gramme gefördert (z. B. der erste niederländische „Mas- terplan Fiets“ 1990 bis 1997, das „Leitbild Langsamver- 330. Intermodale Verkehrsdienstleistungen für den Per- kehr“ der Schweiz von 2002 oder die Kopenhagener sonenverkehr zeichnen sich dadurch aus, dass die Wege- „Cycle Policy“ 2002 bis 2012). ketten verkehrsmittelübergreifend angeboten werden (BEUTLER und BRACKMANN 1999, S. 26). Die Eine wichtige Rolle für eine erfolgreiche Förderstrategie Dienstleistung soll es ermöglichen, nicht nur für verschie- spielt es auch, die gesundheitlichen Vorteile des Fahrrad- dene Wege verschiedene Verkehrsmittel zu verwenden fahrens hervorzuheben, wie zum Beispiel die Senkung (mit dem Auto zur Arbeit, mit dem Fahrrad zum Sport), von Herzinfarktrisiko und Bluthochdruck und die positive sondern innerhalb eines Weges verschiedene Verkehrs- Wirkung auf Adipositas und Rückenschmerzen. Auch be- mittel sinnvoll zu kombinieren. Da in Ballungsräumen re- stehen Wechselwirkungen zwischen der Luftqualität und gelmäßig die Mobilitätsbausteine (ÖPNV, Carsharing, dem Anteil des Langsamverkehrs: Ist die Atemluft sau- Leihfahrrad usw.) bereits vorhanden sind, geht es vor al- ber, gerade auch auf den Straßen selbst, steigt die Attrak- lem um die Vernetzung von Informationen zwischen ver- tivität (und der Modal Split) des Langsamverkehrs, was schiedenen Mobilitätsanbietern sowie um die Kombina- sich dann im Umkehrschluss wiederum positiv auf die tion von Tarifen. Innovative Konzepte zeichnen Visionen Umwelt- und Lebensqualität auswirkt. von einer Informationstechnologie, die es erlaubt, über das Mobiltelefon die günstigste Kombination aus Zug, Der Fahrrad- und Fußverkehr benötigt eine adäquate In- ÖPNV, Leihfahrrad, Taxi, Mietauto und Fußstrecke für frastruktur, wie sie beim Pkw als selbstverständlich vo- einen gewünschten Weg angezeigt zu bekommen und rausgesetzt wird. Dazu zählen Fahrradwege oder -streifen diese auch gleich buchen und bezahlen zu können. für Radfahrer, auch innovative Konzepte wie Radschnell- wege (bekannt aus den Niederlanden, Schweden und Dä- Noch weiter geht die Idee einer Mobilitätskarte, wie sie nemark) und spezieller Parkraum. Für die Anlage von seit Sommer 2011 in einem Pilotprojekt in Berlin erprobt Radwegen ist auf die im Jahr 2010 aktualisierten Empfeh- wird. Dabei erhalten die Nutzer in einem limitierten Test- lungen für Radverkehrsanlagen hinzuweisen (ERA 2010; versuch eine Monatskarte für den ÖPNV, ein Zeitgutha- FGSV 2010). Dieser Leitfaden enthält Empfehlungen für ben für die teilnehmende Carsharing-Flotte zur Buchung die Anlage von sicheren und ausreichend dimensionierten von Elektro- und Hybridautos und die Zugangsberechti- Radwegen und ist beispielsweise in Nordrhein-Westfalen gung für ein Leihfahrrad mit einem pauschalen Freigutha- 2011 für verbindlich erklärt worden. Auch durch einzelne ben pro Ausleihe (Deutsche Bahn AG 2011). Das Pilot- Maßnahmen, wie eine bundesweit einheitliche Regelung projekt zielt auf die Integration von mit Ökostrom zur kostenlosen oder preisgünstigen Fahrradmitnahme in betriebenen Elektrofahrzeugen in den öffentlichen Perso- öffentlichen Verkehrsmitteln einschließlich des ICE, kann nenverkehr und die tarifliche Einbindung verschiedener der Radverkehr attraktiver gemacht werden. Mobilitätsangebote im städtischen Verkehr. Der Nutzer soll an die kombinierte Nutzung von ÖPNV, Auto und Eine wichtige Rolle zur Förderung des Radverkehrs kön- Fahrrad herangeführt werden, indem die Vernetzung ver- nen Leihradsysteme spielen, wie sie zum Beispiel in eini- schiedener Verkehrsmittel vereinfacht wird. gen deutschen Städten eingeführt wurden. Prominente Beispiele im Ausland finden sich in Paris und London. In Langfristige Voraussetzung für die dauerhafte Einführung London war der „London Cycling Action Plan“ in die ge- solcher Modelle ist vor allem, dass die Anbieter sich auf samte Londoner Raumplanungs- und Verkehrsstrategie gemeinsame Informationsplattformen, Tarife und Ab- eingebettet. Er umfasst neben 6.000 Leihfahrrädern auch rechnungsmodalitäten einigen, was sich bislang schwie-

192 Maßnahmen für einen umweltfreundlichen Verkehr rig gestaltet. Einen Ansatzpunkt stellt die vom Bundes- Carsharing ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) initiierte gemeinsame Informationsplattform 332. Carsharing stellt neben dem Taxifahren oder der dar, die durchgängige elektronische Fahrplaninformatio- Mietwagennutzung eine Möglichkeit dar, den Verzicht nen für Verbindungsauskünfte im öffentlichen Verkehr auf ein eigenes Auto zu erleichtern. Dementsprechend anbietet. Inzwischen gibt es bereits intermodale Routen- verstehen sich Carsharing-Anbieter als Teil einer Mobili- planer, zum Beispiel in Baden-Württemberg, und eine tätskette und werben für ein integriertes Mobilitätsbünd- Reihe von Forschungsaktivitäten. Zukünftig sollen auch nis, bei dem Carsharing als Teilstück zu einem intermo- Reservierungssysteme, automatisches Ticketing und elek- dalen Verkehrssystem beiträgt, den Autoverkehr zu tronische Abrechnungssysteme integriert werden. reduzieren. Dazu werden Vereinbarungen mit dem ÖPNV über gemeinsame Angebote getroffen. Ziel ist es, sich als vierte Säule des Umweltverbundes zu etablieren (Bundes- Mobilitätsmanagement verband CarSharing 2012). Bislang haben Carsharing- 331. Eine zu wenig diskutierte Maßnahme stellt die Anbieter in erster Linie über Carsharing-Stellplätze im Förderung des Mobilitätsmanagements dar, zu dem das öffentlichen Raum diskutiert, nunmehr werden auch die betriebliche, kommunale und regionale Mobilitätsma- Anerkennung als umweltentlastende Dienstleistung sowie nagement zählen. Maßnahmen des betrieblichen Mobili- Förderprogramme angesprochen. Nachteilig für die tätsmanagements sind beispielsweise Dienstreise- und Durchsetzung des Carsharings in Deutschland ist die he- Fuhrparkmanagement, Fahrgemeinschaftssysteme, Ab- terogene Anbieterstruktur, wie sich im Vergleich zu ande- stimmung von Fahrplänen des öffentlichen Verkehrs und ren Ländern (Schweiz, Frankreich) zeigen lässt. Arbeitszeiten, Carsharing, Jobtickets, Parkraumbewirt- Der Anteil der Menschen, die in Deutschland Mitglied ei- schaftung und Radabstellanlagen. Bislang ist die Initia- nes Carsharing-Anbieters sind, ist nach wie vor gering. Er tive für die Einführung von Mobilitätsmanagement pri- wächst aber seit Jahren stetig und liegt aktuell bei 0,35 % mär von einzelnen Unternehmen ausgegangen, die dabei der Führerscheininhaber („CarSharing in Deutschland überwiegend einzelne Maßnahmen verwirklicht haben, kennt keine Krise“, Pressemitteilung des Bundesverbands aber selten über ein abgestimmtes Gesamtkonzept verfüg- CarSharing vom 6. Februar 2011; KBA 2011). Die Bran- ten. In anderen Ländern wie Großbritannien werden Im- che hat sich stark professionalisiert: Für die Nutzer von pulse dagegen top-down auf regionaler und nationaler Carsharing-Autos ist das Angebot umso attraktiver, je fle- Ebene gesetzt, zum Beispiel durch das Erfordernis, dass xibler sie es nutzen können, zum Beispiel indem sie keine Verkehrsentwicklungspläne Mobilitätsmanagementkon- hohen Einstiegs- und Grundgebühren zahlen müssen, zepte enthalten müssen, damit öffentliche Fördergelder nicht vorab buchen müssen, nicht festlegen müssen, wie gezahlt werden. Einzelne Städte wie München, Dresden, lange sie das Auto nutzen, und reservierte Parkmöglich- Freiburg oder Tübingen haben die Bedeutung des Mobili- keiten vorfinden. tätsmanagements insbesondere für die Reduzierung des Pendlerverkehrs erkannt und fördern im Rahmen eines Carsharing trägt dann zur Umweltentlastung bei, wenn es systematischen Ansatzes entsprechende Maßnahmen dazu führt, dass die Carsharing-Teilnehmer weniger Auto (dena 2011). Das Potenzial des Mobilitätsmanagements fahren und wenn die Carsharing-Flotte aus umwelt- wird bisher nicht ausreichend ausgenutzt, ist aber erheb- freundlicheren Autos besteht. Nach Branchenangaben lich. Zukunftsweisend sind langfristige, innovative Mobi- stößt die Flotte eines Carsharing-Unternehmens durch- litätskonzepte, die die Nutzung von Elektroautos, des schnittlich weniger CO2 aus als die nationale Pkw-Flotte ÖPNV, von Leihfahrrädern sowie von Zugfernverbindun- (Bundesverband CarSharing 2010, S. 73 f.). Im Durch- gen verknüpfen. schnitt besitzen Carsharing-Teilnehmer weniger Pkws, sodass verschiedene Studien zu dem Ergebnis kommen, Zukünftig wird das Mobilitätsmanagement auch für die dass ein Carsharing-Auto zwischen vier und zehn private Anbindung der Randregionen von Ballungsräumen grö- Pkws ersetzt (ebd., S. 76–78). Durch die grundsätzliche ßere Bedeutung erlangen, für die eine ÖPNV-Vollversor- Reduzierung der Pkws wird der öffentliche Raum zudem gung finanziell immer schwieriger wird. Es gibt verschie- von privaten Fahrzeugen entlastet. Methodisch muss be- dene Modellprojekte und -ansätze, um regionale rücksichtigt werden, dass Carsharing auch verkehrsindu- Mobilitätsstrukturen aufzubauen, die weiter ausgebaut zierende Wirkung haben kann, wenn aufgrund der Mit- werden müssen. Innovative Gesamtansätze finden sich gliedschaft beim Carsharing-Unternehmen Fahrten mit beispielsweise in der Stadt München, die ein umfassendes dem Auto unternommen werden, die sonst ganz unter- regionales Mobilitätsmanagement unter dem Titel blieben wären. „Gscheid mobil“ aufgesetzt hat. Zu dem Konzept gehören unter anderem eine Mobilitätsberatung für Neubürger, Ju- In anderen Ländern wird Carsharing stärker in die Ge- gendliche und Senioren, für Unternehmen sowie für be- samtverkehrsstrategie einbezogen und unterstützt. So reits in München ansässige Bürger. München führt außer- existiert beispielsweise seitens „Transport for London“, dem eine Fahrradkampagne durch und verfügt über ein der regionalen Verkehrsbehörde für den Großraum Lon- Mobilitätsportal im Internet mit vielfältigen Angeboten. don, ein Förderprogramm zur Schaffung von Stellplatz- Das Konzept wird seit 1998 fortlaufend evaluiert und Infrastruktur. Sehr erfolgreich ist das Schweizer Unter- weiterentwickelt. 2009 wurde das Mobilitätsmanage- nehmen Mobility Carsharing, das über eine Flotte von ment auf die Metropolregion München ausgeweitet (dena 2.500 Fahrzeugen verfügt und 100.000 Mitglieder hat 2011). (Pressemitteilung Mobility Carsharing vom 29. Juni 2011).

193 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

Das ist 1 % der Führerscheinbesitzer, also fast dreimal so nachgerüstet und dadurch sowohl die Feinstaub- als auch viele wie in Deutschland. Weltweit gilt die Schweiz als die NO2-Belastungen vermindert wurden (LANUV NRW vorbildlich auf dem Gebiet (HAEFELI et al. 2007, S. 5). 2009). Der Bestand von Fahrzeugen mit hohem Schad- Verantwortlich dafür ist neben einem landesweit einheitli- stoffausstoß ging bis zum Start der Berliner Umweltzone chen hochprofessionellen Anbieter auch die Ausstattung im Januar 2008 um 58 % bei den Pkws und 29 % bei den des ÖPNV, die Schweizer Siedlungsstruktur, das hohe Nutzfahrzeugen gegenüber der prognostizierten Zahl Umweltbewusstsein sowie die Förderung durch die Poli- ohne Umweltzone zurück. Durch die Umweltzone konnte tik (HAEFELI et al. 2007, S. 53). der Ausstoß von Dieselrußpartikeln im Jahr 2010 um 58 % gegenüber der Trendentwicklung reduziert werden. 5.5.5 Förderung emissionsarmer Fahrzeuge Der Ausstoß der Stickstoffoxide ging für das gleiche Jahr um 20 % gegenüber dem Trend zurück. Am Beispiel von 333. Technische Innovationen zur Minderung der Berlin lässt sich daher eine deutliche Wirkung von Um- Schadstoffemissionen von Fahrzeugen wurden in der Ver- weltzonen auf die Emissionen belegen. Unter Berück- gangenheit insbesondere durch anspruchsvolle Umwelt- sichtigung der meteorologischen Randbedingungen lässt standards auf den Weg gebracht. So gehört die Fortschrei- sich zeigen, dass die Feinstaubbelastung ohne Umwelt- bung der europäischen Abgasnormen zu einer der zone im Jahresmittel etwa 2 μg/m3 höher gewesen wäre. wichtigsten Maßnahmen, um die Emissionen des Stra- Es wären circa zehn zusätzliche Überschreitungstage des ßenverkehrs zu mindern (SRU 2008, Tz. 271). Hierbei 24h-Grenzwertes aufgetreten. Das sinkende Verkehrsauf- anspruchsvolle Standards zu setzen, sollte Ziel der natio- kommen in Berlin lässt sich dagegen nicht auf die Um- nalen und europäischen Luftreinhaltepolitik sein. Gleich- weltzone zurückführen (Senatsverwaltung für Gesund- zeitig muss allerdings auch darauf geachtet werden, dass heit, Umwelt und Verbraucherschutz Berlin 2011). der Prüfzyklus zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes stärker an die Praxis bzw. die realen Bedingungen ange- 335. Umweltzonen bewirken in der Regel keine oder passt wird. Emissionsminderungen können zudem auch nur sehr geringe Verkehrsverlagerung vom Kraftfahrzeug durch die Förderung des effizienten Betriebs von Kraft- auf andere Verkehrsmittel oder eine generelle Vermei- fahrzeugen erreicht werden. dung von Verkehr, sondern zielen nur auf die Minderung der Belastung in besonders dicht besiedelten Gebieten Für die Ballungsräume sind Umweltzonen ein wichtiges durch eine Veränderung des Fahrzeugparks. Kritisiert Instrument, um die Belastungen durch den Straßenver- wird teilweise, dass die Feinstaubentlastung durch die kehr, insbesondere die Feinstaubemissionen, zu mindern. Umweltzonen gering sei, weil Pkws lediglich für einen Dabei tragen sie zu einer schnelleren Einführung fort- kleinen Teil der Feinstäube verantwortlich seien (ADAC schrittlicherer Abgasstandards bei. Hilfreich kann auch 2009). Allerdings wird dabei außer Acht gelassen, dass die Förderung alternativer, emissionsarmer Antriebsarten Verbrennungspartikel als besonders schädlicher Anteil sein. In diesem Zusammenhang erfährt insbesondere die des in der Außenluft gemessenen Feinstaubs (PM bzw. Elektromobilität zurzeit große Beachtung. Hierdurch 10 PM ) anzusehen sind, und dass in den Städten der größte kann zudem auch die Lärmbelastung verringert werden. 2,5 Anteil hoch toxischer Partikel aus dem Kfz-Verkehr stammt (WICHMANN 2008, S. 7). Immerhin konnte in Umweltzonen Berlin für das Jahr 2010 ein Rückgang der verkehrsbe- 334. Um die Feinstaubbelastung durch den Straßenver- dingten Rußbelastung um 52 % gegenüber dem Jahr vor kehr in den Innenstädten zu verbessern, wurden in der Einführung der Umweltzone verzeichnet werden. Deutschland 42 Umweltzonen eingerichtet, darunter Ber- Umweltzonen sind deshalb sinnvoll, weil sie wegen der lin, München, Köln, Stuttgart, Frankfurt a. M., Düssel- Zufahrtsverbote hoch emittierender Fahrzeuge schnell die dorf und Hannover (Stand: 12. Januar 2011). Das Ruhrge- gesundheitsgefährdende Belastung mit Rußpartikeln aus biet mit Bochum, Bottrop, Castrop-Rauxel, Dortmund, Dieselmotoren reduzieren (ZELLNER et al. 2009). Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Gladbeck, Herne, Ferner können Umweltzonen dazu beitragen, die Belas- Herten, Mülheim, Oberhausen und Recklinghausen wird tung von Mensch und Umwelt mit NO2 zu verringern dabei als eine Umweltzone betrachtet. In diesen Zonen (UBA 2010, S. 14). gelten Fahrverbote für Kraftfahrzeuge mit hohen Partikel- Die Umweltzone in ihrer derzeitigen Form zielt auf die emissionen (siehe auch SALOMON und SCHMID 2011; Reduzierung der Feinstaubbelastung ab. Langfristig sollte DIEGMANN et al. 2009). Die zeitliche Staffelung, ab sie aber weiterentwickelt, beziehungsweise auch auf an- wann welche Fahrverbote in Kraft treten, und die Aus- dere Luftschadstoffe ausgedehnt werden. So könnte die nahmeregelungen sind in den verschiedenen Umweltzo- Plakettenpflicht auf NO erweitert werden, da absehbar nen unterschiedlich. x ist, dass bei NO2 das Problem der Grenzwertüberschrei- Inzwischen liegen Bewertungen zur Wirkung von Um- tung in Zukunft noch deutlich relevanter sein wird als bei weltzonen vor. Das UBA schätzt, dass durch Umweltzo- Feinstaub. Außerdem sollten Ausnahmeregelungen nur in nen bis zu 10 % Verminderung der PM10-Jahresbelastung gut begründeten Fällen Anwendung finden und zwischen und etwa 25 Überschreitungstage pro Jahr weniger er- den verschiedenen Städten vereinheitlicht werden. Mög- reicht werden können (UBA 2008). Erste Wirkungsanaly- lich ist es auch, in der Umweltzone besonders schadstoff- sen beispielsweise aus Berlin und Köln zeigen, dass viele arme Fahrzeuge zu privilegieren, beispielsweise über eine Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß ersetzt oder Befreiung von Parkgebühren an öffentlichen Straßen.

194 Maßnahmen für einen umweltfreundlichen Verkehr

Eine Fortentwicklung der Umweltzonen sollte über den Sinne einer nachhaltigen Mobilität beitragen (s. Tz. 326). Verkehr hinaus auch die sogenannten nichtstraßengebun- Dazu sollten Elektrofahrzeuge aufgrund sich ändernder, denen mobilen Maschinen und Geräte (NRMM – Non- aber hoher Mobilitätsansprüche als kleine, leichte Stadt- Road Mobile Machinery) im Blick haben. Hier sind es fahrzeuge (z. B. Microcars) gebaut werden und in nen- insbesondere die Baumaschinen, die auch relativ zu den nenswerter Zahl zur Verfügung stehen (nach der Studie Verkehrsemissionen einen deutlichen Beitrag zu den „Mobilität in Deutschland 2008“ von infas und DLR NO2- und Feinstaubbelastungen liefern können beträgt der Pkw-Besetzungsgrad aller Fahrten insgesamt (LAMBRECHT et al. 2004). Gerade in städtischen Ge- 1,5 – knapp 75 % aller Fahrten werden dabei von nur ei- bieten besitzen daher Maßnahmen zur Abgasminderung nem Fahrer absolviert). Positive Impulse können auch bei Baumaschinen ein großes Potenzial zur Minderung durch die Verbreitung von Pedelecs, E-Bikes und speziel- der Luftbelastung. Dies könnte zum Beispiel über Nut- len Citylogistikmobilen gesetzt werden. Darüber hinaus zungsbeschränkungen für Baumaschinen mit veralteten kommen Maßnahmen, wie die Einführung einer „blauen“ Emissionsstandards erfolgen (THELOKE et al. 2007). Plakette infrage. Diese räumt Elektrofahrzeugen mit ge- steuerter Ladung, das heißt mit flexibler Anpassung des Elektromobilität Ladeverhaltens an die Netzbelastung, bestimmte Privile- gien ein. 336. Elektromobilität, das heißt Elektroautos, Elektro- fahrräder und der elektrifizierte ÖPNV, können einen Der SRU empfiehlt, die staatliche Förderung im Rahmen wichtigen Beitrag zur Reduzierung von Schadstoffemis- des Nationalen Entwicklungsplanes Elektromobilität so sionen im Straßenverkehr und – sofern der benötigte zu gestalten, dass Elektrofahrzeuge wegen der hohen Strom aus regenerativen Quellen kommt – zum Klima- lokalen Emissionsbelastung zunächst vor allem im Wirt- schutz leisten. Die Bundesregierung hat das Thema Elek- schaftsverkehr gefördert werden. Dieselhybridbusse und tromobilität 2009 mit der Verabschiedung des „Nationa- -Lkws sowie weitere Hybridfahrzeuge stehen im Markt len Entwicklungsplanes Elektromobilität“ aufgegriffen zur Verfügung bzw. sind in der Entwicklung. Der inner- und im Mai 2011 das Regierungsprogramm Elektromobi- städtische Lieferverkehr in Ballungsräumen bietet ein lität vorgelegt. Dabei verfolgt sie unter anderem das Ziel, großes Potenzial für Elektromobilität, da sich dieser im Deutschland zum Leitmarkt und Leitanbieter für Elektro- Gegensatz zum motorisierten Individualverkehr nur mobilität zu machen. So sollen bis zum Jahr 2020 eine schwer substituieren lässt. Im Bereich des ÖPNV sollte Million – dies entspricht etwa 2 % des derzeitigen Fahr- die Bundesregierung die Einführung (teil-)elektrischer zeugbestandes – und bis 2030 sechs Millionen Elektroau- Verkehrsmittel fördern, wie zum Beispiel Tram oder tos auf die Straße gebracht werden. Für den Zeitraum bis Oberleitungsomnibusse (s. hierzu das Projekt Trolley der 2013 stellt die Bundesregierung 1 Mrd. Euro an zusätzli- EU und die Schaffung „autofreier“ Gemeinden durch die chen Fördermitteln zur Verfügung (Regierungsprogramm Schweiz als Beispiel für die Förderung des Einsatzes von Elektromobilität). Diese Initiative ist grundsätzlich zu be- Elektrofahrzeugen). Besondere Bedeutung hätte die För- grüßen, wenn es auch in erster Linie nur um die Einfüh- derung der Elektromobilität für Gebiete, die über ein ver- rung von Elektroautos geht. Die Probleme der Unfallrisi- gleichsweise schlecht ausgebautes Netz des ÖPNV verfü- ken oder des Flächenverbrauchs durch den Verkehr gen. Staatliche Fördermaßnahmen sollten nicht auf werden aber mit der Einführung von Elektroautos nicht Einzelanwendungen mit wenig Nutzen für die Verbrei- gelöst. Hierfür ist eine weiter gehende Strategie, die zu- tung der Elektromobilität setzen. Auf Einzelmaßnahmen, sätzlich auf Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlage- wie zum Beispiel direkte Kaufprämien, die lediglich be- rung (s. Tz. 314) setzt, unabdingbar. Dazu ist auch eine grenzte Wirkung entfalten, sollte ebenso verzichtet wer- Änderung des Mobilitätsverhaltens erforderlich. Der nach den. der Einführung und Umsetzung geeigneter Maßnahmen noch verbleibende motorisierte Verkehr sollte langfristig 5.5.6 Integrierte Verkehrsentwicklungsplanung elektrifiziert werden. 337. Eine verbindliche integrierte Verkehrsentwick- Die Tatsache, dass sich für einen umweltfreundlichen lungsplanung stellt die Basis dar, um in Ballungsräumen Verkehr das Mobilitätsverhalten ändern muss, wird aber den Verkehr umweltfreundlicher zu gestalten. Die integ- in der Diskussion über Elektromobilität weitgehend aus- rierte Verkehrsentwicklungsplanung unterscheidet sich geblendet (s. hierzu die Veröffentlichungen der Nationa- dabei von der herkömmlichen Generalverkehrsplanung, len Plattform Elektromobilität). Stattdessen wird oftmals Gesamtverkehrsplanung und ähnlichem, indem nicht ge- der Eindruck erweckt, dass der motorisierte Individual- mäß des bestehenden Verkehrs geplant, sondern der Ver- verkehr mit kleineren Einschränkungen fast unverändert kehr zur Entwicklung der Stadt geplant wird (APPEL und bestehen bleiben kann, auch wenn vereinzelt selbst die BAIER 1990, S. 1). Sie bezieht wichtige Rahmenbedin- Automobilhersteller feststellen, dass Mobilität neu ge- gungen wie den demografischen Wandel, die räumliche dacht werden muss. Entwicklung, die Anforderungen der Umweltgesetzge- bung und die finanziellen Rahmenbedingungen ein Erforderlich wäre daher eine Einbettung der Elektromobi- (WOLFRAM et al. 2010, S. 28). lität in ein verkehrspolitisches Gesamtkonzept für nach- haltigen Verkehr. Idealerweise kann die Elektromobilität Die integrierte Verkehrsentwicklungsplanung hat sich in die Integration der Verkehrsmittel in den Umweltverbund Deutschland aber – anders als in Frankreich oder Groß- fördern und somit zur Änderung des Modal Split im britannien – nicht flächendeckend durchgesetzt. Dabei

195 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen stehen die Kommunen in der Verkehrsplanung unter er- (Stadt Zürich 2001). In Anknüpfung an diese Ziele be- heblichem Handlungsdruck. Während einerseits die For- schloss der Stadtrat von Zürich 2001 eine ganzheitliche derungen lauter werden, dass die Kommunen im Ver- Mobilitätsstrategie für die Stadt, die eine sinnvolle kehrsbereich einen spürbaren Beitrag zur Verminderung Kombination der Verkehrsmittel – auch über die Stadt- der Umwelt- und Klimaproblematik leisten sollen, und grenzen hinaus – in den Mittelpunkt stellt. Unterlegt die Anforderungen durch erforderliche Teilplanungen wie wurde die Mobilitätsstrategie durch 18 Teilstrategien, die Luftreinhalteplanung und die Lärmminderungspla- die 2002 bis 2005 genehmigt wurden und auf den nung gestiegen sind, sind andererseits die finanziellen grundlegenden Handlungsschwerpunkten der Mobili- und personellen Ressourcen zurückgegangen. tätsstrategie beruhen. Die Teilstrategien decken ein brei- Die Kommunen müssen bei der Verkehrsplanung den so- tes Themenfeld ab, zum Beispiel öffentlichen Verkehr, zio-demografischen Wandel im Blick behalten und auch Fuß- und Fahrradverkehr, Parkierung, Wirtschafts- und Aspekte wie Erreichbarkeit, Gerechtigkeit und Sicherheit Güterverkehr sowie kantonale und regionale Zusam- einbeziehen. Die finanziellen Restriktionen erfordern menarbeit (Stadt Zürich 2005). Neben der Mobilitäts- eine Priorisierung der Mittel und damit der zu ergreifen- strategie existieren zahlreiche weitere strategische Plan- den Maßnahmen. Für eine integrierte Verkehrsentwick- werke (z. B. räumliche Entwicklungsstrategien, lungsplanung spricht, dass die – unumgänglichen – Prio- Masterplan Energie, Masterplan Umwelt), die einen ritäten in einem transparenten Prozess erarbeitet werden. Rahmen für die weitere Entwicklung der Stadt spannen Grundlage einer Neuausrichtung der Verkehrsentwick- (s. Übersicht in: Stadt Zürich 2011, S. 6). Seitdem sind lungsplanung sollte somit sein, die Annahme einer auf ein regionales Gesamtverkehrskonzept und eine Viel- stetes Wachstum ausgerichteten Verkehrsentwicklung zahl an Teilkonzepten erarbeitet worden, die die kon- aufzugeben und einen Diskurs zu führen, der die Grenzen krete Umsetzung ausgestalten. dieser Entwicklung in den Vordergrund stellt, die sich aus Die Mobilitätsstrategie wurde in einem Wechselspiel ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen er- aus technischer Bearbeitung und breiter Konsultation geben. Sie müssen diskutiert werden, um den Umdenk- der Zwischenergebnisse erarbeitet. Durch die Einbezie- prozess zu fördern und einen handlungsleitenden Rahmen hung der Öffentlichkeit ist in Zürich auch ein Schritt zu zu geben, in dem die erforderlichen Anpassungsleistun- einer neuen Mobilitätskultur gemacht worden. Nach gen akzeptiert werden können (WOLFRAM et al. 2010, Auffassung der verantwortlichen Fachplaner trägt die S. 49). Verkehrspolitik in Zürich wesentlich zur städtischen Le- bensqualität bei (OTT 2008). So steht Zürich seit vielen Grundsätzlich sollte die Bedeutung von Planungsprozes- Jahren auf Platz eins bzw. zwei der Städte mit der sen nicht unterschätzt werden, denn viele grundlegende höchsten Lebensqualität weltweit (Mercer 2011). Entwicklungen im städtischen Verkehrsgeschehen sind in der Vergangenheit nicht nur durch gesamtgesellschaftli- che Rahmenbedingungen verursacht worden, sondern Anforderungen an eine integrierte, nachhaltige hatten ihre Ursachen auch in ganz konkreten planungspo- Verkehrsentwicklungsplanung litischen Entscheidungen, die durchaus nicht unabdingbar waren (HORN 2002, S. 1). Verkehrsplanung war aller- 338. Die Anforderungen an eine nachhaltige Ver- dings in der Vergangenheit ein Feld, in dem technische kehrsentwicklungsplanung sind vielfältig und werden in Lösungen für sich verändernde Ansprüche an das Ver- der Praxis oftmals nicht erfüllt. Strukturelle und formelle kehrssystem gesucht wurden (BECKER et al. 2003, Anforderungen umfassen unter anderem folgende As- S. 34). Dagegen ist heute eine Verkehrsentwicklungspla- pekte (WOLFRAM et al. 2010): nung erforderlich, die sich nicht als technologische Opti- – Die Verkehrsentwicklungsplanung wird als Dauerauf- mierung eines Teilsystems verselbstständigt (MONHEIM gabe begriffen und die Planung entsprechend kontinu- 2002, S. 1), sondern versucht, durch Integration verschie- ierlich fortgeschrieben; dener räumlicher, fachlicher und gesellschaftlicher Ebe- nen alle relevanten Akteure sowie die Formen der ziel- – Sie erfolgt auf einer validen Datengrundlage über die gerichteten Einflussnahme einzubeziehen, zum Ausgleich Verkehrs-, Bevölkerungs- und Raumentwicklung; zu bringen und auf Nachhaltigkeit auszurichten (WOLFRAM et al. 2010, S. 5 und 9). – Sie ist integrativ angelegt und wird mit anderen Rah- menplanungen abgestimmt; – Sie verfügt über ein hierarchisch differenziertes, an Beispiel Zürich Nachhaltigkeit orientiertes Zielsystem, das als Mess- In Zürich reichen die Ansätze für eine integrierte Ver- latte für Wirkungsschätzung und Umsetzungskontrolle kehrsentwicklungsplanung zurück bis zum „Blaubuch dient; Verkehr“ von 1987, das bereits als fünf wesentliche Pfeiler die Ziele enthielt, die öffentlichen Verkehrsmit- – Sie gewährleistet als Rahmenplanung ausreichend Fle- tel zu fördern, den Autoverkehr zu reduzieren, die xibilität, indem sektorale Teilstrategien angepasst wer- Wohngebiete zu beruhigen, das Parkplatzangebot nicht den können; zu vergrößern, sondern eher zu reduzieren, sowie um- – Eine frühzeitige und intensive wechselseitige Abstim- weltfreundliche Mobilität (Velo, Fußgänger) zu sichern mung der nachgeordneten Fachplanungen (z. B. Luft-

196 Maßnahmen für einen umweltfreundlichen Verkehr

reinhaltung, Lärmaktionsplanung) fördert die Imple- sicht sind die urbanen Verkehrssysteme grundsätzlich ein mentierung; wesentlicher Bestandteil des europäischen Verkehrssys- tems und damit Teil der gemeinsamen Verkehrspolitik im – Durch breite Konsultationsverfahren werden die Inte- Sinne der Artikel 90 bis 100 des Vertrags über die Ar- ressen der Akteure einbezogen; beitsweise der Europäischen Union (AEUV). Sie ist der – Die Einbindung in den regionalen Kontext stellt den Auffassung, dass sich die Ziele auf anderen Feldern der richtigen Raumbezug sicher; EU-Politik wie Kohäsion, Umwelt oder Gesundheit nicht erreichen lassen, wenn die Besonderheiten der Städte, – Es erfolgt eine Wirkungskontrolle durch regelmäßige auch der urbanen Mobilität, nicht berücksichtigt werden Evaluationen und Fortschrittsberichte. (Europäische Kommission 2009).

Beispielhaft im deutschen Raum ist der zuletzt im März 340. In einigen europäischen Ländern bestehen Erfah- 2011 in einer Neufassung verabschiedete Stadtentwick- rungen mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Aufstel- lungsplan Verkehr des Landes Berlin zu nennen (Senats- lung von Verkehrsentwicklungsplänen. Der Transport Act verwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2011b), auf den 2000 verpflichtet britische Kreise bzw. Stadtregionen, flä- für eine sinnvolle Strukturierung und Zielsetzung verwie- chendeckend „Local Transport Plans“ aufzustellen, die sen werden kann (Abb. 5-9). sich an allgemeinen Zielen der Verkehrspolitik auf natio- Nachhaltige Verkehrsentwicklungsplanung erfordert eine naler Ebene zu orientieren haben und für deren Erstellung Einbindung in die regionale Planung und die regionalen die Regierung detaillierte Leitfäden entwickelt hat verkehrlichen Gegebenheiten. Ohne eine Einbeziehung (WOLFRAM et al. 2009; ALBRECHT 2010). Eigenart des Umlandes können viele Verkehrsaspekte (Pendlerbe- der britischen Pläne ist es, dass sie die Grundlage für die wegungen, aber auch Anbindung an nationale und inter- staatliche Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur (sowohl nationale Verkehrsströme, Güterverkehr usw.) nicht ad- Investitionen als auch Unterhaltung) darstellen. Als zu- äquat adressiert werden. Problematisch ist, dass die sätzlicher Anreiz für Innovationen können sich Kommu- regionale Planungsebene institutionell unzureichend ver- nen mit innovativen Konzepten um Mittel aus einem ankert ist (Tz. 315). „Transport Innovation Fund“ bewerben (ALBRECHT 2010, S. 21). In Frankreich sind Kommunen mit mehr als 339. Die Europäische Kommission strebt an, alle euro- 100.000 Einwohnern seit 1996 gesetzlich verpflichtet ei- päischen Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern zur nen „Plan de Déplacement Urbains“ aufzustellen. Er stellt Aufstellung von Stadtmobilitätsplänen zu verpflichten die Voraussetzung für die Erhebung einer Nahverkehrsab- (Europäische Kommission 2011, S. 15). Nach ihrer An- gabe dar (WOLFRAM et al. 2009; WULFHORST und

Abbildung 5-9

Integrierte Struktur eines Verkehrsentwicklungsplans am Beispiel Berlin

Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2011b

197 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

WOLFRAM 2010). Die gesetzlichen Vorgaben für die dürfnisse können auch – oftmals sogar besser – durch französische Verkehrsentwicklungsplanung umfassen un- andere Verkehrsmittel befriedigt werden. Das heißt, eine ter anderem Ziele zur Reduktion des Pkw-Verkehrs, der Einschränkung des Autoverkehrs muss nicht zu einer Ein- Verbesserung der Verkehrssicherheit, der Entwicklung schränkung der Mobilität führen. des öffentlichen Verkehrs und des übrigen Umweltver- bunds, Vorgaben für den ruhenden Verkehr (verpflichten- Insbesondere in den Ballungsräumen muss die immer des Parkraummanagement), den Güter- und Lieferver- noch bestehende Autozentrierung zurückgedrängt wer- kehr, das Mobilitätsmanagement sowie die Einführung den. Der Autoverkehr belastet weiterhin in unzumutbarer eines integrierten Tarif- und Ticketsystems für alle Ver- Weise die Lebensqualität in den Ballungsräumen, insbe- kehrsträger, das die Nutzung des öffentlichen Verkehrs sondere durch Luftschadstoffe, Lärmemissionen und Un- für Familien und Gruppen attraktiv macht. fallrisiken. Er schränkt gleichzeitig die Mobilität, aber auch den Lebens- und Aufenthaltsraum von anderen Teil- 341. Eine Normierung auf europäischer Ebene hätte den nehmern am öffentlichen Leben, wie zum Beispiel Kin- Vorteil, dass bestehende Planungen wie die Lärmminde- dern, erheblich ein. Zudem sind die Belastungen sozial- rungsplanung und die Luftreinhalteplanung mit der integ- räumlich ungleich verteilt. Autozentrierte Infrastrukturen rierten Verkehrsentwicklungsplanung zusammengeführt führen dazu, dass die Erreichbarkeit von Zielen für Men- werden könnten. Die Mitgliedstaaten waren aber der Auf- schen ohne Auto erschwert wird. Eine gute Nahversor- fassung, dass die länderspezifische Ausgangssituation eu- gung, das heißt ein gutes lokales Angebot, erhöht die ropäischer Städte mit über 100.000 Einwohnern zu unter- Wohnqualität nicht nur objektiv, sondern auch aus der schiedlich ist. Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu subjektiven Sicht der Bevölkerung entscheidend. Mit weisen: Bereits die Verwaltungskapazitäten, aber auch Verbesserungen der nahräumlichen Ausstattung kann also die Verkehrsprobleme, weichen in den Mitgliedstaaten die Wohnqualität – und damit Lebensqualität – erheblich stark voneinander ab. Zudem erscheint es aus Subsidiari- gesteigert werden (BMVBS 2011a, S. 36). tätsgründen fraglich, ob die EU eine solche Verpflichtung wirksam erlassen könnte. Das Sondergutachten des SRU Der SRU sieht es als zentral an, dass die weiterhin beste- „Umwelt und Straßenverkehr“ von 2005 enthielt demge- henden hohen Belastungen, die vom Autoverkehr ausge- genüber eine Empfehlung an den Bund, ein Gemeinde- hen, vermindert werden, gleichzeitig aber die individuel- verkehrsplanungsgesetz zu erlassen (SRU 2005, len Mobilitätsbedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer Tz. 484 ff.). Allerdings erlaubt der durch die Föderalis- möglichst optimal und gerecht erfüllt werden. Deshalb ist musreform von 2006 eingefügte Artikel 84 Absatz 1 ein umweltgerechter Verkehr notwendig. Das Beispiel der Satz 7 GG nicht länger, dass der Bund den Gemeinden Stadt Zürich zeigt eindrucksvoll, wie ein umweltgerech- Aufgaben überträgt. Eine Verpflichtung auf der Ebene der ter Verkehr die Lebensqualität einer Stadt heben kann. Bundesländer einzuführen erscheint dagegen nicht ziel- Dabei setzt sich der Verkehr aus Autoverkehr, ÖPNV und führend, weil damit keine einheitlichen Standards ge- Langsamverkehr (Radfahren und Zufußgehen) zusam- schaffen werden könnten. Allgemein wird zudem bezwei- men. Insbesondere die letzten beiden Säulen müssen zu- felt, dass eine gesetzliche Regelung vor dem Hintergrund künftig weiter gestärkt werden. Das bedeutet, den Anteil der unterschiedlichen Situation in den deutschen Bal- des motorisierten Verkehrs zu verringern, ihn langsamer lungsräumen sinnvoll wäre. Stattdessen sollte die Ver- und sauberer zu machen und den Umweltverbund zu stär- kehrsentwicklungsplanung Voraussetzung für den Erhalt ken. Dafür muss ein Paradigmenwechsel in der Verkehrs- von Fördergeldern sein (ähnlich wie dies bei der Städte- planung stattfinden. Sie sollte nicht mehr länger nachfra- bauförderung des Bundes der Fall ist). Erforderlich ist georientiert und reaktiv, sondern angebots- und ziel- auch, dass Bund und Länder einen Dialogprozess initiie- sowie zukunftsorientiert sein. ren und eine Wissensplattform für einen strukturierten Austausch über die Qualitätsmerkmale einer nachhaltigen Der SRU hat vorstehend eine Reihe von Maßnahmen dar- integrierten Verkehrsentwicklungsplanung schaffen gestellt, die für einen umweltgerechten Verkehr in Bal- (WOLFRAM et al. 2010, S. 56–59). lungsräumen wesentlich sind. Dazu zählen eine gerech- tere Verteilung des öffentlichen Raums und die 5.6 Zusammenfassung Angleichung der Geschwindigkeiten für alle Verkehrsteil- nehmer. Dies bedeutet in der Regel mehr Raum für 342. In Deutschland lebt ein Großteil der Bevölkerung ÖPNV, Fahrrad und Fußgänger und Einschränkung des in Ballungsräumen. Hier eine hohe Lebensqualität zu si- Raums für Autos sowie Geschwindigkeitsbeschränkun- chern ist deshalb von besonderer Bedeutung, auch für die gen für den motorisierten Verkehr. Von großer Bedeutung zukünftige, nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft. ist auch die Förderung des Umweltverbundes und der in- Mobilität ist ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Le- termodalen Verkehrsdienstleistungen, speziell des Mobi- bens und gehört zur Lebensqualität. Mobilität meint nicht litätsmanagements. nur Verkehr, sondern bezieht sich viel umfassender zu- nächst auf die Möglichkeiten, durch Ortsveränderung ein Zentral ist es zunächst, für Kostentransparenz und -inter- Interesse zu realisieren. Im Kern geht es somit um Er- nalisierung im Verkehr zu sorgen. Zahlreiche finanzielle reichbarkeit. Das Auto ist für viele eine bequeme und Fehlanreize sowie direkte und indirekte Subventionen des praktische Möglichkeit, Ziele zu erreichen und damit ei- privaten Autoverkehrs tragen zu einer autozentrierten gene Mobilitätsbedürfnisse zu erfüllen. Erreichbarkeit er- Struktur bei. Dazu zählen neben der Entfernungspau- fordert aber nicht unbedingt Autoverkehr. Mobilitätsbe- schale die Energiesteuervergünstigung für Dieselkraft-

198 Zusammenfassung stoff und die niedrige Besteuerung privat genutzter dass sich Ballungsräume das Ziel setzen, bis 2025 ihren Dienstwagen. Anteil des Umweltverbundes am Modal Split um 20 % zu erhöhen. Langfristig hält der SRU einen Anteil von 70 bis Die weitere Verbesserung des Emissionsverhaltens von 80 % für den Umweltverbund als zielführend für die Ent- Fahrzeugen ist notwendig und sollte durch die Weiterent- wicklung eines nachhaltigen Verkehrs. Um dieses Ziel zu wicklung der Emissionsvorschriften für Kfz unterstützt erreichen, müssen heute und in den kommenden Jahren werden. Umweltzonen sollten so fortentwickelt werden, die Weichen gestellt werden. dass sie die Einführung emissionsarmer Autos fördern und neben der Feinstaubbelastung auch die Belastung mit anderen Schadstoffen in den Innenstädten mindern. Auch 5.7 Literatur die Einführung von Elektroautos ist – wenn sie mit rege- ADAC (Allgemeiner Deutscher Automobil-Club) (2009): nerativ erzeugter Elektrizität versorgt werden – eine Wirksamkeit von Umweltzonen. ADAC-Untersuchung. wichtige Maßnahme, um Lärm- und Schadstoffemissio- München: ADAC. nen und Treibhausgase zu reduzieren. Allerdings können viele andere Belastungen durch den Autoverkehr mit Adler, M., Blume, U., Dittrich, R., Fiedler, E., Friedrich, A., Elektroautos nicht reduziert werden. Sie könnten aber in Froböse, I., Heuser, T., Holz-Rau, C., Horn, B., Jansen, Bereichen, in denen ein Verzicht auf Pkws oder Lkws T., Jennert, R., Jülich, F., Klostermann, N., Kloth, H., schwierig ist, zum Beispiel im innerstädtischen, kleintei- Koopmann, L., Kuczmierczyk, G., Kunst, F., Lücke, M., ligen Lieferverkehr, eine wichtige Rolle spielen. Die För- Malik, V., Mühl, M., Neuberger, S., Ortlepp, J., Sievers, derung der Bundesregierung sollte sich hierauf konzen- B., Winkler, R. (2011): Empfehlungen der von Bundes- trieren. minister Dr. MdB berufenen Expertinnen und Experten zur Weiterentwicklung des Nationalen Rad- Nicht zuletzt benötigen die Kommunen finanzielle Unter- verkehrsplans. Berlin: Bundesministerium für Verkehr, stützung für die Erhaltung des ÖPNV. Aus diesen Grün- Bau und Stadtentwicklung. den empfiehlt der SRU ein ÖPNV-Finanzierungsgesetz des Bundes. Ahrens, G.-A., Hubrich, S., Ließke, F., Wittwer, R. (2010): Zuwachs des städtischen Autoverkehrs gestoppt? Ein umweltfreundlicher Verkehr erfordert eine voraus- Aktuelle Ergebnisse der Haushaltsbefragung „Mobilität schauende und langfristige Planung. Auch die Parkraum- in Städten-SrV 2008“. Straßenverkehrstechnik 54 (12), bewirtschaftung ist – wenn sie richtig ausgestaltet wird – S. 769–777. ein wichtiges Instrument zur Steuerung der Platzinan- spruchnahme im öffentlichen Raum und zur Reduzierung Albrecht, J. (2010): Lernen von Großbritannien? Die des Autoverkehrs. In den meisten Ballungsräumen „Local Transport Plans“ als Beispiel strategischer Steue- Deutschlands fehlen verbindliche integrierte Konzepte, rung. In: Wolfram, M., Albrecht, J., Wulfhorst, G., Horn, B., die mit anderen Planungen, zum Beispiel im Hinblick auf Krebser, S., Verron, H., Holz-Rau, C. (Hrsg.): Steuerung Luftreinhaltung und Lärm, aber auch der Stadtplanung, einer nachhaltigen Verkehrsentwicklungsplanung in koordiniert sind. Dazu kommt der nicht problemadäquate Deutschland. Dresden: Leibniz-Institut für ökologische Raumbezug: Die einzelnen Kommunen können wesentli- Raumentwicklung. IÖR Texte 162, S. 15–22. che verkehrserzeugende Bedingungen nicht beeinflus- sen, weil ihre Planungen die umliegende Region, die we- Apel, D. (1990): Leistungsfähigkeit und Flächenbedarf gen der Verflechtungen der Verkehre von hoher der städtischen Verkehrsmittel. In: Bracher, T., Haag, M., Bedeutung ist, nicht erfassen. Holzapfel, H., Kiepe, F., Lehmbrock, M., Reutter, U. (Hrsg.): Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung. Ziel der integrierten Verkehrsplanung sollte es sein, die Für die Praxis in Stadt und Region. Losebl.-Ausg., Lebensqualität in den Städten zu erhalten oder sogar zu Grundwerk. Berlin, Offenbach: Wichmann, Kap. 2.5.1.1. verbessern. Obwohl Lebensqualität ein breites und schwer zu fassendes Konzept ist, lässt es sich doch im Appel, H. P., Baier, R. (1990): Methoden und Ablauf der Hinblick auf den Einfluss des Verkehrs auf die Lebens- kommunalen Verkehrsentwicklungsplanung. In: Bracher, T., qualität durch Qualitätsziele und korrespondierende Indi- Haag, M., Holzapfel, H., Kiepe, F., Lehmbrock, M., Reut- katoren präzisieren. Hervorzuheben ist insbesondere das ter, U. (Hrsg.): Handbuch der kommunalen Verkehrspla- Qualitätsziel „Hoher Anteil Umweltverbund“, das in be- nung. Für die Praxis in Stadt und Region. Losebl.-Ausg., sonderem Maße geeignet ist, stellvertretend für andere Grundwerk. Berlin, Offenbach: Wichmann, Teilziele zu wirken. Ein hoher Anteil des Fahrrad-, Fuß- Kap. 3.2.10.1. und ÖPNV-Verkehrs am Personenverkehrsaufkommen in Appelhans, J., Jäcker-Cüppers, M., Hintzsche, M., Penn- Ballungsräumen gewährleistet eine hohe Mobilität und Bressel, G. (2009): Lebenswerte Innenstadt. Wie lassen Erreichbarkeit, gleichzeitig werden die Belastungen sich Luftreinhaltung, Lärmminderung und Stadtentwick- durch den Autoverkehr verringert. Dort, wo es einen at- lungskonzepte miteinander verzahnen? Immissionsschutz traktiven ÖPNV und gute Möglichkeiten für Fahrradfah- 14 (4), S. 164–169. rer und Fußgänger gibt, ist der Anteil des Umweltverbun- des am Modal Split regelmäßig hoch. Weitere Potenziale Babisch, W. (2006): Verkehrslärm und kardiovaskuläres können erschlossen werden, denn grundsätzlich gibt es Risiko. Überblick und Synthese epidemiologischer Stu- eine große Zahl von Autofahrern, die dem Umweltver- dien, Dosis-Wirkungs-Kurve und Risikoabschätzung. bund positiv gegenüberstehen. Insofern regt der SRU an, Dessau: Umweltbundesamt. WaBoLu-Hefte 01/06.

199 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

Baier, R., Hebel, C., Peter, C., Schäfer, K.-H. (2000): Ge- BMVBS (2008): Fahrrad-Boom im Ausland. FahrRad! samtwirkungsanalyse zur Parkraumbewirtschaftung. Bre- 2008 (7), S. 2. merhaven: Wirtschaftsverlag NW. Berichte der Bundes- Borgstedt, S., Christ, T., Reusswig, F. (2010): Repräsenta- anstalt für Straßenwesen – Verkehrstechnik V 75. tivumfrage zu Umweltbewusstsein und Umweltverhalten BASt (Bundesanstalt für Straßenwesen) (2011a): Jahres- im Jahr 2010. Berlin, Dessau-Roßlau: Bundesministerium bericht 2009/2010. Bergisch Gladbach: BASt. Allgemei- für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Umwelt- nes Heft A34. bundesamt. BASt (2011b): Volkswirtschaftliche Kosten durch Stra- Bormann, R., Bracher, T., Dümmler, O., Dünbier, L., ßenverkehrsunfälle 2009. Bergisch Gladbach: BASt. For- Haag, M., Holzapfel, H., Kunst, F., Mietzsch, O., schung kompakt 4/11. http://www.bast.de/cln_031/ Mirbach, J., Mossakowski, H., Ubbelohde, J.-H., Werner, J., nn_42254/SharedDocs/Publikationen/Forschung-kompakt/ Zoubek, H. (2010): Neuordnung der Finanzierung des Öf- 2011-04,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/ fentlichen Personennahverkehrs. Bündelung, Subsidiari- 2011-04.pdf (15.07.2011). tät und Anreize für ein zukunftsfähiges Angebot. Bonn: Friedrich Ebert Stiftung. BBSR (Bundesinstitut für Bau- Stadt- und Raumfor- schung) (2010): Landleben – Landlust? Wie Menschen in Bracher, T., Backes, T., Uricher, A. (2002): Möglichkei- Kleinstädten und Landgemeinden über ihr Lebensumfeld ten der Umweltentlastung und Kostenreduzierung im Ver- urteilen. Bonn: BBSR. BBSR-Berichte Kompakt 10/10. kehr durch Verkehrsplanung. Mit Leitfaden für die LCTP-Anwendung in Kommunen. Berlin: Umweltbun- Becker, U., Arlt, G., Beckmann, K. J., Borken, J., desamt. UBA-Texte 23/02. Gorissen, N., Hensel, H., Holz-Rau, C., Jakob, T., Klewe, H., Kritzinger, S., Reiter, U., Richard, J., Wacker, M., Wilke, Bracher, T., Lehmbrock, M. (Hrsg.) (2008): Steuerung G. (2003): Nachhaltige Verkehrsentwicklung. Köln: For- des städtischen Kfz-Verkehrs. Parkraummanagement, schungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. City-Maut und Umweltzonen. Berlin: Deutsches Institut FGSV-Arbeitspapier 59. für Urbanistik. Difu-Impulse 6. Beckmann, K. J., Gies, J., Thiemann-Linden, J., Preuß, T. Bulmahn, T. (2000): Zur Entwicklung der Lebensqualität (Hrsg.) (2011): Leitkonzept – Stadt und Region der kur- im vereinten Deutschland. Aus Politik und Zeitgeschichte zen Wege. Gutachten im Kontext der Biodiversitätsstrate- B 40. http://www.bpb.de/publikationen/P3VSTZ,0,Zur gie. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt. UBA-Texte 48/ _Entwicklung_der_Lebensqualit%E4t_im_vereinten_ 11. Deutschland.html (08.04.2011). Beutler, F., Brackmann, J. (1999): Neue Mobilitätskon- Bundesregierung (2007): Zweiter Bericht der Bundesre- zepte in Deutschland. Ökologische, soziale und wirt- gierung über die Situation des Fahrradverkehrs in der schaftliche Perspektiven. Berlin: Wissenschaftszentrum Bundesrepublik Deutschland. Unterrichtung durch die Berlin für Sozialforschung. Veröffentlichungsreihe der Bundesregierung. Berlin: Bundesregierung. Querschnittsgruppe Arbeit & Ökologie beim Präsidenten Bundesverband CarSharing (2012): Nationaler Entwick- des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung lungsplan CarSharing. Das „bessere Auto“ für lebens- P99-503. werte Städte und flexible Menschen. Berlin: Bundesver- BfS (Bundesamt für Strahlenschutz), BfR (Bundesinstitut band CarSharing. für Risikobewertung), RKI (Robert-Koch-Institut), UBA Bundesverband CarSharing (2010): Aktueller Stand des (Umweltbundesamt) (2011): II. Themenheft Umweltge- Car-Sharing in Europa. Endbericht D 2.4, Arbeitspaket 2. rechtigkeit. UMID: Umwelt und Mensch – Informations- Berlin: Bundesverband CarSharing. Grant agreement dienst 2011 (2), S. 1–134. No.: IEE/07/696/SI2.499387. Birn, K., Schneider, W., Selz, T. (2009): Kfz-Fahrleistun- Bunge, C., Katzschner, A. (2009): Umwelt, Gesundheit gen nach Fahrzeug und Straßenkategorien. Schlussbe- und soziale Lage. Studien zur sozialen Ungleichheit ge- richt. Freiburg: BVU Beratergruppe Verkehr+Umwelt sundheitsrelevanter Umweltbealstungen in Deutschland. GmbH. FE-Vorhaben Nr. 96.0926/2009. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt. Umwelt & Gesund- BMF (Bundesministerium der Finanzen) (2011): Energie- heit 02/09. steuer. Berlin: BMF. http://www.bundesfinanzministe- Claßen, T., Heiler, A., Brei, B., Hornberg, C. (2011): rium.de/nn_55228/DE/BMF__Startseite/Service/Glossar/ Stadtgrün und Gesundheit: Ein Beitrag zur Debatte um E/012__Energiesteuer.html (15.07.2011). soziale und räumliche Ungleichheit. UMID: Umwelt und Mensch – Informationsdienst 2011 (2), S. 100–104. BMVBS (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung) (2011a): Nahversorgung und Nahmobilität: dena (Deutsche Energieagentur) (2011): Effizient mobil. Verkehrsverhalten und Zufriedenheit. Bonn: BMVBS. Das Aktionsprogramm für Mobilitätsmanagement. Die BMVBS-Online-Publikation 08/2011. www.bbsr.bund.de/ Region München. Berlin: dena. http://www.effizient-mo nn_187606/.../DL.../DL_ON082011.pdf (31.01.2012). bil.de/index.php?id=muenchen (29.08.2011). BMVBS (2011b): Verkehr in Zahlen 2010/2011. Ham- Deutsche Bahn AG (2011): BeMobility. Berlin: Deutsche burg: DVV Media Group. Bahn AG. http://www.bemobility.de (29.08.2011).

200 Literatur

Deutscher Bundestag (2012): Unterrichtung durch die Fischer, G., Frohne, T., Gerharz, L., Hildebrandt, M., Bundesregierung. Raumordnungsbericht 2011. Berlin: Klemm, O., Mildenberger, K., Nording, C., Rehberger, I., Deutscher Bundestag. Bundestagsdrucksache 17/8360. Schiffer, M., Voulkoudis, C. S. (2006): Veränderungen des NO/NO2-Verhältnisses in Nordrhein-Westfalen Diegmann, V., Pfäfflin, F., Wursthorn, H. (2009): Erneute (1984–2004) und mögliche Ursachen. Zeitschrift für Um- Aktualisierung der Bestandsaufnahme der Luftreinhalte- weltchemie und Ökotoxikologie 18 (3), S. 155–163. und Aktionspläne. Endbericht. Freiburg: IVU Umwelt GmbH. FÖS (Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft) (2011): Energiewende finanzieren durch Abbau umwelt- Diekmann, L., Gerhards, E., Klinski, S., Meyer, B., schädlicher Subventionen. Gutachten. Berlin: FÖS. Schmidt, S., Thöne, M. (2011): Steuerliche Behandlung von Firmenwagen in Deutschland. Köln: Finanzwissen- Giering, K. (2010): Lärmwirkungen. Dosis-Wirkungsre- schaftliches Forschungsinstitut an der Universität zu lationen. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt. UBA-Texte Köln. FIFO-Berichte 13. 13/10. DVR (Deutscher Verkehrssicherheitsrat) (2006): DVR- Glatzer, W., Zapf, W. (Hrsg.) (1984): Lebensqualität in Maßnahme „Aktion Sichere Landstraße“. Bonn: DVR. der Bundesrepublik: Objektive Lebensbedingungen und subjektives Wohlbefinden. Frankfurt am Main: Campus. EEA (European Environment Agency) (2009): Ensuring Schriftenreihe/Sonderforschungsbereich 3 der Universitä- quality of life in Europe's cities and towns. Tackling the ten Frankfurt und Mannheim „Mikroanalytische Grundla- environmental challenges driven by European and global gen der Gesellschaftspolitik“ 10. change. Luxembourg: Office for Official Publications of the European Communities. EEA Report 5/2009. Gottschalk, C., Fleischer, J., Gräfe, L., Sobottka, A., Oppermann, H., Benkwitz, F. (2011): Belastung einzu- Eichmann, V., Berschin, F., Bracher, T., Winter, M. schulender Kinder mit Umweltschadstoffen – Ergebnisse (2005): Umweltfreundlicher, attraktiver und leistungsfä- der Schulanfägerstudie Sachsen-Anhalt. UMID: Umwelt higer ÖPNV – ein Handbuch. Berlin: Deutsches Institut und Mensch – Informationsdienst 2011 (2), S. 63–69. für Urbanistik. Haefeli, U., Matti, D., Schreyer, C., Maibach, M. (2007): Ellinghausen, D., Steinbrecher, J. (1995): Chaos und ur- Evaluation Car-Sharing. Schlussbericht. Bern: Eidgenös- banes Leben. Eine Untersuchung über die Verkehrssitua- sisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und tion in Großstadtzentren, dargestellt am Beispiel fünf eu- Kommunikation, Bundesamt für Energie. ropäischer Metropolen. Köln: IFAPLAN. UNIROYAL Hintzsche, M. (2003): Geräuschemissionen von Eisen- Verkehrsuntersuchung 20. bahnen. Zusammenfassende Präsentation der Messergeb- Erdmenger, C., Führ, V. (2005): Versteckte Kosten des nisse des Umweltbundesamtes. Berlin: Umweltbundes- städtischen Autoverkehrs. Öffentliche Gelder für den pri- amt. UBA-Texte 61/03. vaten Verkehr. Bonn: ICLEI – Local Governments for Horn, B. (2002): Geschichte der städtischen Radverkehrs- Sustainability. planung. In: Bracher, T., Holzapfel, H., Lehmbrock, M., Erdmenger, C., Hoffmann, C., Frey, K., Lambrecht, M., Haag, M., Kiepe, F., Reutter, U. (Hrsg.): Handbuch der Wlodarski, W. (2010): Pkw-Maut in Deutschland? Eine kommunalen Verkehrsplanung. Für die Praxis in Stadt umwelt- und verkehrspolitische Bewertung. Dessau-Roß- und Region. Losebl.-Ausg., 32. Erg.-Lfg. Berlin, Offen- lau: UBA. bach: Wichmann, Kap. 2.1.1.2. Europäische Kommission (2011): Weissbuch. Fahrplan Huber-Erler, R. (2010): Parkraum als Steuerungsinstru- zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin ment. In: Bracher, T., Haag, M., Holzapfel, H., Kiepe, F., zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenscho- Lehmbrock, M., Reutter, U. (Hrsg.): Handbuch der kom- nenden Verkehrssystem. KOM(2011) 144 endg. Brüssel: munalen Verkehrsplanung. Für die Praxis in Stadt und Europäische Kommission. Region. Losebl.-Ausg., 56. Erg.-Lfg. Berlin, Offenbach: Wichmann, Kap. 3.4.12.1. Europäische Kommission (2009): Mitteilung der Kom- mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- IFEU (Institut für Energie und Umweltforschung) (2010): ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den TREMOD-Szenarien zur Abschätzung der Wirksamkeit Ausschuss der Regionen. Aktionsplan urbane Mobilität. der neuen Kfz-Grenzwerte auf die NO2-Luftqualität. Hei- KOM(2009) 490 endg. Brüssel: Europäische Kommis- delberg: IFEU. sion. ifmo (Institut für Mobilitätsforschung) (2011): Mobilität Europäische Kommission (2001): Weissbuch. Die euro- junger Menschen im Wandel – multimodaler und weibli- päische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellungen für cher. München: ifmo. die Zukunft. KOM(2001) 370 endg. Brüssel: Europäische ifmo (2010): Zukunft der Mobilität – Szenarien für das Kommission. Jahr 2030. Zweite Fortschreibung. München: ifmo. FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehr- infas (Institut für angewandte Sozialwissenschaft), DLR wesen) (2010): Empfehlungen für Radverkehrsanlagen. (Deutsches Institut für Luft- und Raumfahrt) (2010): Mo- Köln: FGSV. FGSV ; 284 : R2. bilität in Deutschland 2008. Ergebnisbericht. Struktur –

201 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

Aufkommen – Emissionen – Trends. Bonn, Berlin: infas, Lehmbrock, M., Hertel, M. (2007): ÖPNV-Erschlie- DLR. ßungsqualität als Bemessungsgrundlage für Obergrenzen des Stellplatzbaus: Definition und Regelung. In: Bracher, T., Intraplan Consult, VWI (Verkehrswissenschaftliches In- Haag, M., Holzapfel, H., Kiepe, F., Lehmbrock, M., stitut Stuttgart) (2009): Finanzierungsbedarf des ÖPNV Reutter, U. (Hrsg.): Handbuch der kommunalen Ver- bis 2025. Köln: Verband Deutscher Verkehrsunterneh- kehrsplanung. Für die Praxis in Stadt und Region. men. Losebl.-Ausg., 46. Erg.-Lfg. Berlin, Offenbach: Job-Hoben, B., Erdmann, K.-H. (2008): Naturschutz und Wichmann, Kap. 3.4.12.4. Gesundheitsvorsorge: Strategische Allianzen für mehr Mathey, J., Rößler, S., Lehmann, I., Bräuer, A., Goldberg, V., Lebensqualität. In: BfN (Bundesamt für Naturschutz) Kurbjuhn, C., Westbeld, A. (2011): Noch wärmer, noch (Hrsg.): Naturschutz und Gesundheit: Eine Partnerschaft trockener? Stadtnatur und Freiraumstrukturen im Klima- für mehr Lebensqualität. Bonn-Bad Godesberg: BfN. Na- wandel. Abschlussbericht zum F+E-Vorhaben (FKZ 3508 turschutz und Biologische Vielfalt 23. 821 800). Bonn-Bad Godesberg: Bundesamt für Natur- schutz. Naturschutz und Biologische Vielfalt 111. Kasper, B. (2007): Mobilität älterer Menschen. In: Bracher, T., Haag, M., Holzapfel, H., Kiepe, F., Mayer, A., Kapser, M., Mosimann, T., Czerwinski, J., Lehmbrock, M., Reutter, U. (Hrsg.): Handbuch der kom- Emmenegger, L., Mohn, J., Ulrich, A., Kirchen, P. munalen Verkehrsplanung. Für die Praxis in Stadt und (2007): Nanopartikel-Emissionen von HDV Euro 4 und Region. Losebl.-Ausg., 49. Erg.-Lfg. Berlin, Offenbach: Euro 5 Dieselmotoren im Vergleich zu Euro 3 mit/ohne Wichmann, Kap. 3.2.6.2. Partikelfilter. Österreichische Ingenieur- und Architekten- Zeitschrift 152 (1–3), S. 90–96. KBA (Kraftfahrt-Bundesamt) (2011): Fahrerlaubnisse. Wieso hat das Kraftfahrt-Bundesamt Daten zu den Füh- Mercer (2011): Mercer 2010 Quality of Living survey rerscheinen? Flensburg: KBA. http://www.kba.de/ highlights – Global. New York, NY: Mercer. http:// cln_007/nn_125266/DE/Statistik/Kraftfahrer/Fahrerlaub www.mercer.com/qualityofliving (20.10.2011). nisse/fahrerlaubnisse__node.html?__nnn=true (09.11.2011). Monheim, R. (2002): Nutzung und Bewertung von Innen- städten. In: Bracher, T., Haag, M., Holzapfel, H., Kiepe, F., KRdL (Kommission Reinhaltung der Luft im VDI und Lehmbrock, M., Reutter, U. (Hrsg.): Handbuch der kom- DIN – Normenausschuss KRdL) (2003): Bewertung der munalen Verkehrsplanung. Für die Praxis in Stadt und gesundheitlichen Wirkungen von Stickstoffmonoxid und Region. Losebl.-Ausg., 32. Erg.-Lfg. Berlin, Offenbach: Stickstoffdioxid. Im Auftrag des Bundesministeriums für Wichmann, Kap. 2.1.3.1. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Düsseldorf: KRdL. Müller, B., Siedentop, S. (Hrsg.) (2003): Räumliche Kon- sequenzen des demographischen Wandels. Teil 1: Kurth, B.-M., Schaffrath Rosario, A. (2007): Die Verbrei- Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regio- tung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und nalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thürin- Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse des bundeswei- gen. Hannover: Akademie für Raumforschung und Lan- ten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS). desplanung. Arbeitspapier 303. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesund- Noll, H.-H. (2010): Lebensqualität und andere Konzepte heitsschutz 50 (5–6), S. 736–743. der Wohlfahrtsentwicklung. In: Göpel, E. (Hrsg.): Ge- Lambrecht, U., Helms, H., Kullmer, K., Knörr, W. sundheit gemeinsam gestalten. Bd. 4: Nachhaltige Ge- (2004): Entwicklung eines Modells zur Berechnung der sundheitsförderung. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag. Luftschadstoffemissionen und des Kraftstoffverbrauchs Oeltze, S., Wauer, S., Schwarzlose, I., Bracher, T., von Verbrennungsmotoren in mobilen Geräten und Ma- Eichmann, V. (2006): Szenarien der Mobilitätsentwick- schinen. Endbericht. Heidelberg: IFEU – Institut für lung unter Berücksichtigung von Siedlungsstrukturen bis Energie- und Umweltforschung Heidelberg. UFOPLAN 2050. Abschlussbericht. Magdeburg: TRAMP – Traffic 299 45 113. and Mobility Planning. FE-Nr. 070.757/2004 (FOPS). LANUV NRW (Landesamt für Natur Umwelt und Ver- Ohm, D., Fiedler, F., Ahrens, G.-A., Pitrone, A., Ließke, F., braucherschutz Nordrhein-Westfalen) (2009): Auswir- Pfotenhauer, E. (2006): Verkehr in schrumpfenden Städ- kungen der Umweltzone Köln auf die Luftqualität. Aus- ten. Abschlussbericht. Dresden, Berlin: Ingenieurbüro für wertung der Messdaten. Recklinghausen: LANUV NRW. Verkehrsanlagen und -systeme, Ingenieurbüro für Ver- kehrsanlagen und -systeme, S.T.E.R.N. GmbH. For- Lehmbrock, M. (1991): Möglichkeiten zur Beeinflussung schungsprogramm Stadtverkehr 73.321/2004. des Kfz-Verkehrs mit Stellplatzverordnungen und -sat- zungen. In: Bracher, T., Haag, M., H., H., Kiepe, F., Ott, R. (2008): Mobilitätsstrategie der Stadt Zürich – Dia- Lehmbrock, M., Reutter, U. (Hrsg.): Handbuch der Kom- logischer und schrittweiser Aufbau einer Mobilitätskultur munalen Verkehrsplanung. Für die Praxis in Stadt und mit dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung. In: Region. Losebl.-Ausg., 1. Erg.-Lfg. Berlin, Offenbach: Bracher, T., Haag, M., Holzapfel, H., Kiepe, F., Wichmann, Kap. 3.4.12.2. Lehmbrock, M., Reutter, U. (Hrsg.): Handbuch der Kom-

202 Literatur munalen Verkehrsplanung. Für die Praxis in Stadt und dellprojekte. Berlin: Senatsverwaltung für Stadtentwick- Region. Losebl.-Ausg., 50. Erg.-Lfg. Berlin, Offenbach: lung. Wichmann, Kap. 3.2.10.4 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (2011b): Ponel, T. (1999): Verkehrsvermeidung. Handlungskon- Stadtentwicklungsplan Verkehr. Stand: März 2011. Ber- zepte für eine integrierte Stadt- und Verkehrsentwick- lin: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. lungsplanung. Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik. Difu-Materialien 1/99. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (2007): Verkehrssicherheitsprogramm Berlin 2010: Berlin Sicher Rapp, M. (2007): Mobility Pricing. Kurzfassung Synthe- Mobil. Berlin: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. sebericht. Ittigen: Schweizerische Eidgenossenschaft. Bundesamt für Straßen. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin, Ministe- rium für Infrastruktur und Raumordnung Brandenburg Rau, A., Böer, H., Könighaus, D., Pickel, T., Bredenbröker, T., (2009): Gesamtverkehrsprognose 2025 für die Länder Degrell, C., Heilmann, M., Roll, A., Schanz, B., Wanger, Berlin und Brandenburg. Ergebnisse. Abschlussbericht. G., Wilms, A. (1997): Mobilitätsbehinderte Menschen im Berlin, Potsdam: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Verkehr. Forschungsergebnisse und Planungsempfehlun- Berlin, Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung gen. Kaiserslautern: Universität, Fachgebiet Verkehrswe- Brandenburg. sen. Sicks, K. (2011): Geschlechtssprezifische Unterschiede Rodt, S., Georgi, B., Huckestein, B., Mönch, L., des Verkehrshandelns. Theoretische Grundlagen, empiri- Herbener, R., Jahn, H., Koppe, K., Lindmaier, J. (2010): scher Forschungsstand und Forschungsbedarf. Dortmund: CO2-Emissionsminderung im Verkehr in Deutschland. Technische Universität, Fachgebiet Verkehrswesen und Mögliche Maßnahmen und ihre Minderungspotenziale. Verkehrsplanung. Arbeitspapiere des Fachgebiets Ver- Ein Sachstandsbericht des Umweltbundesamtes. Dessau- kehrswesen und Verkehrsplanung 22. Roßlau: Umweltbundesamt. UBA-Texte 05/10. http:// www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3773.pdf Spessert, B., Kühn, B., Leisker, C., Stiebritz, M. (2010): (01.09.2011). Vergleichende messtechnische Untersuchungen zum Ein- fluss einer nächtlichen Geschwindigkeitsbegrenzung von Roth, N. (2009): Wirkungen des Mobility Pricing. Darm- 50 km/h auf 30 km/h auf die Lärmimmissionen durch den stadt, Technische Universität, Institut für Verkehr, Disser- Straßenverkehr. Jena: Fachhochschule Jena, Fachbereich tation. Maschinenbau. Salomon, M., Schmid, E. (2011): Überschreitungen der SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen) (2008): Stickstoffdioxid-Grenzwerte in den Ballungsgebieten: Umweltgutachten 2008. Umweltschutz im Zeichen des mehr als nur eine technische Herausforderung. Immis- Klimawandels. Berlin: Erich Schmidt. sionsschutz 16 (1), S. 4–11. SRU (2005): Umwelt und Straßenverkehr. Hohe Mobili- Sassen, W. von (2009): Öffentliche Fahrradverleihsys- tät – Umweltverträglicher Verkehr. Sondergutachten. Ba- teme im Vergleich – Analyse, Bewertung und Entwick- den-Baden: Nomos. lungsperspektiven. Trier, Universität, Diplomarbeit. SRU (2004): Umweltgutachten 2004. Umweltpolitische Schreyer, C., Schneider, C., Maibach, M., Rothengatter, W., Handlungsfähigkeit sichern. Baden-Baden: Nomos. Doll, C., Schmedding, D. (2004): External Costs of Transport. Update Study. Final Report. Karlsruhe, Zürich: SRU (2002a): Für eine Stärkung und Neuorientierung des IWW Universität Karlsruhe, INFRAS. Naturschutzes. Sondergutachten. Stuttgart: Metzler- Poeschel. Schrode, A., Burger, A., Eckermann, F., Berg, H., Thiele, K. (2010): Umweltschädliche Subventionen in Deutschland. SRU (2002b): Umweltgutachten 2002. Für eine neue Vor- Aktualisierte Ausgabe 2010. Dessau-Roßlau: Umwelt- reiterrolle. Stuttgart: Metzler-Poeschel. bundesamt. SRU (2000): Umweltgutachten 2000. Schritte ins nächste Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbrau- Jahrtausend. Stuttgart: Metzler-Poeschel. cherschutz Berlin (2011): Ein Jahr Umweltzone Stufe 2 in Berlin. Berlin: Senatsverwaltung für Gesundheit Umwelt SRU (1998): Umweltgutachten 1998. Umweltschutz: Er- und Verbraucherschutz. reichtes sichern – Neue Wege gehen. Stuttgart: Metzler- Poeschel. Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbrau- cherschutz Berlin (2009): Ruhiger Leben in der Stadt Zürich (2011): Regionales Gesamtverkehrskonzept Großstadt. Lärmminderungsplanung für Berlin. Berlin: Stadt Zürich. Mobilität + Planung. Zürich: Tiefbauamt. Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbrau- cherschutz. Stadt Zürich (2005): Umsetzung der Mobilitätskultur – Das Wichtigste aus 18 Teilstrategien. Mobilitätsstrategie Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (2011a): der Stadt Zürich. Zürich: Arbeitsgruppe Mobilitätsstrate- Fußverkehrsstrategie für Berlin. Ziele, Maßnahmen, Mo- gie.

203 Mobilität und Lebensqualität in Ballungsräumen

Stadt Zürich (2001): Mobilitätsstrategie der Stadt Zürich. UBA (2010a): Auswertung der Luftbelastungssituation Schlussbericht der Stadt Zürich. Zürich: Stadt Zürich. 2009. Dessau-Roßlau: UBA. Statistisches Bundesamt (2011a): Preise auf einem Blick. UBA (2010b): Emissionen des Verkehrs. Dessau-Roßlau: Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. UBA. http://www.umweltbundesamt-daten-zur-umwelt. de/umweltdaten/public/theme.do?nodeIdent=3577 Statistisches Bundesamt (2011b): Tabellen: Straßenver- (09.11.2011). kehrsunfälle. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. http:// UBA (2010c): Ozon und Sommersmog. Dessau-Roßlau: www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Inter UBA. http://www.umweltbundesamt-daten-zur-umwelt. net/DE/Navigation/Statistiken/Verkehr/Verkehrsunfaelle/ de/umweltdaten/public/theme.do?nodeIdent=3591 Tabellen.psml. (09.11.2011). Statistisches Bundesamt (2011c): Unfallentwicklung auf UBA (2009a): Daten zum Verkehr. Ausgabe 2009. deutschen Strassen 2010 – Begleitmaterial zur Pressekon- Dessau-Roßlau: UBA. ferenz am 6. Juli 2011 in Berlin. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. UBA (2009b): Entwicklung der Luftqualität in Deutsch- land. Dessau-Roßlau: UBA. Statistisches Bundesamt (2009): Bevölkerung Deutsch- UBA (2008): Kurzinformation zum Thema „Umweltzo- lands bis 2060. 12. koordinierte Bevölkerungsvorausbe- nen in Deutschland“. Dessau-Roßlau: UBA. www.um rechnung. Annahmen und Ergebnisse. Wiesbaden: Statis- weltbundesamt.de/umweltzonen/umweltzonen.pdf tisches Bundesamt. (31.01.2012). Statistisches Bundesamt (2006): Bevölkerung Deutsch- VCD (Verkehrsclub Deutschland) (2006): Güterverkehr lands bis 2050. 11. koordinierte Bevölkerungsvorausrech- in der Stadt. Ein unterschätztes Problem. Berlin: VCD. nung. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. http://www.vcd.org/gueterinderstadt.html (31.08.2011). Stern, R. (2010): Immissionsseitige Bewertung von Emis- VCD (2001): Bus, Bahn und Pkw im Umweltvergleich. sionsminderungspotenzialen. In: UBA (Umweltbundes- Der ÖPNV im Wettbewerb. Bonn: VCD. amt) (Hrsg.): Tagungsband zum Fachgespräch „Strate- Werner, P., Zahner, R. (2009): Biologische Vielfalt und gien zur Verminderung der Feinstaubbelastung – Städte. Eine Übersicht und Bibliographie. Bonn: Bundes- PAREST“. Dessau-Roßlau: UBA. amt für Naturschutz. BfN-Skripten 245. Surburg, U., Kuntz, N., Richard, J. (2002): Kommunale Wichmann, H.-E. (2008): Schützen Umweltzonen unsere Agenda 21 – Ziele und Indikatoren einer nachhaltigen Gesundheit oder sind sie unwirksam? Umweltmedizin in Mobilität. Berlin: Erich Schmidt. Umweltbundesamt, Be- Forschung und Praxis 13 (1), S. 7–10. richte 08/02. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Ver- Theloke, J., Calaminus, B., Dünnebeil, F., Friedrich, R., kehr, Bau und Stadtentwicklung (2010): Sicherheit zuerst – Helms, H., Kuhn, A., Lambrecht, U., Nicklaß, D., Möglichkeiten zur Erhöhung der Straßenverkehrssicher- Pregger, T., Reis, S., Wenzel, S., Jörß, W., Handke, V. heit in Deutschland. Zeitschrift für Verkehrssicherheit (2007): Maßnahmen zur Einhaltung der Emissionshöchst- 56 (4), S. 171–194. mengen der NEC-Richtlinie. Teil 1: Maßnahmen zur wei- Wolfram, M., Albrecht, J., Wulfhorst, G., Horn, B., teren Verminderung der Emissionen an NO , SO und X 2 Krebser, S., Verron, H., Holz-Rau, C. (2010): Steuerung NMVOC in Deutschland. Teil 2: Referenzszenario 2000 bis einer nachhaltigen Verkehrsentwicklungsplanung in 2020 für Emissionen unter der NEC-Richtlinie (SO2, Deutschland. Dresden: Leibniz-Institut für ökologische NOX, NMVOC und NH3). Dessau-Roßlau: Umweltbun- Raumentwicklung. IÖR Texte 162. desamt. UBA-Texte 36/07. Wolfram, M., Bührmann, S., Rupprecht, S. (2009): Euro- UBA (Umweltbundesamt) (2012): Luftqualität 2011. päische Leitlinien zur nachhaltigen Stadtverkehrsplanung Vorläufige Auswertung. Dessau-Roßlau: UBA. (Sustainable Urban Transport Planning – SUTP). In: Bracher, T., Haag, M., Holzapfel, H., Kiepe, F., Lehm- UBA (2011a): Belastung der Bevölkerung durch Straßen- brock, M., Reutter, U. (Hrsg.): Handbuch der kommuna- verkehrslärm in den Ballungsräumen der 1. Stufe der len Verkehrsplanung. Für die Praxis in Stadt und Region. Umgebungslärmrichtlinie. Dessau-Roßlau: UBA. http:// Losebl.-Ausg., 55. Erg.-Lfg. Berlin, Offenbach: www.umweltbundesamt-daten-zur-umwelt.de/umweltda Wichmann, Kap. 3.1.3.3. ten/public/document/downloadImage.do?ident=21521 (09.11.2011). Wulfhorst, G., Wolfram, M. (2010): Lernen von Frank- reich? Die „Plans de Déplacement Urbains“ als Beispiel UBA (2011b): Verkehr. Fußgänger und Fahrradverkehr. inkrementeller Steuerung. In: Wolfram, M., Albrecht, J., Fahrradfahren ist ... schnell. Dessau-Roßlau: UBA. http:// Wulfhorst, G., Horn, B., Krebser, S., Verron, H., Holz- www.umweltbundesamt.de/verkehr/verkehrstraeg/fuss Rau, C. (Hrsg.): Steuerung einer nachhaltigen kommuna- rad/schnell.htm (02.03.11). len Verkehrsentwicklungsplanung in Deutschland. Dres-

204 Literatur den: Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung. Zinnecker, J. (2001): Stadtkids. Kinderleben zwischen IÖR Texte 162, S.–23–26. Straße und Schule. Weinheim, München: Juventa Verlag. Kindheiten 20. Zellner, R., Kuhlbusch, T. A. J., Diegmann, V., Herrmann, H., Kasper, M., Schmidt, K. G., Dott, W., Zumkeller, D., Vortisch, P., Kagerbauer, M., Chlond, B., Bruch, J. (2009): Feinstäube und Umweltzonen. Eine Wirtz, M. (2011): Deutsches Mobilitätspanel (MOP) – Stellungnahme von Fachleuten aus dem Arbeitsausschuss Wissenschaftliche Begleitung und erste Auswertungen. „Feinstäube“ von ProcessNet, KRdL und GDCh. Chemie Bericht 2011: Alltagsmobilität. Karlsruhe: Karlsruher In- Ingenieur Technik 81 (9), S. 1363–1367. stitut für Technologie.

205

Ökosystemleistungen aufwerten

207

Kapitel 6

Inhaltsverzeichnis Seite

6 Umweltgerechte Waldnutzung ...... 211

6.1 Was bedeutet nachhaltige Waldpolitik? ...... 211 6.2 Unterschiedliche Funktionen des Waldes ...... 211 6.2.1 Biodiversität und ökosystemare Leistungen von Wäldern ...... 213 6.2.2 Wildnisflächen im Wald ...... 215 6.2.3 Wald und Klima ...... 215 6.2.4 Forstwirtschaft ...... 218 6.2.5 Wälder als Standorte für Windkraftanlagen ...... 221 6.2.6 Zustand der Wälder und Funktionsgefährdungen ...... 221 6.2.6.1 Der Wald-Wild-Konflikt ...... 222 6.2.6.2 Konflikt: Waldumbau und Klimawandel ...... 223 6.3 Die Waldstrategie 2020: Ausgleich von Zieldivergenzen? ...... 225 6.4 Handlungsempfehlungen ...... 226 6.4.1 Ökologie als zukünftiges Fundament: Umsetzung der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt ...... 226 6.4.2 Einführung ökologischer Mindeststandards ...... 227 6.4.3 Honorierung ökologischer Leistungen ...... 229 6.4.4 Wildnisgebiete im Wald rechtlich sichern ...... 229 6.4.5 Zertifizierung der Holzproduktion weiter stärken ...... 230 6.4.6 Wald vor Wild: das Bundesjagdgesetz an gesellschaftliche Ziele anpassen und effektiv vollziehen ...... 230 6.4.7 Europäische Ebene ...... 231 6.4.8 Institutionelle Reform der ministeriellen Zusammenarbeit ...... 232 6.5 Zusammenfassung ...... 232 6.6 Literatur ...... 233

Abbildungen

Abbildung 6-1 Ansprüche an das Ökosystem Wald ...... 212 Abbildung 6-2 Anteil der Waldfläche in Deutschland nach Eigentums- art in % ...... 212 Abbildung 6-3 Holzverwendung in Deutschland in Mio. m3 ...... 219 Abbildung 6-4 Einschlag, Einfuhren und Ausfuhren von Holz und Produkten auf der Basis von Holz in Deutschland in Mio. m3 ...... 220

209 Umweltgerechte Waldnutzung

Seite

Abbildung 6-5 Flächenanteil der Baumarten mit deutlichen Nadel oder Blattverlusten der Baumkrone in % ...... 222 Abbildung 6-6 Anteil des durchschnittlichen Umtriebsalters am natür- lichen Lebensalter verschiedener Baumarten...... 224

Tabellen

Tabelle 6-1 Veränderungen von Waldökosystemen infolge des Klimawandels ...... 218 Tabelle 6-2 Anteil der Waldfläche in Deutschland nach Altersklassen 224

210 Unterschiedliche Funktionen des Waldes

6 Umweltgerechte Waldnutzung

343. Knapp ein Drittel der deutschen Landesfläche sondern kann nur auf der Basis von Qualitätskriterien für (etwa 111.000 km2) ist von Wald bedeckt. Damit ist die Wälder erfolgen (von EGAN-KRIEGER und OTT Deutschland eines der waldreichsten Länder der EU und 2007). die Forstwirtschaft ist nach der Landwirtschaft die flä- chenmäßig bedeutendste Form der Landnutzung. Die Ministerkonferenz zum Schutz der Wälder in Europa (FOREST EUROPE) hat eine nachhaltige Waldbewirt- schaftung definiert als die „Betreuung und Nutzung von 6.1 Was bedeutet nachhaltige Waldpolitik? Wäldern und Waldflächen auf eine Weise und in einem 344. Zwar stammt der Begriff „Nachhaltigkeit“ ur- Ausmaß, welche deren biologische Vielfalt, Produktivi- sprünglich aus der Forstwirtschaft, doch lässt sich heute tät, Verjüngungsfähigkeit und Vitalität erhält sowie deren nicht mehr einfach definieren, was unter einer „nachhalti- Potenzial, jetzt und in der Zukunft die entsprechenden gen Waldpolitik“ zu verstehen ist. Dies liegt vor allem da- ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Funktionen ran, dass sehr unterschiedliche Erwartungen bestehen, auf lokaler, nationaler und globaler Ebene zu erfüllen, welche Funktionen der Wald erfüllen soll (HÖLTER- ohne anderen Ökosystemen Schaden zuzufügen“ (FO- MANN und OESTEN 2001; Abb. 6-1). Der Wald soll un- REST EUROPE 1993, Punkt D). FOREST EUROPE ter anderem: (1998, eig. Übersetzung, vgl. Forstwirtschaftsrat) hat sechs wegweisende Kriterien für eine nachhaltige Wald- – der Erhaltung der biologischen Vielfalt dienen, bewirtschaftung benannt: – als Kohlenstoffsenke und -speicher den Anpassungs- – Erhaltung und angemessene Verbesserung der forstli- bedarf an den Klimawandel reduzieren und dessen Mi- chen Ressourcen und ihres Beitrages zu globalen Koh- tigation (Abmilderung) unterstützen, lenstoffkreisläufen, – für die Holzindustrie und die Strom- und Wärmeer- zeugung im Bereich erneuerbare Energien Rohstoffe – Erhaltung der Gesundheit und Vitalität von Waldöko- liefern und Arbeitsplätze sichern, systemen, – Lebensraum für das jagdbare Wild bieten sowie – Erhaltung und Förderung der Produktionsfunktion der Wälder (Holz und Nichtholz), – als Kulturgut („der deutsche Wald“) Identifikation stiften und dem Tourismus dienen. – Erhaltung, Schutz und angemessene Verbesserung der biologischen Vielfalt in Waldökosystemen, Diese Funktionsvielfalt ist aber durch die wachsende kom- merzielle Holznutzung gefährdet, die in Deutschland zu- – Erhaltung, Schutz und angemessene Verbesserung der nehmend an die Grenzen der Nachhaltigkeit stößt (PANEK Schutzfunktionen bei der Waldbewirtschaftung (vor 2009). Denn mittlerweile wird fast so viel Holz geerntet, allem Boden und Wasser), wie im gleichen Zeitraum nachwächst (vgl. Tz. 385). Die – Erhaltung sonstiger sozio-ökonomischer Funktionen Inventurstudie 2008 des Johann Heinrich von Thünen-In- und Bedingungen. stituts (vTI) und des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) zeigte, dass der Holzvorrat (in Festmeter (Fm) Derbholz pro 6.2 Unterschiedliche Funktionen des Waldes Fläche) in den untersuchten sieben Jahren zwar um 2 % 346. Der Waldbesitz in Deutschland ist breit gestreut. (8 m³/ha) angestiegen ist, aber im Mittel auch 93 % des Zu- Über die Hälfte der Wälder in Deutschland sind in öffent- wachses abgeschöpft wurden (OEHMICHEN et al. 2011). licher Hand. Der Staat besitzt circa 33 % der Waldfläche, Dabei soll nach Auffassung der verschiedenen Akteure in wobei nur ein geringer Anteil dem Bund gehört, die Kom- Naturschutz, Klimaschutz und -anpassung sowie der Wirt- munen und Körperschaften des öffentlichen Rechts besit- schaft der Wald für unterschiedliche, konkurrierende Ziele zen circa 20 % (Abb. 6-2). Der Privatwald macht fast die genutzt werden (Abb. 6-1). Umweltpolitisch sind die Er- Hälfte (ca. 48.000 km2) der Waldfläche aus, mit – ge- haltung der öffentlichen Güter Biodiversität sowie Klima- schichtlich bedingten – erheblichen regionalen Unter- schutz und -anpassung prioritär (vgl. Abschn. 6.2.1 bis schieden. Privatwald kommt schwerpunktmäßig in Bayern 6.2.3). Auch wirtschaftliche Ziele der Waldpolitik müssen sowie in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schles- daher zukünftig mit der Einhaltung ökologischer Mindest- wig-Holstein vor. Je nach der Besitzform ist der deutsche standards verbunden sein. Der faire Interessenausgleich ist somit eine zentrale Herausforderung der Waldpolitik. Wald in unterschiedlich gutem Zustand. Bei der zweiten Bundeswaldinventur (2001 bis 2002), die stichprobenhaft in ganz Deutschland die großräumigen Waldverhältnisse 345. Eine nachhaltige Nutzung erfordert nicht nur quan- und forstlichen Produktionsmöglichkeiten erfasst hat, titative Begrenzungen der Holznutzung und -produktion, schnitten Privatwälder aus Umweltsicht insgesamt

211 Umweltgerechte Waldnutzung

Abbildung 6-1

Ansprüche an das Ökosystem Wald

Stoffliche Holznutzung

Biologische Vielfalt / Erneuerbare Lebensraum Energien Biomasse, Windenergie

Bildung und Klimaregulierung & Wissenschaft -anpassung

Ökosystem Wald Schutz des Schutz und Menschen vor Reinhaltung Naturgefahren von Luft, Wasser, Boden

Erholung & Tourismus

SRU/UG 2012/Abb. 6-1

Abbildung 6-2

Anteil der Waldfläche in Deutschland nach Eigentumsart in %

3,7% 3,7%

Staatswald (Bund) 29,6%

Staatswald (Land)

Körperschaftswald

Privatwald 43,6% Treuhandwald

19,5%

Quelle: BMELV 2004

212 Unterschiedliche Funktionen des Waldes schlechter ab als Staats- und Körperschaftswälder, da sie Ein geringer Totholzanteil ist ein wesentlicher Gefähr- weniger naturnah waren (BMELV 2004). dungsfaktor für viele im Wald vorkommende Arten (MÜLLER et al. 2007). 6.2.1 Biodiversität und ökosystemare 349. Deutschland trägt in Europa eine besondere Ver- Leistungen von Wäldern antwortung für die Erhaltung der Laubwälder und insbe- Biodiversität sondere der Buchenwälder, denn es hat mit 26 % einen wesentlichen Anteil am Gesamtareal der Rotbuchenwäl- 347. Neben ihrer Funktion als Rohstofflieferant – nicht der und liegt in dessen Zentrum (BOHN und GOLLUP nur für den Bausektor, sondern zunehmend auch zur Ener- 2007). Dieser besondere Status wurde kürzlich durch die giegewinnung – erbringen Wälder vielfältige weitere öko- Aufnahme von fünf deutschen Buchenwaldgebieten in systemare Leistungen (vgl. Tz. 354 f.). So beherbergen sie die Liste des UNESCO-Weltnaturerbes unterstrichen als relativ naturnahe Biotope eine sehr hohe Biodiversität (Pressemitteilung BMU Nr. 134/10 vom 8. September und sind damit von besonderer naturschutzfachlicher Re- 2010). Buchenwälder sind nur noch auf 4,4 % der Lan- levanz. Dabei gelten nach IUCN-Kriterien (IUCN – Inter- desfläche bzw. 14,1 % der heutigen Waldfläche zu finden. national Union for Conservation of Nature) in den Wäl- Die Gesamtfläche ungenutzter Buchenwälder in Schutz- dern Deutschlands 7 Baumarten, 14 Vogelarten, 205 gebieten beträgt nur 0,1 % der Fläche Deutschlands bzw. Pflanzenarten und 1.284 Pilzarten als bedroht (Stand: 0,5 % der heutigen Waldfläche Deutschlands (BfN 2008). 2010; FOREST EUROPE et al. 2011). Gefährdungsfakto- 350. Die nationale Strategie zur biologischen Vielfalt ren sind vor allem die forstliche (Intensiv-)Nutzung und (BMU 2007), die das Übereinkommen über die biologi- Schadstoffeinträge aus der Luft und aus angrenzenden sche Vielfalt und die europäische Biodiversitätsstrategie Nutzflächen (RIECKEN et al. 2010). Aktuell stehen 65 % umsetzt, enthält für den Lebensraum Wald eine Vielzahl der deutschen Waldfläche unter einem formalen Schutz. von Zielen (vgl. Kasten). Sie wurden im Jahr 2007 mit al- Das schließt alle Schutzgebietskategorien inklusive Land- len Ministerien abgestimmt und vom Bundeskabinett be- schaftsschutzgebiete und Naturparks ein, wobei fast alle schlossen. Wälder – mehr oder weniger intensiv – forstwirtschaftlich genutzt werden. Mit 51 % bzw. 8.000 km2 bilden Wälder einschließlich all ihrer Entwicklungs- und Nutzungsfor- Ziele der nationalen Strategie zur biologischen men den Hauptanteil an der Fläche der geschützten Le- Vielfalt für den Lebensraum Wald bensraumtypen in allen FFH-Gebieten (FFH – Fauna- (BMU 2007) Flora-Habitat) (BfN und BMU 2010, S. 38), die insgesamt Qualitätsziele: 15 % der deutschen Landfläche ausmachen. Der Großteil der FFH-Lebensraumtypen „Wälder und Gebüsche“ be- – Bis zum Jahr 2020 haben sich die Bedingungen für findet sich jedoch in einem ungünstigen (schlechten oder die in Wäldern typischen Lebensgemeinschaften unzureichenden) Erhaltungszustand (ELLWANGER et al. (Vielfalt in Struktur und Dynamik) weiter verbessert. 2011). Lediglich in der alpinen Region wird der Erhal- – Bäume und Sträucher der natürlichen Waldgesell- tungszustand aller Lebensraumtypen als günstig einge- schaft verjüngen sich ganz überwiegend natürlich. stuft. Die meisten Natura 2000-Gebiete sowie auch Natio- – Mit naturnahen Bewirtschaftungsformen werden die nalparke, Naturschutzgebiete und Wasserschutzgebiete natürlichen Prozesse zur Stärkung der ökologischen liegen im Staatswald (VOLZ 2011). Funktionen genutzt. 348. Der in der nationalen Strategie für nachhaltige Ent- – Alt- und Totholz sind in ausreichender Menge und wicklung „Perspektiven für Deutschland“ (Bundesregie- Qualität vorhanden. rung 2004) festgelegte Indikator „Artenvielfalt und Land- schaftsqualität“ basiert auf der Entwicklung der Bestände – 2020 beträgt der Flächenanteil der Wälder mit natür- von 59 Vogelarten und umfasst verschiedene Teilindika- licher Waldentwicklung 5 % der Waldfläche und toren für unterschiedliche Lebensräume. Er liegt als Ge- – wegen der Vorbildfunktion des Staates – auf der samtindikator mit 67 % Zielerreichung im Jahr 2009 Waldfläche der öffentlichen Hand 10 %. deutlich unter dem für 2015 formulierten Wert von 100 % – Bei der Neubegründung von Wäldern werden ver- und auch hinter dem Wert von 77 % im Jahr 1990. Auch mehrt standortheimische Baumarten verwendet. der Teilindikator für die Wälder zeigt im Jahr 2009 mit 70 % Zielerreichung und einer Abnahme um 11 % im – Der Anteil nicht standortheimischer Baumarten re- Vergleich zum Vorjahr eine negative Entwicklung (Statis- duziert sich kontinuierlich. tisches Bundesamt 2011b). Für das Vorkommen von – Historische Waldnutzungsformen wie Mittel-, Nie- Brutvogelarten in Wäldern sind das Alter des Baumbe- der- und Hutewald mit ihrem hohen Naturschutz- standes und das damit verbundene Höhlenangebot wich- oder Erholungspotenzial werden weitergeführt und tige Faktoren (MÜLLER et al. 2007; SUDFELDT et al. nach Möglichkeit ausgebaut. 2009), mit kritischen Schwellenwerten bei 138 bis 145 Jahren sowie acht Kleinhöhlen pro Hektar. Zwischen Handlungsziele: Totholzmenge und dem Auftreten von holzbewohnenden Käfern, Landmollusken, Holzpilzen und Brutvögeln be- – Erhaltung großräumiger, unzerschnittener Waldge- steht ein enger, positiver statistischer Zusammenhang. biete,

213 Umweltgerechte Waldnutzung

ren, dem Gemeinwohl zu dienen (WINKEL et al. 2005, – Erhaltung und Entwicklung der natürlichen und na- turnahen Waldgesellschaften, S. 309 ff.; BENZ et al. 2008). Auch der Bund Deutscher Forstleute stellt fest, dass mit den neuen Rechtsformen – besonderer Schutz alter Waldstandorte und Erhal- betriebswirtschaftliche Ziele in den Vordergrund gerückt tung sowie möglichst Vermehrung der Waldflächen sowie das Gemeinwohl unter den Finanzierungsvorbehalt mit traditionellen naturschutzfachlich bedeutsamen der Parlamente gestellt und zunehmend abgebaut wurde. Nutzungsformen bis 2020, Zum Beispiel wurden bereits ausgewiesene Nullnut- – Förderung des Vertragsnaturschutzes im Privatwald zungsflächen teilweise wieder in Bewirtschaftung ge- auf 10 % der Fläche, nommen (JACOBS 2011). – Entwicklung einer Strategie von Bund und Ländern 353. Für den Lebensraum Wald fordert die nationale zur vorbildlichen Berücksichtigung der Biodiversi- Strategie zur biologischen Vielfalt, dass bis 2020 der Flä- tätsbelange für alle Wälder im Besitz der öffentli- chenanteil der Wälder „mit natürlicher Waldentwicklung“ chen Hand bis 2010 und ihre Umsetzung bis 2020, 5 % der Waldfläche und – wegen der Vorbildfunktion des Staates – auf der Waldfläche der öffentlichen Hand 10 % – klarere Fassung der Grundsätze einer nachhaltigen beträgt. „Natürlich“ wird in der Strategie als „vom Men- Waldbewirtschaftung im Gesetz bis 2010, schen unverändert, in ursprünglichem Zustand, der Natur – Zertifizierung von 80 % der Waldfläche nach hoch- zugehörig, durch die Natur bedingt“ definiert. Die Anga- wertigen ökologischen Standards bis 2010, ben über den derzeitigen Anteil nutzungsfreier Wälder weichen erheblich voneinander ab und liegen zwischen – ausgeglichenes Verhältnis zwischen Waldverjüngung 665 km2 und 1.570 km2 (bzw. 0,6 % bis 1,4 %) (MEYER und Wildbesatz bis 2020, et al. 2011). Der Anteil nicht bewirtschafteter Buchen- – Anpassung der Wälder an die Herausforderungen wälder an der Waldfläche beträgt circa 0,5 % (BfN 2008). des Klimawandels zum Beispiel durch Anbau mög- In der Waldstrategie 2020 wird dagegen geschätzt, dass lichst vielfältiger Mischbestände, bereits 2 % der Waldfläche „vollständig aus der Nutzung genommen“ sind (Deutscher Bundestag 2011c, S. 9). Ge- – weiterhin keine Verwendung gentechnisch veränder- nauere Angaben werden derzeit in einem Forschungsvor- ter Organismen oder deren vermehrungsfähige Teile, haben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz die für Waldökosysteme eine Gefahr erwarten lassen, und Reaktorsicherheit (BMU) erarbeitet. wobei den besonderen Bedingungen der Waldöko- systeme Rechnung zu tragen ist. Nach Aufgabe der forstlichen Nutzung erfolgt in Wäldern mit natürlicher Waldentwicklung meistens eine Zunahme der Bestockungsdichte. Für Buchenwälder konnte mit ab- Bisherige Umsetzung der Biodiversitätsstrategie nehmender Nutzungsintensität eine Erhöhung der Struk- 351. Die Umsetzung der in der nationalen Strategie zur tur- und Habitatvielfalt festgestellt werden. Außerdem biologischen Vielfalt formulierten Ziele für den Lebens- nimmt der Totholzanteil zu (MEYER et al. 2011). Die raum Wald (s. Kasten) erfolgt bislang nur sehr langsam. Siedlungsdichte von Brutvögeln liegt in nicht bewirt- Einige der für 2010 festgeschriebenen Ergebnisse, wie schafteten Buchenwäldern in Nordrhein-Westfalen bei die 121 Paaren pro 100 ha im Vergleich zu 71 Brutvogelpaa- ren in bewirtschafteten (WOIKE 2011). – klarere Fassung der Grundsätze einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung im Gesetz, Ökosystemleistungen – qualifizierte Zertifizierung von 80 % der Waldfläche 354. Über ihre Bedeutung für die biologische Vielfalt hi- und naus dienen Wälder als Speicher und Senke von Kohlen- – Entwicklung einer Strategie von Bund und Ländern stoff, dem Schutz und der Reinhaltung von Luft, Wasser zur vorbildlichen Berücksichtigung der Biodiversitäts- und Boden, als Schutzwald für den Lebensraum des Men- belange für alle Wälder im Besitz der öffentlichen schen vor Naturgefahren (Lawinen-, Erosions- und Über- Hand, flutungsschutz), der Jagd und schaffen positive Beschäfti- gungseffekte in und auch außerhalb der Forstwirtschaft, sind nicht erreicht worden. wie in den Bereichen Tourismus und Schutzgebietsma- 352. Die nationale Biodiversitätsstrategie fordert, dass nagement. Immer wichtiger werden auch Erholung der Staat für Einrichtungen der öffentlichen Hand seine (Stressreduktion, körperliche Bewegung; SCHRAML Vorbildfunktion in Bezug auf die Erhaltung und nachhal- 2009) und Umweltbildung. Beispielsweise ist die Anzahl tige Nutzung der biologischen Vielfalt wahrnimmt (BMU der Waldkindergärten in Deutschland seit der Gründung 2007, Kap. B 2.2). Dies wird jedoch durch den gegenwär- der ersten Einrichtung 1993 auf 450 im Jahr 2005 gestie- tigen Trend der Länder zu einer betrieblichen Umgestal- gen (ANU 2005, S. 37). Unter die häufigsten spontanen tung der landeseigenen Forstbetriebe mit der Zielsetzung Assoziationen zum Begriff „Natur“ fällt der „Wald“ neben „Erwerbswirtschaft“ behindert. Durch die Ausgliederung dem Begriff „Wiese“ (KLEINHÜCKELKOTTEN und in landeseigene Forstbetriebe werden diese angehalten, NEITZKE 2010). „Wald“ dominiert dabei in allen sozio- Gewinne zu generieren und den Betrieb am Holzmarkt demografischen Segmenten und der Anteil der Nennung auszurichten, statt den Forstbetrieb mit dem Ziel zu füh- hat nur wenig mit Geschlecht, Alter und Bildungsstand zu

214 Unterschiedliche Funktionen des Waldes tun. All diese vielfältigen Leistungen können langfristig – die Sicherung und Verbesserung der Biodiversität der jedoch nur stabile, intakte und an die lokalen Bedingungen Wälder (gem. Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/ gut angepasste Ökosysteme erbringen. EWG (FFH-Richtlinie)), – die Vernetzung der Prozessschutzflächen, 6.2.2 Wildnisflächen im Wald – das Erleben von Wildnis bzw. die Konzentration von 355. Die Einrichtung von Wildnisgebieten, in denen Ent- Umweltbildungsaktivitäten, wicklungsprozesse natürlich und ungestört ablaufen kön- nen, ist ein wichtiges Instrument zum Schutz der biologi- – die Vorbildfunktion der landeseigenen Flächen zur schen Vielfalt, das auch in der Biodiversitätsstrategie freiwilligen Erweiterung im Nichtstaatswald, verankert wurde. Um die natürlichen Prozesse der Lebens- – die Annäherung an die in der nationalen Biodiversi- raumdynamik wieder zu aktivieren und Rückzugsgebiete tätsstrategie geforderte natürliche Waldentwicklung. sowie Biotopverbunde für gefährdete und wandernde Ar- ten zu schaffen, muss ein bestimmter Flächenanteil Das Konzept umfasst circa 1 % der Gesamtwaldfläche Deutschlands von menschlicher Einflussnahme freigehal- und 9 % der Staatswaldfläche Nordrhein-Westfalens. Die ten werden. Bis zum Jahr 2020 soll sich „die Natur auf Kosten für die Umsetzung werden reduziert durch die mindestens 2 % der Landesfläche Deutschlands (entspre- gleichzeitige Nutzung der Wildnisflächen als Referenz- chend etwa 7.600 km2) wieder nach ihren eigenen Gesetz- flächen bei FSC-Zertifizierungen (vgl. Tz. 366) und die mäßigkeiten entwickeln“ können (BMU 2007, Kap. 1.3.1). Tatsache, dass die Nutzung schon vorher auf Teilflächen Diese Gebiete umfassen zurzeit höchstens 0,5 % der Flä- per Schutzstatus eingeschränkt war. che Deutschlands und sind im Wesentlichen auf die Kern- zonen der Nationalparke und Biosphärenreservate, Natur- Psychologische und emotionale waldzellen und Flächen des nationalen Naturerbes Funktionen von Wildnis beschränkt (NIEBRÜGGE und WILCZEK 2011). 358. Neben ihrer naturwissenschaftlichen Funktion Eine einheitliche Definition des Begriffs Wildnis besteht – dem Erforschen von ökologischen Prozessen – haben bislang nicht. Auf internationaler Ebene bezeichnet Wild- Wildnisgebiete auch eine starke emotionale Komponente. nis nach der Definition der IUCN (Kategorie Ib) ein „aus- Sie sind Rückzugsräume, in denen Werte wie Stille, Un- gedehntes ursprüngliches oder leicht verändertes Gebiet, erschlossenheit und Einsamkeit erfahren werden können das seinen natürlichen Charakter bewahrt hat, in dem (TROMMER o. J.). Wildnis ist jedoch kein starrer Be- keine ständigen oder bedeutenden menschlichen Siedlun- griff, sondern es existieren viele unterschiedliche Ideen, gen existieren und dessen Schutz und Management dazu Definitionen und subjektive Wahrnehmungen, die sich dienen, seinen natürlichen Zustand zu erhalten“ (IUCN auch aus dem individuellen kulturellen Kontext des Ein- 2011). Die von der Europäischen Kommission im Jahr zelnen ergeben (HOHEISEL et al. 2010). So unterschei- 2009 durchgeführte Konferenz über Wildnisgebiete in det sich der amerikanische „wilderness“-Gedanke von Europa befürwortet die IUCN-Definition. Sie fordert in dem Wildnisverständnis im dicht besiedelten und seit lan- der Prager Erklärung, den Wildnisgedanken zu unterstüt- ger Zeit von Kulturlandschaften geprägten Mitteleuropa. zen und die Einrichtung von Wildnisgebieten in den Mit- Natürliche, dynamische Prozesse, die ungestört ablaufen, gliedstaaten zu fördern, vor allem in Natura 2000-Gebie- sind durch ihre Unvorhersagbarkeit und Ergebnisoffen- ten (COLEMAN und AYKROYD 2009, S. 9–11). Bisher heit gekennzeichnet und bilden damit eine Gegenposition existieren aber keine EU-weiten, verbindlichen Vorgaben. zur Zivilisation. Die „Natürlichkeit“ ist dabei ein wesent- 356. Oft wird Wildnis da zugelassen, wo eine Nutzung liches Merkmal von Wildnis, das jedoch aus unterschied- wenig rentabel ist, bzw. in den Kernzonen zum Beispiel lichen Perspektiven (historisch, aktualistisch) betrachtet der Nationalparke und Biosphärenreservate, die nicht werden kann (OLISCHLÄGER und KOWARIK 2011). wirtschaftlich genutzt werden und an denen Wälder einen erheblichen Anteil haben. Darüber hinaus ist in Forest 6.2.3 Wald und Klima Stewardship Council (FSC) zertifizierten Wäldern das Schaffen sogenannter Referenzflächen, also von Flächen Wälder als Speicher und Senke von Kohlenstoff mit natürlicher Entwicklung, vorgeschrieben (vgl. Tz. 366). Sie sollen im Bundes- und Landeswald und im 359. Zusätzlich zu lokalen und regionalen Klimawirkun- Körperschaftswald ab 10 km2 mindestens 5 % der Forst- gen (Frischluftentstehung, Wasserspeicherung) haben betriebsfläche umfassen. Von den forstlichen Verbänden Wälder auch einen bedeutenden Einfluss auf das Welt- und Institutionen werden Wildnisflächen im Wald als klima. Sie spielen – zusammen mit Mooren (vgl. Kap. 7) – „Flächenstilllegungen“ bezeichnet und überwiegend kri- die wichtigste Rolle bei der Kohlenstoffspeicherung unter tisch gesehen (DFWR 2011). den Landökosystemen (FREIBAUER et al. 2009; PAN et al. 2011). Wälder sequestrieren Kohlenstoff (C) in ober- 357. Ein gutes Beispiel für die Umsetzung des Wildnis- und unterirdischer Biomasse, Totholz, Streu und im Bo- ziels ist das auf landeseinheitlichen Kriterien beruhende den. Unter bestimmten Bedingungen können Wälder auch Wildnisgebietskonzept für die Waldflächen des Landes in zu Quellen von atmosphärischem Kohlendioxid (CO2) Nordrhein-Westfalen, mit dem folgende Ziele erreicht werden: Bei Störungen, zum Beispiel durch Nutzung oder werden sollen (WOIKE 2011): Kalamitäten (durch Schädlinge, Hagel, Sturm o. Ä. her-

215 Umweltgerechte Waldnutzung vorgerufene schwere Schäden der Pflanzenkulturen), kann Wald nicht genutzt wird. Das trifft jedoch in aller Regel sowohl in der Biomasse als auch im Boden gespeicherter nicht zu, da der Holzvorrat pro Fläche und damit der ge- Kohlenstoff, aber auch Lachgas (N2O) (FRITZ 2006, speicherte Kohlenstoff noch mehrere Jahrhunderte lang S. 184 ff.), freigesetzt werden. ansteigen, wenn Wirtschaftswälder nicht mehr forstlich genutzt werden (LUYSSAERT et al. 2008). Ferner ist zu Wälder haben einen Anteil von etwa 85 % an den Bio- berücksichtigen, dass die Menge des substituierten fossi- masse- und etwa 33 % an den Kohlenstoffvorräten in den len Kohlenstoffs häufig unterhalb der Menge des einge- Landökosystemen Deutschlands (FREIBAUER et al. setzten biogenen Kohlenstoffs liegt. Hierfür verantwort- 2009). In der Biomasse von Waldbäumen waren im Jahr lich ist die meist geringere Ausbeute nutzbarer Energie je 2008 in Deutschland circa 1,3 Mrd. t C gespeichert (114 t/ha), Einheit Kohlenstoff bei der energetischen Nutzung von davon entfallen 81 % auf den oberirdischen Teil und 19 % Holz (EEA 2011). auf die Wurzeln. Die Menge des im Totholz ab 10 cm Durchmesser gespeicherten Kohlenstoffs betrug 2008 Bei Berücksichtigung möglicher Auswirkungen auf die circa 3,3 t C/ha (insges. 35 Mio. t C) (DUNGER et al. Leistungsfähigkeit des Kohlenstoffspeichers Wald kann 2009; OEHMICHEN et al. 2011). Der Totholzvorrat lag die energetische Nutzung von Holz kurz- bis mittelfristig insgesamt bei 23,7 m³/ha (ab 10 cm Durchmesser; sogar zur Erhöhung der atmosphärischen Kohlenstoffkon- OEHMICHEN et al. 2011), wovon etwa ein Fünftel ste- zentrationen beitragen. Dies ist insbesondere dann der hendes Totholz war, ein Fünftel auf Wurzelstöcke entfiel Fall, wenn durch die Holznutzung das Wachstum der Wäl- und der Rest liegendes Totholz war. Im Rahmen der zwei- der und damit die Neufestsetzung von Kohlenstoff in der ten Bundeswaldinventur im Jahr 2002 wurde Totholz erst Biomasse zumindest temporär sinkt. Die Berücksichti- ab einem Durchmesser von 20 cm erfasst und der Totholz- gung solcher Effekte in einer integrierten Betrachtung vorrat lag deshalb nur bei 11,5 m3/ha (BMELV 2004). Für vermindert das Treibhausgas(THG)-Einsparpotenzial der europäische, nicht bewirtschaftete Buchenwaldreservate energetischen Holznutzung signifikant, sodass eine Netto- wird dagegen ein durchschnittlicher Totholzvorrat von THG-Minderung gegenüber der Nutzung fossiler Brenn- 130 m3/ha angegeben (ENDRES und FÖRSTER 2010). stoffe gegebenenfalls erst mit mehreren Jahrzehnten Ver- Die Bilanz zwischen 2002 und 2008 zeigt für diesen Zeit- zögerung („time-lag“) erreicht wird (McKECHNIE et al. raum eine Gesamtsenkenwirkung der Biomasse der 2011). Ferner können durch Eingriffe zur wirtschaftlichen Bäume von etwa 4,8 Mio. t C/a (OEHMICHEN et al. Nutzung der Wälder, vor allem bei der Holzernte durch 2011, S. 2). Noch bedeutendere und langfristigere Koh- Kahlschlag, deutlich erhöhte THG-Emissionen aus dem lenstoffspeicher als die Biomasse selbst sind Humusauf- Waldboden (heterotrophe Respiration) resultieren (FRITZ lage und Mineralböden (FRITZ 2006), insbesondere in al- 2006), welche bei der Bilanzierung der Holznutzung häu- ten Wäldern (ZHOU et al. 2006). Sie werden bei der fig unberücksichtigt bleiben. Entscheidend für die Klima- Bilanzierung bisher allerdings häufig nicht berücksichtigt bilanz der energetischen Holznutzung ist somit die Verän- (NABU 2010; HEUER 2011). derung der Sequestrierungsfähigkeit des gesamten Ökosystems Wald, das heißt die laufende Netto-Entnahme 360. Einen wesentlichen Einfluss auf die Speicherfunk- von Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Letztlich ist die tion von Wäldern hat deren Nutzung (IPCC 2000). Häu- Netto-Kohlenstoffsequestrierung bei wirtschaftlicher fig wird argumentiert, dass die energetische Nutzung von Nutzung und Nutzungsverzicht maßgeblich von der kon- Holz „klimaneutral“ sei, da nur CO2 freigesetzt wird, wel- kreten Waldfläche, dem Baumbestand, der Nutzungsform ches die Bäume während ihres Wachstums der Atmo- sowie dem betrachteten Zeithorizont abhängig (IPCC sphäre entzogen haben (Vattenfall Europe 2012). Diese 2000, Tz. 31). Zudem ist die Klimabilanzierung der Bio- Annahme einer „sofortigen Kohlenstoffneutralität“ kann energienutzung mit hohen Unsicherheiten verbunden jedoch zu fehlerhaften Rückschlüssen führen (EEA (CREUTZIG et al. 2012). 2011). Die Nutzung von Bioenergie hat zwar zur Folge, Bei Erfassung aller hinsichtlich des Kohlenstoffkreislaufs dass mehr Kohlenstoff unterirdisch in fossilen Lagerstät- relevanten Faktoren kann die (energetische) Nutzung von ten verbleibt, gleichzeitig werden jedoch die Kohlenstoff- Holz zum Klimaschutz beitragen. Zur Optimierung des vorräte in Biomasse und Böden des Waldes reduziert. Klimaschutzbeitrags der Forstwirtschaft sind daher grund- Selbst wenn der Holzvorrat über die Zeit auf der Fläche sätzlich sämtliche Komponenten des Kohlenstoffkreis- konstant gehalten wird, muss für eine vollständige Bilan- laufs zu beachten. Das globale Einsparpotenzial bei zierung die Speicherleistung, die ohne Nutzung erbracht Nutzung von Biomasse aus Wäldern wird vom In- würde, mit berücksichtigt werden (EEA 2011). Die Redu- tergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) auf zierung der CO2-Emissionen ergibt sich damit aus der 400 Mt CO2/a geschätzt (CHUM et al. 2012, S. 220). Da- Differenz von vermiedenen fossilen Kohlenstoffemissio- bei wird in die Berechnungen auch die Nutzung von Wald- nen und dem durch die Holznutzung unterbliebenen Auf- pflegeholz und Kurzumtriebsplantagen (KUP) sowie Alt- bau von Kohlenstoffspeichern im Wald (ebd.). Wird nur holz einbezogen (ebd., Kap. 2.2.2.3, 2.2.2.4; Tz. 364). die Substitution fossiler Energieträger verbucht, nicht aber die Verluste an sequestriertem Kohlenstoff, entsteht Berechnungen des Kohlenstoff-Fußabdrucks ein „Rechenfehler“. Soll Holz wirklich klimaneutral ener- von Holzprodukten getisch genutzt werden, so müsste die Menge des im Wald gespeicherten Kohlenstoffs bei Bewirtschaftung 361. Unter dem Kyoto-Protokoll kann derzeit der in identisch mit der Menge sein, die gebunden ist, wenn der Holzprodukten gespeicherte Kohlenstoff nicht auf Emis-

216 Unterschiedliche Funktionen des Waldes sionsminderungsziele angerechnet werden. Ob dies in ten, dass bei der THG-Bilanzierung Doppelzählungen Zukunft möglich sein sollte und gegebenenfalls unter wel- vermieden werden, die die wirtschaftliche Holznutzung chen Bedingungen, ist zurzeit Gegenstand von internatio- attraktiver gegenüber dem weiteren Aufbau der natürli- nalen Verhandlungen über ein Klimaschutzabkommen für chen Kohlenstoffspeicher im Wald erscheinen lassen. die Zeit nach 2012 (Deutscher Bundestag 2008). Die durchschnittliche „Lebensdauer“ der verschiedenen Holz- Grundsätzlich ist die Vermischung von fossilen und bio- produkte und somit ihr „Produktspeicherpotenzial“ be- genen Kohlenstoffbilanzen wegen der zeitlichen Dyna- trägt im Durchschnitt dreißig Jahre für Vollholzprodukte mik in Waldökosystemen, zum Beispiel aufgrund der und drei Jahre für Papier und Zellstoff (ebd.). Am Ende nach dem Einschlag notwendigen Regenerationszeit, me- der Lebensdauer der Holzprodukte wird der größte Teil thodisch problematisch. Der klimabilanzielle Vergleich des im „Produktspeicher“ festgelegten Kohlenstoffs wie- der (energetischen) Holznutzung mit fossilen Energieträ- der freigesetzt, zum Beispiel durch energetische Nutzung. gern wird entscheidend vom betrachteten Zeithorizont Somit verzögert die Speicherung im „Produktspeicher“ und der Kohlenstoffintensität der substituierten fossilen die Freisetzung von im Holz gebundenem Kohlenstoff ge- Energieträger bestimmt (SEDJO 2011). Zudem werden genüber einer unmittelbaren energetischen Nutzung. die verschiedenen Ansätze zur Berechnung der Klimabi- lanz von Holzprodukten maßgeblich dadurch beeinflusst, Die temporäre Speicherung biogenen Kohlenstoffs in wer diese Berechnungen mit welchem Ziel durchführt Holzprodukten darf dabei aber nicht gegenüber der alter- (KUJANPÄÄ et al. 2009). nativen, potenziell deutlich langfristigeren Speicherung im Wald privilegiert werden. Daher muss die Aufnahme von Kohlenstoff in den „Produktspeicher“ in einer Art bi- Einfluss des Klimawandels auf lanziellem Ausgleich dem verringerten Kohlenstoffspei- die Funktionen der Wälder cher im Wald, verglichen mit einem Nichtnutzungsszena- 362. Das Ökosystem Wald ist gekennzeichnet durch rio, gegenübergestellt werden. Grundsätzlich ist eine lange Lebens- und (Re-)Produktionszyklen sowie eine vollständige und verbindliche Berücksichtigung der ge- geringe Ausbreitungsfähigkeit vieler Arten. Die zuneh- samten Kohlenstoffspeicherleistung der Wälder in der menden Belastungen durch den Klimawandel – steigende THG-Bilanzierung anzustreben, um die Erhaltung und den weiteren Aufbau der natürlichen Speicher mit der Temperaturen zusammen mit häufigeren Dürreperioden, stofflichen und energetischen Holznutzung gleichzustel- Sturmereignissen, Schädlingsbefall und anderen Auswir- len. Dabei erfordert ein vollständiges Bild der Speicher- kungen – können zu erheblichen Veränderungen der Wäl- leistung der Wälder, dass auch die Kohlenstoffbilanzen in der führen. Aspekte wie Baumwachstum, Insektenkala- Waldböden und im Totholz erfasst werden. mitäten, Verbreitung von Arten und die Saisonalität von Ökosystemprozessen werden vom Klimawandel beein- Diese bleiben in Berechnungen zur THG-Bilanz verschie- flusst (SEPPÄLÄ et al. 2009; DOYLE und RISTOW dener Holznutzungspfade jedoch häufig ausgeklammert 2006). Die Veränderungen im Klimaregime können gra- bzw. werden als ausgeglichen angenommen (HEUER duelle Veränderungen der biologischen Vielfalt verursa- 2011; ROCK und BOLTE 2011), wodurch sich die rech- chen (z. B. Verschiebungen der Artenareale) oder in Form nerische THG-Bilanz der wirtschaftlichen Holznutzung plötzlicher Schadereignisse, etwa eines Sturmes, auftre- tendenziell verbessert. Ferner dürfen bei der Erstellung ten. Forstliche oder Naturschutzmaßnahmen werden als von produktbasierten Kohlenstoffbilanzen Emissionen, Reaktion auf den Klimawandel initiiert (Tab. 6-1). Gene- die unter anderem durch das Ernten des Holzes (Störung rell führt der Klimawandel meist zu einer Kombination des Bodens, Einsatz von Maschinen), den Transport zur von Schadensereignissen, zum Beispiel Schädlingsbefall Verarbeitung, die Verarbeitung selbst, die Verpackung, und Sturm oder Schädlingsbefall und erhöhte Temperatu- den Transport des Produktes zum Verbraucher und ab- ren. Solche extremen Belastungen können wiederum schließend durch den Transport zur stofflichen oder ener- dazu führen, dass Waldgebiete die gespeicherten THG getischen Verwertung verursacht werden, nicht vernach- wieder freisetzen und so den Klimawandel noch verstär- lässigt werden. Dies wirkt sich in Lebenszyklusanalysen ken. negativ auf die Klimabilanz von Holzprodukten aus (INGERSON 2009). Wälder sind umso anfälliger für die Auswirkungen des Klimawandels, je weniger naturnah sie sind und je weiter Demgegenüber werden Holzprodukten bei der THG-Bi- die jeweiligen Baumarten vom Kern ihres Verbreitungs- lanzierung positive Klimawirkungen durch Substitutions- gebiets entfernt sind. Insbesondere naturferne reine Na- effekte gutgeschrieben (ROCK und BOLTE 2011; delwaldbestände sind anfällig für Insektenbefall, Wind- RÜTER 2011; RÜTER et al. 2011; HEUER 2011), die wurf und Dürre. Eine große natürliche Vielfalt an Genen, entstehen, „wenn fossile Energieträger oder in der Her- Arten, Strukturen und Lebensräumen unterstützt dagegen stellung energieintensivere Materialien ersetzt werden“ Anpassungsprozesse. Die Anpassungsfähigkeit wird er- (ROCK und BOLTE 2011). In den THG-Inventaren wer- heblich durch Wildschäden überhöhter Schalenwildbe- den solche Substitutionseffekte bisher üblicherweise den stände gemindert (Tz. 369). Als „Lernflächen“ für natür- Wirtschaftsbereichen zugeordnet, in denen die stoffliche liche Anpassungen an den Klimawandel sind darüber oder energetische Holznutzung stattfindet (vor allem dem hinaus forstlich ungenutzte Waldflächen unerlässlich Energie- und Industriesektor). Es ist daher darauf zu ach- (Tz. 366).

217 Umweltgerechte Waldnutzung

Tabelle 6-1

Veränderungen von Waldökosystemen infolge des Klimawandels

Art der Veränderung Einflussart Beeinflusste Kategorie

graduell direkt Artenareale Genetische Aspekte Phänologie

abrupt/stochastisch direkt Trocken-/Hitzeperioden (Veränderung des Sturmereignisse – Holzbruch Störungsregimes) Waldvorkommen/Abholzung Blitzschlag – Waldbrand Hochwasser

indirekt Insekten/Schädlinge Pathogene Feuer Erosion/Hangrutschungen

graduell und abrupt direkt und indirekt invasive/eingeführte Arten Durchforstung Naturschutzmaßnahmen betreffend: – Baumartenzusammensetzung – strukturelle und Artendiversität – azonale, extrazonale Waldbestände und Ökotone – Konnektivität von Waldgebieten – natürliche Regeneration – Sukzessionsstadien – alte Wälder – historische Forstsysteme (z. B. Niederwald) – Totholz Geschützte Waldgebiete

Quelle: MILAD et al. 2011, verändert

6.2.4 Forstwirtschaft stoffspeicherung in der Biomasse der Wälder: In den Jah- ren 1986 bis 2002 lag die Senkenwirkung für CO2 bei 363. Holz ist ein zunehmend gefragter Rohstoff. Im etwa 17 Mio. t C/a, 2002 bis 2008 nur noch bei rund Jahr 2007 erwirtschafteten in der Forstwirtschaft 4,7 Mio. t C/a (DUNGER et al. 2009; Tz. 359). 31.702 Unternehmen mit 77.448 Beschäftigten etwa 4,9 Mrd. Euro Umsatz (SEINTSCH 2010). Dabei hat die 364. Neben der stofflichen hat vor allem die energetische Forstwirtschaft selbst nur einen sehr geringen Anteil am Verwendung von Holz in den letzten Jahrzehnten drastisch gesamten Cluster Forst-Holz-Papier (129.448 Unterneh- zugenommen (Abb. 6-3). Biomasse ist die mit Abstand men, 1,17 Mio. Beschäftigte, 173,6 Mrd. Euro Umsatz). wichtigste erneuerbare Ressource im Wärmesektor, mit ei- Den überwiegenden Teil erwirtschaftet das Holz be- und nem Anteil in der EU von rund 97 % bzw. 646 TWh. Der verarbeitende Gewerbe, die Holzverarbeitung im Bauge- größte Anteil entfällt auf die Wärmeerzeugung aus Holz in werbe, das Papiergewerbe, das Verlags- und Druckerei- privaten Haushalten (BMU 2010). Der Einsatz biogener wesen und der Holzhandel (SEINTSCH 2010). Festbrennstoffe zur Stromerzeugung nimmt kontinuierlich zu. Die Brennstoffe sind ausschließlich holzartige Bio- Neue Zahlen der Inventurstudie 2008 des vTI und des massen, die nicht nur aus Sägenebenprodukten, Althölzern BMELV zeigen, dass die Holznutzung rasant zunimmt. aller Kategorien und Hölzern aus der Landschaftspflege Mittlerweile wird fast so viel Holz geerntet, wie im sel- stammen, sondern auch aus Waldrestholz und Industrie- ben Jahr nachwächst. Durchschnittlich wurden 2008 holz. Wenn durch eine verstärkte Bioenergienutzung der 93 % des Zuwachses abgeschöpft (OEHMICHEN et al. Holzeinschlag sowie der Entzug von Ernteresten wesent- 2011). Dies belegen auch die Berechnungen zur Kohlen- lich zunimmt, kommt es zu einem noch stärkeren Nähr-

218 Unterschiedliche Funktionen des Waldes

Abbildung 6-3

Holzverwendung in Deutschland in Mio. m³

140

120

100

80

Energetisch Stofflich 60

40

20

0 1987 2002 2003 2007 2008 2012 Prognose

Daten von 1987 nur West-Deutschland SRU/UG 2012/Abb. 6-3; Datenquelle: VHI 2010 stoffaustrag aus dem Wald und der Zuwachs sowie die in Bezug auf Biodiversität, Wasserhaushalt und Boden zu Qualität von Totholz sinken (VERKERK et al. 2011). beachten sowie der Anbau zu extensivieren und zu diver- sifizieren (PETERS et al. 2010; DOYLE und SCHÜ- Laut Prognosen wird der Fehlbedarf an Holz zur stoffli- MANN 2010; BAUMANN et al. 2007; HILDMANN chen und energetischen Nutzung in Deutschland bis zum et al. 2010; Wissenschaftlicher Beirat für Biodiversität Jahr 2020 auf etwa 30 Mio. m³ jährlich wachsen und Genetische Ressourcen beim Bundesministerium für (THRÄN et al. 2011). Ab 2020 wird sogar ein Holzdefizit Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2011). von bis zu 40 Mio. m³ jährlich erwartet. Um diesen zu- So gestaltet können KUP als Biotopverbund und als struk- nehmenden Bedarf an Holz vor allem zur Energiegewin- turierende Landschaftselemente in ausgeräumten Agrar- nung zu decken, plant das BMELV den jährlichen Holz- landschaften auch naturschutzfachliche Anforderungen einschlag auf 100 Mio. m3/a zu steigern (vgl. Ziele der erfüllen. Waldstrategie 2020, Tz. 377). Dies bedeutet gleichzeitig auch einen Abbau des Kohlenstoffspeichers Wald. Importe von holzartiger Biomasse zur Energiegewinnung können mit drastischen negativen Umweltauswirkungen Ohne eine zusätzliche Erzeugung von Holz in Kurzum- im Ursprungsland verbunden sein, da es bislang noch triebsplantagen (KUP) wird sich der zukünftige Holzbe- keine verbindlichen Nachhaltigkeitsanforderungen an die darf nicht decken lassen, wenn der Außenhandel nicht Bereitstellung und Nutzung fester Biomasse gibt (dena reduziert werden soll. Allein für das Ziel der Stromerzeu- 2011). Dem wird gegenwärtig versucht mit Partner- gung aus Biomasse werden laut Leitszenario des BMU schaftsabkommen entgegenzuwirken (Tz. 395). 0,55 Mio. ha weitere landwirtschaftliche Nutzflächen für den Anbau von KUP bis 2020 beansprucht werden Holzimporte und -exporte (NITSCH und WENZEL 2009). Dabei ist aus Gründen des Naturschutzes der Verlust von Grünland und Brachflä- 365. Ein Großteil des in Deutschland genutzten Holzes chen zu vermeiden. Durch Einbeziehung der Landschafts- und der Holzprodukte wird bereits heute importiert planung sind beim Anbau die lokalen Empfindlichkeiten (Abb. 6-4). Dabei besitzt die Rohholzeinfuhr nach

219 Umweltgerechte Waldnutzung

Abbildung 6-4

Einschlag, Einfuhren und Ausfuhren von Holz und Produkten auf der Basis von Holz in Deutschland in Mio. m³

160

140

120

100

80

Einfuhr

60 Ausfuhr Saldo Einschlag 40

20

0

-20

-40 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 SRU/UG 2012/Abb. 6-4; Datenquelle: SEINTSCH 2011, S. 13 und 17

Deutschland insgesamt eine geringere Bedeutung und ein den: Nach PEFC-Kriterien (PEFC – Programme for the geringeres Wachstum als der Handel mit Halb- und Fer- Endorsement of Forest Certification Schemes) waren tigwaren aus Holz. Im Jahr 2010 wurden Produkte auf der Ende 2011 rund 73.951 km2 (ca. 67 % der Waldfläche; Basis von Holz im Umfang von knapp 123 Mio. m³ Roh- PEFC Deutschland 2011), nach FSC-Kriterien im Februar holzäquivalenten (= r) aus Ländern innerhalb und außer- 2012 circa 5.448 km2 (5 % der Waldfläche; FSC Deutsch- halb der EU importiert. Dies entspricht 52 % des Gesamt- land 2012) und nach Naturland-Kriterien rund 535 km2 holzaufkommens und mehr als dem Doppelten des Wald (0,5 % der Waldfläche; Naturland – Verband für statistisch erfassten deutschen Rohholzeinschlags, der bei ökologischen Landbau 2012) zertifiziert. Da sich die Flä- 54,4 Mio. m³ lag. Im Jahr 2010 wurden zum Beispiel chen teilweise überschneiden, lässt sich der Anteil der 88 Mio. m³ (r) Halbwaren und 25 Mio. m³ (r) Fertigwa- zertifizierten Waldfläche nicht genau ermitteln. ren auf der Basis von Holz importiert. Rohholz hatte da- gegen mit 7 Mio. m³ (r) nur einen geringen Anteil Nach PEFC-Richtlinien werden vorwiegend ganze Re- (SEINTSCH 2011). gionen zertifiziert, wohingegen nach FSC-Kriterien Ein- zelbetriebe oder Gruppen von Forstbetrieben zertifiziert werden. Während unter PEFC national stichprobenartig Zertifizierungen in der Forstwirtschaft jährliche Vorort-Prüfungen eines repräsentativen Teils der Betriebe durchgeführt werden, werden unter FSC natio- 366. Zur Dokumentation und Verbesserung einer nach- nal alle zertifizierten Einzelbetriebe und Gruppen jährlich haltigen Forstwirtschaft nach ökologischen, ökonomi- überprüft. Unter PEFC sind außerdem der Einsatz von schen und sozialen Standards sind verschiedene Zertifi- Bioziden, eine Vollbaumnutzung sowie eine maschinelle zierungssysteme entwickelt worden. In der nationalen Bodenbearbeitung prinzipiell möglich. Diese Maßnah- Strategie zur biologischen Vielfalt wurde das Ziel verein- men sind unter FSC nur beschränkt bzw. gar nicht zuläs- bart, bis 2010 80 % der Waldfläche „nach hochwertigen sig. ökologischen Standards“ zu zertifizieren (BMU 2007). In Deutschland gibt es im Wesentlichen drei Zertifizierungs- Darüber hinaus ist in FSC zertifizierten Wäldern das systeme, die sich hinsichtlich ihrer Prinzipien unterschei- Schaffen sogenannter Referenzflächen vorgeschrieben.

220 Unterschiedliche Funktionen des Waldes

Dies sind für den forstlichen Wuchsbezirk repräsentative als der Hälfte aus Baumarten, die an dem Standort natür- Flächen vorhandener Wald- bzw. Forstgesellschaften, die licherweise nicht vorkommen würden (BMELV 2004). dauerhaft aus der forstlichen Nutzung genommen wer- Urwälder gibt es in Deutschland nicht mehr, nur noch ur- den. Diese Flächen sollen, neben ihrer Arten- bzw. Natur- waldähnliche Relikte (PANEK 2011). In den ursprüngli- schutzfunktion, vor allem den Forstbetrieben helfen, von chen natürlichen Waldgesellschaften waren Laubwälder der Natur zu lernen. Referenzflächen müssen im Bundes- auf über 80 % der Waldfläche vertreten. Die Buche, als und Landeswald und im Körperschaftswald ab 10 km2 charakteristische Baumart der Wälder Mitteleuropas, mindestens 5 % der Forstbetriebsfläche umfassen. Unbe- nahm dabei den größten Raum ein (PANEK 2011; vgl. wirtschaftete Wälder (z. B. in Naturschutzgebieten, Nati- Tz. 349). Insgesamt kommen heute 72 Baumarten in onalparks oder Naturwaldreservaten) in den forstlichen deutschen Wäldern vor, von denen 12 forstlich einge- Wuchsbezirken können als Referenzflächen anerkannt bracht sind. Rund drei Viertel der Waldfläche entfallen werden. Diese Flächen können damit einen Beitrag zum auf die 4 Arten Fichte (28 %), Kiefer (23 %), Buche Erreichen des Ziels der Nationalen Strategie zur biologi- (15 %) und Eiche (10 %) (BMELV 2004). Forstlich rele- schen Vielfalt von 5 % natürlicher Waldentwicklung im vant sind außerdem die Nadelbäume Lärche (ca. 3 %), gesamten Wald bzw. 10 % im öffentlichen Wald leisten, Tanne sowie die nicht einheimische Douglasie (jeweils sofern sie langfristig rechtlich gesichert sind (vgl. ca. 2 %) und die Laubbäume Birke (ca. 4 %), Erle, Esche Tz. 350). Zudem verlangt FSC von seinen Betrieben, den und Ahorn (jeweils ca. 2 %) (Wald-und-Forst.de 2011). Holzvorrat auf der Betriebsfläche zu steigern. Leitbild ist der natürliche Wald. Standortheimische Baumarten erhal- 369. Einen beträchtlichen Einfluss auf den Zustand der ten den Vorzug. Damit stimmen die Ziele der nationalen Wälder haben die Wildbestände. Vielerorts sind die Scha- Biodiversitätsstrategie und insbesondere die FSC-Prinzi- lenwilddichten derzeit so hoch wie nie zuvor und behin- pien und -Kriterien in wichtigen Teilen überein. dern durch Verbiss insbesondere die Naturverjüngung der Waldbestände und die Erhaltung der Biodiversität 6.2.5 Wälder als Standorte für (AMMER et al. 2010). Rehwild und Schwarzwild kom- Windkraftanlagen men auf 99 % bzw. 83 % der Waldfläche vor, Rotwild ist auf 33 %, Damwild auf 14 % und Muffelwild auf 5 % der 367. Im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien ist auch mit einer deutlichen Steigerung der Onshore-Wind- Waldfläche anzutreffen (BMELV 2004). Durch den selek- energienutzung zu rechnen. Mit Schaffung der techni- tiven Verbiss insbesondere des Rehwilds kommt es neben schen Voraussetzungen (größere Anlagenhöhe) werden Wachstumseinbußen durch Biomasseentzug und dem Ab- zunehmend auch Windenergieanlagen in Wäldern errich- sterben der Pflanzen auch zur Entmischung der künftigen tet. Nach einer Studie des Fraunhofer Instituts für Wind- Bestände zulasten der selteneren und/oder stark verbiss- energie und Energiesystematik sind etwa 14 % der deut- gefährdeten Baumarten: Die Diversität der Baumarten schen Waldfläche potenziell als Standort geeignet und krautigen Pflanzenarten sinkt. Dies kann kaskaden- (BOFINGER et al. 2011). In einem Positionspapier weist förmige Einflüsse auf die gesamte Biodiversität in Wald- das Bundesamt für Naturschutz (BfN) jedoch darauf hin, beständen haben (CARDINALE et al. 2011; SCHERBER dass noch erhebliche Kenntnislücken bezüglich des Ein- et al. 2010). Eine Waldverjüngung ohne Zäunung ist dann flusses von Windenergieanlagen in Wäldern auf den Na- nicht immer möglich. Eine Zäunung erhöht wiederum turhaushalt, das Landschaftsbild und die biologische den Druck auf die restlichen Jagdreviere. Durch Wildver- Vielfalt bestehen (BfN 2011). Auswirkungen entstehen biss entstehen somit sowohl ökonomische (durch den sowohl durch den Bau als auch durch den Betrieb der An- Holzverlust und die notwendigen Kosten für Zäunungen) lagen. Neben der Flächeninanspruchnahme durch die An- als auch ökologische Schäden. Die finanziellen Auswir- lagen und die damit verbundene Infrastruktur bestehen kungen von Schälschäden (das Ablösen der Rinde vom vor allem Auswirkungen durch die Landschaftszerschnei- Stamm) sind noch drastischer. Hier rechnet man bei dau- dung und die Kollisionsgefahr für Vögel und Fleder- erhafter Belastung der Forstbetriebe durch Schälen mit mäuse sowie die Störung von Brut- und Rastplätzen (BfN Mehraufwendungen und Vermögensverlusten zwischen 2011). Daher kommen aus naturschutzfachlichen Grün- 100 und 200 Euro pro Hektar und Jahr (AMMER et al. den nur forstlich intensiv genutzte, naturferne Wälder als 2010). Standorte infrage. Insbesondere Flächen, die eine große Bedeutung für Naturschutz und Landschaftspflege haben 370. Auch der Eintrag von Schad- und Nährstoffen ver- (z. B. potenzielle Flächen zur Erhöhung des Flächenan- ursacht erhebliche Schäden. Der Zustand der Wälder hat teils der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung, Na- sich 2011 im Vergleich zum Vorjahr, deutschlandweit tura 2000-Gebiete), sollten bei der Standortwahl ausge- über alle Baumarten hinweg betrachtet, verschlechtert schlossen werden. (Abb. 6-5). Der Anteil der Bäume mit deutlichen Nadel- oder Blattverlusten der Baumkrone betrug mehr als ein Viertel der bewaldeten Fläche. Betrachtet man die einzel- 6.2.6 Zustand der Wälder und Funktions- nen Baumarten, zeigen sich – auch im Vergleich zu 2000 – gefährdungen kaum Veränderungen bei Fichte und Kiefer. Der Anteil 368. Laut der zweiten Bundeswaldinventur gelten nur von Buchen mit deutlichen Kronenverlichtungen ist stark 35 % der Wälder als „naturnah“ (20 %) oder als „sehr na- angestiegen, der der Eichen im Vergleich zum Vorjahr ge- turnah“ (15 %); knapp 25 % hingegen bestehen zu mehr sunken (SDW 2012).

221 Umweltgerechte Waldnutzung

Abbildung 6-5

Flächenanteil der Baumarten mit deutlichen Nadel- oder Blattverlusten der Baumkrone in % (2000, 2010, 2011)

60

50

40

2000

30 2005 2010 2011

20

10

0 Alle Baumarten Fichte Kiefer Buche Eiche SRU/UG 2012/Abb. 6-5; Datenquelle: SDW 2012

Eine witterungsbedingte Zunahme von Waldschäden, wie setz (BJagdG)). Die für den Wald-Wild-Konflikt maßgeb- sie zum Beispiel bei Kiefer, Fichte oder Buche 2003/2004 lichen gesetzlichen Bestimmungen finden sich in erster deutlich festzustellen war (SEIDLING 2006), kann bei Linie im BJagdG. Die Grundpfeiler des Jagdrechts sind fortschreitendem Klimawandel zum Zusammenbruch die Bindung des Jagdrechts an das Grundeigentum, das ganzer Bestände führen. Als Hauptursache für Waldschä- Reviersystem und die Zwangsmitgliedschaft in Jagdge- den gelten Luftschadstoffe (Ozon, Stickstoffverbindun- nossenschaften (Deutscher Bundestag 2011a, S. 2). gen, Schwefelverbindungen) aber auch der Klimawandel (BAUMGARTEN et al. 2010; Deutscher Bundestag Grundsätzlich genießen nach Jagdrecht die forstlichen In- 2009). Trotz Fortschritten bei der Luftreinhaltung sieht das teressen Vorrang vor den jagdlichen (BGH-Urteil vom BMELV künftig Handlungsbedarf insbesondere bei der 22. Mai 1984, III ZR 18/83; REH 2010). § 1 Absatz 1 weiteren Minderung der Stickstoffeinträge. Allgemein lie- Satz 2 BJagdG bestimmt, dass die Hege des Wildes so gen luftgebundene Stoffeinträge in Waldbeständen (Depo- durchgeführt werden muss, dass Beeinträchtigungen einer sitionen) deutlich über dem Eintrag im Freiland (Deut- ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftli- scher Bundestag 2009) und beeinflussen beispielsweise chen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst ver- die Artenzusammensetzung (SEIDLING und FISCHER mieden werden. Gemäß § 21 Absatz 1 BJagdG ist das 2008). Wild so abzuschießen, dass die berechtigten Interessen der Forstwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden voll 6.2.6.1 Der Wald-Wild-Konflikt gewahrt bleiben und die Belange von Naturschutz und Landschaftspflege berücksichtigt werden. Gemäß § 1 Ab- 371. Im Wald entstehen beträchtliche Verbissschäden satz 2 BJagdG bleiben zudem gleichartige Bestimmungen durch hohe Schalenwilddichten (Tz. 369). Die Regulie- des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) und des rung der Wildbestände unterliegt aber nur bedingt dem Bundeswaldgesetzes (BWaldG) unberührt. Kritisch zu be- Einflussbereich des forstlichen Handelns, weil das Jagd- werten ist allerdings die mit dem Jagdrecht verbundene recht dem Grundeigentümer zusteht (§ 1 Bundesjagdge- Verpflichtung zur Hege des Wildes mit dem Ziel, einen

222 Unterschiedliche Funktionen des Waldes den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen zug der gesetzlichen Regelungen zusammen (AMMER angepassten artenreichen und gesunden Wildbestand zu et al. 2010, S. 19 ff.). erhalten (§ 1 Absatz 23 Satz 1 BJagdG). Zum einen ist aus Naturschutzsicht ein artenreicher Wildbestand per se nicht 6.2.6.2 Konflikt: Waldumbau und Klimawandel wünschenswert und kann naturschutzfachlich sogar nach- teilig sein. Erstrebenswert sind vielmehr Ökosysteme mit 373. Im politischen Diskurs um die Rolle des Waldes im einer standorttypischen Artenzusammensetzung und Klimawandel stehen sich im Wesentlichen zwei Argu- -zahl. Zum anderen wäre es vorzugswürdig, wenn die mentationslinien der beteiligten Akteure gegenüber. Hege des Wildes angepasst an die Ziele des Naturschutzes Die eine Seite stellt Wälder mit natürlicher Dynamik als erfolgen würde. Grundlage des Wirtschaftens sowie den Naturschutz in den Vordergrund. Unter dem Zielaspekt Naturschutz wer- Wildschaden den die Wälder als vom Klimawandel bedrohte Ökosys- teme und infolgedessen die Stärkung ihrer Anpassungsfä- 372. Entsteht ein Wildschaden, so ist dieser gemäß higkeit (Resilienz) mit dem Argument in den Fokus §§ 29 ff. BJagdG zu ersetzen. Der Begriff des Schadens gestellt, dass Wälder anfällig für den Klimawandel sind wird im BJagdG nicht definiert. Aus § 27 Absatz 1, § 32 und durch intensive Nutzung noch anfälliger werden. Der Absatz 2 BJagdG folgt jedoch, dass nicht nur wirtschaftli- Schutz der Ökosysteme bildet dieser Ansicht nach daher che Schäden an den Hauptbaumarten, sondern auch Schä- die Basis einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung. Natur- den an der übrigen Vegetation erfasst sind, die von Scha- nahe Wälder mit standorttypischer Baumartenzusammen- lenwild (§ 2 Absatz 3 BJagdG) verursacht werden setzung bildeten gleichzeitig die Grundlage für die Erhal- (JuraForum 2011). Allerdings ist der Ausnahmetatbe- tung der Biodiversität. Durch Naturverjüngung würde das stand des § 32 Absatz 2 BJagdG zu beachten: Hiernach genetische Potenzial und damit die Angepasstheit und An- ist der Ersatz von Schäden an nicht zu den Hauptbaumar- passungsfähigkeit erhalten (FRITZ 2006). Alte Bestände ten zählenden Bäumen ausgeschlossen, wenn nicht geeig- heimischer Baumarten, die geschützt oder naturnah in art- nete und ausreichende Schutzvorkehrungen getroffen gemäß langen Zyklen bewirtschaftet werden, sollten daher wurden. Die betroffenen „Sonderbaumarten“ sind solche, das Managementziel sein. Alte Bäume seien naturschutz- die auf das Schalenwild deshalb eine besondere Anzie- fachlich von großer Bedeutung, weil sie Lebensgrundlage hungskraft ausüben, weil sie wesentlich seltener vorkom- für viele seltene Arten sind (vgl. Tz. 347 f.) und einen be- men als die übrigen Hauptbaumarten (SEEWALD 2009, deutenden, konstanten Gen-Pool darstellen, der die An- S. 4). In der Praxis wird diese Bestimmung meist so passungsfähigkeit der Wälder erhöht. Die Unterstützung ausgelegt, dass die Erstattung eines Schadens nur in abso- der Arten- und Bewirtschaftungsvielfalt, die Vergrößerung luten Ausnahmefällen möglich ist: Es müssen Schutzvor- von Schutzgebieten sowie die Einrichtung von Biotopver- richtungen errichtet werden, die geeignet sind, Wildschä- bünden stellten daher zentrale Maßnahmen zur Anpassung den sicher zu verhindern. Entsteht dennoch ein Schaden, an den Klimawandel dar. muss dies folglich darauf zurückzuführen sein, dass ent- 374. Erwerbswirtschaftlich orientierte Forstbetriebe auf weder keine Schutzvorrichtung errichtet wurde oder dass der anderen Seite betonen hingegen vor allem ihren Bei- diese mangelhaft unterhalten worden war. Die Ersatz- trag zur Mitigation des Klimawandels durch eine Steige- pflicht auf Hauptbaumarten zu beschränken soll dabei aus rung der Holzproduktion. Sie rechnen geerntetes und ver- Gründen der Rechtssicherheit erforderlich sein, weil an- arbeitetes Holz dem Kohlenstoff-Produktspeicher zu dernfalls kein hinreichendes Kriterium für die Ermittlung (Tz. 361). Eine Diversifizierung der Baumarten sollte ih- eines Schadens bestehen würde und mögliche Kosten für rer Ansicht nach auch nicht-heimische Arten mit ein- den Jagdpächter unkalkulierbar wären (DJV 2003; schließen, die an zukünftige Klimabedingungen besser SEEWALD 2009, S. 5–6). angepasst seien. Allerdings birgt der Anbau nicht heimi- Heimische Wildtiere gehören zum Ökosystem Wald und scher Baumarten eine Reihe von Risiken: Es kann zur un- Waldpflanzen gehören zu ihrem natürlichen Nahrungs- kontrollierten Ausbreitung und Verdrängung heimischer spektrum. Ein gewisser Schaden ist daher stets hinzuneh- Arten sowie zu Hybridisierungen kommen, Standortei- men. Für Eigentümer von Privatwäldern folgt dies bereits genschaften können verändert, die Diversität der Ökosys- aus der Sozialbindung des Eigentums gemäß Artikel 14 teme negativ beeinflusst und Parasiten und Pathogene Absatz 2 Grundgesetz (GG) (NABU 2008, S. 15). Auf- eingeschleppt werden. Eine Abschätzung der langfristi- grund der bereits dargestellten Probleme führen die hohen gen ökologischen und ökonomischen Folgen des Einbrin- Wilddichten jedoch regelmäßig zu großen Schäden an der gens nicht-heimischer Arten ist bislang kaum möglich Waldvegetation. Dies wird gegenwärtig im Gesetz nicht (REIF et al. 2010; 2011). ausreichend berücksichtigt. Insgesamt konkurrieren unterschiedliche Nutzungsan- sätze um die Wälder. Es besteht die Gefahr, dass sich Die gesetzlichen Grundlagen für eine Verbesserung der Si- hierbei die Ansprüche der kommerziellen Holzproduktion tuation sind teilweise bereits vorhanden. Anhand der aus- auf Kosten anderer Ziele wie Klima- und Biodiversitäts- drücklichen Vorrangregelung zugunsten forstwirtschaftli- schutz durchsetzen. cher und naturschutzrechtlicher Aspekte und der klaren Festlegung der gesellschaftlichen Ziele sollte eine Kon- 375. Neben der Baumartenwahl betreffen konfligie- fliktlösung im Einzelfall möglich sein. Die bestehenden rende Auffassungen zwischen Naturschutz und Forstwirt- Probleme hängen somit auch mit dem mangelhaften Voll- schaft vor allem das maximale Erntealter bzw. den

223 Umweltgerechte Waldnutzung

Zieldurchmesser von Bäumen, das Prinzip der Vorrats- In Deutschland sind etwa zwei Drittel aller Bäume jünger steigerung und den Totholzanteil. Totholz kann wie dar- als achtzig Jahre (Tab. 6-2). Die forstliche Nutzung be- gestellt durch die Speicherung von CO2 auch einen Bei- einflusst und verkürzt die natürliche Waldentwicklung, trag zum Klimaschutz leisten (vgl. Tz. 359). Das vor allem um die besonders struktur- und artenreichen Belassen von Totholz im Bestand sowie ein weitgehender Phasen. In Wirtschaftswäldern erreichen die Bäume meist Nutzungsverzicht bei Bäumen mit schlechten Stammfor- nicht einmal die Hälfte oder ein Drittel ihrer möglichen men oder hoher Fäuleerwartung bedeuten aber auch kei- Lebensspanne, die beispielsweise bei Fichten und Kiefern nen wirtschaftlichen Verlust, denn „bei diesen Bäumen 600 Jahre und bei Eichen 700 Jahre beträgt (MÜLLER werden die Erntekosten in der Regel nicht durch den Ver- et al. 2007; JEDICKE 2008; Abb. 6-6). kaufserlös gedeckt, ihr Verbleib im Bestand dient als Le- Zum Abmildern des Klimawandels in den kommenden bensraum für Flora und Fauna, die auf starkes Bu- Jahrzehnten sollte der Aufbau weiterer Kohlenstoffvor- chenaltholz und Totholz angewiesen ist“ (MLUR räte im Wald durch ein höheres Bestandsalter angestrebt Brandenburg 2004). werden. Ein Erreichen des natürlichen Lebensalters der

Tabelle 6-2

Anteil der Waldfläche in Deutschland nach Altersklassen

1–40 Jahre 41–80 Jahre 81–120 Jahre 121–160 Jahre > 160 Jahre Flächenanteil 30 %36 %23 %9 % 2 %

Quelle: BMELV 2004

Abbildung 6-6

Anteil des durchschnittlichen Umtriebsalters am natürlichen Lebensalter verschiedener Baumarten

Fichte (600) Tanne (600) Lärche (600) Kiefer (600) Douglasie (400) Eiche (700) Bergahorn (400) Ulme (400)

Esche (300) Schwarzerle (120) Rotbuche (250) Hainbuche (150) Birke (100)

0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % Anteil (%)

Der hellgrau gefärbte Anteil fehlt üblicherweise im Wirtschaftswald. In Klammern: angenommenes natürliches Lebensalter in Jahren Quelle: JEDICKE 2008, S. 380

224 Die Waldstrategie 2020: Ausgleich von Zieldivergenzen?

Baumarten und das Belassen von Totholz im Wald ist stellt. Auch dass die Hälfte des Gesamtholzaufkommens gleichzeitig die Grundlage für das Vorkommen vieler ge- importiert wird, wird in der Waldstrategie nicht deutlich fährdeter Waldarten. gemacht. Diese asymmetrische Funktionswahrung führt zu einer Vernachlässigung der ökologischen Funktionen 6.3 Die Waldstrategie 2020: Aus- des Waldes. gleich von Zieldivergenzen? Zum anderen bedürfen die in der Waldstrategie dargestell- 376. Die Nachfrage nach Holz steigt, der Klimawandel ten Lösungsansätze in den neun aufgeführten Handlungs- schreitet voran und der Verlust von Biodiversität konnte feldern der weiteren Unterfütterung durch konkrete Maß- noch nicht gestoppt werden. All diese vielfältigen und nahmen und geeignete Instrumente. Eine Gesamtstrategie zum Teil gegenläufigen Anforderungen und Probleme Waldnaturschutz, die den Schutz seltener und gefährdeter machen eine integrierende und abgestimmte Planung Arten und Biotope, den Schutz von Arten, für die Deutsch- dringend erforderlich. Jedoch scheinen die Abstimmun- land oder einzelne Bundesländer eine besondere Verant- gen zwischen Naturschutz- und Forstabteilungen der Län- wortung tragen, sowie Teilaspekte der Erhaltung histori- derministerien bei der Entwicklung länderspezifischer scher Waldnutzungsformen und der Einrichtung von Schutzstrategien schwierig zu sein (HÖLTERMANN und Wildnisgebieten stimmig zusammenführt, bleibt damit un- WINKEL 2011). Schwierigkeiten entstehen aufgrund erfüllt (ERB 2011). Der Holzeinschlag soll „maximal bis vielfältiger Herausforderungen: unterschiedliche Zustän- zum durchschnittlichen jährlichen Zuwachs“ gesteigert digkeiten und Kompetenzen für dieselben Flächen, unter- werden (Deutscher Bundestag 2011c, S. 17). Diese Ab- schiedliche Finanzierungen und wirtschaftliche Zielvor- sicht ist mit dem Zusatz versehen, dass die Basis „das Re- stellungen, verschiedene Fachsprachen bis hin zu ferenzszenario der Bundesregierung für die Klimaver- 3 mangelnder Anerkennung des gegenseitigen Wissens. handlungen/rd. 100 Mio. m pro Jahr“ ist. Dieses Ziel wurde in Vorratsfestmetern bemessen und entspricht etwa Auf Bundesebene will das BMELV mit der Waldstrate- 80 Mio. m3 Erntefestmetern (Deutscher Bundestag 2011b, gie 2020 (Deutscher Bundestag 2011c) dazu beitragen, S. 30–31). Damit würde der Einschlag von 54,4 Mio. m³ die Diskussion über die Waldnutzung weiter zu versachli- Erntefestmetern im Jahr 2010 um fast die Hälfte gesteigert chen und Zielkonflikte auszugleichen (BMELV Presse- werden (Statistisches Bundesamt 2011a; Tz. 365). Die mitteilung 175 vom 13. August 2009). Die Bundesregie- dann folgende Aussage „der Wald soll als CO2-Senke er- rung betont im zweiten Fortschrittsbericht zur Strategie halten bleiben“ wird damit ad absurdum geführt. Zur Ab- der nachhaltigen Entwicklung, dass die Sicherung der milderung des Klimawandels in den kommenden Jahr- ökologischen Lebensgrundlagen vorrangige Grundbedin- zehnten sollte dagegen eher der Aufbau weiterer gung ist, um andere Ziele erreichen zu können (Bundesre- Kohlenstoffvorräte im Wald durch ein höheres Bestandsal- gierung 2008). Dies entspricht dem ökologisch ausgerich- ter angestrebt werden. teten Konzept einer starken Nachhaltigkeit, bei dem das Die finanzielle Förderung einer Waldbewirtschaftung Naturkapital über die Zeit hinweg konstant gehalten wer- bzw. ökologischer Leistungen der Forstwirtschaft, die den soll und die ökonomischen und sozialen Rahmenbe- über eine ordnungsgemäße Forstwirtschaft hinaus gehen, dingungen auf den ökologischen Rahmenbedingungen oder allgemein von „Leistungen der Waldökosysteme“ aufbauen (SRU 2008, Tz. 1 ff.; OTT und DÖRING 2008; (Deutscher Bundestag 2011c, S. 24) kann nur nach einer OTT 2010). Daher hätte nach Auffassung des Sachver- gesetzlichen Einführung flächendeckender ökologischer ständigenrates für Umweltfragen (SRU) die Waldstrate- Mindeststandards rechtlich eindeutig erfolgen. Ein ent- gie 2020 als eine zentrale Säule zur Umsetzung der natio- sprechender Vorschlag zur Konkretisierung solcher Stan- nalen Strategie zur biologischen Vielfalt verstanden dards fehlt. werden müssen, mit der Deutschland seinen Verpflichtun- gen aus dem Übereinkommen über die biologische Viel- Es wäre in einer Strategie der Bundesregierung auch min- falt und seiner Verantwortung zur Bewahrung des natio- destens zu erwarten gewesen, dass das Ziel „Entwicklung nalen Naturerbes, wie zum Beispiel seiner Buchenwälder, einer Strategie von Bund und Ländern zur vorbildlichen nachkommt. Auch die Bundesregierung vertrat 2010 die Berücksichtigung der Biodiversitätsbelange für alle Wäl- Auffassung, dass die Waldstrategie 2020 die Umsetzung der im Besitz der öffentlichen Hand bis 2010 und ihre der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt unter- Umsetzung bis 2020“ (BMU 2007) weiter ausdifferen- stützen werde und mit dieser vereinbar sei (Deutscher ziert wird. Bundestag 2010, S. 3). Diese Erwartungen erfüllt die Waldstrategie 2020 aus Sicht des SRU jedoch nicht. Zu begrüßen ist dagegen die Aussage im Kapitel „Biodi- versität und Waldnaturschutz“, dass „Waldnaturschutz 377. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen werden auch künftig ein integraler Bestandteil der modernen die Funktionen des Waldes nicht ausgewogen wiederge- Forstwirtschaft bleibt“. Deshalb sind auch „nutzungsfreie geben. So werden die Ziele der nationalen Strategie zur Flächen“ ein notwendiger und integraler Bestandteil einer biologischen Vielfalt für den Lebensraum Wald in der multifunktionalen Forstwirtschaft und kein „segregieren- Waldstrategie nicht zitiert (BMU 2007, Kap. B 1.2.1). der Ansatz“ (Deutscher Bundestag 2011c, S. 22; Ab- Dagegen werden der ökonomische Wert der Wälder und schn. 6.2.2, Tz. 380, 383). Hinter dem Begriff „nutzungs- ihre Produktionskraft für die Bereitstellung der erforderli- freie Flächen“ bzw. „nicht bewirtschaftete Flächen“ chen Rohstoffe als zentrale Funktion des Waldes und die verbergen sich semantisch die Flächenanteile mit „natür- Maximierung der Holzerträge als Schwerpunkt darge- licher Waldentwicklung“ von 5 % der Waldfläche bzw.

225 Umweltgerechte Waldnutzung

10 % der Waldfläche im Besitz der öffentlichen Hand, die MIL Brandenburg 2011; Niedersächsisches Ministerium in der nationalen Biodiversitätsstrategie gefordert werden für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und (vgl. Tz. 350). Mit dieser Wortwahl wird ihnen ihre ge- Landesentwicklung 2011; Ministerium für Umwelt, Ener- sellschaftliche Relevanz abgesprochen. Stattdessen soll- gie und Verkehr des Saarlandes 2011; Hessen-Forst ten die Ziele von Flächen mit „natürlicher Waldentwick- 2010). lung“ genannt und deren rechtliche Absicherung garantiert werden. Nur temporär aus der Nutzung genom- 380. Indem definierte Vorrangflächen festgelegt werden, mene Waldflächen können sonst nach zehn bis zwanzig um die in der nationalen Biodiversitätsstrategie genannten Jahren in einem langjährigen System wie der Forstwirt- Ziele zu erreichen, könnten die bestehenden Interessen- schaft wieder genutzt werden. konflikte entschärft werden. Dazu sollte die Landschafts- planung genutzt werden. Die Ausweisung sollte nach fol- genden Kriterien erfolgen (von EGAN-KRIEGER und 6.4 Handlungsempfehlungen OTT 2007; JEDICKE 2008): 378. Um konkurrierende Nutzungsansprüche im Sinne – naturschutzfachliche Kriterien (z. B. Standortqualität, starker Nachhaltigkeit auszubalancieren, empfiehlt der Naturnähe der Artenzusammensetzung, Seltenheit von SRU die unter den Abschnitten 6.4.1 bis 6.4.8 dargestell- Arten/Lebensräumen, nationale bzw. internationale ten Maßnahmen. Verantwortung von Arten/Lebensräumen, Größe und Form der Fläche, Kontinuität bzw. Alter der Fläche), 6.4.1 Ökologie als zukünftiges Fundament: Umsetzung der nationalen Strategie – Vernetzung von Lebensraumelementen vorhanden, zur biologischen Vielfalt – bestehende historische Nutzungsformen, Konkretisierung der Biodiversitätsstrategien – Nähe zu dicht besiedelten Gebieten, in den Ländern – (forstwirtschaftliches) Ertragspotenzial, 379. Bereits im Jahr 2002 hat die Bundesregierung Ziele einer nachhaltigen Politik in der nationalen Nach- – Eigentumsverhältnisse, haltigkeitsstrategie festgelegt (Bundesregierung 2002; – Akzeptanz der lokalen Bevölkerung 2004) und diese in ihren ökologischen Aspekten durch . die nationale Biodiversitätsstrategie konkretisiert. Die Biodiversitätsstrategie bezieht dabei den gesamten Natur- Vorbildwirkung des öffentlichen haushalt ein. Diese Sichtweise – die im BNatSchG seit Waldes verbindlich verankern Langem verankert ist – bildet die Voraussetzung für einen 381. Wald im öffentlichen Besitz sollte als Allgemein- effizienten Sektor übergreifenden Naturschutz. Damit die gut im Interesse aller vorbildlich bewirtschaftet werden. Ziele der nationalen Biodiversitätsstrategie auch für den Dies bedeutet in erster Linie die Erhaltung der Biodiversi- Lebensraum Wald wirklich umgesetzt werden können tät und der damit verbundenen Ökosystemleistungen. und eine damit verbundene dauerhafte umweltgerechte Dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zufolge dient Waldbewirtschaftung erreicht werden kann, sollten sie die „Bewirtschaftung des Körperschafts- und Staatswal- durch entsprechende raumkonkrete Strategien (in den des […] der Umwelt- und Erholungsfunktion des Waldes, Landschaftsprogrammen) der Länder unterlegt werden. nicht der Sicherung von Absatz und Verwertung forst- Diese sollten in Zusammenarbeit zwischen Vertretern von wirtschaftlicher Erzeugnisse. Die staatliche Forstpolitik Behörden und Non-Governmental Organisations (NGOs) fördert im Gegensatz zur Landwirtschaftspolitik weniger aus Naturschutz und Landschaftspflege, Forst- und Land- die Betriebe und die Absetzbarkeit ihrer Produkte als wirtschaft sowie Gewässerschutz an runden Tischen erar- vielmehr die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts“ beitet und diskutiert werden und in die forstliche Planung (BVerfG, Urteil vom 31. Mai 1990, NVwZ 1991, S. 53). einfließen. Nur einige Bundesländer haben bereits ein- Da der öffentliche Wald also nicht wie ein wirtschaftlich zelne Aspekte der ökologischen Mindeststandards zur gu- orientierter Betrieb eine Rendite erwirtschaften muss, ten fachlichen Praxis in der Forstwirtschaft nach sollte hier die (Daseins-)Vorsorge im Mittelpunkt stehen. WINKEL und VOLZ (2003) in ihren Biodiversitätsstrate- In der Forstwissenschaft wird von der „Gemeinwohlver- gien verankert. Dazu gehören vor allem die Aspekte der pflichtung“ gesprochen (VOLZ 2011; SCHÄFER 2011). Naturverjüngung, des Alt- und Totholzanteils sowie die Baumartenzusammensetzung (z. B. MUGV Brandenburg Da eine dem Gemeinwohl verpflichtete Bewirtschaftung 2012; Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Waldes durch Private nicht gewährleistet werden Baden-Württemberg 2011; Thüringer Ministerium für kann, sollten öffentliche Wälder nicht privatisiert werden, Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz 2011; weil sonst das Primat der Umwelt- und Erholungsfunk- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2010; tion des Waldes vor der Sicherung von Absatz und Ver- MLU Sachsen-Anhalt 2010; Bayerisches Staatsministe- wertung forstwirtschaftlicher Erzeugnisse nicht langfris- rium für Umwelt und Gesundheit 2009; Sächsisches tig gesichert werden kann. So werden entsprechend der Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft 2009; Annahme, dass natürliche Waldgesellschaften langfristig SaarForst Landesbetrieb 2008; Schleswig-Holsteinischer die risikoärmste und produktivste Form des Waldes dar- Landtag 2008). Daneben haben einige Länder diese und stellen, beispielsweise im Saarländischen Landeswald so- weitere Aspekte in ihren Waldstrategien verankert (z. B. wie im Kommunalwald Lübeck durch Minimierung der

226 Handlungsempfehlungen forstlichen Eingriffe und bei Steigerung der Holzvorräte kaskade) liegen. Der stofflichen Verwendung sollte daher Erträge erwirtschaftet (FÄHSER 2003; RAMMO 2011). Vorrang vor der energetischen gegeben werden. Die Komplexität ökologischer Systeme zusammen mit dem Nichtwissen darüber, welche Arten wirklich für die 6.4.2 Einführung ökologischer Erhaltung der Ökosystemleistungen notwendig sind und Mindeststandards zukünftig sein werden, spricht dafür, das Naturkapital 383. Die bundesgesetzlichen Grundlagen für den Natur- möglichst über die Zeit hinweg konstant zu halten (im Sinn schutz in Waldgebieten finden sich primär sowohl im starker Nachhaltigkeit; vgl. OTT und DÖRING 2008; BWaldG als auch im BNatSchG sowie in weiteren Rege- ESER et al. 2011). Aus Vorsorgegründen sollte daher in lungen (Bundesartenschutzverordnung, Forstschäden- öffentlichen Haushalten ein Budget für Natur- und Um- Ausgleichsgesetz, Forstvermehrungsgutgesetz sowie den weltschutzmaßnahmen sowie Klimaanpassungsmaßnah- dazugehörigen Verordnungen). Bislang fehlt es an einer men in den öffentlichen Wäldern festgelegt werden. Eine klaren gesetzlichen Ausgestaltung im Hinblick auf das solche feste Planung macht diese Ziele gleichzeitig sicht- Konkurrenzverhältnis (KROHN 2010, S. 9). Während bar. Da der öffentliche Wald einen Großteil der Schutzge- das BNatSchG vorrangig naturschutzbezogenen Belan- biete beherbergt, spielt er außerdem eine entscheidende gen dienen soll, erhebt das BWaldG einen umfassenden Rolle für die Erhaltung und den Erhaltungszustand des Regelungsanspruch im Hinblick auf die gleichberechtigte Schutzgebietsnetzwerks Natura 2000. Sicherung der Schutz-, Nutzungs- und Erholungsfunktion der Wälder und somit insbesondere auf die Ausgestaltung Grundlegend für die Vorbildwirkung des öffentlichen der Bewirtschaftungsfreiheit der Forstwirte (ebd.). Waldes ist die Umsetzung der Ziele der nationalen Biodi- versitätsstrategie (BMU 2007). Insbesondere sollte das Grundsätzlich wird in der Debatte um den Waldnatur- Ziel einer Zertifizierung von 80 % der Waldfläche mit schutz zwischen traditionellen segregativen und integrati- hochwertigen ökologischen Standards (z. B. FSC oder ven Ansätzen unterschieden. Segregativer Schutz bedeu- Naturland) wie für 2010 vorgesehen erreicht werden. Mit tet, dass auf kleinen Teilflächen des Waldes ein ungestörter einer Orientierung an diesen Standards kann die Erhal- Ablauf ökosystemarer Prozesse zur Entwicklung von tung der öffentlichen Wälder als Gemeingut am besten er- Wildnisgebieten zugelassen wird und damit eine Trennung reicht werden. von Schutzgebieten und Wirtschaftswald stattfindet. Inte- grativer Schutz dagegen zielt auf die Durchführung von Bei der Erreichung des Biodiversitätsstrategie-Ziels von Naturschutzmaßnahmen auf der gesamten (Wirtschafts-) 10 % öffentlichen Wäldern mit „natürlicher Waldentwick- Waldfläche. Um die biologische Vielfalt langfristig erhal- lung“ bis 2020 sollten alte Buchenwälder bevorzugt wer- ten zu können, ist jedoch ein Miteinander beider Schutz- den (vgl. Tz. 349), denn für das Konzept eines nationalen ansätze nötig (SCHERZINGER 1996; JEDICKE 2008). Buchenwald-Verbundsystems spielen große nutzungsfreie Das heißt, zusätzlich zur Ausweisung von Schutzgebieten Waldflächen als Schlüsselgebiete eine besondere Rolle ist ein Mindestmaß an Naturschutz auf der gesamten (PANEK 2011). Damit würde der Vorbildfunktion des Waldfläche erforderlich. Indem ökologische Mindeststan- Staates Rechnung getragen. dards in der Forstwirtschaft festgelegt werden, wird 382. Um die öffentliche Wahrnehmung und die Inwert- gleichzeitig auch ein Schwellenwert zur Honorierung von setzung der vielfältigen Leistungen des Waldes zu stärken, über diese ökologischen Mindeststandards hinausgehende muss der allgemeine Wissenstransfer vertieft werden. Not- öffentliche Güter (public goods) und eine Voraussetzung wendig sind eine bildhafte Kommunikation und eine Par- für den Vertragsnaturschutz etabliert. tizipation der Öffentlichkeit an Entscheidungsprozessen. Sowohl das BNatSchG als auch das BWaldG enthalten Die regelmäßig erfolgende Planung der Entwicklung eines – sehr allgemein gehaltene – Regelungen: laut BWaldG öffentlichen Forstes bzw. Großprivatwalds (Forsteinrich- § 1 ist die „ordnungsgemäße Bewirtschaftung nachhaltig tung) sollte die Öffentlichkeit einbeziehen, auch um die zu sichern“ (ähnlich § 11 Absatz 1). Das BNatSchG sagt in Akzeptanz für forstliche Planungen zu erhöhen. Dazu soll- § 5 Absatz 3: „Bei der forstlichen Nutzung des Waldes ist ten die Forstverwaltungen dafür notwendige Daten trans- das Ziel zu verfolgen, naturnahe Wälder aufzubauen und parent machen und mit Naturschutzverbänden, Gewerk- diese ohne Kahlschläge nachhaltig zu bewirtschaften. Ein schaften und Universitäten einen öffentlichen Diskurs im hinreichender Anteil standortheimischer Forstpflanzen ist Vorfeld der forstlichen Betriebsplanung organisieren. Zu- einzuhalten“. Die genannten Grundsätze wie der Aufbau dem sollten die Planung und die Kontrolle der Umsetzung naturnaher Wälder, die Vermeidung von Kahlschlägen so- organisatorisch und institutionell getrennt werden. wie die Erhaltung standortheimischer Pflanzen entfalten jedoch aufgrund fehlender Konkretisierung und Sank- Potenziale liegen nicht nur in der Wald- und Forstpolitik, tionsmöglichkeiten kaum unmittelbare Steuerungswir- sondern auch in der Forderung nach nachhaltigen Kon- kung (KROHN 2010, S. 9). Ihr Regelungscharakter er- sumstrukturen. Damit sich die Holzströme verringern und schöpft sich darin, die ordnungsgemäße Forstwirtschaft der Verbrauch von Holz- und Papierprodukten an die von den besonderen Artenschutzbestimmungen und Ein- nachhaltig verfügbaren Holzressourcen angepasst wird, griffsregeln freizustellen und sie damit auch von entspre- muss die Politik Anreize für eine sparsame Nutzung chenden Ausgleichs- und Ersatzverpflichtungen auszu- schaffen. Dazu sollte der Fokus neben dem Rückgang des nehmen (vgl. §§ 13, 14 Absatz 2, § 44 Absatz 4 Holz- und Papierverbrauchs auf dem Recycling und der BNatSchG). Während die Bundesregelungen ohnehin auf langfristigen Verwendung von Gebrauchtholz (Nutzungs- eine Konkretisierung durch die Länder angelegt sind, hat

227 Umweltgerechte Waldnutzung auch in diesen eine Konkretisierung der Prinzipien bisher Raum für Förder- und Honorierungsmaßnahmen schafft. nicht in ausreichendem Maß stattgefunden. Zwar haben Auf diese Weise könnten Unsicherheiten über die Rechts- einige Länder in Teilbereichen Konkretisierungen vor- folgen einer gesetzlichen Konkretisierung aus dem Weg genommen, die in einigen Fällen sogar mit Ordnungswid- geräumt werden, ohne dabei auf eine naturschutzrechtlich rigkeiten sanktioniert sind. Abweichendes Landesnatur- durchsetzbare Grundsicherung zu verzichten (WINKEL schutzrecht wurde in Bayern und Schleswig-Holstein 2007, S. 276). Die konkrete Umsetzung der Bewirtschaf- erlassen. Wünschenswert wäre daher eine bundesweite tungspflichten verbleibt als Aufgabe bei den Ländern. Festlegung von einheitlichen ökologischen Mindeststan- dards (SRU 2008, Tz. 454), insbesondere vor dem Hinter- grund des erhöhten Nutzungsdrucks durch Energiepflanzen, Einführung und Kontrolle von Nutzungsgrenzen des Ausbaus der Windenergienutzung auf Waldflächen, der Herausforderungen des Klimawandels und der zuneh- 385. Angesichts des erhöhten Nutzungsdrucks infolge menden Fälle von Kahlschlägen und übermäßigen Eingrif- des Bioenergiebooms, der Herausforderungen des Klima- fen in wertvolle Bestände. Dazu könnte zum Beispiel eine wandels und der wieder zunehmenden Fälle von Kahl- Konkretisierung des Begriffs der „ordnungsgemäßen schlägen und übermäßigen Eingriffen in wertvolle Be- Forstwirtschaft“ in § 11 Absatz 1 BWaldG beitragen so- stände ist es dringend notwendig, für die Nutzung des wie eine Verordnungsermächtigung im BNatSchG, die Waldes bundesweite Mindestgrenzen für die Zielvorräte auch Sanktionsmöglichkeiten umfasst. Dies gilt, obwohl festzulegen. die Länder von einer solchen Regelung abweichen kön- nen, wenn sie auf der konkurrierenden Gesetzgebungs- Bis 2008 ist der Holzvorrat gegenüber dem Jahr 2002 kompetenz für den Naturschutz beruht. Zum einen ist es leicht auf durchschnittlich circa 330 m3/ha gestiegen nicht zu unterschätzen, welche Wirkung in Richtung ein- (OEHMICHEN et al. 2011). Bei Buchennaturwäldern in heitlicher Standards von einer Bundesregelung ausgehen Naturwaldreservaten in Deutschland liegt der Vorrat im würde. Zum anderen würde eine Abweichung von Seiten „lebenden Bestand“ (ohne Totholz) bei über 700 m³/ha einzelner Länder immer einen Rechtfertigungsdruck er- (ENDRES und FÖRSTER 2010). Damit liegt der derzei- zeugen, der eine abweichende Regelung schwieriger tige Holzvorrat unter der Hälfte des natürlichen Vorrats macht. (von Buchenwaldstandorten). Da bereits 93 % des Zu- Wegen der Gemeinwohlverpflichtung bei der Bewirt- wachses eingeschlagen werden und der Wald in Deutsch- schaftung des öffentlichen Waldes sollten die ökologi- land eventuell ab 2012 von einer Kohlenstoffsenke zu ei- schen Mindeststandards jedenfalls für diese Eigentums- ner Kohlenstoffquelle werden könnte (KRUG und KÖHL formen des Waldes eingeführt werden (VOLZ 2011). 2010), sollte der Holzvorrat aus Vorsorgegründen aber mindestens die Hälfte des Natürlichen, also 350 m3/ha, be- Für die gute fachliche Praxis bzw. ökologische Mindest- tragen: Mindestens 50 % der natürlichen Holzvorräte soll- standards in der Forstwirtschaft haben WINKEL und ten erhalten bleiben. Dies ist notwendig, um mögliche Ka- VOLZ (2003) bereits 17 Kriterienvorschläge erarbeitet, tastrophen infolge des Klimawandels abzufedern (z. B. die einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigen Sturmereignisse, Trockenperioden, Waldbrände) und den Waldnutzung leisten können und die nach wie vor aktuell Wald als Kohlenstoffspeicher zu sichern. Sollte der Holz- sind. Die Vorschläge umfassen unter anderem: vorrat unter diese Grenze sinken, sollten im Rahmen einer – den Vorzug von Naturverjüngung, interministeriellen Arbeitsgruppe Maßnahmen zur prakti- schen Einführung von Nutzungsgrenzen festgelegt wer- – die Beschränkung der Bodenbearbeitung und die Er- den. Handlungsleitend dafür sollten die durchschnittlichen haltung der natürlichen Bodenstruktur, nationalen Holzvorräte sein. Dazu stehen Daten zur Verfü- – das Mindestalter von Endnutzungsbeständen (Nadel- gung, die regelmäßig im Rahmen der Bundeswaldinventu- bäume > 50 Jahre, Laubbäume > 70 Jahre), ren in einem 4 km x 4 km Grundnetz und zum Beispiel in der Inventurstudie 2008 (OEHMICHEN et al. 2011) in ei- – die Beschränkung des Einsatzes von Pestiziden, Her- nem 8 km x 8 km Grundnetz erhoben werden. Greenpeace biziden und Holzschutzmitteln auf ein Minimum, schlägt einen durchschnittlichen Zielvorrat zwischen 400 und 600 m3/ha vor (Greenpeace 2011). – den integrativen Naturschutz im Wirtschaftswald (z. B. ausreichender Alt- und Totholzanteil), Die forstwirtschaftliche Nutzung des Waldes würde durch – die Baumartenzusammensetzung (keine Reinbestände Mindestgrenzen nicht verboten, sondern lediglich be- mit standortwidrigen oder fremdländischen Baumar- schränkt. Für den Staatswald ist dies im Hinblick auf ten), seine vorrangige Umwelt- und Erholungsfunktion in je- dem Fall berechtigt (BVerfG, Urteil vom 31. Mai 1990, – die Düngung nur zur Behebung anthropogen verur- NVwZ 1991, S. 53). Im Falle der Privatwälder würde die sachten Nährstoffmangels und gesetzliche Regelung – wie auch andere Vorschriften des – das Kahlschlagverbot. BWaldG und des BNatSchG – die Eigentumsfreiheit (Ar- tikel 14 Absatz 1 GG) einschränken. Dies wäre im Hin- 384. Im Sinne des integrativen Ansatzes sollte der Bund blick auf die Sozialbindung des Eigentums (Artikel 14 ein allgemeines Ziel der naturnahen Waldwirtschaft fest- Absatz 2 GG) und unter Berücksichtigung der betroffe- legen, das oberhalb der geforderten Mindeststandards nen Allgemeinwohlbelange jedoch gerechtfertigt.

228 Handlungsempfehlungen

6.4.3 Honorierung ökologischer Leistungen künftig Anreize zur Stärkung des Klimaschutzes set- zen. Ab 2013 sind dazu jährliche Mittel in Höhe von 386. Als Ökosystemleistungen („ecosystem services“) 35 Mio. Euro (in Abhängigkeit von der Zertifikats- werden ökologische Prozesse bezeichnet, die für das preisentwicklung im europäischen Emissionshandel) Wohlergehen von Menschen von Bedeutung und damit vorgesehen, mit denen Maßnahmen zur Anpassung an wertvoll sind (ESER et al. 2011; vgl. Abschn. 1.2.2). Die den Klimawandel sowie zur Sicherung und zum Aus- Ökosystemleistungen von Wäldern über die Holzproduk- bau des Beitrags von Wald und Holz zum Klimaschutz tion hinaus müssen noch klarer definiert und herausgear- finanziert werden sollen (HEUER 2011). Beispiels- beitet und in der Öffentlichkeit kommuniziert werden weise könnte mit diesen Geldern unter dem Stichwort (Tz. 382). Sollen bestimmte Ökosystemleistungen von „Referenzflächen“ auch die Einrichtung von Wildnis- Wäldern in Wert gesetzt werden, ist sicherzustellen, dass flächen gefördert werden. Allerdings überwiegen in gleichzeitig der Schutz und die Erhaltung der Biodiversi- den bislang vorgeschlagenen Fördermaßnahmen Ziele tät gewährleistet werden. Das bedeutet, dass zum Beispiel der wirtschaftlichen Absicherung. die Erfüllung der Kohlenstoff-Senkenfunktion oder der Wasser- und Bodenschutz mit standortgerechten heimi- – Ausweitung und Anpassung der Beratung: Ein ver- schen Baumarten erfolgt. stärkter Transfer aktueller wissenschaftlicher Erkennt- Die wichtigsten öffentlichen Güter, die vom Ökosystem nisse und politischer Entwicklungen an die Forstwirt- Wald bereitgestellt werden können, sind der Natur-, Um- schaft kann vorhandene Potenziale aufzeigen und an welt- und Klimaschutz, der Wasser-, Boden- und Ero- lokale Bedingungen und Zielvorstellungen (insbes. sionsschutz sowie sein Beitrag zur Erholung. Allerdings der Privatwaldbesitzer) angepasste Lösungen entwi- stellt nicht jede forstwirtschaftliche Praxis diese öffentli- ckeln. chen Güter per se bereit. Gerade in ökonomisch durchra- – Vertragsnaturschutz stärken: Finanzielle Anreize zur tionalisierten forstwirtschaftlichen Betrieben ist die Be- Umsetzung naturschutzfachlicher Maßnahmen können reitstellung von öffentlichen Gütern mit (Opportunitäts-) sehr zielgerichtet eingesetzt werden. Es bestehen zum Kosten verbunden. Private Betriebe, die diese Kosten auf Beispiel Förderprogramme der Länder, die auf eine sich nehmen, sollten auch dafür entlohnt werden. Erhöhung der Totholzanteile abzielen (Übersicht zu Die langen Produktionszeiträume in der Forstwirtschaft, Förderprogrammen s. SCHABER-SCHOOR 2011). die dazu führen können, dass die gewünschten Auswir- – Ökokonten: Räumlich sehr stark begrenzte Maßnah- kungen durchgeführter Maßnahmen erst zu einem viel men können im Rahmen der Eingriffsregelung durch späteren Zeitpunkt wirksam werden, können eine erfolgs- Kompensationsmaßnahmen im Wald erreicht werden. orientierte Honorierung erschweren. Dessen ungeachtet SCHAICH und KONOLD (2012) geben Beispiele zur ist eine klare Definition der jeweils zu honorierenden Operationalisierung von Waldnaturschutzzielen durch Leistung von entscheidender Bedeutung (von EGAN- die Bereitstellung von Kompensationsmaßnahmen. KRIEGER und OTT 2007). Die gesetzliche Einführung ökologischer Mindeststandards (vgl. Abschn. 6.4.2) bie- – Bundesprogramm Biologische Vielfalt: Ziel dieses tet daher auch die notwendige Grundlage für die Honorie- Programms ist es, die Umsetzung der nationalen Bio- rung darüber hinausgehender ökologischer Leistungen diversitätsstrategie zu fördern. Es wurde Anfang 2011 der Forstwirtschaft. gestartet und verfügt über einen Finanzrahmen von 15 Mio. Euro jährlich. Maßnahmen zum Waldschutz Instrumente und Finanzierungsmöglichkeiten können insbesondere unter dem Schwerpunkt „Si- chern von Ökosystemleistungen“ gefördert werden. 387. Über ökologische Mindeststandards und die Schutz- gebietsbestimmungen hinaus können verschiedene Instru- – LIFE+ (L’Instrument Financier pour l’Environne- mente im Privat- und Körperschaftswald den Naturschutz ment): Im Rahmen des Förderprogramms der Europäi- stärken und die Honorierung öffentlicher Leistungen för- schen Kommission zu Umweltschutzbelangen können dern (WINKEL et al. 2005). Informationsgrundlagen und auch Maßnahmen zum Waldnaturschutz kofinanziert Entscheidungshilfen darüber regelmäßig zusammenfas- werden. Das wesentlich zu knapp bemessene Pro- send darzustellen und zugänglich zu machen, wäre wün- gramm verfügt für den Zeitraum 2007 bis 2013 über schenswert (GÜTHLER et al. 2005). Als Instrumente sind ein Budget von insgesamt circa 2,1 Mrd. Euro. hauptsächlich zu nennen: Grundsätzlich sollte zudem geprüft werden, welche Mög- – Einbeziehung der Waldwirtschaft in die Gemeinsame lichkeiten auch hier bestehen, umweltschädliche Subven- Agrarpolitik (GAP): Zukünftig sollten mehr Umwelt- tionen abzubauen und die umweltfreundliche öffentliche maßnahmen auf forstwirtschaftlichen Flächen durch Beschaffung zur Förderung des Waldschutzes einzusetzen Mittel der 2. Säule der GAP (Entwicklung des ländli- (vgl. Abb. 1-3, Tz. 704, 709). chen Raumes) umgesetzt werden (vgl. auch RNE 2004 S. 13). Die EU fördert seit 2007 sogenannte Waldum- 6.4.4 Wildnisgebiete im Wald rechtlich sichern weltprogramme aus Mitteln der 2. Säule. Die Umset- 388. Für eine rechtlich gesicherte Ausweisung von zung in Deutschland ist aber bislang noch gering. Wildnisgebieten eignen sich insbesondere die Kern- und – Waldklimafonds besser nutzen: Ein Fonds, der aus Er- Naturzonen innerhalb von bestehenden Nationalparks. lösen des Emissionshandels finanziert wird, wird zu- Auch die empfohlene Mindestgröße von möglichst mehr

229 Umweltgerechte Waldnutzung als 10 km2 für Nationalparke in Deutschland (BfN 2010a) PEFC stellt gegenüber FSC das deutlich schwächere Zer- ist vorteilhaft für die Ausweisung möglichst großflächi- tifizierungssystem dar (s. Tz. 366). Bei der öffentlichen ger Waldflächen, in denen Entwicklungsprozesse natür- Beschaffung sollten deshalb die FSC-Kriterien zugrunde lich und ungestört ablaufen können. „Nach den interna- gelegt werden. Der SRU hat bereits empfohlen, einen In- tionalen Management-Kategorien der IUCN ist ein dikator „Nachhaltige Forstwirtschaft“ in die Nachhaltig- Nationalpark ein Schutzgebiet, das hauptsächlich zur Si- keitsstrategie aufzunehmen, der nur den Flächenanteil der cherung großflächiger natürlicher und naturnaher Gebiete nach FSC zertifizierten Waldflächen in Deutschland (in und großräumiger ökologischer Prozesse etabliert wird %) repräsentiert (SRU 2011). Eine Zertifizierung durch (Kategorie II). Es soll die ökologische Unversehrtheit ei- FSC muss zukünftig außerdem die Grundlage für die Nut- nes oder mehrerer Ökosysteme sichern, diesem Ziel ab- zung von Holz zur Energiegewinnung darstellen. trägliche Nutzungen ausschließen und Naturerfahrungs-, Forschungs-, Bildungs- und Erholungsangebote fördern. 6.4.6 Wald vor Wild: das Bundesjagdgesetz an Um die internationalen Richtlinien der IUCN zu erfüllen, gesellschaftliche Ziele anpassen und müssen mindestens drei Viertel der Fläche eines Schutz- effektiv vollziehen gebietes seinem Hauptziel entsprechend verwaltet wer- den“ (BfN 2010a). 392. Grundsätzlich ist eine Anpassung des BJagdG durch die Einführung eines Zielkriteriums der naturnahen 389. Wie die Besucherzahlen von Nationalparks bele- Waldwirtschaft für die Schalenwildbewirtschaftung nötig, gen, erlauben Wildnisgebiete auch eine erhebliche Wert- weil dieses die größten Schäden im Wald verursacht schöpfung. Solche Einrichtungen stärken das Naturerle- (WINKEL 2007, S. 436; AMMER et al. 2010, S. 35). ben und -verständnis und dienen gleichzeitig der Erholung Nach § 32 Absatz 2 BJagdG wird außerdem ein Schaden einer zunehmend urbanen Bevölkerung. Der aus der Auf- an Bäumen und anderen Pflanzen im Wald nur ersetzt, gabe der Bewirtschaftung in einem Teil des Waldes resul- wenn der Waldbesitzer Schutzvorkehrungen getroffen tierende Verlust von Arbeitsplätzen in der Forstwirtschaft hat. Durch diese Regelung wird in der Praxis ein Scha- kann durch Entstehung neuer Beschäftigung zum Beispiel densersatz meist ausgeschlossen. Daher könnte eine Lo- in den Bereichen Planung, Tourismus und Umweltbildung ckerung dieses Paragrafen das Ziel der Erhaltung der Bio- oder die organisatorische Betreuung von Ökokonten diversität in den Vordergrund rücken. zumindest zum Teil kompensiert werden. So ist im Natio- nalpark Hainich, dem größten zusammenhängenden Laub- Folgende Maßnahmen, die teilweise auch eine Änderung waldgebiet Deutschlands („Urwald mitten in Deutsch- des BJagdG erfordern, könnten zudem im Bereich der land“), ein Baumkronenpfad errichtet worden und im Schalenwildbewirtschaftung zu einer Lösung des Kon- Nationalpark Eifel wurde ein Fernwanderweg, ein soge- flikts und einer Gewährleistung der auf das Allgemein- nannter Wildnis-Trail, angelegt. Große Schutzgebiete wie wohl bezogenen Leistungen des Waldes beitragen Nationalparke können sogar mehr lokale Beschäftigung (NABU 2008, S. 43): schaffen als die Holzindustrie (HANSKI und WALSH – Einstufung der Vermeidung von Wildschäden als prio- 2004). Der mit Nationalparks verbundene Tourismus leis- ritär gegenüber (monetären) Ersatzmaßnahmen und tet einen beachtlichen wirtschaftlichen Beitrag für die Re- Einbeziehung von ökologischen Schäden bei der Scha- gionalwirtschaft (JOB et al. 2009). Mit jährlich rund densermittlung (Verlust von Arten, Schäden an Popula- 10,5 Mio. Nationalparktouristen, die in erster Linie wegen tionen, Schäden für die Schutzziele von Schutzgebie- des Schutzgebiets die Reiseentscheidung getroffen haben, ten, Verlust der Ökosystemleistungen), werden in den Regionen der 14 deutschen Nationalparks circa 431 Mio. Euro Umsatz erwirtschaftet. – Verbot der Fütterung von Wildtierpopulationen, 390. Doch lässt sich das 2 %-Ziel für Wildnisgebiete – Anpassung der Jagdpraxis an die ökologischen Ver- (vgl. Abschn. 6.2.2) mit Flächen der bestehenden Natio- hältnisse und den Waldzustand (z. B. durch eine nalparks allein nicht erreichen. Daher werden auch Wild- Orientierung an den Ergebnissen eines verpflichtend nisentwicklungsgebiete außerhalb von Nationalparks und durchzuführenden Verbissmonitorings), außerhalb von Wäldern (vorzugsweise rund um die alten – bundeseinheitliche, kreisweise und artenscharfe Stre- Buchenwaldgesellschaften) für das Erreichen des ckenerfassung, um eine Erhebung der tatsächlich ge- 2 %-Ziels notwendig sein und allein Flächen der öffentli- streckten Tiere und der Wildbestände bundesweit zu chen Hand nicht ausreichen. ermöglichen (Deutscher Bundestag 2011a, S. 4).

6.4.5 Zertifizierung der Holzproduktion Grundsätzlich ist es erforderlich, ein modernes Wildtier- weiter stärken management einzuführen, in welchem die Bedürfnisse der jagdbaren Tiere und die Erhaltung ihrer Lebensräume 391. Grundlegend für jegliche Holznutzung sollte eine im Vordergrund stehen. Zur Bewältigung des Wald-Wild- Forstwirtschaft sein, die Naturschutzaspekte berücksich- Konflikts sind die gesetzlichen Grundlagen für eine Ver- tigt. Eine wichtige Handlungsoption zur Stärkung von besserung der Situation größtenteils bereits vorhanden, Naturschutzaspekten und der Resilienz von Waldökosys- allerdings in den genannten Punkten ergänzungsbedürf- temen ist daher die Förderung eines anspruchsvollen Zer- tig. Mindestens ebenso bedeutsam ist aber der mangel- tifizierungssystems wie dem FSC. PEFC zählt der SRU hafte Vollzug der Vorgaben (vgl. Tz. 372). Aus diesem nicht zu den hochwertigen ökologischen Standards. Grund ist es erforderlich, effektivere Kontrollmechanis-

230 Handlungsempfehlungen men und eine stärkere Sanktionierung von Verstößen auf spiel auch über Erhaltungsmaßnahmen und die Effizienz Länderebene einzuführen. des Netzes Natura 2000. Eine Überwachung des Erhaltungszustands der Arten und 6.4.7 Europäische Ebene Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse ist nach Artikel 11 der FFH-Richtlinie verpflichtend. Dies 393. Bislang gibt es auf Ebene der EU keine kohärente, sollte durch ein länderübergreifendes Monitoringsystem gemeinsame Waldpolitik. Entscheidungen, die den Wald für Natura 2000-Schutzgüter geschehen (SRU 2008, betreffen, werden größtenteils auf Ebene der einzelnen Tz. 421). In der laufenden Berichtsperiode wird erprobt, Mitgliedstaaten geregelt. Gegenwärtig existieren ledig- die Daten aus der dritten Bundeswaldinventur für die Be- lich zwei EU-Instrumente, die direkt Wälder zum Inhalt wertung des Erhaltungszustandes häufiger Wald-Lebens- haben: die EU-Forststrategie (1998) und der EU-Forstak- raumtypen heranzuziehen – bei der atlantischen Region tionsplan (2006). Zudem enthält auch die Biodiversitäts- betrifft das zwei Lebensraumtypen und bei der kontinen- strategie der EU mehrere Ziele und Maßnahmen für den talen Region fünf Lebensraumtypen. Hierfür wurde die Lebensraum Wald (Europäische Kommission 2011). Da- Bundeswaldinventur in Abstimmung mit den Naturschutz- neben sind allerdings etliche Politikbereiche für Wälder und Forstverwaltungen um eine Methode zur Erfassung relevant: die GAP, die Wasserwirtschaftspolitik, vor al- der Wald-Lebensraumtypen und ihrer Erhaltungszustände lem die Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG (WRRL), erweitert (ALDINGER und MÜLLER-KROEHLING der Biodiversitätsschutz einschließlich Natura 2000 (Eu- 2012). Grundlage zur Erfüllung der Berichtspflichten, aber ropäische Kommission 2006; 2011) und die Förderung auch allgemein um zu überprüfen, ob die Ziele der Biodi- der erneuerbaren Energien. versitätsstrategie im Wald erreicht werden, sollte der bun- Obwohl die Kompetenz für die Forstpolitik grundsätzlich desweite Ausbau der ökologischen Flächenstichprobe sein bei den Mitgliedstaaten liegt, gibt es Bestrebungen sei- (vgl. Abschn. 10.3.1, 10.4.2, Tz. 539). tens der EU, eine kohärente gemeinschaftliche Waldpoli- Fraglich ist allerdings grundsätzlich, ob eine vergemein- tik einzuführen (Europäische Kommission 2010). Eine schaftete Waldpolitik überhaupt ökologisch vorteilhaft Kompetenz der EU könnte vor dem Hintergrund der wäre, weil sie die sehr unterschiedlichen Bedingungen in Herausforderungen, die der Klimawandel als grenzüber- den Mitgliedstaaten einbeziehen müsste und keinen Kom- schreitender Tatbestand an die Waldpolitik stellt, auf Arti- promiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner darstel- kel 192 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi- len dürfte. Angesichts der naturräumlichen Unterschiede schen Union (AEUV) gestützt werden. Der Klimawandel zwischen den Mitgliedstaaten sollte eine EU-Waldpolitik erfordert seinerseits bestimmte forstwirtschaftliche He- jedenfalls genug Spielräume für angepasste Regelungen rangehensweisen, die ebenfalls ein Tätigwerden der EU enthalten. begründen könnten. 394. Eine Kompetenz der EU besteht auch für Natur- Illegaler Holzeinschlag schutzaspekte der Waldpolitik, insbesondere solche, die das Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000 betreffen. In Be- 395. Die FLEGT-Verordnung (EG) Nr. 2173/2005 hat zug auf Wälder regelt die FFH-Richtlinie den Schutz und das sogenannte FLEGT-Genehmigungssystem (FLEGT – das Management innerhalb des Schutzgebietsnetzwerks Forest Law Enforcement, Governance and Trade) für Natura 2000 sowie den Schutz von Arten des Anhangs IV Holzimporte in die EU eingerichtet, das verhindern soll, der Richtlinie, soweit diese im Wald leben, inklusive des dass illegal eingeschlagenes Holz importiert wird. Sie dafür notwendigen Monitorings (zu verschiedenen Optio- wurde in Deutschland mit dem Holzhandels-Sicherungs- nen auf europäischer Ebene s. WINKEL et al. 2009). Gesetz (HolzSiG) umgesetzt. Die Einfuhr von Holz und bestimmten Holzprodukten ist nach der EU-Verordnung Eine besondere Verantwortung für Natura 2000 kommt nur erlaubt, wenn für diese eine FLEGT-Genehmigung dabei der öffentlichen Hand als Waldbesitzer zu vorliegt. Durch das Gesetz wird geregelt, wie auf nationa- (Tz. 346 f.). Der öffentliche Wald sollte die Grundlage für ler Ebene Holzeinfuhren aus Ländern, die mit der EU den Ausbau eines Netzwerks mit höchsten ökologischen Partnerschaftsabkommen gegen den illegalen Holzein- Standards und Schwellenwerten bilden. Zur „Verbesse- schlag abgeschlossen haben, kontrolliert werden. Es rung der ökologischen Kohärenz von Natura 2000“, wie stattet auch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Er- sie in Artikel 10 der FFH-Richtlinie gefordert wird, muss nährung (BLE) als zuständige Behörde mit den erforderli- der Richtlinie zufolge der länderübergreifende Biotopver- chen Eingriffsbefugnissen aus. FLEGT beinhaltet ein Li- bund ausgebaut werden. Dabei sollten mindestens einige zenzsystem mit Genehmigungsstellen in den jeweiligen Gebiete eine Größe von mehr als 10 km2 aufweisen (BfN Partnerländern für Holzexporte in die EU, bei dem Holz 2010b). Zum dauerhaften Schutz der biologischen Viel- aus legaler Herkunft gekennzeichnet wird. Die Kriterien falt und zur Sicherung bzw. Verbesserung des Erhaltungs- werden in einzelnen Partnerschaftsabkommen festgelegt, zustandes von Arten und Lebensraumtypen ist ein ad- die bislang mit Ghana, Kamerun, der Republik Kongo, äquates und effektives Management nötig. Dazu sollten der Zentralafrikanischen Republik, Indonesien und Libe- Managementpläne für die Natura 2000-Gebiete erstellt, ria geschlossen wurden. Um Transparenz sicherzustellen, umgesetzt und überwacht werden. Nach Artikel 17 FFH- sollten die Abkommen durch ein unabhängiges Monito- Richtlinie bestehen Berichtspflichten mit nationalen und ring überwacht werden, denn nach einer Studie des World gemeinschaftlichen Berichten alle sechs Jahre zum Bei- Wide Fund For Nature (WWF) kamen im Jahr 2006 circa

231 Umweltgerechte Waldnutzung

11 Mio. m³ (r) Produkte auf der Basis von Holz, die nach Als ein erster Schritt sollte eine permanente Bund/Län- Deutschland eingeführt wurden, aus illegalen oder ver- der-Arbeitsgruppe zur Umsetzung der waldrelevanten dächtigen Importen (HIRSCHBERGER 2008). Ziele der nationalen Biodiversitätsstrategie eingesetzt werden. Diese soll eine Strategie von Bund und Ländern Aus Sicht des SRU sollte dieser sehr wichtige Schritt al- zur vorbildlichen Berücksichtigung der Biodiversitätsbe- lerdings konsequenterweise auch Bücher, Zeitungen und lange für alle Wälder im Besitz der öffentlichen Hand bis andere Druckerzeugnisse umfassen, die bislang von der 2010 und ihre Umsetzung bis 2020 entwickeln (BMU Regelung ausgenommen sind. Um einen Wettbewerbs- 2007, S. 32). vorteil für Länder mit geringen gesetzlichen Standards sowie illegale Importe zu vermeiden, sollten zukünftig alle Importe von Holz oder Holzprodukten aus nachweis- 6.5 Zusammenfassung lich legaler und nachhaltiger Nutzung stammen und ent- 397. Insgesamt konkurrieren unterschiedliche Nutzun- lang der gesamten Produktions- und Transportkette inner- gen um die Wälder. Es besteht die Gefahr, dass sich hier- halb des EU-Binnenmarktes unabhängig kontrollierbar bei die Ansprüche der kommerziellen Holzproduktion auf sein. Kosten anderer Ziele durchsetzen. Als Lösungsmöglich- keit für die bestehenden Zielkonflikte schlägt der SRU 6.4.8 Institutionelle Reform der minis- eine differenzierte Nutzung der Waldfläche unter dem teriellen Zusammenarbeit Vorrang des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen vor. Dabei ist ein „patchwork“ verschiedener Nutzungsty- 396. Die ökologischen Lebensgrundlagen müssen vor- pen wie beispielsweise Flächen mit natürlicher Waldent- rangig gesichert werden, weil sie die Basis für das Errei- wicklung, Wildnis, Naturschutz, Klimaschutz, Klimaan- chen wirtschaftlicher Ziele auf Waldflächen darstellen. passung, Tourismus und Forstwirtschaft auf den jeweils Der Schutz der biologischen Vielfalt und der durch sie er- dafür geeigneten Flächen wünschenswert (SCHERZIN- möglichten Ökosystemleistungen ist zentral. Die Schwie- GER 1996), das mit bundesweiten Grenzen für die Holz- rigkeiten, die bei der Entwicklung der Waldstrategie 2020 nutzung verknüpft werden sollte. Als Grundlage dafür aufgetreten sind (Tz. 376 f.), zeigen, dass dies bislang in- schlägt der SRU folgende Punkte vor: stitutionell nicht gewährleistet ist. Auch eine bereits be- stehende Interministerielle Arbeitsgruppe zur Umsetzung – Ökologische Mindeststandards im Wald einführen: der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt konnte Biodiversitäts- und bodenschonende Bewirtschaf- beispielweise den Konflikt zwischen Forstwirtschaft und tungsformen im Wald sollten grundlegend für wirt- Biodiversitätsschutz nicht lösen. Um den Naturschutzas- schaftliche Ziele sein und die flächendeckende Basis pekt in der Waldpolitik zu stärken, sollte die bisherige einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung bilden. Sie Unterabteilung Forstwirtschaft des BMELV daher in das schützen gleichzeitig auch die Funktion der Wälder als BMU integriert werden. Kohlenstoffspeicher. Dazu könnten zum Beispiel eine Konkretisierung des Begriffs der „ordnungsgemäßen Wesentliche Teile der internationalen Waldpolitik sind Forstwirtschaft“ in § 11 Absatz 1 BWaldG beitragen bereits dem BMU zugeordnet. Durch eine Bündelung der und/oder eine Verordnungsermächtigung im BNatSchG. Zuständigkeiten beim BMU könnte eine größere Kohä- Ökologische Mindeststandards sollten jedenfalls für renz zwischen nationaler und internationaler Waldpolitik den öffentlichen Wald eingeführt werden, weil dieser geschaffen werden. In der praktischen Umsetzung des vor allem Gemeinwohlzwecken dient. Naturschutzes im Wald würde dies die Verzahnung zwi- schen der Bundeswaldinventur, der Umsetzung von Na- – Ziele der nationalen Strategie zur biologischen Viel- tura 2000 und generell des Monitorings im Wald gewähr- falt umsetzen: Da unsicher ist, wie reaktionsfähig leisten (vgl. Tz. 394). Waldökosysteme auf den Klimawandel sind, sollte die Resilienz von Wäldern gestärkt werden. Für eine ge- Derzeit teilen sich die Zuständigkeiten wie folgt auf: lungene Umsetzung einer dauerhaft umweltgerechten – BMU: Übereinkommen über die biologische Vielfalt Waldbewirtschaftung sollten die Ziele der nationalen (CBD), Klimarahmenkonvention (UNFCCC), Rege- Biodiversitätsstrategie für den Lebensraum Wald in lungen des Washingtoner Artenschutzübereinkom- entsprechenden raumkonkreten Strategien der Land- mens (CITES), FFH-Richtlinie und die UN-Konferen- schaftsprogramme der Länder verankert werden. Die zen für nachhaltige Entwicklung; Ziele dieser Biodiversitätsstrategien der Länder sollten die Basis für forstliche Planungen und Anpassungs- – BMELV: Waldforum der Vereinten Nationen (UNFF), maßnahmen auch, aber nicht nur, in Schutzgebieten Forest Europe, Verhandlungen der Ernährungs- und sein. Eine besondere Vorbildwirkung kommt dem öf- Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen fentlichen Wald zu. Hier ist die Umsetzung der Ziele (FAO) zum Thema Wald und für Rechtsdurchsetzung, der nationalen Biodiversitätsstrategie grundlegend. Politikgestaltung und Handel im Forstsektor (FLEGT); Der forstlichen Rahmenplanung im Staatswald sollte – BMWi (Bundesministerium für Wirtschaft und Tech- möglichst ein öffentlicher Diskurs vorgeschaltet wer- nologie): Internationales Tropenholz-Übereinkommen den. (ITTA); – Monitoring in Natura 2000-Gebieten qualifizieren: – BMF (Bundesministerium der Finanzen): Bundes- Eine Überwachung des Erhaltungszustands der Arten wald. und Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Inte-

232 Zusammenfassung

resse sollte unter Federführung des BMU bzw. der die nötig ist, um den Kohlestoffvorrat pro Fläche zum Naturschutzbehörden der Länder durch ein länder- Zeitpunkt der Ernte wiederherzustellen) berücksichtigt übergreifendes Monitoringsystem für Natura 2000- werden. Durch Holznutzung erzielbare Einsparungen Gebiete erfolgen. Die ökologische Flächenstichprobe fossilen Kohlenstoffs müssen stets den Verlusten an sollte bundesweit ausgebaut werden, um als Grund- biogen gebundenem Kohlenstoff in Waldökosystemen lage für Berichtspflichten, aber auch allgemein zur Er- im Falle der Nicht-Nutzung gegenübergestellt werden. reichung der Ziele der Biodiversitätsstrategie im Wald zu dienen. – Ressourcenschonende Nutzung: Im Sinne einer nach- haltigen Holznutzung und um Speicher- und Substitu- – 10 % Flächenanteil „mit natürlicher Waldentwick- tionseffekte zu ermöglichen, sollte der Nutzungsdruck lung“ in Wäldern der öffentlichen Hand ausweisen: auf den Wald verringert werden. Daher wird die Mobi- Die Ausweisung solcher Flächen unterstützt den lisierung vorhandener nachhaltig nutzbarer Potenziale Schutz der biologischen Vielfalt und sollte an geeigne- zur energetischen Nutzung, die bisher nicht oder nur ten Standorten – vorrangig in Buchenwäldern – bis unzureichend erschlossen sind, wie Landschaftspfle- 2020 umgesetzt werden. Damit wird der Vorbildwir- geholz und Resthölzer, oder der Anbau in KUP zu- kung des Staates Rechnung getragen. künftig eine wichtige Rolle spielen. Dabei müssen, – Wildnisflächen rechtlich absichern: Die Einrichtung wie auch im Biomasseaktionsplan der Bundesregie- von großflächigen Wildnisgebieten, in denen Entwick- rung ausgeführt, die Anforderungen von Natur- und lungsprozesse ungestört ablaufen können, sollte insbe- Bodenschutz berücksichtigt werden. Importe von sondere auf geeigneten Waldflächen der öffentlichen holzartiger Biomasse zur Energiegewinnung sollten Hand bis 2020 umgesetzt werden und Natura 2000- nur mit verpflichtenden Nachhaltigkeitsanforderungen Flächen bevorzugen. Wildnisgebiete können auch eine zugelassen werden. Dies erfordert ein Monitoring des wichtige ökonomische Bedeutung insbesondere für Holzhandels-Sicherungs-Gesetzes in den Herkunfts- den Tourismus haben. Diese ist weiterzuentwickeln. ländern durch unabhängige Institutionen. – Honorierung öffentlicher Leistungen: die Inwertset- – Holzvorrat durch Nutzungsgrenzen sichern: Für die zung der ökosystemaren Funktionen des Waldes sollte Nutzung des Waldes sollte eine bundesweite Mindest- verbessert werden, indem Anreize zu ihrer Erhaltung grenze für die Zielvorräte festgelegt werden. Dabei geschaffen werden. sollte der Holzvorrat aus Vorsorgegründen mindestens die Hälfte des natürlichen, also 350 m3/ha, betragen. – Wald-Wild-Konflikt lösen: Künstliche Manipulationen der Wildtierpopulation sollten verboten werden und – Hochwertige Zertifizierung stärken: Der Druck zur eine Umorientierung zu einem modernen Wildtierma- Zertifizierung der Holzproduktion durch ein an- nagement erfolgen. Die Vermeidung von Wildschäden spruchsvolles System wie FSC auf 80 % der Fläche sollte prioritär gegenüber (monetären) Ersatzmaßnah- sollte verstärkt werden. Eine Zertifizierung muss au- men sein. Ökologische Schäden sollten in die Scha- ßerdem die Grundlage für die Nutzung von Holz zur densermittlung mit einbezogen werden. Daneben sind Energiegewinnung darstellen. die gesetzlichen Grundlagen für eine Verbesserung der Situation größtenteils bereits vorhanden und nur in – Institutionelle Reform der ministeriellen Zusammenar- wenigen, aber entscheidenden Punkten ergänzungsbe- beit zur Waldpolitik: Der SRU schlägt vor, die bishe- dürftig. Neben einem verbesserten Vollzug bestehen- rige Unterabteilung Forstwirtschaft im BMELV in das der Gesetze ist eine Anpassung der Jagdpraxis an die BMU zu integrieren. Damit würde die Kohärenz von ökologischen Verhältnisse und den Waldzustand nötig. nationaler und internationaler Politik sowie die Effi- zienz durch Bündelung in einem Ministerium gestärkt – Klimaschutz stärken: Zur Abmilderung des Klima- werden. wandels in den kommenden Jahrzehnten sollte der Aufbau weiterer Kohlenstoffvorräte im Wald durch 6.6 Literatur ein höheres Bestandsalter angestrebt werden. Ein ho- hes Alter des Waldes ist gleichzeitig die Grundlage für Aldinger, E., Müller-Kroehling, S. (2012): FFH-Monito- das Vorkommen vieler gefährdeter Waldarten. Klima- ring, eine richtungsweisende Zusammenarbeit von Natur- schutzstrategien sollten darüber hinaus die Steigerung schutz und Forst. Naturschutz und Landschaftsplanung der Resistenz und Resilienz der Wälder gegenüber 44 (2), S. 59–60. Wetterextremen durch Wahl heimischer Baumarten und Herkünfte zum Ziel haben. Ammer, C., Vor, T., Knoke, T., Wagner, S. (2010): Der Wald-Wild-Konflikt. Analyse und Lösungsansätze vor – Durch eine schonende Nutzung von Biomasse aus Wäl- dem Hintergrund rechtlicher, ökologischer und ökonomi- dern können Emissionen von Kohlenstoff eingespart scher Zusammenhänge. Göttingen: Universitätsverlag. werden. Treibhausgas-Bilanzierungen der forstlichen Göttinger Forstwissenschaften 5. Nutzung müssen den auf Waldflächen gespeicherten Kohlenstoff und dessen Änderungen vollständig be- ANU (Arbeitsgemeinschaft Natur und Umweltbildung rücksichtigen. Dies umfasst neben der lebenden Bio- Bundesverband) (2005): Umweltbildung im Wald (2005) – masse auch das Totholz, die Streuauflage und den Hu- Dokumentation. Ein fotografischer Überblick über die mus. Folglich müssen die „time-lag“-Phasen (die Zeit, ANU-Bundestagung 2005 in Altenkirchen. Frankfurt am

233 Umweltgerechte Waldnutzung

Main: ANU. http://www.umweltbildung.de/wald.html Bundesregierung (2008): Für ein nachhaltiges Deutsch- (11.01.2012). land. Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen Nachhaltig- keitsstrategie. Berlin: Presse- und Informationsamt der Baumann, A., Oppermann, R., Erdmanski-Sasse, W. Bundesregierung. (2007): Bioenergie? – Aber natürlich! Nachwachsende Rohstoffe aus Sicht des Umwelt- und Naturschutzes. Bundesregierung (2004): Perspektiven für Deutschland. Ansbach, Berlin: Deutscher Verband für Landschafts- Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung. Fort- pflege, NABU. Landschaft als Lebensraum 12. schrittsbericht 2004. Berlin: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Baumgarten, M., Matyssek, R., Huber, C., Dietrich, H. P. (2010): Beurteilung des Ozonrisikos für die Waldregio- Bundesregierung (2002): Perspektiven für Deutschland. nen Bayerns am Beispiel des Jahres 2002 und des Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung. Ber- Extremtrockenjahres 2003 auf der Basis der externen lin: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Ozonexposition und der internen Ozonaufnahme. Um- Cardinale, B. J., Matulich, K. L., Hooper, D. U., Byrnes, weltwissenschaften und Schadstoff-Forschung 22 (5), J. E., Duffy, E., Gamfeldt, L., Balvanera, P., O’Connor, S. 579–595. M. I., Gonzalez, A. (2011): The functional role of produ- Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesund- cer diversity in ecosystems. American Journal of Botany heit (2009): Strategie zum Erhalt der biologischen Viel- 98 (3), S. 572–592. falt in Bayern [Bayerische Biodiversitätsstrategie]. Mün- Chum, H., Faaij, A., Moreira, J. (2012): Bioenergy. In: chen: Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) Gesundheit. (Hrsg.): Renewable energy sources and climate change Benz, A., Koch, H.-J., Suck, A., Fizek, A. (2008): Ver- mitigation. Special report of the Intergovernmental Panel waltungshandeln im Naturschutz. Bonn: Bundesamt für on Climate Change. New York: Cambridge University Naturschutz. Naturschutz und Biologische Vielfalt 66. Press, S. 209–331. Coleman, A., Aykroyd, T. (Hrsg.) (2009): Proceedings of BfN (Bundesamt für Naturschutz) (2011): Windkraft über the Conference on Wilderness and Large Natural Habitat Wald. Positionspapier. Bonn: BfN. Areas. Prague: EU Presidency. BfN (2010a): Nationalparke. Bonn: BfN. http://www. Creutzig, F., Popp, A., Plevin, R., Luderer, G., Minx, J., bfn.de/0308_nlp.html (27.02.2012). Edenhofer, O. (2012): Reconciling top-down and bottom- BfN (2010b): Wildnisgebiete. Bonn: BfN. http://www. up modelling on future bioenergy deployment. Nature bfn.de/0311_wildnis.html (27.02.2012). Climate Change. 2 (5), S. 320–327. BfN (2008): Naturerbe Buchenwälder. Situationsanalyse dena (Deutsche Energie-Agentur) (2011): Die Mitver- und Handlungserfordernisse Bonn: BfN. Positionspapier brennung holzartiger Biomasse in Kohlekraftwerken. Ein des BfN. Beitrag zur Energiewende und zum Klimaschutz? Berlin: dena. BfN, BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) (2010): Natura 2000 in Deutsch- Deutscher Bundestag (2011a): Antwort der Bundesregie- land. Edelsteine der Natur. Bonn, Berlin: BfN, BMU. rung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. , Eva Bulling-Schröter, , weiterer BMELV (2004): Die zweite Bundeswaldinventur – BWI2 Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Bundes- Berlin: BMELV. http://www.bmelv.de/cln_045/nn_753668 drucksache 17/6992. Überarbeitungsbedarf beim Bundes- /DE/06-Forstwirtschaft/Waldberichte/Bundeswald inven jagdrecht. Berlin: Deutscher Bundestag. Bundestags- tur2.html__nnn=true. drucksache 17/7229. BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Deutscher Bundestag (2011b): Schriftliche Fragen mit Reaktorsicherheit) (2010): Erneuerbare Energien in Zah- den in der Woche vom 24. Oktober 2011 eingegangenen len. Nationale und internationale Entwicklung. Stand: Antworten der Bundesregierung. Berlin: Deutscher Bun- Juni 2010. Berlin: BMU. destag. Bundestagsdrucksache 17/7546. BMU (2007): Nationale Strategie zur biologischen Viel- Deutscher Bundestag (2011c): Unterrichtung durch die falt, vom Bundeskabinett am 7. November 2007 be- Bundesregierung. Waldstrategie 2020. Nachhaltige Wald- schlossen. Berlin: BMU. bewirtschaftung – eine gesellschaftliche Chance und He- rausforderung. Berlin: Deutscher Bundestag. Bundestags- Bofinger, S., Callies, D., Scheibe, M., Saint-Drenan, Y.-M., drucksache 17/7292. Rohrig, K. (2011): Studie zum Potenzial der Windener- gienutzung an Land. Kurzfassung. Berlin: Bundesver- Deutscher Bundestag (2010): Antwort der Bundesregie- band WindEnergie. rung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Crone, Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Wilhelm Priesmeier, Bohn, U., Gollup, G. (2007): Buchenwälder als natürliche weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD. Druck- Vegetation in Europa. Natur und Landschaft 82 (9–10), sache 17/3556. Sachstand zur Waldstrategie 2020. Berlin: S. 391–397. Deutscher Bundestag. Bundestagsdrucksache 17/3770.

234 Literatur

Deutscher Bundestag (2009): Unterrichtung durch die Mai 2010. Tagungsband. Bonn: Bundesamt für Natur- Bundesregierung. Waldbericht der Bundesregierung 2009. schutz. BfN-Skripten 293, S. 66–70. Berlin: Deutscher Bundestag. Bundestagsdrucksache 16/13350. Eser, U., Neureuther, A.-K., Müller, A. (2011): Klugheit, Glück, Gerechtigkeit. Ethische Argumentationslinien in Deutscher Bundestag (2008): Antwort der Bundesregie- der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Bonn- rung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Cornelia Bad Godesberg: Bundesamt für Naturschutz. Naturschutz Behm, Hans-Josef Fell, , weiterer und Biologische Vielfalt 107. Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bundestagsdrucksache 16/7612. Wald als Europäische Kommission (2011): Mitteilung der Kom- Kohlendioxidsenke. Berlin: Deutscher Bundestag. Bun- mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- destagsdrucksache 16/7939. ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Lebensversicherung und Natur- DFWR (Deutscher Forstwirtschaftsrat) (2011): „Erfurter kaptial: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr Erklärung“. Energiewende und Klimawandel erfordern 2020. KOM(2011) 244 endg. Brüssel: Europäische Kom- neue Strategien für den Wald. 21.06.2011. Erfurt: DFWR. mission. DJV (Deutscher Jagdschutz-Verband) (2003): Das Bun- Europäische Kommission (2010): Grünbuch. Waldschutz desjagdgesetz. Forderungen und Tatsachen. Bonn: DJV. und Waldinformation: Vorbereitung der Wälder auf den Klimawandel. KOM(2010) 66 endg. Brüssel: Europäi- Doyle, U., Ristow, M. (2006): Biodiversitäts- und Natur- sche Kommission. schutz vor dem Hintergrund des Klimawandels. Für einen dynamischen integrativen Schutz der biologischen Viel- Europäische Kommission (2006): Mitteilung der Kom- falt. Naturschutz und Landschaftsplanung 38 (4), mission. Eindämmung des Verlustes der biologischen S. 101–107. Vielfalt bis zum Jahr 2010 – und darüber hinaus. Erhalt der Ökosystemleistungen zum Wohl der Menschen. Doyle, U., Schümann, K. (2010): Erneuerbare Energien – KOM(2006) 216 endg. Brüssel: Europäische Kommis- Die Zukunft des Biomasseanbaus. In: Demuth, B., Hei- sion. land, S., Wojtkiewicz, W., Wiersbinski, N., Finck, P. (Hrsg.): Landschaften in Deutschland 2030 – Der große Fähser, L. (2003): Naturnahe Waldnutzung im Stadtwald Wandel. Ergebnisse des Workshops vom 1.–4.12.2009 an Lübeck. In: Altner, G., Leitschuh-Fecht, H., Michelsen, G., der Internationalen Naturschutzakademie Insel Vilm Simonis, U. E., Weizsäcker, E. U. von (Hrsg.): Jahrbuch (INA). Bonn: Bundesamt für Naturschutz. BfN-Skripten Ökologie 2004. München: Beck, S. 156–166. 284, S. 61–70. FOREST EUROPE (1998): Annex 1 of the resolution L2. Dunger, K., Stümer, W., Oehmichen, K., Riedel, T., Bolte, A. Pan-European Criteria and Indicators for Sustainable (2009): Der Kohlenstoffspeicher Wald und seine Ent- Forest Management. Madrid: Ministerial Conference on wicklung. AFZ – Der Wald 64 (20), S. 1072–1073. the Protection of Forests in Europe. http://www.forest europe.org/?module= Files;action=File.getFile;ID=271 EEA (European Environment Agency) (2011): Opinion (28.02.2012). of the EEA Scientific Committee on the greenhouse gas accounting in relation to bioenergy. Copenhagen: EEA. FOREST EUROPE (1993): Resolution H1. General Gui- delines for the Sustainable Management of Forests in Eu- Egan-Krieger, T. von, Ott, K. (2007): Normative Grund- rope. Madrid: Ministerial Conference on the Protection of lagen nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Ethik-Gutach- Forests in Europe. http://www.foresteurope.org/?mo ten im Rahmen des Projektes „Zukünfte und Visionen dule=Files;action=File.getFile;ID=259 (28.02.2012). Wald 2100“. Greifswald: Ernst-Moritz-Arndt Universität, Institut für Botanik und Landschaftsökologie. FOREST EUROPE, UNECE (United Nations Economic Commission for Europe), FAO (Food and Agriculture Or- Ellwanger, G., Balzer, S., Schröder, E., Ssymank, A., ganization) (2011): State of Europe’s Forests 2011. Status Pöppelmann, A., Fartmann, T. (2011): Der Zustand der and Trends in Sustainable Forest Management in Europe. biologischen Vielfalt in Deutschland. Der Nationale Be- Oslo: Ministerial Conference on the Protection of Forests richt zur FFH-Richtlinie. Berlin, Bonn: Bundesministe- in Europe. rium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bundesamt für Naturschutz. Freibauer, A., Drösler, M., Gensior, A., Schulze, E.-D. (2009): Das Potenzial von Wäldern und Mooren für den Endres, U., Förster, B. (2010): Strukturveränderungen in Klimaschutz in Deutschland und auf globaler Ebene. Na- Buchennaturwaldreservaten. Totholz unterliegt in den tur und Landschaft 84 (1), S. 20–25. „reifenden“ Naturwaldreservaten einer starken Dynamik. LWF aktuell 77, S. 54–56. Fritz, P. (Hrsg.) (2006): Ökologischer Waldumbau in Deutschland. München: oekom. Erb, W. (2011): Der Beitrag des öffentlichen Waldes in Baden-Württemberg zur Umsetzung der NBS. In: Hölter- FSC Deutschland (Forest Stewardship Council, Arbeits- mann, A., Winkel, G. (Hrsg.): Dialogforum Öffentlicher gruppe Deutschland) (2012): FSC in Zahlen. Stand: Fe- Wald und Nationale Biodiversitätsstrategie. Vilm, 19–21. bruar 2012. Freiburg: FSC Deutschland. http://www.fsc-

235 Umweltgerechte Waldnutzung deutschland.de/index.php?option=com_content&view= 19–21. Mai 2010. Tagungsband. Bonn: Bundesamt für article&id=211&Itemid=106 (02.04.2012). Naturschutz. BfN-Skripten 293, S. 43–45. Greenpeace (2011): Die Wälder Deutschlands im Klima- Jedicke, E. (2008): Biotopverbund für Alt- und Totholz- schutz – eine neue Strategie mit großer Wirkung. Ham- Lebensräume. Leitlinien eines Schutzkonzepts inner- und burg: Greenpeace. außerhalb von Natura 2000. Naturschutz und Land- Güthler, W., Market, R., Häusler, A., Dolek, M. (2005): schaftsplanung 40 (11), S. 379–385. Vertragsnaturschutz im Wald. Bundesweite Bestandsauf- Job, H., Woltering, M., Harrer, B. (2009): Regionalöko- nahme und Auswertung. Bonn: Bundesamt für Natur- nomische Effekte des Tourismus in deutschen National- schutz. BfN-Skripten 146. parken. Bonn-Bad Godesberg: Bundesamt für Natur- Hanski, I., Walsh, M. (2004): How much, how to? Practi- schutz. Naturschutz und Biologische Vielfalt 76. cal tools for forest conservation. Helsinki: Birdlife Inter- JuraForum (2011): Lexikon > W > Wildschaden. Hanno- national. ver: Einbock Internet Business. http://www.juraforum.de/ Hessen-Forst (2010): Naturschutzleitlinie für den Hessi- lexikon/wildschaden (27.05.2011). schen Staatswald. Kassel: Hessen-Forst. Kleinhückelkotten, S., Neitzke, H.-P. (2010): Naturbe- Heuer, E. (2011): Kohlenstoffbilanzen – Schlüssel zur wußtsein 2009. Bevölkerungsumfrage zu Natur und bio- forstlichen Klimapolitik. AFZ – Der Wald 66 (17), logischer Vielfalt. Berlin, Bonn: Bundesministerium für S. 16–18. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bundesamt für Naturschutz. Hildmann, C., Kühling, W., Scheurlen, K. (2010): Kurzumtriebsplantagen für die Energieholzgewinnung. Krohn, S. (2010): Naturschutz im Wald: Was bringt das Chancen und Risiken. Berlin: BUND. BUNDpositionen neue BNatSchG? Vortrag, 9. Warnemünder Naturschutz- 55. rechtstag, 24.–25.06.2010, Rostock-Warnemünde. Hirschberger, P. (2008): Illegaler Holzeinschlag und Krug, J., Köhl, M. (2010): Bedeutung der deutschen Deutschland. Eine Analyse der Außenhandelsdaten. Forstwirtschaft in der Klimapolitik. AFZ – Der Wald 65 Frankfurt am Main: WWF Deutschland. (17), S. 30–33. Hoheisel, D., Kangler, G., Schuster, U., Vicenzotti, V. Kujanpää, M., Pajula, T., Hohenthal, C. (2009): Carbon (2010): Wildnis ist Kultur. Warum Naturschutzforschung footprint of a forest product – challenges of including Kulturwissenschaft braucht. Natur und Landschaft 85 (2), biogenic carbon and carbon sequestration in the calcula- S. 45–50. tions. In: Koukkari, H., Nors, M. (Hrsg.): Life Cycle Höltermann, A., Oesten, G. (2001): Ein Begriff macht Assessment of Products and Technologies. LCA Sympo- Karriere. Forstliche Nachhaltigkeit. Ein forstwirtschaftli- sium. Helsinki: VTT Technical Research Centre of Fin- ches Konzept als Vorbild für die Strategie der nachhalti- land. VTT Symposium 262, S. 27–39. gen Entwicklung? Der Bürger im Staat 51 (1), S. 39–45. Luyssaert, S., Schulze, E. D., Borner, A., Knohl, A., Hes- Höltermann, A., Winkel, G. (2011): Zusammenfassung senmoller, D., Law, B. E., Ciais, P., Grace, J. (2008): Old- der wesentlichen Workshopergebnisse. In: Höltermann, A., growth forests as global carbon sinks. Nature 455 (7210), Winkel, G. (Hrsg.): Dialogforum Öffentlicher Wald und S. 213–215. Nationale Biodiversitätsstrategie. Vilm, 19–21. Mai 2010. McKechnie, J., Colombo, S., Chen, J., Mabee, W., Mac- Tagungsband. Bonn: Bundesamt für Naturschutz. BfN- Lean, H. L. (2011): Forest Bioenergy or Forest Carbon? Skripten 293, S. 5–8. Assessing Trade-Offs in Greenhouse Gas Mitigation with Ingerson, A. (2009): Wood products and carbon storage: Wood-Based Fuels. Environmental Science & Techno- Can increased production help solve the climate crisis? logy 45 (2), S. 789–795. Washington: The Wilderness Society. Meyer, P., Schmidt, M., Spellmann, H. (2011): Aufbau ei- IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) nes Systems nutzungsfreier Wälder in Deutschland. Natur (2000): Land Use, Land-Use Change, and Forestry. Sum- und Landschaft 86 (6), S. 243–250. mary for Policymakers. A Special Report of the In- tergovernmental Panel on Climate Change. Geneva: MIL Brandenburg (Ministerium für Infrastruktur und IPCC. Landwirtschaft des Landes Brandenburg) (2011): Wald- programm 2011. Potsdam: MIL Brandenburg. IUCN (International Union for Conservation of Nature) (2011): Category 1b Wilderness Area. Gland: IUCN. Milad, M., Schaich, H., Bürgi, M., Konold, W. (2011): http://www.iucn.org/about/work/programmes/pa/pa_pro Climate change and nature conservation in Central Euro- ducts/wcpa_categories/ pa_category1b/ (28.02.2012). pean forests: A review of consequences, concepts and challenges. Forest Ecology and Management 261 (4), Jacobs, H. (2011): Der BDF zur Rolle des öffentlichen S. 829–843. Waldes bei der Umsetzung der Biodiversitätsstrategie. In: Höltermann, A., Winkel, G. (Hrsg.): Dialogforum Öffent- Ministerium für Umwelt, Energie und Verkehr des Saar- licher Wald und Nationale Biodiversitätsstrategie. Vilm, landes (2011): Wald-Vitalisierungsprogramm Saarland.

236 Literatur

Saarbrücken: Ministerium für Umwelt Energie und Ver- Treibhausgasinventar Wald. Braunschweig: Johann kehr des Saarlandes. Heinrich von Thünen-Institut. Sonderheft 343. Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Ba- Olischläger, J., Kowarik, I. (2011): Gebietsfremde Arten. den-Württemberg (2011): Natur – das grüne Kapital unse- Störung oder Bestandteil der Naturdynamik von Wildnis- res Landes. Naturschutzstrategie Baden-Württemberg gebieten? Natur und Landschaft 86 (3), S. 101–104. 2020. Stuttgart: Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Baden-Württemberg. Ott, K. (2010): Umweltethik zur Einführung. Hamburg: Junius. Zur Einführung 377. MLU Sachsen-Anhalt (Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt) (2010): Strate- Ott, K., Döring, R. (2008): Theorie und Praxis starker gie des Landes Sachsen-Anhalt zum Erhalt der Biologi- Nachhaltigkeit. 2., überarb. und erw. Aufl. Marburg: Me- schen Vielfalt. Magdeburg: MLU Sachsen-Anhalt. tropolis. Beiträge zur Theorie und Praxis starker Nachhal- tigkeit 1. MLUR Brandenburg (Ministerium für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung des Landes Branden- Pan, Y., Birdsey, R. A., Fang, J., Houghton, R., Kauppi, P. E., burg) (2004): Waldbau-Richtlinie 2004. „Grüner Ordner“ Kurz, W. A., Phillips, O. L., Shvidenko, A., Lewis, S. L., der Landesforstverwaltung Brandenburg. Potsdam: MLUR Canadell, J. G., Ciais, P., Jackson, R. B., Pacala, S. W., Brandenburg. McGuire, A. D., Piao, S., Rautiainen, A., Sitch, S., Hayes, D. (2011): A large and persistent carbon sink in MUGV Brandenburg (Ministerium für Umwelt, Gesund- the world’s forests. Science 333 (6045), S. 988–993. heit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg) (2012): Biologische Vielfalt in Brandenburg. Potsdam: Panek, N. (2011): Deutschlands internationale Verant- MUGV Brandenburg. wortung: Rotbuchenwälder im Verbund schützen. Ham- burg: Greenpeace. Müller, J., Bußler, H., Utschick, H. (2007): Wie viel Tot- holz braucht der Wald? Naturschutz und Landschaftspla- Panek, N. (2009): Holzeinschlag noch nachhaltig? Natur- nung 39 (6), S. 165–170. schutz und Landschaftsplanung 41 (12), S. 364. NABU (Naturschutzbund Deutschland) (2010): Ist unge- PEFC Deutschland (2011): Gesehen werden. Jahresbe- nutzter Wald schlecht für’s Klima? Die unterschätzte Sen- richt 2011. Stuttgart: PEFC Deutschland e.V. kenleistung dynamischer Naturwälder. Berlin: NABU. Peters, W., Schultze, C., Schümann, K., Stein, S. (2010): http://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/wald/na Bioenergie und Naturschutz. Synergien fördern, Risiken bu-hintergrund_-_die_untersch__tzte_senkenleistung_ vermeiden. Bonn: Bundesamt für Naturschutz. von_naturw__ldern_stand_28.10.2010.pdf (27.05.2011). Rammo, G. (2011): Die nationale Biodiversitätsstrategie NABU (2008): Waldwirtschaft 2020. Perspektiven und und ihre Umsetzung im Saarland. In: Höltermann, A., Anforderungen aus Sicht des Naturschutzes. Berlin: Winkel, G. (Hrsg.): Dialogforum Öffentlicher Wald und NABU. Nationale Biodiversitätsstrategie. Vilm, 19.–21. Mai Naturland – Verband für ökologischen Landbau (2012): 2010. Tagungsband. Bonn: Bundesamt für Naturschutz. Waldnutzung. Gräfelfing: Naturland – Verband für ökolo- BfN-Skripten 293, S. 101–106. gischen Landbau. http://www.naturland.de/waldnut Reh, J. (2010): Die Übereinstimmung des deutschen Be- zung.html (02.04.2012). jagungspflichtmodells mit der Europäischen Menschen- Niebrügge, A., Wilczek, M. (Hrsg.) (2011): Wildniskon- rechtskonvention. Natur und Recht 32 (11), S. 753–759. ferenz 2010. Tagungsband. Bonn-Bad Godesberg: Bun- Reif, A., Aas, G., Essl, F. (2011): Braucht der Wald in desamt für Naturschutz. BfN-Skripten 228. Zeiten der Klimaveränderung neue, nicht heimische Bau- Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirt- marten? Natur und Landschaft 86 (6), S. 256–260. schaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung (2011): Reif, A., Brucker, U., Kratzer, R., Schmiedinger, A., Bau- Wälder für Niedersachsen. Wald, Forst- und Holzwirt- hus, J. (2010): Waldbau und Baumartenwahl in Zeiten des schaft im Wandel. 2. Aufl. Hannover: Niedersächsisches Klimawandels aus Sicht des Naturschutzes. Bonn: Bun- Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucher- desamt für Naturschutz. BfN-Skripten 272. schutz und Landesentwicklung. Riecken, U., Finck, P., Raths, U., Schröder, E., Ssymank, Nitsch, J., Wenzel, B. (2009): Langfristszenarien und A. (2010): Ursachen der Gefährdung von Biotoptypen in Strategien für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland. Natur und Landschaft 85 (5), S. 181–186. Deutschland unter Berücksichtigung der europäischen und globalen Entwicklung. Leitszenario 2009. Berlin: RNE (Rat für Nachhaltige Entwicklung) (2004): Wald- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak- wirtschaft als Modell für nachhaltige Entwicklung: Ein torsicherheit. neuer Schwerpunkt für die nationale Nachhaltigkeitsstra- tegie. Berlin: RNE. texte 10. Oehmichen, K., Demant, B., Dunger, K., Grüneberg, E., Hennig, P., Kroiher, F., Neubauer, M., Polley, H., Riedel, T., Rock, J., Bolte, A. (2011): Auswirkungen der Waldbe- Rock, J., Schwitzgebel, F., Stümer, W., Wellbrock, N., wirtschaftung 2002 bis 2008 auf die CO2-Bilanz. AFZ – Ziche, D., Bolte, A. (2011): Inventurstudie 2008 und Der Wald 66 (15), S. 22–24.

237 Umweltgerechte Waldnutzung

Rüter, S. (2011): Welchen Beitrag leisten Holzprodukte SDW (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald) (2012): zur CO2-Bilanz? AFZ – Der Wald 66 (15), S. 15–18. Waldzustandsdaten. Waldschadensberichte. Bonn: SDW. http://www.sdw.de/bedrohter-wald/waldschaeden/waldzu Rüter, S., Rock, J., Köthke, M., Dieter, M. (2011): Wie standsdaten (01.12.2011). viel Holznutzung ist gut fürs Klima? AFZ – Der Wald 66 (15), S. 19–21. Sedjo, R. A. (2011): Carbon neutrality and bioenergy. A zero-sum game? Washington, DC: Resources for the Fu- SaarForst Landesbetrieb (2008): Regionale Biodiversi- ture. RFF Discussion Paper 11-15. tätsstrategie. Teilbereich Subatlantische Buchenwälder. Eppelborn: SaarForst Landesbetrieb. Seewald, S. (2009): Rechtliche Hinweise bei Wild- und Jagdschäden. Vortrag, Schwerpunktseminar des BJV Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirt- „Wildschäden in der Forstwirtschaft“, 05.02.2009 Feld- schaft (2009): Programm zur Biologischen Vielfalt im kirchen. Freistaat Sachsen des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft. Dresden: Sächsisches Staats- Seidling, W. (2006): Auswirkungen des Trockenstresses ministerium für Umwelt und Landwirtschaft. 2003 auf den Waldzustand. Schlussbericht zum HS-Vor- haben 05HS005. Eberswalde: Fachhochschule Ebers- Schaber-Schoor, G. (2011): Fachliche Anforderungen, walde. Ziele und Handlungsansätze verschiedener Alt- und Tot- holzkonzepte. Freising: Bayerische Landesanstalt für Seidling, W., Fischer, R. (2008): Deviances from expec- Wald und Forstwirtschaft. http://www.waldwissen.net/ ted Ellenberg indicator values for nitrogen are related to wald/naturschutz/arten/fva_totholzkonzeption_fachliche_ N throughfall deposition in forests. Ecological Indicators anforderungen/index_DE (01.12.2011). 8 (5), S. 639–646. Schäfer, A. (2011): Gemeinwohlverpflichtung öffentli- Seintsch, B. (2011): Holzbilanzen 2009 und 2010 für die cher Forstbetriebe aus Sicht der Wirtschaftswissenschaft. Bundesrepublik Deutschland. Hamburg: Johann Heinrich In: Höltermann, A., Winkel, G. (Hrsg.): Dialogforum Öf- von Thünen-Institut. Arbeitsbericht des Instituts für Öko- fentlicher Wald und Nationale Biodiversitätsstrategie. nomie der Forst- und Holzwirtschaft 04/2011. Vilm, 19.–21. Mai 2010. Tagungsband. Bonn: Bundesamt für Naturschutz. BfN-Skripten 293, S. 35–41. Seintsch, B. (2010): Entwicklungen des Clusters Forst und Holz zwischen 2000 und 2007. Ergebnisse und Ta- Schaich, H., Konold, W. (2012): Honorierung ökologi- bellen für das Bundesgebiet und die Länder. Hamburg: scher Leistungen der Forstwirtschaft. Neue Wege für Johann Heinrich von Thünen-Institut. Arbeitsbericht des Kompensationsmaßnahmen im Wald? Naturschutz und Instituts für Ökonomie der Forst- und Holzwirtschaft 02/ Landschaftsplanung 44 (1), S. 5–13. 2010. Scherber, C., Eisenhauer, N., Weisser, W. W., Schmid, B., Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (2010): Voigt, W., Fischer, M., Schulze, E.-D., Roscher, C., Berliner Strategie zur biologischen Vielfalt. Vorentwurf Weigelt, A., Allan, E., Beszler, H., Bonkowski, M., Buch- (Haupttext). Stand: 15.04.2010. Berlin: Senatsverwaltung mann, N., Buscot, F., Clement, L. W., Ebeling, A., Engels, C., für Stadtentwicklung Berlin. Halle, S., Kertscher, I., Klein, A.-M., Koller, R., Konig, S., Kowalski, E., Kummer, V., Kuu, A., Lange, M., Seppälä, R., Buck, A., Katila, P. (2009): Adaptation of Lauterbach, D., Middelhoff, C., Migunova, V. D., Milcu, Forests and People to Climate Change. A Global Assess- A., Muller, R., Partsch, S., Petermann, J. S., Renker, C., ment Report. Helsinki: International Union of Forest Re- Rottstock, T., Sabais, A., Scheu, S., Schumacher, J., Tem- search Organizations. IUFRO World Series 22. perton, V. M., Tscharntke, T. (2010): Bottom-up effects of plant diversity on multitrophic interactions in a biodiver- SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen) (2011): sity experiment. Nature 468 (7323), S. 553–556. Ökologische Leitplanken setzen, natürliche Lebensgrund- lagen schützen – Empfehlungen zum Fortschrittbericht Scherzinger, W. (1996): Naturschutz im Wald: Qualitäts- 2012 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Berlin: ziele einer dynamischen Waldentwicklung. Praktischer SRU. Kommentar zur Umweltpolitik 9. http://www.um Naturschutz. Stuttgart: Ulmer. weltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/05_Kommentare/ 20101KOM_09_Nachhaltigkeitsstrategie.pdf?__blob=pu Schleswig-Holsteinischer Landtag (2008): Bericht der blicationFile (19.10.2011). Landesregierung. Umsetzung der nationalen Biodiversi- tätsstrategie. Drucksache 16/2025. Kiel: Schleswig-Hol- SRU (2008): Umweltgutachten 2008. Umweltschutz im steinischer Landtag. Drucksache 16/2185. Zeichen des Klimawandels. Berlin: Erich Schmidt. Schraml, U. (2009): Erholung und Tourismus als Themen Statistisches Bundesamt (2011a): Forstwirtschaft. Ge- einer Zukunftsstrategie für die Waldnutzung in Deutsch- samteinschlag nach Holzartengruppen. Wiesbaden: Statis- land. In: Seintsch, B., Dieter, M. (Hrsg.): Waldstrategie tisches Bundesamt. http://www.destatis.de/jetspeed/por 2020. Tagungsband zum Symposium des BMELV, tal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Land 10.–11. Dez. 2008, Berlin. Braunschweig: Johann- Forstwirtschaft/Forstwirtschaft/Tabellen/Content75/Gesamt Heinrich-von-Thünen-Institut. Landbauforschung, Son- einschlagHolzartengruppen,templateId=renderPrint.psml derheft 327, S. 17–25. (28.02.2012).

238 Literatur

Statistisches Bundesamt (2011b): Umweltökonomische der Widerspruch oder neue Chance? In: Höltermann, A., Gesamtrechnungen. Nachhaltige Entwicklung in Deutsch- Winkel, G. (Hrsg.): Dialogforum Öffentlicher Wald und land. Indikatoren zu Umwelt und Ökonomie 2011. Wies- Nationale Biodiversitätsstrategie. Vilm, 19.–21. Mai baden: Statistisches Bundesamt. 2010. Tagungsband. Bonn: Bundesamt für Naturschutz. BfN-Skripten 293, S. 25–34. Sudfeldt, C., Dröschmeister, R., Flade, M., Grüneberg, C., Mitschke, A., Schwarz, J., Wahl, J. (2009): Vögel in Wald-und-Forst.de (2011): Wichtige Baumarten. Wahls- Deutschland 2009. Steckby: DDA, BfN, LAG VSW, tedt: Tolja Mack. http://www.wald-und-forst.de/baumar Münster. ten.php (01.12.2011). Thrän, D., Edel, M., Pfeifer, J., Ponitka, J., Rode, M., Knis- Winkel, G. (2007): Waldnaturschutzpolitik in Deutsch- pel, S. (2011): Identifizierung strategischer Hemmnisse land: Bestandsaufnahme, Analysen und Entwurf einer und Entwicklung von Lösungsansätzen zur Reduzierung Story-Line. Remagen: Kessel. Freiburger Schriften zur von Nutzungskonkurrenzen beim weiteren Ausbau der Forst- und Umweltpolitik 13. Biomassenutzung. Leipzig: Deutsches BiomasseFor- schungsZentrum. DBFZ-Report 4. Winkel, G., Kaphengst, T., Herbert, S., Robaey, Z., Rosenkranz, L., Sotirov, M. (2009): EU policy options for Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Forsten, Um- the protection of European forests against harmful im- welt und Naturschutz (2011): Thüringer Strategie zur Er- pacts. Final report. Freiburg, Berlin: Albert-Ludwigs- haltung der biologischen Vielfalt. Erfurt: Thüringer Universität, Institut für Forst- und Umweltpolitik, Ecolo- Ministerium für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und gic Institut. ENV.B.1/ETU/2008/0049: OJ 2008/S 112 – Naturschutz. 149606. Trommer, G. (o. J.): Wildnis. Anmerkungen zu etwas, das Winkel, G., Schaich, H., Konold, W., Volz, K.-R. (2005): in Mitteleuropa schon längst ausgerottet ist. Zandt: Naturschutz und Forstwirtschaft: Bausteine einer Nut- ARGE Waldwildnis. http://www.waldwildnis.de/cd/ar zungsstrategie im Wald. Bonn-Bad Godesberg: BfN. Na- chiv/ trommer_g/lit_page.htm (28.02.2012). turschutz und Biologische Vielfalt 11. Vattenfall Europe (2012): Biomasse – Wichtige Quelle erneuerbarer Energie. Berlin: Vattenfall Europe. http:// Winkel, G., Volz, K.-R. (2003): Naturschutz und Forst- www.vattenfall.de/de/erneuerbare-energien-biomasse. wirtschaft. Kriterienkatalog zur guten fachlichen Praxis. htm (23.01.2012). Bonn: Bundesamt für Naturschutz. Angewandte Land- schaftsökologie 53. Verkerk, P., Lindner, M., Schuck, A. (2011): Potenzielle Auswirkungen einer verstärkten Bioenergienutzung auf Wissenschaftlicher Beirat für Biodiversität und Geneti- die Biodiversität und andere Ökosystemdienstleistungen sche Ressourcen beim Bundesministerium für Ernährung, in Wäldern in der Europäischen Union. Natur und Land- Landwirtschaft und Verbraucherschutz (2011): Biodiver- schaft 86 (6), S. 238–342. sität in Kurzumtriebsplantagen und Agroforstsystemen im Vergleich zu anderen energetischen Biomassepfaden. VHI (Verband der Deutschen Holzwerkstoffindustrie) Kurzstellungnahme. Bonn: Wissenschaftlicher Beirat für (2010): Holz verantwortungsvoll nutzen. Fakten zur Biodiversität und Genetische Ressourcen beim BMELV. Verfügbarkeit von Holz als Rohstoff für die deutsche Wirtschaft. Leporello. Gießen: VHI. http://www.holz-ver Woike, M. (2011): Wildnisgebietskonzept NRW. Vortrag, antwortungsvoll-nutzen.de/wp-content/uploads/2010/ 07/ Winterkolloquium der Universität Freiburg, 28.01.2011, 208-2003_VHI_Leporello_DINlang_DRUCK.pdf Freiburg. (28.02.2012). Zhou, G., Liu, S., Li, Z., Zhang, D., Tang, X., Zhou, C., Volz, K.-R. (2011): Gesellschaftliche Anforderungen an Yan, J., Mo, J. (2006): Old-Growth Forests Can Accumu- öffentliche Forstbetriebe und Forstreformen – zunehmen- late Carbon in Soils. Science 314 (5804), S. 1417.

239

Kapitel 7

Inhaltsverzeichnis Seite

7 Moorböden als Kohlenstoffspeicher ...... 243

7.1 Einleitung ...... 243 7.2 Stellenwert der Böden als Kohlenstoffspeicher ...... 243 7.3 Flächen und Klimarelevanz von Mooren und Moorböden ...... 244 7.3.1 Flächen ...... 245 7.3.2 Treibhausgasemissionen ...... 246 7.4 Moorbodennutzung ...... 247 7.4.1 Landwirtschaftliche Nutzung ...... 249 7.4.2 Torfnutzung im Hobby- und Erwerbsgartenbau ...... 250 7.4.3 Alternative Nutzungsformen: Paludikulturen ...... 251 7.4.4 Bewertung ...... 253 7.5 Reduktion der Emissionen aus Moorböden ...... 253 7.5.1 Ziele ...... 253 7.5.2 Renaturierungsmaßnahmen ...... 254 7.5.3 Vermeidungskosten ...... 255 7.6 Synergiewirkungen und Schutzkonzepte ...... 255 7.6.1 Synergiewirkungen ...... 256 7.6.1.1 Wasserhaushalt und Gewässergüte ...... 257 7.6.1.2 Biologische Vielfalt ...... 257 7.6.2 Moorschutzprogramme der Länder ...... 259 7.7 Empfehlungen ...... 261 7.7.1 Bundesinitiative Moorschutz ...... 262 7.7.2 Fazit ...... 264 7.8 Literatur ...... 265

Abbildungen

Abbildung 7-1 Moorflächen und deren Emissionen je km² (zehn größte Emittenten) ...... 244 Abbildung 7-2 Moorflächen in Deutschland ...... 245 Abbildung 7-3 Treibhausgasflüsse auf Moorflächen ...... 246 Abbildung 7-4 Treibhausgasemissionen nach Quellkategorien 2009 . . . . 247 Abbildung 7-5 Klimawirkung der Moorbodennutzung in Deutschland . . 249 Abbildung 7-6 Einsatz von Torf im Erwerbsgartenbau in Deutschland im Jahr 2005 ...... 251

241 Moorböden als Kohlenstoffspeicher

Seite

Abbildung 7-7 Treibhausgasemissionen aus Moorböden: Reale Entwicklung und notwendige Ziele ...... 254 Abbildung 7-8 Verteilung von Hoch- und Niedermoorflächen in Deutschland ...... 259 Abbildung 7-9 Vernetzung der am Moorschutz beteiligten Akteure . . . . . 261 Abbildung 7-10 Struktur einer Bundesinitiative Moorschutz ...... 262

Tabellen

Tabelle 7-1 Beispiele für Landnutzungsformen von Moorböden . . . . . 248 Tabelle 7-2 Paludikulturen auf degradierten Moorböden und Abschätzungen ihrer potenziellen Auswirkungen auf Klima, Biodiversität und Wasserhaushalt ...... 252 Tabelle 7-3 Beispiele der Landnutzungskategorien von Moorböden und ihre potenziellen Auswirkungen auf Klima, Bio- diversität und Wasserhaushalt ...... 257 Tabelle 7-4 Gefährdungsstatus von Mooren nach der Roten Liste der Biotoptypen Deutschlands ...... 258

242 Stellenwert der Böden als Kohlenstoffspeicher

7 Moorböden als Kohlenstoffspeicher

7.1 Einleitung stoffs weltweit ist in Moorböden festgelegt, die aber nur 3 % der globalen Landfläche bedecken. Die Umwandlung 398. Bodenschutz ist Klimaschutz. Dies gilt insbeson- natürlicher Ökosysteme in landwirtschaftliche Fläche dere für Moorflächen, deren Bedeutung für die Aufnahme führt immer zu einem Verlust an gebundenem Bodenkoh- und Festlegung von Kohlenstoff (C) bisher weitgehend lenstoff, der sich nutzungsabhängig auf einem deutlich unterschätzt wird. Moore enthalten verglichen mit ande- niedrigeren Stand als zuvor einpendelt. Das Intergovern- ren Ökosystemen ein Vielfaches an C/ha. mental Panel on Climate Change (IPCC) verzeichnete für Auch Deutschland verfügt über große Moorbodenflä- die 1990er-Jahre einen jährlichen Kohlenstoffverlust der chen, die für die landwirtschaftliche Nutzung entwässert Böden durch Landnutzungsänderungen von 1,6 Gt C wurden und werden. Dabei werden in großen Mengen (± 0,8 Gt) (IPCC 2001a). Die Erhaltung von Moorböden Treibhausgase (THG) freigesetzt. Circa ein Drittel der als Kohlenstoffspeicher ist bisher als Mittel des Klima- THG-Emissionen der Landwirtschaft sind auf die Nut- schutzes noch nicht hinreichend im politischen Bewusst- zung und Umwandlung von Moorböden zurückzuführen. sein verankert, obwohl die Entwässerung von Mooren Die Umkehr dieses Trends, zum einen durch die Erhal- weltweit für 10 % der THG-Emissionen verantwortlich tung noch intakter Moore und zum anderen durch die ak- ist. tive Wiedervernässung genutzter Moorböden, ist damit ein Erfolg versprechendes und vergleichsweise kosten- 400. Abbildung 7-1 zeigt einerseits die zehn Länder mit günstiges klimapolitisches Handlungsfeld mit einem gro- den größten Moorflächen, andererseits deren spezifische ßen Emissionsreduktionspotenzial. Darüber hinaus lassen Emissionen je km² Moorfläche. In Deutschland wird je 2 sich hierdurch vielfältige Synergien mit den Zielen des km Moorboden fast dreimal so viel CO2 emittiert wie in Biodiversitätsschutzes erreichen. Finnland, Kontinental-USA oder im europäischen Teil Russlands (JOOSTEN 2010). Dies spiegelt die Intensität Aus diesen Gründen verdienen effektive politische Maß- der Nutzung bzw. den ökologischen Zustand der Moorflä- nahmen zur Erhaltung und zur Renaturierung von Moor- chen wider. flächen eine deutlich höhere politische Aufmerksamkeit. Die angemessene Finanzierung der Ökosystemleistung Der Schutz kohlenstoffreicher Böden vor einer Bewirt- Kohlenstoffspeicherung, die von intakten Mooren er- schaftung ist eine der effektivsten Klimaschutzmaßnahmen. bracht werden kann, und geeignete rechtliche Vorgaben Gleichzeitig steigt durch eine wachsende Weltbevölke- gehören dabei zu den wesentlichen Bestandteilen eines rung und eine zunehmende Nachfrage nach Nahrungsmit- integrierten Schutzkonzeptes. teln, Biokraftstoffen und Rohstoffen auch die Nachfrage nach Flächen. Dies erschwert nicht nur Schutzmaßnah- 7.2 Stellenwert der Böden als men, sondern führt weltweit zu einer weiteren Erschlie- Kohlenstoffspeicher ßung von Böden für die Landwirtschaft. 399. Böden enthalten global circa 1.600 Gt C und damit Neben ihrer Klimawirksamkeit haben Moore gleichzeitig mehr als doppelt so viel wie die Atmosphäre. Kohlenstoff großen Einfluss auf die biologische Vielfalt und den loka- len Wasserhaushalt der Gebiete. Ihr Schutz bietet große wird in Form von CO2 durch Pflanzen aufgenommen und nach deren Absterben entweder wieder freigesetzt oder Synergiepotenziale. Die Moorflächen sind für verschie- im Boden festgelegt. Die höchste Kohlenstoffumsetzung dene Akteure mit teilweise gegenläufigen Interessen (Aufnahme, Festlegung und Freisetzung) ist in Wäldern (Land- und Forstwirtschaft, Naturschutz und Wasserwirt- zu verzeichnen (s. Kap. 6, Tz. 359). schaft) von großer Bedeutung. Langfristige Kohlenstoffspeicher entstanden vor allem in Um ihre vielfältigen ökosystemaren Leistungen zu be- kühlen, niederschlagsreichen Gebieten, in Gebirgen und wahren, unterliegen Moore im Prinzip verschiedenen in- in den regenreichen Tropen. Moore haben die kohlen- ternationalen und nationalen Schutzregimen. Diese gelten stoffreichsten Böden, sie enthalten bis zu zehnmal mehr allerdings zumeist nur für die wenigen verbliebenen in- C/ha als andere Ökosysteme (BATJES 1996). Diese Spei- takten Moore. Global sind Moore geschützt durch die cher sind über Tausende von Jahren durch die unvollstän- Ramsar-Konvention (Übereinkommen über den Schutz dige Zersetzung von Pflanzenresten entstanden, deren von Feuchtgebieten, insbesondere als Lebensraum für Kohlenstoffgehalt in Form von Torf konserviert wird. In Wasser- und Watvögel, von internationaler Bedeutung). nassen Senken und seichten Gewässern wird unter Luft- Auf europäischer Ebene fallen sie teilweise unter den Ge- abschluss (anaerobe Bedingungen) bis zu 1 mm Torf pro bietsschutz der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/ Jahr neu gebildet (IMMIRZI et al. 1992) – die Entstehung EWG (FFH-Richtlinie), der Vogelschutzrichtlinie 2009/ einer 10 cm dicken Torfschicht dauert dementsprechend 147/EG sowie der Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG circa 100 Jahre. Ein knappes Drittel des Bodenkohlen- (WRRL). Auch im Entwurf der Bodenrahmenrichtlinie

243 Moorböden als Kohlenstoffspeicher

Abbildung 7-1

Moorflächen und deren Emissionen je km² (zehn größte Emittenten)

1.000 t (CO2/a) / km² Moorfläche 00,511,522,5 China Polen Deutschland Indonesien Weißrussland Malaysia km2km2 (Mton CO2/a) / km2 2 Mongolei 1.000 t (CO2/a) / km USA (kontinental)() Russland (Europäischer Teil) Finnland

0 50.000 100.000 150.000 200.000 250.000 300.000 Moorfläche in km² SRU/UG 2012/Abb. 7-1; Datenquelle: JOOSTEN 2010 werden kohlenstoffreiche Böden berücksichtigt. National niert (SCHEFFER und SCHACHTSCHABEL 1979). Bei sind sie darüber hinaus durch das Bundes-Bodenschutz- den Mooren werden die beiden Grundformen Hoch- und gesetz (BBodSchG) und das Bundesnaturschutzgesetz Niedermoor sowie zahlreiche Zwischen- und Übergangs- (BNatSchG) geschützt. In der Realität ist die Schutzwir- formen unterschieden. Ist die Torfschicht geringer als kung durch den Ausschluss degradierter Flächen unzurei- 30 cm, gelten diese Flächen als Anmoore. chend (s. Tz. 422). Niedermoore werden sowohl durch Grundwasser als auch Moorflächen machen in Deutschland etwa 5 %, circa Oberflächenwasser gespeist und sind aufgrund des wech- 18.000 km², der Landesfläche aus (BGR 1997). Mehr als selnden Zuflusses variabel hinsichtlich pH-Bereich und zwei Drittel davon werden landwirtschaftlich genutzt Nährstoffgehalt (Verhältnis von Stickstoff zu Kohlenstoff (DRÖSLER et al. 2011b). Die Landwirtschaft insgesamt im Torf, Stickstoffgehalt im Moorwasser). Flora und verursachte 2009 durch Tierhaltung, Düngung und Bear- Fauna sind den speziellen Gegebenheiten von Feuchtge- beitung von mineralischen und organischen Böden (zu bieten angepasst. Hochmoore sind dagegen ausschließlich denen Moorböden und Feuchtgebiete gehören) in regenwassergespeist, weisen einen engen, sauren pH-Be- Deutschland etwa 12 % der jährlichen THG-Emissionen reich auf, sind nährstoffarm und bieten Lebensraum für (UBA 2011b). Ein Drittel davon (42,8 Mt CO2-Äquiva- lente) entsteht allein durch die Entwässerung und Nut- hoch spezialisierte Tier- und Pflanzenarten, wie Moor- zung von Moorböden (s. Tz. 405). frosch (Rana arvalis) und Hochmoor-Mosaikjungfer (Aeshna subarctica), Torfmoos und Sonnentau. 7.3 Flächen und Klimarelevanz Ausschlaggebend für die Funktionen von Mooren ist der von Mooren und Moorböden Wasserhaushalt, der in enger Wechselbeziehung zur biolo- 401. Grundsätzlich sind wachsende Systeme (Moore) gischen Vielfalt und zur Kohlenstoffspeicherung steht. So und entwässerte, nicht mehr wachsende Systeme (Moor- haben Änderungen einzelner Rahmenbedingungen, wie böden) zu unterscheiden, Moorflächen werden in diesem Wasserstand, Nährstoffeinträge, Biomasseabfuhr oder an- Text als Oberbegriff für beide Systeme verwendet. In aerobe Bedingungen, immer auch Auswirkungen auf das Mooren wird durch typische Pflanzengesellschaften unter Gesamtsystem (TREPEL 2009b). Nur bei ausreichendem Luftabschluss Kohlenstoff als Torf festgelegt. Torf ist ge- Wasserstand kann sich die moortypische Vegetation aus- mäß deutscher bodenkundlicher Definition ein Bodensub- bilden, die Grundlage der Kohlenstofffestlegung und zu- strat mit mehr als 30 % organischer Substanz. Als Moor- gleich Bestandteil hochkomplexer Ökosysteme und deren boden wird – unabhängig vom Wasserstand – Boden mit Lebensraum- und Artenvielfalt ist. Der natürliche Wasser- einer Torfschicht von mehr als 30 cm im Oberboden defi- stand schwankt saisonal und liegt zum Beispiel für Hoch-

244 Flächen und Klimarelevanz von Mooren und Moorböden moore zwischen Geländeoberfläche und 0,35 m unter Flur flächenkartierung wird derzeit in einem Verbundprojekt (Bayerisches Landesamt für Umwelt 2010). (vTI 2011) erarbeitet, da nicht nur die Gesamtfläche, son- dern auch die genaue Lage und Nutzung der Böden Der häufigste und zugleich folgenreichste Eingriff in den Grundlage einer IPCC-konformen Berichterstattung sind. natürlichen Wasserhaushalt ist die Drainage. Die land- wirtschaftliche Nutzung als Grünland erfordert einen 403. Die Angaben über die Fläche, die in Deutschland Wasserstand von circa 0,4 bis 0,8 m unter Flur, Ackerbau von Moorflächen eingenommen wird, variieren zwischen benötigt sogar eine Absenkung des Wasserstandes auf 1,0 rund 13.500 (HÖPER 2007) und 18.000 km² (BGR bis 1,2 m unter Flur (STRACK 2008). 1997). Gründe dafür sind unter anderem verschiedene Rasterungen, Definitionen, Detailtiefen und das Alter der Basisdaten. So weist beispielsweise die „Bodenüber- 7.3.1 Flächen sichtskarte 1000“ für Baden-Württemberg 156 km² 402. Viele Jahrhunderte lang wurden in Deutschland Moorflächen aus, das landesspezifische Moorkataster da- Moore durch Entwässerung urbar gemacht und besiedelt. gegen fast 400 km². Im Folgenden wird von einer Ge- Das Urbarmachungsedikt von Friedrich dem Großen von samtfläche von 18.000 km² ausgegangen. Die Annahme 1765 erklärte alle „Wüsteneyen“ zu Staatseigentum und des höheren Wertes für Moorflächen ist damit zu rechtfer- verfügte die systematische Entwässerung und Kultivie- tigen, dass die Summe aller organischen Böden bis zu rung, um Flächen für Siedlungen und Landwirtschaft zu 67.000 km² umfasst (WEHRHAN et al. 2010). gewinnen. Im 20. Jahrhundert führte der industrielle Ab- An den 18.000 km² Moorfläche (dies entspricht 5,1 % der bau von Torf zu einer weitgehenden Zerstörung der Gesamtfläche Deutschlands) haben fünf Bundesländer ei- Hochmoore. Nach der Abtorfung wurden die Flächen zu- nen erheblichen Anteil: Niedersachsen etwa ein Drittel, meist weiterhin drainiert und in landwirtschaftliche Flä- Mecklenburg-Vorpommern etwa ein Fünftel und Bran- che umgewandelt. denburg, Bayern und Schleswig-Holstein zusammen rund ein Drittel (JENSEN et al. 2011). Aufgrund ihrer beson- Für die Klimaberichterstattung nach IPCC müssen die deren Bedeutung für den Moorschutz werden die Schutz- Emissionen aller organischen Böden (Histosole), die regime dieser Länder in Abschnitt 7.6.2 vertieft betrach- auch Anmoore, Humusgleye und andere umfassen, be- tet. richtet werden. Das Anlegen dieses Standards, der bisher aus Mangel an Daten für Deutschland nicht angewendet Etwa 8 % (ca. 13.000 km²) der gesamten landwirtschaftli- wurde, würde zu einer erheblichen Ausdehnung der für chen Fläche in Deutschland liegen auf Moorböden. Von das THG-Inventar zu berücksichtigenden organischen der Gesamtfläche der Moore werden 32 % als Acker und Böden führen. Eine deutschlandweit einheitliche Moor- 40 % als Grünland genutzt (DRÖSLER et al. 2011b;

Abbildung 7-2

Moorflächen in Deutschland

SRU/UG 2012/Abb. 7-2; Datenquelle: FLESSA 2010; GENSIOR et al. 2010

245 Moorböden als Kohlenstoffspeicher

Abb. 7-2). Etwa 14 % sind von Wald bedeckt, 7 % wer- Vergleichbarkeit ihrer Klimawirksamkeit werden THG- den zu Siedlungszwecken genutzt. Nur geringe Flächen Emissionen üblicherweise in CO2-Äquivalente (CO2eq) (3,7 %) werden als naturnah eingestuft, etwa 260 km² umgerechnet. Für die Berechnung der Emissionen aus Hochmoore und knapp 400 km² Niedermoore (HÖPER Moorflächen werden die Werte des IPCC aus dem Jahr 2007). Auf knapp 270 km² (1,5 %) wird Torf auf land- 1996 verwendet (THG-Potenzial von CO2: 1, von CH4: wirtschaftlich vorgenutzten Hochmoorböden gewonnen 21 und von N2O: 310) (IPCC 1996, S. 22), um die Ent- (WELSCH 2010). wicklung auf einheitlicher Datenbasis darzustellen. Der deutsche THG-Inventarbericht (UBA 2011a) wird gemäß 7.3.2 Treibhausgasemissionen der UNFCCC-Richtlinie und im „möglichen Umfang“ gemäß den IPCC-Leitlinien erstellt (IPCC 2001b; 2003; 404. Naturnahe Moore sind natürliche Kohlenstoffspei- UNFCCC 2006). cher und binden langfristig pro Hektar viermal mehr Koh- lenstoff als Tropenwälder. Um ihre Speicherfunktion er- Im Jahr 2009 wurden in Deutschland THG in Höhe von füllen zu können, benötigen Moore und Moorböden 962 Mt CO2eq emittiert (brutto, d. h. ohne Berücksichti- ganzjährig einen hohen Wasserstand. Bei sinkendem gung der Senke Wälder) (UBA 2011a). Den größten An- Grundwasserstand gelangt Sauerstoff an den im Torf ge- teil daran hatte der Energiebereich (760 Mt, 79 %). Die speicherten Kohlenstoff, der durch mikrobielle Prozesse Bereiche Landwirtschaft sowie Landnutzung und Land- nutzungsänderungen (Land Use and Land Use Change – zu CO2 abgebaut wird. Abnehmende Niederschläge und längere Trockenperioden begünstigen dies. Hauptursache LULUC) waren mit Gesamtemissionen von 116 Mt sinkender Wasserstände ist die Trockenlegung der Flä- (12 %) zweitgrößte Quellkategorie (vgl. Abb. 7-4). Da- chen für eine Nutzung in der Land- und Forstwirtschaft. von wurden 73 Mt in der Landwirtschaft und 43 Mt durch LULUC emittiert. Naturnahe Moore haben eine in etwa ausgeglichene THG-Bilanz: Anaerobe Abbauprozesse lassen Methan In den THG-Inventarberichten werden die Emissionen (CH4) entstehen und entweichen, gleichzeitig wird CO2 aus den Hauptquellgruppen Landwirtschaft und LULUC aufgenommen und festgelegt. Eine Absenkung des Was- weiter untergliedert. Neben Emissionen aus der Viehhal- serstands führt zu einer starken Verschiebung der Bilanz tung (2009: 21 Mt CO2eq) (UBA 2011b) und dem Einsatz in negative Richtung (Abb. 7-3). Wird neben dem natürli- von Wirtschaftsdünger (8 Mt CO2eq) werden durch land- chen Stickstoffgehalt auf genutzten Moorböden zusätz- wirtschaftliche Bodennutzung THG emittiert. In der lich Stickstoff durch Düngung eingetragen, entsteht ne- Landwirtschaft geschieht dies im Wesentlichen in Form ben CO2 auch Lachgas (N2O). von N2O aus der Mineraldüngung, zudem durch Landnut- zung und Landnutzungsänderungen in Form von CO2 und Abbildung 7-3 N2O. Nach Einschätzung der Bundesfachbehörden kann es abhängig von der Art des Bodens, dem Wasserstand Treibhausgasflüsse auf Moorflächen und der Form seiner Nutzung bei entwässerten Moorbö- den zu THG-Emissionen von bis zu 15 t CO2eq pro Hektar und Jahr kommen (BMELV 2008). Andere Quellen bezif- fern die spezifischen Emissionen sogar auf 20 bis 40 t CO2eq pro Hektar und Jahr (SCHILS et al. 2008). 405. Im Inventarbericht 2011 der Bundesrepublik Deutschland wurde für die landwirtschaftliche Nutzung organischer Böden als Grünland ein Emissionsfaktor von 5 t C/ha und als Ackerland von 11 t C/ha angelegt, was ei- ner Menge von 18 bzw. 40 t CO2eq/ha entspricht (UBA 2011a, S. 501). Aktuelle und repräsentative Daten über die realen THG-Emissionen aus den verschiedenen Moortypen in Deutschland belegen leicht abweichende Werte (Abb. 7-5). Messergebnisse von DRÖSLER et al. (2011b) zeigen, dass abhängig vom Moortyp und der Nut- zung spezifische Emissionen der Moorböden zwischen 3,3 und 33,8 t CO2eq/ha liegen. Insbesondere für Grünland wurde eine sehr große Spannweite der Emissionen in Ab- hängigkeit von der Intensität der Nutzung und dem Was- serstand nachgewiesen. Quelle: DRÖSLER et al. 2008, verändert Im Inventarbericht wurden für das Jahr 2009 für die Deutschland ist verpflichtet, jährlich THG-Inventare zu Agrarnutzung von organischen Moorböden 40,4 Mt erstellen und zu veröffentlichen. In den THG-Inventaren CO2eq gemeldet (UBA 2011b). Unter Einbeziehung der werden CO2, CH4, N2O und weitere Treibhausgase erfasst Emissionen durch den Torfabbau von 2,4 Mt (UBA und nach den verschiedenen Verursacherbereichen aufge- 2011a) ergeben sich Gesamtemissionen von 42,8 Mt aus schlüsselt. Die Gase tragen unterschiedlich stark zum Moorböden (s. Abb. 7-4). Das entspricht etwa einem Treibhauseffekt bei (THG-Potenzial). Für eine bessere Drittel der Emissionen der Bereiche Landwirtschaft und

246 Moorbodennutzung

Abbildung 7-4

Treibhausgasemissionen nach Quellkategorien 2009

SRU/UG 2012/Abb. 7-4; Datenquelle: UBA 2011b, Darstellung nach HÖPER 2010

LULUC bzw. 4,4 % der deutschen Brutto-Gesamtemis- den Umbruch zusätzlich die Erosionsanfälligkeit und da- sionen. mit der Abtrag der kohlenstoffreichen Humusschicht. Legte man der Berichterstattung tatsächlich die Nutzung 407. Für einen Vergleich verschiedener Nutzungsarten aller organischen Böden in Deutschland zugrunde, wäre können die Kategorien nach DRÖSLER et al. (2011b) he- mit einer deutlich größeren Menge an CO2eq zu rechnen. rangezogen werden (Tab. 7-1). Über die als Moorböden bezeichneten Flächen hinaus Die Klimawirksamkeit der derzeitigen Moorbodennutzun- wird derzeit die Klimawirksamkeit weiterer organischer gen (Abb. 7-5) und die Gefährdung der biologischen Viel- Böden, wie zum Beispiel Anmoore, untersucht. Die zu- falt machen eine weitgehende Veränderung der Nutzungs- künftigen Ergebnisse des laufenden Forschungsvorha- strukturen notwendig. Die schrittweise Umstellung von bens „organische Böden“ (vTI 2011) sind nicht nur für Acker- auf Grünlandnutzung, von intensiver auf extensive die Klimaberichterstattung von Bedeutung, sondern auch Grünlandnutzung unter Anhebung der Wasserstände und für die zukünftige Entwicklung dieser Flächen. eine Wiederherstellung des naturnahen Zustands zielen letztlich auf eine Aufgabe der intensiven Nutzungsformen. 7.4 Moorbodennutzung Diese Maßnahmen haben gleichzeitig einen großen Mehr- wert für den Naturschutz (s. Abschn. 7.6.1). Kriterien für 406. Erst nach Entwässerung, bei der die natürlichen, eine nachhaltige Nutzung sind unter anderem positive wasserabhängigen Vorgänge grundlegend gestört werden, Wirkungen für den Schutz der Biodiversität bzw. den na- und tiefgründigem Umbruch sind Moorböden als land- turschutzfachlichen Wert und den Kohlenstoffhaushalt wirtschaftliche Fläche oder für den Torfabbau nutzbar. (WICHTMANN 2007). Die Drainage intakter Moore für eine landwirtschaftliche Nutzung oder den Torfabbau führt in den ersten Jahren 408. Neben der landwirtschaftlichen Nutzung von wegen des Verlustes des Auftriebes zu Geländeabsackun- Moorböden wird auf Hochmoorböden industriell Torf für gen, die bis zu 30 % des Moorkörpers umfassen. Dadurch die Erdenherstellung abgebaut. Die Nutzung von Torf zur wird eine Vertiefung der Entwässerung nötig, die auch Energiegewinnung spielt in Deutschland keine Rolle während der weiteren Nutzung fortlaufend ausgebaut mehr. EU-weit wird allerdings noch immer etwa die Hälfte werden muss, da der zusätzlich eintretende Höhenverlust des abgebauten Torfs energetisch genutzt (ALTMANN durch die Mineralisierung in Abhängigkeit von Moortyp, 2008). Im Jahr 2005 waren es in Finnland mehr als Nutzungsweise und Standortbedingungen bis zu 3 cm pro 21 Mio. m³ und in Irland mehr als 10 Mio. m³. Nach den Jahr betragen kann (STRACK 2008). Häufig steigt durch IPCC-Guidelines aus dem Jahr 2006 werden die Emissio-

247 Moorböden als Kohlenstoffspeicher

Tabelle 7-1

Beispiele für Landnutzungsformen von Moorböden

Landnutzung Beschreibung Tiefe Drainage, vorwiegend Sommerkulturen.

Grünland hoher und mittlerer Intensität: Tiefe Drainage, vergleichbar mit Ackerstand- orten. Saatgrünland, Bewirtschaftung mit zwei bis fünf Schnitten pro Jahr, wobei der erste Schnitt möglichst im Mai erfolgt, oder äquivalente Beweidung. Ziel ist die Produktion von hochwertigem Raufutter für die Milchproduktion.

Mäßige Drainage. Nutzung z. B. als Streuwiese oder zur Mutterkuhhaltung, maximal ein Schnitt pro Jahr oder äquivalente Beweidung, meist mit Naturschutzförderung.

Geringe Drainage, teilweise wiedervernässte oder grabennahe Standorte mit schwanken- dem, aber quasi naturnahem Wasserstand. Nutzung z. B. als Streuwiese, maximal ein Schnitt pro Jahr oder äquivalente Beweidung mit angepassten Extensivrassen, meist mit Naturschutzförderung.

Mäßig drainierte degradierte Hochmoorheide ohne Torfmoose als Relikt früherer Drai- nagen für Torfstiche oder auf alten Torfstichen.

Naturnahe und renaturierte Moore: Standorte mit naturnahem Wasserstand. Naturschutz- flächen, die langjährig weitgehend unberührt blieben oder in den letzten Jahren bis Jahr- zehnten renaturiert wurden.

Überstau: Renaturierte Standorte und Grabensituationen, in denen das Wasser bis in den Sommer oder ganzjährig über der Geländeoberkante steht. Die Vegetation ist oft noch nicht an die Nässe angepasst oder fehlend.

Quelle: DRÖSLER et al. 2011b, verändert

248 Moorbodennutzung

Abbildung 7-5

Klimawirkung der Moorbodennutzung in Deutschland

Überstau

Nh/iNaturnah / renaturiert

Hochmoor trocken e Grünland extensiv / nass Hochmoor ategori k k Niedermoor Grünland extensiv / trocken zungs t t Nu Grünland intensiv / mittel

AkAcker

0 510 15 20 25 30 3540

t CO2eq / ha a SRU/UG 2012/Abb. 7-5; Datenquelle: DRÖSLER et al. 2011b nen aus der Torfverbrennung denen fossiler Energieträger maßnahmen wie Mulchen oder Mähen durchgeführt wer- zugerechnet. Dennoch werden in Finnland Torfkraftwerke den, die eine Entwässerung erfordern (Landwirtschafts- staatlich gefördert und für Strom aus der Torfverbrennung kammer Nordrhein-Westfalen 2011). wird ein fester Einspeisetarif garantiert (BMU 2011b). Nach der Biomasseverordnung wird Torf in Deutschland Der Nutzungsdruck auf die landwirtschaftlichen Flächen nicht als Biomasse anerkannt und ist im Rahmen des Er- steigt durch die wachsende Nachfrage nach Biomasse für neuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) nicht förderfähig. den Energiebereich (SRU 2011, Tz. 59). So stiegen die Maisanbauflächen deutschlandweit von 16.360 km² (2003) auf 25.176 km² (2011) an (DMK 2011). Gleichzei- 7.4.1 Landwirtschaftliche Nutzung tig nahmen die Dauergrünlandflächen zwischen 2003 und 409. Trotz des hohen Humusgehaltes gelten Moorböden 2011 um etwa 3.230 km² ab (Statistisches Bundesamt aufgrund der Nährstoffarmut (Hochmoorböden) bzw. un- 2011b; 2011c). Davon sind auch Moorböden stark betrof- günstiger physikalischer und chemischer Bodenverhält- fen (NITSCH et al. 2009). Der EEG-Erfahrungsbericht nisse als Niedrigertragsflächen. Auch bei optimal einge- belegt, dass die energetische Nutzung von Biomasse wei- setzten Produktionsfaktoren geht der erzielbare Gewinn terhin zunimmt, was die Flächenproblematik dauerhaft häufig gegen Null. Gründe dafür können niedrige Boden- verschärft (Bundesregierung 2011). fruchtbarkeit, ungünstige hydrologische Bedingungen, ungünstiges regionales Klima, große Entfernung zum Die THG-Bilanz landwirtschaftlich genutzter Flächen un- Markt oder zu kleine Flächeneinheiten sein. Moorböden terscheidet sich für Hoch- und Niedermoorböden je nach werden dennoch aus Mangel an Ausweichflächen in Ge- Nutzungsart, die Tendenz ist jedoch vergleichbar: Je in- genden mit ausgedehnten Niedermoorböden sowie wegen tensiver die Nutzung der Flächen und damit die Entwäs- der familiären Bindung kleinbäuerlicher Betriebe an diese serung ist, desto höher sind die Kohlenstoffverluste. Ent- Flächen genutzt (DRÖSLER et al. 2011a). Ein wesentli- scheidend für die THG-Entstehung ist der Wasserstand. cher Anreiz geht dabei auch von der Gemeinsamen Abbildung 7-5 veranschaulicht den Zusammenhang zwi- Agrarpolitik (GAP) aus. Um Fördermittel aus der GAP zu schen Moortyp bzw. -nutzung und spezifischen THG- erhalten, müssen selbst auf stillgelegten Flächen Pflege- Emissionen.

249 Moorböden als Kohlenstoffspeicher

Eine tiefe Drainage, wie sie für die Acker- und Intensiv- Aufgrund der stark begrenzten Torfvorräte in Deutsch- grünlandnutzung erforderlich ist, führt zu den höchsten land ist der Import von circa 1,4 Mio. m³ im Jahr 1996 THG-Emissionen. Je weniger entwässert wird, desto we- auf knapp 3,5 Mio. m³ im Jahr 2010 gestiegen (WELSCH niger THG werden emittiert. Ein Überstau führt jedoch 2010; Statistisches Bundesamt 2011a). Damit nimmt auch ebenfalls zu hohen Emissionen, da die vorhandene orga- die Abhängigkeit von internationalen Torfvorkommen vor allem im Baltikum, in Russland, Polen und Skandina- nische Substanz zersetzt wird und CH4 entsteht. vien zu (FALKENBERG 2008). Die Bundesregierung hat Im Laufe der Nutzung verschlechtern sich die physikali- sich das Ziel einer signifikanten Senkung des Torfabbaus schen Bodeneigenschaften deutlich (Verdichtung, Stau- in Deutschland ab 2015 gesetzt, beabsichtigt aber derzeit nässe). Intensive Nutzung verbunden mit Düngung und nicht, (ökonomische) Anreize für die Nutzung von Torf- starker Entwässerung haben zum Verlust des naturschutz- substituten zu setzen (Deutscher Bundestag 2010). Bei fachlichen Wertes vieler Flächen geführt (RATH und Reduktion der inländischen Torfgewinnung ist eine Aus- BUCHWALD 2008). Bei extensiver Bewirtschaftung dehnung der Importe zu befürchten. breiten sich landwirtschaftlich nicht nutzbare Arten ver- stärkt aus. Eine extensive Beweidung oder Mahd kann Seit in den 1980er- und 1990er-Jahren das Bewusstsein für die Auswirkungen des Torfabbaus auf Klima, Biodi- sich positiv auf die Biodiversität leicht entwässerter und versität und Wasserhaushalt zugenommen hat, gibt es Be- traditionell genutzter Niedermoorböden auswirken strebungen, torffreie Ersatzstoffe mit ähnlichen Eigen- (MIDDLETON et al. 2006). Wird entwässertes Nieder- schaften zu finden. Derzeit wird eine Reihe organischer moorgrünland nicht mehr bewirtschaftet und fällt es ohne und mineralischer Stoffe bereits erfolgreich als Zusatz- Wasserstandsanhebung brach, entwickeln sich meist ar- oder Ersatzstoff eingesetzt, zum Beispiel Kompost, Rin- tenarme hochwüchsige Bestände, die beispielsweise die denhumus, Holzfasern, Kokosfasern, Vermiculit, Perlite, Verfügbarkeit von Nahrungsressourcen für Wiesenvögel Steinwolle. Da viele dieser Ersatzstoffe starken Schwan- erschweren können (BEHRENS et al. 2007). kungen in ihren Eigenschaften (z. B. Nährstoff- und Salz- gehalt) unterliegen, ist eine ständige Überprüfung zur 7.4.2 Torfnutzung im Hobby- und Qualitätssicherung nötig. Weitere Hemmnisse, die der Erwerbsgartenbau breiteren Anwendung dieser Stoffe zurzeit noch entge- genstehen können, sind der höhere Preis, das zum Teil hö- 410. Aufgrund seiner relativ konstanten physikalischen, here Gewicht, Pathogene und unerwünschte, noch keim- chemischen und biologischen Eigenschaften (gute Wasser- fähige Pflanzensamen im Substrat. Im Bereich der speicherkapazität, großes Porenvolumen, geringer Nähr- Bodenverbesserung werden heute bereits überwiegend stoffgehalt, niedriger pH-Wert, weitgehend ohne keimfä- Ersatzstoffe wie Grünkompost eingesetzt (FALKEN- hige Pflanzensamen und Mikroorganismen) und durch BERG 2008). Insgesamt werden in Deutschland jährlich seine bislang gute Verfügbarkeit wird Torf traditionell im Substitute im Umfang von circa 600.000 m³ verarbeitet Hobby- und Erwerbsgartenbau zum einen als Kultursub- (WELSCH 2010). Eine weitere Option zur Gewinnung strat und zum anderen zur Bodenverbesserung eingesetzt. von Kultursubstraten ist die Kultivierung von Sphagnum- Dabei wird nährstoffarmer, saurer Torf aus Hochmooren Torfmoosen auf überstauten, abgetorften Hochmoorbö- verwendet, bei dem durch Zugabe von Dünger und Kalk den (Tz. 414). Hierbei werden Torfmoose direkt als der Nährstoffgehalt und der pH-Wert je nach Bedarf ein- Frischsubstrat ohne Zersetzung genutzt (FNR 2009). Ab- gestellt werden können. schätzungen über nutzbare Flächen und erzielbare Men- gen stehen noch aus. Jährlich werden in Deutschland circa 5 bis 6 Mio. m3 Torf auf 269 km² Moorboden industriell abgebaut, genutzt und Bislang sind die Mengen an Ersatzsubstraten insgesamt aber bei weitem noch nicht ausreichend, um den gesam- teilweise exportiert. 2009 wurden dadurch circa 2,4 Mt ten Bedarf an Kultursubstraten decken zu können. Nach CO freigesetzt (DGMT 2010; UBA 2011a; FALKEN- 2eq dem Entwurf des Kreislaufwirtschaftsgesetzes von 2011 BERG 2008). Der größere Anteil des Torfs (4,6 Mio. m³) muss Bioabfall spätestens ab 2015 getrennt erfasst wer- wird im Erwerbsgartenbau verwendet (s. Abb. 7-6), im den, sodass sich das Kompostaufkommen erhöhen wird. Hobbygartenbau werden etwa 2,5 Mio. m³ verarbeitet. Allerdings begrenzt die zunehmende energetische Nut- Nach dem Ende des Abbaus werden die Flächen häufig re- zung die Verfügbarkeit dieses Torfersatzstoffes wie auch naturiert. Allerdings ist dies eine Maßnahme, die über sehr weiterer, wie Rindenhumus, Holzfasern, Kokosfasern. lange Zeiträume ein Management bzw. eine Begleitung er- fordert, da Torf nur sehr langsam wächst (s. Tz. 399). Großbritannien hat bereits im Jahr 1995 einen „Torfaus- stiegsplan“ beschlossen (Department for Communities Grundsätzlich ist vor Genehmigung des Torfabbaus eine and Local Government 1995). Das britische Landwirt- naturschutzfachliche Prüfung vorzunehmen, die aber auf- schaftsministerium hat 2011 in einem Weißbuch konkrete grund zum Beispiel älterer Nutzungsrechterteilungen Pläne zum Torfausstieg vorgelegt. Die Torfnutzung im nicht unbedingt den Schutz wertvoller Flächen garantiert staatlichen und öffentlichen Sektor soll bis 2015 auslau- (Regionaler Planungsverband Westmecklenburg 2010). fen, im Hobbygartenbau bis 2020 und bis spätestens 2030 So laufen in Mecklenburg-Vorpommern derzeit mehrere auch im Erwerbsgartenbau (Defra 2011). In der Schweiz Anträge zur Torfgewinnung auf Flächen, die zum Teil in wird gegenwärtig ebenfalls ein Ausstiegsplan für die Biosphärenreservaten bzw. Naturschutzgebieten liegen. Torfnutzung diskutiert.

250 Moorbodennutzung

Abbildung 7-6

Einsatz von Torf im Erwerbsgartenbau in Deutschland im Jahr 2005 0,2 Mio. m³ 0,002 Mio. m³ 0,4 Mio. m³ Pilzanbau BhlBaumschulen Obstanbau

23Miom2,3 Mio. m³ Gemüseanbau 1,7 Mio. m³ Blumenzucht

SRU/UG 2012/Abb. 7-6; Datenquelle: ALTMANN 2008

7.4.3 Alternative Nutzungsformen: haben sie ein großes Potenzial, den ästhetischen Wert von Paludikulturen Landschaften zu verändern. In monostrukturierten Regio- nen können sie die (Landschafts-)Heterogenität erhöhen 411. Eine Möglichkeit der „nassen“ Moorbodennutzung sowie zum Erosions- und Windschutz beitragen. Im Ver- stellen Paludikulturen dar. Unter dem Begriff der Paludi- gleich mit einjährigen Kulturen können sie eine höhere kulturen (lat.: palus = Sumpf) wird der Erlenanbau und biologische Vielfalt beherbergen, sind weniger bearbei- der Anbau von Schilf-, Rohrglanzgras- oder Seggenbe- tungsintensiv und haben einen geringeren Nährstoff- und ständen auf Niedermoorböden sowie die Kultivierung Pestizidbedarf. Negative Effekte können in heterogenen von Torfmoosen auf Hochmoorböden verstanden. Sie waldreichen Regionen durch den Verlust offener Struktu- umfassen traditionelle Nutzungsformen, wie Dachschilf- ren auftreten. Aufgrund des hohen Wasserbedarfs sind Ernte und Streunutzung, aber auch neue Verfahren, wie auch Auswirkungen auf den Grundwasserhaushalt mög- die Energiegewinnung aus Moor-Biomasse (DUENE lich (AMMERMANN 2009). Das Projekt ALNUS (2002 2009). Die Erträge können sowohl energetisch als auch bis 2005) in Mecklenburg-Vorpommern konnte zeigen, stofflich genutzt werden und damit zusätzlich durch Ener- dass ein umweltverträglicher Anbau von Schwarzerlen gie- und Materialsubstitution fossiler Stoffe einen Beitrag auf wiedervernässten Niedermoorflächen zur Gewinnung zum Klimaschutz leisten. von Furnier- und Stammholz möglich ist und gleichzeitig eine volkswirtschaftlich günstige Klimaschutzmaßnahme Erlenwälder: Schnellwachsende Bäume darstellt (SCHÄFER 2005). als Energiepflanzen Halmkulturen: Riede und Süßgräser 412. Als typische Bäume nasser nährstoffreicher Stand- orte sind Erlen besonders zum Anbau auf (degradierten 413. Für die Biomassegewinnung auf Niedermoorböden und wiedervernässten) Niedermoorböden geeignet. Dabei sind vor allem Rohrglanzgras (Phalaris arundinacea),

251 Moorböden als Kohlenstoffspeicher

Gemeines Schilf (Phragmites australis) und Großseggen naus konnten auf den Kultivierungsflächen seltene Arten (Carex spec.) von Bedeutung, die einen Jahresertrag von der Flora und Fauna nachgewiesen werden. Zurzeit wird bis zu 25 t/ha an trockener Biomasse erbringen. Im Rah- im Rahmen eines von der Fachagentur Nachwachsende men der Wiedervernässung von Niedermoorböden erfolgt Rohstoffe geförderten Verbundprojektes die Torfmoos- die Neubesiedlung mit standorttypischer Vegetation ent- kultivierung auf Hochmoorbodengrünland mit dem Ziel weder spontan oder durch gezielte Pflanzung. Die stoff- untersucht, Torfmoose als neue landwirtschaftliche Kul- liche Verwertung der Halmkulturen zum Beispiel als turpflanze zu etablieren (FNR 2009). Isoliermaterialien und Dachschilf ist eine traditionelle Nutzungsform, aber bisher nur lokal von Bedeutung. Die energetische Verwertung in Biogasanlagen ist aufgrund Vergleich alternativer Nutzungsformen der geringen Gasausbeute nur begrenzt lohnend. Die 415. Im Vergleich zu einer landwirtschaftlichen Nut- direkte Verfeuerung in Heizkraftwerken oder Kraft- zung können alle betrachteten „nassen“ Nutzungsformen Wärme-Kopplungs-Anlagen ist derzeit vielversprechen- potenziell Vorteile für die Klimawirksamkeit und die Bio- der, setzt aber auch eine entsprechende Logistik, Aufbe- diversität haben (Tab. 7-2). Voraussetzung dafür ist die reitung und Nähe zur Anlage voraus (WICHTMANN und WICHMANN 2010). Weiterhin sind ein vergleichsweise Berücksichtigung der jeweiligen lokalen Bedingungen, hoher Chloranteil der Biomasse und große Ascheentwick- um negative Umweltwirkungen beispielsweise durch lung hinderlich für die energetische Nutzung. Natur- Düngung, das Einbringen invasiver Arten oder die Ver- schutzfachlich sind Halmkulturen als Brutgebiete für ver- ringerung der (Landschafts-)Heterogenität zu vermeiden. schiedene Vogelarten (z. B. Rohrsänger, Blässralle) Hinsichtlich der realen THG-Emissionen und auch der bedeutsam. Auswirkungen auf die Biodiversität besteht jedoch noch erheblicher Forschungsbedarf. Torfmoose Bislang befinden sich diese Formen der Bewirtschaftung 414. Frische Torfmoos-Biomasse könnte zukünftig ein in Deutschland noch in der Erprobungsphase und sind auf wichtiger Ersatzstoff für Torf als Kultursubstrat im kleinflächige Pilotprojekte beschränkt. Verschiedene Hobby- und Erwerbsgartenbau werden (Tz. 410). Erste Hemmnisse, wie fehlende Technik (z. B. zur Ernte) bzw. Versuche, Torfmoos auf ehemaligen Hochmoorböden zu hohe Kosten, das Fehlen verfügbarer, wiedervernässter kultivieren und zu ernten, zeigen gute Ergebnisse bei der Flächen, Akzeptanzprobleme bei Landnutzern sowie ins- Verwendung für die Weiterkultur von Zierpflanzen und gesamt fehlende agrarpolitische- Anreizsysteme, stehen als Vermehrungssubstrat im Gartenbau, nicht jedoch für momentan noch einer großflächigen Nutzung entgegen die Jungpflanzenanzucht (GAUDIG 2010). Darüber hi- (DUENE 2009).

Tabelle 7-2

Paludikulturen auf degradierten Moorböden und Abschätzungen ihrer potenziellen Auswirkungen auf Klima, Biodiversität und Wasserhaushalt

Niedermoorboden Hochmoorboden Wälder Riede Süßgräser Torfmoose Gattungen Alnus Phragmites, Carex Glyceria, Phalaris Sphagnum, diverse Produkt Energie Kultursubstrat Möbelholz, Furnier Naturbaustoff Futter Ertrag TM t•ha-1•a-1 3 – 10 6 – > 25 5 – 15 2 – 8 Erntezyklus 6 – 80 a 1 a (Winter) 1 a (Sommer) 5 a Ökologie Oligotroph Eutroph basisch Eutroph basisch Polytroph basisch sauer Klima (GWP) ++ ++ + + Biodiversität + + + + Wasserhaushalt + ++ ++ ++ + + sehr positiv, + positiv (im Vergleich zu landwirtschaftlicher Nutzung); TM = Trockenmasse, GWP = Global Warming Potential SRU/UG 2012/Tab. 7-2; Datenquelle: WICHTMANN 2008, ergänzt um Biodiversität und Wasserhaushalt

252 Reduktion der Emissionen aus Moorböden

7.4.4 Bewertung Nutzung der Flächen. Da Moorböden einen relativ gerin- gen Anteil (8 %) an der landwirtschaftlichen Fläche ha- 416. Eine nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung von ben, ihre Nutzung jedoch etwa ein Drittel der direkten Moorböden ist im Allgemeinen nicht möglich. Der beste Emissionen aus Landwirtschaft und LULUC verursacht, Schutz der in Moorböden gespeicherten Kohlenstoffvor- ist ihr Potenzial zur Senkung von THG-Emissionen ver- räte ist die Erhaltung oder die Wiederherstellung des gleichsweise hoch. Generell ist dabei zu beachten, dass natürlichen Wasserhaushalts mit dem Ziel der Wiederauf- im Bereich der Moorböden Maßnahmen zur Emissionsre- nahme des Torfwachstums. Wenn der natürliche Wasser- duktion erst mit zeitlichem Verzug greifen (s. Ab- stand nicht erreicht werden kann, sollte er zumindest so schn. 7.5.2). weit wie möglich angehoben und die Nutzung extensi- viert werden (BfN 2010). Der Agrarsektor nimmt bislang nicht am europäischen Emissionshandel teil (Nichthandelssektor) (Emissions- Auch der Abbau von Torf zur Verwendung im Gartenbau handelsrichtlinie 2009/29/EG). Um die Klimaziele auch ist keine nachhaltige Nutzungsform, da die Moorflächen im Bereich der Landwirtschaft zu erreichen, bedarf es ei- in ihrer Multifunktionalität nachfolgenden Generationen nes Instrumentenmix aus finanziellen Anreizen und ord- nicht mehr zur Verfügung stehen. Torfabbau führt zu nungsrechtlichen Maßnahmen. Die Europäische Kom- drastischen Veränderungen des Lebensraumes Moor mit mission nennt in ihrer Low Carbon Roadmap neben dem seinen chemischen und physikalischen Eigenschaften und europäischen THG-Gesamtreduktionsziel von circa 80 % zum Verlust standorttypischer Lebensgemeinschaften, gegenüber 1990 als Ziel des Agrarsektors eine Reduktion ohne dass diese in überschaubaren Zeiträumen wieder um 42 bis 49 % für Nicht-CO -Emissionen (CH und hergestellt werden könnten. 2 4 N2O). Zur Zielerreichung werden dabei als Optionen „Nasse“ Nutzungsformen wie Paludikulturen vermindern auch Maßnahmen zur Wiedervernässung von Feuchtge- den Kohlenstoffverlust und sollten für die Bewirtschaf- bieten und Moorböden genannt (Europäische Kommis- tung degradierter und wiedervernässter Standorte geprüft sion 2011). werden. Sinnvoll ist dabei die Einbindung in die umge- bende Landschaftsstruktur. Dadurch können verschiedene In der Klimaschutzstrategie des Deutschen Bauernver- positive Wirkungen auf die biologische Vielfalt erreicht bandes (DBV) wird für die Landwirtschaft angestrebt, bis werden: Neben einer Steigerung der Landschaftshetero- zum Jahr 2020 die Emissionen an CH4 und N2O um 25 % genität werden neue Feuchtlebensräume, die einen hohen (2030: -30 %) gegenüber 1990 zu senken sowie „soweit naturschutzfachlichen Wert haben können, geschaffen. sinnvoll und möglich […] den Anteil der organischen Allerdings befinden sich die Paludikulturen noch im Pro- Substanz in Böden weiter zu steigern“. Eine Senkung der jektstadium und einer großflächigen Anwendung stehen landwirtschaftlichen CO2-Emissionen aus Moorböden ist derzeit verschiedene Hemmnisse entgegen. Bei der Aus- derzeit allerdings nicht vorgesehen, da der DBV für die wahl des Saatguts bzw. der eingesetzten Pflanzen sollte Klimawirkung der Moorbodennutzung noch „erheblichen auf lokale Herkunft geachtet werden. Forschungsbedarf“ sieht (DBV 2010). Vor dem Hinter- grund der angestrebten Reduktion der deutschen Gesamt- Forschungsbedarf besteht weiterhin hinsichtlich klima- THG-Emissionen um 80 bis 95 % bis 2050 (BMU 2011a) und naturschutzfreundlicherer Nutzungsmöglichkeiten erscheinen die Ziele des DBV jedoch nicht hinreichend, von Standorten, die für eine Wiedervernässung nicht ge- zumal sie nicht bindend festgeschrieben sind. eignet sind oder nicht zur Verfügung stehen. 419. Im Basisjahr 1990 betrugen die THG-Emissionen aus Landwirtschaft und LULUC 125,6 Mt CO (UBA 7.5 Reduktion der Emissionen 2eq 2011b). Die THG-Emissionen aus Moorböden betrugen aus Moorböden 39,1 Mt CO2eq. Es wird notwendig sein, dass die Land- 417. Eine Reduktion der THG-Emissionen aus Moorbö- wirtschaft einen erheblichen Beitrag zur Senkung der den lässt sich durch eine Wasserstandsanhebung, damit THG-Emissionen leistet. Maßnahmen im Bereich der einhergehend durch eine Nutzungsextensivierung, und Moore haben dabei höhere Realisierungschancen als an- letztlich durch Nutzungsaufgabe und Renaturierung errei- dere Maßnahmen in der Landwirtschaft. So ist beispiels- chen. Da die Kosten solcher Maßnahmen stark von loka- weise die Reduktion der Emissionen aus der Viehhaltung len Rahmenbedingungen abhängen, sollte das Kosten- deutlich schwieriger zu realisieren. Geht man hypothe- Nutzen-Verhältnis (THG-Vermeidungskosten) berück- tisch davon aus, dass alle Quellkategorien in gleichem sichtigt werden, sodass finanzielle Mittel möglichst effi- Maße zum Klimaschutz beitragen, das heißt ihre Emissio- zient eingesetzt werden. nen um denselben Prozentsatz gesenkt werden sollen, wäre eine Reduktion der THG-Emissionen aus Landwirt- 7.5.1 Ziele schaft und LULUC auf 6 bis 25 Mt CO2eq/a nötig. Als Zielwert für THG-Emissionen aus Moorböden ergäben 418. Um das 2°-Ziel (IPCC 2007) zu erreichen, bedarf sich 2 bis 8 Mt CO2eq/a. Mithilfe eines langfristigen Ziels es der Senkung von THG-Emissionen in allen Quellkate- können Zwischenschritte abgeleitet werden. Ein solches gorien, so auch derjenigen, die in der Landwirtschaft und Ziel ist als notwendig, aber visionär einzuschätzen; ein durch LULUC verursacht werden. Notwendig sind so- realitätsnäherer Wert ist jedoch derzeit nicht zuverlässig wohl die Reduktion der Emissionen aus der Viehhaltung quantifizierbar, da Erfolge von Renaturierungsmaßnah- und der Düngung als auch aus der landwirtschaftlichen men nur schwer abschätzbar sind. Nicht zuletzt aus die-

253 Moorböden als Kohlenstoffspeicher sem Grund bedarf es eines geeigneten Monitorings und den (FREIBAUER et al. 2009). Diese Werte ergeben sich der regelmäßigen Anpassung der Ziele. aus einer disaggregierten Flächenbetrachtung und ihrer Gewichtung mit flächenspezifischen Emissionsfaktoren. Abbildung 7-7 stellt die möglichen Zielwerte für 2050 Aufgrund notwendig konservativer Annahmen zur Be- (-80 % THG-Emissionen gegenüber 1990) der realen rücksichtigung von Abgrenzungsschwierigkeiten und Un- Entwicklung seit 1990 gegenüber und zeigt beispielhaft sicherheiten bei den Faktoren erscheinen auch höhere hypothetische Zwischenziele für die kommenden Deka- Werte als möglich. Welcher Anteil des abgeschätzten Po- den, die bei einer linearen Reduzierung der THG-Emis- sionen erreicht würden. tenzials tatsächlich umgesetzt werden kann, entscheiden die politischen, rechtlichen und ökonomischen Rahmen- Eine Übertragung der THG-Emissionsminderungsziele bedingungen. auf Flächenziele ist nicht zuverlässig möglich, da es qua- litative Unterschiede zwischen verschiedenen Flächen Das Bayerische Landesamt für Umwelt (2010) hat aus gibt (vgl. Kap. 7.2 und 7.3). Eine Reduktion der THG- den Ergebnissen bayerischer Renaturierungsprojekte ei- Emissionen entlang von Meilensteinen erscheint dennoch nen Leitfaden entwickelt, der konkrete Maßnahmen und sinnvoll, um anhand eines messbaren Indikators Erfolge Hinweise nennt. Wichtigste Maßnahme der Renaturie- zu evaluieren und weiteren Handlungsbedarf abzuleiten. rung ist es, den Abfluss von Niederschlägen zurückzuhal- Die Erarbeitung eines konkreten Reduktionsplanes kann ten und durch den Verschluss von Entwässerungsgräben nur auf einer zuverlässigen Bestandserhebung der Poten- einen intakten Wasserhaushalt wiederherzustellen. ziale basieren. Grundlagen dazu werden derzeit im Pro- jekt „Organische Böden“ gelegt (vTI 2011). Nach aktuellem Forschungsstand ist eine Wasserhöhe von etwa 10 cm unter Flur optimal (DRÖSLER et al. 2011b). Bei höherem Wasserstand bzw. Überstau setzt eine starke 7.5.2 Renaturierungsmaßnahmen CH4-Freisetzung ein, bei niedrigerem Wasserstand be- 420. Ersten Abschätzungen zufolge könnte in Deutsch- ginnt die Torfmineralisierung. In der Praxis ist allerdings land durch die vollständige Renaturierung der landwirt- ein permanent gleichmäßiger Wasserstand kaum realisier- schaftlich genutzten Hoch- und Niedermoorböden eine bar, zumal ja aus Kostengründen nach Möglichkeit wieder Klimaentlastung um 5 bis 30 Mio. t CO2eq erreicht wer- natürliche Wasserverhältnisse hergestellt werden sollen,

Abbildung 7-7

Treibhausgasemissionen aus Moorböden:Reale Entwicklung und notwendige Ziele

45

40

35

30 Notwendiger /a

q Trend

2e 25 t CO M M 20

15 Notwendige Ziele 10 -80% 5 -95% 0 1990 2000 2009 2020 2030 2040 2050 (Baseline) (Status Quo) (Zielwert: -20%) (Zielwert: -40%) (Zielwert: -60%) (Zielwert) Emissionen aus Moorbodennutzung Torfabbau und -nutzung SRU/UG 2012/Abb. 7-7; Datenquelle für Zahlen bis 2009: UBA 2011b

254 Synergiewirkungen und Schutzkonzepte die keine dauerhafte Wasserbewirtschaftung erfordern. gibt es regionale Unterschiede zwischen Moortypen, ihrer Natürlicherweise kommt es zu Wasserstandsschwankun- Nutzung, ihrer Eigentümer- und Pachtstruktur sowie der gen, die aber bei zunehmender zu durchströmender Fläche Höhe des Wasserspiegels, die wiederum Einfluss auf abgemildert werden. THG-Vermeidungen und Kosten haben können. Auch die Kosten für die Erhaltung der Nutzbarkeit (z. B. Schöpf- Daher ist bei der Renaturierung besonderes Augenmerk werke, Unterhaltung von Entwässerungsgräben) müssen auf die Lebensdauer der Staueinrichtungen und die Ver- in die Bewertung einbezogen werden. meidung von langfristiger, großflächiger Überstauung zu legen. Vor Beginn aller Maßnahmen müssen zunächst Neben den zuvor genannten Einflussgrößen spielt der Be- abiotische und biotische Umweltbedingungen ermittelt trachtungszeitraum (Bezugshorizont) eine große Rolle, da sowie Eigentumsverhältnisse und rechtliche Vorausset- es nach Durchführung einer Maßnahme üblicherweise zu- zungen geprüft werden. erst – das heißt vergleichsweise kurzfristig – zu einem Anstieg der CH -Emissionen kommt und das Sinken der Entscheidend für die Klimawirksamkeit einer Renaturie- 4 CO2-Emissionen über einen längeren Zeitraum erfolgt. rungsmaßnahme ist der Wasserstand. Der durch die Renatu- So kann es erst längerfristig zu einer Netto-Vermeidung rierung angestrebte Wasserstand sollte sich am natürlichen von THG-Emissionen kommen. Wasserspiegel orientieren (z. B. Hochmoore: zwischen Geländeoberfläche und 35 cm unter Flur) (Bayerisches Vor diesem Hintergrund kommt die Literatur zu einer brei- Landesamt für Umwelt 2010). Notwendige Maßnahmen, ten Spanne bei THG-Vermeidungskosten für Moorböden. um dies zu erreichen, können unter anderem das Verfüllen Diese reicht von 0 bis 18 Euro/t CO2eq (HARGITA 2009; von Entwässerungsgräben, der Bau von Dämmen, das Ein- HIGRADE 2011), bei Unterstellung von Einkommensver- pumpen von Wasser, die Reduzierung der Grundwasser- lusten über einen sehr langen Zeitraum (z. B. fünfzig nutzung und das Entfernen von Bäumen und Sträuchern Jahre) können die diskontierten THG-Vermeidungskosten sein. Weiterhin können auch die Aufgabe oder Extensivie- sogar bis zu 52 Euro/t CO2eq betragen (HARGITA 2009). rung der landwirtschaftlichen Nutzung oder auch das Wie- Im Rahmen eines Renaturierungsprojektes (vgl. MoorFu- dereinbringen typischer Pflanzenarten einen Beitrag zu ei- tures; Tz. 429) im Landkreis Müritz wurden THG-Vermei- ner wirkungsvollen Renaturierung leisten (BfN 2010). dungskosten von 35 Euro/t CO2eq für einen Betrachtungs- zeitraum von fünfzig Jahren errechnet (Ministerium für Bedingt durch den Ablauf biotischer Prozesse kann es ei- Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklen- nige Jahre nach den Renaturierungsmaßnahmen noch zu burg-Vorpommern 2011). Dass die THG-Vermeidungs- – aus Klimaschutzsicht – suboptimalen Entwicklungen kosten von Fläche zu Fläche sehr unterschiedlich sein kön- (CH4-Emissionen) kommen. Die Handlungsempfehlun- nen, zeigen auch DRÖSLER et al. (2011b), die für gen des Bayerischen Landesamtes für Umwelt resultieren konkrete Renaturierungssituationen THG-Minderungs- aus Erkenntnissen von Moorbodenrenaturierungsprojek- kosten von 10 bis 135 Euro/t CO2eq errechneten. RÖDER ten in Bayern. Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf und GRÜTZMACHER (2012) nennen eine Spanne der andere geologische, hydrologische und biologische Be- THG-Vermeidungskosten für Moorböden von 20 bis dingungen ist noch zu überprüfen. 70 Euro/t CO2eq. Auch höhere THG-Vermeidungskosten sind denkbar, falls bei einer Maßnahme vergleichsweise 7.5.3 Vermeidungskosten hohen Kosten für die Landwirtschaft geringe CO2-Emis- sionseinsparungen gegenüberstehen. 421. Es gibt eine breite Spanne an Maßnahmen, um die THG-Emissionen aus Moorböden zu senken. Eine Was- Der Vergleich mit THG-Vermeidungskosten anderer Ver- serstandsanhebung geht zwangsläufig mit einer Nut- meidungsoptionen zeigt, dass Maßnahmen im Bereich zungsextensivierung einher, womit zusätzlich positive der Moorböden günstiger sein können als andere Vermei- Wirkungen auf den Naturschutz und für den Wasserhaus- dungsoptionen in der Landwirtschaft. So berechnen halt erreicht werden können (vgl. Abschn. 7.6.1). Jede PEREZ und HOLM-MÜLLER (2007) durchschnittliche Wasserstandsanhebung bringt ökonomische Kosten bei- THG-Vermeidungskosten von 171,3 Euro/t für eine Re- spielsweise für Produzenten durch sinkende Erträge mit duktion der landwirtschaftlichen THG-Emissionen Euro- sich. Die damit induzierten THG-Emissionsreduktionen pas um 15 %. Darüber hinausgehende Reduktionen wären lassen sich daher mithilfe von THG-Vermeidungskosten mit deutlich höheren Kosten verbunden. bewerten. 7.6 Synergiewirkungen und Schutzkonzepte Grundsätzlich ist zu beachten, dass innerhalb einer Re- gion (hier: Deutschland) die THG-Vermeidungskosten für 422. In Deutschland unterliegen Moorflächen unter- Moorböden zum Teil stark variieren können. Bei ihrer schiedlichen rechtlichen Regelungen. Auf Bundesebene Herleitung und Analyse muss eine Vielzahl von Optionen wird der Boden generell durch das BBodSchG geschützt. berücksichtigt werden. Die verschiedenen Stufen der Ex- Es bestimmt in § 1: „Zweck dieses Gesetzes ist es, nach- tensivierung (von Ackernutzung über Intensiv- und Ex- haltig die Funktionen des Bodens zu sichern oder wieder- tensivgrünland bis zur Nutzungsaufgabe und Renaturie- herzustellen. Hierzu sind schädliche Bodenveränderungen rung) bewirken unterschiedlich hohe Reduktionen von abzuwehren, der Boden und Altlasten sowie hierdurch THG-Emissionen und sind mit unterschiedlich hohen verursachte Gewässerverunreinigungen zu sanieren und Kosten verbunden. Darüber hinaus müssen Ertragsreduk- Vorsorge gegen nachteilige Einwirkungen auf den Boden tionen in den Kosten adäquat abgebildet werden. Zudem zu treffen. Bei Einwirkungen auf den Boden sollen Beein-

255 Moorböden als Kohlenstoffspeicher trächtigungen seiner natürlichen Funktionen sowie seiner schutzprogramme der Länder Schleswig-Holstein, Nie- Funktion als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte so dersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern weit wie möglich vermieden werden.“ Zu diesen Funktio- (s. dazu ausführlich Abschn. 7.6.2) enthalten teilweise nen zählt grundsätzlich auch die Klimaschutzfunktion von sehr detaillierte naturschutzfachliche und klimatologische Mooren. Ausführungen, setzen aber auf freiwillige Maßnahmen von Nutzern und Eigentümern. Die nationale Biodiversi- Der überwiegende Teil der Hochmoore liegt in National- tätsstrategie schlägt vor, in allen Bundesländern bis 2010 parks, Naturschutz-, FFH- oder Vogelschutz-Gebieten Moorentwicklungskonzepte zu erarbeiten und bis 2025 und besitzt damit einen formalen Schutzstatus. Als wert- umzusetzen. volle Landschaften sind Moore gemäß § 30 Absatz 2 Nummer 2 (BNatSchG) geschützt. § 30 Absatz 2 Num- Durch den starken Verlust von Mooren liegen die noch in- mer 2 BNatSchG bestimmt, dass Handlungen, die zu ei- takten Flächen oft isoliert voneinander. Damit wird der ner Zerstörung oder einer sonstigen erheblichen Beein- Austausch zwischen den verschiedenen Gebieten für viele trächtigung von Mooren und Sümpfen führen können, Arten erschwert bzw. unmöglich. Nach § 20 BNatSchG verboten sind. Dies umfasst allerdings nur vom Regen- soll ein Biotopverbund – bestehend aus Kernflächen, Ver- oder Mineralbodenwasser abhängige Lebensgemein- bindungsflächen und Verbindungselementen – dazu die- schaften auf Torfböden in natürlichem oder naturnahem nen, Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen Zustand einschließlich bestimmter Degenerations- und einschließlich ihrer Lebensstätten, Biotope und Lebensge- Regenerationsstadien und nicht bereits degradierte, land- meinschaften dauerhaft zu sichern sowie die Bewahrung, wirtschaftlich genutzte Flächen (so die Definition in der Wiederherstellung und Entwicklung funktionsfähiger Begründung der inhaltsgleichen Bestimmung im Entwurf ökologischer Wechselbeziehungen zu gewährleisten. des BNatSchG 2001 (Deutscher Bundestag 2001)). Die- Bei der Entwicklung eines solchen Verbundes müssen die ser Schutz betrifft also nur intakte und naturnahe Moore. verbliebenen Moore besondere Berücksichtigung finden. Auf Moorböden („Moorstandort“) ist zudem nach § 5 Es ist vorgesehen, dass der länderübergreifende Biotop- Absatz 2 Nummer 5 BNatSchG ein Grünlandumbruch verbund die naturnahen Moore mit einer Größe von über untersagt. 2 km2 weitgehend enthält (Deutscher Bundestag 2011). Darüber hinaus sollten bei der Auswahl von Niedermoor- Bestimmte Moore sind im Anhang I Nummer 7 der FFH- böden, die renaturiert werden sollen, die Belange der Bio- Richtlinie genannt und unterfallen damit als Natura 2000- topvernetzung beachtet werden. Die Flächenauswahl er- Gebiete den §§ 32 ff. BNatSchG. Anhang I der FFH- folgt nach den Kriterien Qualität der Fläche (Größe, Richtlinie listet lebende Hochmoore, noch renaturie- Zustand, Grad der Zerschneidung) und räumliche Lage rungsfähige degradierte Hochmoore, Übergangs- und (Verbundachsen, Biotopkomplexe) (RIECKEN 2009). Schwingrasenmoore, Torfmoor-Schlenken, kalkreiche Sümpfe mit Cladium mariscus und Arten des Caricion Der Biotopverbund Brandenburg schließt für Moore davallianae, Kalktuffquellen (Cratoneurion), kalkreiche Feuchtgrünland als (Ersatz-)Lebensraum für manche Ar- Niedermoore und alpine Pionierformationen des Caricion ten und Flussniederungen als Verbindungselemente zwi- bicoloris-atrofuscae als Lebensraumtypen der Hoch- und schen den Kernflächen ein. Auch wurden „ergänzende Niedermoore auf. Diese unterliegen damit einem beson- Verbundflächen Feuchtgrünland“ definiert (HERRMANN deren Schutzstatus. Die Flächensumme dieser Lebens- et al. 2010). raumtypenmeldungen in Deutschland liegt bei etwa 586 km², was etwa 3 % der Moore in Deutschland ent- 7.6.1 Synergiewirkungen spricht (RATHS et al. 2006). Hier gilt grundsätzlich das Verschlechterungsverbot des § 33 Absatz 1 BNatSchG. 423. Die Minderung der THG-Emissionen bringt Syner- „Lebende Moore“ und „aktive Moore“ sind prioritäre Le- giewirkungen mit dem Naturschutz und der Wasserwirt- bensraumtypen, für die nach § 34 Absatz 4 BNatSchG schaft (SAATHOFF und von HAAREN 2011), ebenso strengere Anforderungen an Eingriffe zu stellen sind. Ins- wie Naturschutzprojekte positive Effekte für den Klima- gesamt ist allerdings durch den Ausschluss bestimmter schutz haben können (DRÖSLER et al. 2012). Flächen und Ausnahmen vom rechtlichen Biotopschutz Tabelle 7-3 zeigt die Auswirkungen der unterschiedlichen die Schutzwirkung der bestehenden Gesetze als unzurei- Nutzungsformen auf Klima, Biodiversität und Wasser- chend zu beurteilen. haushalt. Entscheidend für die Klimawirksamkeit sind ei- nerseits der Wasserstand und andererseits der Kohlenstoff Auf Landesebene gibt es zahlreiche für die Moorflächen entzug durch Ernte. relevante Regelungen. In einigen Bundesländern gibt (z. B. Niedersachsen) bzw. gab (z. B. Saarland) es spe- Dennoch können einer Wasserstandsanhebung unter be- zielle Moorschutzgesetze, die überwiegend aus den stimmten Rahmenbedingungen im Einzelfall Arten- 1920er-Jahren stammen und den Torfabbau betreffen. schutzaspekte entgegenstehen. Auf Moorböden können Auch in Landesnaturschutzgesetzen (z. B. im Natur- durch jahrhundertelange extensive Bewirtschaftung auch schutzgesetz Baden-Württemberg und im Niedersächsi- naturschutzfachlich wertvolle Lebensräume entstanden schen Naturschutzgesetz) erfahren Moorflächen geson- sein, für deren Erhaltung der Wasserstand auf niedrige- derte Behandlung. Relevanz kann darüber hinaus die rem Niveau gehalten werden muss (z. B. Schutz seltener Landesraumplanung entfalten, wenn sie beispielsweise Orchideenarten), als aus Klimaschutzsicht optimal wäre. Vorranggebiete für den Torfabbau ausweist. Die Moor- Auch kann aus Sicht der biologischen Vielfalt ein höherer

256 Synergiewirkungen und Schutzkonzepte

Tabelle 7-3

Beispiele der Landnutzungskategorien von Moorböden und ihre potenziellen Auswirkungen auf Klima, Biodiversität und Wasserhaushalt

Klima Biodiversität Wasserhaushalt Landnutzung Hoch- Nieder- Hoch- Nieder- Hoch- Nieder- moorboden moorboden moorboden moorboden moorboden moorboden Acker n. v. − − n. v. − − n. v. − − Intensivgrünland − −− −− −− −− −− − Trockenes Extensivgrünland − −− − + + + + −− Nasses Extensivgrünland + + − + + + + + + Degradiertes Hochmoor − entfällt − − entfällt − − entfällt Renaturiertes Moor+ ++ ++ ++ ++ ++ + Überstau −− − + ++ ++ ++ + + + sehr positiv, + positiv, − negativ, − − sehr negativ, n. v. nicht vorhanden Quelle: PERMIEN 2009; Landnutzung: angepasst an DRÖSLER et al. 2011b; Bewertung Klima: basierend auf DRÖSLER et al. 2011b

Wasserstand optimal sein, als (kurzfristig) aus Klima- stands terrestrischer Ökosysteme abzielt, die direkt vom schutzsicht wünschenswert wäre (vgl. Tz. 420). Diese Wasser abhängen (GRETT 2011). Feuchtgebiete wie Zusammenhänge erfordern jeweils Einzelfallentscheidun- Moore fördern den Rückhalt von Nährstoffen (Stickstoff gen bezüglich konkret umzusetzender Schutzstrategien, und Phosphat) und sorgen damit für eine Verringerung die in Abhängigkeit von lokalen Bedingungen, wie dem der diffusen und punktuellen Nährstoffeinträge in Ober- (potenziellen) Vorkommen geschützter Arten, zu treffen flächengewässer (TREPEL 2009a). Ein weiteres Problem sind. Derzeit wird im Rahmen des BfN-Vorhabens des lokalen Wasserhaushalts, dem durch Wiedervernäs- „Moorschutz in Deutschland“ (Laufzeit: 2011 bis 2014) sung begegnet werden kann, ist die langfristige Sackung ein Instrumentarium für die Praxis entwickelt, mit dem der Geländeoberfläche infolge von Mineralisation des Moorschutzprojekte hinsichtlich ihrer Wirkung auf Bio- Torfs und immer tieferer Entwässerung. diversität und Ökosystemleistungen (Klimarelevanz, Re- gulierung des Wasser- und Nährstoffhaushalts sowie Er- holungs- und Produktionsfunktion) geplant, bewertet, 7.6.1.2 Biologische Vielfalt optimiert und in übergeordnete Managementpläne integ- riert werden können. 425. Naturnahe Moore beherbergen eine einzigartige biologische Vielfalt und haben aufgrund ihrer speziellen abiotischen Voraussetzungen einen hohen Naturschutz- 7.6.1.1 Wasserhaushalt und Gewässergüte wert. Durch die extremen Lebensbedingungen in Hoch- 424. Moore entstehen durch einen dauerhaften Wasser- mooren – niedriger pH-Wert, Nährstoffarmut, permanente überschuss und sind damit gute Indikatoren für den Zu- Wassersättigung und extreme Temperaturschwankun- stand des Landschaftswasserhaushalts (LANDGRAF gen – können nur wenige, spezialisierte Arten in diesen 2010). Kommt es infolge von Entwässerung zu einer Mi- über lange Zeiträume entstandenen Lebensräumen exis- neralisation von Torf, werden festgelegte Nährstoffe wie- tieren. Ein Beispiel für die Anpassung an die dort vor- der freigesetzt und gelangen in die umgebenden Gewäs- herrschenden Lebensbedingungen sind die verschiedenen ser. Der Schutz und die Renaturierung von Moorflächen Sonnentauarten, die ihren Stickstoffbedarf über den Fang haben daher auch zahlreiche Synergiewirkungen zum ei- von Insekten decken. Der hohe Grad ihrer Angepasstheit nen auf den lokalen Wasserhaushalt und zum anderen auf macht die Arten gleichzeitig auch besonders empfindlich die Gewässergüte in ihrem Einzugsbereich. So fördern gegenüber Veränderungen des Lebensraums, wie bei- Moore den Wasserrückhalt in der Landschaft und tragen spielsweise Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft. damit zum Hochwasserschutz und auch zur Abmilderung Eine besondere Bedeutung haben Moore auch als Rast- der Auswirkungen des Klimawandels bei (DRÖSLER und Brutstätte zahlreicher, zum Teil stark bedrohter Vo- 2005). gelarten. Intakte Moore sind einzigartige Lebensräume, in Darüber hinaus leisten sie einen wichtigen Beitrag zur denen die sensiblen Zusammenhänge zwischen Diversität Umsetzung und Zielerreichung der europäischen WRRL, und Stabilität von Ökosystemen analysiert werden kön- die auch auf den Schutz und die Verbesserung des Zu- nen.

257 Moorböden als Kohlenstoffspeicher

Durch die Degradierung und den Verlust der Moore sind Die Bundesregierung strebt außerdem an: viele Arten dieser Lebensräume in ihrem Bestand gefähr- det oder bereits ausgestorben. So sind nach der Roten – „Erarbeitung von Moorentwicklungskonzepten in al- Liste der Biotoptypen alle Moorlebensräume Deutsch- len Bundesländern bis 2010 und deren Umsetzung bis lands entweder von vollständiger Vernichtung bedroht 2025 (Status 1) oder stark gefährdet (Status 2) (Tab. 7-4). Von – Schutz des Wasserhaushalts intakter Moore und dau- den Arten, die in der Roten Liste der Gefäßpflanzen erhafte Wiederherstellung regenerierbarer Moore bis (1992) aufgeführt werden, sind 17 % auf Moore angewie- 2020 sen (Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländli- che Räume Schleswig-Holstein 2011). – Kontinuierliche Reduzierung der Stickstoffeinträge unter die Belastungsgrenze (critical load) 426. In der nationalen Strategie zur biologischen Viel- falt ist für die Erhaltung und Renaturierung von Moorflä- – Natürliche Entwicklung in allen Hochmooren und chen festgeschrieben: Moorwäldern; signifikante Reduzierung des Torfab- baus ab 2015 bei gleichzeitiger Steigerung der Ver- „Ziele: wendung von Torfersatzstoffen im Gartenbau – Heute noch bestehende natürlich wachsende Hoch- – Schaffung von ökonomischen Anreizen zur Nutzungs- moore sind bis 2010 gesichert und befinden sich in ei- extensivierung von Niedermooren; natürliche Ent- ner natürlichen Entwicklung. wicklung auf 10 % der heute extensiv genutzten Nie- dermoore bis 2010 sowie von weiteren 10 % bis 2020 – Die Regeneration gering geschädigter Hochmoore ist bis 2010 eingeleitet mit dem Ziel, intakte hydrologi- – Einbindung der Moore in ein länderübergreifendes sche Verhältnisse und eine moortypische, oligotrophe Biotopverbundsystem“ (BMU 2007). Nährstoffsituation zu erreichen. In regenerierbaren Niedermooren ist der Torfschwund signifikant redu- Diese ambitionierten und detaillierten Ziele und Maßnah- men können bei Realisierung einen erheblichen Beitrag ziert. Moore wirken wieder als Nährstoff- und CO2- Senke. für die Erhaltung kohlenstoffreicher Böden leisten. Um die Umsetzung der Strategie zu fördern, wurde Anfang – Bis 2020 sind wesentliche Teile der heute intensiv ge- 2011 das Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“ gestar- nutzten Niedermoore extensiviert und weisen nur noch tet. Insbesondere unter dem Schwerpunkt „Sichern von Grünlandnutzung auf. Typische Lebensgemeinschaften Ökosystemdienstleistungen“ können auch Maßnahmen entwickeln sich wieder. zum Moorflächenschutz durch dieses Programm geför- dert werden. – Bis zum Jahre 2020 kann sich die Natur auf mindes- tens 2 % der Landesfläche Deutschlands wieder nach Allerdings sind – Stand 2011 – die für 2010 gesetzten ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln, bei- Ziele der Biodiversitätsstrategie in Teilen nicht erreicht spielsweise in Bergbaufolgelandschaften, auf ehemali- worden oder die vorhandene Datengrundlage lässt keine gen Truppenübungsplätzen, an Fließgewässern, an Abschätzung zu (Deutscher Bundestag 2010; BUND den Meeresküsten, in Mooren und im Hochgebirge.“ 2010):

Tabelle 7-4

Gefährdungsstatus von Mooren nach der Roten Liste der Biotoptypen Deutschlands

Biotoptyp Rote Liste Status Tendenz Waldfreie Niedermoore und Sümpfe 1–2 − Hochmoore 1 − Übergangsmoore 1–2 − Großseggensümpfe 2 − Moor- und Sumpfheiden 2 − Birkenmoorwälder 2 − Bruchwälder 2 − Moorwälder (Nadelwälder) 2 −

1 und 1 – 2 von vollständiger Vernichtung bedroht, 2 stark gefährdet, − Bestandsentwicklung negativ Quelle: BfN 2010

258 Synergiewirkungen und Schutzkonzepte

– Natürliche Hochmoore geschützt und in natürlicher Diese Ziele haben zum Teil Eingang in die Biodiversitäts- Entwicklung/Einleitung einer Regeneration gering ge- strategien der Länder gefunden (ULLRICH und RIE- schädigter Hochmoore: Die nach FFH-Richtlinie er- CKEN 2012). fassten Lebensraumtypen „lebende Hochmoore“ und „geschädigte, regenerierbare Hochmoore“ unterliegen 7.6.2 Moorschutzprogramme der Länder formal einem Schutzstatus. Inwieweit die vorhande- nen Managementpläne nach Artikel 6 Absatz 1 der 427. Der Moorschutz ist für die einzelnen Länder auf- FFH-Richtlinie und die Moorschutzprogramme der grund der Verteilung der Moorflächen in Deutschland un- Länder zu einer aktiven Regeneration gering geschä- terschiedlich relevant (Abb. 7-8). digter Hochmoore führen, kann derzeit nicht abge- Die fünf Bundesländer mit den größten Moorflächen schätzt werden. (Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Branden- burg, Schleswig-Holstein, Bayern) haben Moorschutz- – Moorentwicklungskonzepte in allen Bundesländern: programme mit unterschiedlichen Schwerpunkten erlas- Nur 4 der 16 Bundesländer haben ein Konzept zu sen bzw. bereiten diese derzeit vor. In Mecklenburg- Schutz und Entwicklung ihrer Moore erlassen, ein Vorpommern und Schleswig-Holstein wurde dabei auch weiteres soll Ende 2012 veröffentlicht werden (vgl. ein klarer Bezug zum Klimaschutz gesetzt. Abschn. 7.6.2). – Natürliche Entwicklung auf 10 % der heute extensiv Niedersachsen genutzten Niedermoore bis 2010: Belegt wurde die Er- 428. Das Moorschutzprogramm I wurde in Niedersach- reichung dieses Ziels durch keines der Bundesländer. sen bereits 1981 initiiert. 1986 wurde Teil II verabschie- Weiterhin wird die natürliche Entwicklung extensiv det und 1994 fortgeschrieben. Schwerpunkt der Pro- genutzter Niedermoorböden ohne zusätzliche Pflege- gramme ist die Sicherung von circa 500 km² nicht maßnahmen von einigen Ländern als nicht wün- abgetorften Hochmoorflächen und circa 310 km2 nach schenswert angesehen, da sie im derzeitigen Zustand der Abtorfung renaturierten Hochmoorböden sowie die oft einen hohen naturschutzfachlichen Wert hätten. Ausweisung von circa 148 Kleinsthochmooren als Natur-

Abbildung 7-8

Verteilung von Hoch- und Niedermoorflächen in Deutschland

Thüringen Saarland Rheinland-Pfalz Hessen Sachsen Nordrhein-Westfalen Baden-Württemberg Niedermoor Sachsen-Anhalt Hochmoor Bayern Schleswig-Holstein/Hamburg BBdb/Blirandenburg/Berlin Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen/Bremen

0 50000 1.000 1001.500 2.000 2002.500 3.000 3003.500 4.000 4004.500 km² SRU/UG 2012/Abb. 7-8; Datenquelle: HÖPER 2007

259 Moorböden als Kohlenstoffspeicher schutzgebiete (Niedersächsisches Ministerium für Um- tensetzung bei der Förderung von Moorschutzprojekten welt und Klimaschutz 2011a). Eine Neuauflage des Pro- durch die Stiftung NaturSchutzFonds veröffentlicht (Lan- gramms ist derzeit nicht geplant. In Teil I wurden desamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz überwiegend zum Torfabbau genutzte Hochmoorflächen Brandenburg 2010a). Im Zeitraum 2005 bis 2010 wurden erfasst. Teil II erweiterte das Programm um die restlichen im Rahmen eines Waldmoorschutzprogramms über sech- Hochmoore des Flachlandes sowie Kleinsthochmoore. In zig Projekte mit dem Schwerpunkt Waldumbau und Wie- der Neubewertung von 1994 wurden die Hochmoorböden dervernässung von Waldmoorböden durchgeführt (Lan- mit industriellem Torfabbau hinsichtlich ihrer aktuellen desamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz naturschutzfachlichen Bedeutung evaluiert. Zusätzlich Brandenburg 2010b). Ein „Moorschutzprogramm Bran- wurde auch landwirtschaftlich genutztes Hochmoorbo- denburg“ soll im November 2012 veröffentlicht werden. dengrünland in das Moorschutzprogramm aufgenommen (Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klima- Schleswig-Holstein schutz 2011b). Ende 2005 waren insgesamt 420 km2 der niedersächsischen Moorflächen als Naturschutzgebiete 431. Ziel des Niedermoorprogramms des Landes Schles- ausgewiesen, und 38 km2 befanden sich in Ausweisungs- wig-Holstein aus dem Jahr 2002 ist es, die Funktionen von verfahren (BTH 2009). Dies umfasst bereits etwa die Moorböden für den Wasser- und Stoffhaushalt der Land- Hälfte der bis zum Torfabbauende im Jahr 2050 vorgese- schaft wiederherzustellen, um die Nährstoffeinträge in die henen Ausweisungen. Ein allgemeines Leitbild zum nachfolgenden Oberflächengewässer und die Meere zu re- Schutz und zur dauerhaften Sicherung der Niedermoore duzieren (Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und wurde bereits 2002 formuliert, umfasst aber keinerlei bin- ländliche Räume Schleswig-Holstein 2002). Darüber hi- dende oder quantifizierte Ziele (Niedersächsisches Minis- naus wird die Bestandsentwicklung an Moore angepasster terium für Umwelt und Klimaschutz 2002). Tier- und Pflanzenarten gefördert. 2011 wurde von der Landesregierung die Umsetzung des „Moorschutzpro- gramms für Schleswig-Holstein“ mit den Schwerpunkten Mecklenburg-Vorpommern Nährstoffrückhaltung, Minderung von Stickstoffeinträgen 429. In Mecklenburg-Vorpommern wurde im Jahr 2000 und CO2-Emissionen sowie Schutz der biologischen Viel- ein Programm zur Förderung von Maßnahmen zum Schutz falt beschlossen. Damit sollen die Aktivitäten zum Schutz und zur Entwicklung von Mooren (Moorschutzprogramm) und zur Renaturierung von Nieder- und Hochmoorböden verabschiedet. Zur Umsetzung der WRRL, der FFH- gebündelt werden, um Moorflächen von besonderer öko- Richtlinie und auch von Moorschutzprojekten wurde da- logischer Bedeutung dauerhaft zu sichern bzw. wiederher- rüber hinaus im Jahr 2008 die Richtlinie zur Förderung der zustellen (Schleswig-Holsteinischer Landtag 2011). nachhaltigen Entwicklung von Gewässern und Feuchtle- bensräumen erlassen. Mithilfe des Moorschutzprogramms Bayern konnten im Zeitraum von 2001 bis 2008 56 Projekte auf 66 km2 durchgeführt werden. Durch die Moorschutzmaß- 432. Das „Moorentwicklungskonzept Bayern“ aus dem nahmen (Moorschutzprogramm, LIFE+ u. a.) wurden ins- Jahr 2002 verfolgt vorrangig das Ziel, die Funktion der gesamt mindestens 140 km2 wiedervernässt, was circa Moorböden im Naturhaushalt und Landschaftsbild wie- 4,7 % der Moorfläche in Mecklenburg-Vorpommern ent- derherzustellen, ihre Eigendynamik durch Wiedervernäs- spricht (EHLERT 2010). sung zu regenerieren und ihre Nutzung zu extensivieren. Dazu wurden unter anderem die bayerischen Moorflä- Im Jahr 2009 wurde das Moorschutzkonzept bis zum Jahr chen inventarisiert, Moorhandlungsschwerpunkte entwi- 2020 fortgeschrieben. Schwerpunkte sind dabei unter ckelt und Leitfäden für die Moorbodenrenaturierung ab- anderem die Klimarelevanz, der Wasserhaushalt und al- geleitet (Bayerisches Landesamt für Umwelt 2002). Eine ternative, nasse Moorbodennutzungsformen. Zur Moneta- weitere Förderung findet im Rahmen des „Klimapro- risierung bzw. zur Erschließung alternativer Einkom- gramms Bayern 2020“ statt (Bayerische Staatsregierung mensquellen wurde die Entwicklung einer Mooranleihe und Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Ge- (MoorFutures) vorgeschlagen, mit der sich Unternehmen sundheit 2009). In den Jahren 2008 bis 2011 sollten und Privatpersonen bei der Finanzierung von Wiederver- 8 Mio. Euro für die Wiedervernässung von Moorböden nässungsprojekten engagieren können (PERMIEN und zur Verfügung gestellt werden (Regierung von Oberbay- ZIEBARTH 2012) (Ministerium für Landwirtschaft, Um- ern 2010). welt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern 2009). 2011 wurden die ersten Anleihen für ein konkretes Projekt verkauft. Defizite und aktuelle Entwicklungen 433. Im letzten Jahrzehnt haben die betroffenen Länder Brandenburg verstärkt Anstrengungen zum Schutz von Moorflächen unternommen. Die Schutzkonzepte der einzelnen Länder 430. Das Land Brandenburg hat im Jahr 2004 das Pro- unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer Aktualität, gramm „Moorschutz im brandenburgischen Wald“ ge- ihres Umfangs, ihrer Bindungswirkung und ihrer Detail- startet, das Maßnahmen wie Waldumbau und Wasserbau tiefe deutlich (BUND 2010). Aufgrund der teilweise ge- zur Verbesserung des Landschaftswasserhaushaltes um- gensätzlichen Interessen können die Schutzkonzepte fasst, sowie im Jahr 2006 einen Rahmenplan zur Prioritä- langfristig nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn sie

260 Empfehlungen alle Akteure mit einbeziehen. Für die Realisierung der mit bestehenden und novellierten Standards lassen auf ei- Maßnahmen ist daher schon auf Länderebene eine eng nen ambitionierteren Moorschutz hoffen. Entscheidend verzahnte Zusammenarbeit der Beteiligten aus Natur- dafür sind der Nachdruck und die Beharrlichkeit, mit der schutz, Wasser-, Forst- und Landwirtschaft (sowohl Flä- die Maßnahmen in die Realität umgesetzt werden. cheneigentümer als auch Pächter) bei der Planung und Durchführung zwingend notwendig (Abb. 7-9). 7.7 Empfehlungen 434. Die folgenden Empfehlungen richten sich primär Abbildung 7-9 an den Bund, der seit der Föderalismusreform eine Voll- kompetenz im Bereich Naturschutz besitzt. Die Länder Vernetzung der am Moorschutz beteiligten Akteure können zwar von den getroffenen Regelungen abweichen, eine länderübergreifende Initiative unterstreicht jedoch die Relevanz eines dauerhaft wirksamen Schutzes von Mooren und Moorböden und erlaubt es, höhere Klima- Natur- Land- und Naturschutzpotenziale zu realisieren. schutz wirtschaft Hauptursache von THG-Emissionen aus Moorböden ist die landwirtschaftliche Nutzung, woraus sich auch eine große Verantwortung der Landwirtschaft für die Vermin- derung (z. B. durch Extensivierung) ableitet. Zusätzlich Moorflächen gehören alle finanziellen Fördermaßnahmen, die eine Oberflächengewässer landwirtschaftliche Nutzung von Moorböden unterstüt- Auen zen, auf den Prüfstand. Dies betrifft sowohl Fördermittel der GAP (s. Kap. 7.4, Tz. 409) als auch Fehlanreize durch das EEG bzw. den Bonus für Strom aus nachwachsenden Rohstoffen (NaWaRo-Bonus) (SRU 2011, Abschn. 3.4.5 und 8.4.3.2). Wasser- Forst- wirtschaft wirtschaft 435. Die Europäische Kommission strebt in ihrer Low Carbon Roadmap neben einer Reduktion der Nicht-CO2- THG um 42 bis 49 % bis zum Jahr 2050 für den Agrar- sektor auch den Schutz und die Neufestlegung von Koh- lenstoff im Boden an. In diesem Zusammenhang wird SRU/UG 2012/Abb. 7-9 ausdrücklich auf den Grünlandschutz und die Renaturie- rung von Moor- und Feuchtgebieten verwiesen (Europäi- sche Kommission 2011), ohne jedoch konkret zu errei- Die übergeordneten Ziele der WRRL und der Biodiversi- chende Ziele zu nennen. Auch Deutschland legt für die tätsstrategie sollten sich in den Landesprogrammen wie- Reduktion von THG aus der Bodennutzung keine eigenen derfinden, um die Erfolge der Schutzprogramme messbar Ziele fest, strebt jedoch gleichzeitig bis zum Jahr 2050 zu machen. Dafür ist eine Abstimmung zwischen den eine Absenkung der THG-Gesamtemissionen auf 5 bis Bundesländern auf Grundlage der unterschiedlichen Flä- 20 % gegenüber 1990 an. chen und Nutzungsarten sowie der Erfolgspotenziale ziel- führend. Nach aktuellem Wissensstand besteht in Deutschland durch Extensivierung und Renaturierung von Moorböden Durch das bisherige Nebeneinander der einzelnen Länder ein THG-Reduktionspotenzial von 5 bis 30 Mio. t CO2eq, fehlt ein regelmäßiger Erfahrungs- und Informationsaus- das es möglichst weitgehend zu erschließen gilt. Dafür tausch. Es gibt kein einheitliches Monitoringprogramm müssen kurzfristig zur Inventarisierung des Ist-Zustands und zur Abschät- – die Wissensbasis ausgebaut, zung der Potenziale sowie zur Erfolgskontrolle von Rena- turierungsprojekten. Die Übertragung von Erfolgskon- – Emissionsreduktionsziele definiert und zepten anderer Länder wird so limitiert. – Akutmaßnahmen durchgeführt werden. Dieses Manko wurde erkannt und die Länderfachbehör- Langfristige Maßnahmen müssen auf die Wiedervernäs- den haben im Oktober 2011 ein gemeinsames Positions- sung von Flächen oder die Extensivierung der Nutzung papier zu Potenzialen und Zielen zum Moor- und Klima- und ein Ende der Torfnutzung im Gartenbau zielen. Zur schutz verabschiedet (JENSEN et al. 2011). Die darin Nutzung dieses Potenzials sollten die Akteure starke beschriebenen Rahmenziele, Maßnahmen und Instru- Handlungsanreize bekommen. mente begrüßt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ausdrücklich. Insbesondere die Konkretisierungen Für die Erreichung der deutschen Klimaschutzziele ge- von Maßnahmen in den Bereichen Land-, Wald- und mäß Kyoto-Protokoll werden THG-Minderungen aus der Forstwirtschaft – wie zum Beispiel Grünlandumbruchver- Erhaltung oder Renaturierung von Moorflächen nicht an- bot, Verbot der Ackernutzung, Anhebung der Wasser- gerechnet (Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik stände auf entwässerten Moorstandorten – in Verbindung beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft

261 Moorböden als Kohlenstoffspeicher und Verbraucherschutz 2010). Da die Wasserstandsanhe- tionspapier der Länder (s. Tz. 433) die handelnden Ak- bung, Extensivierung und Renaturierung von Moorböden teure deutschlandweit besser vernetzen, eine einheitliche ein hohes THG-Emissionsreduktionspotenzial besitzen Datengrundlage schaffen und die Vergleichbarkeit der und vergleichsweise günstig umzusetzen sind, sollte die durchgeführten Maßnahmen verbessern. Die Vorschläge Aufnahme der vollständigen Bilanzierung dieser Maß- der nationalen Biodiversitätsstrategie zum Moorschutz nahmen in die Anrechnung für das Kyoto-Protokoll bzw. lassen sich in eine derartige Initiative sinnvoll einbetten für den Post-Kyoto-Prozess erfolgen. Eine Anrechnung und konkretisieren. Gleichzeitig werden durch Maßnah- würde die Bedeutung des Moorschutzes unterstreichen men der Bundesinitiative Moorschutz Synergien für den und die Umsetzung beschleunigen. Schutz von Biodiversität und Wasserhaushalt erreicht. Potenzielle Strukturen einer derartigen Initiative werden Die für die Emissionsminderungen notwendigen Maßnah- in Abbildung 7-10 vorgeschlagen. men müssen in enger Abstimmung zwischen Bund und Bundesländern festgelegt werden, um weder die bereits vorhandenen Moorschutzpläne zu unterlaufen noch reali- Phase I tätsfern und damit nicht umsetzbar zu sein. So sollte die 437. 1. Grundlage aller Maßnahmen muss eine kurzfris- Bundesregierung den Zielwert für das Jahr 2050 definie- tige deutschlandweite Bestandsaufnahme der Moorflä- ren, und die Bundesländer sollten gemeinsame Zwischen- chen bis zum Jahr 2015 darstellen, wofür die Ergebnisse ziele im Rahmen ihrer Moorschutzpläne (s. Abschn. 7.6.2) des Forschungsprojektes „Organische Böden“ die Basis bzw. gegebenenfalls angepasster Pläne festlegen. bilden (vTI 2011). Neben den Flächen und Besitzverhält- nissen sind der naturschutzfachliche Wert und die hydro- 7.7.1 Bundesinitiative Moorschutz logischen Verhältnisse zu ermitteln. Daraus lassen sich dann eine Bewertung des Ist-Zustands sowie zukünftige 436. Obwohl alle Bundesländer mit großen Moorflä- Entwicklungspotenziale ableiten. chen bereits Schutzprogramme initiiert haben, fehlen ge- meinsame Rahmenbedingungen, die eine deutschland- 2. Parallel dazu ist der Aufbau eines Renaturierungskatas- weite, messbare Reduktion der THG-Emissionen aus ters, in dem alle abgeschlossenen, laufenden und geplan- Moorböden ermöglichen. Eine bundesweite Moorschutz- ten Maßnahmen dokumentiert werden, erforderlich initiative kann ausgehend von dem gemeinsamen Posi- (BELTING 2011). Ziel ist die Bündelung von Erfahrun-

Abbildung 7-10

Struktur einer Bundesinitiative Moorschutz

Ziele: Treibhausgasemissionen senken, Biodiversität schützen, Wasserhaushalt stabilisieren

SRU/UG 2012/Abb. 7-10

262 Empfehlungen gen, um Erfolg versprechende und übertragbare Maßnah- anerkannt und damit die Förderung der energetischen men zu identifizieren. Zur Unterstützung des Erfahrungs- Torfnutzung beendet wird. austauschs sollte zusätzlich eine Wissensplattform eingerichtet werden, mithilfe derer Ergebnisse dokumen- 6. Langfristig – bis 2050 – sollten alle regenerierbaren tiert und Fragen auf Fachebene diskutiert werden. Niedermoorböden in einen naturnahen Zustand überführt werden. Dazu sollte der Wasserstand auf entwässerten 3. Zeitnah, spätestens bis 2015, wird eine dauerhafte Si- Niedermoorböden angehoben werden, sofern dem keine cherung des guten Erhaltungszustands aller noch intakten erheblichen naturschutzfachlichen Gründe entgegenste- bzw. naturnahen Hoch- und Niedermoore empfohlen, bei- hen. Mit der Wasserstandsanhebung einhergehen sollte spielsweise durch Ausweisung als Naturschutzgebiet. Dies eine Nutzungsextensivierung sowie eine Reduzierung der setzt eine konsequente Anwendung und Kontrolle des Bio- Nährstoffeinträge. topschutzes nach § 30 Absatz 2 Nummer 2 BNatSchG Auch stark geschädigte Niedermoorböden sollten über- durch die Länder um. Für Hochmoore ist dieses Ziel in der prüft und gegebenenfalls einer Nutzungsextensivierung nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt bereits für und Wasserstandsanhebung zugeführt werden. 2010 formuliert (BMU 2007, S. 37). 7. Begleitend sollten in einem einheitlichen Monitoring- Phase II programm (aufbauend auf den Ergebnissen des Verbund- projektes „Organische Böden“) Erfolge und mögliche 438. 4. Aufgrund ihres hohen Wertes sowohl für den Na- Fehlentwicklungen der Moorschutzmaßnahmen hinsicht- tur- als auch für den Klimaschutz (Abschn. 7.3.2, 7.6.1) lich Klimaschutz, Naturschutz und Wasserwirtschaft do- müssen Hochmoore besonders wirksam geschützt werden. kumentiert werden. Daher sollte bis 2020 in allen regenerierbaren Hochmoor- böden der Wasserstand bis auf ein natürliches Niveau an- Finanzierung gehoben werden, soweit dem nicht im Einzelfall erhebli- che naturschutzfachliche Gründe entgegenstehen (BMU 439. Zur Finanzierung von Renaturierungsprojekten und 2007). Auch stark geschädigte Hochmoorböden sollten Kompensationsmaßnahmen bei Nutzungsextensivierung auf ihre Klimawirksamkeit und ihre Entwicklungspoten- schlägt der SRU vor, einen nationalen Moorschutzfonds ziale hin überprüft und gegebenenfalls einer Nutzungs- aufzulegen – analog zum oder als Teil des Waldklima- extensivierung und Wasserstandsanhebung zugeführt wer- fonds, der bis 2013 eingerichtet werden soll –, um zum den. Beispiel den Ankauf besonders wertvoller Böden durch die Landesnaturschutzbehörden, Verbände und Stiftungen 5. In Abstimmung mit den betroffenen Umwelt- und In- zu finanzieren. Der Kauf ermöglicht eine wirksame Unter- dustrieverbänden ist ein Torfausstiegsplan beispielsweise schutzstellung und entschädigt den Eigentümer zumindest im Rahmen eines runden Tisches zu entwickeln. Mittel- finanziell. In der derzeitigen Fassung der Emissionshan- fristig sollte die Verwendung von Torf im Gartenbau be- delsrichtlinie wird in Artikel 18 empfohlen, „mindestens endet werden. Neue Abbaugenehmigungen sollten nicht 50 % der Einnahmen aus der Versteigerung von Zertifika- mehr erteilt werden. Gleichzeitig muss der Anteil an Er- ten“ für konkrete Klimaschutzzwecke zu nutzen. Einer der satzstoffen kontinuierlich zunehmen. Hierzu sind die For- genannten Zwecke ist die Reduzierung von THG. Da, wie schungsaktivitäten hinsichtlich Qualität und Quantität zuvor dargestellt, Wiedervernässungsmaßnahmen von dieser Stoffe zu verstärken. Um den Torfabbau in Moorböden deutliche Reduktionen von THG-Emissionen Deutschland zu beenden und eine Verlagerung des Ab- bewirken können, könnten Versteigerungserlöse aus dem baus ins Ausland zu vermeiden, sollte es ab 2017 schritt- Emissionshandel für Maßnahmen zur Wiedervernässung weise Anwendungsbeschränkungen für Torf im Hobby- von Moorböden verwendet werden. Dennoch empfiehlt es und ab 2022 auch im Erwerbsgartenbau geben. Alle still- sich, den Schutz von Moorflächen explizit in Artikel 18 gelegten Abbauflächen sollten soweit möglich renaturiert der Emissionshandelsrichtlinie aufzunehmen, ähnlich wie und langfristig gesichert werden. Im Hinblick auf Hoch- dies für Maßnahmen zur Vermeidung des Abholzens von moorböden bedarf der Torfausstiegsplan zu seiner Umset- Wäldern bereits der Fall ist. Zudem sollten weitere Mög- zung ab 2017 der langfristigen Vorbereitung. Wenn die lichkeiten der Finanzierung der Maßnahmen geprüft (z. B. Torfnutzung perspektivisch beendet werden soll, erfor- 2. Säule der GAP, Förderschwerpunkt Gemeinschaftsauf- dert dies einen Verzicht auf die Genehmigung von neuen gabe Agrarstruktur und Küstenschutz, MoorFutures, Torfabbauflächen. Grundlage für einen grundsätzlichen Waldklimafonds für Waldmoorflächen, ökologischer Fi- Verzicht auf den Torfabbau können entweder Vereinba- nanzausgleich) (SRU 2002, Tz. 183 ff.) und bereits beste- rungen mit der Torfindustrie oder natur- bzw. boden- hende Möglichkeiten besser zugänglich werden (z. B. schutzrechtliche Festsetzungen sein, die als Inhalts- und Ökokonten, Bundesprogramm Biologische Vielfalt, Schrankenbestimmungen des Grundeigentums am Boden LIFE+). Auch die Verzahnung der Fördermöglichkeiten möglich wären. Flankierend müssen die Bundesländer die und eine projektbezogene flexible Vergabe (z. B. bezüg- festgesetzten Vorranggebiete für den Torfabbau in ihren lich der geförderten Maßnahmen und der Förderlaufzei- Landesraumordnungsplänen aufheben. ten) ist wünschenswert. Auf EU-Ebene sollte die Bundesregierung sich dafür ein- Gleichzeitig sind finanzielle Anreize, Moorböden als setzen, dass auch in anderen Mitgliedstaaten die IPCC- landwirtschaftliche Fläche zu erhalten und zu nutzen, kri- Einstufung von Torf als „nicht-erneuerbare Ressource“ tisch zu hinterfragen. Stattdessen sind Maßnahmen, die

263 Moorböden als Kohlenstoffspeicher der Extensivierung der Nutzung, der Pflege und der Wie- 7.7.2 Fazit derherstellung naturnaher Zustände dienen, zu honorieren (SRU 2009). 442. Moore (intakte und naturnahe Ökosysteme) und Moorböden (entwässerte Moore) sind bedeutende Koh- lenstoffspeicher und Lebensraum für viele hochgefähr- Verstärkung des Schutzstatus in dete Arten. Deutschland verfügt über etwa 18.000 km² Natur- und Bodenschutzrecht Moorflächen, von denen etwa zwei Drittel landwirt- schaftlich für Ackerbau und als Grünland genutzt werden. 440. Zur Stärkung des Schutzes von Hochmoorflächen in ihrer Klimaschutzfunktion würde eine bessere Veranke- Die mit dieser Nutzung verbundene notwendige Entwäs- rung im BBodSchG beitragen. Die natürliche Funktion des serung verursacht 4,4 % der deutschen THG-Emissionen Bodens für den Klimaschutz bzw. als Speicher für Kohlen- und damit hohe externe Kosten. stoff sollte in § 2 Absatz 2 Nummer 1 lit. d) des Deutschland strebt für das Jahr 2050 eine Reduktion aller BBodSchG aufgenommen werden (LABO 2011, S. 7). THG-Emissionen auf 5 bis 20 % des Standes von 1990 an. Das BBodSchG enthält in § 8 Verordnungsermächtigun- Dementsprechend steht auch die Landwirtschaft, die der- gen im Bereich der Vorsorge, namentlich im Hinblick auf zeit für etwa 12 % der THG-Emissionen verantwortlich Schadstoffe, Wasser- und Winderosion. Nicht eindeutig ist, unter Zugzwang. Die Extensivierung der Moorboden- ist, ob auf der Grundlage von § 8 BBodSchG auch Rege- nutzung als erster Schritt kann bereits eine deutliche Ver- lungen erlassen werden können, die dem Klimaschutz die- ringerung der Emissionen erbringen. Die Nutzungsaufgabe nen. Eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von und Renaturierung sind – wo immer die Voraussetzungen Maßnahmen, die dem Klimawandel entgegenwirken, dafür gegeben sind – die konsequente Fortsetzung dieses ebenso wie für Maßnahmen, die eine Anpassung an den Weges. Alle diese Maßnahmen haben zumeist auch posi- Klimawandel erlauben, könnte deshalb als neue Num- tive Wirkungen für Biodiversität und Wasserhaushalt. mer 3 in § 8 Absatz 2 BBodSchG eingefügt werden (LABO 2011, S. 9–11). Zudem würde eine Ergänzung des 443. Für einen effektiven Schutz aller Moorflächen be- § 21 Absatz 3 BBodSchG durch den Zusatz „zur Vor- darf es deutschlandweit einheitlicher rechtlicher Rahmen- sorge“ es den Ländern ermöglichen, Nutzungsbeschrän- bedingungen und eines Austausches zwischen den Län- kungen in Bodenschutzgebieten festzulegen, und so zur dern. So könnten sich aussichtsreiche Konzepte einzelner Sicherung bestehender hochwertiger Moorböden beitra- Bundesländer und ein Erfolgsmonitoring bundesweit gen (vertieft zu gebietsbezogenen Maßnahmen des Boden- durchsetzen. Der SRU empfiehlt daher eine Bundesinitia- schutzes LUDWIG 2011, S. 126 ff.). tive Moorschutz, die einerseits auf die Schaffung von Da- tengrundlagen und andererseits auf die Festlegung kon- Grundsätzlich könnte für Niedermoorböden im kreter Schutzmaßnahmen abzielt. In der ersten Phase BBodSchG normiert werden, dass die Nutzung von hydro- dieser Initiative sollen bis 2015 eine detaillierte Bestands- morphen Böden nicht zu einer Verschlechterung der aufnahme und ein Renaturierungskataster erarbeitet wer- Funktion als Kohlenstoffspeicher führen darf. Um Nie- den, während gleichzeitig alle naturnahen Moore dauer- dermoorböden zu renaturieren, ist es grundsätzlich erfor- haft durch Unterschutzstellung gesichert werden. In der derlich, den Nährstoffeintrag nachhaltig zu reduzieren. zweiten Phase ist in allen regenerierbaren Hochmoorbö- Nährstoffe werden insbesondere durch die Landwirt- den der Wasserstand wieder auf ein natürliches Niveau schaft eingetragen. Eine Reduktion erfordert vor allem anzuheben. Für einen mittelfristigen Ausstieg aus dem eine einheitliche Grenzwertsetzung im Düngemittelbe- Torfabbau soll ein Stufenplan für Beschränkung und Be- reich sowie eine wirksame Umsetzung und Kontrolle der endigung der Torfanwendung im Gartenbau vorgelegt bestehenden Vorschriften, die gegenwärtig nicht stattfin- werden. Für die sehr viel größeren Flächen der Nieder- det (SRU 2008, Tz. 501). moorböden ist langfristig eine Wasserstandsanhebung und damit einhergehend die Nutzungsextensivierung an- 441. Der Schutz von Moorböden („Moorstandort“) ist zustreben. Um die Wirksamkeit der Maßnahmen belegen im BNatSchG auch im Hinblick auf die gute fachliche Pra- zu können, ist ein begleitendes Monitoring aufzubauen. xis verankert. Nach § 5 Absatz 2 Nummer 5 BNatSchG ist auf erosionsgefährdeten Hängen, in Überschwemmungs- Anreize, Moorböden landwirtschaftlich zu nutzen, sollten gebieten, auf Standorten mit hohem Grundwasserstand so- in Anreize zur Extensivierung bzw. Nutzungsaufgabe, wie auf Moorböden ein Grünlandumbruch zu unterlassen. Renaturierung und für Pflegemaßnahmen überführt wer- Allerdings wird kritisiert, dass diese Regelung zu allge- den. Zusätzlich ist das Potenzial alternativer „nasser“ mein ist, um im Vollzug Wirksamkeit entfalten zu können. Moorbodennutzungsformen (Paludikulturen) für nicht re- Erforderlich wäre eine Festlegung eindeutiger Kulissen, naturierbare Standorte zu überprüfen. Zur Finanzierung innerhalb derer besondere Anforderungen für die Grünland- der Schutzmaßnahmen wird die Auflage eines Moor- erhaltung gelten und eine Umwandlung als Eingriff schutzfonds vorgeschlagen, der sich aus Versteigerungs- gewertet würde. Solche Regelungen existieren auf Lan- erlösen des Emissionshandels speist. desebene für ausgewiesene Überschwemmungsgebiete. Speziell für Moorstandorte fehlen jedoch entsprechende Rechtlicher Anpassungsbedarf besteht unter anderem für Kulissen mit konkreten Auflagen, hierfür sollten durch die Landesraumordnungspläne sowie im BBodSchG, in dem Länder Regeln aufgestellt werden (NITSCH et al. 2010, die Klimaschutzfunktion von Böden verankert werden S. 8). sollte.

264 Literatur

444. Auf der Konferenz Rio+20 werden im Zuge der BfN (Bundesamt für Naturschutz) (2010): Ökosystem- Diskussionen um eine „green economy“ auch wieder eine dienstleistungen von Mooren – insbesondere Klimarele- nachhaltige Landwirtschaft, die biologische Vielfalt und vanz. Pressehintergrundinfo. Bonn: BfN. http://www. Ökosystemleistungen auf dem Prüfstand stehen. Inhalt- bfn.de/fileadmin/ NBS/documents/df_Presse2010_Hinter lich wird daraus der Schutz der globalen Kohlenstoffspei- grund_Moore.pdf (14.07.2011). cher in Wäldern und organischen Böden resultieren müs- sen. Deutschland steht hinsichtlich der absoluten Größe BGR (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Roh- seiner Moorflächen international auf Platz 19, im Ver- stoffe) (1997): Bodenübersichtskarte der Bundesrepublik gleich der absoluten Emissionen aus diesen Flächen je- Deutschland 1:1.000.000 (BÜK 1000). Hannover: BGR. doch auf Platz 9. Um seine Vorbildfunktion im weltwei- http://www.bgr.bund.de/DE/Themen/Boden/Projekte/In ten Klima- und Biodiversitätsschutz zu erfüllen und seine formationsgrundlagen-abgeschlossen/BUEK1000_und_ Glaubwürdigkeit in internationalen Verhandlungen zu un- Ableitungen/BUEK1000_und_Ableitungen.html?nn=154 terstreichen, muss Deutschland den Schutz seiner Moor- 2204 (13.07.2011). flächen ernster nehmen als bisher. BMELV (Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz) (2008): BMELV-Bericht 7.8 Literatur 2008 zum Klimaschutz im Bereich Land- und Forstwirt- schaft. Berlin: BMELV. http://www.bmelv.de/SharedDocs/ Altmann, M. (2008): Socio-economic impact of the peat Standardartikel/Landwirtschaft/Klima-und-Umwelt/Klima and growing media industry on horticulture in the EU. schutz/BerichtKlimaschutz.html (25.02.2011). Luxemburg: CO CONCEPT Marketingberatung. http:// www.epagma.com/_SiteNote/WWW/GetFile.aspx?uri=% BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und 2Fdefault%2Fhome%2Fnews-publications%2Fpublica Reaktorsicherheit) (2011a): Energiekonzept 2050 – Mei- tions%2FFiles.Off%2FMainBloc%2FSocio_Economic_ lensteine und Bewertungen. Berlin: BMU. http://www. Study1_9864371f-20be-4d6b-9182-7e6a84816468.pdf bmu.de/energiekonzept/doc/46498.php (16.09.2011). (14.07.2011). BMU (2011b): Rechtsquellen Erneuerbare Energien. Finn- Ammermann, K. (2009): Energetische Biomassenutzung – land: Rechtslage im Überblick. Berlin: BMU. http://www. Welche Wirkungen auf die Natur, insbesondere Biodiver- res-legal.de/suche-nach-laendern/finnland.html (13.07.2011). sität und Landschaftsbild sind zu beachten? Vortrag, Ta- BMU (2007): Nationale Strategie zur biologischen Viel- gung der Bayerischen Akademie für Naturschutz und falt, vom Bundeskabinett am 7. November 2007 be- Landschaftspflege zum Thema „Biomasse energetisch schlossen. Berlin: BMU. nutzen aber umweltverträglich“ 23.04.2009, Laufen. BTH (Bundesvereinigung Torf- und Humuswirtschaft) Batjes, N. H. (1996): Total carbon and nitrogen in the (2009): Moorschutzprogramm Niedersachsen. Hannover: soils of the world. European Journal of Soil Science 47 BTH. http://www.bth-online.org/bth_de/bth_die_umwelt/ (2), S. 151–163. praesentation_25_jahre_moorschutzprogramm.html (14.07.2011). Bayerische Staatsregierung, Bayerisches Staatsministe- rium für Umwelt und Gesundheit (2009): Klimaprogramm BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) Bayern 2020. Minderung von Treibhausgasemissionen, (2010): Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie Anpassung an den Klimawandel, Forschung und Entwick- bis 2010 unter dem Gesichtspunkt des Moorschutzes. lung. München: Bayerische Staatsregierung, Bayerisches Berlin: BUND. http://www.google.de/url?sa=t&source= Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit (StMUGV). web&cd=1&ved=0CBkQFjAA&url=http%3A%2F%2F www.bund.net%2Ffileadmin%2Fbundnet%2Fpdfs%2Fn Bayerisches Landesamt für Umwelt (2010): Moorrenatu- aturschutz%2Fmoore2%2F20100715_naturschutz_moo rierung kompakt – Handlungsschlüssel für die Praxis. re_ka_hintergrund.pdf&ei=7c2eTYWOL5CTswaW5cTy Augsburg: Bayerisches Landesamt für Umwelt. AQ&usg=AFQjCNHWtN0ALpUGxziaxrqi7Ef7msXwnA Bayerisches Landesamt für Umwelt (2002): Das Moor- (08.04.2011). entwicklungskonzept Bayern. Augsburg: Bayerisches Bundesregierung (2011): Erfahrungsbericht 2011 zum Er- Landesamt für Umwelt. neuerbare-Energien-Gesetz (EEG-Erfahrungsbericht). Ber- lin: Bundesregierung. http://www.bmu.de/files/pdfs/allge Behrens, M., Artmeyer, C., Stelzig, V. (2007): Das Nah- mein/application/pdf/eeg_erfahrungsbericht_2011_bf.pdf rungsangebot für Wiesenvögel im Feuchtgrünland: Ein- (27.10.2011). fluss der Bewirtschaftung und Konsequenzen für den Vo- gelschutz. Naturschutz und Landschaftsplanung 39 (11), DBV (Deutscher Bauernverband) (2010): Klimaschutz S. 346–351. durch und mit der Land- und Forstwirtschaft. Strategiepa- pier. Berlin: DBV. Belting, S. (2011): Erstellung einer Datenbank von Moor- renaturierungsprojekten in Deutschland. Vortrag, Sek- Defra (Department for Environment Food and Rural Af- tionstagung und Exkursion der Deutschen Gesellschaft fairs) (2011): The Natural Choice: securing the value of für Moor- und Torfkunde: Moore und Wasser – eine Posi- nature. London: The Stationery Office. Command papers tionsbestimmung, 17.–19. März 2011, Plön. 8082.

265 Moorböden als Kohlenstoffspeicher

Department for Communities and Local Government Drösler, M., Freibauer, A., Christensen, T., Friborg, T. (1995): Minerals Planning Guidance 13: Guidelines for (2008): Observation and status of peatland greenhouse peat provision in England. London: Department for Com- gas emission in Europe. In: Dolman, A. J., Freibauer, A., munities and Local Government. Valentini, R. (Hrsg.): The continental-scale greenhouse gas balance of Europe. New York: Springer. Ecological Deutscher Bundestag (2011): Schriftliche Fragen mit den Studies 203, S. 237–255. in der Woche vom 4. April 2011 eingegangenen Antwor- ten der Bundesregierung. Berlin: Deutscher Bundestag. Drösler, M., Schaller, L., Kantelhardt, J., Fuchs, D., Bundestagsdrucksache 17/5422. Schweiger, M., Tiemeyer, B., Augustin, J., Wehrhan, M., Förster, C., Bergmann, L., Kapfer, A., Krüger, G. (2012): Deutscher Bundestag (2010): Antwort der Bundesregie- Beitrag von Moorschutz- und -revitalisierungsmaßnah- rung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Undine men zum Klimaschutz am Beispiel von Naturschutzgroß- Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Cornelia Behm, projekten. Natur und Landschaft 87 (2), S. 70–76. weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Umsetzung des Moorschutzkonzeptes DUENE (Institut für Dauerhaft Umweltgerechte Entwick- der Bundesregierung. Berlin: Deutscher Bundestag. Bun- lung von Naturräumen der Erde) (2009): Paludikultur. Per- destagsdrucksache 17/2076. spektiven für Mensch und Moor. Greifswald: Universität Greifswald, Institut für Botanik und Landschaftsökologie, Deutscher Bundestag (2001): Entwurf eines Gesetzes zur DUENE e.V. Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Land- Ehlert, T. (2010): Zur Umsetzung von Auenprogrammen – schaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvor- Wo stehen wir? Erkenntnisse und Erfahrungen aus bun- schriften (BNatSchGNeuregG). Berlin: Deutscher Bun- desweiter Sicht. Vortrag, NNA-Fachtagung „Entwick- destag. Bundestagsdrucksache 14/6378. lungsraum gewinnen – aber wie?“, 21.–22.09.2010, DGMT (Deutsche Gesellschaft für Moor- und Torfkunde) Schneverdingen. (2010): Was haben Moore mit dem Klima zu tun? Hanno- Europäische Kommission (2011): Mitteilung der Kom- ver: DGMT. www.dgmtev.de/downloads/DGMT_Flyer mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- _2010.pdf (13.07.2011). ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den DMK (Deutsches Maiskomitee) (2011): Bedeutung des Ausschuss der Regionen. Fahrplan für den Übergang zu Maisanbaues in Deutschland. Bonn: DMK. http://www. einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis maiskomitee.de/web/public/Fakten.aspx/Statistik/Deutsch 2050. KOM(2011) 112 endg. Brüssel: Europäische Kom- land (16.01.2012). mission. Europäisches Parlament (2009): Richtlinie 2009/29/EG Drösler, M. (2005): Trace gas exchange and climatic rele- des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April vance of bog ecosystems, Southern Germany. München, 2009 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Technische Universität, Lehrstuhl für Vegetationsökolo- Verbesserung und Ausweitung des EU-Systems für den gie, Department für Ökologie, Dissertation. Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten. Brüssel: Drösler, M., Adelmann, W., Augustin, J., Bergman, L., Europäisches Parlament. Beyer, C., Chojnicki, B., Förster, C., Freibauer, A., Falkenberg, H. (2008): Torfimporte aus dem Baltikum – Giebels, M., Görlitz, S., Höper, H., Kantelhardt, J., Bedeutung für die Torf- und Humuswirtschaft in Liebersbach, H., Hahn-Schöfl, M., Minke, M., Petschow, U., Deutschland. Bergbau 2008 (3), S. 132–135. Pfadenhauer, J., Schaller, L., Schägner, P., Sommer, M., Thuille, A., Wehrhan, M. (2011a): Klimaschutz durch Flessa, H. (2010): Klimaschutz in der Landwirtschaft – Moorschutz. Schlussbericht des Vorhabens „Klimaschutz – Potenzial, Chancen und Risiken von Bioenergie. Vortrag, Moornutzungsstrategien 2006–2010“. Braunschweig, 16. Thüringer Bioenergietag, 25.02.2010, Jena. Berlin, Freising, Jena, Müncheberg, Wien: vTI-Institut FNR (Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe) (2009): für Agrarrelevante Klimaforschung. Unveröffentlichtes Torfmoose: Alternative zum Weißtorf und Chance für Manuskript. ehemalige Hochmoore und Klimaschutz. FNR Infobrief Drösler, M., Freibauer, A., Adelmann, W., Augustin, J., 2009 (3). http://www.nachwachsende-rohstoffe.de/index. Bergman, L., Beyer, C., Chojnicki, B., Förster, C., php?id=3009&tx_ttnews%5Btt_news%5D=3115&cHash Giebels, M., Görlitz, S., Höper, H., Kantelhardt, J., =92c21c45e2cbd80ad27dfad1c29ff1f6 (14.07.2011). Liebersbach, H., Hahn-Schöfl, M., Minke, M., Petschow, U., Freibauer, A., Drösler, M., Gensior, A., Schulze, E.-D. Pfadenhauer, J., Schaller, L., Schägner, P., Sommer, M., (2009): Das Potenzial von Wäldern und Mooren für den Thuille, A., Wehrhan, M. (2011b): Klimaschutz durch Klimaschutz in Deutschland und auf globaler Ebene. Na- Moorschutz in der Praxis – Ergebnisse aus dem BMBF- tur und Landschaft 84 (1), S. 20–25. Verbundprojekt „Klimaschutz – Moornutzungsstrategien 2006–2010“. Braunschweig, Berlin, Freising, Jena, Mün- Gaudig, G. (2010): Torfmooskultivierung – eine Alterna- cheberg, Wien: vTI-Institut für Agrarrelevante Klimafor- tive mit Zukunft? Vortrag, Fachtagung – Verwendung und schung. Arbeitsberichte aus dem vTI-Institut für Agrarre- Substitution von Torf – Verantwortliche Nutzung von levante Klimaforschung 4/2011. Rohstoffen im Klimawandel, 09.–10.11.2010, Fulda.

266 Literatur

Gensior, A., Laggner, A., Haenel, H.-D., Rössemann, C., lfu.bayern.de/natur/moorschutz/doc/gemeinsame_position. Freibauer, A. (2010): Treibhausgasemissionen aus den pdf (21.02.2012). Mooren Deutschlands. Eine kritische Betrachtung aus Sicht der Klimaberichterstattung (Posterpräsentation). Joosten, H. (2010): The global peatland CO2 picture. Vortrag, Klimaschutz durch Moorschutz! Symposium zum Peatland status and drainage related emissions in all Abschluss des BMBF-Projekts „Klimaschutz-Moornut- countries of the world. Wageningen: Wetlands Internatio- zungsstrategien“, 28.–29.06.2010, Freising. nal. http://www.wetlands.org/WatchRead/tabid/56/mod/ 1570/articleType/ArticleView/articleId/2418/The-Global- Grett, H.-D. (2011): Synergien bei der Umsetzung der Peatland-CO2-Picture.aspx (13.07.2011). Europäischen Wasserrahmenrichtlinie und den EG-Richt- linien zum Naturschutz, Meeresschutz, Hochwasser- LABO (Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz) schutz und Klimaschutz. Korrespondenz Wasserwirt- (2011): Möglichkeiten der rechtlichen Verankerung des schaft 4 (5), S. 152–157. Klimaschutzes im Bodenschutzrecht. Klimawandel – Be- troffenheit und Handlungsempfehlungen des Bodenschut- Hargita, Y. (2009): Ökonomische Ansätze zur Bewertung zes. LABO, Ständiger Ausschuss Recht (BORA). http:// der Klimaschutzfunktion von Mooren. Potsdam, Univer- www.labo-deutschland.de/documents/BORA-Stellungnah sität, Diplomarbeit. me_zu_Klimawandel-Bodenschutzrecht_Veroeffentlichung_ Herrmann, M., Klar, N., Fuß, A., Gottwald, F. (2010): Nov_2011_7a0.pdf (18.01.2012). Biotopverbund Brandenburg. Teil Wildtierkorridore. Par- Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucher- low: ÖKO-LOG. schutz Brandenburg (2010a): Moorschutz in Branden- HIGRADE (Helmholtz Interdisciplinary GRADuate burg. Potsdam: LUGV. http://www.mugv.brandenburg.de/ School for Environmental Research) (2011): TEEB D2 cms/detail.php/lbm1.c.370792.de (16.09.2011). Fallstudie: Renaturierung von Mooren und Wäldern in Deutschland. Leipzig: HIGRADE. Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucher- schutz Brandenburg (2010b): Umweltdaten online – Da- Höper, H. (2010): Treibhausgasemissionen in Abhängig- tenstand Wasser 2010, Moorschutz in Brandenburg. Pots- keit von der Moornutzung (Hochmoore). Vortrag, Ver- dam: LUGV. http://www.mugv.brandenburg.de/cms/ wendung und Substitution von Torf – Verantwortliche detail.php/bb1.c.227463.de (16.09.2011). Nutzung von Rohstoffen im Klimawandel, DGMT, 09.11.2010, Fulda. Landgraf, L. (2010): Moorschutz in Brandenburg: Bei- träge zur Stützung des Landschaftswasserhaushaltes. In: Höper, H. (2007): Freisetzung von Treibhausgasen aus Kaiser, K., Libra, J., Merz, B., Bens, O., Hüttl, R. F. deutschen Mooren. TELMA 37, S. 85–116. (Hrsg.): Aktuelle Probleme im Wasserhaushalt von Nord- Immirzi, C. P., Maltby, E., Clymo, R. S. (1992): The glo- ostdeutschland Trends, Ursachen, Lösungen. Potsdam: bal status of peatlands and their role in carbon cycling. Deutsches GeoForschungszentrum, Helmholtz Zentrum, London: Friends of the Earth. S. 125–128. IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen (2011): (2007): Climate Change 2007: Synthesis Report. Genf: Cross Compliance 2011. Informationen über die Einhal- IPCC. tung der anderweitigen Verpflichtungen. Bonn: Landwirt- schaftskammer NRW. IPCC (2003): Good Practice Guidance for Land Use, Land-Use Change and Forestry. Hayama: IPCC. Ludwig, R. (2011): Planungsinstrumente zum Schutz des IPCC (2001a): Climate Change 2001: The Scientific Ba- Bodens. Berlin: Duncker & Humblot. Schriften zum Um- sis. Genf: IPCC. weltrecht 169. IPCC (2001b): Good Practice Guidance and Uncertainty Middleton, B. A., Holsten, B., Diggelen, R. van (2006): Management in National Greenhouse Gas Inventories. Biodiversity management of fens and fen meadows by Corr. Ed. Genf: IPCC. grazing, cutting and burning. Applied Vegetation Science 9 (2), S. 307–316. IPCC (1996): Climate Change 1995: The Science of Cli- mate Change. Contribution of Working Group I to the Se- Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche cond Assessment Report of the Intergovernmental Panel Räume Schleswig-Holstein (2011): Folgen der Moornut- on Climate Change. Cambridge: Cambridge University zung für Pflanzen und Tiere. Kiel: Ministerium für Land- Press. wirtschaft Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Hol- stein. http://www.schleswig-holstein.de/UmweltLandwirt Jensen, R., Landgraf, L., Lenschow, U., Paterak, B., schaft/DE/WasserMeer/04_FluesseBaeche/05_Niedermoor Permien, T., Schiefelbein, U., Sorg, U., Thormann, J., programm/01_MooreNiedermoore/04_FolgenNutzung/ Trepel, M., Wälter, T., Wreesmann, H., Ziebarth, M. ein_node.html (08.04.2011). (2011): Positionspapier: Potentiale und Ziele zum Moor- und Klimaschutz – Gemeinsame Position der Länderfach- Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche behörden von Brandenburg, Bayern, Mecklenburg-Vor- Räume Schleswig-Holstein (2002): Programm zur Wie- pommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. www. dervernässung von Niedermooren. Kiel: Ministerium für

267 Moorböden als Kohlenstoffspeicher

Landwirtschaft Umwelt und ländliche Räume Schleswig- wandel, Vernetzung der Akteure in Deutschland VI, Holstein. http://193.101.67.143/ UmweltLandwirtschaft/ 31.08.2009, Vilm. DE/WasserMeer/04_FluesseBaeche/05_Niedermoorpro gramm/02_NiedermoorprogrammSH/05_Downloaddoku Permien, T., Ziebarth, M. (2012): MoorFutures – Innova- mente/PDF/ProgrammWiedervernaessung.html (21.02.2012). tive Finanzierung von Projekten zur Moorwiedervernäs- sung in Mecklenburg-Vorpommern. Natur und Land- Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbrau- schaft 87 (2), S. 77–80. cherschutz Mecklenburg-Vorpommern (2011): Steckbrief Polder Kieve: Wiedervernässung eines bislang hauptsäch- Rath, A., Buchwald, R. (2008 ): Beitrag der Diasporen- lich zur Beweidung und Mahd genutzten Gebietes im Sü- bank zur Wiederherstellung artenreichen Hochmoor- den des Landkreises Müritz. Schwerin: Ministerium für Grünlandes. In: Dengler, J., Dolnik, C., Trepel, M. (Hrsg.): Landwirtschaft Umwelt und Verbraucherschutz Mecklen- Flora, Vegetation und Naturschutz zwischen Schleswig- burg-Vorpommern. http://www.moorfutures.de/sites/de Holstein und Südamerika. Festschrift für Klaus Dierßen fault/files/redaktion/Polder%20Kieve/Steckbrief%20 Pol zum 60. Geburtstag. Kiel: Arbeitsgemeinschaft Geobota- der%20Kieve.pdf (20.10.2011). nik in Schleswig-Holstein und Hamburg. Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft Geobotanik in Schleswig-Holstein Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbrau- und Hamburg 65, S. 167–184. cherschutz Mecklenburg-Vorpommern (2009): Konzept Raths, U., Balzer, S., Ersfeld, M., Euler, U. (2006): Deut- zum Schutz und zur Nutzung der Moore. Fortschreibung sche Natura-2000-Gebiete in Zahlen. Natur und Land- des Konzeptes zur Bestandssicherung und zur Entwick- schaft 81 (2), S. 68–80. lung der Moore in Mecklenburg-Vorpommern (Moor- schutzkonzept). Schwerin: Ministerium für Landwirt- Regierung von Oberbayern (2010): Moore. Vielfalt. Ober- schaft Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg- bayern. München: Regierung von Oberbayern. http://www. Vorpommern,. regierung.oberbayern.bayern.de/imperia/md/content/regob /internet/dokumente/bereich5/naturschutz/100728_fbl_moo Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klima- re_obby_web.pdf (14.07.2011). schutz (2011a): Moorschutzprogramm. Kiel: Niedersäch- sisches Ministerium für Umwelt und Klimaschutz. http:// Regionaler Planungsverband Westmecklenburg (2010): www.umwelt.niedersachsen.de/live/live.php?navigation_ Regionales Raumentwicklungsprogramm Westmecklen- id=2438&article_id=8207&_psmand=10 (14.07.2011). burg – Entwurf zum 3. Beteiligungsverfahren. Schwerin: Regionaler Planungsverband Westmecklenburg. http:// Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klima- www.westmecklenburg-schwerin.de/media//regionaler-pla schutz (2011b): Moorschutzprogramm – Hochmoore in nungsverband-westmecklenburg/absaetze/ub-rrep-wm-mit Niedersachsen. Kiel: Niedersächsisches Ministerium für -deckblatt.pdf (16.09.2011). Umwelt und Klimaschutz. http://www.umwelt.nieder sachsen.de/live/live.php?navigation_id=2815&article_id Riecken, U. (2009): Biotopverbund in Deutschland – =8852&_psmand=10 (14.07.2011). Konzeptioneller Hintergrund, praktische Umsetzung und das Beispiel Grünes Band. Vortrag, Fachtagung der Lan- Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klima- deslehrstätte für Naturschutz und nachhaltige Entwick- schutz (2002): Niedermoore in Niedersachsen. Ihre Be- lung Mecklenburg-Vorpommern „Biotopverbund am Bei- deutung für Gewässer, Boden, Klima und die biologische spiel vom Grünen Band“ 14.05.2009, Zarrentin. Vielfalt. Hannover: Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klimaschutz. Röder, N., Grützmacher, F. (2012): Emissionen aus land- wirtschaftlich genutzten Mooren – Vermeidungskosten Nitsch, H., Osterburg, B., Laggner, B., Roggendorf, W. und Anpassungsbedarf. Natur und Landschaft 87 (2), (2010): Wer schützt das Grünland? – Analysen zur Dyna- S. 56–61. mik des Dauergrünlands und entsprechender Schutzme- chanismen. Vortrag, 50. Jahrestagung der GEWISOLA Saathoff, W., Haaren, C. von (2011): Klimarelevanz der „Möglichkeiten und Grenzen der wissenschaftlichen Poli- Landnutzungen und Konsequenzen für den Naturschutz. tikanalyse“, 29.09.–01.10.2010, Braunschweig. Naturschutz und Landschaftsplanung 43 (5), S. 138–146. Nitsch, H., Osterburg, B., Roggendorf, W. (2009): Land- Schäfer, A. (2005): Umweltverträgliche Erlenwirtschaft wirtschaftliche Flächennutzung im Wandel – Folgen für auf wieder vernässten Niedermoorstandorten. Beiträge Natur und Landschaft. Eine Analyse agrarstatischer Da- für Forstwirtschaft und Landschaftsökologie 39 (4), ten. Berlin, Ansbach: Naturschutzbund Deutschland, S. 165–171. Deutscher Verband für Landschaftspflege. Scheffer, F., Schachtschabel, P. (Hrsg.) (1979): Lehrbuch Perez, I., Holm-Müller, K. (2007): Opt-in of the Agricul- der Bodenkunde. 9. Aufl. Stuttgart: Enke. tural Sector to the European Trading Scheme for Green- house Gas Emissions – a Proposal and its Possible Ef- Schils, R., Kuikman, P., Liski, J., Oijen, M. van, Smith, P., fects. Agrarwirtschaft 56 (8), S. 354–365. Webb, J., Alm, J., Somogyi, Z., Akker, J. van den, Billett, M., Emmett, B., Evans, C., Lindner, M., Palosuo, T., Permien, T. (2009): Mooranleihe und Waldaktie innova- Bellamy, P., Alm, J., Jandl, R., Hiederer, R. (2008): tive (Finanz-) Produkte an der Schnittstelle von Biodiver- Review of existing information on the interrelations bet- sität und Klimaschutz. Vortrag, Biodiversität und Klima- ween soil and climate change. Final report. Wageningen,

268 Literatur

Bangor, Helsinki: Alterra, Centre for Ecology and Hydro- und dem Kyoto-Protokoll 2011. Nationaler Inventarbe- logy, Finnish Environment Institute SYKE, UNAB. richt zum Deutschen Treibhausgasinventar 1990–2009. 070307/2007/486157/SER/B1. Dessau-Roßlau: UBA. Climate Change 11/11. http://www. uba.de/uba-info-medien/4126.html (14.07.2011). Schleswig-Holsteinischer Landtag (2011): Bericht der Landesregierung. Moorschutzprogramm für Schleswig- UBA (2011b): Inventartabellen im Common Reporting Holstein. Drucksache 16/2272. Kiel: Schleswig-Holstei- Format (CRF). Dessau-Roßlau: UBA. http://www.umwelt nischer Landtag. Drucksache 17/1490. bundesamt.de/emissionen/publikationen.htm (13.07.2011). SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen) (2011): Ullrich, K., Riecken, U. (2012): Moorschutzstrategien, Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung. Sonder- -initiativen und -programme in Deutschland. Natur und gutachten. Berlin: Erich Schmidt. Landschaft 87 (2), S. 81–86. SRU (2009): Für eine zeitgemäße Gemeinsame Agrarpo- litik (GAP). Berlin: SRU. Stellungnahme 14. UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change) (2006): Updated UNFCCC reporting SRU (2008): Umweltgutachten 2008. Umweltschutz im guidelines on annual inventories following incorporation Zeichen des Klimawandels. Berlin: Erich Schmidt. of the provisions of decision 14/CP.11. Bonn: UNFCCC. SRU (2002): Für eine Stärkung und Neuorientierung des FCCC/SBSTA/2006/9. Naturschutzes. Sondergutachten. Stuttgart: Metzler-Poe- vTI (Johann Heinrich von Thünen-Institut) (2011): Ver- schel. bundprojekt „Organische Böden“. Braunschweig: vTI. Statistisches Bundesamt (2011a): Aus- und Einfuhr (Au- http://www.vti.bund.de/no_cache/de/startseite/institute/ak ßenhandel): Deutschland, Jahre, Warenverzeichnis (6–/ /projekte/verbundprojekt-organische-boeden/mehr-zum- 8–Steller). Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. https:// projekt.html (13.07.2011). www-genesis.destatis.de/genesis/online/data;jsessionid= Wehrhan, M., Nguyen, Q., Sommer, M. (2010): Nutzung 275D9F26331B65043DA130167F251D82.tomcat_GO_2 von RapidEye-Daten zur Regionalisierung von Emis- _1?operation=previous&levelindex=4&levelid=1323692 sionsfaktoren. Vortrag, 2. RESA-Workshop „RapidEye 051573&levelid=1323692043716&step=3 (16.01.2012). Science Archive (RESA) – Erste Erfahrungen“, Statistisches Bundesamt (2011b): Bodennutzung – Land- 25.03.2010, Neustrelitz. wirtschaftlich genutzte Fläche nach Hauptnutzungsarten. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. http://www.desta Welsch, J. (2010): Torf in Blumenerden und Kultursub- tis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Con- straten im Spannungsfeld zwischen Torfnutzung und tent/Statistiken/LandForstwirtschaft/Bodennutzung/Tabel Moorschutz. Vortrag, CO2-Senken reaktivieren: Schutz len/Content75/HauptnutzungsartenLF,templateId=render und Wiederherstellung von Mooren – Möglichkeiten und Print.psml (16.09.2011). Grenzen im Klimawandel, 23.06.2010, Bad Wurzach. Statistisches Bundesamt (2011c): Landwirtschaftlich ge- Wichtmann, W. (2008): Standortgerechte Landnutzung auf nutzte Fläche (Feldfrüchte und Grünland): Deutschland, wiedervernässten Mooren – Paludikultur. Vortrag, Fachta- Jahre, Kulturarten. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. gung Klimawandel und Biodiversität, 08.–09.10.2008, https://www-genesis.destatis.de/genesis/online;jsessionid Schneverdingen. =C4CFEF613775C1B9CD6E98C 17B26EFD9.tomcat_ GO_1_1?operation=startseite (16.09.2011). Wichtmann, W. (2007): Von der Nutzung der Landschaft – Energiegewinnung, Nachhaltigkeit und Naturschutz. Vor- Strack, M. (Hrsg.) (2008): Peatlands and Climate Change. trag, Biomasseproduktion – der große Landnutzungswan- Jyväskylä: International Peat Society. del in Natur und Landschaft, 15.–19.07.2007, Vilm. Trepel, M. (2009): Nährstoffrückhalt und Gewässerrenatu- Wichtmann, W., Wichmann, S. (2010): Paludikultur – Al- rierung. Korrespondenz Wasserwirtschaft 2 (4), S. 211–215. ternativen für Moorstandorte durch nasse Bewirtschaf- Trepel, M. (2009): Zur Bedeutung von Mooren in der Kli- tung. Acker+plus 2010 (5), S. 86–89. madebatte. In: Landesamt für Natur und Umwelt des Lan- Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim Bundes- des Schleswig-Holstein (Hrsg.): Jahresbericht des Lan- ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- desamtes für Natur und Umwelt des Landes Schleswig- cherschutz (2010): EU-Agrarpolitik nach 2013. Plädoyer Holstein 2007/2008. Flintbek: Landesamt für Natur und für eine neue Politik für Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein. LANU SH – ländliche Räume. Gutachten. Berlin: Wissenschaftlicher Jahresberichte 12, S. 61–74. Beirat für Agrarpolitik beim BMELV. http://www. UBA (Umweltbundesamt) (2011a): Berichterstattung un- bmelv.de/SharedDocs/ Downloads/Ministerium/Beiraete/ ter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen Agrarpolitik/GutachtenGAP.html (13.07.2011).

269

Kapitel 8

Inhaltsverzeichnis Seite

8 Sektorübergreifender Meeresschutz ...... 273

8.1 Besondere Herausforderungen im Meeresschutz ...... 273 8.1.1 Nutzung und Belastung der heimischen Meere ...... 273 8.1.2 Horizontale und vertikale Koordination als Herausforderung für den Meeresschutz ...... 276 8.1.3 Der ökosystemare Ansatz ...... 277 8.2 Grün- und Blaubuch für eine europäische Meerespolitik ...... 278 8.3 Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie als zentrales Instrument . . 279 8.3.1 Das Konzept der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie ...... 279 8.3.2 Umsetzung der Richtlinie in Deutschland ...... 282 8.3.2.1 Institutionelle und personelle Anforderungen ...... 282 8.3.2.2 Stand der Umsetzung ...... 283 8.3.3 Kooperation auf europäischer Ebene und Umsetzung eines regionalen Ansatzes ...... 286 8.3.4 Verankerung des Meeresschutzes in relevante Sektorpolitiken . . . 287 8.3.5 Anknüpfung an und Vergleich mit der Wasserrahmenrichtlinie . . 288 8.4 Schutzgebiete und deren Anbindung an die Meeresstrategie- Rahmenrichtlinie ...... 289 8.5 Instrumente der Integration unterschiedlicher Interessen in den Meeresräumen ...... 291 8.5.1 Marine Raumordnung ...... 292 8.5.2 Integriertes Küstenzonenmanagement ...... 295 8.6 Zusammenfassung der Empfehlungen ...... 296 8.7 Literatur ...... 297

Abbildungen

Abbildung 8-1 Räumliche Verteilung aktueller und geplanter Nutzungen in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee ...... 274 Abbildung 8-2 Die Eutrophierung der Ostsee ...... 275 Abbildung 8-3 Raumordnungspläne für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone in der Nordsee ...... 292 Abbildung 8-4 Raumordnungspläne für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone in der Ostsee ...... 293

271 Sektorübergreifender Meeresschutz

Tabellen

Seite Tabelle 8-1 Entwurf Anfangsbewertung deutsche Nord- und Ostsee . . 284 Tabelle 8-2 Kies- und Sandabbau in Natura 2000-Gebieten der ausschließlichen Wirtschaftszone der Nordsee ...... 291

272 Besondere Herausforderungen im Meeresschutz

8 Sektorübergreifender Meeresschutz

8.1 Besondere Herausforderungen im 8.1.1 Nutzung und Belastung der heimischen Meeresschutz Meere

445. Die heimischen Meere werden durch eine Vielzahl 447. Die europäischen Meere – insbesondere ihre küs- von anthropogenen Eingriffen belastet. Hierfür sind sehr tennahen Gebiete – haben sich mit der zunehmenden In- unterschiedliche Verursacher, wie zum Beispiel Fischerei, dustrialisierung von unberührten Naturräumen zu mariti- Landwirtschaft, Schifffahrt, Rohstoffabbau und Touris- men Wirtschaftszonen entwickelt. Dabei übernehmen sie mus sowie landbasierte Industrien, verantwortlich. Aber zahlreiche Funktionen, beispielsweise als Erholungs- nicht nur die vielen verschiedenen Verursacher von Be- raum, Transportweg und Raum für die Energieproduktion lastungen, sondern auch die Tatsache, dass die Meere je sowie als Quelle für Nahrungsmittel, Arzneimittelwirk- nach betroffener Nutzung vielen verschiedenen rechtli- stoffe, fossile Brennstoffe und Baustoffe, aber auch als chen Regelungen und Politiken unterworfen sind, die von letzte Senke für Nährstoffe und vielerlei Schadstoffe. Ei- der lokalen bis hin zur internationalen Ebene reichen, nige Nutzungen der Meere, wie zum Beispiel die Schiff- stellen den Meeresschutz vor eine besondere Herausfor- fahrt, werden voraussichtlich in ihrer Intensität zuneh- derung. Eine eigene, den Meeresschutz in seiner Gesamt- men. Die südliche Nordsee und die Verbindungen heit betreffende Strategie auf nationaler oder europäi- zwischen Nord- und Ostsee gehören bereits jetzt zu den scher Ebene gab es bis vor kurzem nicht. Um dies zu am dichtesten befahrenen Schifffahrtsrouten der Welt ändern, wurde im Jahr 2005 eine thematische Strategie (HELCOM 2006). Weitere wirtschaftliche Aktivitäten zum Schutz der europäischen Meere auf den Weg ge- wie alternative Formen der Energiegewinnung – insbe- bracht, die 2008 in der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie sondere Offshore-Windenergie – sind in der Entwicklung 2008/56/EG (MSRL) mündete. Mit dieser Richtlinie ist bzw. kurz vor der großflächigen Einführung (SRU 2011b; Abb. 8-1). unter anderem eine Verpflichtung zur Umsetzung von Schutzmaßnahmen auf nationaler und regionaler Ebene 448. Der weiterhin steigende Nutzungsdruck ist verant- geschaffen worden. wortlich für zum Teil erhebliche Belastungen der marinen Ökosysteme. Dies betrifft insbesondere die immer noch In seinem Sondergutachten „Meeresumweltschutz für hohen Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, die Nord- und Ostsee“ hat der Sachverständigenrat für Um- durch die Fischereiwirtschaft verursachten Schäden so- weltfragen (SRU) ausführlich dargestellt, dass zur Lö- wie multiple Belastungen durch die Seeschifffahrt. Letz- sung der bestehenden Probleme im Meeresschutz ein tere ist verantwortlich für Luftschadstoff- und Klimagas- übergreifendes, möglichst europäisches Schutzkonzept emissionen (Ruß, Stickstoffoxide (NO ), Schwefeldioxid erforderlich ist (SRU 2004). In eine ähnliche Richtung x (SO2) und Kohlendioxid (CO2)), Lärmemissionen, die be- geht auch die Kommentierung der europäischen Meeres- triebsbedingte Einleitung und die illegale Entsorgung von strategie des SRU aus dem Jahr 2006, in der die Schwä- Ölrückständen, den Eintrag von Müll und Antifouling- chen des damals von der Europäischen Kommission vor- mitteln und die Einschleppung gebietsfremder Arten pri- geschlagenen Ansatzes für eine Meeresstrategierichtlinie mär über das Ballastwasser (OSPAR Commission 2010b; aufgezeigt wurden (SRU 2006). Viele der damals identifi- STEELE et al. 2010; UBA 2010, S. 2; zur Regulierung zierten Schwächen des Strategievorschlags treffen auch anthropogener Lärmeinträge in die Meeresumwelt noch für die inzwischen verabschiedete MSRL zu. s. MARKUS 2010). Ein besonderes Augenmerk liegt auf der lokalen Bedrohung durch Tankerunfälle. Hinzu kom- 446. Trotzdem ist die MSRL mit erheblichen Chancen men weitere Eingriffe durch maritime Aktivitäten, bei- verbunden, da sie einen umfassenden Schutzansatz im spielsweise die Förderung von Öl und Gas, der Abbau Sinne einer ökosystemaren Betrachtung verfolgt. Dieses von Kies und Sand sowie die Sedimentverklappung. Kapitel setzt sich vor allem mit der besonderen Heraus- Auch wenn hinsichtlich der Schadstoffeinträge aus den forderung der Koordination der relevanten Fachpolitiken Flüssen durchaus positive Entwicklungen zu verzeichnen in Bezug auf Meeresschutzziele auseinander. Dabei steht sind, tragen weiterhin zahlreiche landbasierte Industrien die Frage im Vordergrund, wie Belange des Meeresschut- auch über den atmosphärischen Eintrag zur Schadstoffbe- zes unter den gegebenen Bedingungen stärker in die Sek- lastung der Meere bei. Gleichzeitig wächst die Bedeutung torpolitiken integriert werden können. Dabei werden ins- der diffusen Schadstoffeinträge beispielsweise durch die besondere die Stärken und Schwächen der MSRL Verwendung von Arzneimitteln. Der Mülleintrag (insbe- analysiert und konkrete Empfehlungen erarbeitet, wie die sondere Plastikmüll) in die Meere durch sehr unterschied- Umsetzung der Richtlinie – aber auch andere Instrumente liche Verursacher gehört zu den Problemen, die erst in der Meerespolitik wie die maritime Raumordnung und jüngster Zeit Aufmerksamkeit erfahren haben (OSPAR Meeresschutzgebiete – dazu beitragen können, den Mee- Commission 2010b; SRU 2008; HELCOM 2010a; resschutz in seiner gesamten Breite voranzubringen. 2010b).

273 Sektorübergreifender Meeresschutz

Abbildung 8-1

Räumliche Verteilung aktueller und geplanter Nutzungen in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee

Quelle: MERCK 2011

274 Besondere Herausforderungen im Meeresschutz

449. Die genannten Belastungen sind auch für den fort- sensibler, bodennah lebender Organismen wie Weichko- schreitenden Rückgang der Biodiversität in Nord- und rallen und Rochen in der südlichen Nordsee (OSPAR Ostsee verantwortlich. Die Nordsee ist insbesondere von Commission 2010b). Dagegen steht bei der Ostsee der umweltschädigenden Fischereiaktivitäten wie der Baum- Eintrag von Nährstoffen besonders von landbasierten kurrenfischerei betroffen. Hinzu kommt der immer noch Emittenten wie der Landwirtschaft im Vordergrund, wel- hohe Beifang von Nichtzielarten (SRU 2011a). Dies ma- cher zu einer deutlichen Eutrophierung dieses Randmee- nifestiert sich zum Beispiel in dem deutlichen Rückgang res geführt hat (HELCOM 2009; Abb. 8-2).

Abbildung 8-2

Die Eutrophierung* der Ostsee

* von blau, grün, gelb nach rot zunehmende Eutrophierung Quelle: HELCOM 2010a, verändert

275 Sektorübergreifender Meeresschutz

Infolgedessen finden sich laut dem letzten HELCOM-Be- und Hauptschifffahrtsrouten Priorität einräumt. Die richt (Helsinki Commission – Kommission des Überein- Schifffahrt genießt völkerrechtlich eine Vorrangstellung. kommens zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseege- Daneben ist sie aber auch an zahlreiche internationale biets) in weiten Teilen der Ostsee sauerstofffreie Zonen Verpflichtungen zu Umweltschutzmaßnahmen gebunden nahe am Meeresboden, in denen so gut wie kein Leben (KACHEL 2006; KNUDSEN und HASSLER 2011). Das möglich ist (HELCOM 2010a). Ein besonderes lokales wichtigste Abkommen der International Maritime Orga- Problem stellt chemische Munition dar, die nach dem nization (IMO) ist das Internationale Übereinkommen Zweiten Weltkrieg insbesondere in der Ostsee sowie im vom 2. November 1973 zur Verhütung der Meeresver- Skagerrak und im Kattegat versenkt wurde, und durch de- schmutzung durch Schiffe (MARPOL). Weitere IMO- ren Verwitterung mit der Zeit Schadstoffe, wie zum Bei- Abkommen betreffen die Meeresverschmutzung durch spiel Arsenverbindungen, freigesetzt werden können bzw. Öl, Abfälle und gefährliche Stoffe, Antifoulingmittel, die bereits freigesetzt werden. Kontrolle von Ballastwasser sowie das Schiffsrecycling. Sie werden ergänzt durch regionale Abkommen, von de- Zu den Umweltproblemen kommen die Folgen des Kli- nen vor allem die Regelungen, die im Rahmen des mawandels, insbesondere die Erwärmung und Versaue- OSPAR- und Helsinki-Übereinkommens (Übereinkom- rung der Meere, hinzu. In der Nordsee ist in den letzten men zur Umsetzung des Schutzes der Meeresumwelt des fünfzig Jahren ein stetiger Anstieg der mittleren Tempera- Nordostatlantiks bzw. der Ostsee) getroffen werden, für tur zu beobachten, mit welchem die Einwanderung wär- Deutschland relevant sind. Auf EU-Ebene wurde zur Be- meliebender und die Abwanderung kälteliebender Arten grenzung der Luftschadstoffemissionen von Schiffen die in Richtung Norden in Verbindung gebracht werden Richtlinie 1999/32/EG über eine Verringerung des (ICES o. J.). Schwefelgehalts bestimmter flüssiger Kraft- oder Brenn- stoffe verabschiedet (geändert 2005), die sich in der Revi- 8.1.2 Horizontale und vertikale Koordination sion befindet. als Herausforderung für den Meeresschutz Generell ist es besonders schwierig, auf internationaler Ebene Umweltstandards für die Seeschifffahrt festzule- 450. Die vielfältigen ökologischen Belastungen der gen. In vielen Bereichen war es bisher nicht möglich, eine Meere ergeben sich aus einer Reihe sehr unterschiedli- Einigung zwischen den derzeit 170 Mitgliedstaaten der cher wirtschaftlicher Nutzungen. Beispielhaft soll nach- IMO zu erzielen. So fehlen bis heute anspruchsvolle Um- folgend das Spannungsfeld zwischen den Belangen der weltstandards für CO2-, Partikel- und NOx-Emissionen in Seeschifffahrt und den Erfordernissen des Meeresschut- diesem Sektor (IMO 2012). Die Möglichkeit von einzel- zes dargestellt werden. Ähnliche Konflikte bestehen aber nen Küstenstaaten, selbst die Initiative zu ergreifen und auch in anderen Bereichen, beispielsweise der Fischerei die Seeschifffahrt unter Umweltgesichtspunkten zu regu- (SRU 2011a), der Landwirtschaft, der Förderung von lieren, ist durch die völkerrechtliche Vorrangstellung der Erdöl und Erdgas, dem Abbau von Sand und Kies, der Schifffahrt erschwert. Offshore-Windenergie (SRU 2011b) sowie der Verlegung von Unterseerohrleitungen und Seekabeln (STEELE et al. 451. Die schwierige Position von Meeresschutzinteres- 2010). sen gegenüber wirtschaftlichen Interessen erklärt sich auch durch die wirtschaftliche Bedeutung der maritimen Die Seeschifffahrt bildet das Rückgrat der maritimen Wirtschaft. Mit einer Gesamtwertschöpfung von circa Wirtschaft, welche darüber hinaus die Wirtschaftsberei- 85 Mrd. Euro besitzt sie eine große sowohl regionale als che Häfen, Werften, Reedereien, Zulieferindustrie und auch gesamtwirtschaftliche Bedeutung (BMVBS 2011, Meerestechnologie umfasst (LANGE und BRANDT S. 13). Angesichts des zunehmenden Wettbewerbsdrucks 2009). Der Anteil des globalen Handels, der auf dem See- insbesondere aus dem außereuropäischen Raum ist es ein weg transportiert wird, liegt bei über 90 % (IMO 2012, zentrales Ziel der maritimen Wirtschaftspolitik, die Wett- S. 7). Auch in der EU werden 90 % des Außen- sowie bewerbsfähigkeit und die Arbeitsplätze in der Seeschiff- 40 % des Binnenhandels über den Seeverkehr abgewi- fahrt zu erhalten (Europäische Kommission 2009). Zen- ckelt (Europäische Kommission 2009). In Deutschland trales Ziel der maritimen Politik der Bundesregierung ist betrug der Anteil der Seeschifffahrt am Güterverkehrs- die Erhaltung und die Stärkung des maritimen Standorts aufkommen zwar lediglich knapp 7 %, jedoch lag der An- Deutschland (Deutscher Bundestag 2011b, S. 2). Dies teil an der gesamten Güterverkehrsleistung aufgrund der spiegelt sich auch in der Regelung räumlicher Konflikte langen Transportdistanzen deutlich höher (Statistisches im Meer wider: Der Raumordnungsplan für die Nordsee Bundesamt 2011). Die Seeverkehrsprognose 2025 des will der wirtschaftlichen Bedeutung und der völkerrecht- Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lichen Vorrangstellung der Schifffahrt Ausdruck verlei- lung (BMVBS) geht zudem davon aus, dass sich der Um- hen sowie die Wettbewerbsfähigkeit der maritimen schlag in den deutschen Seehäfen bis 2025 mehr als ver- Wirtschaft erhalten. Dementsprechend bilden die Haupt- doppeln wird (PLANCO Consulting 2007, S. 1). schifffahrtsrouten, welche sich aus den Verkehrstren- Die Seeschifffahrt trägt erheblich zur ökologischen Be- nungsgebieten sowie weiteren viel befahrenen Routen zu- lastung der Meere bei (Tz. 448) und ist weitgehend inter- sammensetzen, das Grundgerüst für die Gesamtplanung national geregelt. Das Seerechtsübereinkommen der Ver- der Raumordnung, an denen sich die anderen Nutzungen einten Nationen (SRÜ) weist der Schifffahrt eine in der ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) zu orien- besondere Stellung zu, indem es deren Freiheit garantiert tieren haben.

276 Besondere Herausforderungen im Meeresschutz

452. Für den Meeresschutz sind sehr unterschiedliche Eine besondere Stellung nehmen die Arbeiten ein, die im Politiken und Rechtsbereiche relevant, neben den bereits Rahmen der regionalen Übereinkommen zum Meeres- genannten zum Beispiel die Fischereipolitik, die Energie- schutz durchgeführt wurden. Diese übernahmen in der politik, die Landwirtschaftspolitik, die Stoffregulierungs- Vergangenheit des Öfteren eine Vorreiterrolle gegenüber politik und die Luftreinhaltepolitik (STEELE et al. 2010). der EU, weil dort oft eine besondere Dynamik im Ver- Konflikte bestehen dabei jedoch nicht nur zwischen dem handlungsprozess entsteht, sodass durchaus weitrei- Meeresschutz und den ökonomisch orientierten Sektorpo- chende Entscheidungen zum Meeresschutz erreicht wer- litiken (SRU 2009; 2011a), sondern auch zwischen unter- den konnten. Allerdings können im Rahmen von OSPAR- schiedlichen wirtschaftlichen Zielsetzungen. Für einen und Helsinki-Übereinkommen auch keine sanktionsbe- umfassenden und integrativen Schutzansatz wäre eine währten Entscheidungen getroffen werden (SRU 2004). Abstimmung aller relevanten Sektorpolitiken erforder- Generell fehlt den regionalen Abkommen wie auch ande- lich. Die Ressorts agieren jedoch weitgehend unabhängig ren internationalen Vereinbarungen die Möglichkeit, ihre voneinander. Nationale und internationale Fachregulie- nationale Einhaltung sicherzustellen (SRU 2004; rungen sind daher stark fragmentiert und folgen sektora- ANIANOVA 2006; KNUDSEN und HASSLER 2011). len Logiken und Zielen, die sich zum Teil widersprechen. In der Vergangenheit hat sich erwiesen, dass sektorale 8.1.3 Der ökosystemare Ansatz Lösungsansätze und Regelungen häufig für einen effekti- ven Meeresschutz zu kurz greifen. Insgesamt wird dem 454. Über die Verankerung des Meeresschutzes in un- Meeresschutz nicht die erforderliche Bedeutung beige- terschiedlichen Ressortpolitiken und die grenzüberschrei- messen und die relevanten Politikbereiche übernehmen tende Koordinierung hinaus ist für einen effektiven Mee- zu wenig sektorale Verantwortung für Meeresschutzziele resschutz auch eine umfassende Betrachtung des (SRU 2004). Naturraums Meer und seiner Nutzungen von hoher Be- deutung. Dabei steht der sogenannte ökosystemare An- Für die erfolgreiche Integration von Meeresschutzzielen satz im Mittelpunkt. in sektorale Politiken wäre daher ein wirkungsvoller re- gulativer Rahmen erforderlich, der operationalisierbare Nach dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt Handlungsziele definiert (vgl. Abschn. 11.3.6). Die dafür (Convention on Biological Diversity – CBD), konkreti- notwendige übergreifende Koordinierung und auch die siert durch die Entscheidung V/6 der fünften Vertrags- erforderliche politische Priorisierung von Zielen in Bezug staatenkonferenz im Jahr 2000 in Nairobi, wird unter dem auf die Meere leiden jedoch darunter, dass politische Ini- ökosystemaren Ansatz eine Strategie für das integrierte tiativen häufig an den Ressortgrenzen von Ministerien Management von Land, Wasser und lebenden Ressourcen und Behörden enden. Ein erster Schritt, um dieses zu verstanden, die die Erhaltung und nachhaltige Nutzung überwinden, ist die Initiative für eine europäische mari- im angemessenen Maße ermöglicht (UNEP 2000). Die time Politik (s. Tz. 457 ff.). Mit der MSRL (s. Tz. 463 ff.) Anwendung des ökosystemaren Ansatzes soll helfen, eine als Umweltsäule der europäischen Meerespolitik ist die Balance zwischen den drei Zielen der CBD – Erhaltung, Hoffnung verknüpft, dass durch eine integrative, Sektor nachhaltige Nutzung und gleichberechtigte Verteilung der übergreifende Politik die Belange des Meeresschutzes ge- Gewinne aus der Nutzung der genetischen Ressourcen – stärkt werden und die Vertreter des Meeresschutzes an zu erreichen. Dabei sollen angemessene wissenschaftli- Gestaltungsmacht gegenüber den einflussreichen wirt- che Methoden zur Anwendung kommen, die auf der schaftlichen Interessen gewinnen (van HOOF und van Ebene der biologischen Organisation ansetzen und die TATENHOVE 2009, S. 729; vgl. Kap. 11.1 und Ab- wesentlichen Prozesse, Funktionen und Interaktionen schn. 11.3.6). Es ist offen, ob sich die Hoffnung erfüllen zwischen den Organismen und ihrer Umwelt berücksich- wird (KNEFELKAMP et al. 2011, S. 427). tigen. Menschen werden als Teil des Ökosystems betrach- tet. Unter einem Ökosystem wird ein dynamischer Kom- 453. Eine weitere Herausforderung stellt zudem der plex verstanden, in dem Lebensgemeinschaften von grenzüberschreitende Charakter sowohl der Nutzung als Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen und abiotische auch der Verschmutzung der Meere dar. Die auf das Meer Faktoren eine funktionale Einheit bilden. bezogenen Schutz- und Nutzungsinteressen sind nicht nur Auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Jo- horizontal (über Fachpolitiken hinweg), sondern auch hannesburg im Jahr 2002 wurde vereinbart, bei der nach- vertikal über mehrere Ebenen (international, europäisch, haltigen Nutzung der Ozeane und Meere den ökosystema- national, auch subnational) miteinander verflochten. ren Ansatz bis zum Jahr 2010 zur Anwendung zu bringen Diese Verflechtung bringt große Herausforderungen für (Heinrich-Böll-Stiftung 2003; Vereinte Nationen 2002). die Vereinbarung, aber auch für die Überwachung und den Vollzug von Meeresschutzmaßnahmen mit sich 455. Auch OSPAR- und Helsinki-Übereinkommen ha- (STEELE et al. 2010). Zwar wurden zur Verhütung von ben sich beim Management der menschlichen Aktivitäten Beeinträchtigungen der Meeresumwelt verschiedene in- in den Meeresräumen dem ökosystemaren Ansatz ver- ternationale bzw. regionale Vereinbarungen getroffen, pflichtet (OSPAR Commission 2010a; HELCOM und beispielsweise das SRÜ, das OSPAR- und Helsinki-Über- OSPAR Commission 2003). In ähnlicher Weise wie bei einkommen, doch besteht neben dem Widerstand von der CBD wird als ökosystemarer Ansatz das umfassende Wirtschaftsinteressen gegenüber einer Schaffung bzw. integrierte Management der menschlichen Aktivitäten Verschärfung von Umweltstandards die Schwierigkeit, – basierend auf der besten verfügbaren Technik und dem sich international auf gemeinsame Standards zu einigen. besten Stand der Wissenschaft – in Bezug auf die Ökosys-

277 Sektorübergreifender Meeresschutz teme und ihre Dynamik verstanden (HELCOM und Ziele der europäischen Meerespolitik OSPAR Commission 2003). Der ökosystemare Ansatz ist aber, wie die OSPAR-Kommission zu Recht feststellt, 458. Im Grünbuch wird auf die besondere Bedeutung nicht kurzfristig umsetzbar, weil hierfür umfangreiches der Meere als Wirtschaftsräume hingewiesen und eine Wissen über die Meere und deren Belastungen erforder- Vielzahl von Zielen für eine europäische Meerespolitik lich ist (OSPAR Commission 2010a). Deshalb muss die- formuliert. Beispielsweise sollen Wachstum und Beschäf- ser als ein Prozess verstanden werden, bei dem man sich tigung im maritimen Bereich gestärkt aber auch der stetig unter Berücksichtigung des sich wandelnden Er- Schutz der Meere nach Grundsätzen eines ökosystemori- kenntnisstandes dem eigentlichen Ziel nähert (HELCOM entierten Ansatzes gewährleistet werden. Im Vordergrund und OSPAR Commission 2003). Aus diesem Grunde des Grünbuchs steht die Absicht, eine langfristig tragfä- kann die praktische Umsetzung des Ökosystemansatzes hige Nutzung der Meere zu erlangen. Es wird betont, dass nur stufenweise erfolgen. Teile dieses Prozesses sind die Europa nur dann von den Ressourcen der Meere profitie- Festlegung und Koordination von ökologischen Kriterien ren kann, wenn diese nicht durch erhebliche Belastungen und Zielen sowie damit verbundenen Indikatoren, die und die Ausbeutung der Ressourcen bedroht werden. Weiterentwicklung des Managements und der Forschung Dazu gehört laut Grünbuch auch, den Rückgang der Bio- und die stetige Aktualisierung des Wissensstands über die diversität aufgrund von Schadstoffbelastungen, Klima- Ökosysteme und deren Belastungen (OSPAR Commis- wandel und Überfischung bis 2010 aufzuhalten. Im Grün- sion 2010a). buch wird die Absicht erklärt, eine dynamische und nachhaltige Meereswirtschaft zu schaffen und durch eine 456. Sowohl über die Definition wie auch die Verpflich- nachhaltige Nutzung von Ressourcen das volle Potenzial tung zur Anwendung des ökosystemaren Ansatzes besteht der Meere und ihrer Reichtümer auszuschöpfen. Dabei weitgehende Einigkeit. Die OSPAR-Kommission und sollen die Wirtschaftszweige Schiffsverkehr, Industrie, HELCOM haben bereits erste Konzepte zur Umsetzung Handel, Tourismus, Energie und Fischerei sowie Meeres- entwickelt. Mit der MSRL sind die EU-Mitgliedstaaten forschung in Einklang mit einem anspruchsvollen Mee- ebenfalls aufgefordert, den ökosystemaren Ansatz in die resschutz gebracht werden. Ziel des Grünbuchs ist es so- Praxis umzusetzen. Die Kommissionen der Meeres- mit, die richtige Balance zwischen der ökonomischen, schutzkonventionen haben zu Recht betont, dass hierfür sozialen und der ökologischen Dimension einer nachhal- umfängliche Daten über die marinen Ökosysteme und de- tigen Entwicklung zu finden. Diese Absichtserklärungen ren Interaktionen und Belastungen erhoben werden müs- zur nachhaltigen und umweltschonenden Nutzung wer- sen sowie ein umfassendes Monitoringprogramm erfor- den jedoch weder konkretisiert noch durch Maßnahmen- derlich ist. Beides wird mit den Arbeiten der OSPAR- vorschläge begleitet. Kommission und HELCOM sowie der Umsetzung der MSRL verfolgt (Tz. 466). Schwerpunkt Integration 8.2 Grün- und Blaubuch für eine europäische 459. Das Grünbuch beabsichtigt, einen Diskussionspro- Meerespolitik zess über die Gestaltung einer integrierten europäischen Meerespolitik anzustoßen. Als Folge der unzureichenden 457. Die Idee für eine integrierte europäische maritime Berücksichtigung der Wechselwirkungen sektoraler Poli- Politik wurde mit dem Grünbuch „Die künftige Meeres- tiken sieht die Europäische Kommission die Gefahr, dass politik der EU: Eine europäische Vision für Ozeane und unabgestimmte Maßnahmen getroffen, Interessenkon- Meere“ Mitte 2006 von der Europäischen Kommission flikte nicht gelöst und bestehende Synergien nicht genutzt zum ersten Mal konkretisiert (Europäische Kommission werden. 2006). Der damit angestoßene Diskussionsprozess be- gann, nachdem der europäische Schutzansatz bzw. die Allerdings fehlen im Grünbuch weitgehend konkrete Vor- MSRL (Tz. 463 ff.) bereits auf den Weg gebracht wurde, schläge, wie die Zusammenführung von bislang fragmen- und ist somit als weitgehend davon losgelöster politischer tierten, das Meer betreffenden Politiken vorangetrieben Prozess zu betrachten. Die Intention des Grünbuchs war, werden kann. Es weist lediglich darauf hin, dass mit der eine stärkere Abstimmung zwischen den die Meere be- Schaffung einer maritimen Identität – ohne dass klar er- treffenden Sektorpolitiken zu erreichen. Dabei standen sichtlich wird was eine solche ausmachen könnte – die Nutzungsaspekte im Vordergrund. Hinsichtlich des Kooperation und Koordination zwischen den politischen Schutzes wurde explizit auf die rechtliche Umsetzung der Sektoren, aber auch mit relevanten Interessengruppen Meeresstrategie bzw. die MSRL verwiesen. Verantwort- verbessert werden kann. Des Weiteren wird das Ziel for- lich für das Grünbuch war die Generaldirektion für Fi- muliert, eine wirksame Koordination und Integration der scherei und maritime Angelegenheiten; beteiligt waren betreffenden Politikbereiche auf allen Ebenen und eine darüber hinaus die sechs Generaldirektionen Umwelt, integrierte, Sektor übergreifende sowie multidisziplinäre Unternehmen und Industrie, Verkehr, Energie, Regional- europäische Meerespolitik zu schaffen, die alle Aspekte politik sowie Forschung. Die fünf zentralen Kapitel des der Meere und Ozeane umfasst. Daraus abgeleitet wird Grünbuchs betreffen die Nutzung der Meere, die Lebens- allerdings nur die Verpflichtung an die Mitgliedstaaten, qualität in den Küstenregionen, Instrumente für den Um- einen eigenen Rahmen für eine Sektor übergreifende gang mit den Meeren, die politische Steuerung und das Meerespolitik zu entwickeln und die bestehenden Heraus- europäische maritime Erbe beziehungsweise die maritime forderungen über verschiedene Sektoren und Politikfelder Identität. hinweg gemeinsam anzugehen. Ein eigener EU-Ansatz

278 Grün- und Blaubuch für eine europäische Meerespolitik für eine solche Integration wird weder entworfen noch verschiedenen, auf das Meer einwirkenden Handlungs- konkretisiert, obwohl zum einen institutionelle Vorgaben und Politikfeldern gewährleisten könnte; der beispiels- auch auf EU-Ebene möglich wären, weil die Zuständig- weise aufzeigt, wie die Integration des Meeresschutzes in keiten für die Meerespolitik auf verschiedene Räte (z. B. die relevanten Sektorpolitiken vorangetrieben werden Fischereirat) und Generaldirektionen verteilt sind und un- könnte (SALOMON 2009). zureichend koordiniert werden. Zum anderen wäre es möglich, konkretere Vorschläge für eine Integration auf Deutsche Umsetzung der Ebene der Mitgliedstaaten vorzulegen. 462. Der Aktionsplan zur europäischen Meerespolitik 460. Erste Konturen einer gemeinsamen Meerespolitik wurde in Deutschland mit dem Entwicklungsplan Meer werden im Grünbuch aber erkennbar: Sie soll das Dach im Jahr 2011 umgesetzt. Verantwortlich für die Umset- der die Meere betreffenden Sektorpolitiken bilden. Die zung war das BMVBS (2011). Dieser Entwicklungsplan thematische Strategie für die Meeresumwelt (s. Tz. 463) stellt allerdings lediglich eine Zusammenfassung der soll dabei die Umweltsäule dieser Politik darstellen. Im deutschen Aktivitäten und Intentionen dar, die im Zusam- Unterschied zur thematischen Strategie führte das Grün- menhang mit wirtschaftlichen Aktivitäten, der Förderung buch nicht zu konkreten Rechtsetzungsvorschlägen, son- von Technologien, Infrastrukturmaßnahmen, rechtlichen dern es schloss sich lediglich ein Blaubuch zur Meerespo- Regelungen, dem Schutz und Forschungsaktivitäten im litik an, welches kaum rechtsverbindliche Vorgaben Bereich der Meere stehen. Zum Beispiel fordert der Ent- entwickelt, sondern primär aus einer Sammlung von Be- wicklungsplan eine integrative und effiziente Umsetzung kenntnissen und Intentionen besteht (van HOOF und van der MSRL sowie die Umsetzung der Ziele und Maßnah- TATENHOVE 2009, S. 729 ff.; SRU 2008, Tz. 597; men der Meeresübereinkommen und darüber hinaus auch SALOMON 2009). eine Fortführung der aktiven Zusammenarbeit in densel- bigen gefordert. Dagegen werden keine neuen Ansätze, Das Blaubuch setzt die Zielsetzung und den integrativen insbesondere kein ganzheitliches Konzept, für eine deut- Ansatz der im Grünbuch angelegten europäischen Mee- sche Meerespolitik entwickelt. respolitik fort. Die maritimen Dimensionen sollen laut Blaubuch in den verschiedenen Politiken auf Ebene der EU, der Mitgliedstaaten und der regionalen Regierungen 8.3 Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie als verankert werden. Um eine Verzahnung der Politiken un- zentrales Instrument tereinander zu erreichen, schlägt der Aktionsplan gemein- 463. Im Jahr 2005 hat die Europäische Kommission vor schaftliche Maßnahmen vor, darunter ein europäisches dem Hintergrund ihres 6. Umweltaktionsprogramms die Netzwerk für Meeresüberwachung, ein maritimes Beob- Thematische Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der achtungs- und Datennetzwerk sowie eine Empfehlung zur Meeresumwelt (Europäische Kommission 2005) veröf- Umsetzung einer maritimen Raumplanung (s. Tz. 507 ff.) fentlicht, die im Jahr 2008 mit der MSRL konkretisiert und eines integrierten Küstenzonenmanagements wurde. (s. Tz. 517 ff.). Auch wenn diese Initiativen generell zu begrüßen sind, so handelt es sich dabei primär um weiche Instrumente und der Schwerpunkt liegt bei der Erhebung, 8.3.1 Das Konzept der Meeresstrategie- Zusammenführung und Veröffentlichung von Daten. Da- Rahmenrichtlinie mit verbunden ist aber noch keine gemeinsame Weiter- 464. Die MSRL ist das zentrale Instrument, welches entwicklung der unterschiedlichen Politikfelder. Was ins- derzeit den Meeresschutz auf europäischer Ebene gestal- besondere fehlt, sind Ziele für die europäische maritime tet. Mit der Richtlinie wird ein Rahmen gesetzt, innerhalb Politik, die für alle Sektoren Gültigkeit haben. dessen die Mitgliedstaaten Strategien zum Schutz ihrer Meeresgewässer entwickeln und umsetzen müssen. Schwächen der europäischen Meerespolitik Ziel der Richtlinie 461. Die europäische Meerespolitik adressiert die Nut- zung der Meere und hat als zentrales Ziel, deren Wettbe- 465. Ziel der MSRL ist die Erreichung eines guten Um- werbsfähigkeit im Sinne der Lissabonner Strategie zu er- weltzustands in den europäischen Meeren bis zum Jahr halten. Der Hauptfokus liegt darauf, die maritimen 2020. Der gute Umweltzustand wird recht ambitioniert Wirtschaftstätigkeiten zu unterstützen und zu stärken. definiert als: „der Umweltzustand, den die Meeresgewäs- Zwar wird dem Meer im Grünbuch eine hohe Relevanz ser aufweisen, bei denen es sich um ökologisch vielfältige nicht nur als Wirtschaftsfaktor, Energie- und Rohstoff- und dynamische Ozeane und Meere handelt, die im Rah- quelle sowie Verkehrsraum, sondern auch als ein das men ihrer Besonderheiten sauber, gesund und produktiv Klima beeinflussender Faktor und als natürlicher Lebens- sind und bei denen die Meeresumwelt nachhaltig genutzt raum beigemessen. Die Bedeutung intakter mariner Le- wird, damit die Nutzungs- und Betätigungsmöglichkeiten bensräume wird jedoch vor allem dort hervorgehoben, wo der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen erhal- sie als Voraussetzung für eine ökonomische Nutzung be- ten bleiben (s. Artikel 3 Absatz 1). Auch in der MSRL trachtet wird (UBA 2008a, S. 24). Unberücksichtigt blei- wird auf den ökosystemaren Ansatz verwiesen (s. Arti- ben diejenigen Meeresfunktionen, die über eine rein wirt- kel 3 Absatz 5). Dieser soll bei der integrierten Bewer- schaftliche (Ressourcen-)Nutzung hinausgehen. Es wird tung des guten Umweltzustands bzw. zum Erreichen des- kein Ansatz entwickelt, der eine Kohärenz zwischen den selbigen zur Anwendung kommen (s. Tz. 481). Der

279 Sektorübergreifender Meeresschutz

ökosystemare Ansatz soll gewährleisten, dass die Ge- skriptoren (s. Kasten) für die Beschreibung des guten samtbelastung durch menschliches Handeln auf ein Maß Umweltzustands weiter auszudifferenzieren und für diese beschränkt bleibt, das die Fähigkeit der Meeresökosys- Indikatoren zu nennen, die bei der praktischen Umset- teme, auf vom Menschen verursachte Veränderungen zu zung helfen sollen. reagieren, nicht beeinträchtigt und gleichzeitig die nach- haltige Nutzung von Gütern und Dienstleistungen des Meeres heute und durch zukünftige Generationen ermög- Deskriptoren der MSRL licht. 1. Die biologische Vielfalt wird erhalten. Die Qualität Für die Erreichung des guten Umweltzustands setzt die und das Vorkommen von Lebensräumen sowie die Richtlinie den zeitlichen, prozeduralen und inhaltlichen Verbreitung und Häufigkeit der Arten entsprechen Rahmen. den vorherrschenden physiografischen, geografi- schen und klimatischen Bedingungen. Zeitplan der Umsetzung 2. Nicht einheimische Arten, die sich als Folge menschlicher Tätigkeiten angesiedelt haben, kom- 466. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert nach folgen- men nur in einem für die Ökosysteme nicht abträgli- dem Zeitplan ihre Meeresschutzstrategien umzusetzen: chen Umfang vor. – bis zum 15. Juli 2012 die Erstellung einer Anfangsbe- 3. Alle kommerziell befischten Fisch- und Schalen- wertung, die Beschreibung eines guten Umweltzu- tierbestände befinden sich innerhalb sicherer biolo- stands anhand elf qualitativer Deskriptoren sowie die gischer Grenzen und weisen eine Alters- und Grö- Festlegung von Umweltzielen und dazu gehörenden ßenverteilung der Population auf, die von guter Indikatoren, Gesundheit des Bestandes zeugt. – bis zum 15. Juli 2014 die Umsetzung eines Monito- ringprogramms, 4. Alle bekannten Bestandteile der Nahrungsnetze der Meere weisen eine normale Häufigkeit und Vielfalt – bis 2015 die Erstellung eines Maßnahmenprogramms auf und sind auf einem Niveau, das den langfristi- und gen Bestand der Art sowie die Beibehaltung ihrer vollen Reproduktionskapazität gewährleistet. – bis 2016 die praktische Umsetzung des Maßnahmen- programms für die betreffenden Meeresgewässer. 5. Die vom Menschen verursachte Eutrophierung ist auf ein Minimum reduziert; das betrifft insbeson- Falls eine der Meeresregionen oder -unterregionen sich in dere deren negative Auswirkungen wie Verlust der einem so schlechten Zustand befindet, dass sofort gehan- biologischen Vielfalt, Verschlechterung des Zu- delt werden muss, so sollten die Mitgliedstaaten – gege- stands der Ökosysteme, schädliche Algenblüten so- benenfalls in Kooperation miteinander – einen Aktions- wie Sauerstoffmangel in den Wasserschichten nahe plan erstellen, der ein früheres Inkrafttreten des dem Meeresgrund. Maßnahmenprogramms und einen strengeren Schutzan- satz vorsehen kann. 6. Der Meeresgrund ist in einem Zustand, der gewähr- leistet, dass die Struktur und die Funktionen der Drei Jahre nach Veröffentlichung der Maßnahmenpro- Ökosysteme gesichert sind und dass insbesondere gramme sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen Zwi- benthische Ökosysteme keine nachteiligen Auswir- schen- bzw. Fortschrittsberichts zu veröffentlichen. Bei kungen erfahren. allen genannten Verfahrensschritten zur Umsetzung der Strategien ist eine wirksame Beteiligung aller interessier- 7. Dauerhafte Veränderungen der hydrografischen Be- ten Parteien zu gewährleisten. Bei der Umsetzung sollen dingungen haben keine nachteiligen Auswirkungen die Mitgliedstaaten den Vorsorgeansatz und das Verursa- auf die Meeresökosysteme. cherprinzip berücksichtigen. Beim Management der Akti- vitäten in den Meeresgewässern soll der ökosystemare 8. Aus den Konzentrationen an Schadstoffen ergibt Ansatz zum Tragen kommen. Allerdings fehlt in der sich keine Verschmutzungswirkung. Richtlinie eine Konkretisierung des Vorsorgeansatzes und 9. Schadstoffe in für den menschlichen Verzehr be- des Ökosystemansatzes. stimmtem Fisch und anderen Meeresfrüchten über- schreiten nicht die im Gemeinschaftsrecht oder in Kriterien und Standards zur Festlegung des guten anderen einschlägigen Regelungen festgelegten Umweltzustands Höchstmengen. 467. Die Europäische Kommission hat sich in der 10. Die Eigenschaften und Mengen der Abfälle im MSRL dazu verpflichtet, die Mitgliedstaaten bei der Um- Meer haben keine schädlichen Auswirkungen auf setzung zu unterstützen (s. Artikel 24 MSRL). Dafür hat die Küsten- und Meeresumwelt. sie Standards und Kriterien zur Feststellung des guten 11. Die Einleitung von Energie, einschließlich Un- Umweltzustands von Meeresgewässern erarbeitet, welche terwasserlärm, bewegt sich in einem Rahmen, der am 1. September 2010 in einem Beschluss veröffentlicht sich nicht nachteilig auf die Meeresumwelt aus- wurden (Europäische Kommission 2010a). Ziel dieses wirkt. Beschlusses ist es, die in der Richtlinie genannten elf De-

280 Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie als zentrales Instrument

Die Europäische Kommission hat in diesem Beschluss antwortlich sind, natürliche Ursachen oder höhere noch einmal betont, der gute Umweltzustand setze vo- Gewalt, aber auch Veränderungen der physikalischen Ei- raus, „dass alle betreffenden menschlichen Tätigkeiten genschaften der Meeresgewässer aus Gründen übergeord- gemäß Artikel 1 der MSRL mit dem Erfordernis, die Mee- neten Interesses, die schwerer wiegen als die Belange des resumwelt zu schützen und zu erhalten, und mit dem Kon- Meeresschutzes. Letzteres könnte zum Beispiel für zept einer nachhaltigen Nutzung von Gütern und Dienst- Offshore-Windkraftanlagen oder Gaspipelines zur An- leistungen des Meeres heute und durch die künftigen wendung kommen (MARKUS und SCHLACKE 2009). Generationen in Einklang stehen“ (Europäische Kom- In diesen Fällen sind die Mitgliedstaaten aber aufgefor- mission 2010a). Für jeden Deskriptor wurden bis zu sechs dert, Ad-hoc-Maßnahmen zu ergreifen, die der Zielerrei- Kriterien genannt, die wiederum anhand von Indikatoren chung und der Verhinderung der weiteren Verschlechte- zu beschreiben sind. Insgesamt hat die Europäische Kom- rung des Umweltzustands dienen. Sie sind aber nicht mission für die elf Deskriptoren 29 Kriterien und 56 Indi- verpflichtet, besondere Maßnahmen einzuleiten, wenn katoren festgelegt. keine erhebliche Gefahr für die Meeresumwelt besteht bzw. die Kosten der Maßnahmen in keinem angemesse- Eine Besonderheit stellen die Vorgaben für den Deskrip- nen Verhältnis zu den Umweltgefahren stehen und sofern tor 3 dar, der den Zustand der kommerziell genutzten keine weitergehenden Verschlechterungen zu erwarten Fisch- und Schalentierbestände betrifft. Dieser Deskriptor sind. Die genannten Ausnahmen können somit als Recht- ist der einzige, für den die Europäische Kommission nicht fertigung für das Nicht-Ergreifen von Maßnahmen heran- nur Kriterien und Standards, sondern bereits ein konkre- gezogen werden. tes Ziel formuliert hat. So wurde für das Kriterium 3.1 In- tensität des Fischereidrucks und den Indikator 3.1.1 fi- schereiliche Sterblichkeit festgelegt, dass für das Schwächen der Richtlinie Erreichen des guten Umweltzustands eine fischereiliche 469. Eine der Hauptschwächen der MSRL besteht da- Sterblichkeit (F) erforderlich ist, die unterhalb oder gleich rin, dass die Verantwortung für die Umsetzung eines der liegt, die den höchstmöglichen Dauerertrag ermög- Schutzkonzeptes für die europäischen Meere im hohen licht (= FMSY). Für den gleichen Deskriptor wurde außer- Maße in die Hände der Mitgliedstaaten gelegt wird bzw. dem das Kriterium 3.2 der Reproduktionskapazität des für die Umsetzung nur vage Vorgaben gemacht werden Bestandes und der dazugehörige Indikator 3.2.1 Bio- (SRU 2006). Beispielsweise werden die Mitgliedstaaten, masse laichreifer Tiere (Spawning Stock Biomass – SSB) die sich eine Meeresregion oder Meeresunterregion tei- aufgeführt. Die volle Reproduktionskapazität ist gegeben, len, aufgefordert, ihre Strategien in Kooperation mitei- wenn die Biomasse an laichreifen Tieren den höchstmög- nander und auch überregional zu entwickeln, um einen lichen Dauerertrag gewährleistet. Mit den beiden Be- koordinierten und kohärenten Ansatz zu gewährleisten. schreibungen des guten Umweltzustands im Kommis- Klare Ausführungen, wie dies erfolgen soll, fehlen aller- sionsbeschluss wurde der höchstmögliche Dauerertrag als dings. Auch werden in der Richtlinie keine konkretisier- Ziel bzw. als Standard für den guten Umweltzustand fest- ten Meeresumweltschutzstandards oder -instrumente ge- gelegt (s. Annex B). In anderen Fällen, wie zum Beispiel nannt, die die Mitgliedstaaten ergreifen müssen. Im dem Deskriptor 8 zu den Schadstoffbelastungen, wurde Anhang VI werden lediglich Maßnahmenfelder aufge- auf bereits rechtsgültige Standards, in diesem Fall aus der führt. Dazu zählen auch Managementmaßnahmen zur Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG (WRRL) und der zeitlichen und räumlichen Steuerung von Aktivitäten in WRRL-Tochterrichtlinie 2008/105/EG, verwiesen. den Meeresgewässern, die für die Einrichtung einer Raumordnung in den Meeresgewässern sprechen. Hin- Maßnahmenprogramme sichtlich Meeresschutzgebieten wird lediglich an ver- schiedener Stelle auf deren besondere Bedeutung hinge- 468. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, bei ihren wiesen (Tz. 497 ff.). Maßnahmenprogrammen das bestehende, den Meeres- schutz betreffende Gemeinschaftsrecht, wie die WRRL, 470. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass mit der Rahmen- die Kommunale Abwasserrichtlinie 91/271/EWG, die Ba- richtlinie alleine – entgegen des formulierten Anspruchs – degewässer-Richtlinie 2006/7/EG sowie sonstige zukünf- kein umfassender Schutzansatz geliefert wird (SRU 2006; tige Rechtsvorschriften über Umweltqualitätsstandards SALOMON und KROHN 2006; KNEFELKAMP et al. im Bereich der Wasserpolitik oder aufgrund internationa- 2011). Bereits frühzeitig war absehbar, dass die nationa- ler Abkommen, zu berücksichtigen. len Handlungsspielräume für die Umsetzung von Meeres- schutzkonzepten zur Erreichung des guten Umweltzu- Bei der Erstellung von Maßnahmenprogrammen sind die stands schnell an ihre Grenzen stoßen und nicht Mitgliedstaaten verpflichtet, auch deren soziale und öko- ausreichen werden, um die wesentlichen Probleme zu be- nomische Auswirkungen einzubeziehen bzw. vor der Ein- heben. Spätestens mit der Festlegung der Maßnahmen- führung der Maßnahmen Folgeabschätzungen einschließ- programme wird sich nach Einschätzung des SRU zeigen, lich Kosten-Nutzen-Analysen durchzuführen. dass mit der Rahmenrichtlinie alleine die europäische In Artikel 14 der MSRL werden Ausnahmen genannt, die Meeresschutzstrategie schnell an ihre Grenzen stößt, da die Mitgliedstaaten für das Nicht- oder unvollständige Er- die Sektoren, die den Meeresschutz im besonderen Maße reichen der Umweltziele und des guten Umweltzustands tangieren, wie zum Beispiel Fischerei, Schifffahrt und geltend machen können. Zu diesen zählen Maßnahmen Landwirtschaft, stark international und europäisch regu- und Untätigkeiten, für die die Mitgliedstaaten nicht ver- liert werden (Tz. 492 f.).

281 Sektorübergreifender Meeresschutz

In Bezug auf die Fischerei wird in der MSRL sogar expli- liefert sie noch kein integrierendes Gesamtkonzept, das zit darauf hingewiesen, dass Maßnahmen zum Schutz der die bisherigen Defizite der sektoral und auf europäischer Meeresräume einschließlich Fangverbote nur im Rahmen und nationaler Ebene zersplitterten, den Meeresschutz be- der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) getroffen wer- treffenden Politiken auflöst (SRU 2006). Trotz allem ist den können. Außerdem verhindern die Normenhierarchie die MSRL aber auch mit erheblichen Chancen verbun- und die Kompetenzordnung des Gemeinschaftsrechts, den. Die Stärke der MSRL liegt insbesondere darin, dass dass Rechtsbereiche wie Gemeinsame Agrarpolitik sie die Mitgliedstaaten verpflichtet, nach einem ambitio- (GAP), GFP oder Seeschifffahrt durch mitgliedstaatliche nierten Fahrplan umfassende Strategien zum Schutz der Maßnahmenprogramme verändert werden (MARKUS Meere zu erarbeiten und umzusetzen. Mit den in der und SCHLACKE 2009). Immerhin wird in der MSRL Richtlinie genannten elf qualitativen Deskriptoren, die aber darauf hingewiesen, dass die bei der Umsetzung durch Standards und Indikatoren ergänzt wurden, wird er- festgelegten Ziele in der anstehenden Reform der GFP freulicherweise das gesamte Spektrum der Meeresbelas- berücksichtigt werden sollen. Außerdem wird in der tung abgedeckt und somit auch zum Ergreifen von MSRL den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, Schutzmaßnahmen in diesen Handlungsfeldern aufgefor- der Europäischen Kommission mitzuteilen, wenn ein Pro- dert (KNEFELKAMP et al. 2011). Wesentlich wird es blem nicht mit nationalen Maßnahmen gelöst werden sein, bei der Umsetzung der MSRL diese Chancen zu nut- kann. Der Mitgliedstaat kann dann Empfehlungen für zen, um den ambitionierten Meeresschutz weiter voran- Maßnahmen auf europäischer oder internationaler Ebene zubringen. zur Lösung vorschlagen (Artikel 15 MSRL; s. hierzu Tz. 493). 8.3.2 Umsetzung der Richtlinie in Deutschland 471. Wie oben erwähnt, sollen alle Maßnahmen Kosten- Nutzen-Analysen unterzogen werden (Artikel 12 Ab- 474. Bereits im Jahr 2008 hat die Bundesregierung eine satz 3 Unterabsatz 2 MSRL). Da das Ziel des guten Um- „nationale Strategie für die nachhaltige Nutzung und den weltzustands in der Richtlinie festgelegt wurde, wären Schutz der Meere“ verabschiedet, in der sie sich den Zie- aber Kosten-Wirksamkeits-Analysen und nicht Kosten- len der MSRL verpflichtet und sich für einen umfassen- Nutzen-Analysen angebracht (SRU 2006). Außerdem er- den Schutz der Meere ausspricht (BMU 2008). Umge- öffnet dies einen Bewertungsspielraum, der zu einer Ab- setzt wurde die MSRL in Deutschland mit dem Gesetz wertung ökologischer Belange führen kann, insbeson- zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. dere, da es sehr schwierig und aufwendig ist, den Nutzen Zudem waren Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz des Schutzes von Biodiversität auch für zukünftige Gene- (WHG), im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) und rationen zu bewerten. Hier fehlen bisher allgemein eta- im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung blierte Verfahren, was erhebliche Spielräume in der prak- (UVPG) erforderlich. Außerdem wurden bereits im Okto- tischen Durchführung eröffnet. Demgegenüber sind die ber 2011 die Entwürfe für die für Mitte 2012 vorgesehe- Kosten einer Maßnahme leicht zu ermitteln. Auch kann nen Berichte über die Anfangsbewertung, die Beschrei- die sehr aufwendige Bewertung von Schutzmaßnahmen bung eines guten Umweltzustands und die Festlegung diese deutlich verzögern. von Umweltzielen für die deutsche Nord- und Ostsee in das Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren gegeben 472. Die Vorarbeiten der regionalen Übereinkommen (s. Tz. 478 ff.). zum Meeresschutz (z. B. OSPAR- und Helsinki-Überein- kommen) werden in der MSRL nicht explizit als Grund- lage für die Erarbeitung der nationalen Meeresschutzstra- 8.3.2.1 Institutionelle und personelle tegien genannt. Es wird aber in der Richtlinie darauf Anforderungen hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten sich bei der Erar- beitung von Meeresstrategien auf bestehende Programme 475. In Deutschland liegt die Federführung für die Um- und Maßnahmen einschließlich derer, die im Rahmen der setzung der MSRL beim Bundesministerium für Umwelt, Strukturen der regionalen Meeresübereinkommen entwi- Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU). Weitere zu- ckelt werden, stützen sollen (s. Artikel 6 MSRL). Ebenso ständige Ressorts sind das Bundesministerium für Ver- sind bei der Festlegung der Umweltziele die bereits auf kehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), das Bundes- nationaler, europäischer und internationaler Ebene ver- ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und einbarten Ziele für die Meeresregionen und -unterregio- Verbraucherschutz (BMELV) sowie die untergeordneten nen zu berücksichtigen (s. Tz. 489). Die Chance, mit der Behörden Umweltbundesamt (UBA), Bundesamt für Na- MSRL aufgrund der Rechtsverbindlichkeit und Sank- turschutz (BfN), Bundesamt für Seeschifffahrt und Hy- tionsbewährung des Europarechts zur Umsetzung der drographie (BSH) und das Johann Heinrich von Thünen- Ziele und Vereinbarungen der internationalen Meeres- Institut, Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume, schutzübereinkommen beizutragen, wurde aber mit der Wald und Fischerei (vTI). Zudem besitzen insbesondere Richtlinie in der bestehenden Form versäumt (SALOMON die an der Küste von Nord- und Ostsee gelegenen Bun- und KROHN 2006). desländer Zuständigkeiten, die Meeresnutzung und -schutz betreffen. Fazit Die Umsetzung der MSRL ist mit einem erheblichen Ar- 473. Obwohl in der MSRL darauf hingewiesen wird, beitsaufwand für die zuständigen Behörden verbunden, dass sie zur Kohärenz und zur Einbeziehung der Umwelt- der auch bei starkem persönlichem Engagement der Mit- belange in alle relevanten Politikbereiche beitragen will, arbeiter ohne zusätzliche personelle Kapazitäten nicht zu

282 Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie als zentrales Instrument bewältigen ist. Zur Erfüllung der Berichtspflichten und keit keine Kenntnis über die damit verbundenen Kon- sonstigen Schritte der Umsetzung stehen in Deutschland, flikte erlangt. Zu klären wäre zudem, welchem Ressort weil eine finanzielle Unterstützung der Umsetzung bisher ein Meeresbundesamt zu unterstellen wäre. strikt abgelehnt wurde, aber keine zusätzlichen personel- 477. Der SRU sieht sowohl Chancen als auch Risiken, len Ressourcen zur Verfügung (Deutscher Bundestag die mit der Einrichtung eines Meeresbundesamtes ver- 2011a). Deshalb wird für die Bearbeitung Personal bean- bunden wären. Für eine Stärkung des Meeresschutzes sprucht, das eigentlich für andere, ebenfalls dringliche wäre es notwendig, dieses unter das Primat der nachhalti- Aufgaben benötigt wird. gen Meeresnutzung und des Meeresschutzes zu stellen, Aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Behörden, daher wäre eine Ansiedlung des Amtes am BMU vor- die an der Umsetzung beteiligt sind, und basierend auf zugswürdig. Die Bundesregierung sollte ernsthaft über- der Vorgabe der MSRL, eine oder mehrere zuständige prüfen, welche Chancen mit der Einrichtung eines Mee- Stellen für die Zusammenarbeit und Koordinierung zu be- resbundesamtes insbesondere für die Stärkung der nennen (Artikel 7 Absatz 1 MSRL), wird nun – auf Belange der Meere einschließlich deren nachhaltigen Grundlage eines Verwaltungsabkommens – ein räumlich Nutzung und der Erhaltung der marinen Ökosysteme ver- am BSH in Hamburg angesiedeltes Sekretariat eingerich- bunden sind. tet. Dieses soll die Umsetzung der Richtlinie koordinieren (Deutscher Bundestag 2011a). Damit wird die bisher 8.3.2.2 Stand der Umsetzung weitgehend formlose Kooperation der an der Umsetzung der MSRL beteiligten Behörden stärker institutionalisiert. 478. Die ersten Schritte der Umsetzung der MSRL, die Bei der Einrichtung des Sekretariats werden die jeweili- sich derzeit in der Bearbeitung befinden, betreffen: gen Rechte und Pflichten ausbalanciert und schriftlich fi- – die Ermittlung des Ist-Zustands der Meeresgewässer, xiert. Die Einrichtung des Sekretariats wird durch den Umstand erschwert, dass dessen personelle und mate- – die Festlegung des Soll-Zustands bzw. des guten Um- rielle Ausstattung vollständig aus den ohnehin sehr knapp weltzustands und bemessenen Ressourcen der vorhandenen Behörden ge- – die Festlegung von Umweltzielen und dazugehöriger speist werden muss. Zurzeit scheint es sinnvoll abzuwar- Indikatoren, die als Maßstab zur Erreichung eines gu- ten, welche Erfahrungen mit dem Sekretariat zur Koordi- ten Umweltzustands dienen. nation der Umsetzung der MSRL gemacht werden. Wenn sich diese Institution bewährt, sollte sie in Zukunft weiter Bis Juli 2012 müssen die Aktivitäten hierzu abgeschlos- ausgebaut werden. sen und für jeden der drei Arbeitsschritte ein Bericht an die Europäische Kommission gesendet werden. Die Ent- 476. Eine Möglichkeit, die Belange der Meere institu- würfe der ersten drei Berichte (jeweils für Nord- und Ost- tionell stärker zu integrieren, wäre die Einrichtung einer see) für die Umsetzung der MSRL in Deutschland wur- für den gesamten Komplex der Meeresnutzung und des den Mitte Oktober 2011 in das Verfahren zur Beteiligung Meeresschutzes kompetenten administrativen Struktur in der Öffentlichkeit gegeben, welches Mitte April 2012 en- Form eines Meeresbundesamtes. Mit einer derartigen Be- dete. hörde wäre auch die Chance verbunden, die Meerespoli- 479. Die Darstellung des Ist-Zustands umfasst die Be- tik und den Meeresschutz zu stärken, indem hierfür eine schreibung des physikalischen, chemischen und biologi- verantwortliche Institution bestünde, die sich für das schen Zustands der Meeresgewässer bzw. des deutschen Thema stark macht und dieses auch in der Öffentlichkeit Teils der Nord- und Ostsee sowie der Lebensraumtypen kommuniziert. Weitere positive Effekte könnten durch und der Hydromorphologie. Des Weiteren müssen anhand die Zusammenführung der in verschiedenen Fachbehör- der indikativen Liste die Belastungen und Eingriffe der den zersplitterten Kompetenzen für Meeresschutz und beiden Meeresräume und deren Folgen für die marinen Meeresnutzung erzielt werden, um somit unter anderem Ökosysteme dargestellt und eine sozio-ökonomische Kooperationen sowie den Austausch und die Zusammen- Analyse durchgeführt werden. Die Datenlage für die Küs- führung von Daten zu vereinfachen. Ein Nachteil eines tengewässer wird als relativ gut eingeschätzt, dagegen Meeresbundesamtes bestünde darin, dass innerhalb eines fehlen Kenntnisse über die küstenfernen Gewässer. Für solchen Amtes Umweltaspekte im Fall einer personell den Entwurf der Anfangsbewertung der deutschen Mee- und finanziell unzureichenden Ausstattung gegenüber an- resgewässer wurde auf vorliegende Arbeiten beispiels- deren Ressorts geschwächt würden. Außerdem sind für weise zur Umsetzung der WRRL oder der Fauna-Flora- einige Belange und Belastungen, die die Meere betreffen, Habitat-Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) zurück- auch Verursacher an Land verantwortlich, die nicht in den gegriffen und der Zustand aufgrund der bestehenden Da- Zuständigkeitsbereich eines Meeresbundesamtes fallen tenlücken mehr argumentativ als quantitativ festgestellt würden. Andere Bereiche des Meeresschutzes betreffen (Bund-Länder Messprogramm 2011a; 2011b). wiederum Länderkompetenzen. Somit müssten auch für eine derartige Behörde neue Schnittstellen geschaffen Anhand der beiden Berichtsentwürfe zeigt es sich, dass werden. Überdies ist mit der Gründung einer solchen Be- bisher für keines der zu bewertenden Ökosystemmerk- hörde die Gefahr einer sinkenden Transparenz von Ent- male der gute Umweltzustand vorliegt (s. Tab. 8-1). In scheidungen verbunden, da viele Abwägungsprozesse zwei Fällen konnte aufgrund fehlender Bewertungsver- von Schutz- und Nutzungsinteressen unter einem Dach fahren keine Bewertung vorgenommen werden. Ähnli- vollzogen würden, mit dem Risiko, dass die Öffentlich- ches gilt auch für die verschiedenen Belastungsarten.

283 Sektorübergreifender Meeresschutz

Beispielsweise konnten physische Verluste und Schädi- programme generiert werden, einfließen zu lassen, um die gungen, physikalische Störungen sowie systematische Vorgaben der MSRL vollständig zu erfüllen. und/oder absichtliche Freisetzung von Stoffen nicht be- wertet werden. Somit fehlen in einigen Bereichen noch Ein weiterer Bewertungsschritt umfasst die wirtschaftli- etablierte Verfahren, um den Zustand bzw. den Grad der che und gesellschaftliche Analyse der aktuellen Nutzun- Belastung der heimischen Meere bewerten zu können. gen der Meeresgewässer sowie die Abschätzung der Folgekosten für eine weitere Verschlechterung der Mee- Die Bewertung des Ist-Zustands der Meere muss nach resumwelt (KRAUSE et al. 2011a). den Vorgaben der MSRL alle sechs Jahre wiederholt wer- den, unter anderem um diese an den Stand der Wissen- 480. Die Beschreibung des guten Umweltzustands ist schaft anzupassen. Für die zukünftigen Bewertungen ein weiterer Schritt in der ersten Phase der Umsetzung der wird es notwendig sein, zusätzliche Daten, welche zum MSRL. Sie baut auf die Anfangsbewertung der Meeres- Beispiel mithilfe der noch zu etablierenden Monitoring- gewässer auf und ist an den in der Richtlinie genannten

Tabelle 8-1

Entwurf Anfangsbewertung deutsche Nord- und Ostsee

Nordsee Ostsee Belastungs- Hauptbelastungen Hauptbelastungen Zustand Zustand merkmal bzw. -verursacher bzw. -verursacher Biotoptypen GEZ nicht für alle Vielfältige Belastun- GEZ nicht für alle Vielfältige Belastun- Lebensräume erreicht gen Lebensräume erreicht gen Phytoplankton GES nicht erreicht Nähr- u. Schadstoff- GES nicht erreicht Insb. Nähr- u. Schad- einträge, biol. Störun- stoffeinträge, biol. Stö- gen u. Klimawandel rungen u. Klimawan- del Zooplankton Nicht bewertbar Nähr- u. Schadstoff- Nicht bewertbar Nährstoffeinträge u. einträge, biol. Störun- Klimaänderungen gen u. Klimaänderun- gen Makrophyten (mehr- GES nicht erreicht Nährstoffeinträge u. GES nicht erreicht Nährstoffeinträge, zellige, größere Bodenfischerei Substratentnahme u. Wasserpflanzen) Bodenfischerei Makrozoobenthos GES nicht erreicht Nährstoffeinträge u. GES nicht erreicht Nährstoffeinträge, (größere, am Grund Bodenfischerei Substratentnahme u. lebende Tiere) Bodenfischerei Fische GES nicht erreicht Fischerei, Klimawan- GES nicht erreicht Fischerei, Klimawan- del u. Nährstoffein- del u. Nährstoffein- träge träge Marine Säugetiere GES nicht erreicht Fischerei, Schadstoff- GES nicht erreicht Fischerei, Schadstoff- einträge u. Unterwas- einträge u. Unterwas- serschall serschall Seevögel GES nicht erreicht Fischerei, Schiffsver- GES nicht erreicht Fischerei, Schiffsver- kehr, Müll u. Jagd kehr, Bauwerke, Sand- u. Kiesabbau, Müll u. Jagd Nicht einheimische Nicht bewertbar Nicht bewertbar Arten und mikro- bielle Pathogene

GEZ = Guter Erhaltungszustand (auf Biotope bezogen) GES = Guter Umweltzustand (Good Environmental Status) Quelle: Bund-Länder Messprogramm 2011a; 2011b

284 Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie als zentrales Instrument

Deskriptoren und den dazugehörigen Kriterien und Indi- nicht eindeutig definiert. Die Umweltziele werden durch katoren zu orientieren (s. Tz. 467). operative Ziele konkretisiert, welche oftmals direkt an eine Schutzmaßnahme gekoppelt sind. Überdies können Die von der Europäischen Kommission aufgeführten In- Zwischenziele formuliert und gegebenenfalls Referenz- dikatoren sind zum Teil recht vage formuliert. Die Mit- punkte genannt werden. Die Umweltziele sind der gliedstaaten stehen vor der Herausforderung, dass sie die Schlüssel zu den Maßnahmenprogrammen. Indikatoren innerhalb von zwei Jahren operationalisieren, das heißt Grenzwerte oder Trends festlegen müssen, ab Da die wesentlichen Belastungen von Nord- und Ostsee denen von einem guten Umweltzustand gesprochen wer- bekannt sind, ist es jedenfalls möglich, Ziele für diese den kann. Aufgrund der unzureichenden Datenlage und grob zu umreißen. Viele Umweltziele beziehen sich auf fehlender Bewertungsverfahren wird es den Mitgliedstaa- mehrere Kriterien und Indikatoren, somit sind weit weni- ten im vorgesehenen Zeitraum wahrscheinlich nicht ge- ger Umweltziele als Indikatoren zu formulieren. Zur lingen, für alle Kriterien und Indikatoren den guten Um- Überprüfung der Erreichung der Umweltziele sollen so- weltzustand zu beschreiben. Beispielsweise ist in der genannte Performance-Indikatoren herangezogen wer- MSRL der Lärm als eine „neue“ Belastung aufgenommen den, wobei wahrscheinlich viele der für die Bewertung worden, über die bisher nur sehr wenige Erkenntnisse ge- des Zustands verwendeten Belastungsindikatoren wieder schweige denn ausreichend Daten für eine Bewertung aufgegriffen werden (KRAUSE et al. 2011a). Umwelt- vorliegen. In solchen Fällen ermöglicht es die Richtlinie ziele, die bereits auf nationaler, gemeinschaftlicher oder den Mitgliedstaaten auf bereits bestehende Zustandsziele, internationaler Ebene für die gleichen Gewässer festge- soweit vorhanden, Bezug zu nehmen (KRAUSE et al. legt wurden, sollen berücksichtigt werden (s. Artikel 10 2011a). MSRL). 483. Ähnlich wie bei der Beschreibung des guten Um- 481. So wurde auch für die Erstellung der Berichtsent- weltzustands wird auch bei den operativen Umweltzielen würfe für die Beschreibungen des guten Umweltzustands in den beiden Berichtsentwürfen für die deutsche Nord- der deutschen Nord- und Ostsee auf bereits vorliegende und Ostsee stark auf Bestehendes verwiesen. Dies betrifft Zustandsbeschreibungen zurückgegriffen. Diese stammen insbesondere die oben genannten rechtlichen Regelungen unter anderem aus dem Seerechtsübereinkommen, der und die Beschlüsse, die im Rahmen der regionalen Kon- CBD, dem OSPAR-Übereinkommen, der Vogelschutz- ventionen getroffen wurden. Aufgrund der großen Wis- richtlinie 2009/147/EG, der FFH-Richtlinie sowie der senslücken über Ökosysteme und deren Belastungen WRRL und ihrer Tochterrichtlinie. Erwartungsgemäß müssen die Umweltziele in Zukunft stetig an den Zu- war es aufgrund einer eingeschränkten Datenlage und wachs an Wissen angepasst werden (Bund-Länder Mess- fehlender Bewertungsverfahren bzw. operationalisierter Kriterien und Indikatoren in den beiden Berichten noch programm 2011f; 2011e). nicht möglich, für alle Kriterien und Indikatoren der elf Für die Nordsee wurden bereits folgende Ziele vorge- Deskriptoren spezifische Grenz- oder Schwellenwerte schlagen, die allerdings nur als Richtschnur zur Errei- oder andere Quantifizierungen zur Beschreibung des gu- chung des guten Umweltzustands zu bewerten sind und ten Umweltzustands zu nennen. Dies betrifft zum Bespiel anhand von operativen Zielen spezifiziert werden (Bund- den Eintrag von Müll und Lärm. Auch konnte noch keine Länder Messprogramm 2011e): integrierte Bewertung bzw. Festlegung des guten Um- weltzustands vorgenommen werden (Bund-Länder Mess- – Meere ohne signifikante Beeinträchtigung durch anth- programm 2011d; 2011c). Die Festlegung des guten Um- ropogene Eutrophierung, weltzustands gestaltet sich als sehr anspruchsvoll. – Meere ohne Verschmutzung durch Schadstoffe, Folglich ist eine europaweite Harmonisierung der Defini- tionen des guten Umweltzustands wahrscheinlich erst in – Meere ohne Beeinträchtigung der marinen Arten und Zukunft realisierbar. Dieses Problem hätte durch konkre- Lebensräume durch die Auswirkungen menschlicher tere Mindeststandards auf europäischer Ebene verhindert Aktivitäten, werden können. – Meere mit nachhaltig und schonend genutzten Res- sourcen, 482. Der dritte, Mitte 2012 vorzulegende Bericht be- trifft die Festlegung von Umweltzielen. Diese dienen laut – Meere ohne Belastung durch Abfall, MSRL dazu, menschliches Handeln unter der Vorgabe – Meere ohne Beeinträchtigung durch anthropogene des Ökosystemansatzes und der Vorsorge zu steuern und Energieeinträge, eine Verschlechterung des Zustands der Meeresumwelt zu verhindern. Damit überprüft werden kann, ob die Ziele – Meere mit natürlichen hydrografischen Bedingungen. erreicht werden, sollen messbare Indikatoren festgelegt Die einzelnen Ziele haben immer Bezug zu verschiede- werden (s. Artikel 10 MSRL). Zu berücksichtigen sind nen der elf in der MSRL genannten Deskriptoren. Für je- die indikativen Listen der Belastungen und Auswirkun- des einzelne Ziel wurden operative Ziele spezifiziert, zum gen sowie Merkmale zur Festlegung von Umweltzielen Beispiel für die Beendigung der Eutrophierung: (s. Anhang IV MSRL). Die Ziele dienen als Richtschnur zur Erreichung des guten Umweltzustands. Der Unter- – Nährstoffeinträge über die Flüsse sind weiter zu redu- schied zwischen der Beschreibung des guten Zustands der zieren: Verwiesen wird auf die Reduzierungsvorgaben Meeresumwelt und der Festlegung von Umweltzielen ist in den Maßnahmenprogrammen der Bewirtschaf-

285 Sektorübergreifender Meeresschutz

tungspläne der WRRL. Überwachungsindikatoren operative Ziele aufgegriffen wurden. Aus Sicht des SRU sind die Nährstoffkonzentrationen am limnisch-mari- ist es dringend erforderlich, dass dieses hohe Zielniveau nen Übergangspunkt der in die Nordsee mündenden auch in den endgültigen Versionen der Berichte beibehal- Flüsse. ten wird. – Nährstoffe über Ferneinträge aus anderen Meeresge- bieten sind zu reduzieren: Es wird auf die regionale 8.3.3 Kooperation auf europäischer Ebene und Zusammenarbeit zum Meeresschutz verwiesen. Indi- Umsetzung eines regionalen Ansatzes katoren sind der Import von Stickstoff und Phosphor 486. Nach der MSRL sind die Mitgliedstaaten einer sowie die räumliche Verteilung von Stickstoff und Meeresregion bzw. -unterregion aufgefordert, ihre Mee- Phosphor im Seewasser. resschutzstrategien in Kooperation miteinander zu ent- – Nährstoffeinträge aus der Atmosphäre sind weiter zu wickeln. Dieser Schritt ist wichtig, um in einer Meeres- reduzieren: Indikatoren sind die jeweiligen Emissions- region einheitliche bzw. aufeinander abgestimmte bzw. Depositionswerte von Stickstoffverbindungen Meeresschutzstrategien in Bezug auf Bewertung, Monito- auf die Meeresoberfläche. ring, Zielsetzung und Maßnahmen zu gewährleisten. Für die Umsetzung der MSRL wurde auf EU-Ebene eine Im Rahmen der Arbeit der OSPAR-Kommission ist ge- Umsetzungsplattform (Common Implementation Strategy – plant, Reduktionsziele für das Erreichen des OSPAR- CIS) eingerichtet, die von den Direktoren für Meeresfra- Ziels „einer gesunden Meeresumwelt, in der keine Eutro- gen geleitet wird (Europäische Kommission 2011b). In phierung auftritt“ zu erarbeiten. In dem Berichtsentwurf Zusammenarbeit mit der Generaldirektion Umwelt und zu den Umweltzielen für die Ostsee wird auf den der Generaldirektion Maritime Angelegenheiten der Eu- HELCOM Ostsee-Aktionsplan verwiesen, in dem bereits ropäischen Kommission koordinieren sie die in den Mit- Nährstoffreduktionsziele festgelegt wurden (Bund-Län- gliedstaaten vorzunehmenden Maßnahmen zur Umset- der Messprogramm 2011f). In diesem Zusammenhang hat zung der MSRL. Dafür wurden unter anderem eine sich Deutschland verpflichtet, seine Nährstoffeinträge in Meeresstrategie-Koordinierungsgruppe und drei Arbeits- die Ostsee bis 2016 um 240 t für Phosphor und 5.620 t für gruppen – zum guten Umweltzustand, zum Austausch Stickstoff zu verringern. Außerdem soll überprüft wer- von Daten, Informationen und Kenntnissen sowie zur den, ob die in den Maßnahmenprogrammen der WRRL ökonomischen und sozialen Bewertung – geschaffen (Eu- festgelegten Nährstoffminderungsziele ausreichen, um in ropäische Kommission 2011a). den deutschen Meeresgewässern einen guten Umweltzu- stand zu erreichen. 487. Die Erarbeitung einer nationalen Strategie zum Meeresschutz erfolgt in den EU-Staaten in unterschiedli- 484. Ein weiteres Beispiel für ambitionierte Ziele in den chem Tempo. So forderte die Europäische Kommission Berichtsentwürfen ist die Bewirtschaftung lebender Res- Estland, Griechenland, Finnland und Malta im Januar sourcen. Vorgesehen ist, alle genutzten Fischbestände 2011 sowie Frankreich und Irland im April 2011 auf, den nach dem Ansatz des höchstmöglichen Dauerertrags (ma- EU-Vorschriften zur Erarbeitung einer Strategie zum ximum stustainable yield – MSY) zu bewirtschaften. Als Schutz ihrer Meere nachzukommen. Diese Länder hatten Indikatoren hierfür werden zum einen die fischereiliche es bis dahin versäumt, die Kommission über die rechtli- Sterblichkeit (F ) und zum anderen der Fangmenge- MSY che Umsetzung der MSRL zu informieren, die bis 15. Juli Biomasse-Quotient genannt. Außerdem sollen die Be- 2010 abgeschlossen sein sollte („Umwelt: Mahnschreiben stände befischter Arten eine mehr oder minder natürliche an Estland, Griechenland, Finnland und Malta wegen Alters- und Größenstruktur aufweisen. Die entsprechen- Mängeln beim Schutz der Meeresumwelt“, Pressemittei- den Indikatoren betreffen die Längenverteilung in der lung der Europäischen Kommission vom 27. Januar Population und die mittlere Größe der Individuen beim 2011). Erreichen der Reproduktionsreife. Darüber hinaus wird das Ziel formuliert, dass die Fischerei die Ökosysteme 488. Ein weiteres Problem stellen, wie bereits dargelegt, beispielsweise durch Grundschleppnetze und Rückwürfe die vagen Vorgaben der MSRL dar. Diese lassen zum Bei- nicht beeinträchtigen soll. Bei der Umsetzung der fische- spiel einen relativ breiten Interpretationsspielraum bezüg- reilichen Ziele wird auf die begrenzten Handlungsmög- lich des guten Umweltzustands zu, weshalb sich bereits lichkeiten der Mitgliedstaaten bzw. Deutschlands hinge- abzeichnet, dass es auf europäischer Ebene zu Unter- wiesen und Hoffnungen in die anstehende Reform der schieden bei den Definitionen kommen wird. Während GFP gelegt (Bund-Länder Messprogramm 2011f; 2011e; einige Mitgliedstaaten sehr ambitionierte Ziele mit dem SRU 2011a). guten Umweltzustand verbinden, begnügen sich andere damit, den aktuellen Status quo dem guten Umweltzu- 485. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass angesichts stand gleichzusetzen (IRMER et al. 2010b, S. 16). Bis- des ambitionierten Zeitplans bereits die ersten Umset- lang ist offen, ob und wie diese Kontroverse gelöst wer- zungsschritte der MSRL für die Mitgliedstaaten eine den kann. große Herausforderung darstellen. Auch ist mit einem erheblichen Koordinierungsaufwand zwischen den betei- 489. Die MSRL sieht vor, dass für eine bessere Koordi- ligten Behörden zu rechnen. Positiv an den bereits vor- nation und Regionalisierung bei der Umsetzung beste- liegenden Berichtsentwürfen für die deutschen Meeresge- hende Strukturen genutzt werden. Dabei sind die Mit- biete ist insbesondere, dass durchaus ambitionierte gliedstaaten angehalten, sich so weit möglich auf

286 Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie als zentrales Instrument einschlägige bestehende Programme und Maßnahmen, 490. Insgesamt ist festzuhalten, dass eine regionale Ab- die im Rahmen von Strukturen internationaler Überein- stimmung zur Umsetzung der MSRL zwischen den Mit- kommen, wie zum Beispiel den regionalen Meeresüber- gliedstaaten nicht einfach werden wird. Unter anderem einkommen, entwickelt werden, zu stützen (Artikel 6 auch deshalb sind die Arbeiten und Strukturen, die im MSRL). Abgesehen von der mangelnden Verbindlichkeit Rahmen der regionalen Meeresschutzkonventionen er- dieser Verpflichtung fehlt sowohl eine Aufforderung, die folgten bzw. geschaffen wurden, eine wichtige und sehr Ziele und Maßnahmen der internationalen Meeresschutz- hilfreiche Grundlage. Zukünftig sollte deshalb auf beste- konventionen aufzugreifen, als auch eine Konkretisie- hende Strukturen zugegriffen und die bereits von rung, wie die regionale Zusammenarbeit koordiniert wer- OSPAR-Kommission und HELCOM verabschiedeten den soll. Der oben genannte CIS-Prozess ist jedoch ein Ziele und Maßnahmen in der Umsetzung der MSRL so- wichtiger Schritt der Strukturierung. Außerdem bietet es weit wie möglich aufgegriffen werden. Insbesondere da sich aus Sicht des SRU an, die im Rahmen der internatio- sich die Unterzeichnerstaaten der regionalen Konventio- nalen Meeresschutzabkommen eingerichteten Arbeits- nen bereits auf diese Ziele geeinigt haben, spricht alles gruppen zu nutzen. Zum Beispiel existiert für die dafür, diese in die Ausgestaltung der MSRL einfließen zu OSPAR-Region bereits eine Arbeitsgruppe (ICG-MSFD), lassen. Dies erleichtert zum einen die Umsetzung der bei der geplant ist, dass sie die koordinierenden Arbeiten MSRL, zum anderen können die im Rahmen der regiona- zur MSRL im Bereich des Nordostatlantiks übernimmt. len Konventionen getroffenen Vereinbarungen dadurch eine größere Verbindlichkeit erlangen. Da die Ostsee schon frühzeitig als Pilotregion für die 491. Bisher macht die Europäische Kommission keinen Umsetzung der MSRL ins Gespräch gebracht wurde und intensiven Gebrauch von der Möglichkeit, die Umset- der im Rahmen der Arbeit von HELCOM verabschiedete zungsprozesse zu begleiten, zu steuern und zu harmoni- Aktionsplan (Baltic Sea Action Plan – BSAP) sehr fort- sieren, sondern belässt es bei einer eher weichen Koordi- schrittlich ist („Baltic Sea to become a pilot area under nierung der Prozesse. Spätestens wenn es sich abzeichnen the EU Marine Strategy Framework Directive“, sollte, dass eine eigenverantwortliche Zusammenarbeit HELCOM-Pressemitteilung vom 5. Dezember 2008), und die Umsetzung eines regionalen Ansatzes nicht gelin- bietet sich eine Anknüpfung an diese Vorarbeiten an. Die gen, sollte die Kommission aber entsprechende Vorgaben Unterzeichnerstaaten des Helsinki-Übereinkommens ha- erarbeiten. ben diesem Modellcharakter des BSAP für eine zügige und erfolgreiche Umsetzung der Richtlinie zugestimmt 8.3.4 Verankerung des Meeresschutzes in („HELCOM action plan is seen as a pilot project under relevante Sektorpolitiken the EU Marine Strategy Framework Directive“, HELCOM-Pressemitteilung vom 29. April 2009). Die 492. Bei der Umsetzung der MSRL ist die Frage nach beiden Projekte HELCOM-CORESET und HELCOM- den Maßnahmen zentral, die in Zukunft im Rahmen die- TARGREV, die der Weiterentwicklung bzw. Umsetzung ser Richtlinie getroffen werden können, um das Ziel eines des BSAP dienen, haben zusätzlich den Anspruch, diese guten Umweltzustands in den Meeren zu erreichen. Dabei Arbeiten an die Umsetzung der MSRL anzuknüpfen. Mit fällt der Blick zwangsläufig auf die bereits genannten HELCOM-CORESET sollen insbesondere Indikatoren Hauptbelastungen und die Hauptverursacher, das heißt für die Biodiversität und für Schadstoffe erarbeitet wer- die Fischerei, die Nährstoffeinträge aus der Landwirt- den, die mit quantitativen Zielen zur Bewertung des mari- schaft und die Belastungen durch die Seeschifffahrt. In nen Lebensraumes anhand der ökologischen Ziele den genannten Bereichen bzw. Sektoren bestehen, wie be- verbunden sind. Das TARGREV-Projekt dient der Festle- reits dargestellt, für die nationale Ebene nur begrenzte gung von Zielen für die Eutrophierung, die wiederum von Handlungsspielräume (s. Tz. 473). Die Fischerei betref- den Mitgliedstaaten bei der Erarbeitung von Zielen des fenden Instrumente sind in der GFP geregelt. Hinsichtlich guten Umweltzustands aufgegriffen werden können. So des Eintrags von Nährstoffen ist insbesondere die GAP hat sich beispielsweise HELCOM bereits auf die folgen- relevant, aber auch die Nitratrichtlinie 91/676/EWG bzw. den fünf Ziele hinsichtlich Eutrophierung geeinigt: Nähr- deren nationale Umsetzung in der Düngeverordnung stoffkonzentrationen nahe natürlicher Werte, klares Was- (DüV). Nach Einschätzung des SRU reichen die in den ser, natürliches Vorkommen von Algenblüten, natürliche Sektorpolitiken getroffenen Regelungen aber in keiner Verbreitung von Pflanzen und Tieren und unter natürli- Weise aus, um das Ziel der MSRL zu erreichen. Deshalb chen Bedingungen zu erwartender Sauerstoffgehalt. Für sind weitergehende Maßnahmen und eine stärkere Ein- diese Ziele sollen verschiedene Indikatoren gefunden und bindung dieser Politiken in den Meeresschutz erforder- dafür quantitativ Zielwerte festgelegt werden (HELCOM lich. Im Vordergrund stehen dabei die anstehenden Refor- men in der GAP und der GFP, für die der SRU erst o. J. b). Ein weiteres Projekt, das sich den Fischpopulatio- kürzlich Empfehlungen veröffentlicht hat (SRU 2009; nen an den Küsten widmet, dient ebenfalls der Umset- 2011a). zung des BSAP und der MSRL. Ziel des Vorhabens ist die Bewertung des Zustands der küstennahen Fischle- 493. Es bleibt die Frage, wie die Umsetzung der MSRL bensgemeinschaften anhand von Indikatoren sowie die dazu beitragen kann, den Meeresschutz in den genannten Erarbeitung von Zielen und Maßnahmenprogrammen zur Politiken zu verankern. Die Mitgliedstaaten haben im Erreichung des guten Umweltzustands (HELCOM Rahmen der Berichtspflichten die Möglichkeit, die zum o. J. a). Beispiel durch die Fischerei oder Landwirtschaft verur-

287 Sektorübergreifender Meeresschutz sachten Umweltprobleme zu adressieren, indem sie die der Ergebnisse schwierig. Zum anderen hätte eine Har- Belastungen beschreiben und Ziele ableiten. Fehlt den monisierung der Bewertungsskalen den Vorteil, dass die Mitgliedstaaten die Kompetenz, in einem Problemfeld Teilerfolge hin zum guten Umweltzustand differenzierter selbst aktiv zu werden, so können sie dies – auch gemein- darstellbar wären (Artikel 8 MSRL) (IRMER et al. sam mit anderen Mitgliedstaaten – der Europäischen 2010a). So sollte verhindert werden, dass in Gebieten, in Kommission und weiteren relevanten Organisationen denen beide Richtlinien gelten – also der unmittelbaren mitteilen und diese zum Handeln auffordern (s. Artikel 13 Küstenlinie – sowohl ein guter Umweltzustand nach Absatz 5, Artikel 15 MSRL). Darüber hinaus können von WRRL als auch nach MSRL festzulegen ist (WFD Navi- den Mitgliedstaaten auch Maßnahmen auf gemeinschaft- gation Task Group und Marine Strategy Navigation licher Ebene vorgeschlagen werden. Die Europäische Group 2010). Kommission muss innerhalb von sechs Monaten auf diese Initiativen reagieren und diese, wenn sie dem Europäi- In der WRRL erfolgt die Beschreibung des guten ökolo- schen Parlament und dem Europäischen Rat entsprechend gischen Zustands auf der Grundlage normativer Defini- Vorschläge unterbreitet, berücksichtigen (s. Artikel 15 tionen und kann verallgemeinernd als „geringfügige“ Ab- MSRL). weichung von den natürlichen Referenzbedingungen (Abwesenheit störender anthropogener Einflüsse) be- Auf diesem Umweg besteht eine Möglichkeit, Verände- schrieben werden. Diese können aus historischen Daten, rungen in der GFP und der GAP über die MSRL zu ini- Referenzmessungen, Modellen oder Expertenmeinungen tiieren. Inwieweit auf diesem Wege auch Einfluss auf in- abgeleitet werden. Bei der Bewertung des Gewässerzu- ternationale Prozesse beispielsweise bei der IMO für stands folgt die WRRL dem One-out-all-out-Prinzip, das Umweltschutzmaßnahmen in der Seeschifffahrt genom- heißt, der Wert für den ökologischen Zustand des Gewäs- men werden kann, bleibt abzuwarten. Eine große Bedeu- sers orientiert sich an der am schlechtesten bewerteten tung kommt den im Rahmen der MSRL verabschiedeten biologischen oder physikalisch-chemischen Komponente. Zielen zu, die aufgrund ihrer Rechtsverbindlichkeit dazu Dieses Prinzip gilt auch für den guten chemischen Zu- führen sollten, entsprechenden politischen Handlungs- stand. Bei der MSRL kommt dieses Prinzip nicht zur An- druck aufzubauen. Deshalb ist es von besonderer Bedeu- wendung, da nicht alle Deskriptoren den gleichen Stellen- tung, dass bei der Umsetzung der MSRL ambitionierte wert bei der Bewertung der Gewässer einnehmen Ziele vereinbart werden. (KRAUSE et al. 2011a; Gespräch mit BMU am 30. Au- gust 2011). Außerdem verzichtet die MSRL weitestge- 8.3.5 Anknüpfung an und Vergleich mit der hend auf normative Vorgaben und bleibt in dieser Hin- Wasserrahmenrichtlinie sicht deutlich hinter dem Anspruch der WRRL zurück (IRMER et al. 2010a). Es ist derzeit allerdings unwahr- 494. Die MSRL knüpft räumlich und konzeptionell an scheinlich, dass eine entsprechende nachträgliche Anpas- die WRRL an (HEISKANEN et al. 2011; Europäische sung des normativen Rahmens an die WRRL vorgenom- Kommission – Generaldirektion Umwelt 2012). Sie greift men wird. den bereits in der WRRL erhobenen Anspruch einer inte- grativen Betrachtung der verschiedensten Nutzungen der Die Küstengewässer unterliegen dem Geltungsbereich Gewässer auf. Beide Richtlinien folgen einem weitge- sowohl der MSRL als auch der WRRL. Da aber im Rah- hend holistischen Ansatz, das heißt, sie betrachten neben men beider Richtlinien unterschiedliche Parameter zu er- der chemischen Belastung der Gewässer auch andere Be- fassen sind, kann es zu unterschiedlichen Bewertungen lastungen durch menschliche Nutzungen. Sowohl WRRL derselben Gewässer kommen – je nachdem, welche als auch MSRL stützen sich auf den Ökosystemansatz so- Richtlinienvorgaben zugrunde gelegt werden. Eine Be- wie das Konzept des adaptiven Managements. Mit der wertungskonsistenz erfordert widerspruchsfreie Bewer- WRRL begann ein Paradigmenwechsel in der europäi- tungsstrukturen beider Richtlinien – und dies in Abgleich schen Wasserpolitik weg von einer sektoralen hin zu einer mit den einschlägigen naturschutzfachlichen EU-Rege- ganzheitlichen Bewertung aller Belastungen der Gewäs- lungen wie FFH- und Vogelschutzrichtlinie. Ähnliches ser. Die MSRL folgt diesem mit der WRRL neu beschrit- trifft auch für die zukünftig umzusetzenden Maßnahmen- tenen Pfad. Aus einem Vergleich der MSRL mit der programme zu. Auch hier sollte ein paralleles Arbeiten WRRL (IRMER et al. 2010a) lassen sich einige Schluss- zur Umsetzung zweier Richtlinien verhindert werden. folgerungen dahingehend ziehen, wie die MSRL im Pro- Der SRU schließt sich der Empfehlung des UBA an, die zess der Umsetzung optimiert und mit der WRRL harmo- Arbeiten des CIS-Prozesses der WRRL für die Bewer- nisiert werden kann. tung der elf Deskriptoren der MSRL zu nutzen, um eine kohärente Bewertungsstrategie zu gewährleisten. Auch 495. Während die WRRL eine fünfstufige Bewertung sollten weitere Schritte für eine möglichst kohärente Um- des ökologischen und eine zweistufige Bewertung des setzung beider Richtlinien in Deutschland und Europa er- chemischen Zustands vorsieht, verlangt die MSRL nur griffen werden (IRMER et al. 2010a; WFD Navigation eine Aussage, ob der gute Umweltzustand erreicht wurde Task Group und Marine Strategy Navigation Group oder nicht. Die Einführung einer fünfstufigen Bewer- 2010). tungsskala für die MSRL wäre aus zwei Gründen wün- schenswert: Zum einen überschneiden sich beide Richtli- Die MSRL geht über die Anforderungen der WRRL hi- nien räumlich und zeitlich, ohne eine Harmonisierung der naus, indem sie Belastungen wie Mülleintrag, Lärm und Bewertungsskalen ist daher eine kohärente Darstellung atmosphärische Einträge aufgreift. Darüber hinaus sieht

288 Schutzgebiete die MSRL die Erfassung und Bewertung der Wirkungen Auch die EU hat die CBD ratifiziert (Rat der Europäi- menschlicher Nutzungen auf die biologischen Ökosys- schen Gemeinschaften 1993). Unter dem Titel „Lebens- temkomponenten der Meere einzeln und kumulativ vor. versicherung und Naturkapital: Eine Biodiversitätsstrate- Damit ist die MSRL inhaltlich umfassender als die gie der EU für das Jahr 2020“ hat die Europäische WRRL (IRMER et al. 2010a; MARGGRAF et al. 2011). Kommission im Mai 2011 eine Überarbeitung ihrer 1998 entwickelten Biodiversitätsstrategie vorgelegt (Europäi- 496. Für die Bewirtschaftung der Flussgebietseinheiten sche Kommission 2011c). Darin wurden sechs sich ge- fordert die WRRL ein kohärentes Konzept und eine Bun- genseitig ergänzende und voneinander abhängige Einzel- desländer und Staaten übergreifende Koordination. Die ziele definiert, die durch zwanzig Maßnahmen erreicht erforderliche internationale Kooperation wird in der Stra- werden sollen. Marine Schutzgebiete stellen einen Teil tegie zur gemeinsamen Implementation der WRRL kon- des zu vollendenden Natura 2000-Gebietsnetzes dar kretisiert (Wasserdirektoren 2001). Um die entsprechende (Maßnahme 1). Im vierten Ziel wird die Erhaltung und Abstimmung sicherzustellen, mussten die bestehenden Überführung gefährdeter Meeresökosysteme in einen gu- institutionellen Strukturen und Behörden insbesondere im ten Umweltzustand gemäß MSRL angesprochen (Maß- internationalen Bereich den Aufgabenstellungen zur ge- nahme 13 und 14). Die europäischen Meeresschutz- meinsamen Implementierung angepasst und neue Koordi- gebiete werden hauptsächlich als Bestandteil des nierungsgremien eingerichtet werden. Zwar enthält die Natura 2000-Gebietsnetzes ausgewiesen und dienen dem MSRL keine konkrete Empfehlung, dass diese Strukturen Schutz der Arten, Habitate und Lebensräume von ge- zur internationalen Koordination genutzt werden sollen meinschaftlichem Interesse wie beispielsweise Riffe und (vgl. Tz. 472), Deutschland sollte sich jedoch im Prozess Seegraswiesen (s. Anhang I und II der FFH-Richtlinie der Umsetzung der MSRL aktiv auf europäischer Ebene und Vogelschutzrichtlinie). mit dem Ziel beteiligen, langfristig ein kohärentes Kon- zept einer staatenübergreifenden Koordination zu entwi- 499. Die Verpflichtung zur Einrichtung mariner Schutz- ckeln. Denn bei der Umsetzung der WRRL hat sich ge- gebiete ist auch in verschiedenen regionalen Abkommen zeigt, dass die wesentlichen Weichen für normative wie OSPAR- und Helsinki-Übereinkommen festgeschrie- Bestimmungen, die in der Richtlinie selbst nicht festge- ben. Die OSPAR-Kommission und die HELCOM setzten legt wurden, im internationalen Kontext gestellt werden. sich für die Ausweisung eines ökologisch kohärenten und gut verwalteten Schutzgebietsnetzes im Nordostatlantik 8.4 Schutzgebiete und deren Anbindung an (OSPAR-MPAs) und in der Ostsee (Baltic Sea Protected die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie Areas – BSPA) ein (HELCOM und OSPAR Commission 2003; HELCOM 2007). Die Natura 2000-Gebiete in der 497. Nach der MSRL stellt die Einrichtung von ge- AWZ der Nord- und Ostsee sind auch als OSPAR- bzw. schützten Meeresgebieten (marine protected areas – HELCOM-Meeresschutzgebiete ausgewiesen. Insgesamt MPAs) einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung eines sind in Deutschland bislang sechs Gebiete im Nordost- guten Umweltzustands dar (6. Erwägungsgrund der atlantik und zwölf Gebiete in der Ostsee als OSPAR- und MRSL). Dabei sind nach der MSRL keine zusätzlichen HELCOM-Meeresschutzgebiete ausgewiesen (von MPAs einzurichten, sondern sie rekurriert in Artikel 13 NORDHEIM et al. 2011). Absatz 4 MSRL auf die bestehenden Verpflichtungen (s. Tz. 498 ff.). MPAs entfalten eine positive Wirkung auf 500. Auch Deutschland hat sich im Rahmen seiner na- Ökosysteme und Populationen, indem schädigende Akti- tionalen Biodiversitätsstrategie ehrgeizige Ziele zum vitäten in ihren Grenzen verboten oder beschränkt sind Meeresschutz gesetzt (BMU 2007). Dazu zählt ein ge- und indem sie marinen Organismen einen Rückzugsort, meinsames OSPAR-/HELCOM-Netz gut gemanagter etwa zur Rast, Nahrungsaufnahme und Vermehrung, bie- Küsten- und Meeresschutzgebiete, das Kernzonen natür- ten (ROBERTS et al. 2005). Dagegen können aber be- licher Entwicklung einschließt, und dessen Integration in stimmte anthropogene Eingriffe, wie zum Beispiel der internationale Netzwerke bis 2010. Neben den Meeres- Eintrag von Schad- und Nährstoffen, von Schutzgebieten schutzgebieten, die aus europäischen Richtlinien und re- nicht ferngehalten werden. gionalen Abkommen hergeleitet werden, gibt es eine Vielzahl weiterer geschützter mariner Bereiche auf natio- Verpflichtungen zur Einrichtung von Meeres- naler Ebene, wie zum Beispiel National- und Naturparks. schutzgebieten Schutzgebiete in der Meeresstrategie-Rahmen- 498. Auf internationaler Ebene verpflichtet die CBD richtlinie ihre Vertragsstaaten zur Einrichtung von Meeresschutzge- bieten. Auf der zehnten Vertragsstaatenkonferenz im ja- 501. Die in Artikel 13 MSRL vorgesehenen Maßnah- panischen Nagoya im Jahr 2010 haben sich die Vertrags- menprogramme sollen unter anderem räumliche Schutz- staaten unter anderem das Ziel gesetzt, den Anteil der maßnahmen enthalten, die zu kohärenten und repräsenta- global geschützten Meeresfläche von derzeit 1 % auf tiven Netzwerken geschützter Meeresgebiete beitragen mindestens 10 % anzuheben (COP10-X/2). Angestrebt (Absatz 4). Diese sollen die Vielfalt der einzelnen Öko- wird ein effektiv gemanagtes und ökologisch repräsenta- systeme angemessen abdecken, wie besondere Schutzge- tives Schutzgebietsnetzwerk, welches durch flankierende biete im Sinne der FFH-Richtlinie und der Vogelschutz- Naturschutzmaßnahmen ergänzt werden soll (Unter- richtlinie sowie geschützte Meeresgebiete, die von der ziel 11 des Strategischen Plans; SCBD 2010). Gemeinschaft oder den betroffenen Mitgliedstaaten im

289 Sektorübergreifender Meeresschutz

Rahmen internationaler oder regionaler Übereinkom- 504. Die Rohstoffgewinnung in der deutschen AWZ ist men, denen sie als Vertragspartei angehören, vereinbart national geregelt (Sand, Kies, Gas, Öl). Die aktuellen Be- wurden. Dafür sind die Mitgliedstaaten nach Artikel 21 willigungsfelder für den Sand- und Kiesabbau sowie die der MSRL bis 2013 verpflichtet, Informationen zur Ent- Erlaubnisfelder für die Gewinnung von Kohlenwasser- wicklung des marinen Schutzgebietsnetzwerkes vorzule- stoffen liegen dabei in Schutzgebieten bzw. in deren un- gen. Auf der Basis dieser Informationen erstattet die Eu- mittelbarer Nähe. So befindet sich beispielsweise die ein- ropäische Kommission dem Europäischen Parlament und zige aktive Plattform zur Erdgasförderung in der dem Europäischen Rat bis 2014 Bericht über die Fort- deutschen AWZ der Nordsee sowie die dazugehörigen schritte bei der Einrichtung geschützter Meeresgebiete. Pipelines und Verdichterplattformen in dem FFH-Gebiet Erst wenn die festgesetzten Schutzziele für alle MPAs der Doggerbank (Deutscher Bundestag 2010). deutschen Meere erreicht sind, kann ermittelt werden, ob und inwieweit das Schutzgebietsnetz dazu beitragen Erst Ende Oktober 2011 wurden nachträglich umfangrei- kann, bis 2020 einen guten Umweltzustand in den deut- che Baumaßnahmen an der am südlichen Rand des (im schen Meeresgebieten zu erreichen. Küstenmeer befindlichen) Nationalparks Schleswig-Hol- steinisches Wattenmeer gelegenen Ölbohrinsel „Mittel- plate A“ in einem Planfeststellungsbeschluss genehmigt. Bestehende Meeresschutzgebiete in Deutschland Die teilweise problematische Rohstoffgewinnung in der AWZ ist ein Beispiel für unkoordinierte Sektorpolitiken. 502. Deutschland nimmt im europäischen Vergleich im Hinblick auf die Einrichtung von Meeresschutzgebieten Die Zuständigkeit für die Genehmigung von Rohstoffge- eine Vorreiterrolle ein. Circa 77 % der Küstengewässer winnung und das Verlegen von Pipelines und Kabeln in der Nordsee und circa 50 % der Ostsee sind als Na- der deutschen AWZ obliegt den Bergämtern der Länder. tura 2000-Gebiete ausgewiesen; das sind 28 Gebiete in Das BfN ist seit der Novelle des BNatSchG vom der Nord- und 66 Gebiete in der Ostsee. Für diese Schutz- 1. März 2010 die zuständige Naturschutzbehörde mit Sta- gebiete sind die Bundesländer zuständig. Hinzu kommen tus einer Benehmensbehörde (§ 58 Absatz 1 BNatSchG). 10 Schutzgebiete in der deutschen AWZ (ca. 28 % der Das heißt, das BfN wird bei Vorhaben, bei denen das Nordsee und 55 % der Ostsee) (BfN 2011). Alle Na- Bergrecht eine Öffentlichkeitsbeteiligung oder Beteili- tura 2000-Gebiete der AWZ sind auch als OSPAR- oder gung von Behörden mit anderweitig berührten Belangen HELCOM-Schutzgebiete gemeldet. Wie die übrigen Mit- vorschreibt, um Stellungnahmen gebeten. Da die Ent- gliedstaaten der EU hat Deutschland die Verpflichtung scheidung über die Bewilligung oder Ablehnung eines seine marinen Natura 2000-Gebiete auch nach nationa- Vorhabens aber die Antragsbehörde trifft und sie nicht an lem Recht unter Schutz zu stellen und die für ihren die Stellungnahme der Benehmensbehörde gebunden ist, Schutz nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen. Dies ist nicht gewährleistet, dass Naturschutzbelange Vorrang muss spätestens sechs Jahre nach der Ausweisung der erlangen. Zwar wurde in der AWZ der Ostsee ein Vorha- Schutzgebiete, die 2007 erfolgte, also bis Ende 2013, ge- ben versagt, weil es im europäischen Vogelschutzgebiet schehen. Die zu treffenden Erhaltungsmaßnahmen wer- „Pommersche Bucht“ lag und den größten Teil des FFH- den in Form von Managementplänen vom BfN und BMU Vorschlagsgebiets „Adlergrund“ einschloss und so erheb- erarbeitet. liche Beeinträchtigungen auf die dort vorkommende Avifauna als maßgeblicher Bestandteile des Schutzgebie- Konflikte durch unterschiedliche Nutzungen: tes nicht ausgeschlossen werden konnten. In der Nordsee Rohstoffgewinnung wurden dagegen mehrere Vorhaben zum Abbau von Kies und Sand genehmigt, obwohl sie vollständig oder größ- 503. Die Nutzungen der Meere stehen im Konflikt mit tenteils in FFH-Gebieten liegen (Tab. 8-2). Die Anträge dem Meeresschutz (s. Abschn. 8.1.1), da grundsätzlich für die Bewilligungsfelder wurden parallel zur Auswei- Flächen in Schutzgebieten, in denen keine Nutzung statt- sung der FFH- und Vogelschutzgebiete gestellt und er- findet, die größten Erfolge für den Schutz der marinen teilt, obwohl diese als potenzielle Natura 2000-Schutzge- Biodiversität erzielen (sog. Nullnutzungszonen, vgl. biete bereits einen Schutzstatus hatten. Das BfN hatte in ROBERTS et al. 2005; TOROPOVA et al. 2010; WWF den Jahren 2002 und 2003 mehrfach erhebliche Bedenken Deutschland 2011). In der deutschen Nordsee existiert vorgebracht. So wurde beispielsweise durch das BfN in praktisch kein Gebiet mehr, das nicht irgendeiner Nut- einer Stellungnahme vom 8. Februar 2002 zum vorgeleg- zung unterliegt oder in der eine solche geplant ist – und ten Rahmenbetriebsplan für das Vorhaben „Weiße Bank“ das, obwohl hier circa 77 % der Küstengewässer und unter anderem darauf hingewiesen, dass das geplante Ab- 28 % der AWZ als Schutzgebiete ausgewiesen sind baugebiet in einem der bedeutendsten Riffgebiete der (Abb. 8-1). deutschen AWZ der Nordsee liegt und die vorgelegte Umweltverträglichkeitsstudie sowie die FFH-Verträglich- Exemplarisch soll daher nachfolgend auf den Konflikt keitsuntersuchung nicht aussagekräftig sind. Den vom zwischen Meeresnaturschutz und Rohstoffabbau einge- BfN vorgebrachten Argumenten wurde im Planfeststel- gangen werden. Daneben lassen sich ähnliche Erwägun- lungsbeschluss vom 31. Oktober 2002 weitgehend nicht gen aber auch für die Bereiche Fischerei (SRU 2011a), gefolgt. Auch bei der Verlängerung des Hauptbetriebs- Offshore-Windkraft (SRU 2011b, Tz. 132 ff.) sowie die plans wurde nur ein Teil der geschützten Lebensräume Schifffahrt anstellen. ausgeschlossen und es wurden erneut Abbaufelder in den

290 Instrumente der Integration unterschiedlicher Interessen vom BfN identifizierten, erforderlichen Schutzzonen ge- lich sein, Vorgaben für andere Sektoren zu erlassen, um nehmigt (Deutscher Bundestag 2008, S. 5). einen negativen Einfluss zu verhindern und das Schutz- ziel zu erreichen. Während dies für auf nationaler Ebene In seiner Stellungnahme zum Vorhaben „OAM III“ vom geregelte Sektoren wie beispielsweise die Rohstoffgewin- 28. November 2003 wies das BfN darauf hin, dass das nung unproblematisch möglich wäre, können bereits für Projekt aus seiner Sicht durch den geplanten Abbau und die auf europäischer Ebene geregelten Nutzungen wie die die daraus folgende Zerstörung von Sandaalhabitaten Fischerei erhebliche Kompetenzkonflikte auftreten. unter anderem eine erhebliche Beeinträchtigung der Ansätze für Nutzungsbeschränkungen in Meeresschutz- Nahrungshabitate von Schweinswalen, Kegelrobben, gebieten weist die Raumordnung für die Nord- und Ost- Seehunden und Seevögeln darstelle (Erhaltungs- und Ent- see auf, die beispielsweise die Errichtung von Windparks wicklungsziele). In der vorgelegten Form sah das BfN in FFH- und Vogelschutzgebieten ausschließt (s. diese Belange als nicht ausreichend gewahrt an. Den Tz. 507 ff.). Überdies sollten aber die lediglich nachricht- Argumenten des BfN wurde im Planfeststellungsbe- lich in die Raumordnungspläne übernommenen FFH- und schluss vom 30. August 2004 weitgehend nicht gefolgt Vogelschutzgebiete eigene Gebietsfestlegungen erfahren. (Deutscher Bundestag 2008, S. 5). Problematisch ist nämlich insbesondere, dass es in den Die so genehmigten Rahmenbetriebspläne widersprechen nachrichtlich übernommenen Schutzgebieten zur Überla- europäischem Naturschutzrecht, selbst wenn in den zum gerung mit Vorrang- oder Vorbehaltsgebieten anderer Abbau berechtigenden Hauptbetriebsplänen nachträglich Nutzungen kommen kann (so bereits zur Entwurfsfassung naturschutzfachliche Auflagen erlassen wurden. Darüber der Raumordnungspläne UBA 2008b, S. 8–9). Nutzungen hinaus mangelt es sowohl auf nationaler als auch auf eu- in Meeresschutzgebieten, die die Erreichung des Schutz- ropäischer Ebene an hinreichender Transparenz über die ziels gefährden, sollten jedenfalls unterbleiben. Oftmals Verfahren. Offensichtlich stellt das Bundesberggesetz kann auch durch eine raum-zeitliche Nutzungssteuerung (BBergG) zudem kein geeignetes rechtliches Konfliktlö- oder -beschränkung der Konflikt von Nutzung und Schutz sungsprogramm bereit und sollte deshalb geändert wer- vermieden werden (Rücksichtnahme auf z. B. Fortpflan- den (s. Tz. 134). zungs- und Laichperioden, Nahrungs- oder Mauserge- biete) (MERCK 2011).

Management von Schutzgebieten als Schlüsselelement 8.5 Instrumente der Integration unterschied- hin zum guten Umweltzustand licher Interessen in den Meeresräumen 505. Deutschland verfügt über ein vollständiges Na- 506. Im folgenden Abschnitt wird auf die Frage einge- tura 2000-Netzwerk (s. Tz. 502). Dies stellt einen wichti- gangen, inwieweit die marine Raumordnung und das In- gen Schritt für die Erreichung der Ziele der MSRL dar, tegrierte Küstenzonenmanagement (IKZM) zu einem um- vorausgesetzt die Schutzgebiete werden effektiv gema- fassenden bzw. Sektor übergreifenden Meeresschutz nagt. Dafür muss es innerhalb von Schutzgebieten mög- beitragen können.

Tabelle 8-2

Kies- und Sandabbau in Natura 2000-Gebieten der ausschließlichen Wirtschaftszone der Nordsee

Vorhaben in der AWZ Konflikt mit Natura 2000 Bewilligung Rahmenbetriebsplan „Weiße Bank“ Vollständig innerhalb des FFH-Ge- Erteilt bis Zugelassen für 2 Teilfelder Abbau von Sand und Kies bietes „Sylter Außenriff“ 15.05.2051 à 60 km² „OAM III“ Vollständig innerhalb des FFH-Ge- Erteilt bis Zugelassen für 3 Teilfelder: Abbau von Sand und Kies bietes „Sylter Außenriff“; vollstän- 30.03.2039 100 km2 + 36 km² + 10 km² dig im Vogelschutzgebiet „Östliche (Sonderbetriebsfelder) Deutsche Bucht“ „BSK1“ Zum größten Teil innerhalb des Erteilt bis beantragt für 129 km² − 16 km² Abbau von Sand und Kies FFH-Gebietes „Sylter Außenriff“; 14.07.2033 (Kompensationsfeld) Vorkommen von 5 Arten, geschützt nach Anh I und IV FFH-Richtlinie „Nordsee 1“ Vorkommen von 6 Arten, geschützt k. A. 25 km² Genehmigungsverfahren nach Anh. II, V und IV FFH-Richt- ruht linie SRU/UG 2012/Tab. 8-2; Datenquelle: Deutscher Bundestag 2008, S. 5

291 Sektorübergreifender Meeresschutz

8.5.1 Marine Raumordnung litär etc., die künftig voraussichtlich noch zunehmen wer- den (s. Tz. 447 ff.). Daneben stehen Schutzansprüche in 507. Die Instrumente der Raumordnung sollen künftig Form von Schutzgebieten nach der FFH- und der Vogel- auch auf See eine geordnete Raumentwicklung und ein schutzrichtlinie. Das BMVBS hat für die AWZ in Nord- erfolgreiches Nebeneinander aller Interessen gewährleis- und Ostsee Ziele und Grundsätze der Raumordnung hin- ten, die soziale und wirtschaftliche Ansprüche an den sichtlich der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Nut- Meeresraum mit der Erhaltung seiner ökologischen Funk- zung, der Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit tionen in Einklang bringen. Mit der Novelle des Raum- der Seeschifffahrt sowie zum Schutz der Meeresumwelt ordnungsgesetzes (ROG) im Jahr 2004 wurde dem Bund als Raumordnungsplan festgelegt (Verordnungen des die Planungshoheit für die deutsche AWZ in Nord- und BMVBS über die Raumordnung in der deutschen aus- Ostsee zugewiesen, sodass dieser erstmalig die Aufgabe schließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee vom einer konkreten räumlichen maritimen Gesamtplanung 21. September 2009 bzw. in der Ostsee vom 10. Dezem- erhielt. Mögliche Konflikte zwischen unterschiedlichen ber 2009). Der Raumordnungsplan für die Nordsee (AWZ Nutzungsansprüchen sollen so bereits im Vorfeld – durch Nordsee-ROV) ist am 26. September 2009 und der für die die Beachtung von wirtschaftlichen Interessen einerseits Ostsee (AWZ Ostsee-ROV) am 19. Dezember 2009 in und Belangen des Meeresschutzes andererseits – ent- Kraft getreten (Abb. 8-3 und 8-4). schärft werden. Für die beiden Raumordnungspläne wurden die folgen- Raumordnung in der deutschen ausschließlichen den fünf Leitlinien formuliert: Wirtschaftszone – Sicherung und Stärkung des Schiffsverkehrs 508. Deutschland hat als erster Mitgliedstaat der EU – Stärkung der Wirtschaftskraft durch geordnete Raum- Raumordnungspläne für die AWZ aufgestellt. Die AWZ entwicklung und Optimierung der Flächennutzung umfasst das Gebiet im Bereich zwischen 12 und 200 See- meilen jenseits der Küstenlinie. In diesem Bereich existie- – Förderung der Offshore-Windenergienutzung entspre- ren vielfältige Nutzungsansprüche durch Schifffahrt, chend der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregie- Fischerei, Windenergieerzeugung, Meeresforschung, Mi- rung

Abbildung 8-3

Raumordnungspläne für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone in der Nordsee

Quelle: BSH 2011

292 Instrumente der Integration unterschiedlicher Interessen

Abbildung 8-4

Raumordnungspläne für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone in der Ostsee

Quelle: BSH 2011

– Langfristige Sicherung und Nutzung der besonderen ausgewiesen (vgl. Abb. 8-4 und 8-5). Diese bilden das Eigenschaften und Potenziale der AWZ Grundgerüst der Raumordnungspläne. Da die Schifffahrt nach internationalem Recht eine garantierte Freiheit – Sicherung der natürlichen Lebensgrundlage durch die genießt (Artikel 58 SRÜ, s. a. Tz. 450), handelt es sich Vermeidung von Störungen und Verschmutzungen der bei dieser Maßnahme lediglich um eine zusätzliche Si- Meeresumwelt. cherung der Belange der Schifffahrt. Die Windenergie- nutzung wurde in den Hauptschifffahrtsrouten und deren Wirkung der Raumordnung unmittelbarer Nähe ausgeschlossen. Die Raumordnungs- pläne haben damit zwar einen wesentlichen Beitrag zur 509. Wesentliches Instrument der Raumordnung ist die Lösung des Konflikts zwischen Seeschifffahrt und Off- Festlegung der Raumstruktur nach § 8 ROG. Dazu zählt shore-Windenergienutzung geleistet, sie entfalten jedoch neben Zielen und Grundsätzen der Raumordnung auch keine steuernde Wirkung auf den Schifffahrtssektor, der die Festlegung von Vorrang-, Vorbehalts- und Eignungs- weiterhin klaren Vorrang gegenüber anderen Nutzungsan- gebieten (§ 8 Absatz 7 ROG). In Vorranggebieten wird sprüchen genießt (NOLTE 2010). Neben Vorbehaltsge- einer Nutzung gegenüber anderen ein Vorrang einge- bieten für die Schifffahrt wurden auch solche für Rohrlei- räumt. Andere Nutzungen sind ausgeschlossen, sofern sie tungen und die Forschung festgelegt. mit den vorrangigen Nutzungen nicht vereinbar sind. In Vorbehaltsgebieten wird bestimmten Nutzungen bei der Weitere Vorranggebiete betreffen die Windenergienut- Abwägung mit konkurrierenden Nutzungen ein besonde- zung. Festgelegt wurden in der Nordsee drei Vorrangge- res Gewicht beigemessen. Konkurrierende Nutzungen biete mit einer Ausdehnung von 880 km2 und in der Ost- sind somit nicht per se ausgeschlossen. Somit fehlt Vor- see zwei Vorranggebiete mit einer Ausdehnung von behaltsgebieten das Ausschlusskriterium. Eignungsge- 130 km2. Zu diesen zählen auch die bereits 2005 ausge- biete weisen Gebiete aus, die für bestimmte Nutzung be- wiesenen Eignungsgebiete, die auf diesem Weg zu Vor- sonders geeignet sind und können solche Nutzungen an ranggebieten wurden. Im Unterschied zum Eignungsge- anderer Stelle im Planungsraum ausschließen. biet schließen die Vorranggebiete die Errichtung einer Anlage außerhalb der selbigen aber in keiner Weise aus. 510. Die wesentlichen Schifffahrtsrouten wurden in den Deshalb besitzen sie nur eine sehr geringe konzentrie- Raumordnungsplänen als Vorrang- und Vorbehaltsgebiete rende bzw. lenkende Wirkung (ERBGUTH 2011). Fest-

293 Sektorübergreifender Meeresschutz gelegt wurde für die Windenergienutzung, dass die Na- Rahmen der Raumordnung getroffen. Ähnliches gilt auch benhöhe einer Anlage 125 m nicht überschreiten darf, die für die Rohstoffnutzung, die lediglich aufgefordert Anlagen nach Ende der Betriebszeit zurückzubauen sind wurde, auf vorhandene Rohrleitungen und Seekabel ge- und dass bei Maßnahmen der Energiegewinnung auf vor- bührend Rücksicht zu nehmen, zu diesen beim Aufsuchen handene Rohrleitungen und Seekabel Rücksicht genom- und Gewinnen von Rohstoffen einen angemessenen Ab- men werden muss. Die lenkende Wirkung außerhalb der stand einzuhalten und die Sicherheit und Leichtigkeit des Vorranggebiete beschränkt sich darauf, Natura 2000-Ge- Seeverkehrs nicht zu beeinträchtigen. Des Weiteren sind biete von der Errichtung von Offshore-Windenergieanla- bei der Standortwahl bekannte Fundstellen von Kulturgü- gen auszunehmen. tern zu berücksichtigen. Um nachteilige Auswirkungen auf die Meeresumwelt zu vermeiden, soll die beste Um- 511. Ein von verschiedenen Seiten formulierter Kritik- weltpraxis, wie sie von der OSPAR-Kommission und punkt an den deutschen Raumordnungsplänen betrifft die HELCOM für verschiedene, die Meere betreffende Akti- besondere Gewichtung der Windenergienutzung auf See, vitäten veröffentlicht wurden, berücksichtigt werden die eine bestimmte Form der Meeresnutzung in den Vor- (AWZ Nordsee-ROV, Anlage Nr. 3). dergrund rückt. Dies wirkt einem Ausbalancieren der Nutzungsinteressen untereinander und mit den Belangen 514. Kritisiert wurde, dass die Raumordnungspläne des Meeresschutzes entgegen (ERBGUTH 2011). Eine zum Schutz der Meeresumwelt lediglich Grundsätze, aber geordnete Entwicklung der Windenergienutzung auf See keine Ziele festlegen. Überdies wurde aus umweltplaneri- einschließlich der erforderlichen Kabelanbindung könnte scher Sicht kritisch bewertet, dass die Meeresschutzge- wie vom SRU vorgeschlagen dadurch gefördert werden, biete nur nachrichtlich in die Raumordnungspläne aufge- dass die Windenergieanlagen staatlich ausgeschrieben nommen wurden. Stattdessen hätten sie auch als werden (SRU 2011b, Tz. 468). Im Hinblick auf die Kabel- Raumordnungsgebiete gesichert und entsprechend gleich- anbindung der Offshore-Windparks ist ergänzend auf das berechtigt mit anderen Nutzungsansprüchen und Raum- neue Instrument des Offshore-Netzplans hinzuweisen. Er ordnungsgebieten behandelt werden können (s. Tz. 503). wurde durch die Novelle des § 17 Absatz 2a Energiewirt- Zwar könnte man annehmen, dass mit den bestehenden schaftsgesetz (EnWG) vom Sommer 2011 im Rahmen internationalen und nationalen Schutzkategorien ein aus- des sogenannten Energiepakets eingeführt. Danach er- reichender Schutz gegeben ist, allerdings wird dieser un- stellt das BSH im Einvernehmen mit der Bundesnetz- ter anderem dadurch eingeschränkt, dass die Gebiete teil- agentur und in Abstimmung mit dem BfN und den Küs- weise sehr groß und in ihnen andere Nutzungen tenländern jährlich einen Offshore-Netzplan für die AWZ zugelassen sind (UBA 2008b). der Bundesrepublik Deutschland. In diesem werden die Offshore-Anlagen identifiziert, die für eine Sammelan- bindung geeignet sind. § 17 Absatz 2a EnWG legt da- Steuerungspotenziale der Raumordnung ausbauen rüber hinaus fest, dass der Offshore-Netzplan auch die 515. Aufgrund der zahlreichen wachsenden Nutzungs- Festlegung der notwendigen Trassen für die Anbindungs- ansprüche, die in zunehmendem Maße in Konflikt mit leitungen, Standorte für die Konverterplattformen und dem Meeresschutz treten, ist es zu begrüßen, dass grenzüberschreitende Stromleitungen enthält sowie Dar- Deutschland als erster EU-Mitgliedstaat eine Raumord- stellungen zu möglichen Verbindungen untereinander, die nung in der AWZ auf den Weg gebracht hat. Diese ist aus zur Gewährleistung der Systemsicherheit beitragen kön- Sicht des SRU vor allem dann sinnvoll, wenn dadurch nen und mit einem effizienten Netzausbau vereinbar sind. Raumnutzungen, die die Meeresumwelt beeinträchtigen, 512. Die Fischerei wird in den deutschen Raum- verhindert, verlagert oder durch Auflagen eingegrenzt ordungsplänen als traditioneller Wirtschaftszweig be- werden können. Wesentliche Instrumente in diesem Zu- schrieben, der in den heimischen Meeren schon seit Jahr- sammenhang sind Vorrang- und Vorbehaltsgebiete. hunderten betrieben wird. In den Plänen wird darauf hingewiesen, dass Gebietsfestlegungen, die die Fischerei Gegenwärtig erfolgt die Raumordnung in der AWZ je- beschränken, aufgrund der ausschließlichen Regelungs- doch vor allem nachvollziehend – sie bildet die vorhande- kompetenz der EU für diesen Sektor nicht vorgesehen nen sektoralen Interessen ab, entfaltet aber kaum Steue- sind (SCHUBERT 2009, S. 841). Hingewiesen wird le- rungswirkung, um die Auswirkungen der menschlichen diglich darauf, dass bei Nutzungen wie Rohstoffgewin- Aktivitäten auf das Ökosystem zu mindern und mit den nung, der Streckenlegung von Rohrleitungen und Seeka- vielfältigen Nutzungsansprüchen zu vereinbaren. Ein Ab- beln sowie der Energienutzungen die Belange der gleich der Nutzerinteressen mit den Erfordernissen des Fischerei besonders zu berücksichtigen sind. Die Fische- Meeresschutzes findet nicht im erforderlichen Umfang rei wiederum wird aufgefordert, die in den Meeren lie- statt. Notwendig wäre eine umfassende, abwägende und genden Kulturgüter wie Schiffswracks zu berücksichtigen vorausschauende raumordnerische Planung mit einer (AWZ Nordsee-ROV, Anlage Nr. 3.6.1). entsprechenden Steuerungswirkung (AHLKE und WAGNER 2004). Dabei sollten der Meeresschutz und an- 513. Für militärische Nutzungen erfolgen keine Be- dere Nutzungsinteressen gleichwertig behandelt werden. schränkungen durch die Raumordnung. Die bestehenden Insbesondere die Ausweisung von Vorrang- und Vorbe- militärischen Übungsgebiete wurden lediglich nachricht- haltsgebieten sollte vorausschauend mit dem Ziel erfol- lich in die Raumordungspläne übernommen. Hinsichtlich gen, Eingriffe in marine Lebensräume soweit wie mög- Freizeit und Tourismus wurden keinerlei Regelungen im lich zu minimieren.

294 Instrumente der Integration unterschiedlicher Interessen

Internationale Abstimmung und europäische 8.5.2 Integriertes Küstenzonenmanagement Initiativen 517. Das Integrierte Küstenzonenmanagement (IKZM) 516. Viele der Nutzungen vor den Küsten sind inter- ist ein Konzept für die nachhaltige Entwicklung des Küs- national geprägt. Um eine Abstimmung der Nutzungs- tenbereichs. Es ist als Dialogprozess zu verstehen, der aktivitäten in den unterschiedlichen Meeresgebieten der dazu beitragen soll, ein Gleichgewicht zwischen den Vor- Mitgliedstaaten zu ermöglichen, ist eine regionale Zu- teilen der wirtschaftlichen Entwicklung und der Nutzung sammenarbeit im Bereich der maritimen Raumordnung der Küstengebiete durch die Menschen einerseits und den wünschenswert. Auf europäischer Ebene gibt es hierzu Vorteilen des Schutzes, der Erhaltung und der Wiederher- bereits erste Initiativen. stellung der Küstengebiete anderseits herzustellen (Euro- päische Kommission 2007b). Dabei stehen Integration, Auch in ihrem Grün- und Blaubuch zur europäischen Koordination, Kommunikation und Partizipation im Vor- Meerespolitik spricht sich die Europäische Kommission dergrund. Zu den IKZM-Prinzipien gehören eine wis- für die Raumplanung als wichtiges Instrument im Um- sensbasierte Planung, eine langfristige und Sektor über- gang mit den Meeren aus und fordert die Mitgliedstaaten greifende Perspektive, die aktive Einbeziehung aller auf, eigene Raumplanungen für ihre Meeresgebiete zu Akteure und die Berücksichtigung sowohl der marinen entwickeln (Europäische Kommission 2007a; als auch der terrestrischen Komponente der Küsten (Eu- Tz. 457 ff.). Daran anknüpfend veröffentlichte die Euro- ropäisches Parlament und Rat der Europäischen Union päische Kommission im Jahr 2008 einen Fahrplan für die 2002). maritime Raumordnung (Europäische Kommission 2008). Dieser zielt darauf ab, die Entwicklung von mariti- 518. In Deutschland wurde die nationale Strategie für men Raumordnungen in den Mitgliedstaaten voranzutrei- ein IKZM im Jahr 2006 verabschiedet (BMU 2006). Die ben und die Diskussion zu einem gemeinsamen Ansatz Initiative geht zurück auf eine Empfehlung des Europäi- anzuregen. Die Europäische Kommission erkennt aus- schen Parlamentes und des Europäischen Rates aus dem drücklich die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten bei der Jahr 2002 zur Umsetzung einer Strategie für ein integrier- Umsetzung von Raumordnungen an, gleichwohl sieht sie tes Management der Küstengebiete in Europa (Europäi- auch Bedarf für Vorgaben auf europäischer Ebene sches Parlament und Rat der Europäischen Union 2002). (SCHUBERT 2009). Erwartet wird, dass die genannten Aus der nationalen IKZM-Strategie wird jedoch kaum Initiativen der Europäischen Kommission in einen Vor- deutlich, was das IKZM eigentlich bezweckt. Sie be- schlag für eine europäische Raumordnungsrichtlinie schränkt sich vielmehr weitestgehend auf eine umfas- münden werden (ERBGUTH 2012, S. 86), auch wenn sende Darstellung der die Meere und Küsten betreffenden nach eigener Einschätzung der Europäischen Kommis- Rechtsbereiche und Wirtschaftsinteressen. In der Strate- sion das Subsidiaritätsprinzip die Einflussnahme der EU gie wird IKZM als ein informeller und damit freiwilliger begrenzt. Handelt es sich allerdings um Regelungen mit Ansatz beschrieben, der durch gute Integration, Koordi- einem Schwerpunkt im Umweltschutz, besitzt die EU nation, Kommunikation und Partizipation aller Akteure durchaus eine beschränkte Raumordnungskompetenz eine nachhaltige Entwicklung des Küstenbereiches unter- (Einstimmigkeit erforderlich) (CALLIESS/RUFFERT stützen will (BMU 2006, S. 4). Auch die an der Küste ge- 2011, Artikel 192 Rn. 30). Somit wären mit Hinblick auf legenen Bundesländer haben inzwischen regionale den Meeresschutz europarechtlich auch raumordnerische IKZM-Strategien entwickelt, wobei sie sowohl die Inte- Vorgaben denkbar, auch wenn für deren Realisierung gration von Zielen als auch die Integration der für die Er- auch Hürden bestehen. Bislang strebt die Europäische reichung dieser Ziele erforderlichen Instrumente, Politik- Kommission aber an, eine moderierende und impulsge- bereiche und Verwaltungsebenen anstreben. bende Rolle einzunehmen, um zur Kohärenz der Raum- ordnung in den Mitgliedstaaten beizutragen (ERBGUTH 519. Das IKZM kann durchaus dazu beitragen, lokale 2011, S. 211; SCHUBERT 2009, S. 838; Europäische Lösungen für die Erhaltung und den Schutz der Küsten zu Kommission 2008, S. 3; 2010b). entwickeln. Dabei handelt es sich um ein weiches, auf die Überzeugung der Akteure ausgerichtetes Instrument, das Insbesondere da die EU-Mitgliedstaaten bisher nicht dazu auf kleine Küstenräume angewendet werden kann verpflichtet sind, Raumordnungspläne aufzustellen, fol- (AHLKE und WAGNER 2004). Es ist jedoch kein eigen- gen die aktuellen Entwicklungen in den Mitgliedstaaten ständiges formales Planungs- und Entscheidungsinstru- noch unterschiedlichen Pfaden und Zeitplänen. Die ment. Die wirtschaftlichen Interessen werden von einer grenzüberschreitende Kooperation in der Raumordnung Vielzahl von Akteuren und Sektoren vertreten, die mit wird für Deutschland dadurch erschwert, dass sich Syste- den Küsten in keinem engen räumlichen Kontext stehen matik und Vollzug von Raumordnung und -planung stark und die über Dialogprozesse nicht wirksam steuerbar von Ansätzen in anderen europäischen Staaten, soweit sind. Somit hat das IKZM aufgrund seines schwachen in- diese überhaupt vorliegen, unterscheiden. Erste Projekte, stitutionellen und strategischen Rahmens und seiner wie zum Beispiel BaltSeaPlan (2012), beschäftigen sich räumlichen Begrenztheit keinen Einfluss auf wesentliche, bereits mit der regionalen Abstimmung von raumordnen- die Meere betreffende Sektoren und Politiken. Zudem der Steuerung auf See. Ein kohärenter europäischer Rah- verfügen die lokalen Initiativen oftmals nicht über ange- men für die maritime Raumordnung wäre zweifelsohne messene Ressourcen und administrative Strukturen, um begrüßenswert. Die Europäische Kommission sollte für das IKZM umzusetzen. Derzeit fehlen darüber hinaus diesen Prozess eine moderierende Funktion übernehmen. diejenigen personellen Ressourcen, die mit dem IKZM

295 Sektorübergreifender Meeresschutz beauftragt sind, bei der Umsetzung der MSRL. Der Außerdem sind die inhaltlichen Vorgaben der MSRL oft- MSRL kommt aufgrund ihrer Verbindlichkeit, Maßnah- mals sehr vage formuliert. Darüber hinaus sind die Maß- menprogramme zu erstellen, und wegen ihres umfassen- nahmen und Handlungsleitlinien, die im Rahmen der den Meeresschutzansatzes eine deutlich höhere Bedeu- internationalen Konventionen zum regionalen Meeres- tung zu. Deshalb muss dringend darauf geachtet werden, schutz erarbeitet wurden, nur sehr unzureichend in die den Fokus auf die Umsetzung der MSRL und nicht auf MSRL eingeflossen. die der IKZM-Strategie zu legen. Bereits die ersten Schritte der Umsetzung der MSRL bzw. die Beschreibung des Umweltzustands, die Festlegung ei- 8.6 Zusammenfassung der Empfehlungen nes guten Umweltzustands und die Zielsetzung sind auch 520. Der Schutz und die nachhaltige Nutzung der hei- aufgrund des sehr engen Zeitplans sehr voraussetzungs- mischen Meere bleiben eine große Herausforderung. Ins- voll. Als problematisch könnte sich in Zukunft die An- besondere die Einbindung aller potenziellen Verursacher wendung von möglichen Ausnahmeregelungen in der von Schäden, an erster Stelle zu nennen Landwirtschaft, Richtlinie erweisen. Nichtsdestotrotz gilt es derzeit, die Fischerei, Rohstoffgewinnung und Seeschifffahrt, in den Chancen, die mit der MSRL verbunden sind, zu nutzen, Meeresschutz gestaltet sich schwierig. Ohne diese Ein- um den Meeresschutz auf nationaler und europäischer bindung wird es aber nicht gelingen, die Belastungen der Ebene weiter voranzubringen. Meeresschutzgebiete und Meere signifikant zu mindern. Deshalb ist es dringend er- – unter bestimmten Bedingungen – auch die Raumord- forderlich, neben einer konsequenten Umsetzung der nung können hierfür wichtige Instrumente sein. Für eine MSRL auch die relevanten Sektorpolitiken in Bezug auf erfolgreiche Umsetzung der MSRL und für eine Stärkung den Meeresschutz weiterzuentwickeln. Die Grundbedin- des Meeresschutzes empfiehlt der SRU der Bundesregie- gung für eine nachhaltige Nutzung der Meere ist ein am- rung folgende Punkte zu berücksichtigen: bitionierter Schutzansatz, der alle verantwortlichen Sek- – Um dringende Probleme im Meeresschutz zu lösen, ist toren einbezieht. es erforderlich, sich auf europäischer Ebene für wei- So kann beispielsweise der Schutz von Nord- und Ostsee tergehende Reformen in den relevanten Sektorpoliti- nur gelingen, wenn auch die GAP und GFP im Sinne des ken, insbesondere der GFP und der GAP, einzusetzen. Meeresschutzes reformiert werden. Vorschläge hierzu Im Hinblick auf die Seeschifffahrt bedarf es der Wei- wurden vom SRU erst in jüngster Zeit veröffentlicht. Für terentwicklung von Umweltstandards primär auf euro- die Seeschifffahrt sind weitere Schritte auf europäischer päischer und regionaler/internationaler Ebene. Ein und internationaler Ebene, insbesondere durch eine wei- Weg, um eine systematische Verankerung des Meeres- tere Anhebung bzw. die Schaffung von anspruchsvollen schutzes in den relevanten Sektorpolitiken anzusto- Umweltstandstandards – beispielsweise für Luftschad- ßen, ist die Festlegung von ambitionierten Zielen bei stoffemissionen – im Rahmen der Arbeit der IMO, erfor- der Umsetzung der MSRL und deren Integration in die derlich. europäische Meerespolitik. Es ist aus Sicht des SRU derzeit nicht erkennbar, dass die – Bei der Umsetzung der MSRL in Nord- und Ostsee Initiativen für eine europäische beziehungsweise natio- kommt den Arbeiten, die im Rahmen von OSPAR- nale Meerespolitik einen substanziellen Beitrag zu einer und Helsinki-Übereinkommen durchgeführt wurden, besseren Integration der die Meere betreffenden Sektor- eine besondere Bedeutung zu. Zum einen liefern sie politiken in den Meeresschutz leisten. Sowohl der euro- eine wissenschaftlich gut begründete Basis insbeson- päische als auch der deutsche Ansatz beschränken sich dere hinsichtlich Daten, Bewertungen und Zielen, auf lediglich darauf, bestehende Aktivitäten zusammenzufas- die aufgebaut werden kann. Zum anderen bestehen sen und Konzepte für ein besseres Zusammenführen und hier bereits Kooperationen zwischen den Anrainer- Bereitstellen von Daten anzuregen. staaten der beiden Meeresregionen, die für die Umset- zung der MSRL genutzt werden sollten. Außerdem Derzeit steht die Umsetzung der MSRL im Zentrum des sollten die zahlreichen Ziele und Maßnahmen, auf die Handelns. Sie ist aufgrund ihres umfassenden und in Tei- man sich im Rahmen der regionalen Meeresschutz- len integrativen Ansatzes ein wesentlicher Baustein des konventionen bereits geeinigt hat, soweit wie möglich europäischen Meeresschutzes. Allerdings weist sie auch in die nationale Umsetzung der MSRL einfließen. deutliche Schwächen auf. Insbesondere die Adressierung der bereits genannten, für den Meeresschutz relevanten – Es ist dringend erforderlich, den Umsetzungsprozess Sektoren und Politiken gelingt mit dieser Rahmenrichtli- der MSRL zu stärken. Dafür ist es unumgänglich, die nie nicht ausreichend. Eine Chance, der MSRL mehr Ein- personellen Ressourcen, die für diesen arbeitsintensi- fluss auf die sonstigen für die Meere relevanten Politiken ven Prozess erforderlich sind, bereitzustellen. Dies be- zuzusprechen, ist die Aufnahme der im Rahmen der trifft zum Beispiel auch die Abstimmung mit der Um- MSRL-Umsetzung vereinbarten Ziele in die europäische setzung der WRRL. Aufgrund des umfassenden Meerespolitik. Ziel sollte es sein, über diesen Weg die Ansatzes der MSRL und der vagen Vorgaben für die Sektorpolitiken zu verpflichten, bei ihrer Weiterentwick- Umsetzung ist eine engagierte Mitarbeit bei der Ko- lung die Ziele zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung ordination der Umsetzung auf europäischer Ebene der Meere uneingeschränkt zu berücksichtigen. Dabei dringend geraten. Bei dem in Deutschland institutio- sollte auch die GAP, die bisher nicht in die maritime Poli- nell ohnehin sehr schwach verankerten Meeresschutz tik integriert wurde, mit einbezogen werden. ist es gänzlich unangemessen, dass für die Umsetzung

296 Zusammenfassung der Empfehlungen

dieser Richtlinie keine zusätzlichen Ressourcen zur BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Verfügung gestellt werden. Außerdem ist zu überle- Reaktorsicherheit) (2008): Nationale Strategie für die gen, wie die Funktionen der Meere insbesondere als nachhaltige Nutzung und den Schutz der Meere. Vom wichtige Natur-, Erholungs- und Wirtschaftsräume Bundeskabinett gebilligt am 1.10.2008. Berlin: BMU. stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden BMU (2007): Nationale Strategie zur biologischen Viel- können. Zu prüfen wäre beispielsweise die Einrich- falt, vom Bundeskabinett am 7. November 2007 be- tung eines Meeresbundesamts. schlossen. Berlin: BMU. http://www.bmu.de/files/pdfs/ – Das Erreichen der Schutzziele der Meeresschutzge- allgemein/application/pdf/gesentwurf_biovielfalt.pdf. biete in der AWZ hängt stark von der Erstellung hin- reichend verbindlicher und effektiver Management- BMU (2006): Integriertes Küstenzonenmanagement in pläne ab. Es sollten großflächige, zusammenhängende Deutschland. Bestandsaufnahme und Schritte zu einer na- tionalen IKZM-Strategie. Bonn: BMU. Nullnutzungszonen innerhalb der Schutzgebiete zur Schaffung repräsentativer Referenzgebiete unter ande- BMVBS (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt- rem für die Umsetzung der MSRL eingerichtet wer- entwicklung) (2011): Entwicklungsplan Meer – Strategie den. In den FFH- und Vogelschutzgebieten der deut- für eine integrierte deutsche Meerespolitik. Berlin: schen AWZ sollten Fischereiaktivitäten nur erfolgen, BMVBS. wenn sie nicht im Konflikt mit dem Schutzziel des Gebietes stehen und dann ausschließlich umweltscho- BSH (Bundesanstalt für Seeschifffahrt und Hydrogra- nende Fangtechniken zum Einsatz kommen. Schutz- phie) (2011): CONTIS-Informationssystem. Hamburg: gebiete und ihre Ziele müssen regelmäßig auf der BSH. http://www.bsh.de/de/Meeresnutzung/Wirtschaft/ Basis eines umfassenden Monitorings auf ihre Wirk- CONTIS-Informationssystem/index.jsp (26.10.2011). samkeit überprüft werden. Bund/Länder-Messprogramm (2011a): Umsetzung der – Aufgrund der zahlreichen und zum Teil zunehmenden Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – RICHTLINIE 2008/ Nutzungsansprüche an die heimischen Meere ist es zu 56/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maß- begrüßen, dass in Deutschland bereits Raumordnungs- nahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt pläne für die AWZ von Nord- und Ostsee verabschie- (Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie): Entwurf. Anfangs- det wurden. Bisher haben diese Pläne aber noch sehr bewertung der deutschen Nordsee nach Artikel 8 Meeres- stark einen den Ist-Zustand beschreibenden und nach- strategie-Rahmenrichtlinie. Hamburg: Bund/Länder- vollziehenden Charakter. Erforderlich ist es deshalb, Messprogramm. http://www.meeresschutz.info/index. die raumordnerische Planung in Richtung eines um- php/berichte.html?file=tl_files/meeresschutz/berichte/ fassenden, abwägenden und vorausschauenden Instru- Anfangsbewertung_Nordsee.pdf (22.02.2012). ments weiterzuentwickeln und die steuernde Wirkung Bund/Länder-Messprogramm (2011b): Umsetzung der für zukünftige Aktivitäten in den Meeresräumen deut- Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – RICHTLINIE 2008/ lich zu verbessern. Dabei sollten der Meeresschutz 56/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maß- und andere Nutzungsinteressen gleichwertig behandelt nahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt werden. Die Europäische Kommission kann für die (Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie): Entwurf. Anfangs- Schaffung einer kohärenten europäischen Raumord- bewertung der deutschen Ostsee nach Artikel 8 Meeres- nung wichtige Impulse liefern. strategie-Rahmenrichtlinie. Hamburg: Bund/Länder- Messprogramm. http://www.meeresschutz.info/index. 8.7 Literatur php/berichte.html?file=tl_files/meeresschutz/berichte/ Anfangsbewertung_Ostsee.pdf (22.02.2012). Ahlke, B., Wagner, G. (2004): Raumordnung auf dem Meer. Informationen zur Raumentwicklung 2004 (7–8), Bund/Länder-Messprogramm (2011c): Umsetzung der S. I–V. Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – RICHTLINIE 2008/ 56/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maß- Anianova, E. (2006): The International Maritme Organi- nahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt zation (IMO) – Tanker or Speedboat? In: Ehlers, P., (Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie): Entwurf. Beschrei- Lagoni, R. (Hrsg.): International Maritime Organisations bung eines guten Umweltzustands für die deutsche Nord- and their Contribution towards a Sustainable Marine see nach Artikel 9 Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Development. Münster: Lit. Schriften zum See- und Ha- Hamburg: Bund/Länder-Messprogramm. http://www. fenrecht 12, S. 77–104. meeresschutz.info/index.php/berichte.html?file=tl_files/ BaltSeaPlan (2012): BaltSeaPlan: Planning the future of meeresschutz/berichte/GES_Nordsee.pdf (22.02.2012). the Baltic Sea. Hamburg, Berlin: Bundesamt für See- Bund/Länder-Messprogramm (2011d): Umsetzung der schifffahrt und Hydrographie, s.Pro sustainable projects Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – RICHTLINIE 2008/ GmbH. http://www.baltseaplan.eu/ (23.02.2012). 56/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maß- BfN (Bundesamt für Naturschutz) (2011): Habitat Mare nahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt aktiv für die marine Lebensvielfalt: Schutzgebiete – (Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie): Entwurf. Beschrei- Übersicht und Kurzfakten. Bonn: BfN. http://www. bung eines guten Umweltzustands für die deutsche Ostsee bfn.de/habitatmare/de/schutzgebiete-uebersicht.php nach Artikel 9 Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Ham- (14.10.2011). burg: Bund/Länder-Messprogramm. http://www. meeres

297 Sektorübergreifender Meeresschutz schutz.info/index.php/berichte.html?ile=tl_files/meeres Beurteilung. Umwelt- und Planungsrecht 31 (6), schutz/berichte/GES_Ostsee.pdf (22.02.2012). S. 207–211. Bund/Länder-Messprogramm (2011e): Umsetzung der Europäische Kommission (2011a): Informal Meeting of Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – RICHTLINIE 2008/ Water and Marine Directors of the European Union, Can- 56/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maß- didate and EFTA Countries. Budapest, 26–27 May 2011. nahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt Final Synthesis. Brüssel: Europäische Kommission. http:// (Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie): Entwurf. Festle- ec.europa.eu/environment/water/ marine/pdf/minutes_26- gung von Umweltzielen für die deutsche Nordsee nach 27_may_2011.pdf (22.02.2012). Artikel 10 Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Hamburg: Europäische Kommission (2011b): Marine Strategy Bund/Länder-Messprogramm. http://www.meeresschutz. Framework Directive – Implementation of the directive. info/index.php/berichte.html?file=tl_files/meeresschutz/ Brüssel: Europäische Kommission. http://ec.europa.eu/ berichte/Umweltziele_Nordsee.pdf (22.02.2012). environment/water/marine/implementation_en.htm Bund/Länder-Messprogramm (2011f): Umsetzung der (22.02.2012). Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – RICHTLINIE 2008/ Europäische Kommission (2011c): Mitteilung der Kom- 56/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maß- mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- nahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den (Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie): Entwurf. Festle- Ausschuss der Regionen. Lebensversicherung und Natur- gung von Umweltzielen für die deutsche Ostsee nach Ar- kaptial: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr tikel 10 Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Hamburg: 2020. KOM(2011) 244 endg. Brüssel: Europäische Kom- Bund/Länder-Messprogramm. http://www.meeresschutz. mission. info/index.php/berichte.html?file=tl_files/meeresschutz/ berichte/Umweltziele_Ostsee.pdf (11.11.2011). Europäische Kommission (2010a): Beschluss der Kom- mission vom 1. September 2010 über Kriterien und me- Calliess, C., Ruffert, M. (2011): EUV/AEUV. Das Verfas- thodische Standards zur Festsstellung des guten Umwelt- sungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer zustands von Meeresgewässern. K(2010) 5956. Brüssel: Grundrechtecharta. Kommentar. 4. Aufl. München: Beck. Europäische Kommission. Deutscher Bundestag (2011a): Antwort der Bundesregie- Europäische Kommission (2010b): Mitteilung der Kom- rung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten mission an das Europäische Parlament, den Rat, den euro- Dr. Valerie Wilms, Undine Kurth (Quedlinburg), päischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Aus- Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion schuss der Regionen. Maritime Raumordnung in der EU – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Drucksache 17/4514. Um- Aktueller Stand und Ausblick. KOM(2010) 771 endg. setzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Berlin: Brüssel: Europäische Kommission. Deutscher Bundestag. Bundestagsdrucksache 17/4765. Europäische Kommission (2009): Mitteilung der Kom- Deutscher Bundestag (2011b): Unterrichtung durch die mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- Bundesregierung. Zweiter Bericht der Bundesregierung ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der ma- Ausschuss der Regionen. Strategische Ziele und Empfeh- ritimen Wirtschaft in Deutschland. Berlin: Deutscher lungen für die Seeverkehrspolitik der EU bis 2018. Bundestag. Bundestagsdrucksache 17/5572. KOM(2009) 8 endg. Brüssel: Europäische Kommission. Deutscher Bundestag (2010): Antwort der Bundesregie- Europäische Kommission (2008): Mitteilung der Kom- rung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten mission. Fahrplan für die maritime Raumordnung. Ausar- Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, wei- beitung gemeinsamer Grundsätze in der EU. terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE KOM(2008) 791 endg. Brüssel: Europäische Kommis- GRÜNEN. Bundestagsdrucksache 17/1892. Gefahren der sion. Ölförderung in deutschen und europäischen Meeren. Berlin: Europäische Kommission (2007a): Mitteilung der Kom- Deutscher Bundestag. Bundestagsdrucksache 17/2208. mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- Deutscher Bundestag (2008): Antwort der Bundesregie- ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den rung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Undine Ausschuss der Regionen. Eine integrierte Meerespolitik Kurth (Quedlinburg), Rainder Steenblock, Nicole für die Europäische Union. KOM(2007) 575 endg. Brüs- Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- sel: Europäische Kommission. NIS 90/DIE GRÜNEN. Bundestagsdrucksache 16/7596. Europäische Kommission (2007b): Mitteilung der Kom- Abbau von Bodenschätzen in deutschen Meeresgewäs- mission. Bericht an das Europäische Parlament und den sern. Berlin: Deutscher Bundestag. Bundestagsdrucksa- Rat. Bewertung des integrierten Küstenzonenmanage- che 16/7911. ments (IKZM) in Europa. KOM(2007) 308 endg. Brüs- Erbguth, W. (2012): Europarechtliche Vorgaben für eine sel: Europäische Kommission. maritime Raumordnung: Empfehlungen. Natur und Recht Europäische Kommission (2006): Grünbuch. Die künf- 34 (2), S. 85–91. tige Meerespolitik der EU: Eine europäische Vision für Erbguth, W. (2011): Raumordnungspläne für deutsche Ozeane und Meere. KOM(2006) 275 endg. Brüssel: Ausschließliche Wirtschaftszone. Inhalte und rechtliche Europäische Kommission.

298 Literatur

Europäische Kommission (2005): Mitteilung der Kom- HELCOM (o. J. b): Review of the ecological targets for mission an den Rat und das europäische Parlament. The- eutrophication of the HELCOM BSAP (HELCOM matische Strategie für den Schutz und die Erhaltung der TARGREV) (2010-2011). Helsinki: HELCOM. http:// Meeresumwelt. KOM(2005) 504 endg. Brüssel: Europäi- www.helcom.fi/projects/on_going/en_GB/targrev/ sche Kommission. (22.02.2012). Europäische Kommission – Generaldirektion Umwelt HELCOM, OSPAR Commission (2003): First Joint (2012): A Marine Strategy Directive to save Europe's seas Ministerial Meeting of the Helsinki and OSPAR Commis- sions (JMM), Bremen: 25–26 June 2003. Statement on and oceans. Brüssel: Europäische Kommission. http:// the Ecosystem Approach to the Managment of Human ec.europa.eu/environment/water/marine/directive_en.htm Activitites: „Towards an Ecosystem Approach to the Ma- (24.02.2012). nagement of Human Activities”. Bremen: HELCOM, Europäisches Parlament, Rat der Europäischen Union OSPAR Commission. (2002): Empfehlung 2002/413/EG des Europäischen Par- Hoof, L. van, Tatenhove, J. van (2009): EU marine policy laments und des Rates vom 30. Mai 2002 zur Umsetzung on the move: The tension between fisheries and maritime einer Strategie für ein integriertes Management der Küs- policy. Marine Policy 33 (4), S. 726–732. tengebiete in Europa. Brüssel: Europäisches Parlament, Rat der Europäischen Union. http://eur-lex.europa.eu/ Le- ICES (International Council for the Exploration of the Sea) (o. J.): Climate change: Changing oceans. Kopenha- xUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32002H0413:DE: gen: ICES. HTML (23.02.2012). IMO (International Maritime Organization) (2012): Inter- Heinrich-Böll-Stiftung (2003): World Summit 2002 Jo- national Shipping Facts and Figures – Information Re- hannesburg – Plan of implementation, the action plan. sources on Trade, Safety, Security, Environment. London: http://www.worldsummit2002.org/ (22.02.2012). IMO Maritime Knowledge Centre. Heiskanen, A.-S., Bund, W. van de, Cardoso, A. C. Irmer, U., Werner, S., Claussen, U., Leujak, W., Arle, J. (2011): Marine Strategy Framework Directive: Experien- (2010a): Meeresschutz und Schutz der Binnengewässer – ces from the Water Framework Directive Implementation. Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Wasserwirtschaft www.ifremer.fr/2012MarineTargets/actes/Anna_Stiina. 2010 (7–8), S. 33–37. pdf (22.02.2012). Irmer, U., Werner, S., Claussen, U., Leujak, W., Arle, J. (2010b): Verhältnis von EG-Wasserrahmenrichtlinie und HELCOM (Helsinki-Kommission) (2010a): Ecosystem EG-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Gemeinsamkei- Health of the Baltic Sea 2003–2007: HELCOM Initial ten und Unterschiede. In: Pinnekamp, J. (Hrsg.): 43. Es- Holistic Assessment. Helsinki: HELCOM. Baltic Sea sener Tagung für Wasser- und Abfallwirtschaft: „Perspek- Environment Proceedings 122. tiven und Risiken“, 17.3.–19.3.2010 in der Messe Essen HELCOM (2010b): Maritime Activities in the Baltic Sea. Ost. Aachen: Gesellschaft zur Förderung der Siedlungs- wasserwirtschaft an der RWTH Aachen. Gewässerschutz, An integrated thematic assessment on maritime activities Wasser, Abwasser 220, S. 40–57. and response to pollution at sea in the Baltic Sea Region. Helsinki: HELCOM. Baltic Sea Environment Procee- Kachel, M. J. (2006): Competencies of International Ma- dings 123. ritime Organisations to establish Rules and Standards. In: Ehlers, P., Lagoni, R. (Hrsg.): International Maritime Or- HELCOM (2009): Eutrophication in the Baltic Sea. An ganisations and their Contribution towards a Sustainable integrated thematic assessment of the effects of nutrient Marine Development. Münster: Lit. Schriften zum See- enrichment and eutrophication in the Baltic Sea region. und Hafenrecht 12, S. 21–52. Helsinki: HELCOM. Baltic Sea Environment Procee- dings 115B. Knefelkamp, B., Krause, J., Narberhaus, I. (2011): Die europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – eine HELCOM (2007): The Baltic Sea Action Plan. A new en- Chance für den Schutz der marinen Biodiversität? Natur vironmental strategy for the Baltic Sea region. Helsinki: und Landschaft 86 (9–10), S. 424–428. HELCOM. Knudsen, O. F., Hassler, B. (2011): IMO legislation and its implementation: Accident risk, vessel deficiencies and HELCOM (2006): Draft HELCOM Thematic Assess- national administrative practices. Marine Policy 35 (2), ment Report on Maritime Transport (doc. HELCOM 27/ S. 201–207. 2006, 2/1). Helsinki: HELCOM. http://meeting.helcom. fi/c/document_library/get_file?p_l_id=18971&folderId= Krause, J., Narberhaus, I., Knefelkamp, B., Claussen, U. 72898&name=DLFE-29163.pdf (24.02.2012). (2011a): Die Vorbereitung der deutschen Meeresstrate- gien. Leitfaden zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rah- HELCOM (o. J. a): Continuation of the Baltic-wide as- menrichtlinie (MSRL-2008/56/EG) für die Anfangsbe- sessment of coastal fish communities in support of an wertung, die Beschreibung des guten Umweltzustands ecosystem-based management (HELCOM FISH-PRO) und die Festlegung der Umweltziele in der deutschen (2011-2013). Helsinki: HELCOM. http://www.helcom.fi/ Nord- und Ostsee. Norden: Arbeitsgemeinschaft Bund/ projects/on_going/en_GB/FISH_PRO/?u4.highlight= Länder-Messprogramm für die Meeresumwelt von Nord- MSFD (22.02.2012). und Ostsee.

299 Sektorübergreifender Meeresschutz

Krause, J., Wollny-Goerke, K., Boller, F., Hauswirth, M., rope`s seas? Environmental Science & Policy 12 (3), Heinicke, K., Herrmann, C., Körber, P., Narberhaus, I., S. 359–366. Richter-Kemmermann, A. (2011b): Die deutschen Mee- Salomon, M., Krohn, S. (2006): Ein kritischer Blick auf resnaturschutzgebiete in Nord- und Ostsee. Natur und den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Landschaft 86 (9–10), S. 397–409. thematische Strategie zum Schutz der europäischen Lange, J., Brandt, A. (Hrsg.) (2009): Maritime Wirt- Meere. NordÖR 9 (10), S. 371–378. schaft. Chancen und Aufgaben der Regionalentwicklung SCBD (Secretariat of the Convention on Biological im deutschen Nordseeraum. Rehburg-Loccum: Evangeli- Diversity) (2010): COP 10 Decision X/29. Nagoya, sche Akademie Loccum. Loccumer Protokolle 18/08. 18–29 October 2010. Marine and coastal biodiversity. Marggraf, R., Sauer, U., Lauterbach, F. R., Brandt, A., Montreal: SCBD. http://www.cbd.int/decision/cop/ Dickow, M. C., Voßen, D., Weppe, B. (2011): Gutachten ?id=12295 (20.10.2011). zur Erstellung der ökonomischen Anfangsbewertung im Schubert, M. (2009): Rechtfragen der maritimen Raum- Rahmen der Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmen- planung – unter besonderer Berücksichtigung der Fische- richtlinie (MSRL). Göttingen, Hannover: Georg-August- rei. Natur und Recht 31 (12), S. 834–841. Universität Göttingen, NORD/LB Regionalwirtschaft, RegioNord Consulting GmbH. SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen) (2011a): Fischbestände nachhaltig bewirtschaften. Zur Reform der Markus, T. (2010): Die Regulierung anthropogener Gemeinsamen Fischereipolitik. Berlin: SRU. Stellung- Lärmeinträge in die Meeresumwelt. Natur und Recht nahme 16. 32 (4), S. 236–244. SRU (2011b): Wege zur 100 % erneuerbaren Stromver- Markus, T., Schlacke, S. (2009): Die Meeresstrategie- sorgung. Sondergutachten. Berlin: Erich Schmidt. Rahmenrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft. Zeit- schrift für Umweltrecht 20 (10), S. 464–472. SRU (2009): Für eine zeitgemäße Gemeinsame Agrarpo- litik (GAP). Berlin: SRU. Stellungnahme 14. Merck, T. (2011): Vermeidung und Minimierung anthro- SRU (2008): Umweltgutachten 2008. Umweltschutz im pogener Belastungen mariner Ökosysteme. Natur und Zeichen des Klimawandels. Berlin: Erich Schmidt. Landschaft 86 (9–10), S. 437–441. SRU (2006): Der Vorschlag der Europäischen Kommis- Nolte, N. (2010): Nutzungsansprüche und Raumordnung sion für eine Meeresschutzstrategie – Rückzug aus der auf dem Meer. HANSA International Maritime Journal europäischen Verantwortung? Berlin: SRU. Kommentar 147 (9), S. 79–83. zur Umweltpolitik 5. Nordheim, H. von, Packeiser, T., Durussel, C. (2011): SRU (2004): Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee. Auf dem Weg zu einem weltweiten Netzwerk von Mee- Sondergutachten. Baden-Baden: Nomos. resschutzgebieten. Natur und Landschaft 86 (9–10), S. 382–387. Statistisches Bundesamt (2011): Verkehrsleistung. Güter- beförderung. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. http:// OSPAR Commission (2010a): The North-East Atlantic www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/ Environment Strategy. Strategy of the OSPAR Commis- DE/Content/Statistiken/Verkehr/Gueterbefoerderung/Ta sion for the Potection of the Marine Environment of the bellen/Content75/Gueterbefoerderung,templateId=render North-East Atlantic 2010–2020. London: OSPAR Com- Print.psml (10.02.2012). mission. Steele, J. H., Thorpe, S. A., Turekian, K. K. (2010): Ma- OSPAR Commission (2010b): Quality Status Report rine policy and economics : a derivative of the Encyclo- 2010. London: OSPAR Commission. pedia of ocean sciences. 2nd ed. London, Burlington, San Diego: Academic Press. PLANCO Consulting (2007): Prognose der deutschland- weiten Verkehrsverflechtungen. Seeverkehrsprognose Toropova, C., Meliane, I., Laffoley, D., Matthews, E., (LOS 3). Zusammenfassung. Essen: PLANCO Consul- Spalding, M. (Hrsg.) (2010): Global Ocean Protection. ting. Present Status and Future Possibilities. Brest, Gland, Washington, DC, New York, Cambridge, Arlington, Rat der Europäischen Gemeinschaften (1993): Beschluß Tokyo: Agence des aires marines protégées, International des Rates vom 25. Oktober 1993 über den Abschluß des Union for Conservation of Nature, UNEP World Conser- Übereinkommens über die biologische Vielfalt (93/626/ vation Monitoring Centre, The Nature Conservancy, EWG) Brüssel: Rat der Europäischen Gemeinschaften. United Nations University, The Wildlife Conservation Roberts, C. M., Hawkins, J. P., Gelly, F. R. (2005): The Society. role of marine reserves in achieving sustainable fisheries. UBA (Umweltbundesamt) (2010): Abfälle im Meer – ein Philosophical Transactions of the Royal Society/B 360, gravierendes ökologisches, ökonomisches und ästheti- S. 123–132. sches Problem. Dessau-Roßlau: UBA. Salomon, M. (2009): Recent European initiatives in ma- UBA (Umweltbundesamt) (2008a): Perspektiven der eu- rine protection policy: Towards lasting protection for Eu- ropäischen Meerespolitik. Dessau-Roßlau: UBA.

300 Literatur

UBA (2008b): Raumordnung in der deutschen aus- Wasserdirektoren (2001): Common Implementation Stra- schließlichen Wirtschaftszone (AWZ) – Beteiligungsver- tegy for the Water Framework Directive (2000/60/EC). fahren. Stellungnahme des UBA zum Entwurf des Raum- Strategic Document as agreed by the Water Directors un- ordnungsplans mit Umweltbericht (Entwurf einer der the Swedish Presidency. Brüssel: Rat der Europäi- Rechtsverordnung über die Raumordnung in der AWZ; schen Union. http://ec.europa.eu/.../water/water.../pdf/ Stand: 13.06.2008). Dessau-Roßlau: UBA. strategy.pdf (22.02.2012). WFD Navigation Task Group, Marine Strategy Naviga- UNEP (United Nation Environment Programme) (2000): tion Group (2010): Overlap between the EU Water Decisons adopted by the conference of the parties to the Framework Directive and the EU Marine Strategy Direc- convention on biological diversity at its fifth meeting. tive in Coastal Waters. Brussels: WFD Navigation Task Nairobi, 15–26 May 2000. http://www.cbd.int/decisions/ Group, Marine Strategy Navigation Group http:// cop/?m=cop-05 (20.02.2012). www.pianc.org (22.02.2012). Vereinte Nationen (2002): Bericht des Weltgipfels für WWF Deutschland (2011): Schutz den Schutzgebieten. nachhaltige Entwicklung. Johannesburg (Südafrika), Anforderungen an ein ökosystemgerechtes Fischereima- 26. August – 4. September 2002. (Auszugsweise Überset- nagement in den Natura 2000-Gebieten in der Nord- und zung). Johannesburg: Vereinte Nationen. Ostsee. Berlin: WWF Deutschland.

301

Integrative Konzepte stärken

303

Kapitel 9

Inhaltsverzeichnis Seite

9 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagen- zulassungsrechts ...... 307

9.1 Problemstellung ...... 307 9.2 Der Begriff des integrierten Umweltschutzes ...... 308 9.2.1 Externe Integration ...... 308 9.2.2 Interne Integration als regulatorisches Konzept ...... 309 9.3 Konkretisierung des integrierten Umweltschutzes im europäischen Recht ...... 310 9.3.1 Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung ...... 310 9.3.2 Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUP-Richtlinie) ...... 311 9.3.3 Industrieemissionsrichtlinie ...... 311 9.3.4 Verfahrensrechtliche Instrumente ...... 313 9.3.5 Medienbezogenes Umweltrecht ...... 313 9.3.6 Fazit der europarechtlichen Verortung des Begriffs des integrierten Umweltschutzes ...... 313 9.4 Rezeption des europäischen integrierten Ansatzes im deutschen Anlagenzulassungsrecht und mögliche Fortentwicklung ...... 313 9.4.1 Aspekte der formellen Integration ...... 314 9.4.2 Aspekte der materiellen Integration ...... 314 9.4.2.1 Emissionsseitige Anforderungen ...... 315 9.4.2.2 Immissionsseitige Anforderungen ...... 318 9.5 Optionen für eine bessere Integration ...... 319 9.5.1 Ansätze in formeller Hinsicht ...... 319 9.5.2 Ansätze in materieller Hinsicht ...... 320 9.6 Zusammenfassendes Ergebnis und Empfehlungen ...... 324 9.7 Literatur ...... 324

Abbildung

Abbildung 9-1 Elemente des integrierten Umweltschutzes ...... 310

305 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts Problemstellung

9 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts

9.1 Problemstellung ter, möglicherweise sogar irreversibler Schaden ausgelöst wird; ein Beispiel dafür ist die Eutrophierung von Gewäs- 521. Die Umwelt ist ein äußerst komplexes und sensib- sern. Bemühungen eine Schadensursache einzudämmen, les System, das es im Konflikt zwischen Schutz und Nut- können außerdem unter Umständen Auswirkungen auf zung als menschliche Lebensgrundlage im Sinne der andere Umweltmedien haben (Verlagerungseffekte). Nachhaltigkeit zu bewahren gilt (vgl. Kap. 1). Der Rio- Deklaration entsprechend – die insofern die Idee einer Die Möglichkeiten von Wissenschaft und Forschung, die nachhaltigen Entwicklung konkretisiert – gilt es daher vor Komplexität und Multikausalität der Umwelt zu erfassen, allem vorsorglich zu handeln (Grundsatz 15). Umweltbe- sind noch immer begrenzt. Es fehlen Daten, es gibt viel- anspruchende Tätigkeiten sollen ökologische Grenzen fältige Schwierigkeiten im Bereich der Messungen, Maß- achten. Sofern die Identifizierung solcher Grenzen mit nahmen der Umweltbeobachtung und -beschreibung er- Unsicherheiten verbunden ist, gilt es, von ihnen ausrei- folgen in der Regel medial getrennt und unkoordiniert chend Abstand zu halten (Tz. 670, 674). Dies erfordert, und es gibt erhebliche Lücken in der Forschung (vgl. umweltbeanspruchende Tätigkeiten zuvor auf ihre Um- Kap. 10). Nicht zuletzt deswegen muss zum Beispiel bei weltverträglichkeit hin zu prüfen (Grundsatz 17), idealer- der Bestimmung von Schwellen- und Grenzwerten weise im Sinne einer Gesamtbetrachtung medien- zwangsläufig schematisiert bzw. typisiert werden, sodass übergreifend und unter Einbeziehung möglicher den biologischen Unterschieden zwischen Menschen Wechselwirkungen. Dieses umfassende Verständnis einer bzw. Ökosystemen sowie den multikausalen Wirkungen nachhaltigen Entwicklung, das darauf abzielt, vorsorgli- von Umweltbelastungen nur begrenzt Rechnung getragen ches Handeln im Umweltbereich zum Wohle des Men- werden kann (BÖHM 1996, S. 20 ff., 129 ff.). Trotz die- schen zu gewährleisten, hat sich aus einem zunächst en- ser Komplexität muss versucht werden, die Wechselwir- geren Verständnis dessen entwickelt, was Umweltschutz kungen zwischen verschiedenen Umweltauswirkungen zu bedeutet. Seit den 1970er-Jahren wurden in schneller erfassen, um Schäden aufgrund der Wechselwirkungen zu Folge Umweltgesetze erlassen, um die aktuellen Umwelt- vermeiden. Dies gilt insbesondere für Verlagerungsef- konflikte zu bewältigen. Diese Konflikte wurden und fekte und Wechselwirkungen, die durch Stoffeinträge in werden weiterhin meist als sektorale (einzelne Industrie- verschiedene Medien verursacht werden. zweige betreffende) oder mediale Probleme (z. B. Luft, 522. Schädliche Stoffeinträge und daraus folgende Um- Wasser, Abfall) wahrgenommen. Dementsprechend sind weltauswirkungen sollten daher auch im Recht nach auch die Antworten des Rechts sektoral oder medial for- Möglichkeit nicht ausschließlich in Bezug auf ein einzel- muliert. nes Medium betrachtet werden, sondern im Hinblick auf verschiedene Medien. Das Recht sollte mögliche Verlage- Zunächst waren die Grenzwertsetzungen in vielen Berei- rungseffekte, Wechselwirkungen und Summationswir- chen erfolgreich, zum Beispiel in der Luftreinhaltung. Al- kungen abbilden und die daraus resultierenden Konflikte lerdings zeigt sich heute, dass zahlreiche weiter beste- lösen. Dies erfolgt im deutschen Recht nicht durchgängig hende komplexe Problemkonstellationen (RITTER 1992, in ausreichendem Maße. Die Problematik besteht in ver- S. 641 ff.) nicht angemessen adressiert werden können. schiedenen umweltrelevanten Sektoren, beispielsweise So sind die medienübergreifenden Wirkungsketten und im Verkehr und in der Landwirtschaft, soll aber nach ei- Verlagerungseffekte von umweltbelastenden Schadstof- nem kurzen Überblick über andere Rechtsbereiche im fen im Einzelnen nur sehr begrenzt vorhersehbar Folgenden am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts dis- (REITER 1998, S. 25 ff.). Ein Beispiel dafür ist etwa die kutiert werden. Hintergrund ist zum einen die nunmehr Erkenntnis der Waldschadensforschung, dass durch die fast drei Jahrzehnte andauernde Diskussion um die An- Bodenversauerung Schadstoffe ins Grundwasser gelan- forderungen, die die europarechtlich induzierte integrierte gen können. Verstärkt werden diese Schwierigkeiten noch Betrachtung an das deutsche Anlagenrecht stellt durch die in der Regel langen Latenzzeiten zwischen den (CALLIESS 2010, m.w.N.). Zum anderen bietet die neue schadensauslösenden Ursachen und dem Zeitpunkt, zu EU-Richtlinie über Industrieemissionen 2010/75/EU (In- dem Schadensfolgen sichtbar werden; beispielhaft sei die dustrieemissionsrichtlinie – IED), die Anfang 2011 in Störung der kindlichen Entwicklung durch Blei in der Kraft getreten ist und bis Anfang 2013 in nationales Umwelt genannt (Tz. 608). Zudem können sich einzelne Recht umgesetzt werden muss, erneut die Möglichkeit, Schadensursachen addieren (Summations- und Kumula- das Anlagenzulassungsrecht kritisch zu prüfen. tionseffekte), gegenseitig verstärken (Synergieeffekte) oder hemmen (Antagonismuseffekte). Schadensverläufe Im deutschen Anlagenzulassungsrecht werden Verlage- können einen exponentiellen Charakter haben und über- rungseffekte im Wesentlichen über die Anforderungen an dies kann es auch „Umkipppunkte“ geben, an denen eine den Stand der Technik und über Emissionsgrenzwerte ad- geringe zusätzliche Belastung dazu führt, dass ein abrup- ressiert. Summations- und Kumulationseffekte sollen da-

307 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts gegen in erster Linie mithilfe von Immissionsgrenzwerten gegangen (Richtlinie 2010/75/EU). Auch die Richtli- vermieden werden. Ein gegen Deutschland eingeleitetes nie 2001/42/EG über die Strategische Umweltprüfung Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelhafter Um- (SUP), die die projektbezogene UVP ergänzend auf vor- setzung der IVU-Richtlinie 96/61/EG wurde von der gelagerte Pläne und Programme ausdehnt, versteht sich Kommission eingestellt, womit der Europäische Gerichts- nicht nur von ihrer inhaltlichen Konzeption her, sondern hof (EuGH) keine Gelegenheit hatte, die Europarechts- auch nach ihrem Anhang I lit. f als Teil des integrierten konformität der deutschen Ausgestaltung des Anlagenzu- Umweltschutzes (SCHRÖDER 2001, S. 29; CALLIESS lassungsrechts zu klären. Aus der wissenschaftlichen 2004, S. 153 ff.). Perspektive des SRU bleibt diese Frage aber bestehen, 524. Zu den allgemeinen verfahrensrechtlichen Instru- denn das europäische Anlagenzulassungsrecht verfolgt ei- menten, die ebenfalls den Grundgedanken eines integrier- nen integrierten Ansatz, das heißt, es verlangt, dass alle ten Umweltschutzes aufgreifen, zählen in erster Linie die Belastungen gemeinsam betrachtet und bewertet werden. Umweltinformationsrichtlinie 2003/4/EG, die sogenannte EMAS-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1221/2009) so- 9.2 Der Begriff des integrierten wie die europäische Umweltzeichenverordnung (Verord- Umweltschutzes nung (EG) Nr. 66/2010) (EPINEY 2006, S. 406). Im 523. Um die Frage beantworten zu können, inwieweit medienbezogenen Umweltrecht stellt die Wasserrahmen- das deutsche Umweltrecht den Anforderungen des inte- richtlinie (WRRL) ein Beispiel für eine – wenn auch mit grierten Umweltschutzes gerecht wird, ist zunächst eine einem anderen Ansatz – integrierte Sichtweise dar. Die Definition des Begriffs des integrierten Umweltschutzes Qualitätsziele der WRRL legen letztlich auch einen (in vorzunehmen und daran anknüpfend eine Konkretisie- seiner Tragweite beschränkten) integrierten Ansatz zu- rung dieser Vorgaben. Erste Erwähnung fand der Begriff grunde, weil bei der Bewertung der Gewässerqualität und in den 1980er-Jahren in den frühen Umweltaktionspro- bei den zu erreichenden Umweltzielen auf den ökologi- grammen (3., 4. und 5. UAP) der Europäischen Gemein- schen und chemischen Zustand insgesamt zurückgegriffen schaft (EG). Besonders relevant ist er für die europäi- wird (EPINEY 2006, S. 407). schen Bestimmungen zum Anlagengenehmigungsrecht, Bereits diese vielfältige Verortung im Gemeinschaftsrecht in das die integrierte Betrachtungsweise aus dem briti- macht deutlich, dass es hilfreich für die Auseinanderset- schen Recht eingeflossen ist. Dort wird, seit der gesetz- zung mit dem Konzept des integrierten Umweltschutzes lichen Umstrukturierung durch den Environmental im Anlagenzulassungsrecht ist, eine Differenzierung zwi- Protection Act von 1990, ein einheitliches, medienüber- schen den verschiedenen Ebenen der Integration vorzu- greifendes Genehmigungsregime praktiziert (vgl. ausführ- nehmen. Unterschieden werden soll daher nachfolgend lich MEINKEN 2001, S. 87–106). Der integrierte Ansatz zwischen externer Integration (Berücksichtigung von Be- findet sich aber auch in allgemeinen verfahrensrechtli- langen des Umweltschutzes in anderen Politiken) und in- chen Instrumenten, im Stoff- und Produktrecht sowie im terner Integration (Berücksichtigung von Auswirkungen Medien schützenden Umweltrecht (EPINEY 2006, nicht nur auf einzelne Medien, sondern auf die Umwelt S. 406–407). Er ist abzugrenzen von der Bedeutung, die als Ganzes) sowie innerhalb der internen Integration zwi- dieser Begriff in der Umwelttechnik besitzt, wo er für schen materieller und formeller Integration. Vermeidungstechnologien steht, die Umweltbelastungen verhindern, indem bei Produkten und Produktionsverfah- 9.2.1 Externe Integration ren angesetzt wird, und wo er den Gegenbegriff zu nach- sorgenden End-of-pipe-Technologien darstellt. 525. Die Berücksichtigung von Belangen des Umwelt- schutzes in anderen relevanten Politiken, wie zum Bei- Der Begriff des integrierten Umweltschutzes hat somit spiel der Verkehrs-, Landwirtschafts- und Energiepolitik, verschiedene, voneinander abzugrenzende Bedeutungen. wird als externe Integration (CALLIESS 2007) oder auch Nachfolgend bezeichnet er den rechtlichen Begriff, der als Umweltpolitikintegration (JORDAN und LENSCHOW seinen Ursprung im vorsorgeorientierten europäischen 2008; LENSCHOW 2002) bezeichnet. Das Prinzip trägt Umweltrecht hat (RÖCKINGHAUSEN 1998, S. 49 ff.; damit der Tatsache Rechnung, dass der Zustand der Um- ZÖTTL 1998, S. 86 ff.; CALLIESS 2003, S. 75 ff.; welt in hohem Maße von Entscheidungen in anderen Poli- FRITZ 2009, S. 72 ff.). Drei Richtlinien sind für Geneh- tikfeldern als der Umweltpolitik beeinflusst wird. migungsverfahren bzw. deren Vorbereitung zentral. Zu nennen ist zunächst die projektbezogene Richtlinie über Auf europäischer Ebene ist der Grundsatz der externen die Umweltverträglichkeitsprüfung 85/337/EWG von Integration in Artikel 11 des Vertrages über die Arbeits- 1985 (UVP-Richtlinie) mit ihrem medienübergreifenden, weise der Europäischen Union (AEUV) verankert. Arti- umfassenden und die Wechselwirkungen zwischen den kel 11 AEUV verlangt, dass die Erfordernisse des Um- einzelnen Umweltmedien erfassenden Ansatz. Gut zehn weltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Jahre später wurde die Richtlinie über die integrierte Ver- Unionspolitiken und -maßnahmen, insbesondere zur För- meidung und Verminderung der Umweltverschmutzung derung einer nachhaltigen Entwicklung, einbezogen wer- erlassen (Richtlinie 96/61/EG, kodifiziert als Richtli- den müssen. Er trägt damit in geradezu idealer Weise den nie 2008/1/EG, IVU-Richtlinie). Diese enthält ein inte- Vorgaben des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung griertes Konzept für die Genehmigung von Anlagen und Rechnung (Tz. 669). Aus der externen Integration folgt damit Elemente eines integrierten Umweltschutzes. Sie die Verpflichtung von Gesetzgeber und Verwaltung, der ist nunmehr in der Industrieemissionsrichtlinie (IED) auf- komplexen Aufgabe des Umweltschutzes durch deren

308 Der Begriff des integrierten Umweltschutzes

Verständnis als problembezogene Querschnittsaufgabe legen (Tz. 542 ff.). Eine produkt- oder prozessorientierte Rechnung zu tragen, und alle Politiken und Maßnahmen Integration kann Standards vorgeben, nach denen alle so frühzeitig wie möglich auf ihre Umweltverträglichkeit umweltrelevanten Faktoren (u. a. Stoffeinsatz, Energie- zu überprüfen. Dies verlangt, dass Entscheidungen in um- verbrauch, Abfälle) vorsorgend in das jeweilige Produkt weltrelevanten Sektorpolitiken nicht ausschließlich an de- bzw. den jeweiligen Produktionsprozess einzubeziehen ren spezifischen Zielen ausgerichtet werden, sondern sind. Die legislatorische Integration zielt auf eine inhalt- auch mit Rücksicht auf die Umweltauswirkungen getrof- liche Kohärenz der unterschiedlichen umweltrechtlichen fen werden. Der Grundsatz der externen Integration ist Regelungen, sodass ihr wirksames Ineinandergreifen ge- damit ein normatives Konzept, das – insbesondere über währleistet ist. Und schließlich kann eine formelle bzw. das Vorsorgeprinzip – materiell konkretisiert werden verfahrensrechtliche Integration eine bessere Koordina- kann. Maßnahmen zur Verbesserung der externen Inte- tion der Genehmigungsverfahren bzw. eine Kooperation gration sind allerdings in der Regel prozeduraler Natur. zwischen den verschiedenen zuständigen Behörden im Sie zielen beispielsweise darauf ab, horizontale Kommu- Rahmen eines Genehmigungsverfahrens gewährleisten nikation zwischen Ressorts zu verbessern, ökologische (WAGNER 1999; SCHRÖDER 2001). Dies ist insbeson- Problemlösungskapazitäten in Nicht-Umwelt-Verwaltun- dere angesichts der häufig erforderlichen Mehrfach- gen zu schaffen und deren Bewusstsein für Umweltthe- genehmigungen für ein Vorhaben und der in der Regel men zu steigern (HERTIN und BERKHOUT 2003). Typi- damit verbundenen fachspezifisch differenzierten Behör- sche Ansätze zur Verbesserung der externen Integration denorganisation relevant. Kurz gesagt wirkt interne Inte- sind Kommunikationsinstrumente (z. B. Strategiedoku- gration also medienübergreifend. mente, Berichtspflichten und Prüfverfahren), institutio- nelle Reformen (z. B. interministerielle Arbeitsgruppen, 527. Von den oben genannten Regelungsansätzen besit- Spiegelreferate oder die Zusammenlegung des Umwelt- zen zwei eine besondere Bedeutung für die Anlagenge- ministeriums mit einem Sektorministerium) und Verfah- nehmigung: rensinstrumente (z. B. Mitentscheidungsrechte für Um- – Die formelle (WAHL 2000, S. 367; oder auch proze- weltministerien, Gesetzesfolgenabschätzungsverfahren durale: VOLKMANN 1998, S. 366) Integration zielt und Green Budgeting) (JACOB et al. 2008). darauf ab, eine einheitliche und übergreifende Prüfung der Umweltauswirkungen durch Verfahren sicherzu- 9.2.2 Interne Integration als regulatorisches stellen. Dabei kann es sich um eine Umweltprüfung Konzept handeln, wie bei der UVP oder der SUP, die es erfor- derlich macht, verschiedene Umweltauswirkungen ge- 526. Im Zentrum der internen Integration steht das Ziel, meinsam zu betrachten und zu bewerten. Im Rahmen die Auswirkungen von umweltbelastenden Stoffen oder von Genehmigungsverfahren verlangt die formelle In- Tätigkeiten nicht nur im Hinblick auf ein einzelnes Me- tegration mindestens die effektive Koordinierung ver- dium, sondern im Hinblick auf die Umwelt als Ganzes zu schiedener umweltbezogener Zulassungstatbestände regeln. Es geht hier mithin um einen medienübergreifen- durch eine federführende Behörde (sog. Front-Office: den regulatorischen Ansatz, der im Unterschied zu sekto- BACKES 2006, S. 295). Weitergehend kann gefordert ralen bzw. medialen Umweltschutzkonzepten von einer werden, verschiedene umweltbezogene Zulassungstat- ganzheitlichen Betrachtung der Umwelt ausgeht und so bestände in einer Vorhabengenehmigung zusammen- Belastungsverlagerungen vermeiden will. Im Kontext der zufassen. Durch die damit einhergehende Verfahrens- internen Integration darf sich integrierter Umweltschutz integration wird zugleich die Zusammenfassung daher nicht auf die bloße Zusammenführung der einzel- sämtlicher, für ein Vorhaben erforderlicher umwelt- nen Umweltmedien bzw. -schutzgüter beschränken, son- rechtlicher Zulassungsverfahren in einem einzigen dern soll, den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der Verfahren in der Hand einer Behörde ermöglicht. Ökologie entsprechend, das Beziehungsgeflecht und die Zudem kann das Verfahren durch Erlass einer ein- Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medien bei heitlichen Genehmigung mit umfassender Gestat- der Regelung und Bewertung umweltrelevanter Sachver- tungswirkung abgeschlossen werden (sog. Konzentra- halte berücksichtigen. Eine umweltrechtliche und -politi- tionswirkung). sche Betrachtung soll also alle Umweltauswirkungen ganzheitlich und unter Berücksichtigung ihrer Interde- – Die materielle Integration geht über die formelle Inte- pendenzen einbeziehen, was auch ihre Gegenüberstellung gration hinaus, indem sie neben der Verfahrensintegra- und Bewertung impliziert (EPINEY 2006, S. 406). tion auch das materielle Prüf- und Entscheidungs- programm der integrierten umweltrechtlichen Durch diese Betrachtungsweise gewinnt das Schutzgut Zulassungstatbestände vereinheitlicht. Durch diesen „Umwelt“ eine eigenständige Qualität, die wesentlich Verschmelzungsansatz sollen medienübergreifende vom Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über Aspekte beispielsweise auch in die Genehmigungsent- die Wirkungszusammenhänge in der Umwelt abhängt scheidung einbezogen werden. So soll den Defiziten (SCHRÖDER 2001, S. 30; ERBGUTH 1984). Das regu- hinsichtlich der Kumulations- und Verlagerungsef- latorische Konzept der internen Integration erlaubt in fekte sowie Wechselwirkungen bei Vorhabenzulassun- concreto verschiedene Zugangsmöglichkeiten. Im Wege gen entgegengewirkt werden. der materiellen Integration lassen sich inhaltlich wirk- same Entscheidungsdirektiven der Behörden bzw. Pflich- Im Ergebnis lassen sich die Elemente des integrierten ten der Verursacher, hier also der Anlagenbetreiber, fest- Umweltschutzes wie in Abbildung 9-1 darstellen.

309 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts

Abbildung 9-1

Elemente des integrierten Umweltschutzes

Elemente des integrierten Umweltschutzes

Interne Integration als Externe Integration: regulatorisches Konzept:

Einbeziehung des Umweltschutzes in sektorale Medienübergreifende Betrachtung von Politiken (auch als Umweltpolitikintegration Umweltauswirkungen in einem oder mehreren bezeichnet) Sektoren

Formelle Integration: Materielle Integration:

Einheitliche Prüfung von Einheitliches Prüf- und Umweltauswirkungen in Entscheidungsprogramm einem gemeinsamen der umweltrechtlichen Verfahren Zulassungstatbestände

SRU/UG 2012/Abb. 9-1

9.3 Konkretisierung des integrierten Umwelt- Richtlinie sollen alle Auswirkungen eines Vorhabens auf schutzes im europäischen Recht Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft einschließlich der jeweiligen Wechsel- 528. Die detaillierte Ausgestaltung im europäischen wirkungen ermittelt, beschrieben und bewertet werden. Umweltrecht deutet auf die hohe Bedeutung des Kon- Auf diese Weise verfolgt die Richtlinie einen medien- zepts der internen Integration im Umweltschutz hin. Zur übergreifenden und damit integrativen Ansatz. Über die Verdeutlichung werden im Folgenden die europäischen herkömmliche fachbezogene sektorale Prüfung hinaus Rechtsakte dargestellt, in denen die interne Integration sollen Umweltauswirkungen ganzheitlich betrachtet und konkretisiert wird. Im Hinblick auf das Anlagenzulas- bewertet werden (RÖCKINGHAUSEN 1998, S. 64 ff.; sungsrecht besitzen hierbei besonders die UVP-Richtlinie DURST 1998, S. 109 ff.; allgemein ZÖTTL 1998, und die IED eine entscheidende Bedeutung. S. 86 ff.). Die UVP-Richtlinie zielt somit auf einen vor- sorgenden Umweltschutz (KMENT in: HOPPE 2012, 9.3.1 Richtlinie über die Umweltverträglich- Einleitung Rn. 2 m.w.N.). Trotz der Unbestimmtheit die- keitsprüfung ses Ansatzes vertraute der Gesetzgeber letztlich darauf, dass Verwaltung, Rechtsprechung und Wissenschaft die 529. Die UVP-Richtlinie von 1985 stellt den frühesten Vorgaben eines integrierten Umweltschutzes im Laufe Ansatz im Gemeinschaftsrecht zur praktischen Umset- der Zeit konkretisieren würden (RÖCKINGHAUSEN zung einer integrierten Betrachtungsweise im Genehmi- 1998, S. 33 ff., 37 ff., 112 ff.; VOLKMANN 1998; gungsverfahren dar. Die UVP will sicherstellen, dass bei ZÖTTL 1998; MASING 1998, S. 549 ff.; DI FABIO und bestimmten, im Einzelnen aufgelisteten umweltrelevan- HAIGH 1998, S. 27 ff.). Nach Artikel 8 der UVP-Richtli- ten Vorhaben die Umweltauswirkungen beurteilt werden. nie sind die Ergebnisse der Prüfung bei der Entscheidung Ziel dieser Prüfung ist es, „die menschliche Gesundheit über die Zulassung des Vorhabens zwar zu berücksichti- zu schützen, durch eine Verbesserung der Umweltbedin- gen, führen aber nicht dazu, dass die Genehmigung nicht gungen zur Lebensqualität beizutragen, für die Erhaltung erteilt wird. In Deutschland ist die UVP deshalb unselbst- der Artenvielfalt zu sorgen und die Reproduktionsfähig- ständiger Bestandteil des verwaltungsbehördlichen Zulas- keit des Ökosystems als Grundlage allen Lebens zu erhal- sungsverfahrens. ten“ (Erwägungsgrund der UVP-Richtlinie). Für Vorha- ben, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben Angesichts einer bestehenden materiell-rechtlichen Un- können, muss eine Gesamtbewertung der ermittelten Um- gewissheit dient die weitgehende und frühzeitige Einbe- weltauswirkungen erfolgen. Nach Artikel 3 der UVP- ziehung der Öffentlichkeit in das Verfahren (Artikel 6

310 Integrierter Umweltschutz im europäischen Recht

Absatz 2 bis 6 UVP-Richtlinie) dazu, eine gewisse proze- besondere der Umweltverschmutzung (Artikel 3 Num- durale Absicherung der materiellen Qualität des Prü- mer 2 IED), der Emissionen (vgl. Artikel 3 Nummer 4 fungsergebnisses zu gewährleisten (SCHMIDT 1994, und Artikel 14 Absatz 1 Unterabsatz 2 lit. a IED) sowie S. 755; ZÖTTL 1998, S. 98 f.). – als Element prozessorientierter Integration – der soge- nannten besten verfügbaren Techniken (BVT) erreicht 9.3.2 Richtlinie über die Prüfung der Umwelt- werden (zur damaligen Rechtslage SELLNER 2001, auswirkungen bestimmter Pläne und S. 411). Die IED bezieht die Freisetzung von Stoffen, Er- Programme (SUP-Richtlinie) schütterungen, Wärme und Lärm in Luft, Wasser und Bo- den ein (Artikel 3 Nummer 2 und 4 IED). Der Regelungs- 530. Die UVP muss nur in fachrechtlichen Zulassungs- gehalt der Richtlinie konzentriert sich somit auf Fragen verfahren durchgeführt werden, somit in einem Verfah- der Schadstofffreisetzung in die Umwelt sowie auf vom rensstadium, in dem viele Vorentscheidungen bereits ge- Betreiber einzuhaltende Grundpflichten im Hinblick auf troffen sind. Dagegen verlagert die Strategische Abfallvermeidung und Energieeffizienz (so schon für die Umweltprüfung (SUP) die Untersuchung auf die Ebene IVU-Richtlinie: EPINEY 1997). der Pläne und Programme, um früher und grundsätzlicher anzusetzen. Sie erlaubt damit auch, die Wirkung ver- Nach Artikel 11 lit. a bis h der IED treffen die Mitglied- schiedener Projekte kumulativ zu bewerten (SCHINK staaten die erforderlichen Maßnahmen, damit die zu ge- 2005, S. 616). nehmigende Anlage nach den folgenden Grundsätzen be- trieben wird (Grundpflichten): Die SUP-Richtlinie führt externe und interne Integration – Es werden alle geeigneten Vorsorgemaßnahmen gegen zusammen, denn sie betrifft die Pläne und Programme, Umweltverschmutzungen getroffen; durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung von UVP-pflichtigen Projekten gesetzt wird (in den Bereichen – die besten verfügbaren Techniken werden angewandt; Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, In- dustrie, Verkehr, Abfall, Wasserbewirtschaftung, Tele- – es werden keine erheblichen Umweltverschmutzungen kommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung und Bo- verursacht; dennutzung). Dabei setzt sie auf einen rein prozeduralen – die Erzeugung von Abfällen wird gemäß der Abfall- Ansatz und enthält keine materiell-rechtlichen Vorgaben. rahmenrichtlinie (Richtlinie 2008/98/EG) vermieden; Nach Artikel 8 der SUP-Richtlinie ist das Ergebnis der Umweltprüfung bei allen Rechtsakten zu berücksichti- – falls Abfälle erzeugt werden, werden sie entsprechend gen, die Plänen und Programmen Verbindlichkeit ver- der Prioritätenfolge und im Einklang mit der Richt- schaffen sollen. linie 2008/98/EG zur Wiederverwendung vorbereitet, recycelt, verwertet oder, falls dies aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist, be- 9.3.3 Industrieemissionsrichtlinie seitigt, wobei Auswirkungen auf die Umwelt vermie- 531. Die IVU-Richtlinie von 1996 trug den Gedanken den oder vermindert werden; des integrierten Umweltschutzes in das Anlagenzulas- – Energie wird effizient verwendet; sungsrecht hinein. Ihre Nachfolgerichtlinie, die Industrie- emissionsrichtlinie (IED), trat im Januar 2011 in Kraft. – es werden die notwendigen Maßnahmen ergriffen, um Sie hält daran fest, die Anlagengenehmigung als integ- Unfälle zu verhindern und deren Folgen zu begrenzen; riertes Konzept zu verstehen (vgl. 3. und 16. Erwägungs- – bei einer endgültigen Stilllegung werden die erforder- grund, Artikel 1, 3, 11–13 IED). Die IED enthält nunmehr lichen Maßnahmen getroffen, um jegliche Gefahr ei- auch die sektorspezifischen Regelungen, die zuvor in der ner Umweltverschmutzung zu vermeiden und den in Großfeuerungsanlagenrichtlinie (Richtlinie 2001/80/EG), Artikel 22 beschriebenen zufriedenstellenden Zustand der Lösemittelrichtlinie (Richtlinie 1999/13/EG), der Ab- des Betriebsgeländes wiederherzustellen (vgl. zu die- fallverbrennungsanlagenrichtlinie (Richtlinie 2000/76/ sen allgemeinen Prinzipien der besonderen Betreiber- EG) und den Titandioxidrichtlinien (Richtlinien 78/176/ pflichten PEINE 2012). EWG, 82/883/EWG und 92/112/EWG) enthalten waren. Die von der IED aufgestellten Grundpflichten stellen da- Die IED kann in Fortführung der bislang geltenden IVU- mit eine spezifische Ausprägung allgemeiner umwelt- Richtlinie als Grundgesetz des europäischen Anlagen- rechtlicher Prinzipien – wie beispielsweise des Vorsorge- rechts bezeichnet werden (KOPP-ASSENMACHER und des Vermeidungsprinzips – dar (zur damaligen IVU- 2011, S. 9). Sie regelt die integrierte Vermeidung und Richtlinie JOCHUM 2004, S. 435). Der Integrationsan- Verminderung der Umweltverschmutzung infolge indus- satz der IED kommt auch in den Grundpflichten zum trieller Tätigkeiten und dürfte EU-weit mehr als 50.000 Ausdruck, die neben Schutz und Vorsorge gegen Umwelt- Industrieanlagen betreffen (ebd.). Ihre Vorschriften sind verschmutzungen auch die genannten weiteren Aspekte darauf gerichtet, Emissionen in Luft, Wasser und Boden adressieren. zu vermeiden bzw. zu vermindern und zur Abfallvermei- dung beizutragen, um ein hohes Schutzniveau für die Die IED besitzt damit, wie ihre Vorgängerrichtlinie, eine Umwelt insgesamt zu erreichen (Artikel 1 IED). Der Ge- überragende Bedeutung für den integrierten Ansatz im danke der materiellen Integration der IED soll durch ein Umweltrecht. Dies verdeutlicht schon ihr Ziel, ein hohes Bündel medienübergreifend ausgestalteter Begriffe, ins- Schutzniveau für die Umwelt insgesamt anzustreben

311 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts

(16. Erwägungsgrund, Artikel 1). Erreicht werden soll Merkblätter betreffen auch übergreifende Fragen wie all- dies vor allem durch die Anwendung der BVT. Konkrete gemeine Überwachungsgrundsätze, Energieeffizienz oder Anforderungen an die Genehmigungserteilung stellt Arti- ökonomische und medienübergreifende Effekte (sog. ho- kel 14 IED auf. Nach dieser Vorschrift tragen die Mit- rizontale Merkblätter). Die BVT-Merkblätter sollen regel- gliedstaaten dafür Sorge, dass die Genehmigung alle mäßig alle acht Jahre fortgeschrieben werden, womit Maßnahmen umfasst, die notwendig zur Erfüllung der sichergestellt ist, dass sie stets dem aktuellen Erkenntnis- Artikel 11 und 18 IED sind. Dabei handelt es sich um stand innerhalb der EU entsprechen (ausführlich: KALM- Festsetzungen, die Bestandteil der Genehmigungen sein BACH 2011, S. 289–294). Der Sevilla-Prozess wird trotz müssen (PEINE 2012, S. 10–11). seiner Intransparenz als fachlich anspruchsvoll und er- tragreich bewertet (SRU 2008b, Tz. 318; HARFF 2008, 532. Auch für den Begriff der BVT bildet die IED die S. 26). neue Grundlage. Sie fordert bei allen umweltrelevanten industriellen Tätigkeiten die Anwendung der BVT. Die- Während nach der Vorläuferrichtlinie – der IVU-Richtli- ser Ausdruck entspricht im deutschen Recht dem her- nie – die BVT-Merkblätter bei der Genehmigung ledig- kömmlichen Begriff des Standes der Technik, der inhalt- lich zu berücksichtigen waren, müssen nunmehr nach der lich der BVT angeglichen wurde (KALMBACH 2011, IED die tatsächlichen Emissionen innerhalb der Band- S. 285). breite der Schlussfolgerungen der BVT-Merkblätter lie- gen. Die neue Richtlinie stärkt die Verbindlichkeit der Die BVT wird in der IED als der effizienteste und fort- BVT-Merkblätter, indem deren Schlussfolgerungen im schrittlichste Entwicklungsstand der Tätigkeiten und der Rahmen eines Komitologie-Verfahrens angenommen entsprechenden Betriebsmethoden definiert. Dieser Ent- werden und damit rechtlich bindend sind. Dabei wird die wicklungsstand lässt bestimmte Techniken als praktisch Kommission von einem Fachausschuss unterstützt geeignet erscheinen, als Grundlage für die Emissions- (KALMBACH 2011, S. 285). Für dieses Vorgehen hatte grenzwerte und sonstige Genehmigungsauflagen zu die- sich der SRU bereits 2008 ausgesprochen. Er war der nen, um Emissionen in und Auswirkungen auf die ge- Auffassung, dass es sinnvoll sei, die „emissions levels“ samte Umwelt zu vermeiden oder, wenn dies nicht zu faktischen „emission limits“ durch einen normalen möglich ist, zu vermindern (Artikel 3 Nummer 10 IED). EU-Rechtsetzungsprozess oder ein Komitologieverfahren BVT sind betrieblich-technische Anforderungen und zu „verrechtlichen“ und so den vorrangig fachlichen In- Bandbreiten von Emissionswerten, die bei der Genehmi- formationsaustausch zu den BVT im Rahmen des Sevilla- gung von Anlagen zu beachten sind (WASKOW 2011, prozesses zu erhalten (SRU 2008b, Tz. 318). Damit ein- S. 3). Diese Techniken werden in einem europaweiten In- her geht auch eine Übersetzung der BVT- formationsaustausch (dem sog. Sevilla-Prozess) be- Schlussfolgerungen in alle EU-Amtssprachen. stimmt, der seinen Niederschlag in den BVT-Merkblät- tern (im Englischen: BAT Reference Documents, kurz Auslöser für diese „Verrechtlichung“ der BVT war die BREFs) findet (Artikel 13 IED). Diese bestimmen die für Erkenntnis der Kommission, dass die BVT-Merkblätter in die Genehmigung maßgeblichen Emissionsgrenzwerte den Mitgliedstaaten nicht zu der erwünschten Harmoni- (Artikel 14 Absatz 1 Unterabsatz 2 lit. a und Absatz 3 sierung geführt hatten. Die Mitgliedstaaten hatten nach IED). Sie werden entweder jeweils im Einzelfall mittels dem alten Recht Emissionsgrenzwerte in Genehmigungen konkreter Genehmigungsauflagen oder in Form bran- festgelegt, die sich teilweise nicht an den BVT orientier- chenspezifischer Standards festgelegt. Die Erstellung, ten, wie sie in den europäischen BVT-Merkblättern fest- Überprüfung und Aktualisierung der BVT-Merkblätter gelegt waren (DIEHL 2011, S. 59). Die neue Regelung erfolgt durch einen von der Kommission organisierten In- soll zu einer klaren, transparenten und verbindlichen formationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, den Handhabung der BVT in allen Mitgliedstaaten führen betreffenden Industriezweigen, den Umweltverbänden (KALMBACH 2011, S. 285). Damit hat sich das europäi- und der Kommission. Koordiniert und erstellt werden die sche Anlagenzulassungsrecht von einem eher prozedura- Merkblätter im European Integrated Pollution Prevention len zu einem stärker materiellen Ansatz entwickelt. Die and Control Bureau (EIPPC-Büro) der Europäischen angestrebte materielle Integration soll somit nicht mehr Union in Sevilla. Dabei sind sogenannte Technical Wor- zuvorderst durch Verfahren erfolgen (MAAß 2002, king Groups beteiligt, die paritätisch besetzt sind. Für je- S. 366; STAUPE 2000, S. 368; SCHMIDT-PREUß des BVT-Merkblatt ist eine Technical Working Group zu- 2000), sondern wird stärker materiell-rechtlich unterlegt. ständig, die Informationen zu dem jeweils betroffenen Dies wird zu einer europaweiten Harmonisierung der Anlagensektor zusammenträgt und bewertet. In den BVT- Emissionsstandards führen (KOCH und BRAUN 2010) Merkblättern werden unter anderem die bereits in dem und soll für gleichartige Wettbewerbsbedingungen sorgen Sektor realisierten Techniken beschrieben, die geeignet (KALMBACH 2011, S. 285). sind, ein hohes Schutzniveau für die Umwelt zu errei- chen. Inzwischen sind 33 BVT-Merkblätter mit einem 533. Die notwendige prozedurale Absicherung des ma- Umfang von bis zu 700 Seiten erschienen, die große In- teriellen integrativen Ansatzes wird in unbestimmter dustriesektoren wie die Stahlverarbeitung, Raffinerien, Weise von Artikel 5 Absatz 2 IED eingefordert. Ihm zu- die Glasindustrie, die Textilindustrie oder Abfallverbren- folge treffen die Mitgliedstaaten „die erforderlichen Maß- nungsanlagen betreffen, aber auch spezialisierte Aspekte nahmen für eine vollständige Koordinierung der Geneh- wie die Herstellung anorganischer Spezialchemikalien migungsverfahren und der Genehmigungsauflagen, wenn oder die Herstellung von Polymeren. Einzelne BVT- bei diesen Verfahren mehrere zuständige Behörden oder

312 Der integrierte Ansatz im deutschen Anlagenzulassungsrecht mehr als ein Betreiber mitwirken oder wenn mehr als eine in dem Sinne, dass verschiedene Medien betrachtet wer- Genehmigung erteilt wird, um ein wirksames integriertes den, sondern in dem Sinne, dass alle Einflüsse auf ein Konzept aller für diese Verfahren zuständigen Behörden Medium geprüft und vermindert werden. Dies erfolgt in sicherzustellen“. einem integrativen Rahmen, der sich an den tatsächlichen Einflüssen auf das Medium orientiert, dabei alle Verursa- Der IED zufolge soll der Antragsteller in seinen Antrags- cher einbezieht und nicht an bestehenden Zuständigkeits- unterlagen selbst nachweisen, welche Techniken er zur grenzen halt macht, mithin in einem ganzheitlichen Sinne Vermeidung oder – sofern dies nicht möglich ist – zur (SEIDEL und RECHENBERG 2004, S. 213). Der inte- Verminderung der Emissionen aus der Anlage verwendet grative kombinierte Ansatz der WRRL beinhaltet auch, (Artikel 12 Absatz 1 lit. g IED). Auch sonstige vorgese- Belastungen aus Punktquellen (industrielle Anlagen, hene Maßnahmen zur Erfüllung der Vorschriften im Hin- Kläranlagen) und diffusen Quellen (vor allem landwirt- blick auf die einzuhaltenden Grundpflichten muss der Be- schaftliche Einträge) gemeinsam zu betrachten (Arti- treiber im Antrag darlegen (Artikel 12 Absatz 1 lit. i kel 10 Absatz 1 u. 2 WRRL; FÜHR et al. 2006, S. 40). IED). Die Darlegungslast, dass er integriert vermeidet, und – wo dies nicht möglich ist – vermindert, liegt also beim Betreiber. 9.3.6 Fazit der europarechtlichen Verortung des Begriffs des integrierten 9.3.4 Verfahrensrechtliche Instrumente Umweltschutzes 534. Zu den primär verfahrensrechtlichen Instrumenten 536. Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass die europa- des integrierten Umweltschutzes zählen die Umweltinfor- rechtliche Konkretisierung des integrierten Umweltschut- mationsrichtlinie (Richtlinie 2003/4/EG), die sogenannte zes vielschichtig ist und sich nicht auf einen Aspekt der EMAS-Verordnung sowie die Umweltzeichenverord- Integration beschränkt. In den europäischen Rechtsakten nung. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie verschie- finden sich Aspekte der formellen Integration, so bei dem dene Umweltauswirkungen in einem Instrument adressie- Erfordernis der IED, das Genehmigungsverfahren zu ko- ren. So schafft beispielsweise die EMAS-Verordnung ordinieren. Der Fokus liegt inzwischen aber auf der mate- einen Anreiz für Betriebe, ein Umweltmanagementsys- riellen Integration, vor allem in Genehmigungsverfahren, tem einzurichten, das durch prozedurale Vorgaben dafür in denen eine Gesamtbewertung aller Umweltauswirkun- sorgen soll, dass alle Umweltauswirkungen, die der Be- gen erfolgen soll (zum Beispiel im Rahmen der UVP). trieb hervorruft, gemeinsam bewertet und verringert wer- Gleiches gilt auch für die WRRL, die fordert, dass alle den. Medienübergreifend und damit ebenfalls integrativ Belastungsquellen und Verursacher herangezogen wer- angelegt ist das Europäische Schadstoffregister EPER den. Überdies werden materielle Ziele durch Verfahrens- (European Pollutant Emission Register, Entscheidung vorgaben operationalisiert, zum Beispiel durch die Über- 2000/479/EG der Kommission vom 17. Juli 2000) und tragung der Darlegungslast für die integrierte Vermeidung das darauf aufbauende Schadstofffreisetzungs- und -ver- und Verminderung auf den Betreiber. Dieser Ansatz trifft bringungsregister (Pollutant Release and Transfer Regis- in Deutschland auf eine medial orientierte Betrachtungs- ter – PRTR). Letzteres beruht auf dem PRTR-Protokoll weise, die sich traditionell jedes Mediums getrennt an- UN/ECE bzw. der in Umsetzung des Protokolls ergange- nimmt. nen Verordnung (EG) Nr. 166/2006 und schafft Transpa- renz über industrielle Stoffströme (UBA 2011). 9.4 Rezeption des europäischen integrierten Ansatzes im deutschen Anlagenzulas- 9.3.5 Medienbezogenes Umweltrecht sungsrecht und mögliche Fortentwicklung 535. Im Medien schützenden Umweltrecht bietet insbe- sondere die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) ein Beispiel 537. Im Folgenden wird exemplarisch untersucht, wie für einen integrativen Ansatz, der allerdings eine andere der integrierte Ansatz im deutschen Anlagenzulassungs- Perspektive einnimmt als die zuvor genannten Rechts- recht rezipiert wurde und ob hier weitere Möglichkeiten akte. Die WRRL fordert, dass die Mitgliedstaaten dafür bestehen, die Anlagengenehmigung integrativ auszuge- Sorge tragen, dass ihre Oberflächengewässer bis 2015 ei- stalten. Für diese Fragestellung ist in erster Linie die IED nen guten biologischen, hydromorphologischen und che- in den Blick zu nehmen, deren Vorläufer-Richtlinie – die mischen Zustand erreicht haben. Erheblich veränderte IVU-Richtlinie – den Gedanken der Integration in das Gewässer sollen ein gutes ökologisches Potenzial aufwei- deutsche Anlagenzulassungsrecht hineingetragen hat. Die sen. Das Grundwasser soll über eine gute chemische und Umsetzung der für den integrierten Umweltschutz maß- mengenmäßige Qualität verfügen. Um diese Ziele zu er- geblichen IVU-Richtlinie sollte ursprünglich zusammen reichen, ist ein integratives, alle Belastungsquellen einbe- mit der UVP-Änderungsrichtlinie im Rahmen der Schaf- ziehendes Konzept erforderlich. Der Zuschnitt der plane- fung eines einheitlichen Umweltgesetzbuchs im Jahre risch verantwortlichen Einheiten, der sogenannten 1998 erfolgen (KOCH und SIEBEL-HUFFMANN 2001, Flussgebietseinheiten, orientiert sich an den ökosystema- S. 1081). Dieser vielversprechende Ansatz wurde letzt- ren Zusammenhängen anstatt an den üblichen administra- lich mit dem gesamten Projekt Umweltgesetzbuch unter tiven Grenzen. Das Konzept der Flussgebietseinheit er- Berufung auf fehlende Gesetzgebungskompetenzen des fordert mithin ein integratives Vorgehen auch auf Bundes aufgegeben, wobei diese rechtliche Einschätzung Verwaltungsebene. Die WRRL ist daher nicht integrativ im Einzelnen umstritten ist (WASIELEWSKI 2000,

313 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts

S. 17 ff.; RENGELING 1999, S. 33 ff.). Das ersatzweise wirksame Berücksichtigung der formellen Anforderun- folgende Artikelgesetz (Gesetz zur Umsetzung der UVP- gen des integrativen Ansatzes im deutschen Anlagenzu- Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer lassungsrecht spricht zudem, dass sich der integrative An- EG-Richtlinien zum Umweltschutz) musste als „kleine satz überhaupt nur durch eine Zusammenschau der Lösung“ den integrativen Ansatz in recht artifizieller Vorschriften aller betroffenen Gesetze ermitteln lässt. Weise mit den bestehenden Regelungen verknüpfen. Zweifel bestehen auch daran, ob die Regelung des § 10 Absatz 5 Satz 2 BImSchG tatsächlich richtlinienkonform 9.4.1 Aspekte der formellen Integration ist. Die Immissionsschutzbehörde kann die von ihr gefor- derte vollständige Koordinierung nicht sicherstellen, etwa 538. Im Hinblick auf die formelle Integration verlangt die IED in Artikel 5 Absatz 2, dass die Mitgliedstaaten wenn es um nicht in den Anwendungsbereich des die erforderlichen Maßnahmen für eine vollständige Ko- BImSchG fallende Zulassungsverfahren geht. Insbeson- dere dort, wo die anderen beteiligten Behörden ihr nicht ordinierung der Genehmigungsverfahren und der Geneh- migungsauflagen im Rahmen der Anlagengenehmigung nachgeordnet sind, fehlen ihr die notwendigen Kompe- tenzen (STAUPE 2000, S. 371; ähnlich HANSMANN treffen, wenn bei diesen Verfahren mehrere zuständige 2002, S. 21; SANGENSTEDT 2007, S. 511). Vertreten Behörden oder mehr als ein Betreiber mitwirken oder wenn mehr als eine Genehmigung erteilt wird. Ziel ist es wird daher zu Recht, dass die Immissionsschutzbehörde mit allen Kompetenzen ausgestattet werden muss, die ihr sicherzustellen, dass alle für diese Verfahren zuständigen eine effektive Koordinierung ermöglichen. Zudem hat der Behörden anhand eines wirksamen integrierten Konzepts vorgehen. Dies ist in Deutschland bislang nur in wenigen SRU bereits früher darauf hingewiesen, dass die Koordi- nierung auf Ebene der Länderverwaltungen erfordert, Bundesländern der Fall. Oftmals sind in Deutschland ver- dass deren Genehmigungsbehörden mit den nötigen per- schiedene Behörden für die jeweiligen Auswirkungen derselben Anlage (oder mehrerer im Zusammenhang ste- sonellen und sachlichen Mitteln ausgestattet werden, um die Umweltauswirkungen von Industrieanlagen in integ- hender Anlagen) auf unterschiedliche Umweltmedien zu- rierter Weise beurteilen und die parallel durchzuführen- ständig. Zudem erfolgt auch die Erteilung der erforderli- chen Genehmigungen vielfach zeitlich versetzt; in diesen den Genehmigungsverfahren koordinieren zu können (SRU 2007, S. 38). Fällen kann eine hinreichende Koordination nicht sicher- gestellt werden. Zu klären ist somit, ob das deutsche An- 541. Zweifel an einer wirksamen Berücksichtigung des lagenzulassungsrecht die formellen Aspekte des integrier- formellen Integrationserfordernisses bestehen insoweit, ten Umweltschutzes ausreichend berücksichtigt. als es eigentlich erforderlich wäre, den notwendigen Sachverstand in einer Behörde zu bündeln. Damit hätten 539. Die IED verlangt grundsätzlich nicht, dass die Ge- die dortigen Fachexperten im Arbeitsalltag die Möglich- nehmigung in einem einheitlichen Verfahren (eine Ge- keit, die Wechselwirkungen zwischen den Umweltmedien nehmigungsbehörde – ein Genehmigungsverfahren – eine zu berücksichtigen, um auf dieser Grundlage zu einer be- Genehmigung) erteilt wird. Vielmehr ist danach lediglich hördeninternen Gesamtbetrachtung zu kommen. Dies eine vollständige Koordinierung aller Genehmigungsver- würde sich auch qualitativ in einer stärker medienüber- fahren gefordert. Einerseits kann vertreten werden, dass greifenden Beurteilung niederschlagen. Dementspre- dieser Anforderung durch § 10 Absatz 5 Satz 2 BImSchG chend sollte jede verwaltungsorganisatorische Zersplitte- sowie durch die Wassergesetzgebung der Länder Genüge rung in nur für einzelne Umweltmedien zuständige getan wird. Nach § 10 Absatz 5 Satz 2 BImSchG hat die Behörden vermieden werden. In manchen Bundesländern zuständige Genehmigungsbehörde eine vollständige Ko- ist die Zusammenfassung der zuständigen Behörden in ei- ordinierung der Zulassungsverfahren sowie der Inhalts- ner Arbeitseinheit erfolgt, in anderen findet die erforderli- und Nebenbestimmungen sicherzustellen. Zudem be- che Integration nur informell statt. Auch aus der Praxis stimmt § 11 Satz 4 der 9. BImSchV, dass die Genehmi- wird zugestanden, dass die Verfahrenskoordination Pro- gungsbehörde den beabsichtigten Inhalt des Genehmi- bleme bereitet (HARFF 2008, S. 25). gungsbescheids mit den wasserrechtlich zuständigen Behörden abzustimmen hat. Zusätzlich übt in der Verwal- Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass die formelle Inte- tungspraxis die konzentrierende Wirkung (Tz. 527) der gration im deutschen Anlagenzulassungsrecht nur unzu- immissionsschutzrechtlichen Genehmigung einen starken reichend erfolgt. Dafür spricht insbesondere die Tatsache, Druck auf die Zusammenarbeit der Behörden aus. dass die zuständige Behörde keine Möglichkeit hat, die vollständige Koordination überhaupt sicherzustellen. 540. Demgegenüber ist jedoch zu bedenken, dass die Konzentrationswirkung zahlreiche Aspekte gerade nicht 9.4.2 Aspekte der materiellen Integration umfasst, so die wasserrechtlichen Erlaubnisse und Bewil- ligungen, die bergrechtliche Betriebsplanzulassung, Plan- 542. Auch in materieller Hinsicht besteht die Frage, ob feststellungen sowie Zustimmungen wie zum Beispiel das das deutsche Anlagenzulassungsrecht, wie es im Bun- gemeindliche Einvernehmen nach § 36 Absatz 2 Bauge- desimmissionsschutzgesetz geregelt ist, dem Erfordernis setzbuch. Zudem richtet es sich nach den Zuständigkeits- einer integrierten Betrachtung und Bewertung der betrof- vorschriften der Länder, welche Behörden für die immis- fenen Medien Luft, Wasser und Boden gerecht wird. Da- sionsschutzrechtlichen und wasserrechtlichen Verfahren bei trafen 1996 mit der Einführung der Vorgänger-Richt- zuständig sind. Letztere sind für den von der IED verfolg- linie der IED, der IVU-Richtlinie, und der daraufhin ten integrativen Ansatz besonders bedeutsam. Gegen eine erforderlichen Umsetzung ins deutsche Recht zwei unter-

314 Der integrierte Ansatz im deutschen Anlagenzulassungsrecht schiedliche Konzeptionen der Anlagengenehmigung auf- HAUS 2002, S. 5; HANSMANN 2002, S. 20), sondern einander. Auf der einen Seite stand der deutsche Ansatz, schützen die zuständige Behörde auch vor wirtschafts- der von einer gebundenen Entscheidung ausgeht und politischem Druck im Genehmigungsverfahren (LÜBBE- diese Entscheidung durch die Festsetzung von Emissions- WOLFF 1999, S. 243; SCHINK 2001, S. 329). Für eine grenzwerten weitgehend determiniert. Auf der anderen vollumfängliche Einzelfallbeurteilung sind die meisten Seite stand das britische Recht mit einem weiten Ermes- Behörden überdies weder in personeller Hinsicht ausge- sen der Verwaltung, das im Rahmen einer Einzelfallbe- stattet, noch kann der erforderliche Querschnitt aus juris- trachtung ausgeübt wird (siehe dazu MEINKEN 2000, tischem und naturwissenschaftlichem Fachwissen in jeder der für einen kumulativen Einsatz von emissions- und im- Behörde – insbesondere in kommunalisierten Behörden – missionsorientierten Anforderungen plädiert). Hier ist es als vorhanden vorausgesetzt werden (HANSMANN hilfreich, zwischen emissionsseitigen Anforderungen ei- 2002, S. 20; SRU 2007). Eine Einzelfallbeurteilung nerseits und immissionsseitigem Schutzanspruch anderer- würde deshalb die Dauer der Genehmigungsverfahren seits zur Vermeidung von Kumulations- bzw. Summa- verlängern. Abstrakt-generelle Regelwerke erleichtern tionseffekten zu differenzieren (zur grundsätzlichen die Genehmigungspraxis und beschleunigen die Verfah- Kritik an den klassischen deutschen Leitbildern von Ge- ren, indem sie den Behörden einfach anzuwendende Vor- fahrenabwehr und Vorsorge und zum europarechtlichen gaben machen. Dies gilt umso mehr, als für die Durchfüh- Konzept des Umweltqualitätsziels vgl. REESE 2010, rung eines im Rahmen der materiellen Integration S. 341 ff.). vorzunehmenden Vergleichs verschiedenartiger Auswir- kungen eines Vorhabens auf die Umwelt insgesamt eine 9.4.2.1 Emissionsseitige Anforderungen anspruchsvolle Öko-Gesamtbilanzierung erforderlich wäre. 543. Um ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insge- samt zu erreichen, wurde § 1 Absatz 2 1. Spiegelstrich in 545. Zusätzlich soll die TA Luft auch sicherstellen, dass Umsetzung der IVU-Richtlinie um eine „Integrations- in verschiedenen Bundesländern gleiche Standards gel- klausel“ erweitert, der zufolge das Gesetz auch der integ- ten, sodass kein „Wettlauf nach unten“ stattfinden kann. rierten Vermeidung und Verminderung schädlicher Um- Eine Einzelfallbeurteilung könnte nämlich dazu führen, welteinwirkungen durch Emissionen in Luft, Wasser und dass einzelne Standorte versuchen, sich industriepoliti- Boden unter Einbeziehung der Abfallwirtschaft dient. Zur sche Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, indem die Ge- Förderung der integrativen Betrachtung wurde überdies nehmigungspraxis gelockert wird. Allerdings ist in die- der Wortlaut der für das untergesetzliche Regelwerk maß- sem Kontext auch darauf hinzuweisen, dass nach geblichen §§ 7 und 48 BImSchG im Sinne einer integrati- bisheriger Rechtslage die Einhaltung von Emissions- ven Ausrichtung geändert: Bereits bei Festlegung der grenzwerten überwiegend nicht drittschützend ist Verordnungs- und Verwaltungsvorschriften soll dem inte- (ROLLER 2010, S. 994), das heißt, von Betroffenen nicht grativen Gedanken Rechnung getragen werden. Während vor Gericht eingeklagt werden kann. Das hat zur Folge, die Grundzüge des Anlagengenehmigungsrechts nach dass bislang eine gerichtliche Überprüfung, die geholfen BImSchG und Wasserhaushaltsgesetz (WHG) also mit ih- hätte, gleichmäßige Standards in der Praxis durchzuset- ren jeweiligen Ausgestaltungen beibehalten wurden, zen, weitgehend fehlte. blieb die konkrete Umsetzung damit de facto dem unter- 546. Für eine Festlegung von Emissionsgrenzwerten in gesetzlichen Regelwerk überantwortet, das schon bisher abstrakten Regelwerken spricht auch, dass die IED den eine gewichtige Rolle für die Praxis des Umweltrechts Ansatz, abstrakt-generelle Anforderungen festzulegen, gespielt hat (RIEGER 2004, S. 160 ff.). Für eine Über- gestärkt hat (WASKOW 2011). Bereits die IVU-Richt- prüfung der Umsetzung der materiellen Integration muss linie sah vor, dass bei der Festlegung der emissionsbe- also der deutsche Ansatz, allgemein-abstrakte Grenz- grenzenden Anforderungen primär die technische Be- werte im Rahmen der Technischen Anleitung zur Rein- schaffenheit der Anlage zu berücksichtigen war. Dies haltung der Luft (TA Luft) festzulegen, einer kritischen fand seinen Niederschlag in den BVT-Merkblättern. BVT Würdigung unterzogen werden. Fraglich ist insbesondere, entsprechen betrieblich-technischen Anforderungen und wie integrativ abstrakt-generelle Regelwerke, also solche Bandbreiten von Emissionswerten, die bei der Genehmi- die allgemein für eine Vielzahl von Fällen gelten, ausge- gung von Anlagen zu beachten sind. Bei der Festlegung staltet sein können. der BVT müssen integrierte Aspekte beachtet werden. Somit ging bereits die IVU-Richtlinie davon aus, dass die Argumente für die abstrakt-generelle Festlegung integrierte Betrachtung nicht allein von den betroffenen von Emissionsgrenzwerten Genehmigungsbehörden vorgenommen wird bzw. vorge- nommen werden kann, wie auch die aufwendige Erarbei- 544. Für abstrakt-generelle Regelwerke spricht, dass tung der Merkblätter im Sevilla-Prozess belegt. Aller- mithilfe allgemein verbindlicher Grenzwerte ein gleich- dings waren die BVT-Merkblätter bislang nicht mäßiger Vollzug gewährleistet werden kann (SRU 2002, verbindlich, sondern stellten lediglich eine Handreichung Tz. 311). Dies wird auch aus den Problemen ersichtlich, für die Genehmigungsbehörden dar. mit denen der gleichmäßige Vollzug der IVU-Richtlinie in den Mitgliedstaaten in Ermangelung von Grenzwerten Die IED hat den Status der Merkblätter bzw. ihrer konfrontiert war (WASKOW 2011, S. 3). Sie schaffen Schlussfolgerungen demgegenüber deutlich gestärkt, in- nicht nur Rechtssicherheit für den Antragsteller (FELD- dem diese in Zukunft grundsätzlich verbindliche Min-

315 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts deststandards darstellen sollen (KOCH und BRAUN genbetreiber liegen. Dies spiegelt sich auch in der IED, 2010, S. 1273). Zukünftig sollen sie als Referenz für die die in Artikel 12 vorgibt, dass der Betreiber darlegt, wie Festlegung der Genehmigungsauflagen dienen, indem die er Emissionen zu vermeiden bzw. zu vermindern plant in den Genehmigungen festzulegenden Emissionsgrenz- und auch die sonstigen Grundpflichten beachten will. Er werte die in den BVT-Merkblättern beschriebenen Emis- muss auch die wichtigsten Alternativen zu den von ihm sionsbandbreiten grundsätzlich nicht überschreiten sol- im Antrag vorgeschlagenen Technologien, Techniken und len. Maßnahmen in einer Übersicht darstellen (Artikel 12 Ab- satz 1 lit k). Dies weist darauf hin, dass die IED davon Die Richtlinie will auf diesem Wege den Einsatz der BVT ausgeht, dass die konkrete Optimierung der Anlage in der stärken. Die Anwendung der BVT zählt zu den Grund- Verantwortung des Betreibers liegt. Wird lediglich mittels pflichten des Artikels 11 IED. Nach Artikel 13 sind BVT- der Emissionsbandbreiten der Stand der Technik festge- Merkblätter in BVT-Schlussfolgerungen mit höherer Ver- schrieben, bestehen Spielräume für die Umsetzung durch bindlichkeit in Gestalt eines Beschlusses nach Arti- den Anlagenbetreiber. Zudem bieten strenge Grenzwerte kel 288 Absatz 4 AEUV zu überführen (FÜHR in: einen Anreiz für den Anlagenbetreiber, seine Techniken KOCH/PACHE/SCHEUING 2011, § 1 Rn. 60a ). Indem hinsichtlich produktionsintegrierter Maßnahmen zu ver- somit auch auf europäischer Ebene an der Festsetzung all- bessern, womit auch die Weiterentwicklung des produk- gemeiner Standards gearbeitet wird, hat die IED die Ver- tionsintegrierten Umweltschutzes gefördert wird. Es wird wendung von Grenzwerten gestärkt. darüber hinaus grundsätzlich infrage gestellt, ob die be- 547. Zugunsten von abstrakt-generellen Emissions- hördliche Optimierung im Einzelfall, die in einer indivi- grenzwerten wird vorgebracht, dass der im deutschen duellen Feinsteuerung des Stoffstroms mündet, sinnvoll Recht durch den Stand der Technik in der TA Luft festge- ist. Statt behördenseits Produktionsabläufe steuern zu legte Standard in aller Regel integrativ ist, weil die Ab- wollen, würde eine Zielvorgabe „von außen“ über Quali- leitung emissionsbegrenzender und ressourcenbegrenzen- tätsstandards zu einer zielgenaueren Berücksichtigung der Anforderungen medienübergreifend ausgelegt ist von ökologischen Belastungsgrenzen führen (REESE (COHORS-FRESENBORG 2011). Dahinter steht die Er- 2010). Daran anknüpfend wird infrage gestellt, ob die wägung, dass die Emissionen einer konkreten Anlage Diskussion um die Integrationsklausel nicht insgesamt sich aus dem Stand der Technik ableiten lassen, hingegen von einer Überbetonung staatlicher Handlungsmöglich- von ihrem individuellen Standort weitgehend unabhängig keiten geprägt ist – im negativen (durch die Befürchtung sind. Daher lassen sich abstrakt-generell für alle Anlagen- umfassender Bevormundung) wie im positiven (in der Er- typen Grenzwerte festsetzen, die alle betroffenen Medien wartung, dass dem Grundsatz der Vorsorge damit neue gleichermaßen in den Blick nehmen. Zudem differenziert Durchschlagskraft verliehen werde). Dieser Ansicht zu- die TA Luft hinsichtlich der Anforderungen zwischen folge muss stärker auf die Mitwirkung des Anlagenbetrei- verschiedenen Anlagentypen, Einsatzstoffen und Produk- bers mithilfe des in seinem Einflussbereich gesammelten ten sowie Alt- und Neuanlagen. Daraus wird geschluss- Erfahrungswissens gesetzt werden (FÜHR in: KOCH/ folgert, dass diese Betrachtung eine Einzelfallbetrachtung PACHE/SCHEUING 2011, § 1 Rn. 55d). weitgehend ersetzen kann (COHORS-FRESENBORG 550. Schließlich wird auch argumentiert, dass nicht al- 2011, S. 2). lein die Festsetzung von Grenzwerten für die Umweltbe- 548. Überdies wird argumentiert, dass das Problem der lastung ausschlaggebend ist. Viele andere Aspekte, die Verlagerung in andere Umweltmedien in der Praxis sehr die Umweltauswirkungen maßgeblich beeinflussen, wie viel seltener auftrete als gemeinhin angenommen das Anlagenmanagement und bauliche Anforderungen an (COHORS-FRESENBORG 2011). In den meisten Fällen die Anlage (Einhausung, Kapselung) sind nicht Gegen- führe demnach die mediale Optimierung der Emissions- stand abstrakt-genereller Grenzwertfestlegungen. Diese minderung nicht zu relevanten Belastungsverlagerungen Anforderungen stellen aber den größeren Teil der Festle- und somit zu medienübergreifenden Konflikten. Soweit gungen in einem Genehmigungsbescheid dar und können, solche überhaupt auftreten, müssen diese bei der Festle- auch wenn generelle Grenzwerte bestehen, vor Ort be- gung emissionsbegrenzender Anforderungen identifiziert stimmt werden. und gelöst werden. Dies sei aber nach Auffassung der Be- fürworter abstrakter Regelwerke bereits bei der Erarbei- Argumente gegen die Festlegung von abstrakt- tung der TA Luft 2002 geschehen, wobei die tatsächlich generellen Emissionsgrenzwerten auftretenden Konflikte identifiziert und gelöst worden seien. Für untypische Sonderfälle sieht das untergesetzli- 551. Gegen die Umsetzung der europarechtlichen Vor- che Regelwerk zudem eine Festlegung des Standes der gaben durch abstrakte Regelwerke (insbesondere Technik im Einzelfall vor. TA Luft) werden allerdings gewichtige Argumente vorge- bracht. Zunächst stellt sich die Frage, ob die TA Luft 549. Neben den rechtlichen spricht auch eine Reihe von überhaupt den Anforderungen der IED gerecht wird. Ins- praktischen Erwägungen für die abstrakt-generelle Festle- besondere ist fraglich, ob der TA Luft wirklich durchge- gung von Emissionsgrenzwerten. Zunächst ist fraglich, hend eine integrierte Betrachtungsweise zugrunde liegt. ob es sinnvoll ist, wenn die Genehmigungsbehörde in Erforderlich wäre insoweit, dass für alle in der TA Luft Einzelfallbetrachtungen den Anlagenbetreibern Vorga- festgelegten Standards in der Begründung darüber Aus- ben für die Art der Anlage macht, weil die Kenntnisse kunft gegeben wird, auf welchen Erwägungen die Stan- hinsichtlich bestimmter Technologien eher beim Anla- dards beruhen und warum die Standards aus einer Ge-

316 Der integrierte Ansatz im deutschen Anlagenzulassungsrecht samtbetrachtung resultieren (SRU 2004, Tz. 620). Die in nachvollziehbar, inwieweit jeder einzelne Wert gerade der TA Luft enthaltenen Vorgaben, die die integrierte Be- aufgrund medienübergreifender Aspekte festgelegt wor- trachtung konkretisieren sollen, sind aber aufgrund ihrer den ist (RIEGER 2004, S. 163, 173; BADER 2002, abstrakt-generellen Natur kaum geeignet, das Integra- S. 193). Eine Begründung der einzelnen Werte wird von tionsproblem vollzugsleitend zu lösen. Dies zeigt sich der IED selbst zwar nicht gefordert (BUCHHOLZ 2001, schon daran, dass die entsprechenden Vorgaben weiterhin S. 239). Dennoch ist eine transparente und damit nach- sektoral segmentiert nebeneinander stehen (FÜHR in: vollziehbare Begründung kaum entbehrlich (SRU 2004, KOCH/PACHE/SCHEUING 2011, § 1 Rn. 55c). Tz. 567; 2002, Tz. 315; RIEGER 2004, S. 217). Die Frage der Nachvollziehbarkeit stellt sich vor allem für die 552. Es bestehen Zweifel, ob durch die TA Luft ge- Gerichte, denn diese messen den normkonkretisierenden währleistet ist, dass der aktuelle Stand der Technik an- Verwaltungsvorschriften aufgrund ihrer sachverständi- gewandt wird. Insoweit könnte auch die in der IED vor- gen und komplexen Ermittlung einen verbindlichen Er- gesehene Verpflichtung zur regelmäßigen Prüfung der kenntniswert bei. Die TA Luft als normkonkretisierende einzelnen Genehmigungsauflagen faktisch leerlaufen, Verwaltungsvorschrift kann nicht in einem separaten wenn das für die Entscheidung maßgebliche Bezugssys- Kontrollverfahren überprüft werden, da ein solches nicht tem der TA Luft nur unregelmäßig neu gefasst wird. Ob- existiert. Andererseits ergibt sich im Rahmen der inziden- wohl dem Normgeber zwangsläufig ein gewisser zeitli- ten Kontrolle eine faktische Bindungswirkung für die cher Spielraum zugestanden werden muss, gebietet die Gerichte, die nur sehr begrenzt überprüft werden kann. IED unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung, Fraglich ist somit, ob die Rechtsnatur der TA Luft problem- dass eine regelmäßige Überprüfung nicht nur praktisch adäquat ist oder ob die Festlegung der Grenzwerte in stattfinden, sondern sich auch im Wortlaut des Regelwer- Form einer Rechtsverordnung erfolgen sollte. kes niederschlagen muss. Sollte die TA Luft ursprünglich zehn Jahren nach ihrem Inkrafttreten – also 1996 – kri- Ganz generell hatte der EuGH im Jahre 1991 schon ein- tisch überprüft werden, so trat erst im Jahr 2002 die der- mal die Umsetzung der Grenzwerte der Schwefeldioxid- zeit gültige Fassung in Kraft. Es erscheint schwer vor- Richtlinie 80/779/EWG in Regelungen der TA Luft ge- stellbar, dass der Stand der Technik nicht schon eine rügt (EuGH, Urteil vom 30. Mai 1991 – Rs C-361/88, frühere Anpassung der Grenzwerte zumindest nahe gelegt NVwZ 1991, 866). Der EuGH konstatierte insbesondere hätte (kritisch hierzu auch BIESECKE 2002, S. 329). deswegen ein Defizit, weil die Bundesrepublik mit keiner nationalen Gerichtsentscheidung die Verbindlichkeit der Der praktische Nachweis, dass Verwaltungsvorschriften TA Luft gegenüber Dritten nachweisen konnte. Zwi- tatsächlich flexibler und einfacher an die technischen schenzeitlich hat das Bundesverwaltungsgericht Weiterentwicklungen anzupassen sind, steht vor diesem (BVerwG) jedoch die grundsätzliche Bindungswirkung Hintergrund noch aus (VOGT-BEHEIM 2004, S. 159; der TA Luft als normkonkretisierende Verwaltungsvor- BUCHHOLZ 2001, S. 85 m. Fn. S. 330; von DANWITZ schrift bestätigt (BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 1993, S. 94). Dagegen wird allerdings vorgebracht, dass 1995 – 7 B 112/94, NVwZ 1995, 994). Ob diese Recht- Technologieänderungen in größeren Abständen erfolgen sprechung nun den Anforderungen des EuGH genügt würden, sodass der 15-Jahreszyklus der BVT-Merkblätter oder ob nicht doch eine gesetzgeberische Grundlage der hinreichend sei, um den technologischen Fortschritt abzu- TA Luft insgesamt in Form einer Rechtsverordnung er- bilden (COHORS-FRESENBORG 2011). Nach Num- forderlich ist, bleibt dennoch offen (VOGT-BEHEIM mer 5.1.1 TA Luft sind die Genehmigungs- und Überwa- 2004, S. 154 ff.). Aufgrund der Bedeutung des zu regeln- chungsbehörden überdies unter bestimmten Bedingungen den Gebiets und der mangelnden Bindungswirkung sollte an die Anforderungen der TA Luft nicht mehr gebunden. daher die Festlegung von Emissionsgrenzwerten jeden- Dies ist der Fall, wenn die Anforderungen der TA Luft falls in Form einer Rechtsverordnung erfolgen. nicht mehr den BVT-Merkblättern entsprechen und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak- Ist die ökobilanzielle Betrachtung ein geeignetes torsicherheit (BMU) das Fortschreiten des Standes der Instrument in der Anlagenzulassung? Technik oder eine notwendige Ergänzung nach einem im BImSchG geregelten Verfahren bekannt gemacht hat. In 554. Grundsätzlich muss überdies die Frage gestellt diesen Fällen haben die zuständigen Behörden bei ihren werden, unter welchen Bedingungen eine integrative Ein- Entscheidungen die Fortentwicklung des Standes der zelbetrachtung einer jeden Anlage gegenüber einer Fest- Technik zu berücksichtigen (WASKOW 2011, S. 6). legung von generellen Grenzwerten vorzugswürdig und im Interesse des integrierten Umweltschutzes sinnvoll ist. 553. Weiterhin ergibt sich das Problem, dass insbeson- Eine Einzelbetrachtung wäre nur dann zielführend, wenn dere die Gerichte nicht nachvollziehen können, in wel- den von einer Behörde für den Einzelfall festgelegten cher Weise ein einzelner Grenzwert wirklich dem integra- Grenzwerten eine höhere Plausibilität zukommen könnte tiven Konzept Rechnung trägt. Eher deklaratorischer als den abstrakt-generellen Grenzwerten der TA Luft. Natur erscheint in diesem Zusammenhang die Feststel- Dies ließe sich dann erreichen, wenn in jedem Einzelfall lung unter Nummer 5.1.1 Absatz 2 der TA Luft: „Die eine vorhabenbezogene Ökobilanz durchgeführt werden Vorschriften berücksichtigen mögliche Verlagerungen würde. Grundsätzlich dient eine anlagenbezogene Öko- von nachteiligen Auswirkungen von einem Schutzgut auf bilanz dazu, Optimierungspotenziale einer Anlage zu er- ein anderes; sie sollen ein hohes Schutzniveau für die mitteln. Für anlagenbezogene Ökobilanzen stehen auch Umwelt insgesamt gewährleisten.“ Letztlich ist nicht weitgehend standardisierte Methoden zur Verfügung.

317 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts

Jedoch verfügen nicht alle Behörden über die Möglich- lege finden lassen. Wünschenswert wäre somit die An- keit, eine Ökobilanz durchführen zu lassen, vor allem, ordnung durch eine Bundes-Immissionsschutzverord- weil dafür die finanziellen, zeitlichen und personellen nung. Dies würde der Bedeutung des zu regelnden Ressourcen fehlen. Im Bereich der Anlagen bestehen Problems entsprechen und eine europarechtskonforme überdies die auch sonst bekannten methodischen und Umsetzung darstellen. Fraglich ist aber darüber hinaus, praktischen Probleme der Ökobilanzierung. Insbeson- ob das bestehende System im Sinne einer Flexibilisierung dere ist ihre Qualität abhängig von der Qualität der zur reformiert werden sollte (Tz. 565). Verfügung stehenden Daten. Wünschenswert wäre es hier, auf vorhandene Monitoringprogramme zurück zu 9.4.2.2 Immissionsseitige Anforderungen greifen. Diese sind zwar nicht in allen Fällen öffentlich zugänglich, insbesondere wenn Daten auf Länderebene 556. Auch wenn die Menge der Emissionen einer erhoben werden. Es ist aber möglich, bei den zuständigen Quelle unkritisch ist, so überschreiten sie, wenn mehrere Umweltschutz- und Naturschutzbehörden um spezifische Quellen zusammenwirken, vielfach die Schwellen des- Daten zu bitten. Zudem sind der integrativen Bewertung sen, was unter Schutz- und Vorsorgegesichtspunkten noch dort Grenzen gesetzt, wo die Vielzahl von Schadstoffen, zumutbar ist (KOCH 2010, S. 186). Die Vermeidung von die aus einer Anlage in die Luft oder das Wasser emittiert Kumulations- und Summationseffekten kann deshalb werden können, sehr groß ist. Nicht immer werden alle nicht allein durch abstrakte Emissionsgrenzwerte für eine relevanten Umweltaspekte auch erfasst, so werden bei- Emittentengruppe geleistet werden, denn sie ist nur durch spielsweise unter Umständen mikro- und nanoskalige koordiniertes Vorgehen gegen verschiedene Emittenten Stoffe nicht berücksichtigt. Die Wirkungen mancher Zwi- bzw. Emittentengruppen möglich. Die immissionsbezo- schen-, End- und Abbauprodukte ist teilweise unbekannt. gene Betrachtung muss daher alle Emittenten an einem Eine Ökobilanzierung kann daher für die Behörde fach- Standort (z. B. Industrieanlagen, Verkehr, Haushalte) so- lich komplex, aufwendig und teuer sein. wie die Vorbelastung des Standorts einbeziehen. Deshalb kann im Rahmen des Genehmigungsverfahrens auch ver- Nicht zuletzt kann es für Behörden schwierig sein, Wer- langt werden, dass der Betreiber Minderungsmaßnahmen tungen zu treffen, wenn Abwägungen zwischen verschie- ergreift, die über den Stand der Technik hinausgehen. denen Wirkungskategorien erforderlich sind. Dies gilt Diese Betrachtung wird durch Nummer 4 der TA Luft ge- insbesondere für die Bewertung von human- versus öko- regelt, die Immissionsgrenzwerte für Benzol, Blei, PM10, toxikologischen Wirkungen. Hier beruht eine Bilanzie- Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Tetrachlorethen und rung auch auf Wertungen, die nicht rein wissenschaftlich Fluorwasserstoff enthält. Sie findet ihre Grenze darin, vorgenommen werden können, sondern auch darüber hi- dass eine Genehmigung nicht versagt werden darf, wenn nausgehende normative Gewichtungen erfordern. Wenn die Anlage nur einen geringen Beitrag zur Gesamtbelas- die Ziele der Optimierung der Anlage allerdings von tung leistet. Wenn die Zusatzbelastung durch die Emissio- vornherein festgelegt sind (z. B. nur Steigerung der Luft- nen der betroffenen Anlagen 3 % des Immissions-Jahres- qualität), stellt sich dieses Problem nicht. wertes nicht überschreitet und durch eine Auflage sichergestellt ist, dass weitere Maßnahmen zur Luftrein- Fazit hinsichtlich der abstrakt-generellen Festlegung haltung, insbesondere Maßnahmen, die über den Stand von Grenzwerten der Technik hinausgehen, durchgeführt werden, muss die Anlage genehmigt werden (4.2.2 TA Luft, sog. Irrele- 555. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es gute Gründe vanzkriterium; dazu sehr kritisch bereits SRU 2004, dafür gibt, Emissionsgrenzwerte abstrakt-generell, also Tz. 538 f.). allgemein für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen, zu regeln und ihre Festlegung nicht allein aus einer Einzel- Um das Summationsproblem zu adressieren, stellt das fallbetrachtung abzuleiten. Insbesondere kann eine inte- BImSchG mit dem Luftreinhalteplan (und auch dem grative Betrachtung bei entsprechender Ausgestaltung Lärmminderungsplan) schon seit längerem Instrumente auch über den Stand der Technik gewährleistet werden zur Verfügung. Der Luftreinhalteplan hat bislang eher der und muss damit, jedenfalls emissionsseitig, nicht zwin- Informationsbeschaffung zur Unterstützung des Vollzugs gend vor Ort erfolgen. Zudem erlauben abstrakt-generelle des Anlagenrechts gedient, wogegen ein funktionsfähiges Grenzwerte einen gleichmäßigen Vollzug und schützen Vollzugsinstrumentarium fehlte (KOCH 2010, S. 186; die Behörde vor wirtschaftspolitischem Druck im Geneh- TRUTE 1989; JARASS 2003, S. 264–265). So hat bei- migungsverfahren. Allerdings muss daneben eine inte- spielsweise erst die Rechtsprechung des EuGH dazu ge- grierte Betrachtung sichergestellt werden. führt, dass betroffene Anwohner in der Lage waren, stra- ßenverkehrsbezogene Maßnahmen gegen die vom Nicht problemadäquat ist dagegen die Festsetzung von motorisierten Straßenverkehr verursachte hohe Fein- abstrakt-generellen Emissionswerten lediglich im Rah- staubbelastung gerichtlich durchzusetzen (siehe dazu aus- men einer Verwaltungsvorschrift wie der TA Luft. Dies führlich CALLIESS 2006b). Durch die Umsetzung der ergibt sich bereits aus der europäischen Rechtsprechung Luftqualitätsrichtlinie (Richtlinie 2008/50/EG) wurde je- (Tz. 553). Darüber hinaus wird eine Verwaltungsvor- doch das Instrumentarium für eine die Mitgliedstaaten schrift der Bedeutung des zu regelnden Sektors nicht ge- bindende Luftreinhalteplanung normiert. Die EU-Gesetz- recht. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, gebung und die Rechtsprechung des EuGH im Bereich dass eine Rechtsverordnung schwieriger zu aktualisieren der Luftreinhaltung haben in Deutschland einen Paradig- wäre, weil sich für diese Annahme in der Praxis keine Be- menwechsel im Recht der Luftreinhaltung hervorgerufen.

318 Optionen für eine bessere Integration

Während in früheren Jahren in Deutschland eine eher nalisierte Lösungen stellen dem betroffenen Unterneh- emissionsbezogene Betrachtungsweise vorherrschte men im Wesentlichen einen Ansprechpartner zur Verfü- (13. BImSchV und TA Luft), verlangte die EU-Gesetzge- gung, tragen jedoch weniger zu einer formellen bung stärker als bisher eine zusätzlich immissionsbezo- Integration bei. Funktionale Lösungen zielen dabei auf gene Betrachtung (LAHL 2007). Die Nachfolgerichtlinie, eine Optimierung der Behördenstruktur ab. Bei der soge- die Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft für nannten „Zaunlösung“ ist eine einzige Behörde für alle Europa (Richtlinie 2008/50/EG), wurde mit der Entscheidungen, die ein Betriebsgelände betreffen, ein- 39. BImSchV in deutsches Recht umgesetzt. Sie enthält schließlich der von dem Gelände erfolgenden weiter ent- unter anderem verbindliche Grenzwerte für Stickstoffdi- fernten Wassereinleitung zuständig. Eingeführt wurde oxid, die ab 2010 einzuhalten waren. Dies stellt einen dieses Modell beispielsweise durch das Verwaltungs- Schritt in die richtige Richtung dar, allerdings ist die eu- struktur-Reformgesetz in Baden-Württemberg im Jahr ropäische Luftreinhaltepolitik weiterhin nicht ausrei- 2004 und durch die Verwaltungsstrukturreform in Nord- chend mit wirksamen Maßnahmen verknüpft. In Deutsch- rhein-Westfalen im Jahr 2008. Eine Evaluation des ba- land ist es vor allem erforderlich, Maßnahmen zu den-württembergischen Gesetzes ergab, dass in umwelt- ergreifen, die die allgemeine Hintergrundbelastung (z. B. relevanten Verfahren die verschiedenen Umweltbelange Feinstaub, Stickstoffoxide) verringern (Tz. 298). fester verknüpft und damit Synergien erzielt werden konnten (Innenministerium Baden-Württemberg 2007). Es wird zudem darauf hingewiesen, dass es, neben der Eine noch weitergehende Integration erfolgt in einzelnen Betrachtung der von einer Anlage ausgehenden Emissio- Bezirksregierungen, beispielsweise in Münster, in denen nen für eine integrierte Betrachtung eigentlich erforder- die Bearbeitung der wasser-, abfall- und immissions- lich wäre, eine Betrachtung von alternativen Anlagenkon- schutzrechtlichen Belange in einem Dezernat konzentriert zeptionen vorzunehmen, die sich in Menge und Qualität ist. der emittierten Stoffe und im Freisetzungspfad unter- scheiden (FÜHR in: KOCH/PACHE/SCHEUING 2011, 559. Eine Fortentwicklung im Hinblick auf die formelle § 1 Rn. 55b). Somit bedürfte es zur Beurteilung der Integration könnte durch eine zielführende Umsetzung schädlichen Umwelteinwirkungen eigentlich eines im- der IED ins deutsche Recht erreicht werden. Neu geregelt missionsseitigen Vergleichsmaßstabs, etwa in Gestalt von wird in der IED im Hinblick auf die formelle Integration stoffbezogenen Umweltqualitätskriterien. Aber selbst zunächst nur die Überwachung (KOPP-ASSEN- wenn man solche Kriterien fundiert erarbeiten könnte, MACHER 2011, S. 13): Artikel 23 Absatz 1 IED schreibt wäre wiederum ein Übersetzungsmechanismus erforder- vor, dass die Mitgliedstaaten ein System für Umweltin- lich, mit dem die zulässige Belastung zwischen den ver- spektionen einführen, dass die gesamte Bandbreite an schiedenen Pfaden und betroffenen Rechtsgütern unter Auswirkungen der betreffenden Anlagen auf die Umwelt Einbeziehung der zeitlichen Dimension bewertet werden erfasst. Die Umweltinspektionen sollen auf der Basis ei- könnte (ebd.). nes Umweltinspektionsplans durchgeführt werden, der eine allgemeine Bewertung der wichtigen Umweltpro- 9.5 Optionen für eine bessere Integration bleme umfasst (Artikel 23 Absatz 3 lit. A). Er soll daneben nach lit. f gegebenenfalls Bestimmungen für die Zusam- 557. Wenn also der Rückgriff auf untergesetzliche Um- menarbeit zwischen verschiedenen Inspektionsbehörden weltstandards vor diesem Hintergrund unentbehrlich enthalten (WASKOW 2011, S. 6–7). Die Umweltinspek- bleibt, sollten den Behörden im Hinblick auf das Ziel des tion auf alle Umweltauswirkungen auszudehnen, könnte integrierten Umweltschutzes dennoch Steuerungsmög- für die Länder wo, dies nicht bereits erfolgt, ein Ansatz- lichkeiten im Einzelfall zugesprochen werden. Sowohl im punkt sein, die Behörden so zu organisieren, dass eine Hinblick auf die formelle wie auf die materielle Integra- Stelle für die Inspektionen und für die Genehmigung und tion im Anlagenzulassungsrecht sind Vorschläge gemacht Überwachung insgesamt zuständig ist. Damit würden worden, wie eine bessere Integration erfolgen kann. Die zum einen Synergien geschaffen werden, da die Informa- formelle Integration ist bislang nicht ausreichend reali- tionen aus dem Genehmigungsverfahren direkt für die siert, sie kann durch eine bessere Zusammenarbeit der Überwachung zur Verfügung stehen. Im Hinblick auf die Behörden gewinnen. Eine bessere materielle Integration von der IED erfassten Schutzgüter Luft, Wasser und Bo- kann beispielsweise durch eine Koppelung von abstrakt- den würde die integrierte Betrachtung gefördert werden. generellen Umweltstandards mit der Möglichkeit einer Einzelfallentscheidung bewirkt werden. Nachfolgend soll 560. Ein einheitlicher Genehmigungstatbestand würde dargestellt werden, welche Reformvorschläge bislang dis- eine besonders wirksame Form der formellen Integration kutiert wurden und ob sie geeignet erscheinen. darstellen, weil er unweigerlich erfordert, das Genehmi- gungsverfahren in einer Zulassungsstelle zu bündeln („In- 9.5.1 Ansätze in formeller Hinsicht tegration durch Verfahren“). Gegenwärtig sind bei der Anlagengenehmigung mehrere Genehmigungen erforder- 558. Im Hinblick auf die bessere formelle Integration lich, regelmäßig zumindest eine immissionsschutzrechtli- im Anlagenzulassungsrecht sind verschiedene Ansätze che und eine wasserrechtliche Genehmigung. Für die diskutiert worden (CALLIESS 2010, m.w.N.). Eine Mög- Ausgestaltung einer integrierten Vorhabengenehmigung lichkeit liegt darin, einen ressortübergreifenden An- (IVG) gibt es unterschiedliche Ansätze. Entscheidende sprechpartner für alle Kontakte zwischen Behörde und Bedeutung kommt der gelungenen Kombination von for- Unternehmen zu schaffen (SRU 2007, Tz. 371 ff.). Perso- meller und materieller Integration sowie der Koppelung

319 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts abstrakt-genereller Standards (wie der TA Luft) und inte- 562. Einen neuen Vorschlag für die Ausgestaltung einer grativer Einzelfallentscheidung zu (vertieft zur Bedeu- IVG haben KAHL und WELKE gemacht (2010). Sie tung der integrierten Vorhabengenehmigung für den inte- schlagen vor, eine Modell- bzw. Stammregelung der IVG grierten Umweltschutz CALLIESS 2008). Grundsätzlich ins Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) aufzuneh- beschränkt sich eine integrierte Genehmigung nicht auf men, die als Angebotsgesetzgebung fungiert und die die formelle Integration, sondern besitzt stets auch Be- durch Einzelregelungen im Fachgesetz ausgefüllt, kon- deutung für die materielle Integration, weil faktisch mate- kretisiert und unter Umständen modifiziert werden kann. rielle Genehmigungsvoraussetzungen entscheidend von Diese „Kombinationslösung“ zwischen einer vollständi- der verfahrensrechtlichen Ebene geprägt werden. gen Regelung des Genehmigungstatbestandes im Fach- recht einerseits und der vollständigen Regelung im 561. Der jüngste Ansatz für eine Integration durch Ver- VwVfG andererseits würde nach ihrer Auffassung meh- fahren in Form einer IVG fand sich im Referentenentwurf rere Vorteile mit sich bringen. Zunächst würde das (§ 51 UGB I) des – Anfang 2009 nunmehr schon zum VwVfG um eine Eröffnungskontrolle auch im Bereich zweiten Mal – gescheiterten Umweltgesetzbuchs (BMU des Umweltrechts ausgedehnt werden, wodurch im 2008; ausführlich CALLIESS 2008). Die IVG sollte die VwVfG eine systematische Gesamtregelung aller Eröff- materiellen Anforderungen an die immissionsschutz- nungskontrollen gelänge. Damit würde das VwVfG sei- rechtliche Genehmigung und die wasserrechtliche Gestat- nen Charakter als Generalkodifikation des Verwaltungs- tung in einem einheitlichen Genehmigungstatbestand zu- rechts behalten. Gleichzeitig würde eine Überfrachtung sammenführen. Der integrative Charakter der des VwVfG vermieden werden und die inhaltliche Aus- Genehmigung sollte hier dadurch gestärkt werden, dass gestaltung im fachspezifischen Recht erfolgen. Dieser die wesentlichen zulassungsrelevanten Gesichtspunkte, Vorschlag wäre geeignet, die Ablehnung derer zu über- die bisher fachrechtlich getrennt geregelt sind, auf einer winden, die befürchten, eine integrierte Vorhabengeneh- systematisch, strukturell und begrifflich harmonisierten migung könnte das allgemeine Verfahrensrecht schwä- Genehmigungsgrundlage zusammengeführt werden chen. (SANGENSTEDT 2007, S. 510). Auf die Formulierung einer eigenständigen Regelung zum integrierten Umwelt- 9.5.2 Ansätze in materieller Hinsicht schutz wurde hier freilich verzichtet. Vielmehr sollte über die Grundpflichten des § 53 UGB I, mit dem alle media- 563. Im Hinblick auf die materielle Integration bei der len Einträge erfasst werden sollten, der medienübergrei- Anlagenzulassung ist deutlich geworden, dass zwar einer- fende Ansatz der IVG umgesetzt werden (BMU 2008, seits abstrakt-generell geregelte Grenzwerte unentbehr- Entwurfsbegründung, S. 33). Dies betrifft insbesondere lich sind, es andererseits aber Defizite hinsichtlich der die Formulierung des „hohen Schutzniveaus für den Men- europarechtlichen Anforderungen an die materielle Inte- schen und die Umwelt insgesamt“ sowie den Begriff der gration im Anlagenzulassungsrecht gibt. Zudem bestehen „schädlichen Umweltveränderungen“ (§ 4 Nummer 6 immissionsseitig Defizite in Bezug auf die Erreichung der UGB I). Der Referentenentwurf des BMU behielt auch bestehenden Umweltqualitätsziele, die beispielsweise die Übertragung der materiellen Integrationsleistung auf von der Luftqualitätsrichtlinie aufgestellt werden. Auch das untergesetzliche Regelwerk bei, indem er in § 54 Ab- hier wurden in der Vergangenheit zahlreiche Optionen diskutiert, wie eine bessere materielle Integration im An- satz 1 Satz 2 UGB I das Ziel hervorhob, bei der Festle- lagenzulassungsrecht erreicht werden kann. gung der entsprechenden Anforderungen „insbesondere mögliche Verlagerungen nachteiliger Umweltauswirkun- gen von einem Umweltgut auf ein anderes oder auf den Optionen für die emissionsseitige Integration Menschen zu berücksichtigen; ein hohes Schutzniveau 564. Angesichts der unzureichenden materiellen Inte- für die Umwelt insgesamt ist zu gewährleisten.“ gration überzeugen Überlegungen, die mit Blick auf den integrierten Umweltschutz einen behördlichen Optimie- Auch nach dem Scheitern des UGB bleibt die Vereinheit- rungsspielraum im Rahmen des Genehmigungstatbestan- lichung des Zulassungsrechts für die medienübergrei- des der IVG fordern (SELLNER 2007, S. 63). Materielle fende, integrierte Prüfung aller Umweltauswirkungen ei- Integration kann umfassend durch eine Koppelung von nes Vorhabens ein zentrales Anliegen (SRU 2008a). abstrakt-generellen Umweltstandards mit Einzelfallent- Allerdings ist aufgrund des wiederholten Scheiterns des scheidungen bewirkt werden. Im Hinblick auf die Flexi- UGB ein erneuter Anlauf für eine umfassende Kodifizie- bilisierung von Emissionsgrenzwerten werden verschie- rung des deutschen Umweltrechts in einem UGB und da- dene Vorschläge diskutiert, die nachfolgend dargestellt mit der Möglichkeit der generellen Neuregelung der An- werden sollen. lagenzulassung in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Eine integrierte Vorhabengenehmigung könnte dennoch Flexibilisierung von Grenzwerten auch unabhängig von einem UGB realisiert werden. Vor- teilhaft wäre eine integrierte Vorhabengenehmigung auch, 565. Durch die Flexibilisierung von Grenzwerten wäre weil sie neben einer besseren formellen auch eine mate- es möglich, eine Belastungsverlagerung im Hinblick auf rielle Integration darstellen würde. Durch die Harmoni- die Emissionen einer Anlage zu vermeiden. Hier sind im sierung der Genehmigungsanforderungen würde ein ein- Laufe der Jahre verschiedene Vorschläge diskutiert wor- heitliches Prüf- und Genehmigungsprogramm geschaffen den. Eine Flexibilisierung von Grenzwerten könnte erfol- werden. gen, indem durch „weichere“ Emissionswerte mehr Frei-

320 Optionen für eine bessere Integration räume gewährt, alternative Grenzwertsysteme aufgestellt Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästi- oder fakultative behördliche Einzelfallbetrachtungen ein- gungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft geführt würden. Weiche Grenzwerte würden vor dem nicht hervorgerufen werden können. Hintergrund der BVT nicht den absolut höchsten Schutz Insgesamt würde daher eine Flexibilisierung der Grenz- gewähren, sondern Raum für eine Optimierung lassen, werte mit der Möglichkeit, strengere Grenzwerte festzu- wobei das Grenzwertsystem insgesamt das umweltpoli- setzen, einen Weg darstellen, einen besseren Schutz der tisch gewünschte Ziel erreichen sollte. Hier bestünde al- Umwelt insgesamt zu erreichen, ohne dass damit die Vor- lerdings die Gefahr, dass letztlich alle Grenzwerte groß- teile einer abstrakt-generellen Regelung von Emissions- zügiger gefasst werden würden. In der Folge würde grenzwerten aufgegeben werden müssen. insgesamt ein schlechterer Umweltschutz erreicht wer- den. Eine andere Möglichkeit wäre es, konkrete einzelne Grenzwertsysteme als Alternativen zur Disposition zu Integrations- und Kompensationsklauseln stellen (LÜBBE-WOLFF 1999, S. 246). Allerdings wäre 566. Eine weitere Möglichkeit würde darin bestehen, dies mit ganz erheblichen Anforderungen an das Norm- abstrakt-generelle Umweltstandards mit Einzelfallent- setzungsverfahren verbunden. Wenn der Normgeber den scheidungen zu koppeln. Dies könnte auf unterschiedli- integrierten Umweltschutz abstrakt-generell antizipieren che Weise geschehen. So könnte in Anlehnung an die müsste, entstünde ein hochkomplexes und damit kompli- Vorschläge der unabhängigen Sachverständigenkommis- ziertes Normgefüge. Dies trüge mit der engen Orientie- sion (sog. Sendler-Kommission, BMU 1998) eine Inte- rung der Grenzwertsysteme an speziellen Verfahrenswei- grationsklausel (§ 83 Absatz 2 Satz 1 UGB-KomE) for- sen auch die Gefahr in sich, eine Festlegung auf muliert werden (BMU 1998, Entwurfsbegründung, bestimmte Verfahren zu bewirken. Alternative Grenz- S. 627; KLOEPFER und DURNER 1997, S. 1089; werte könnten daher für Einzelfälle sinnvoll sein, erschei- SCHRADER 1998, S. 287): nen aber in der Regel zu komplex und starr. „Die für das Vorhaben geltenden Grundpflichten und die Eine Flexibilisierung der Grenzwerte mit behördlicher Anforderungen an die Zulässigkeit von Eingriffen in Na- Einzelfallbetrachtung könnte sicherstellen, dass den spe- tur und Landschaft sind so zu erfüllen, dass unter Berück- zifischen Bedingungen der Anlage Rechnung getragen sichtigung aller Belastungspfade und der Wechselwirkun- werden kann. Praktisch könnte dies beispielsweise in gen zwischen den Umweltgütern die Maßnahmen Form von Grenzwertrahmen mit Regel-Richtwerten getroffen werden, die die Umwelt in ihrer Gesamtheit (VOGT-BEHEIM 2004, S. 256; im Ergebnis wohl auch möglichst wenig belasten.“ RIEGER 2004, S. 249) oder durch das sogenannte Kom- Die Integrationsklausel würde vom Vorhabenträger ver- pensationsmodell (Tz. 567) umgesetzt werden. Bei der langen, dass er, wenn er die Grundpflichten und die Ge- Generalisierung mittels Rahmenwerten bestünde aller- nehmigungsvoraussetzungen für das Vorhaben auf ver- dings die Gefahr, dass ein vorliegender atypischer Fall schiedene Weise erfüllen kann, diejenige Option von der Behörde nicht als solcher erkannt und behandelt realisiert, die die Umwelt in ihrer Gesamtheit möglichst würde, sondern die jeweils untere Rahmengrenze als ma- wenig belastet (SELLNER 1999, S. 103). Eine solche ximal eingeräumter Spielraum verstanden und festgesetzt Pflicht zur medienübergreifenden Belastungsminimie- würde. Kritisch wäre eine Einzelfallbetrachtung insofern rung würde der Genehmigungsbehörde bei der Entschei- zu beurteilen, als sie unter Umständen schwierige Abwä- dung über die Genehmigungserteilung einen Bewertungs- gungsfragen den Behörden überantwortet, die damit über- spielraum (Einschätzungsprärogative) eröffnen fordert sein könnten. Trotzdem erscheint es erforderlich, (SENDLER 1998, S. 28; kritisch hierzu WICKEL 2000, den Behörden größere Flexibilität – jedenfalls im Hin- S. 97; sowie FLUCK 1998, S. 119). Dieser Spielraum blick auf anspruchsvollere Festsetzungen – einzuräumen. würde durch die Grundpflichten und die Eingriffsrege- Ihnen sollte somit die Möglichkeit eröffnet werden, stren- lung einerseits und durch den Verhältnismäßigkeitsgrund- gere Grenzwerte festzusetzen, wenn dies erforderlich ist. satz („möglichst wenig belastet“) andererseits begrenzt Dies gilt insbesondere, da eine Flexibilisierung der werden (BMU 1998, Entwurfsbegründung, S. 627 f.). Grenzwerte bereits gegenwärtig in einem gewissen Rah- Eine Integrationsklausel in der beschriebenen Form wäre men stattfindet, der Schritt hin zu einer größeren Flexibi- positiv zu bewerten, weil sie sich darauf beschränkt den lität mithin in der Praxis oftmals schon gegangen wird. Betreiber anzuhalten, innerhalb der vorgegebenen Grenz- Neben § 17 Absatz 3a BImSchG, der eine solche Flexibi- werte die optimale Lösung zu suchen. lität bei der nachträglichen Anordnung ermöglicht, wer- den zudem in der Praxis nämlich bereits jetzt in Geneh- 567. Eine Ergänzung dieser Integrationsklausel wäre migungsbescheiden strengere Grenzwerte festgesetzt als die zusätzlich vorgeschlagene Kompensationsklausel des § 84 Absatz 3 UGB-KomE: sie durch die TA Luft vorgegeben sind. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn bereits im Rahmen des Be- „Auf Antrag des Vorhabenträgers kann in der Vorhaben- bauungsplanverfahrens zwischen Betreiber und Ge- genehmigung von der Einhaltung einzelner Grenzwerte meinde abweichende Vereinbarungen getroffen werden. zur Vorsorge gegen Risiken abgesehen werden, wenn da- Grundsätzlich ist dies auch im Rahmen von § 5 Absatz 1 raus unter Berücksichtigung des Einsatzes von Ressour- Nummer 1 BImSchG möglich, der regelt, dass genehmi- cen und Energie Vorteile für die Umwelt in ihrer Gesamt- gungsbedürftige Anlagen so zu errichten und betreiben heit erwachsen, die die Nachteile nach Einschätzung der sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Behörde eindeutig und erheblich überwiegen.“

321 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts

Eine solche Regelung würde die Möglichkeit schaffen, den praktisch wirksamer durch die Umstellung von der die Hindernisse zu überwinden, die mit der Festlegung gebundenen Entscheidung auf eine Ermessensentschei- von verbindlichen Umweltstandards im Vorsorgebereich dung erreicht werden. für eine Gesamtbetrachtung der Auswirkungen im Einzel- fall verbunden sind (BMU 1998, Entwurfsbegründung, Ermessensentscheidung S. 631 f.). Diese Flexibilität der Kompensationsklausel würde zum Beispiel dann relevant, wenn Luftreinhalte- 569. Die dargestellten Ansätze für eine Flexibilisierung grenzwerte in einem Einzelfall zwar überschritten wer- von Grenzwerten begegnen – wie diskutiert – einigen den, aber durch bestimmte Maßnahmen eine für die Um- Einwänden. In der Summe werfen die dargestellten Flexi- welt insgesamt verträglichere Lösung möglich würde, bei bilisierungsmöglichkeiten aber einmal mehr die umstrit- der deutlich weniger Abfälle anfallen oder Abwasserein- tene Frage auf, ob ein Festhalten an dem traditionellen leitungen erheblich reduziert werden können. Auf diese konditional programmierten Entscheidungsprogramm in Weise würde eine im Interesse des integrierten Umwelt- Form der gebundenen Entscheidung noch zwingend ist. schutzes vorzunehmende Flexibilisierung ordnungsrecht- Die gebundene Entscheidung verlangt, dass die Behörde, licher Anforderungen eine effizientere Umsetzung von wenn die gesetzlich festgeschriebenen Tatbestandsvor- Vorsorgemaßnahmen bewirken können, bei der die Um- aussetzungen vorliegen, die im Gesetz vorgesehene welt, dem Grundsatz der bestmöglichen Umweltoption Rechtsfolge herbeiführt. Im Fall der Anlagengenehmi- entsprechend (CALLIESS 2003, S. 86 f.), insgesamt pro- gung bestimmt § 6 BImSchG, dass die Genehmigung zu fitiert. Allerdings ist die Kompensationsklausel kritisch erteilen ist, wenn die sich aus dem untergesetzlichen Re- zu bewerten, weil sie – wie bereits aus dem Wortlaut er- gelwerk ergebenden Pflichten erfüllt werden und andere sichtlich – auf einer einzelnen Behördeneinschätzung be- öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. ruht und somit die dagegen bereits oben vorgebrachten Befürworter der gebundenen Entscheidung berufen sich Einwände durchschlagen. insoweit auf die grundrechtlichen Rechtspositionen potenzieller Antragsteller, die einen einklagbaren Schutz von Eigentum und Gewerbefreiheit gewährleisten Anlagenbezogene Gefahrenabwehrpflichten (WEBER und RIEDEL 2009, S. 1004; ausführlich 568. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Überlegun- CALLIESS 2001, S. 262 ff.). Einem Ermessenstatbestand gen, ist eine Erweiterung der anlagenbezogenen Gefahren- steht jedoch nicht entgegen, dass ein Genehmigungsan- abwehrgrundpflicht in § 5 Absatz 1 Nummer 1 BImSchG spruch grundgesetzlich – insbesondere durch Artikel 12 diskutiert worden, die der Genehmigungsbehörde im Ein- und 14 Grundgesetz (GG) – geboten ist. Denn im mehr- zelfall Steuerungsmöglichkeiten zur Durchsetzung der poligen Verfassungsrechtsverhältnis müssen kollidie- Vorgaben des integrierten Umweltschutzes einräumt. In rende Schutzgüter Dritter und des Gemeinwohls im Rah- Anlehnung an die Vorschläge der UGB-Kommission men einer diesbezüglichen Abwägungsentscheidung wurde angeregt, diese Abwehrgrundpflicht wie folgt zu gleichwertig neben der Wirtschaftsfreiheit des Antrag- ergänzen: stellers berücksichtigt werden (CALLIESS 2001, S. 256 ff., 373 ff., 566 ff. m.w.N.; HOPPE/BECKMANN/ „Vorhaben sind so durchzuführen, dass zur Gewährleis- KAUCH 2000, § 8 Rn. 39; ähnlich SPARWASSER/ tung eines hohen Schutzniveaus für den Menschen und ENGEL/VOßKUHLE 2003, § 2 Rn. 39). Konkret entfal- die Umwelt insgesamt schädliche Umweltveränderungen ten Schutzpflichten aus Artikel 2 Absatz 2 GG oder Ei- und sonstige Gefahren […] unter Berücksichtigung der gentumspositionen Dritter aus Artikel 14 GG insoweit Beschaffenheit des Vorhabens, seines Standortes und der ebenso Wirkung wie der in Artikel 20a GG festgelegte örtlichen Umweltbedingungen samt ihrer Wechselwirkun- Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (CALLIESS gen nicht hervorgerufen werden können“ (CALLIESS 2001, S. 104 ff. und S. 437 ff. m.w.N.). Darüber hinaus ist 2010). zu bedenken, dass gerade für die Leitregelung der immis- sionsschutzrechtlichen Genehmigung anerkannt ist, dass Diese Formulierung würde es der Genehmigungsbehörde sie nur noch dem äußeren Tatbestand nach eine strikt ge- ermöglichen, einerseits auf untergesetzliche Umweltstan- bundene Entscheidung darstellt (BREUER 2002, dards zurückzugreifen, andererseits aber im Interesse des S. 565 f.; WICKEL 2000, S. 98; WAHL 2000, S. 364; integrierten Umweltschutzes Auflagen zu erteilen oder SENDLER 1998, S. 22 f.; JARASS 2007, § 6 Rn. 26; aber im Extremfall die Genehmigung zu versagen, wenn TRUTE 1989, S. 334 ff.; CALLIESS 2001, S. 384 f.; vor- nach ihrer Einschätzung im Einzelfall trotz Einhaltung sichtiger LADEUR 1998, S. 246 f.). Bei genauerer Be- der untergesetzlichen Umweltstandards erhebliche nach- trachtung zeigt sich, dass bereits heute zahlreiche Tatbe- teilige Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Mit einem standsmerkmale formal gebundener Entscheidungen Antrag im Sinne der vorstehend erwähnten Kompensa- Abwägungselemente und Gestaltungsermächtigungen tionsklausel könnte der Vorhabenträger einer solchen Ver- enthalten, wodurch sich die gebundene Genehmigungs- sagung entgegenwirken. Allerdings stößt der Vorschlag in entscheidung längst weitgehend einer Ermessensentschei- der Praxis auf das Problem, dass eine solcherart allge- dung angenähert hat. meine Klausel voraussichtlich nicht zu einem Eingreifen der Behörden zur Förderung des Gesamtausgleichs der Aber auch die zunehmenden Schwierigkeiten bei der Im- Umweltauswirkungen führen würde. Während eine ent- plementierung europarechtlicher Vorgaben sprechen für sprechende Flexibilisierung daher rechtlich betrachtet eine Öffnung der strikt konditionalen Entscheidungs- wünschenswert wäre, könnte die Intention unter Umstän- struktur, das heißt für eine Abkehr von der strikten Ver-

322 Optionen für eine bessere Integration pflichtung der Behörde eine Genehmigung zu erteilen, Optionen für die immissionsseitige Integration wenn die gesetzlich geregelten Voraussetzungen vorlie- gen (CALLIESS 2006a, S. 609). Aus europarechtlicher 571. Im Hinblick auf die Immissionen besteht die Sicht ist zwar zuzugeben, dass die für den integrierten Schwierigkeit, dass es durch die vielen einzelnen Bei- Umweltschutz maßgebliche IED nicht zwingend eine Ab- träge aus der sich die Gesamtbelastung ergibt, oftmals in kehr von dem deutschen System der gebundenen Ent- der Praxis problematisch ist, diese wirksam zu reduzie- scheidung fordert (GÜNTER 2002, S. 397; ERBGUTH ren. Um europarechtlich geforderte Umweltqualitätsziele und STOLLMANN 2000, S. 382; DOLDE 1997, S. 318 zu erreichen, wäre grundsätzlich eine Flexibilisierung des m.w.N.). Es wird jedoch zu Recht bezweifelt, ob die ge- Genehmigungsanspruchs notwendig. Solche Umweltqua- bundene Erlaubnis den Zielen des europarechtlich gefor- litätsziele stellt beispielsweise die Richtlinie 2004/107/ derten integrierten Umweltschutzes überhaupt gerecht EG auf, die bestimmt, dass für die Luftschadstoffe Arsen, werden kann (KUGELMANN 2002, S. 1245; BMU Cadmium, Quecksilber, Nickel und polyzyklische aroma- 1998, Entwurfsbegründung, S. 600; FELDHAUS 2002, tische Kohlenwasserstoffe ab Ende 2012 Zielwerte in der S. 5). Schon aufgrund ihrer gebundenen Entscheidungs- Luft eingehalten werden sollen. struktur ermöglicht sie nur sehr eingeschränkt die Be- Das Luftreinhalterecht des BImSchG stellt seit jeher do- rücksichtigung medienübergreifender Aspekte sowie ei- minant Anlagen- und Zulassungsrecht dar. Die in der ner damit geforderten Alternativenprüfung (ERBGUTH/ Form von Immissionsgrenzwerten in der TA Luft und der SCHINK 1996, § 12 Rn. 15; HEITSCH 1996, S. 458; 2. BImSchV enthaltenen Luftqualitätsziele wurden vor- HOFFMANN-RIEM 1994, S. 606 ff.; PRESCHEL 1999, rangig durch die Regulierung nur einer Emittenten- S. 407). gruppe, nämlich der Industrieanlagen, angestrebt (SRU Nimmt man also den Gedanken der materiellen Integra- 2004, Tz. 539). Demgegenüber verfolgt das europarecht- tion ernst, so könnte die tradierte konditionale Regelungs- lich induzierte Recht der Luftreinhalteplanung neue An- struktur der Vorhabengenehmigung hinterfragt und der sätze. Der Luftqualitätsrichtlinie zufolge ist bei einer Ver- Übergang zu einer stärker final orientierten Gesetzgebung letzung der Luftqualitätsziele die Erarbeitung von in den Blick genommen werden. Der Ansatz, dass sen- Luftreinhalteplänen mit einem Maßnahmenteil zur ge- sible Umweltmedien wie das Wasser grundsätzlich einem bietsbezogenen Immissionsreduzierung erforderlich. Dies staatlichen Ordnungsrahmen unterstellt werden können spiegelt die Tatsache, dass die Einhaltung von Umwelt- und daher kein strikter Anspruch auf Umweltnutzung be- qualitätszielen allein über anlagenbezogene Grenzwerte stehen kann, lässt sich durchaus auch auf andere Umwelt- nicht wirksam erreicht werden kann. Denn die übergrei- medien wie Luft und Boden übertragen. Die Feststellung fenden, quellenunabhängigen und insbesondere auch den des Bundesverfassungsgerichts in der Naßauskiesungs- Verkehrsbereich erfassenden Qualitätsziele können nicht Entscheidung (Beschluss vom 15. Juli 1981, BVerfGE durch Vorgaben umgesetzt werden, die auf genehmi- Bd. 58, S. 300; dazu CALLIESS 2001, S. 376), dass die gungsbedürftige Anlagen beschränkt sind. Dennoch be- optimale Nutzung des knappen Gutes Wasser ohne Be- stehen auch im Bereich der Anlagen Probleme fort. Eine wirtschaftungsspielräume der Behörden nicht möglich wirksamere Einbeziehung von Anlagen in die gebietsbe- sei, gilt demnach auch für andere Umweltgüter. Aus die- zogene Immissionsreduzierung könnte über ein Versa- sem Grund sind „behördliche Bewirtschaftungsspiel- gungsermessen eröffnet werden (APPEL 1995). Zwar hat räume nicht nur für wasserrechtliche, sondern für sämt- der EuGH in einem kürzlich ergangenen Urteil festge- liche umweltrechtliche Zulassungsentscheidungen von stellt, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, prinzipieller Bedeutung“ (BMU 1994, S. 29; eine beantragte Genehmigung zu versagen, wenn abseh- SCHRADER 1999, S. 148; MAST 1996, S. 65 f.). Eine bar ist, dass die Emissionen der betreffenden Anlage zu- Umwandlung der gebundenen in eine Ermessensentschei- künftig zu einer Überschreitung eines europarechtlich dung würde überdies auch eine Versagungsmöglichkeit vorgegebenen Umweltqualitätszieles führen wird (EuGH, bei Nichteinhaltung von Luftqualitätszielen eröffnen. Urteil vom 26. Mai 2011, Rs. C-165/09 bis C-167/09). Der EuGH hat damit aber nicht entschieden, dass es un- Bewertungs-, Abwägungs- und Ermessensdirektiven zulässig wäre, wenn ein Mitgliedstaat die Anforderung, dass trotz Betriebs der Anlage die Umweltqualitätsziele 570. Die Entscheidungsstruktur der gebundenen Ent- eingehalten werden, an die Genehmigung knüpfen würde. scheidung ermöglicht nur eingeschränkt die Berücksichti- Eine solche Folgerung stünde auch im Widerspruch zu gung medienübergreifender Aspekte und einer damit ge- Artikel 18 IED. Dieser regelt, dass, wenn eine Umwelt- forderten Alternativenprüfung (ERBGUTH/SCHINK qualitätsnorm strengere Auflagen erfordert, als durch die 1996, § 12 Rn. 15; HEITSCH 1996, S. 458; Anwendung der BVT zu erfüllen sind, zusätzliche Aufla- HOFFMANN-RIEM 1994, S. 606 ff.; PRESCHEL 1999, gen in der Genehmigung vorgesehen werden können. S. 407). Die Postulate des integrierten Umweltschutzes Dies gilt unbeschadet anderer Maßnahmen, die zur Ein- ließen sich in Form von Bewertungs-, Abwägungs- und haltung der Umweltqualitätsnormen ergriffen werden Ermessensdirektiven formulieren, die der Verwaltung können. klare Vorgaben für die Ermessensausübung an die Hand geben (ähnlich BREUER 2002, S. 563 f., der sich letzt- Daher wäre auch für die Erreichung von Immissionszie- lich jedoch für eine Beibehaltung des konditionalen len die Umwandlung der gebundenen Entscheidung in Gerüsts ausspricht; KOCH und VERHEYEN 1999, S. 9; eine Ermessensentscheidung hilfreich. Sollen den Anla- KLOEPFER et al. 1991, S. 273 Gesetzesbegründung). genbetreibern weitergehende, aufgrund der Gesamtbelas-

323 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts tung erforderliche Auflagen gemacht werden, wie sie die er es unweigerlich erfordert, das Genehmigungsverfahren IED in Artikel 18 vorsieht, wird ein medienübergreifend in einer Zulassungsstelle zu bündeln. formulierter Grundsatz als hilfreich erachtet. Dieser er- Nach dem bedauerlichen Scheitern des geplanten Um- laubt es, den Verursacher heranzuziehen, der am meisten weltgesetzbuchs (SRU 2008a) wäre es beispielsweise zur Belastung beiträgt bzw. dessen Minderungspotenzial möglich, wie von KAHL und WELKE (2010, S. 1424) am leichtesten zu erschließen ist (COHORS-FRESEN- vorgeschlagen, die IVG als Stammregelung im Sinne ei- BORG 2011). ner Angebotsgesetzgebung im VwVfG zu verankern. Allerdings ist auch auf die Grenzen dieses Ansatzes hin- Eine solche Regelung könnte „Teil einer systematischen zuweisen. Insbesondere im Bereich der Luftreinhaltung Normierung des Rechts der Eröffnungskontrollen aus ei- wäre es eigentlich erforderlich, den Verkehr als wichtigen nem Guss“ sein, aus dem sich das Umweltrecht bedienen Verursacher stärker einzubeziehen und Verkehrsemissio- kann. Gleichzeitig könnte der bestehende Genehmigungs- nen zu begrenzen. Dies kann nicht dadurch kompensiert tatbestand im Fachrecht fortentwickelt werden. werden, dass dem anlagenbezogenen Luftreinhalterecht 574. Im Hinblick auf die materielle Integration bestehen die Lücken und Defizite des verkehrsbezogenen Luftrein- wie gezeigt emissionsseitig gute Gründe, auf generell-ab- halterechts aufgelastet werden (JARASS 2003, S. 258). strakte Grenzwerte zurückzugreifen. Allerdings sollten Parallel ist es erforderlich, im Verkehrsbereich ausrei- Emissionsgrenzwerte im Rahmen einer Rechtsverord- chende Maßnahmen zu treffen (vgl. Kap. 4 und Kap. 5). nung (BImSchV) geregelt werden. Insbesondere mit Blick auf eine verbesserte Umsetzung europarechtlicher 9.6 Zusammenfassendes Ergebnis Vorgaben des integrierten Umweltschutzes hält der SRU und Empfehlungen überdies eine Öffnung der gebundenen Genehmigung in 572. Im Ergebnis ist eine verbesserte formelle Integra- Richtung einer Ermessensentscheidung für erforderlich. tion bei der Anlagenzulassung nicht nur aus europarecht- Diese ließe sich gegebenenfalls um Ermessens- und Ab- lichen Überlegungen heraus sinnvoll, sondern vor allem wägungsdirektiven ergänzen. Eine solche Regelung auch im Interesse des integrierten Umweltschutzes als un- würde nicht zuletzt der herrschenden Praxis besser ge- bedingt wünschenswert anzusehen. Ziel sollte es sein, wie recht werden, in der sich die gebundene Entscheidung in der IED vorgegeben, sicherzustellen, dass alle für diese weitgehend einer Ermessensentscheidung angenähert hat. Verfahren zuständigen Behörden anhand eines wirksamen Gerade der Ansatz, dass sensible Umweltmedien wie das integrierten Konzepts vorgehen. Dies ist in Deutschland Wasser grundsätzlich einem staatlichen Ordnungsrahmen bislang nur in wenigen Bundesländern der Fall. Es beste- unterstellt werden können und daher kein strikter An- hen sogar Tendenzen zu einer zunehmenden Kommunali- spruch auf Umweltnutzung bestehen kann, lässt sich in sierung der Umweltverwaltungen in einzelnen Bundes- verfassungskonformer Weise auch auf andere Umwelt- ländern, was die Integration der Verfahren weiter medien wie Luft und Boden übertragen. Angesichts der erschwert. ansonsten schwer zu erreichenden nationalen Luftquali- tätsziele könnte den Behörden auf diese Weise ein Versa- Wünschenswert wäre es, das von Artikel 23 Absatz 1 gungsermessen eröffnet werden, wenn gesetzlich vorge- IED geforderte System für Umweltinspektionen zu nut- schriebene Luftqualitätsziele nicht eingehalten werden. zen, das die gesamte Bandbreite an Auswirkungen der be- Vor diesem Hintergrund sollte die gebundene Entschei- treffenden Anlagen auf die Umwelt erfassen soll. Die dung aus Gründen der Rechtsklarheit im Immissions- Umweltinspektionen auf alle Umweltauswirkungen ge- schutzrecht aufgegeben werden, sodass den Vorgaben des meinsam auszudehnen, könnte für die Länder, wo dies integrierten Umweltschutzes ebenso wie modernen Be- nicht bereits erfolgt, ein Ansatzpunkt sein, die Behörden wirtschaftungsansätzen für Umweltmedien, wie sie im so zu organisieren, dass eine Stelle für die Inspektionen Klimaschutzrecht und Wasserrecht ihren Niederschlag und für die Genehmigung und Überwachung insgesamt gefunden haben, besser entsprochen werden kann. zuständig ist. Damit würden zum einen Synergien ge- schaffen werden, da die Informationen aus dem Geneh- 9.7 Literatur migungsverfahren direkt für die Überwachung zur Verfü- gung stünden. Im Hinblick auf die von der IED erfassten Appel, I. (1995): Emissionsbegrenzung und Umweltqua- Schutzgüter Luft, Wasser und Boden würde die inte- lität. Zu zwei Grundkonzepten der Vorsorge am Beispiel grierte Betrachtung gefördert werden. des IPPC-Richtlinienvorschlags der EG. Deutsches Ver- waltungsblatt 110 (8), S. 399–408. 573. Kompetenzrechtlich bestehen zwar nur begrenzt Möglichkeiten, Einheitsbehörden auf Bundesebene zu Backes, C. (2006): Die Erneuerung der Umweltgesetzge- verankern. Tatsächlich könnte hier ein einheitlicher Ge- bung in den Niederlanden. Zeitschrift für Europäisches nehmigungstatbestand in Form einer IVG hilfreich sein Umwelt- und Planungsrecht 4 (6), S. 293 ff. („Integration durch Verfahren“), wie es auch im Rahmen Bader, B. (2002): Die Umsetzung der IVU-Richtlinie in des letzten gescheiterten Anlaufs zu einem Umweltge- deutsches Recht. Probleme und Chancen. Köln, Universi- setzbuch beabsichtigt war. Ein solcher einheitlicher Ge- tät, Dissertation. nehmigungstatbestand ließe sich auf Landesebene nur mit Leben füllen, wenn die entsprechenden Fachbehörden zu- Biesecke, T. (2002): Die verfahrensrechtliche Integration sammengeführt werden würden. Er würde eine besonders durch das novellierte Bundesimmissionsschutzgesetz. wirksame Form der formellen Integration darstellen, weil Zeitschrift für Umweltrecht 13 (5), S. 325–330.

324 Literatur

BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Tagung des Instituts für Umwelt- und Technikrecht vom Reaktorsicherheit) (2008): Erstes Buch Umweltgesetz- 17. bis 18. März 2003. Berlin: Erich Schmidt. Umwelt- buch – Allgemeine Vorschriften und vorhabenbezogenes und Technikrecht 76, S. 153–178. Umweltrecht (Erstes Buch Umweltgesetzbuch – UGB I). Entwurf. Berlin: BMU. http://www.bmu.de/files/pdfs/all Calliess, C. (2003): Verwaltungsorganisationsrechtliche gemein/application/pdf/ugb1_allgem_vorschriften.pdf Konsequenzen des integrierten Umweltschutzes. In: Ruf- (25.01.2011). fert, M. (Hrsg.): Recht und Organisation. Staatsrecht – Verwaltungsrecht – Europarecht – Völkerrecht. Vorträge BMU (1998): Umweltgesetzbuch (UGB-KomE). Entwurf und Diskussionen zum Symposion anläßlich des 60. Ge- der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum burtstags von Prof. Dr. Meinhard Schröder in Trier. Ber- Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, lin: Duncker & Humblot. Schriften zum öffentlichen Naturschutz und Reaktorsicherheit. Berlin: Duncker & Recht 913, S. 73–106. Humblot. Calliess, C. (2001): Rechtsstaat und Umweltstaat: Zu- BMU (1994): Denkschrift für ein Umweltgesetzbuch und gleich ein Beitrag zur Grundrechtsdogmatik im Rahmen Gesprächsprotokoll der Klausurtagung des Bundesminis- mehrpoliger Verfassungsrechtsverhältnisse. Tübingen: teriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Mohr Siebeck. Jus Publicum 71. und der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch am 12./13. November 1993 in Cohors-Fresenborg, D. (2011): Anhörung des SRU zum Bad Neuenahr-Ahrweiler. Berlin: Erich Schmidt. integrierten Umweltschutz. Einige Thesen zu den gestell- ten Leitfragen. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt. The- Böhm, M. (1996): Der Normmensch. Materielle und pro- senpapier. zedurale Aspekte des Schutzes der menschlichen Gesund- heit vor Umweltschadstoffen. Tübingen: Mohr. Jus Publi- Danwitz, T. von (1993): Normkonkretisierende Verwal- cum 16. tungsvorschriften und Gemeinschaftsrecht. Verwaltungs- archiv 84, S. 73–96. Breuer, R. (2002): Konditionale und finale Rechtsetzung. Archiv des öffentlichen Rechts 127 (4), S. 523–574. Di Fabio, U., Haigh, N. (1998): Integratives Umwelt- recht. Bestand, Ziele, Möglichkeiten. Berlin: Erich Buchholz, G. (2001): Integrative Grenzwerte im Umwelt- Schmidt. Dokumentation zur ... wissenschaftlichen Fach- recht. Berlin: Erich Schmidt. Umwelt- und Technikrecht tagung der Gesellschaft für Umweltrecht 21. 57. Diehl, A. (2011): Stärkung des europäischen Konzepts Calliess, C. (2010): Integrierter Umweltschutz revisited: der „besten verfügbaren Technik“ durch die Richtlinie Reformbedarf in TA Luft und Anlagenzulassungsrecht? über Industrieemissionen. Zeitschrift für Umweltrecht Deutsches Verwaltungsblatt 125 (1), S. 1–11. 22 (2), S. 59–65. Calliess, C. (2008): Integrierte Vorhabengenehmigung und Rechtsschutz im aktuellen Entwurf des UGB I. Zeit- Dolde, K.-P. (1997): Die EG-Richtlinie über die inte- schrift für Umweltrecht 19 (7–8), S. 343–352. grierte Vermeidung und Verminderung der Umweltver- schmutzung (IVU-Richtlinie) – Auswirkungen auf das Calliess, C. (2007): Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch: deutsche Umweltrecht. Neue Zeitschrift für Verwaltungs- Europarecht. In: Kloepfer, M. (Hrsg.): Das kommende recht 16 (4), S. 313–320. Umweltgesetzbuch. Tagungsband zur Fachtagung „Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch“ des Forschungszen- Durst, M. (1998): Die UVP in parallelen und konzentrier- trums Umweltrecht – FZU der Humboldt-Universität zu ten Verfahren. Eine Untersuchung unter besonderer Be- Berlin am 21. Juni 2006. Berlin: Duncker & Humblot. rücksichtigung europarechtlicher Vorgaben am Beispiel Schriften zum Umweltrecht 155, S. 35–75. immissionsschutzrechtlicher und gentechnischer Anla- gen. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Calliess, C. (2006a): Europarechtliche Vorgaben für ein Wien: Lang. Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Umweltgesetzbuch. Ein Beitrag zur Maßstabswirkung Rechtswissenschaft 2338. der Systementscheidungen des europäischen Umwelt- rechts für das nationale Recht. Natur und Recht 28 (10), Epiney, A. (2006): Föderalismusreform und Europäisches S. 601–614. Umweltrecht. Bemerkungen zur Kompetenzverteilung Bund – Länder vor dem Hintergrund der Herausforderun- Calliess, C. (2006b): Feinstaub im Rechtsschutz deut- gen des europäischen Gemeinschaftsrechts. Natur und scher Verwaltungsgerichte. Europarechtliche Vorgaben Recht 28 (7), S. 403–412. für die Klagebefugnis vor deutschen Gerichten und ihre dogmatische Verarbeitung. Neue Zeitschrift für Verwal- Epiney, A. (1997): Zum Verhältnis von Qualitätszielen tungsrecht 25 (1), S. 1–7. und Emissionsnormen in der Europäischen Union. In: Barth, S., Köck, W. (Hrsg.): Qualitätsorientierung im Calliess, C. (2004): Verfahrensrechtliche Anforderungen Umweltrecht. Berlin: Rhombos-Verlag, S. 77–114. der Richtlinie zur strategischen Umweltprüfung (SUP- RL). In: Hendler, R., Marburger, P., Reinhardt, M., Erbguth, W. (1984): Integrierter Umweltschutz. Verfas- Schröder, M. (Hrsg.): Die strategische Umweltprüfung sungsrechtliche Fragen eines umfassenden Planungsmo- (sog. Plan-UVP) als neues Instrument des Umweltrechts. dells. Die Öffentliche Verwaltung 37, S. 699–706.

325 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts

Erbguth, W., Schink, A. (1996): Gesetz über die Umwelt- Innenministerium Baden-Württemberg (2007): Mittei- verträglichkeitsprüfung. Kommentar. 2., vollst. überarb. lung des Innenministeriums zum Verwaltungsstruktur- Aufl. München: Beck. Reformgesetz (VRG); hier: Bericht der Landesregierung nach Artikel 179 Abs.1 VRG. Stuttgart: Landtag von Ba- Erbguth, W., Stollmann, F. (2000): Die Verzahnung der den-Württemberg, 14. Wahlperiode. Drucksache 14/1740. integrativen Elemente von IVU- und UVP-Änderungs- richtlinie. Zeitschrift für Umweltrecht 11, S. 379–383. Jacob, K., Volkery, A., Lenschow, A. (2008): Instruments for Environmental Policy Integration in 30 OECD-Coun- Feldhaus, G. (2002): Integriertes Anlagenzulassungsrecht – tries. In: Jordan, A., Lenschow, A. (Hrsg.): Innovation in materiell- und verfahrensrechtliche Anforderungen nach Environmental Policy? Integrating environment for neuem Recht. Zeitschrift für Umweltrecht 13 (1), S. 1–6. sustainability. Cheltenham: Edward Elgar, S. 24–48. Fluck, J. (1998): Die Vorhabengenehmigung im Kommis- Jarass, H. D. (2007): Bundes-Immissionsschutzgesetz sionsentwurf eines Umweltgesetzbuchs aus Unterneh- (BImSchG). Kommentar unter Berücksichtigung der menssicht – eine erste Kritik. Neue Zeitschrift für Ver- Bundes-Immissionsschutzverordnungen, der TA Luft so- waltungsrecht 17 (10), S. 1016–1020. wie der TA Lärm. 7., vollst. überarb. Aufl. München: Fritz, S. (2009): Integrierter Umweltschutz im Völker- Beck. recht. Berlin: Erich Schmidt. Umwelt- und Technikrecht Jarass, H. D. (2003): Luftqualitätsrichtlinien der EU und 101. die Novellierung des Immissionsschutzrechts. Neue Zeit- Führ, M., Krieger, N., Bizer, K., Mereny, S., Cichorowski, G., schrift für Verwaltungsrecht 22 (3), S. 257–266. Kleihauer, S., Ahrens, A., Heitmann, K., Hackmack, U., Jochum, H. (2004): Verwaltungsverfahrensrecht und Ver- Ewringmann, D., Koch, L., Rehbinder, E. (2006): waltungsprozessrecht. Die normative Konnexität von Risikominderung für Industriechemikalien unter REACh. Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht und Anforderungen an eine technische Arbeitshilfe für Her- die Steuerungsleistung des materiellen Verwaltungs- steller, Importeure und Stoffanwender. Dessau: Umwelt- rechts. Tübingen: Mohr Siebeck. Jus Publicum 116. bundesamt. UBA-Texte 05/06. Jordan, A., Lenschow, A. (2008): Innovation in environ- Günter, G. (2002): Zur Europarechtskonformität der Um- mental policy? Integrating the environment for sustaina- setzung der IVU-Richtlinie nach dem Artikelgesetz. Na- bility. Cheltenham: Edward Elgar. tur und Recht 24 (7), S. 394–399. Kahl, W., Welke, B. (2010): Über die unveränderte Not- Hansmann, K. (2002): Integrierter Umweltschutz durch wendigkeit einer integrierten Vorhabengenehmigung und untergesetzliche Normsetzung. Zeitschrift für Umwelt- deren Regelungsstandort. Deutsches Verwaltungsblatt recht 13 (1), S. 19–24. 125 (22), S. 1414–1424. Harff, K. (2008): 1997–2007 Beste Verfügbare Techniken Kalmbach, S. (2011): Stand der Technik und Anwendung Referenz Dokumente. Der „Sevilla-Prozess“ feiert Zehn- der BVT-Dokumente im Anlagenzulassungsrecht. In: jähriges – Rückblick und Ausblick. Imissionsschutz Thomé-Kozmiensky, K. J., Dombert, M., Versteyl, A., 13 (1), S. 23–28. Rotard, W., Appel, M. (Hrsg.): Immissionsschutz. Pla- Heitsch, C. (1996): Durchsetzung der materiellrechtli- nung, Genehmigung und Betrieb von Anlagen. Bd. 2. chen Anforderungen der UVP-Richtlinie im immissions- Neuruppin: TK Verlag Karl J. Thomé-Kozmiensky, schutzrechtlichen Genehmigungsverfahren. Natur und S. 285–295. Recht 18, S. 453–461. Kloepfer, M., Durner, W. (1997): Der Umweltgesetz- Hertin, J., Berkhout, F. (2003): Analysing institutional buch-Entwurf der Sachverständigenkommission (UGB- strategies for environmental policy integration : The case KomE). Zum Entwurf der Unabhängigen Sachverständi- of EU enterprise policy. Journal of Environmental Policy genkommission beim Bundesministerium für Umwelt, and Planning 5 (1), S. 39–56. Naturschutz und Reaktorsicherheit. Deutsches Verwal- tungsblatt 112 (18), S. 1081 ff. Hoffmann-Riem, W. (1994): Von der Antragsbindung zum konsentierten Optionenermessen. Deutsches Verwal- Kloepfer, M., Rehbinder, E., Schmidt-Aßmann, E., Ku- tungsblatt 109, S. 605–610. nig, P. (1991): Umweltgesetzbuch. Allgemeiner Teil. 2. Aufl. Berlin: Erich Schmidt. Hoppe, W. (2012): Gesetz über die Umweltverträglich- Koch, H.-J. (Hrsg.) (2010): Umweltrecht. 3., vollst. über- keitsprüfung (UVPG). Kommentar mit Kommentierung arb. Aufl. München: Vahlen. des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) und Erläute- rungen zum Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz und zum Koch, H.-J., Braun, A. (2010): Aktuelle Entwicklungen Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für des Immissionsschutzrechts. Neue Zeitschrift für Verwal- Infrastrukturvorhaben. 4., neu bearb. Aufl. Köln: tungsrecht 29 (20), S. 1271–1279. Heymann. Koch, H.-J., Pache, E., Scheuing, D. (Hrsg.) (2011): Ge- Hoppe, W., Beckmann, M., Kauch, P. (2000): Umwelt- meinschaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutz- recht. Juristisches Kurzlehrbuch für Studium und Praxis. gesetz (GK-BImSchG). Losebl.-Ausg., 30. Lfg. Köln: 2., vollst. überarb. Aufl. München: Beck. Heymann.

326 Literatur

Koch, H.-J., Siebel-Huffmann, H. (2001): Das Artikelge- Peine, F.-J. (2012): Die Ausgestaltung der immissions- setz zur Umsetzung der UVG-Änderungsrichtlinie, der schutzrechtlichen Genehmigung nach der neuen IE- IVU-Richtlinie und weitere Umweltschutzrichtlinien. Richtlinie. Umwelt- und Planungsrecht 32 (1), S. 8–15. Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 20 (10), Preschel, C. (1999): Zur Umsetzung des Konzepts des S. 1081–1088. integrierten Umweltschutzes in deutsches Recht. Neue Koch, H.-J., Verheyen, R. (1999): Klimaschutz im deut- Justiz 53, S. 404 ff. schen Anlagengenehmigungsrecht. Natur und Recht Reese, M. (2010): Leitbilder des Umweltrechts. Zur Zu- 21 (1), S. 1 ff. kunftsfähigkeit leitender Schutzkonzepte. Zeitschrift für Umweltrecht 21 (7–8), S. 339–346. Kopp-Assenmacher, S. (2011): Die Richtlinie über Indus- trieemissionen – Neue Herausforderungen für Anlagen- Reiter, B. (1998): Entschädigungslösungen für durch betreiber. In: Thomé-Kozmiensky, K. J., Dombert, M., Luftverunreinigungen verursachte Distanz- und Summa- Versteyl, A., Rotard, W., Appel, M. (Hrsg.): Immissions- tionsschäden. Berlin: Erich Schmidt. Umwelt- und Tech- schutz. Planung, Genehmigung und Betrieb von Anlagen. nikrecht 39. Bd. 2. Neuruppin: TK Verlag Karl J. Thomé-Kozmiensky, Rengeling, H.-W. (1999): Gesetzgebungskompetenzen S. 9–14. für den integrierten Umweltschutz. Die Umsetzung inter- Kugelmann, D. (2002): Die Genehmigung als Gestal- und supranationalen Umweltrechts und die Gesetzge- tungsmittel integrierten Umweltschutzes – Abschied von bungskompetenzen nach dem Grundgesetz. Köln: der Kontrollerlaubnis? Deutsches Verwaltungsblatt 117, Heymann. Schriften zum deutschen und europäischen S. 1238–1247. Umweltrecht 15. Rieger, G. J. (2004): Umweltstandards im integrierten Ladeur, K.-H. (1998): Integrierter Umweltschutz im Ge- Umweltschutz. Baden-Baden: Nomos. Leipziger Schrif- nehmigungsverfahren – Zur Irritation des deutschen Um- ten zum Umwelt- und Planungsrecht 6. weltverwaltungsrechts durch das Europarecht. Zeitschrift für Umweltrecht 9 (5), S. 245–250. Ritter, E.-H. (1992): Von den Schwierigkeiten des Rechts mit der Ökologie. Die Öffentliche Verwaltung 45 (15), Lahl, U. (2007): Luftreinhaltepolitik des Bundes: Ziele S. 641–649. und Instrumente. Vortrag, Veranstaltung des DIFU zur Luftreinhaltepoltik, 03.12.2007, Berlin. Röckinghausen, M. (1998): Integrierter Umweltschutz im EG-Recht. Der Begriff des integrierten Umweltschutzes Lenschow, A. (Hrsg.) (2002): Environmental policy inte- in der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft. gration. Greening sectoral policies in Europe. London: Berlin: Erich Schmidt. Umwelt- und Technikrecht 44. Earthscan. Roller, G. (2010): Drittschutz im Atom- und Immissions- Lübbe-Wolff, G. (1999): Integrierter Umweltschutz – schutzrecht. Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Brauchen die Behörden mehr Flexibilität? Natur und 29 (16), S. 990–996. Recht 21, S. 241–247. Sangenstedt, C. (2007): Umweltgesetzbuch und inte- grierte Vorhabengenehmigung. Zeitschrift für Umwelt- Maaß, C. (2002): Behördenkoordination im immissions- recht 18 (11), S. 505–512. schutzrechtlichen Genehmigungsverfahren. Deutsches Verwaltungsblatt 117, S. 364–374. Schink, A. (2005): Umweltprüfung für Pläne und Pro- gramme – Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie und Masing, J. (1998): Kritik des integrierten Umweltschut- Umsetzung im deutschen Recht. Neue Zeitschrift für Ver- zes. Deutsches Verwaltungsblatt 113, S. 549–608. waltungsrecht 24 (6), S. 615–623. Mast, E. (1996): Zur Harmonisierung und Fortentwick- Schink, A. (2001): Die Umweltverträglichkeitsprüfung – lung der Vorhabenzulassung. In: Schmidt, A. (Hrsg.): Das Offene Konzeptfragen. Deutsches Verwaltungsblatt Umweltrecht der Zukunft: Kritik und Anregungen für ein 116 (4), S. 321 ff. Umweltgesetzbuch. Berlin: Rhombos-Verlag, S. 53–79. Schmidt-Preuß, M. (2000): Integrative Anforderungen an Meinken, L. (2001): Emissions- versus Immissionsorien- das Verfahren der Vorhabenzulassung – Anwendung und tierung. Rechts- und Effizienzfragen einer umweltpolti- Umsetzung der IVU-Richtlinie. Neue Zeitschrift für Ver- schen Grundsatzdebatte am Beispiel des Anlagengeneh- waltungsrecht 19 (3), S. 252–260. migungsrechts. Baden-Baden: Nomos. Umweltrechtliche Schmidt, R. (1994): Der Staat der Umweltvorsorge. Die Studien 28. Öffentliche Verwaltung 47, S. 749 ff. Meinken, L. (2000): Scattergun Approach – Zur relativen Schrader, C. (1999): Vorhabengenehmigung aus Sicht der Effizienzleistung emissions- und immissionsorientierter Umweltverbände. In: Bohne, E. (Hrsg.): Das Umweltge- Regulierungsstrategien. In: Grawel, E., Lübbe-Wolff, G. setzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit (Hrsg.): Effizientes Umweltordnungsrecht. Baden-Baden: in Wirtschaft und Verwaltung? Der Entwurf eines Um- Nomos. Schriftenreihe Recht, Ökonomie und Umwelt 10, weltgesetzbuches der Unabhängigen Sachverständigen- S. 35–63. kommission beim Bundesministerium für Umwelt, Na-

327 Integrierter Umweltschutz am Beispiel des Anlagenzulassungsrechts turschutz und Reaktorsicherheit. Vorträge und SRU (2007): Umweltverwaltungen unter Reformdruck. Diskussionsbeiträge auf der Tagung der Deutschen Hoch- Herausforderungen, Strategien, Perspektiven. Sondergut- schule für Verwaltungswissenschaften Speyer vom achten. Berlin: Erich Schmidt. 22. bis 24. Oktober 1997. Berlin: Duncker & Humblot. SRU (2004): Umweltgutachten 2004. Umweltpolitische Schriftenreihe der Hochschule Speyer 131, S. 139. Handlungsfähigkeit sichern. Baden-Baden: Nomos. Schrader, C. (1998): Die Vorhabengenehmigung nach SRU (2002): Umweltgutachten 2002. Für eine neue Vor- dem Kommissionsentwurf zum Umweltgesetzbuch. Na- reiterrolle. Stuttgart: Metzler-Poeschel. tur und Recht 20, S. 285–290. Staupe, J. (2000): Die vollständige Koordination des Be- Schröder, M. (2001): Europarecht und integriertes Um- hördenhandelns gemäß IVU-Richtlinie. Zeitschrift für weltrecht. In: Erbguth, W. (Hrsg.): Europäisierung des Umweltrecht 11, S. 368 ff. nationalen Umweltrechts: Stand und Perspektiven. Baden-Baden: Nomos. Rostocker Schriften zum Seerecht Trute, H.-H. (1989): Vorsorgestrukturen und Luftreinhal- und Umweltrecht 15, S. 29–42. teplanung im Bundesimmissionsschutzgesetz. Heidel- berg: Decker. R. v. Deckers rechts- und sozialwissen- Seidel, W., Rechenberg, J. (2004): Rechtliche Aspekte schaftliche Abhandlungen 41. des integrativen Gewässermanagements in Deutschland. UBA (Umweltbundesamt) (2011): Deutsches Schadstoff- Zeitschrift für Umweltrecht 15 (4), S. 213–222. freisetzungs- und -verbringungsregister. Dessau-Roßlau: Sellner, D. (2007): Auf dem Weg zum Umweltgesetz- UBA. http://www.prtr.bund.de/frames/index.php?&gui_ buch. In: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.): Doku- id=PRTR (06.01.2012). mentation zur 31. wissenschaftlichen Fachtagung der Ge- Vogt-Beheim, C. (2004): Flexibilisierung von Umwelt- sellschaft für Umweltrecht e.V. Berlin 2007. Berlin: Erich standards. Baden-Baden: Nomos. Frankfurter Schriften Schmidt, S. 35–90. zum Umweltrecht 35. Sellner, D. (2001): Der integrative Ansatz im Bundes-Im- Volkmann, U. (1998): Umweltrechtliches Integrations- missionsschutzgesetz – Was ändert sich durch das Arti- prinzip und Vorhabengenehmigung. Verwaltungsarchiv kelgesetz? In: Dolde, K.-P. (Hrsg.): Umweltrecht im 89, S. 363 ff. Wandel. Bilanz und Perspektiven aus Anlaß des 25-jähri- gen Bestehens der Gesellschaft für Umweltrecht (GfU). Wagner, E. (1999): Integratives Umweltrecht auf nationa- Berlin: Erich Schmidt, S. 401–418. ler und europäischer Ebene. Recht der Umwelt 6, S. 3 ff. Wahl, R. (2000): Die Normierung der materiell-integra- Sellner, D. (1999): Konzeption materiell-rechtlicher Vo- tiven (medienübergreifenden) Genehmigungsanforderun- raussetzungen und Verfahren der Vorhabengenehmigung. gen. Zeitschrift für Umweltrecht 11, S. 360–367. In: Bohne, E. (Hrsg.): Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Wasielewski, A. (2000): Der Integrationsgedanke im un- Verwaltung? Der Entwurf eines Umweltgesetzbuches der tergesetzlichen Regelwerk – Fiktion und Aufgabe im Unabhängigen Sachverständigenkommission beim Vollzug. Zeitschrift für Umweltrecht 11, S. 373 ff. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit. Vorträge und Diskussionsbeiträge auf der Waskow, S. (2011): Anforderungen der Industrieemis- Tagung der Deutschen Hochschule für Verwaltungswis- sionsrichtlinie der EU und Umsetzung im innerstaatlichen Recht in Bezug auf Kapitel I und II der Richtlinie. In: senschaften Speyer vom 22. bis 24. Oktober 1997. Berlin: Thomé-Kozmiensky, K. J., Dombert, M., Versteyl, A., Duncker & Humblot. Schriftenreihe der Hochschule Rotard, W., Appel, M. (Hrsg.): Immissionsschutz. Pla- Speyer 131, S. 91 ff. nung, Genehmigung und Betrieb von Anlagen. Bd. 2. Sendler, H. (1998): Zur Umsetzung der IVU- und UVP- Neuruppin: TK Verlag Karl J. Thomé-Kozmiensky, Richtlinie durch ein Umweltgesetzbuch I. In: Hendler, R., S. 3–8. Marburger, P., Reinhardt, M., Schröder, M. (Hrsg.): Jahr- Weber, B., Riedel, D. (2009): Brauchen wir das Umwelt- buch des Technik- und Umweltrechts 1998. Berlin: Erich gesetzbuch noch? Wider die Legendenbildung über das Schmidt. Umwelt- und Technikrecht 45, S. 7 ff. gescheiterte UGB. Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 28 (16), S. 998–1004. Sparwasser, R., Engel, R., Voßkuhle, A. (2003): Umwelt- recht. Grundzüge des öffentlichen Umweltschutzrechts. Wickel, M. (2000): Die Zulassung von Industrieanlagen 5. Aufl. Heidelberg: Müller. und die „gebundene“ Vorhabengenehmigung. Umwelt- und Planungsrecht 20, S. 92 ff. SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen) (2008a): Kabinettsberatungen zum Umweltgesetzbuch (UGB). Zöttl, J. (1998): Integrierter Umweltschutz in der Brief an Bundeskanzlerin . Berlin: SRU. neuesten Rechtsentwicklung. Die EG-Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umwelt- SRU (2008b): Umweltgutachten 2008. Umweltschutz im verschmutzung und ihre Umsetzung in deutsches Recht. Zeichen des Klimawandels. Berlin: Erich Schmidt. Baden-Baden: Nomos. Ius Europaeum 5.

328 Kapitel 10

Inhaltsverzeichnis Seite

10 Medienübergreifendes Monitoring ...... 331

10.1 Einleitung ...... 331 10.2 Bedeutung des Monitorings für die Umweltpolitik ...... 331 10.2.1 Monitoring im Kontext von Nachhaltigkeit und Vorsorge ...... 332 10.2.2 Monitoring und Bewertungskriterien ...... 333 10.2.3 Fragmentiertes Monitoring als Problem ...... 333 10.2.4 Medienübergreifendes Monitoring als Lösung ...... 335 10.3 Grundelemente eines Gesamtkonzeptes ...... 336 10.3.1 Allgemeines, repräsentatives Biodiversitätsmonitoring ...... 336 10.3.2 Monitoring der Wirkung der Klimaänderungen auf die Biodiversität ...... 337 10.3.3 Monitoring in der Agro-Gentechnik ...... 338 10.3.4 Stoffbezogenes Monitoring ...... 339 10.3.4.1 Charakterisierung umweltrelevanter Stoffe ...... 339 10.3.4.2 Beispiele für kritische Stoffe mit besonderen Anforderungen an das Monitoring ...... 340 10.3.4.3 Beispiele für Kenntnislücken in der Umweltbewertung von Stoffen ...... 343 10.3.5 Regulierung von Stoffeinträgen ...... 344 10.3.5.1 Regulierung in den EU-Rechtsakten ...... 344 10.3.5.2 Potenziale der REACH-Verordnung für Regulierung und Monitoring von Stoffeinträgen ...... 346 10.3.6 Verknüpfung des medienübergreifenden Monitorings mit der gesundheitsbezogenen Umweltbeobachtung ...... 348 10.4 Auf dem Weg zu einem medienübergreifenden Monitoring . . . . . 349 10.4.1 Entwicklung eines medienübergreifenden Monitorings ...... 349 10.4.2 Ökologische Flächenstichprobe als Grundnetz für ein Monitoring ...... 350 10.4.3 Operationalisierung eines medienübergreifenden Monitorings . . . 350 10.4.3.1 Kooperationen verbessern ...... 351 10.4.3.2 Austausch und Nutzung von Daten: Informationsfluss stärken . . . 351 10.4.3.3 Erste organisatorische Umsetzungsschritte ...... 353 10.4.4 Festschreibung bundesweit einheitlicher Monitoringstandards . . . 353 10.4.5 Finanzierung eines medienübergreifenden Monitorings ...... 354 10.5 Zusammenfassung und Empfehlungen ...... 354 10.6 Literatur ...... 357

329 Medienübergreifendes Monitoring

Tabellen

Seite Tabelle 10-1 Wesentliche Regulierungen von Stoffeinträgen in die Umwelt ...... 345 Tabelle 10-2 Notwendige Regelungsbereiche für eine integrative Datenanalyse ...... 352

330 Bedeutung des Monitorings für die Umweltpolitik

10 Medienübergreifendes Monitoring

10.1 Einleitung tätsstrategie wurden flächendeckende diffuse Stoffein- träge neben dem Klimawandel als maßgebliche Umwelt- 575. Der Mensch ist nicht nur Teil der Ökosphäre, der einflüsse auf die biologische Vielfalt identifiziert (BMU lebenden Umwelt, sondern ist auch auf sie angewiesen, 2007, Kap. B 3.1). Der anthropogene Eintrag von Stoffen insbesondere auf Luft, Wasser und Nahrungsmittel. Der aus Haushalten, Gewerbe und Industrie in Ökosysteme Begriff der „Ökosystemleistungen“ versucht diesen ge- und deren Wirkung ist nach wie vor ein persistentes Um- sellschaftlichen Nutzen der Natur und ihrer Funktionen weltproblem, das erheblich zum Verlust der biologischen zu verdeutlichen. Doch bereits heute werden Ökosysteme Vielfalt beiträgt (ISENRING 2010). Das Übereinkommen übernutzt und können ihre Leistungen für Mensch und über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Natur nicht mehr erbringen (vgl. Abschn. 1.2.4). Durch Diversity – CBD) sieht laut Anhang I vor, dass Ökosys- menschliche Aktivitäten können zunächst Umweltbelas- teme und Lebensräume (sowohl Schutzgebiete als auch tungen und in der Folge Umweltschäden verursacht wer- die Normallandschaft), Arten und Gemeinschaften, Ge- den, die auch Krankheiten auslösen können. Durch ge- nome und Gene überwacht werden. Entsprechend ist die zielte Maßnahmen im Umweltschutz können diese Beobachtung der Auswirkungen auf die Biodiversität sehr negativen Wirkungen zurückgedrängt werden. Deshalb komplex, zumal viele Zusammenhänge noch nicht hinrei- ist es wichtig, die Umweltsituation daraufhin zu überprü- chend bekannt und bewertet sind. fen, wo sich negative Tendenzen abzeichnen. Im Zentrum umweltpolitischer Maßnahmen stehen der Schutz der Im Rahmen der zu erwartenden Veränderungen der biolo- Qualität der Umweltmedien Wasser, Boden und Luft und gischen Vielfalt durch den Klimawandel fordert die natio- die Bewahrung der biologischen Vielfalt. Der Begriff nale Biodiversitätsstrategie, dass bis 2015 ein Indikatoren- „Schutz“ impliziert unterschiedliche Schadmechanismen system für die Auswirkungen des Klimawandels auf die und damit einen problemorientierten Ansatz. Dabei wer- biologische Vielfalt erarbeitet und etabliert wird (BMU den die Umweltmedien weiter differenziert – etwa für das 2007, Kap. B 3.2). Weiterhin soll die biologische Vielfalt Medium Wasser in Oberflächenwasser, Grundwasser, gegenüber Gefährdungen, die von gentechnisch veränder- Meereswasser, bzw. auf den Menschen bezogen in Trink- ten Organismen ausgehen, gesichert werden (ebd., wasser und Abwasser – und in den Umweltverwaltungen Kap. B 1.21, B 2.4). Neben den genannten Umweltfakto- jeweils in diesen Einheiten betrachtet. Im Hinblick auf ren (Stoffeinträge, Klimawandel und gentechnisch verän- die Biodiversität können schädliche Wirkungen auf ver- derte Organismen) beeinflussen hauptsächlich Landnut- schiedenen Ebenen eintreten und sich von der Störung der zungen und Landnutzungsänderungen die biologische Populationsstabilität bis hin zur Destabilisierung von Le- Vielfalt. Auch bestehen für Faktoren wie die Flächeninan- bensgemeinschaften äußern. Komplexe Zusammenhänge spruchnahme und die Landschaftszerschneidung sowie und Wechselwirkungen aufzuzeigen und zu dokumentie- negative Auswirkungen invasiver Arten anspruchsvolle ren ist die Aufgabe eines effektiven Monitorings. Reduktionsziele. Diese werden im Indikatorenset der na- Die Funktion des Monitorings erschöpft sich aber nicht in tionalen Strategie berücksichtigt (SUKOPP et al. 2010). der Erfassung des Zustandes, sondern es soll Rückschlüsse In der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt darauf zulassen, ob durch die Politik vorgegebene Ziele er- wurde das übergreifende Ziel einer „Verbesserung der reicht werden. Diese Ziele sollten sich grundsätzlich an Datenbasis zu Zustand und Entwicklung der biologischen der Nachhaltigkeit orientieren und entsprechend zumin- Vielfalt in Deutschland“ formuliert (BMU 2007, S. 27). dest die ökologischen Grenzen einhalten (vgl. Tz. 98, Ab- schn. 11.2.3). Im Sinne des Vorsorgeprinzips sollte jedoch 577. Die Forderung des Sachverständigenrates für Um- ein Sicherheitsabstand von diesen Grenzen eingehalten weltfragen (SRU 1991) nach einer integrierenden Um- werden. weltbeobachtung gewinnt durch die nationale Biodiversi- tätsstrategie an neuer Relevanz. Fundierte und aktuelle 10.2 Bedeutung des Monitorings Informationen zum Zustand und zur Entwicklung der bio- für die Umweltpolitik logischen Vielfalt sind Grundlage für eine erfolgreiche Natur- und Umweltschutzpolitik aber auch für die Klima- 576. Die biologische Vielfalt ist die existenzielle Grund- schutzpolitik (z. B. im Rahmen der Umsetzung und Wei- lage des menschlichen Lebens (BMU 2007, S. 9), weshalb terentwicklung der Deutschen Anpassungsstrategie an ihr Zustand und die auf sie wirkenden Faktoren regelmä- den Klimawandel (Bundesregierung 2008)). Hauptaufga- ßig überwacht werden müssen. Politische und wirtschaft- ben der Umweltbeobachtung sind (BAFU und Umweltrat liche Entscheidungen müssen an dem Ziel der Erhaltung EOBC 2009): oder Wiederherstellung eines guten Zustands der Ökosys- teme ausgerichtet werden (vgl. Abschn. 1.2.2). In der 2007 – die Erfassung und Bewertung des Zustands der Um- durch die Bundesregierung verabschiedeten Biodiversi- welt (Analysefunktion),

331 Medienübergreifendes Monitoring

– das frühzeitige Erkennen und Bewerten von Risiken tionsfähigkeit von Ökosystemen sowie ihre sogenannten (Frühwarnfunktion), Ökosystemleistungen zur Verfügung zu stellen (vgl. Ab- schn. 1.2.2) zeigen, dass dafür die standorttypische Di- – die Erfolgskontrolle von umwelt- und naturschutzpoli- versität von Arten möglichst vollständig erhalten werden tischen Maßnahmen (Erfolgskontrollfunktion) und die sollte (für Graslandtypen ISBELL et al. 2011). Dies be- Erfolgskontrolle von umwelt- und nachhaltigkeitspoli- gründet sich durch die Betrachtung großer räumlich-zeit- tischen Zielsetzungen (Zielkontrollfunktion). licher Skalen in einer sich verändernden Welt. Das Aus- „Die Umweltbeobachtung stellt Daten und Bewertungen sterben oder der lokale Verlust einer jeden Art kann die als Grundlage für Entscheidungen der Politik und zur In- Ökosystemfunktionen und Ökosystemleistungen ein- formation der Öffentlichkeit zur Verfügung. Daten und schränken. Beispielsweise verringert eine geringe stand- Bewertungen werden gewonnen aus der Erfassung und orttypische Diversität von Pflanzen und Algenarten die Bilanzierung von Ressourcen, Umweltzuständen und Fähigkeit von Ökosystemen, Licht und Nährstoffe pro- Stoffflüssen sowie aus der Untersuchung von Lebensräu- duktiv zu nutzen (CARDINALE et al. 2011). Die Analy- men mit ihren Artengemeinschaften. Bilanzen beziehen sen von CARDINALE et al. (2011) zeigen, dass, um nur sich auf Siedlungs-, Lebens- und Naturräume, Betriebe, 50 % der Produktivität zu erhalten, 92 % der Arten erhal- Tätigkeiten, Produkte oder die Gesundheit“ (BAFU und ten werden müssen. Grund dafür ist die Komplementarität Umweltrat EOBC 2009). („Arbeitsteilung“) der Arten in Zeit, Raum, funktionalen Effekten und funktionalen Antworten. Das Artensterben Der Zugang zu Daten und Informationen zur Umwelt trifft nicht – wie bisher angenommen – vor allem die kann auch die Potenziale der Innovationskraft der Zivil- empfindlichen Arten an der Spitze der Nahrungskette gesellschaft und der Wirtschaft fördern und Bürgerinnen (SCHERBER et al. 2010). Die Pflanzendiversität hat und Bürgern die Partizipation an der Politik erleichtern starke Bottom-up-Effekte auf die Interaktionsnetzwerke (Europäische Kommission 2012; Umweltrat EOBC in Ökosystemen, das heißt sie hat besonders Einfluss auf 2011). Monitoring erfüllt somit einerseits eine Frühwarn- den unteren Nahrungsnetzebenen. Bodenorganismen wer- funktion für besorgniserregende Entwicklungen, anderer- den dabei weniger stark durch den Verlust der Biodiversi- seits bewertet es die Erfolge von Maßnahmen hinsichtlich tät beeinflusst (oder reagieren langsamer) als oberirdisch ihrer Wirksamkeit für die Schutzziele und die Schutzgü- lebende Arten. ter und bindet gleichzeitig die interessierte Öffentlichkeit in die Diskussion ein. Nach dem Vorsorgeprinzip sollte daher möglichst die standorttypische Diversität von Arten vollständig erhalten 10.2.1 Monitoring im Kontext von Nach- bleiben, da nicht vorhergesagt werden kann, inwiefern sie haltigkeit und Vorsorge in Zukunft für die Erhaltung der Ökosystemfunktionen notwendig sein werden. 578. In diesem Kapitel soll zunächst hergeleitet werden, warum die Artenvielfalt entscheidend für die starke Nach- haltigkeit ist und dann erläutert werden, inwiefern ein Mo- Monitoring als Frühwarnsystem im nitoring für die Erhaltung der Artenvielfalt unverzichtbar Kontext des Vorsorgeprinzips ist. Starke Nachhaltigkeit bedeutet, dass die natürlichen 580. Auch um dem Vorsorgeprinzip Rechnung tragen zu Lebensgrundlagen langfristig bewahrt und schonend in können, muss ein effektives Monitoring sichergestellt Anspruch genommen werden. Dabei ist die Resilienz werden. Denn das Umweltmonitoring spielt bei der Be- (Elastizität gegenüber Störungen) ökologischer Systeme gründung und der Korrektur von Vorsorgemaßnahmen eine notwendige Bedingung von Nachhaltigkeit (SRU eine entscheidende Rolle und stärkt eine an den ökologi- 2002, Tz. 28). In der nationalen Strategie zur biologischen schen Grenzen ausgerichtete Umweltpolitik insofern, als Vielfalt heißt es deshalb zum Beispiel, dass stoffliche es dazu dient, diese ständig zu überwachen. Mit dem Vor- Einträge auf ein ökologisch verträgliches Maß reduziert sorgeprinzip können für die Umweltpolitik Handlungs- werden sollen. Dazu sollen zum Beispiel für Schadstoffe spielräume auch dann eröffnet werden, wenn gesichertes ökosystembezogene Wirkungsschwellenwerte, die die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt beschreiben, Erfahrungswissen über die ökologische Tragekapazität bis 2015 festgelegt werden (BMU 2007, Kap. B 3.1). Um noch nicht verfügbar oder das Wissen über gefährliche Ei- Wirkungsschwellen zu ermitteln, muss für Schadstoffe genschaften und Wirkungszusammenhänge noch mit Un- eine Risikoermittlung und Risikobewertung sowie eine sicherheiten behaftet ist. Wie der SRU (2011a, Tz. 16 ff.) Abschätzung der langfristigen Folgen durchgeführt wer- in Anlehnung an die Mitteilung der Europäischen Kom- den. Ein stoffbezogenes Risikomanagement umfasst auch mission zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips (Euro- eine Risikominderung und das dazugehörende Monitoring päische Kommission 2000) herausgearbeitet hat, sind Vor- (FÜHR et al. 2006, S. 4). Dazu gehört auch, die Umwelt- sorgemaßnahmen daher bereits dann legitim, wenn wirkungen von chemischen Stoffen in situ – also direkt in aufgrund einer vorläufigen Risikoabschätzung begründe- der Umwelt – zu erheben und die chemische Belastung ter Anlass zur Besorgnis besteht, dass es bei Mensch oder über Indikatoren zu bewerten. Umwelt zu Schadwirkungen kommen kann. In diesen Fäl- len wird die Gefährlichkeit – allerdings unter dem Vorbe- halt der Widerlegbarkeit – vermutet, was einer Absenkung Erhaltung der Artenvielfalt des Beweismaßes gleichkommt (SRU 2011b, Tz. 40 ff.; 579. Neuere Forschungsergebnisse über den Zusam- zuvor hierzu ausführlich schon CALLIESS 2001, menhang zwischen der Artendiversität und der Funk- S. 223 ff.). Weil eine „Vorsorge ins Blaue hinein“ aller-

332 Bedeutung des Monitorings für die Umweltpolitik dings schon aus rechtsstaatlichen Gründen vermieden rationen orientiert“ (UBA 2000, S. 8). Ein Umweltquali- werden muss, sind auch Vorsorgemaßnahmen auf wissen- tätsziel ist zum Beispiel der in der WRRL formulierte schaftliche Daten angewiesen, die den Besorgnisanlass be- „gute ökologische Zustand“. gründen bzw. aufrecht erhalten. Daher sind im Vorfeld der Vorsorgemaßnahmen die möglichen negativen Folgen zu Es reicht aber nicht, dass Umweltqualitätsziele festgelegt ermitteln und wissenschaftlich zu bewerten. Einmal ge- werden, diese müssen über Umwelthandlungsziele opera- troffene Vorsorgemaßnahmen unterliegen einer ständigen tionalisiert werden (UBA 2000, S. 12). Ein Ziel kann es Überprüfung, was zu der Verpflichtung führt, wissen- sein, dass der angestrebte Zustand der Umwelt unterhalb schaftliche Entwicklungen aktiv zu verfolgen. In deren der ermittelten Wirkungsschwellen bleibt. Manche Ziele, Rahmen können anfängliche Besorgnisanlässe bestätigt so beispielsweise im Gesundheitsschutz, ergeben sich oder entkräftet werden, es können aber auch nicht vorher- auch aus einer akzeptierten Wirkung bzw. Wirkungsinten- sehbare Langzeitwirkungen entdeckt werden, die zusätzli- sität. Quantifizierte und damit überprüfbare Umweltqua- che Maßnahmen erforderlich machen. Im Kontext des litäts- und Handlungsziele wurden zum Beispiel in der Vorsorgeprinzips kann ein Umweltmonitoring daher zum nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt formuliert. einen Hypothesen absichern, zum anderen aber auch ei- Als Grundlage für die Festlegung von Umweltqualitäts- gene Hinweise auf Besorgnisanlässe liefern. und Umwelthandlungszielen dienen Umweltqualitätskri- Darüber hinaus kann Umweltmonitoring aber auch – wie terien (wissenschaftlich abgeleitete Wirkungsschwellen, durch § 16c Gentechnikgesetz (GenTG) für das Inverkehr- kritische Eintragsraten von Stoffen in Umweltmedien, Or- bringen von gentechnisch veränderte Organismen vorge- ganismen, Biozönosen etc.) (UBA 2000, S. 12). Sowohl sehen – begleitend zu erteilten Genehmigungen durchge- die ökotoxische als auch die humantoxische Risikobewer- führt werden, um so getroffene Fehlentscheidungen zu tung gründen auf der Annahme von Wirkungsschwellen. identifizieren und wieder zu revidieren. Ähnliches gilt Zum Schutz der Biodiversität müssen entsprechende auch für in Anlehnung an Umweltqualitätsziele erlassene Schwellenwerte ökosystembezogen überwacht werden, Maßnahmen (z. B. bei der Umsetzung der Wasserrahmen- zum Beispiel die Einhaltung der Critical Loads für Stick- richtlinie 2000/60/EG (WRRL)), bei denen jedenfalls stoffbelastungen in Ökosystemen. durch eine begleitende Umweltbeobachtung sichergestellt werden muss, dass Fehleinschätzungen so früh wie mög- In einem politischen Abwägungsprozess werden anhand lich erkannt und korrigiert werden können (KÖCK 1997, von wissenschaftlichen Umweltqualitätskriterien und In- S. 83). dikatoren schutzgutbezogene Umweltstandards (z. B. Im- missionsgrenzwerte) und quellenbezogene Umweltstan- Im Sinne des Vorsorgeprinzips ist es notwendig, wegen dards (z. B. Produktanforderungen, Emissionsgrenzwerte) der erheblichen Zeitverzögerung zwischen Erkennung gesellschaftlich gesetzt. Zur Einhaltung der Umweltstan- und Behebung der Ursachen für den Verlust der biologi- dards und zur Erreichung der Umweltqualitäts- und Hand- schen Vielfalt, frühzeitig tätig zu werden. Dies gilt insbe- lungsziele werden umweltpolitische Maßnahmen festge- sondere deshalb, weil der Verlust einmal ausgestorbener legt und vollzogen (UBA 2000, S. 12 f.). Indikatoren Gensequenzen oder gar Arten nicht rückgängig gemacht aggregieren Informationen aus mehreren Zustandsgrößen, werden kann. Vor diesem Hintergrund ist die Erstellung etwa aus Monitoringprogrammen. eines Gesamtkonzepts geboten, mit dem auch der Status der biologischen Vielfalt selbst dargestellt werden kann. Zum Operationalisieren von Umweltqualitätszielen und Umweltstandards bedarf es insbesondere der Erfassung des Qualitätszustandes der verschiedenen Umweltsys- 10.2.2 Monitoring und Bewertungskriterien teme durch eine umfassende Umweltbeobachtung (SRU 1994, Tz. 137). 581. Ein Monitoring kann nur erfolgen, wenn grundsätz- lich festgelegt wurde, mit welchen Bewertungskriterien die gefunden Belastungen gemessen werden sollen. Im 10.2.3 Fragmentiertes Monitoring als Problem Folgenden soll der in der nationalen Biodiversitätsstrate- gie benutzte Begriff der Wirkungsschwellenwerte in einen 582. Problematisch ist, dass die gesetzlichen Verpflich- begrifflichen Kontext gesetzt und diskutiert werden, wie tungen zum Monitoring stark fragmentiert sind. Umwelt- diese Wirkungsschwellenwerte konkretisiert werden kön- beobachtungsprogramme erfüllen überwiegend durch Ge- nen (vertieft werden die Zusammenhänge in UBA 2000 setze und internationale Abkommen begründete Prüf- und und SRU 1994, Kap. 2 diskutiert). Berichtspflichten. Aufgrund der traditionell medial ange- legten Umweltgesetzgebung verfügt diese aber über kein „Umweltqualitätsziele charakterisieren einen angestrebten gemeinsames Zielsystem und gibt daher eine Vielzahl von Zustand der Umwelt. Sie verbinden einen naturwissen- Verfahren vor (UBA 2002). Zum Beispiel werden im Be- schaftlichen Kenntnisstand mit gesellschaftlichen Wertun- reich der Regulierung von Stoffeinträgen in die Umwelt gen über Schutzgüter und Schutzniveaus. Umweltquali- die jeweiligen Wirkungen der einzelnen Rechtsvorschrif- tätsziele werden objekt- oder medienbezogen für Mensch ten zur Begrenzung spezifischer Stoffeinträge getrennt und/oder Umwelt bestimmt und sind an der Regenera- voneinander überprüft (DIEHL 2010) und auch das Biodi- tionsrate wichtiger Ressourcen oder an der ökologischen versitätsmonitoring ist bundesweit nicht nach einem Ge- Tragfähigkeit, am Schutz der menschlichen Gesundheit samtkonzept aufgebaut (DRÖSCHMEISTER et al. 2006; und an den Bedürfnissen heutiger und zukünftiger Gene- DOERPINGHAUS und DRÖSCHMEISTER 2010).

333 Medienübergreifendes Monitoring

Status quo des Monitorings in Deutschland reichen, fordert die Europäische Kommission im Rahmen der „Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020“, 583. Im Folgenden soll ein Überblick über die bestehen- dass eine integrierte Rahmenregelung für die Überwa- den Monitoringprogramme gegeben werden, um die chung und Bewertung des Stands der Umsetzung der Fragmentierung des Monitorings zu belegen. Dazu wer- Strategie, einschließlich Berichterstattung, zu entwickeln den exemplarisch Programme aus den Bereichen des Na- ist. Die nationalen, EU- und globalen Überwachungs-, tur-, Umwelt und Gesundheitsschutzes genannt. Berichterstattungs- und Überprüfungspflichten sollen Im Bereich des Naturschutzes existieren bundesweite Mo- verschärft und weitestgehend mit den Vorschriften ande- nitoringprogramme für einzelne Artengruppen (z. B. Vö- rer Umweltregelungen harmonisiert werden (Europäische gel, Tagfalter, „Wildtiere“ (DJV 2009), schützenswerte Kommission 2011a). Europaweit werden Monitoringpro- Seevogelarten, marine Säugetiere sowie im Benthos vor- gramme zu den oben genannten Richtlinien umgesetzt kommende Arten bzw. geschützte Lebensraumtypen im (vgl. Tz. 583). Zudem veröffentlicht der European Bird marinen Biodiversitätsmonitoring in der ausschließlichen Census Council (EBCC) seit 2003 jährlich aggregierte Wirtschaftszone (AWZ)) und solche, die Berichtspflichten Monitoringergebnisse europäischer Staaten zu Brutvogel- erfüllen (z. B. im Rahmen der Fauna-Flora-Habitat-Richt- arten (EBCC 2012). Die Meta-Datenbank Biodiversity linie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie), der Vogelschutzricht- Information System for Europe (BISE) soll den Daten- linie 2009/147/EG, der Wasserrahmenrichtlinie oder der und Informationsaustausch mit speziellem Bezug zur Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 über die Förderung der Biodiversität unterstützen. Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER-Verordnung) Ein teilweise integriertes Monitoring, zum Beispiel das (BMU 2010, Kap. 2.1; DRÖSCHMEISTER et al. 2006)). ICP Forests (International Co-operative Programme on Ein flächendeckendes, länderübergreifendes einheitliches Assessment and Monitoring of Air Pollution Effects on Monitoring in der Normallandschaft vergleichbar dem Forests), findet unter dem Dach des Genfer Luftreinhalte- Schweizer Biodiversitätsmonitoring (Koordinationsstelle abkommens der UNECE (United Nations Economic Biodiversitäts-Monitoring Schweiz 2009) fehlt jedoch in Commission for Europe) statt (ICP Forests und Europäi- Deutschland. Flächendeckende Aussagen zum Zustand sche Kommission – Generaldirektion Umwelt 2011; ICP der Biodiversität in den verschiedenen Landnutzungsty- Forests 2010). Im Rahmen einer Reihe von Verordnungen pen (auf den Ebenen der Ökosysteme und Lebensräume, hat die EU die Erhebungen und Auswertungen auch fi- Arten und Gemeinschaften, Genome und Gene, wie im nanziell unterstützt. Doch wird auch für die Daten des Rahmen der CBD gefordert (vgl. Tz. 576)) sind also nicht ICP Forests eine bessere Verknüpfung mit anderen Moni- möglich, werden aber dringend benötigt. toring-Datenbanken gefordert (CLARKE et al. 2011). Daten zur Belastung des Menschen und seiner Umwelt durch Chemikalien liegen in der Umweltprobenbank Auch auf EU-Ebene existiert eine Reihe von Monitoring- (www.umweltprobenbank.de/de) und diversen Umwelt- programmen für Chemikalien mit verschiedenen Zielrich- beobachtungsprogrammen vor (KNETSCH und ROSEN- tungen und Konzepten. Die Verantwortung für ein Moni- KRANZ 2003; KNETSCH 2011b). Eine umfassende toring von Chemikalien liegt bei den vier Institutionen Auflistung gibt es nicht. 1998 wurden auf Bundesebene DG Environment, DG Eurostat, Joint Research Centre – in unterschiedlichen Ministerien – 38 Programme ver- (JRC) und der Europäischen Umweltagentur (European schiedener Ressorts mit 50 Beobachtungsnetzen, 788 Pa- Environment Agency – EEA). Die vorhandenen Pro- rametern und 495 Parameterausprägungen beschrieben gramme basieren auf der EU-Gesetzgebung und interna- (von KLITZING et al. 1998). Die Zahl wurde 2002 um tionalen Verträgen, zum Teil auch ohne Berichtspflichten. weitere 6 Programme ergänzt (von KLITZING 2002), Nach dem Zweck des Monitorings und der Matrix, die seitdem aber nicht weiter dokumentiert. Unter dem Stich- beprobt wird, können die Programme in die Gruppen wort „Umweltbeobachtungsprogramme“ sind im Inter- Emissions-Monitoring, Nahrungs- und Futtermittel-Mo- net-Portal PortalU (Metadatenkatalog; www.portalu.de) nitoring, Umweltmonitoring, Human-Biomonitoring und rund vierzig Umweltbeobachtungsprogramme des Bun- Produkt-Monitoring kategorisiert werden (Europäische des recherchierbar (August 2011). Diese Zahl schließt die Kommission – Generaldirektion Umwelt 2010). Umweltbeobachtungsprogramme der Länder nicht mit Somit gibt es derzeit auch auf europäischer Ebene keinen ein, die auch dort recherchierbar sind. Neben unterschied- Ansatz, Daten zu Chemikalien in der Umwelt (und in lichen zu erhebenden Parametern bestehen auch unter- menschlichem Gewebe) kohärent und effektiv zu sam- schiedliche räumliche Schwerpunkte der vorhandenen meln und zu verknüpfen. In den Erhebungsprogrammen Beobachtungsräume bzw. der Beprobungsflächen bei den sind nicht einmal die räumlichen Bezugssysteme aufei- Bundesprogrammen (UBA 2002). nander abgestimmt. Die Möglichkeit, die Belastung der Umwelt und des Menschen durch Chemikalien hinsicht- Status quo des Monitorings in Europa lich ihrer Stärke und ihrer zeitlichen Entwicklung zu be- werten, wird so erschwert. 584. Ähnlich wie im nationalen Rahmen existieren auch auf europäischer Ebene zersplitterte Monitoringpro- 585. Die Europäische Kommission formulierte bereits gramme. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, 2008 die Notwendigkeit eines Konzepts für ein gemeinsa- dass die Programme auf einzelne thematische Strategien mes europäisches Umweltinformationsnetzwerk (Shared und Rechtsakte zurückgehen und nicht der Versuch unter- Environmental Information System – SEIS) (Europäische nommen wurde, diese zu vereinheitlichen. Um dies zu er- Kommission 2008). Allgemeines Ziel von SEIS ist es,

334 Bedeutung des Monitorings für die Umweltpolitik

„Qualität und Verfügbarkeit der für die Umweltpolitik er- zu vernetzen und gegebenenfalls zu harmonisieren. Anzu- forderlichen Informationen entsprechend dem Ziel der streben ist ein umfassendes Beobachtungssystem, in dem besseren Rechtsetzung zu erhalten und zu verbessern und alle Ebenen der Biodiversität beispielhaft erfasst werden gleichzeitig den damit verbundenen Verwaltungsaufwand und mit Zustandsdaten über Umweltmedien und Flächen- zu minimieren“. Durch SEIS sollen verfügbare Daten ef- nutzung verknüpft werden können (HEIß 2010). fizienter genutzt und die in thematischen Umweltvor- schriften derzeit vorgesehenen Informationspflichten 10.2.4 Medienübergreifendes weiter rationalisiert und priorisiert werden. Als Beispiele Monitoring als Lösung für die Notwendigkeit einer themenübergreifenden Koor- dinierung werden unter anderem die In-situ-Überwa- 587. Wie dargestellt, führen Unterschiede in den Ziel- chung von Süßwasser, des Bodens, der Flächennutzung konzepten, Datenanforderungen und Methoden in den ge- und der Biodiversität in einem Ökosystemkontext ge- setzlichen Regelungen zu nicht aufeinander abgestimm- nannt. ten Monitoringkonzepten (vgl. Abschn. 10.2.3). Nach Ansicht des SRU weist bereits die Ausrichtung in sowohl Um die Datenverfügbarkeit und -verknüpfung zu verbes- schutzgutbezogene als auch quellenbezogene Umwelt- sern, wurden auf EU-Ebene folgende Dateninfrastruktur- standards darauf hin, dass die bestehenden Ansätze der Zentren für den Natur- und Umweltschutzbereich bereits Umweltbeobachtung, die immer noch fast ausschließlich eingerichtet: European Environment Information and Ob- sektoral orientiert sind, zu einer integrierenden medien- servation Network (EIONET; Umweltdaten), Infrastruc- übergreifenden Umweltbeobachtung weiterzuentwickeln ture for Spatial Information in the European Community sind (bereits SRU 1991). Umweltschutz sollte stärker (INSPIRE), EU-wide monitoring methods and systems of wirkungsorientiert, das heißt am Schutzgut orientiert, surveillance for species and habitats of Community inte- ausgerichtet sein. Das Anlagenzulassungsrecht setzt nach rest (EuMon; Arten und Lebensräume von gemeinschaft- wie vor auf eine fast ausschließlich emissionsorientierte lichem Interesse). Themenspezifisch und länderübergrei- Betrachtung, nach der der Vorsorgeansatz durch das Kon- fend arbeitet das Projekt MONARPOP (Monitoring zept umgesetzt wird, dass der Stand der Technik einzuhal- Network in the Alpine Region for Persistent Organic Pol- ten ist. Hier ist in Zukunft eine zusätzliche Integration lutants), welches den Alpenraum auf persistente organi- von Vorsorgeaspekten in Bezug auf die betroffenen sche Schadstoffe hin untersucht (OFFENTHALER et al. Schutzgüter erforderlich (vgl. Kap. 9). Eine fachübergrei- 2009). Das Projekt MODELKEY erforscht übergreifend fende Betrachtungsweise und Zusammenarbeit ist Vo- Schadstoffe in Süß- und Meerwasserökosystemen raussetzung dafür, den Zustand von Natur und Umwelt (BRACK 2011). umfassend, zum Beispiel hinsichtlich von Problemstof- fen, abbilden zu können, und damit Bedingung für eine Fazit erfolgreiche Umweltpolitik. Das geeignete Instrument da- 586. Das überwiegend medial ausgerichtete Umwelt- für ist die medienübergreifende Umweltbeobachtung. recht (Tz. 582, 602, 623) hat historisch zu sektoralen Er- Ein stoffbezogenes Monitoring sollte integrativ ausge- hebungen und Messnetzen geführt (Beobachtungen von richtet werden, das heißt, dass „Stoffgemische medien- Wasser, Luft, Boden, Erfassungen von Arten und Struktu- übergreifend auf den trophischen Stufen des Ökosystems ren). Dies gilt sowohl für die nationalen als auch für die untersucht werden“ (AK Umweltmonitoring 2008). „Als europäischen Umweltbeobachtungsprogramme. medienübergreifend wird ein umfassendes Monitoring Die Umweltbeobachtung in Deutschland und Europa ist über mehrere Ökosystemkompartimente (Umweltme- daher durch eine Vielzahl an Messnetzen gekennzeichnet, dien) bezeichnet. Da auch das medienübergreifende Mo- die nach Umweltmedien und administrativen Zuständig- nitoring eine kombinierte Untersuchung von Exposition keiten getrennt voneinander betrieben werden. Daraus re- und Wirkung beinhalten kann, sind für diesen Begriff im sultieren oft Abstimmungsschwierigkeiten über die Res- weiteren Sinne auch die Bezeichnungen integratives, in- sort-, aber auch Ländergrenzen hinweg. Insbesondere tegriertes, ökologisches oder ökosystemares Monitoring fehlen harmonisierte Mindestanforderungen für eine Er- gebräuchlich“ (AK Umweltmonitoring 2008). folgskontrolle der stoffbezogenen Teilziele (DOYLE und HEIß 2009). Eine Verknüpfung zwischen Umwelt-, Hu- 588. Die Notwendigkeit, ein Monitoringkonzept inter- man- und Produktdaten, beispielweise im Bereich der disziplinär und Sektor übergreifend zu gestalten, ergibt Pflanzenschutzmittel im Sinne einer wirkstoffbezogenen sich auch aus folgenden Effekten, die durch eine reine, Zusammenführung, ist nicht möglich. Zudem sind über- den Gesamtzusammenhang nicht berücksichtigende Ge- geordnete kausale Auswertungen von Daten zum Zustand fahrenabwehr nicht erfasst werden (REESE 2010): der Biodiversität mit Daten über stoffliche Einträge aus – Kumulations- oder Matrixeffekte (sich gegenseitig methodischen Gründen häufig nicht möglich. Aber auch verstärkende verschiedene Wirkungen, die von Stoffen die Datenverfügbarkeit bzw. die Zugriffsrechte auf die oder gentechnisch veränderten Organismen ausgehen Daten sind oft ungeklärt. können), Ziel muss es also sein, diese Programme sowohl in Bezug – Additionseffekte (Summation mehrerer gleichartiger auf den Inhalt (vgl. Tz. 642), als auch auf die Bewertungs- Wirkungen), möglichkeiten und auch die öffentliche Zugänglichkeit so- wohl für einzelne Behörden als auch für die Öffentlichkeit – Räumliche und zeitliche Distanz von Wirkungen,

335 Medienübergreifendes Monitoring

– Systemische Wirkungen: Effekte, die in einem Be- positive als auch negative Entwicklungen des Zustands reich entstehen, verursachen Auswirkungen nicht nur von Natur und Umwelt aufzuzeigen und Handlungsbe- in diesem, sondern ebenfalls in anderen Bereichen. darfe für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft herzuleiten. Dabei sind Interaktionen nicht immer linear und vor Letztendlich sollte mithilfe von Monitoringdaten zur Be- allem schwer vorhersehbar (LANGE et al. 2010). lastung und zum Zustand begründet werden, ob ein akti- ves Eingreifen gerechtfertigt ist, weil dadurch ein Um- – Beeinträchtigungen naturschutzfachlicher Schutzgü- weltschaden gemindert wird, oder ob demgegenüber ter: für Arten, Lebensräume und Ökosysteme fehlt Nicht-Handeln in Verbindung mit Senkung des Nutzungs- nach REESE (2010) ein tatbestandlicher Schadensbe- drucks überlegen ist. griff. Allerdings wurde für natur- und umweltschutz- fachliche Schäden im Rahmen der Umweltrisikoprü- Im Folgenden werden die notwendigen Grundelemente fung bzw. beim Monitoring nach Gentechnikrecht ein für ein Gesamtkonzept diskutiert und notwendige Ergän- Schadenskonzept entwickelt (KOWARIK et al. 2008). zungen dargestellt. 589. Im Ergebnis eröffnet ein medienübergreifendes und interdisziplinäres Vorgehen die Möglichkeit, zu strittigen 10.3.1 Allgemeines, repräsentatives und aktuellen Bewertungsfragen gemeinsame und umfas- Biodiversitätsmonitoring sende Positionen zu finden. Grundlage hierfür bildet die Biodiversitätsforschung, deren Ziel es ist, die Zusammen- 591. Es gibt in Deutschland kein umfassendes Biodiver- hänge und Wechselwirkungen innerhalb ökologischer sitätsmonitoring, welches den Zustand der biologischen Systeme sowie zwischen anthropogenen Faktoren und Vielfalt in ihren wichtigsten Kompartimenten abbildet. Umweltveränderungen aufzuklären (MARQUARD et al. Die Datenlage ist somit nicht ausreichend, um es der Poli- 2012). Nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) tik zu erlauben, fundierte Entscheidungen mit Relevanz dienen Nationalparks und Biosphärenreservate auch der für den Naturhaushalt zu treffen. In Deutschland wird das wissenschaftlichen Umweltbeobachtung und der For- Konzept des Monitorings von Ökosystemleistungen bis- schung (§§ 24 Absatz 2 und 25 Absatz 2 BNatSchG). So lang gar nicht systematisch verfolgt. Ein entsprechendes findet integrierte Umweltbeobachtung zum Beispiel im Monitoringkonzept, das in bereits laufende Initiativen, Nationalpark Bayerischer Wald im Rahmen des Internatio- wie das internationale System der umweltökonomischen nalen Kooperationsprogramms über die Auswirkungen Gesamtrechnungen, eingebunden werden kann, muss grenzüberschreitender Luftschadstoffe und des Klima- noch entwickelt werden. wandels auf Ökosysteme statt (UNECE ICP Integrated 592. Obwohl die biologische Vielfalt als „existenzielle Monitoring) (BEUDERT et al. 2007). Grundlage für das menschliche Leben“ anerkannt wird Die intensive Beobachtung bestimmter Umweltparameter (BMU 2007, S. 9), gibt es im Indikatorenbericht zur natio- auf derzeit 88 ausgewählten Dauerbeobachtungsflächen nalen Biodiversitätsstrategie nur zwei Indikatoren zum (Level II) im Wald im Rahmen von ICP Forests dient der Zustand der biologischen Vielfalt (und einen integrieren- Entwicklung von Hypothesen von Ursache-Wirkungs-Be- den Zustandsindikator: Zustand der Flussauen) (BMU ziehungen (BMELV 2011; BOLTE et al. 2008; vgl. 2010, Kap. 2.1). Der Indikator „Artenvielfalt und Land- Tz. 602). Im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungs- schaftsqualität“ beschränkt sich auf die Zielerreichung im projekts „Modellhafte Umsetzung und Konkretisierung Bereich der Arten (bisher nur Brutvögel) und der sechs der Konzeption für eine ökosystemare Umweltbeobach- Hauptlebensraumtypen. Der Indikator „Erhaltungszustand tung am Beispiel des länderübergreifenden Biosphärenre- der FFH-Lebensräume und FFH-Arten“ (FFH – Fauna- servates Rhön“ erschien 2008 der „Erste integrierte Um- Flora-Habitat) basiert auf den Daten des Monitorings nach weltbericht“ (Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, der FFH-Richtlinie über den Erhaltungszustand der Gesundheit und Verbraucherschutz et al. 2008). Gleichzei- Schutzgüter. Die vorhandenen Monitoringprogramme tig sollten umgekehrt auch die Ergebnisse der Ökosystem- sind bisher für eine angemessene Politikberatung und eine forschung in die Gestaltung der Monitoringprogramme wissenschaftlich fundierte Darstellung des Zustandes der und in die Auswahl der Parameter und Messnetze fließen, biologischen Vielfalt nicht ausreichend und sollten ergänzt um diese zu optimieren. werden (DOERPINGHAUS und DRÖSCHMEISTER 2010; vgl. Tz. 394). 10.3 Grundelemente eines Gesamtkonzeptes Ökologische Flächenstichprobe als Instrument 590. Monitoring erfüllt einerseits eine Frühwarnfunk- tion zu besorgniserregenden Entwicklungen, andererseits 593. Doch gibt es bereits geeignete Instrumente zum flä- bewertet es die Erfolge von Maßnahmen hinsichtlich ih- chendeckenden Monitoring des Zustandes der biologi- rer Wirksamkeit für die Schutzziele und die Schutzgüter. schen Vielfalt: Die ökologische Flächenstichprobe (ÖFS) Ein Gesamtkonzept sollte Nutzungseinflüsse, Stoffbelas- wurde als neues Beobachtungsinstrument des Natur- tungen und Wirkungen des Klimawandels mit Zustands- schutzmonitorings in Zusammenarbeit von Statistischem daten zur Biodiversität verknüpfen und Veränderungen Bundesamt und dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) im Naturraum abbilden. Ein weiterer Problemkreis für konzipiert (DRÖSCHMEISTER 2001; Statistisches Bun- eine Umweltbeobachtung betrifft die Möglichkeit eines desamt und BfN 2000; BACK et al. 1996). Ziel war es, die Gentransfers nach Freisetzung von genetisch veränderten Entwicklung des Naturvermögens in der Umweltökono- Organismen im Lebens- und Naturraum. Es gilt, sowohl mischen Gesamtrechnung zu berücksichtigen. Die ÖFS

336 Grundelemente eines Gesamtkonzeptes stellt einen bundesweit anwendbaren Ansatz dar, nach tungen exemplarisch für verschiedene Landnutzungen der dem Erhebungsmerkmale in repräsentativen und zufällig Biosphärenreservate Oberlausitz und Schwäbische Alb gewählten Stichprobenflächen nach standardisierten Me- nach dem Schema des MA erfasst. Dadurch wurden Kon- thoden ermittelt und auf die Gesamtfläche hochgerechnet flikte zwischen verschiedenen Ansprüchen und Nachfra- werden. Die Umweltverträglichkeit der Landnutzung in gen an Landschaften sichtbar und bewusst (PLIENIN- Bezug auf die biologische Vielfalt soll dabei beobachtet GER et al. 2010). werden. Vor allem die Qualität der flächenmäßig dominie- renden Normallandschaft (außerhalb von Schutzgebieten) 10.3.2 Monitoring der Wirkung der Klima- ist für die Erhaltung der biologischen Vielfalt grundlegend änderungen auf die Biodiversität und wird in der ÖFS berücksichtigt. Die statistische Rele- vanz beruht auf einer Stratifizierung der Stichprobenflä- 595. Eine Darstellung der Wirkungen des Klimawan- chen nach der naturräumlichen Gliederung Deutschlands. dels auf die biologische Vielfalt und eine wissenschaftlich Der Aufbau des Monitorings im Rahmen der ÖFS ist mo- abgesicherte Abgrenzung dieser Wirkungen von anderen dular. Dabei werden auf Ebene I Landschaften und Wirkungen, wie etwa des Einflusses der Landnutzung, ist Biotoptypen ermittelt, deren Größe, Verteilung, Struk- im Moment nicht möglich. Eine Ausweitung des beste- turierung und Qualität. Ebene II dokumentiert die Qualität henden Brutvogelmonitorings durch die flächendeckende der Biotope, ihre Artenvielfalt und Artenausstattung Einführung der ÖFS würde ein Monitoring der Auswir- (DRÖSCHMEISTER 2001). Die ÖFS ist darauf hin kon- kungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt er- zipiert, drei Belastungsformen zu dokumentieren: Zerstö- möglichen. rung, Zerschneidung und qualitative Belastungen. 596. Der anthropogene Klimawandel resultiert in klein- Eine praktische Erprobung von Teilkomponenten erfolgte und großklimatischen Änderungen (z. B. Saisonalität und 1990 in Brandenburg, Berlin und Thüringen (Statistisches Stärke der Regenereignisse bzw. Trockenzeiten, Tempe- Bundesamt 1998). Umgesetzt wird die ÖFS bis heute nur raturverhältnisse), die sich auf die Verteilung und Zusam- in Nordrhein-Westfalen (KÖNIG 2003; 2010). Baden- mensetzung von Lebensgemeinschaften auswirken. Der Württemberg plant die Einführung der ÖFS (Ministerium Großteil der Forschung diskutiert die Folgen des Klima- für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Baden-Württem- wandels für die Biodiversität auf Art-Ebene, meist mit- berg 2011, S. 44). hilfe sogenannter „climatic envelopes“ (Bereich klimati- scher Schwankungen, in welchem eine Art vorkommen Monitoring von Ökosystemleistungen kann) (VOHLAND 2008). Neben dem Klimawandel wird die Biodiversität aber auch durch die Landnutzung beein- 594. Im Rahmen der Umsetzung der neuen Biodiversi- flusst. Daher sind technisch und großflächig umsetzbare tätsstrategie der EU sollen zukünftig auch Ökosystemleis- Monitoringverfahren zu nutzen und zu etablieren, mit de- tungen erfasst werden (vgl. Abschn. 1.2.2). Die EEA hat nen diese kombinierten Auswirkungen beide dokumen- daher ausgehend vom Millennium Ecosystem Assess- tiert und bewertet werden können (GEBHARDT et al. ment (MA) ein neues Klassifizierungssystem entwickeln 2010). Beispielhaft sind hier die ÖFS in Nordrhein-West- lassen: das Common International Classification of Eco- falen und das Brutvogelmonitoring Deutschland, welches system Goods and Services (CICES) (HAINES-YOUNG auch auf dem statistischen Ansatz der ÖFS beruht (ebd.). und POTSCHIN 2010). CICES bietet die Möglichkeit, In der Schweiz gibt es ein flächendeckendes Biodiversi- Ökosystemleistungen in bereits laufende Initiativen, wie tätsmonitoring (BDM), in dessen Rahmen auf einem sys- das internationale System der umweltökonomischen Ge- tematisch verteilten Raster beispielsweise die Mollusken- samtrechnungen (System of Integrated Environmental arten und ihre Verteilung erfasst werden. Dadurch and Economic Accounting – SEEA), den Humanentwick- konnten für zahlreiche Arten die Kenntnisse der Höhen- lungsindex des Entwicklungsprogramms der Vereinten verbreitung erweitert werden, die eine wichtige Grund- Nationen (United Nations Development Programme – lage für ein Monitoring der Folgen der Klimaerwärmung UNDP), die Messung des gesellschaftlichen Fortschritts sind (KOBIALKA et al. 2010). Somit kann in Zukunft der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Rückgang von wärmeintoleranten Arten oder eine Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation „Verschiebung“ ihrer Verbreitung untersucht werden. and Development – OECD) oder den von der EU geplan- Ebenso kann der Einfluss der Bewirtschaftung oder von ten Regelungsrahmen für die umweltökonomische Ge- Luftschadstoffen auf die Biodiversität auf dieser Daten- samtrechnung mit einzurechnen (wie gefordert in Euro- grundlage systematisch erfasst und bewertet werden päische Kommission 2011b). (ebd.). Um Fragestellungen bezüglich des Zusammen- hangs zwischen Klimaveränderung und Artenvorkommen Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) der Schweiz hat auf untersuchen zu können, ist ein Langzeitmonitoring Vo- der Grundlage von MA und CICES als erstes europäi- raussetzung. sches Land ein Inventar entwickelt, mit dem Ökosystem- leistungen, die direkt dem Menschen zugutekommen, für Gleichzeitig könnten durch die flächendeckende Einfüh- eine wohlfahrtsbezogene Umweltberichterstattung erfasst rung der ÖFS auch die Folgen von Anpassungsstrategien werden können (STAUB et al. 2011). Sie werden damit an den Klimawandel, wie zum Beispiel der Ausbau der messbar und kommunizierbar. Als Rahmen für eine nach- Windenergienutzung sowie der Anbau von Energiepflan- haltige Landschaftsentwicklung wurden Ökosystemleis- zen und Kurzumtriebsplantagen, überprüft werden.

337 Medienübergreifendes Monitoring

10.3.3 Monitoring in der Agro-Gentechnik nämlich zu Amflora, einer gentechnisch veränderten Stärke-Kartoffelsorte (seit 2010). Hingegen handelt es sich 597. Die Forderungen des SRU nach einer ausreichen- bei dem für Deutschland ausgehandelten und 2008 eta- den allgemeinen und fallspezifischen Beobachtung von blierten Monitoringplan für MON810, eine gegen den gentechnisch veränderten Organismen (GVO) wurden Maiszünsler resistente Maislinie, um eine Regelung auf bislang nicht in die Praxis umgesetzt (SRU 2004a; 2004b; nationaler Ebene. Beim Anbau von MON810-Mais wur- 2008, Kap. 12.3). Eine Umweltbeobachtung in der Agro- den natur- und umweltschutzfachliche Aspekte jedoch Gentechnik im Sinne des Vorsorgeprinzips konnte daher ungenügend berücksichtigt und zum Beispiel die Auswir- bislang nicht umgesetzt werden. kungen des in den Maispflanzen produzierten Bt-Toxins Die beteiligten Behörden in Deutschland, der Schweiz (Bt = Bacillus thuringiensis) auf Tagfalter und Gewässer- und Österreich haben in einem Papier folgende Grund- organismen nicht anbaubegleitend untersucht (BfN 2009). sätze eines GVO-Monitorings verabschiedet (ZÜGHART Seit April 2009 besteht in Deutschland ein Anbauverbot et al. 2011), die durch den Ansatz der ÖFS im Wesentli- für MON810 mit der Begründung, dass durch diesen Mais chen unterstützt werden: schädliche Umweltwirkungen verursacht werden könnten (ZKBS 2009). Diese Wirkungen hätten in Deutschland mit – Erfüllung wissenschaftlicher Mindestanforderungen dem hier angewandten Monitoring nicht nachgewiesen (betreffend Parameter, Methoden, Design, Beobach- werden können. tungsorte, Zeithorizont), – Aussagekraft der vor der Zulassung durchgeführten 600. Der verbindliche Schutz der Ökosysteme – insbe- Risikoabschätzung überprüfen, sondere ausgewiesener Schutzgebiete – und ein aussage- kräftiges Monitoring, welches ökologische Risiken recht- – eine strikte konzeptuelle und methodische Trennung zeitig indiziert, sollten Voraussetzung für einen Anbau zwischen fallspezifischer und allgemeiner Beobach- gentechnisch veränderter Pflanzen sein. Beim Inverkehr- tung ist fachlich nicht sinnvoll und schwer umsetzbar, bringen von gentechnisch veränderten Futtermitteln soll- ten im Rahmen des Monitorings zusätzlich auch die – Erfassung der Exposition der Umwelt durch GVO und Transport- und Verarbeitungswege überwacht werden so- durch aus ihnen hergestellte Produkte ist ein wichtiger wie gegebenenfalls die tierischen Ausscheidungen und Bestandteil der Beobachtung. der Konsum der so hergestellten tierischen Produkte. Die Eine deutschlandweite Einführung der ÖFS wäre sinn- fallspezifische Überwachung ist basierend auf Hinweisen voll, um die im Gentechnikrecht gesetzten Ziele im Be- aus der Umweltrisikoprüfung durchzuführen und umfasst reich Monitoring besser zu erfüllen. also jeweils unterschiedliche spezifische Untersuchun- gen. Die Pläne für die allgemeine Beobachtung kombi- 598. Das Monitoring der Wirkungen von GVO auf die nieren Umwelt erfordert die Beobachtung sehr komplexer öko- logischer Zusammenhänge auf verschiedenen Integra- – Fragebögen an die Landwirte, die Schwerpunkte auf tionsebenen (z. B. innerartliche Diversität, Populationen, agronomische Aspekte wie Ertrag, Schädlingsbefall Ökosysteme) (ZÜGHART und BENZLER 2007; etc. legen (ökologische Parameter werden nicht syste- ZÜGHART et al. 2005; SRU 2004b, Abschn. 10.2.3). matisch erhoben), Wurde ein GVO für den Markt zugelassen (Inverkehr- bringen), müssen der GVO und seine Verwendung durch – Literaturauswertungen, ein Monitoring möglicher Auswirkungen auf die Umwelt – die Nutzung bestehender allgemeiner Beobachtungs- begleitet werden. Dies gilt für den Import, die Verarbei- programme. tung und den Anbau von GVO. Dabei werden zwei Moni- toringansätze unterschieden: eine allgemeine überwa- Vor diesem Hintergrund sind flächendeckende Kenntnisse chende Beobachtung (general surveillance) und eine über die Verbreitung von Arten, Lebensgemeinschaften sogenannte fallspezifische Beobachtung (case specific und Lebensräumen in guter Qualität Voraussetzung für monitoring) (Anhang VII der Freisetzungsrichtlinie 2001/ den Anbau von GVO bzw. für die damit zwingend verbun- 18/EG). denen Monitoringansätze (vgl. Tz. 592). In Österreich wurde ein Monitoringsystem etabliert, das die gemein- Zweck der fallspezifischen Beobachtung ist es, die in der same Durchführung von Biodiversitäts- und GVO-Moni- Umweltrisikoprüfung gemachten Annahmen hinsichtlich toring ermöglicht und dadurch fachliche und auch mone- der möglichen schädlichen Auswirkungen des GVO und täre Synergieeffekte schafft (PASCHER et al. 2010; 2011). seiner Verwendung auf die Umwelt und die menschliche Dieses Monitoringsystem namens BINATS (Biodiversity Gesundheit zu überprüfen. Sie muss nur dann durchge- – Nature – Safety) umfasst 100 Testflächen in Ackerbau- führt werden, wenn es entsprechende Hinweise auf Risi- gebieten. Gleichzeitig wird durch dieses Konzept die über- ken oder Unsicherheiten gibt. Die allgemeine Beobach- wachende Beobachtung in das nationale Monitoring der tung ist dagegen verpflichtend immer durchzuführen. Sie Biodiversität eingegliedert (PASCHER et al. 2007). Land- dient der Ermittlung von möglichen schädlichen Effekten schaftselemente und Habitate, Gefäßpflanzen, Tagfalter auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit, die und Heuschrecken bilden die Indikatoren. Auch das Bio- nicht in der Umweltrisikoprüfung vorhergesehen wurden. diversitätsmonitoring Schweiz (BDM) ist in Synergien für 599. In der EU wurde bisher nur ein anbaubegleitendes ein GVO-Monitoring nutzbar (BÜHLER 2010; RAPS Monitoring nach der Freisetzungsrichtlinie praktiziert 2007; BÜHLER et al. 2008). In seinem Rahmen werden

338 Grundelemente eines Gesamtkonzeptes auf 2.000 Stichprobenflächen auf der ganzen Landesflä- lichen Einträge). Hier ist eine bessere Verknüpfung der che Tiere (Brutvögel, Mollusken, Tagfalter) und Pflanzen bisher getrennt erfassten Informationen notwendig (Um- (Gefäßpflanzen, Moose) beobachtet (Koordinationsstelle weltrat EOBC 2011). Ein stoffbezogenes Monitoring Biodiversitätsmonitoring Schweiz 2006). Die ÖFS könnte sollte daher integrativ ausgerichtet werden, sodass „Stoff- in Deutschland eine ähnliche Ausgangsbasis für das GVO- gemische medienübergreifend auf den trophischen Stufen Monitoring bieten, da sie leicht um gewisse für ein GVO- des Ökosystems untersucht werden“ können (AK Um- Monitoring notwendige Aspekte erweitert werden kann weltmonitoring 2008). (MIDDELHOFF et al. 2006). Erste Anfänge einer bei- spielhaften Umsetzung hat es bereits in Nordrhein-West- 10.3.4.1 Charakterisierung umwelt- falen gegeben (FIEBIG 2010). relevanter Stoffe 603. Auf Natur und Umwelt wirkt eine Vielzahl von un- 10.3.4 Stoffbezogenes Monitoring terschiedlichen stofflichen Belastungen. Diese bestehen 601. Zu Stoffeinträgen in die Umwelt kommt es nicht beispielsweise in Akkumulationsprozessen, in Stofftrans- nur durch die direkte Ausbringung (etwa von Pestiziden fers und stofflichem Austausch zwischen den Umweltme- oder Düngemitteln), sondern auch durch die geplante dien sowie indirekten Wirkungen. Ökologisch relevant Verwendung (etwa von Lösungsmitteln, Arzneimitteln sind sowohl Stoffe, die über besonders problematische oder anderen Produkten), den ungewollten Verlust aus Eigenschaften verfügen, als auch solche, die in großen Produktions- oder Betriebsabläufen, durch Störfälle und Mengen freigesetzt werden und die Pufferkapazitäten der nicht zuletzt auch durch die Entsorgung. Entsprechend Ökosysteme überlasten. Potenzielle Relevanz für ein sind die Einträge von Stoffen vielgestaltig und die Belas- stoffspezifisches und medienübergreifendes Monitoring tung der Umwelt durch Stoffe betrifft die Umweltmedien erlangt damit eine Vielzahl an Stoffen. (Boden, Wasser, Luft) und hat auch Auswirkungen auf Die Auswahl der Stoffe, die in ein Monitoringprogramm die biologische Vielfalt. einbezogen werden sollen, sollte sowohl aufgrund ihres Der derzeitige Gesetzesvollzug im Chemikalienrecht lie- Vorkommens in der Umwelt als auch anhand von Stoffei- fert Bewertungsmaßstäbe zur Risikoabschätzung von genschaften erfolgen, die auf ein bekanntes oder mögli- Umweltbelastungen. Die mittlerweile festgelegten Grenz- ches Gefährdungspotenzial für Mensch und/oder Umwelt werte in der Stoffregulierung (Luftreinhaltung, Wasser- hinweisen. Zur Ermittlung solcher Substanzen können die recht u. a.) bilden gesellschaftlich festgelegte Risikostan- Kriterien des Artikels 57 der Verordnung (EG) Nr. 1907/ dards, deren Einhaltung durch Monitoring verifiziert 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Be- werden muss. Um erfolgreiche und gezielte Maßnahmen schränkung chemischer Stoffe (REACH-Verordnung) zur für den Umgang mit Stoffen treffen und Defizite der bis- Identifikation besonders besorgniserregender Stoffe (sub- herigen Regulierungsansätze ausmachen und korrigieren stances of very high concern – SVHC) dienen. Es handelt zu können, sind neben Risikoinformationen zu den ein- sich hierbei um Stoffe, die: zelnen Stoffen auch Informationen zur tatsächlichen Be- – im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 über die lastung der einzelnen Umweltmedien und der dadurch Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stof- hervorgerufenen Wirkungen notwendig. Das Verhalten fen und Gemischen (CLP-Verordnung) als krebserzeu- und der Verbleib von in die Umwelt freigesetzten Stoffen gend, erbgutverändernd oder reproduktionstoxisch der sind wichtige Grundlagen für die Ableitung von Kriterien Kategorie 1A oder 1B eingestuft sind (CMR-Stoffe) für die frühzeitige Identifizierung umweltrelevanter (Artikel 57a–c REACH-Verordnung), Stoffe. Für eine effiziente Umweltpolitik ist daher eine Rückkopplung der Informationsflüsse zwischen Umwelt- – nach den Kriterien des Anhang XIII der REACH-Ver- beobachtung, Umweltpolitik und Rechtssetzung wichtig. ordnung persistent, bioakkumulierbar und toxisch Das Zusammenwirken von Umweltbeobachtung und (PBT-Stoffe) oder sogar sehr persistent und sehr bio- Vollzug ist somit von wesentlicher Bedeutung. Ziel ist ein akkumulierbar (vPvB-Stoffe) sind (Artikel 57d und e möglichst umfassender Schutz der biologischen Vielfalt REACH-Verordnung), über den gesamten stofflichen Lebensweg, von der Her- – nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrschein- stellung über die Verwendung bis zur Entsorgung. lich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben, die ebenso be- 602. Derzeit wird die stoffliche Belastung von Ökosys- sorgniserregend sind wie diejenigen anderer in den temen überwiegend getrennt nach den Einträgen von Buchstaben a bis e aufgeführter Stoffe, und die im Stoffen in die einzelnen Umweltmedien (Boden, Wasser, Einzelfall gemäß dem Verfahren des Artikels 59 er- Luft) und der Belastbarkeit der Lebensgemeinschaften mittelt werden – wie etwa solche mit endokrinen Ei- durch wenige, prioritäre Schadstoffe erfasst. Nur wenige genschaften oder solche mit persistenten, bioakkumu- Monitoringprogramme führen physikalisch-chemische lierbaren und toxischen Eigenschaften oder sehr Informationen (z. B. pH-Wert, Temperatur, Sauerstoffge- persistenten und sehr bioakkumulierbaren Eigenschaf- halt, ausgewählte Stoffe) mit biologischen Informationen ten, die die Kriterien der Buchstaben d oder e nicht er- zusammen (z. B. Gewässermonitoring, Bodenzustandser- füllen – (Artikel 57f REACH-Verordnung). hebung, Umweltmonitoring im Wald (Level II-Flächen (ICP Forests)) (vgl. Tz. 589) oder die ÖFS in Nordrhein- Bei einigen potenziellen PBT-Stoffen sind die zur ab- Westfalen in Verbindung mit einem Monitoring der stoff- schließenden Bewertung notwendigen Prüfungen auf-

339 Medienübergreifendes Monitoring grund ihrer chemischen Eigenschaften und hoher Nach- chen Ökosysteme. Beispielsweise betrug der Anteil der weisgrenzen nicht oder nur schwer möglich. Bislang ist untersuchten Flächen ohne Überschreitungen ökosystem- nicht geklärt, ob diese Stoffe als PBT angesehen werden, spezifischer Belastungsgrenzen für eutrophierende Stick- oder wie die PBT-Eigenschaften dieser Substanzen be- stoffeinträge (exceedance of critical loads of nutrient nit- stimmt werden können (SCHULTE 2006). rogen) in Deutschland im Jahr 2004 nur 4,3 % (SUKOPP et al. 2010). Zur Bewertung des Zustands eines Ökosys- 604. Bei PBT- und vPvB-Stoffen sind der Eintrag in die tems ist daher auch die Überwachung der vorhandenen Umwelt und mögliche Auswirkungen auf die menschliche Nährstoffe notwendig. Gesundheit und Ökosysteme zeitlich und räumlich vonei- nander entkoppelt. Die Vorhersage langfristiger Wirkun- gen und die Beurteilung möglicher Schäden sind mit der 10.3.4.2 Beispiele für kritische Stoffe mit üblichen Methodik der Risikobewertung (Vergleich zwi- besonderen Anforderungen schen anzunehmender Exposition und Wirkung) nicht an das Monitoring möglich, weil Persistenz und Anreicherung ohne Messda- 607. Im Folgenden wird an Beispielen dargestellt, wel- ten aus repräsentativen Proben keine belastbare Vorher- che Beiträge Monitoring zum Schutz des Menschen und sage der Exposition erlauben. Dazu kommt eine hohe Un- der Umwelt vor Stoffeinträgen bereits leistet oder leisten sicherheit bezüglich möglicher längerfristiger Wirkungen. kann. Im Zentrum der vorsorgenden Stoffpolitik stehen Diese lassen sich letztlich bei hoher Persistenz und Anrei- heute Stoffe mit langfristigen Risikopotenzialen (PBT- cherungsfähigkeit nie ausschließen. Einmal eingetretene Stoffe und CMR-Stoffe) und Stoffe, die schon in geringen Schäden sind häufig nicht mehr reparabel (UBA 2009b). Konzentrationen in physiologische Regulierungsmecha- Daher wird für diese Stoffklasse international die Mini- nismen von Organismen eingreifen (endokrine Wirkun- mierung jeglicher Freisetzung angestrebt. Ein diesem ho- gen, vgl. Tz. 612 f.). Einige problematische Stoffeinträge hen Schutzanspruch entsprechendes Monitoringsystem wurden zwar minimiert, doch konnte die Forschung neue fehlt bisher. Wirkungsmechanismen von bekannten Umweltschadstof- 605. Das stoffliche Monitoring kann jedoch nicht nur fen und von bis dahin nicht als solche klassifizierten dazu dienen, die Verbreitung bekannter PBT- oder vPvB- Stoffe nachweisen, zum Beispiel für per- und polyfluo- Stoffe zu untersuchen. Darüber hinaus können in Zusam- rierte Verbindungen. In anderen Fällen stellt sich trotz Er- menarbeit mit der Forschung Stoffe identifiziert werden, folgen in der Emissionskontrolle die Notwendigkeit zur die bislang nicht als PBT- oder vPvB-Stoffe erkannt wur- weiteren Minderung, weil die Bewertung möglicher Ge- den, beispielsweise durch Untersuchung von Humanpro- sundheitsrisiken neue Erkenntnisse, zum Beispiel für die ben beruflich nicht exponierter Personen oder von Um- Bewertung von Blei, erbracht hat. Aus der Gruppe der für weltproben aus gering durch den Menschen beeinflusste die Umwelt besonders kritischen Stoffe werden im Fol- Regionen (Arktis) oder von Organismen an der Spitze genden ein Schwermetall, eine Stoffgruppe mit persisten- von Nahrungspyramiden (UBA 2009b). ten, bioakkumulierbaren und toxischen Eigenschaften, die Gruppe der endokrin wirksamen Stoffe und ein häufi- 606. Weitere Kriterien, die einen Stoff für die prioritäre ges Pflanzenschutzmittel herausgegriffen. Für diese ist Aufnahme in ein Monitoringprogramm qualifizieren, sind ein Monitoring wegen ihrer öko- und humantoxischen eine hohe toxische Potenz, eine weit verbreitete Verwen- Wirkungen notwendig. dung oder eine hohe jährliche Herstellungsmenge. Beson- ders bei Substanzen, die nach den beiden letztgenannten Kriterien ausgewählt wurden, sollte ein Monitoring auch Schwermetalle und „neue“ Wirkungen: Blei mögliche darin enthaltene Kontaminanten umfassen. Als 608. Blei ist ein Metall mit bekannter und ubiquitärer Beispiel sei hier der Eintrag von Cadmium in Böden Verbreitung. Im Unterschied zu vielen organischen Sub- durch die Verwendung von Phosphatdünger genannt, aber stanzen können Metalle nicht biologisch abgebaut wer- auch Einträge, die durch historische Nutzungsformen den, ihre Verbreitung unterliegt daher einem Kreislauf. – zum Beispiel Bergbau – entstanden sind. Um die Belastung von Mensch und Umwelt effektiv zu Der Einsatz von Pestiziden und Arzneimitteln in der reduzieren, müssen toxische Metalle diesem Kreislauf Landwirtschaft ermöglicht einerseits enge Fruchtfolgen entzogen werden. Der Eintrag von Schwermetallen in die und eine intensive Tierhaltung, diese Stoffe sind aber an- Oberflächengewässer bedeutet eine Beeinträchtigung dererseits per se umweltrelevant bzw. wirksam auf die aquatischer Lebensgemeinschaften. Trotz der Reduktio- biologische Vielfalt. Sie tragen somit auch direkt zum nen bei Blei um 89 % zwischen 1985 bis 2005 bestehen Verlust der biologischen Vielfalt bei, indem beispiels- im Rahmen der Schwebstoffuntersuchungen der Bund/ weise Pflanzen, die Nützlingen als Nahrung und Über- Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser weiterhin Probleme winterungsort dienen, durch Herbizide vernichtet werden bezüglich der Schwermetallkonzentrationen, so auch bei oder dadurch, dass Tiere, die nicht Zielorganismen sind, Blei. Die Gewässer-Güteklasse II konnte im Jahr 2010 für durch Insektizide geschädigt oder getötet werden (HAFF- Blei daher nur an 78 % der Messstellen erreicht werden MANS 2008). (UBA 2012). Zur Ermittlung der Prioritäten für weitere Reduktionsmaßnahmen sowie zur Überwachung des Er- Der Einsatz von Düngemitteln führt zu einem erhöhten folgs solcher Maßnahmen stellt das Monitoring der Be- Eintrag von Nährstoffen in die Umwelt mit negativen lastung der einzelnen Umweltkompartimente ein unver- Auswirkungen auf die meisten naturnahen und natürli- zichtbares Werkzeug dar.

340 Grundelemente eines Gesamtkonzeptes

Inzwischen ist die Belastung des Menschen mit Blei, trotz Die Verbreitungswege sind noch nicht vollständig aufge- seiner Persistenz, rückläufig (IARC 2006). Aktuelle Stu- klärt (UBA 2009a). dien zur Wirkung von Blei an Kindern und Jugendlichen erbrachten neue Erkenntnisse zu Gesundheitsrisiken, da Die Aufnahme von PFAS in den menschlichen Organis- sie vermehrt Kollektive mit Blutbleigehalten im Niedrig- mus ist ebenfalls noch nicht vollständig aufgeklärt. In Stu- dosisbereich unter 100 µg/l enthielten. Die Studien zeig- dien an Personen, die belastetes Trinkwasser konsumiert ten, dass Blei neurotoxische Wirkungen und möglicher- hatten, konnte eine Aufnahme von PFOS und PFOA ge- weise auch endokrine Wirkungen entfaltet, für die Kinder zeigt werden, ebenso eine Aufnahme von PFOS aus kon- und Jugendliche aufgrund ihrer Entwicklungsstufen eine taminiertem Fisch. PFAS wurden auch in anderen Lebens- sensible Bevölkerungsgruppe darstellen (Kommission mitteln nachgewiesen wie Fleisch, Milchprodukten und Eiern sowie Getreide, welches auf kontaminierten Böden Human-Biomonitoring 2009). Blei und seine anorgani- gewachsen war. PFAS werden auch über die Lunge aufge- schen Verbindungen wurden vor kurzem auch hinsichtlich nommen, beispielsweise können mit PFAS veredelte ihrer Kanzerogenität neu bewertet: die International Wohntextilien zu einem Eintrag in die Raumluft führen Agency for Research on Cancer (IARC) hat sie als wahr- (UBA 2009a). In Tierexperimenten wirken PFOA und scheinlich krebserzeugend für den Menschen (Gruppe 2A) PFOS kanzerogen und reproduktionstoxisch (OECD 2002; eingestuft und auch die MAK-Kommission (MAK – ma- EPA 2005; FRICKE und LAHL 2005). Die Übertragbar- ximale Arbeitsplatzkonzentration) bewertet sie als krebs- keit der tierexperimentellen Befunde auf den Menschen ist erzeugend für den Menschen (Kategorie 2) (IARC 2006; jedoch umstritten. Es gibt aber Hinweise auf einen negati- DFG Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädli- ven Einfluss von PFOS und PFOA auf die Fruchtbarkeit cher Arbeitsstoffe 2007). Diese neuen Erkenntnisse zei- von Frauen (FEI et al. 2009). gen, dass trotz Minderungserfolgen die Bleibelastung nach dem ALARA Prinzip (As Low As Reasonably Achie- Eine Studie der Umweltprobenbank des Bundes zeigt, vable) weiter gemindert und dies auch im Monitoring dass die Konzentrationen von PFOS im Blutplasma nicht überprüft werden muss. beruflich Exponierter seit Beginn des neuen Jahrtausend deutlich sinken, während die PFOA-Konzentrationen 609. Zusammen mit Befunden zu einer Korrelation zwi- gleich bleiben. Gleichzeitig zeigen sowohl diese als auch schen den Bleigehalten im Blut und einem erhöhten Auf- eine weitere Studie, dass die bekannten PFAS wie PFOS treten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und chronischen und PFOA durch neue PFAS ersetzt werden, die noch we- Nierenschäden bei Erwachsenen (Kommission Human- niger untersucht sind (UBA 2009a). Biomonitoring 2009) sprechen die Erkenntnisse über die Wirkungen von Blei dafür, die Bestrebungen zur Mini- Bislang liegen die in Gewässern gemessenen Konzentra- mierung der Belastung des Menschen weiter aufrecht zu tionen der PFAS deutlich unter den Gehalten, die aquati- erhalten und zu optimieren. Der Erfolg der Maßnahmen sche Lebensgemeinschaften schädigen würden (UBA ist daher weiterhin durch ein regelmäßiges Belastungs- 2009a). PFAS sind jedoch, wie beschrieben, sehr persis- monitoring zu überprüfen. Der Einfluss der terrestrischen tent. Daher sollte ihr Eintrag in die Umwelt minimiert Bleibelastung auf den Menschen ist zu evaluieren und ge- werden, zumal die Industrie vermehrt kurzkettige PFAS gebenenfalls zu senken. einsetzt, die sich zwar weniger im Organismus anrei- chern, aber ebenso wenig biologisch abbaubar sind und deren ökotoxikologisches Potenzial noch nicht abge- Persistent, bioakkumulierbar und toxisch: schätzt werden kann. Das Umweltbundesamt (UBA) per- und polyfluorierte Verbindungen schlägt zum Schutz der Umwelt rechtlich bindende Quali- 610. Eine Gruppe ebenfalls persistenter Umweltkonta- tätsstandards und Minderungsziele für Gewässer, Abwas- minanten stellen die Perfluoralkyl- und Polyfluoralkyl- ser, Klärschlamm und Böden vor (UBA 2009a). substanzen (PFAS) dar. Bekannte Vertreter der PFAS sind 611. Die bislang zu den PFAS vorliegenden Befunde die Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) und die Perfluoroc- sprechen dafür, das Monitoring der Belastung von tansäure (PFOA), die bereits seit über fünfzig Jahren her- Mensch und Umwelt mit dieser Substanzklasse weiter zu gestellt und zusammen mit einigen anderen PFAS auch als intensivieren, zum einen um über ein Belastungsmonito- perfluorierte Tenside (PFT) bezeichnet werden. Weiterhin ring sowohl die Erfolge der Minimierungsbestrebungen werden zu den PFAS unter anderem Fluortelomeralkohole zu prüfen, als auch um neue quantitativ besonders rele- (FTOH) und Fluorpolymere wie Polytetrafluorethylen vante PFAS früh erkennen zu können. Zum anderen ist (Teflon®) gezählt. PFT weisen eine hohe chemische und ein Effektmonitoring erforderlich, um potenzielle Wir- thermische Stabilität auf. Wegen ihrer wasser-, fett- und kungen auf Mensch und Umwelt möglichst frühzeitig zu schmutzabweisenden Wirkung werden sie zur Oberflä- identifizieren, vor allem auch in Anbetracht der Persis- chenveredelung von Textilien sowie von Papier und Bau- tenz der PFAS. produkten eingesetzt. Darüber hinaus finden sie auch in der Galvanik bei der Oberflächenbeschichtung weitver- Endokrin wirksame Stoffe breitet Anwendung und werden auch in Reinigungsmit- teln, Farben und Feuerlöschmitteln verwendet (AREN- 612. Schon seit geraumer Zeit nimmt die Wirkung von HOLZ et al. 2011; UBA 2009a; BfR 2006). Wegen ihrer Schadstoffen auf das Endokrinum (Hormonsystem) in der Persistenz sind PFAS mittlerweile weltweit in Gewässern, Stoffrisikodebatte eine besondere Stellung ein. Es gibt Luft, menschlichem und tierischem Gewebe nachweisbar. zahlreiche Chemikalien, die nachweislich das Potenzial

341 Medienübergreifendes Monitoring besitzen, das endokrine System des Menschen wie auch krin wirksamen Substanzen auf die Spur zu kommen (vgl. das von Tieren zu beeinflussen. Hier steht die vorgeburtli- Tz. 587). che Entwicklung im Vordergrund, da in dieser sensiblen Lebensphase Hormone eine große Bedeutung als Regula- Verbreitete Anwendung von Pflanzen- toren haben. Wirken Sie in falscher Konzentration oder schutzmitteln: Glyphosat im falschen Zeitpunkt ein, kann die Entwicklung betrof- fen sein. Bekannte Beispiele für solche Stoffgruppen, die 614. Glyphosat und sein Abbauprodukt AMPA führen ein hormonelles Wirkungspotenzial aufweisen, sind: die Liste der Befundhäufigkeiten der Pflanzenschutzmittel – PCB (Polychlorierte Biphenyle), die als Isolierflüssig- in Oberflächengewässern und im Trinkwasser, zum Bei- keit, Hydrauliköl und Weichmacher für Dichtungs- spiel in Schleswig-Holstein, an (Schleswig-Holsteinischer massen eingesetzt wurden und inzwischen verboten Landtag 2011). Ursprünglich wurden Glyphosat und Gly- sind. Aufgrund ihrer Persistenz sind sie nach wie vor phosat-resistente Anbaupflanzen mit der Begründung ein- in der Umwelt nachweisbar; geführt, die Umweltbelastung mit Herbiziden zu reduzie- ren, da Glyphosat weniger toxisch und persistent sei als – Phthalate, die als Weichmacher für Kunststoffe, Far- andere Herbizide. Doch AMPA erweist sich als persistent ben und Lacke verwendet werden; in Böden und mindestens genauso toxisch wie Glyphosat (MAMY et al. 2010; ANTONIOU et al. 2011). Wissen- – Bisphenol-A, das ebenfalls in der Kunststoffherstel- schaftliche Forschungsergebnisse zeigten, dass Glyphosat lung (Polykarbonate), aber auch zu anderen Zwecken, in In-vitro-Untersuchungen Missbildungen an Frosch- und zum Beispiel als Farbentwicklungskomponente, ver- Hühner-Embryos verursacht und zwar schon in stärkeren wendet wird und beispielsweise in Lebensmittelverpa- Verdünnungen als denjenigen, die bei der landwirtschaft- ckungen und Plastikschüsseln enthalten ist; lichen Anwendung entstehen (ANTONIOU et al. 2011; – Tributylzinn (TBT), das insbesondere als Antifouling- 2010). biozid in Schiffsanstrichen verwendet wurde. Der Ein- satz von zinnorganischen Verbindungen in Antifou- Für eine Serie Breitbandherbizide unter dem Namen lingfarben ist seit 2003 weltweit verboten (EEA 2001; Roundup® gibt es zahlreiche Belege, dass das hierin ent- SRU 2004b; UBA 2010; BfR 2011b). haltene Glyphosat sowie die jeweiligen Hilfsstoffe erheb- liche Auswirkungen auf die Entwicklung und das Überle- – Synthetische Hormone zur Empfängnisverhütung und ben von Amphibien haben (BERNAL et al. 2009; MANN zur Behandlung hormonabhängiger Krankheiten et al. 2009; RELYAE und JONES 2009). Das Ausmaß va- (z. B. 17α-Ethinylestradiol), die mit dem Abwasser in riiert entsprechend der jeweiligen Konzentration und dem die Oberflächengewässer gelangen. Ausbringungszeitpunkt (JONES et al. 2010). Aus der Erfahrung zu den Langzeitwirkungen des ersten Somit sollte für die Bewertung von Glyphosat nicht nur die synthetischen Östrogens Diethylstilbestrol, welches bis in gesundheitliche Bewertung des Bundesinstituts für Risi- die 1970er-Jahre häufig bei Schwangeren eingesetzt kobewertung (BfR), sondern auch Erkenntnisse zur Öko- wurde, ist bekannt, dass hohe östrogene Wirkungen am toxizität berücksichtigt werden. Die Facheinschätzung des Menschen während der Schwangerschaft insbesondere BfR macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass „der die prä- und postnatale sexuelle Entwicklung und die wesentliche fachliche Dissens dagegen in einem grundle- männliche und weibliche Fertilität beeinträchtigen und gend unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansatz zu der sogar Krebserkrankungen bei den weiblichen Nachkom- Bewertung gesundheitlicher Risiken von Chemikalien be- men gefördert haben (HOOVER et al. 2011). Obwohl es steht. Solche Paradigmenwechsel sollten nach Ansicht des klar ist, dass bestimmte Umweltchemikalien normale hor- BfR erst von der Fachwelt geprüft und auch in internatio- monelle Prozesse beeinträchtigen können, ist die Beweis- nalen Gremien auf ihre Notwendigkeit hin diskutiert wer- lage dafür, dass die menschliche Gesundheit durch Expo- den“ (BfR 2011a). Obwohl 2012 auf EU-Ebene eine Über- sition gegenüber endokrin wirksamen Chemikalien aus der Umweltbelastung beeinträchtigt wurde, schwach. Bei prüfung der Zulassung von Glyphosat hätte stattfinden der ökotoxikologischen Risikobewertung stehen Wirkun- müssen, verlängerte die Europäische Kommission die Zu- gen mit Relevanz für Populationen im Vordergrund lassung für Glyphosat – sowie für 38 weitere Pestizide – (HOFFMANN und KLOAS 2012). außerplanmäßig im November 2010 (Richtlinie 2010/77/ EU). Glyphosat kann daher ohne weitere Überprüfung bis 613. Gerade im Hinblick auf endokrine Wirkstoffe, die 2015 genutzt werden (Deutscher Bundestag 2011a). bislang nur teilweise von Monitoringprogrammen erfasst werden, ist die Bedeutung des Monitorings evident, um re- 615. Gerade bei einem breit angewendeten Pflanzen- gulative Maßnahmen zu begründen. Bei diesen Stoffen schutzmittelwirkstoff ist eine medienübergreifende Um- stellt sich die besondere Herausforderung einer summati- weltbeobachtung erforderlich, um neben Daten über die ven Betrachtung aller gleich wirkenden Stoffe unabhängig Belastung mit dem Wirkstoff und seinen Abbauprodukten von der Wirkungsintensität. Über ein reines Expositions-/ im Rahmen eines Effektmonitorings Wirkungen auf Belastungsmonitoring hinaus ist eine medienübergrei- Nichtzielorganismen erfassen zu können, die bei der Risi- fende Umweltbeobachtung, die auch ein Effektmonitoring kobewertung bislang möglicherweise nicht erkannt wur- einschließt, erforderlich, um bislang unerkannten endo- den.

342 Grundelemente eines Gesamtkonzeptes

10.3.4.3 Beispiele für Kenntnislücken in der Pflanzenschutzmittel können während oder nach ihrer Umweltbewertung von Stoffen Ausbringung durch Sprühabdrift, Oberflächenabfluss oder Drainage in Oberflächengewässer eingetragen werden 616. Ökologisch relevant sind sowohl Stoffe, die über (Deutscher Bundestag 2011b; SCHULZ 2004). Die dem besonders problematische Eigenschaften verfügen, als Bund zur Verfügung stehenden Daten zum chemischen auch solche, die in großen Mengen freigesetzt werden Monitoring erlauben keine präzise Aussage zur Pflanzen- und die Pufferkapazitäten der Ökosysteme überlasten. schutzmittelbelastung von den besonders betroffenen Unzureichend sind vor allem die Kenntnisse über chemi- Oberflächengewässern, da unter anderem die Anzahl von sche Belastungen in der Terrestrik und von Gewässern so- Messstellen gering ist, kleine Fließgewässer nicht erfasst wie die direkten und indirekten Auswirkungen von Pesti- werden und nur eine eingeschränkte Wirkstoffpalette ge- ziden und Industriechemikalien auf die biologische messen wird. Das heißt, ein geeigneter Zustandsindikator Vielfalt. zur Belastung von allen Oberflächengewässern mit Pflan- zenschutzmitteln ist für die Umsetzung des in Erarbeitung Unzureichende Kenntnisse über chemische befindlichen Nationalen Aktionsplans (NAP) zur nachhal- Belastungen der Terrestrik tigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf der Grundlage der neuen Pflanzenschutz-Rahmenrichtlinie 617. Das Wissen über Pestizide (ISOE 2010) und Arz- 2009/128/EG nicht abzuleiten. Hier wäre mit einem reprä- neimittel in der Terrestrik ist gering, obwohl diese per se sentativen Monitoring der Status Quo der Pflanzenschutz- umweltrelevant sind und über Gülle und Klärschlämme mittelbelastung in agrarischen Kleingewässern zu ermit- auf landwirtschaftlichen Böden verteilt werden. Trotz teln, um die Ausgangsbasis für ein Erfolgsmonitoring zum Pfadbetrachtung kommt es immer wieder zu unerwarteten NAP zu schaffen. Effekten (ISENRING 2010), wie zum Beispiel dem Bie- nensterben in Deutschland 2008 durch das Insektizid Clo- Unzureichende Kenntnisse über die Auswirkungen thianidin oder dem Aussterben von drei Geierarten auf von Pflanzenschutzmitteln auf die biologische Vielfalt dem indischen Subkontinent durch den Einsatz von Di- 619. Chemisch-synthetische Pestizide gefährden die clofenac in der Tiermedizin (KNOPP et al. 2007). Durch biologische Vielfalt insbesondere von Pflanzen, zum Bei- Ausscheidungen der Nutztiere in die Gülle können Anti- spiel durch den Rückgang der Artenzahlen in den Samen- parasitika-Rückstände, wie zum Beispiel Ivermectin, die banken in den Böden der Agrarlandschaften (ROBINSON Dungfauna schädigen (KREUZIG et al. 2007). und SUTHERLAND 2002). Unter anderem durch indi- Flammschutzmittel sind ein Beispiel für das Fehlen von rekte Effekte der Nahrungsketten, die in den Risikoüber- Umweltdaten von Schadstoffen (ARCADIS Belgium und prüfungen nicht berücksichtigt werden, ist die Artenzahl EBRC Consulting 2011). In einer Untersuchung von 42 in der Brutvögel in der Agrarlandschaft zurückgegangen Konsumgütern enthaltenen Flammschutzmitteln, konn- (SUDFELDT et al. 2010). Bodenlebewesen, Wasserorga- ten aufgrund fehlender Umweltdaten für den Umwelt- nismen und Amphibien werden als Nichtzielorganismen und Gesundheitsschutz lediglich 22 beurteilt werden, für in Anzahl und Artenzusammensetzung reduziert (Bei- 11 konnte ein Risiko gar nicht eingeschätzt werden. spiele und Literaturangaben in HAFFMANS 2010; ISENRING 2010). Amphibien stehen über ihre Haut sehr stark im Austausch mit den sie umgebenden Medien. Des- Unzureichende Kenntnisse über chemische halb reagieren sie auch empfindlich auf einen direkten Belastungen von Gewässern Kontakt mit Bestandteilen von Pflanzenschutzmitteln. Au- ßerdem sind sie durch ihren biphasischen Lebenszyklus ei- 618. Die Lücke zwischen der chemischen Überwachung ner Exposition von Substanzen, sowohl in einer aquati- und der Bewertung der biologisch besonders empfindli- schen (Larvalstadium) als auch in einer terrestrischen chen Kleingewässer schließt das europäische MODEL- Umgebung (Adultstadium) ausgesetzt (TODD et al. 2011). KEY-Projekt (BRACK 2011), das die Verknüpfung che- Beispielsweise wurde nach Feldapplikation von umwelt- mischer und biologischer Zustandsdaten thematisiert. Es relevanten Fungizidraten eine 100 %ige Mortalität bei ju- hat mit dem SPEAR Index (species-at-risk) ein Bewer- venilen Stadien von Amphibien festgestellt (BELDEN tungsinstrument für die Wirkung von Pflanzenschutzmit- et al. 2010). teln auf Gewässerorganismen entwickelt, das chemische und biologische Daten zusammenführt (von der OHE Eine Studie hat 2010 gezeigt, dass Pestizide maßgeblich et al. 2009). Das Projekt belegt auch den Entwicklungs- für die Verringerung der Tier- und Pflanzenvielfalt auf bedarf im Monitoring. landwirtschaftlichen Flächen Europas sind (GEIGER et al. 2010). Der Einsatz von Insektiziden reduziert zu- Vor allem für die größeren Gewässer liegen bundesweite dem indirekt die Effektivität der biologischen Schädlings- Informationen zu Belastungen mit Chemikalien vor, aber bekämpfung (ebd.). Grundsätzlich ist es problematisch überwiegend zu den „prioritären Stoffen“. Für die ökolo- aber derzeit alternativlos, dass die Testsysteme mit Stell- gisch besonders wertvollen kleinen Gewässer gibt es diese vertreterorganismen arbeiten, Teile des Hormonsystems Daten aber höchstens in den Ländern im Rahmen der län- nicht erfassen (z. B. Nebenniere, Bauchspeicheldrüse) so- derspezifischen Messprogramme. Belastungs-Messwerte wie „Cocktail-Wirkungen“ und die chronische Toxizität sind also vorhanden, wenn auch nicht gut verfügbar und nicht berücksichtigen (ISOE 2010). Zudem zeigt das methodisch nicht standardisiert. Kontaminationsmuster von Insektiziden in der Umwelt in

343 Medienübergreifendes Monitoring der Regel Belastungsspitzen, die nur wenige Stunden an- 10.3.5.1 Regulierung in den EU-Rechtsakten dauern, und damit schwer nachweisbar, aber von hoher ökotoxikologischer Relevanz sind (Deutscher Bundestag 623. Die Vorgaben für die Regulierung von Umweltrisi- 2011b). ken durch Stoffe werden zunehmend auf europäischer Ebene formuliert (vgl. Tab. 10-1). Dabei haben die ein- 620. Weiterhin werden bei der Zulassung von Pflanzen- zelnen Rechtsakte zunächst sehr unterschiedliche Schutz- schutzmitteln indirekte Wirkungen und kumulative Risiken güter. Während sich beispielsweise die Wasserrahmen- nicht berücksichtigt (WOGRAM 2010). Nicht ausreichend richtlinie (WRRL) auf den Schutz von aquatischen sowie umgesetzt wird auch der Schutz der landwirtschaftlichen von ihnen abhängigen terrestrischen Ökosystemen be- Begleitflora und -fauna sowie die Schutzansprüche gesetz- lich besonders geschützter Arten (LIESS et al. 2010). Hier schränkt, wird mit der Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG wäre ein zulassungsbegleitendes, medienübergreifendes ein umfassender Ansatz verfolgt, mit dem die menschli- Monitoring als „Realitätscheck“ wichtig. che Gesundheit sowie die Umwelt insgesamt geschützt werden soll. Auch die Schutzziele der einzelnen Rechts- akte unterscheiden sich. So ist das Schutzziel der WRRL 10.3.5 Regulierung von Stoffeinträgen der gute ökologische Zustand, während beispielsweise 621. Die Regulierung von Stoffeinträgen in die Umwelt die Biozidrichtlinie 98/8/EG unannehmbare Wirkungen durch die verschiedenen Rechtsakte unterscheidet sich auf die Zielorganismen verhindern soll. Dabei sind die nicht nur hinsichtlich der Schutzziele, sondern auch be- unterschiedlichen Schutzziele zum einen der Abwägung züglich deren Operationalisierung. Sie ist traditionell mit anderen Belangen – etwa der Schädlingsbekämp- grundsätzlich am Schutz der verschiedenen Umweltme- fung – im Einzelfall geschuldet, lassen sich aber auch auf dien orientiert. Die REACH-Verordnung verfolgt inso- die unterschiedlichen Blickwinkel zurückführen. Denn fern einen umfassenden Ansatz, als sie Stoffe über ihren während einige Rechtsakte die Belastungsquelle – also gesamten Lebensweg begleitet und Anforderungen an Stoffe – zum Anknüpfungspunkt haben, konzentrieren den Umgang mit ihnen formuliert. Vor allem werden sich andere Rechtsakte auf das Schutzgut und somit die durch die REACH-Verordnung aber Daten zu den Stoffei- Umweltmedien. Dies ist darauf zurückzuführen, dass genschaften, den Produktionsmengen und auch zur Ver- Stoffe nicht nur zu unterschiedlichen Zwecken verwendet wendung der registrierungspflichtigen Stoffe bereitge- stellt. Diese bergen Potenziale für die Verbesserung des werden, sondern auch mit den unterschiedlichsten Um- Chemikalienmanagements – auch insofern, als sie die weltmedien in Berührung kommen können. Entsprechend Ansätze in den Rechtsakten optimieren können – und unterscheiden sich auch die Regulierungsansätze. So soll können wichtige Informationen für das stoffliche Monito- der WRRL entsprechend das Schutzziel beispielsweise ring liefern. durch die Aufstellung von Umweltqualitätsnormen für prioritäre Stoffe operationalisiert werden. Dagegen sieht Die Konzeption von Programmen zur Umweltbeobach- beispielsweise die Verordnung (EG) Nr. 850/2004 über tung muss auf diese Komplexität reagieren und sowohl persistente organische Schadstoffe (POP-Verordnung) in Daten zur Verfügung stellen, die von den Behörden für langer Sicht die Einstellung der Freisetzung bestimmter Entscheidungen im Einzelfall genutzt werden können, als Stoffe vor. Der Ansatz der REACH-Verordnung (vgl. Ab- auch Schlussfolgerungen hinsichtlich notwendiger Nach- schn. 10.3.5.2) ist insofern am umfassendsten, als nicht besserungen durch den Gesetzgeber ermöglichen. nur der Anwendungsbereich – also der Umfang der be- 622. Die einzelnen Komponenten eines verantwortli- troffenen Stoffe – sehr breit ist, sondern auch der gesamte chen Umgangs mit Stoffen in der Umwelt sollten zielfüh- Lebenszyklus eines Stoffes analysiert werden soll, um ein rend miteinander verknüpft werden: hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und – Zusammentragen und Generierung von Risikoinfor- die Umwelt sicherzustellen. mationen zu Stoffen, 624. Entsprechend lassen sich den einzelnen Regelun- – Entwicklung von Maßnahmen, um Umweltqualitäts- gen zahlreiche Vorgaben dazu entnehmen, wie mit Stof- ziele, Umweltqualitätskriterien und Umweltstandards fen zum Schutz der Umwelt umzugehen ist und welche einzuhalten, Ziele es dabei einzuhalten gilt. Um den Erfolg der Vorga- – Erfolg von Maßnahmen durch Umweltbeobachtung ben und daraus abgeleiteter Maßnahmen zu überprüfen, überwachen und bei entsprechendem Anlass Nachbes- werden den Mitgliedstaaten in vielen Rechtsakten Be- serungen vornehmen, richtspflichten gegenüber der Europäischen Kommission auferlegt. Daher müssen sie systematische Erfolgskon- – Beratung der Politik und Information der Öffentlich- trollen durchführen. Diese können letztlich nur durch ein keit durch Berichterstattung über die Ergebnisse der Monitoring gewährleistet werden, das entsprechende Da- Umweltbeobachtungsprogramme. ten liefert. Um Vergleichbarkeit auf europäischer Ebene Nur wenn eine sinnvolle Verknüpfung gelingt, kann der zu gewährleisten, muss dieses auf international harmoni- Eintrag von Stoffen in die Umwelt und damit die Belas- sierten Erfassungs- und standardisierten Bewertungsme- tung der Umwelt minimiert werden. thoden beruhen.

344 Grundelemente eines Gesamtkonzeptes

Ta b e l l e 10-1

Wesentliche Regulierungen von Stoffeinträgen in die Umwelt (EU-Rechtsakte)

Rechtsakt Schutzgut bzw. -ziel Regulierungsansatz Sektorales Umweltrecht Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG Schutzgut: Umweltqualitätsnormen für priori- (WRRL) Binnenoberflächengewässer, Über- täre Stoffe und sonstige Stoffe, bei gangsgewässer, Küstengewässer, denen festgestellt wurde, dass sie in Grundwasser signifikanten Mengen in den Wasser- Schutzziel: guter ökologischer körper eingeleitet werden Zustand, guter chemischer Zustand Richtlinie 2008/105/EG über Um- Schutzgut: Oberflächengewässer, Umweltqualitätsnormen für priori- weltqualitätsnormen im Bereich Küstengewässer, Sedimente und/oder täre Stoffe und bestimmte andere der Wasserpolitik Biota Schadstoffe Schutzziel: guter chemischer Zustand Nitratrichtlinie 91/676/EWG Schutzgut: Binnengewässer, Mün- Ausweisung gefährdeter Gebiete und dungsgewässer, Küstengewässer, Festlegen von Aktionsprogrammen Meere, Grundwasser Schutzziel: durch Nitrat aus land- schaftlichen Quellen verursachte oder ausgelöste Gewässerverunreinigun- gen verringern bzw. weiteren Gewässerverunreinigungen vor- beugen Kommunale Abwasserrichtlinie Schutzgut: Umwelt Sammeln, Behandeln und Einleiten 91/271/EWG Schutzziel: Schutz vor schädlichen von Abwasser und Zielvorgaben für Auswirkungen des Abwassers die Belastung des Abwassers hin- sichtlich Phosphor, Stickstoff und biochemischer Parameter Grundwasserrichtlinie 2006/118/EG Schutzgut: Grundwasser Grundwasserqualitätsnormen und Schutzziel: Verhinderung und Schwellenwerte für Nitrate und Begrenzung der Verschmutzung Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln bzw. Bioziden Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG Schutzgut: menschliche Gesundheit Beurteilung und Kontrolle der Luft- und die Umwelt insgesamt qualität bzw. Luftqualitätspläne für Schutzziel: Vermeidung, Verhinde- Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und rung oder Verringerung schädlicher Stickstoffoxide, Partikel (PM10 und Auswirkungen PM2,5), Blei, Benzol, Kohlenmonoxid Richtlinie 2004/107/EG Schutzgut: menschliche Gesundheit Zielwerte für Arsen, Kadmium, und die Umwelt insgesamt Nickel und polyzyklische aromati- Schutzziel: Vermeidung, Verhinde- sche Kohlenwasserstoffe rung oder Verringerung schädlicher Auswirkungen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie Schutzgut: Meeresumwelt Beschreibung des guten Umwelt- 2008/56/EG Schutzziel: bis zum Jahr 2020 guten zustands, Festlegung von Umwelt- (MSRL) Zustand der Meeresumwelt erhalten zielen und Erstellung und Umsetzung oder erreichen von Maßnahmenprogrammen

345 Medienübergreifendes Monitoring noch Tabelle 10-1

Rechtsakt Schutzgut bzw. -ziel Regulierungsansatz Stoffbezogenes Umweltrecht REACH-Verordnung Schutzgut: menschliche Gesundheit Analyse des Lebenszyklus von Che- (EG) Nr. 1907/2006 und Umwelt mikalien von der Herstellung über die Schutzziel: hohes Schutzniveau Verwendung bis zur Entsorgung; Zulassung für besonders besorgnis- erregende Stoffe, Verbote und Be- schränkungen für gefährliche Stoffe Biozid-Richtlinie 98/8/EG Schutzgut: Mensch, Tier und Umwelt Zulassung von Wirkstoffen und Bio- Schutzziel: hohes Schutzniveau bzw. zidprodukten keine unannehmbaren Wirkungen auf die Zielorganismen (wie Resistenz oder unannehmbare Toleranz; im Fall von Wirbeltieren keine unnötigen Leiden oder Schmerzen), auf die Ge- sundheit von Mensch, Tier oder Ober- flächen- und Grundwasser und auf die Umwelt Pflanzenschutzmittel-Verordnung Schutzgut: Gesundheit von Mensch Zulassung von Wirkstoffen, (EG) Nr. 1107/2009 und Tier und Umwelt Safenern und Synergisten; Bestim- Schutzziel: hohes Schutzniveau bzw. mungen für Zusatz- und Beistoffe keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen oder von Tieren und keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt POP-Verordnung (EG) Nr. 850/2004 Schutzgut: menschliche Gesundheit Verbot, möglichst baldige Einstel- und die Umwelt lung oder Beschränkung von Herstel- Schutzziel: Schutz vor persistenten lung, Inverkehrbringen und Verwen- organischen Schadstoffen dung der Stoffe, die dem POP- Übereinkommen unterliegen Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung Schutzgut bzw. -ziel: wirksamer Genehmigung für das Inverkehrbrin- eines Gemeinschaftskodexes für Hu- Schutz der öffentlichen Gesundheit gen von Arzneimitteln; Auflagen manarzneimittel (Gemeinschaftsko- bzgl. Umweltrisiken dex für Humanarzneimittel) Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zur Schutzgut bzw. -ziel: wirksamer europäische Genehmigung für das In- Festlegung von Gemeinschaftsverfah- Schutz der öffentlichen Gesundheit verkehrbringen von Arzneimitteln; ren für die Genehmigung und Über- Auflagen bzgl. Umweltrisiken wachung von Human und Tierarznei- mitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur Bodenschutz-Richtlinie fehlt bislang SRU/UG 2012/Tab. 10-1

10.3.5.2 Potenziale der REACH-Verordnung für räumlich verbundenen Herstellern ist nicht vorgesehen. Regulierung und Monitoring von Die Prüfpflicht für umweltrelevante Eigenschaften ist nur Stoffeinträgen für die hohen Produktionsvolumina ausreichend. Die Ab- leitung der Hintergrundbelastungen, von möglichen Ad- 625. Mit der REACH-Verordnung werden für registrier- ditions- oder Kumulationseffekten ist nicht ohne Weiteres pflichtige Stoffe Daten zu Grundeigenschaften, Produk- möglich. tionsmengen und Anwendungen bereitgestellt. Die Daten werden jedoch zunächst einzelstoff- und herstellerbezo- 626. Nachfolgend soll dargestellt werden, warum und in gen erhoben. Eine übergreifende Zusammenführung der welcher Form insbesondere die REACH-Verordnung ein abgeschätzten Umweltbelastung zwischen verschiedenen großes Potenzial besitzt, das Monitoring von Stoffeinträ-

346 Grundelemente eines Gesamtkonzeptes gen besser zu regulieren. Wie gezeigt wird, kann dies teil- – Daten zu den Eigenschaften von Stoffen werden im weise schon dadurch erfolgen, dass Defizite der Verord- technischen Dossier schon ab einer Menge von 1 t/a nung beseitigt werden. Durch die REACH-Verordnung abgefragt. Allerdings haben die gestaffelten Datenan- soll ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesund- forderungen zur Folge, dass PBT-Stoffe unterhalb von heit und die Umwelt mit dem Ziel einer nachhaltigen Ent- 100 t/a mit den REACH-Kriterien gar nicht als kri- wicklung sichergestellt werden. Sie zielt darauf ab, bis tisch zu erkennen sind (SRU 2008, Tz. 734). Damit 2018 schrittweise bestehende Datenlücken zur Umwelt- entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Umwelt wirkung und -exposition von Stoffen zu schließen und getroffen werden können, sollten es die Datenanforde- verfolgt dabei einen weitestgehend Sektor übergreifenden rungen ermöglichen, schon bei niedriger Tonnage Ansatz. Entsprechend verpflichten schon Herstellung PBT- und vPvB-Stoffe zu identifizieren. bzw. Import von Stoffen grundsätzlich zum Sammeln und Generieren von Stoffdaten und zur Durchführung einer – Zwar werden im technischen Dossier bereits Angaben ersten Risikoabschätzung, auf deren Grundlage bei ent- zur Exposition verlangt, Expositionsszenarien für die sprechendem Anlass behördliche Maßnahmen im Rah- einzelnen Verwendungen sind jedoch erst im Rahmen men des sektoralen Umweltrechts oder nach der REACH- des Stoffsicherheitsberichtes zu machen und hier auch Verordnung selbst (Zulassung oder Verbot bzw. Be- nur für gefährliche Stoffe. Werden PBT-Stoffe unter- schränkung) getroffen werden können. Unterhalb der halb von 100 t/a jedoch gar nicht als kritisch erkannt, so ist es unwahrscheinlich, dass für sie im Stoffsicher- Schwellen, die zu behördlichen Maßnahmen Anlass ge- heitsbericht schon unterhalb dieser Schwelle Exposi- ben, ist die chemische Industrie selbst für die Ermittlung, tionsszenarien entwickelt werden müssen. Exposi- Anwendung und Kommunikation von Maßnahmen zur tionsszenarien sind Ausgangspunkt für die Ermittlung angemessenen Beherrschung der Stoffrisiken verantwort- und Beurteilung auftretender Expositionen und be- lich (Eigenverantwortung der chemischen Industrie). rücksichtigen alle Stadien des Lebenszyklus eines Dieser Ansatz birgt insofern Potenziale, als in Zukunft Stoffes mit den jeweils unterschiedlichen Verwendun- zahlreiche Daten zu den Eigenschaften und Wirkungen gen – sie sind damit essenziell für das Chemikalien- von Stoffen vorliegen werden, die es für die Regulierung, management. Die Verwendungen können dabei in ei- aber auch für das Design und das methodische Vorgehen ner einheitlich strukturierten Art unter Nutzung des des Monitorings von Stoffen zu nutzen gilt. Damit die Po- „Use Descriptor Systems“ beschrieben werden tenziale ausgeschöpft werden können, ist allerdings eine (BUNKE 2011, S. 169). In den Leitlinien der ECHA Weiterentwicklung innerhalb der REACH-Verordnung (2008) wird ein Standardformat für das endgültige Ex- notwendig (Registrierungsdefizite beseitigen). Darüber positionsszenario empfohlen. Grundsätzlich kann auf hinaus sollten Schnittstellenprobleme mit anderen Rechts- Modellierungen zurückgegriffen werden. Diese beru- akten gelöst und dafür gesorgt werden, dass im Rahmen hen zwar auf sehr konservativen Schätzungen, bilden des stofflichen Monitorings erhobene Daten in das Chemi- die Realität jedoch nur unzureichend ab. Zudem gilt, kalienmanagement nach der REACH-Verordnung einflie- dass bei der Ableitung der Expositionshöhe nur der ßen (Chemikalienmanagement verbessern). Zuletzt sollten bestimmungsgemäße Gebrauch zu berücksichtigen ist Wege geschaffen werden, um die durch die REACH-Ver- und die Beachtung aller empfohlenen Sicherheitsmaß- ordnung gesammelten Informationen für Programme der nahmen zugrunde gelegt werden kann (INGEROWS- Umweltbeobachtung nutzbar zu machen (Registrierungs- KI 2009, S. 170). Um den Eintrag von Schadstoffen in daten nutzen). die Umwelt verhindern oder vermindern zu können, sollten Expositionsszenarien schon unterhalb der Mengenschwelle von 10 t/a angefertigt werden. Inso- Beseitigung von Defiziten im fern, als sie auf Modellierungen beruhen, sollten sie Rahmen der Registrierung durch Daten aus dem Stoffmonitoring abgesichert werden. 627. Das Instrument der REACH-Verordnung zur Er- mittlung von Risikoinformationen für Stoffe ist die Regis- – Teil des Stoffsicherheitsberichtes ist auch die Ermitt- trierungspflicht für Hersteller und Importeure. Hiernach lung schädlicher Wirkungen auf die Umwelt (Arti- muss der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) ab kel 14 Absatz 3 REACH-Verordnung). Hierzu gehört einer Menge von 1 t/a ein technisches Dossier und ab einer die Ableitung der prognostizierten Wirksamkeits- Menge von 10 t/a zusätzlich ein Stoffsicherheitsbericht schwelle für den jeweiligen Stoff (Predicted no Effect vorgelegt werden (Artikel 10 REACH-Verordnung). Da- Concentration (PNEC)). Dabei gilt, dass Wirkungen bei sind die im technischen Dossier aufzunehmenden Da- auf komplexe Systeme notwendigerweise modelliert ten mengenabhängig gestaffelt (Artikel 12 REACH-Ver- werden, sodass sich im Nachhinein unvorhergesehene ordnung). Der Umfang des Stoffsicherheitsberichtes ist Effekte zeigen können (MAXIM und SPANGEN- vor allem von den gefährlichen Stoffeigenschaften und da- BERG 2009, S. 44). Insofern, als die PNEC-Werte mit auch von PBT- bzw. vPvB-Eigenschaften (vgl. durch die chemische Industrie abgeleitet werden, kön- Tz. 603) abhängig (Artikel 14 Absatz 4 REACH-Verord- nen sie mangels unabhängiger Qualitätssicherung in nung). Damit werden innerhalb der Registrierung umfang- anderen Rechtsbereichen nicht problemlos zur Be- reiche, für das Chemikalienmanagement wichtige Infor- gründung von Maßnahmen genutzt werden. Eine Qua- mationen abgefragt, im Einzelnen besteht jedoch noch litätssicherung der Daten wäre hier hilfreich (SRU Verbesserungsbedarf: 2008, Tz. 743).

347 Medienübergreifendes Monitoring

Monitoringdaten zur Optimierung abzubilden. Vielmehr sollte eine frühzeitige Fokussierung des Chemikalienmanagements auf prioritäre Stoffe vorangetrieben werden. Die im Rah- men des REACH-Systems generierten Daten können 628. Die REACH-Verordnung liefert wertvolle Daten – wie teilweise bereits begonnen – genutzt werden, um für das Chemikalienmanagement, die jedoch auf Grund- solche Stoffe auszuwählen, die in Monitoringprogramme lage von Laborversuchen und Modellierungen von der einbezogen werden sollten. Denn im Rahmen der Regis- chemischen Industrie generiert werden. Sie können nicht trierung werden sowohl Daten zur Herstellungsmenge nur Maßnahmen nach der REACH-Verordnung auslösen, und zur Exposition erhoben als auch gefährliche bzw. sondern auch helfen, Maßnahmen im sektoralen Umwelt- PBT- oder vPvB-Eigenschaften abgeprüft. Dabei bietet es recht zu begründen. Dazu gilt es aber noch methodische sich an, einerseits solche Stoffe zu beobachten, die dem Unterschiede und Zugriffshindernisse zu beseitigen. Zu- Chemikalienmanagement der REACH-Verordnung (Zu- dem sind diese Daten neben solchen, die im Rahmen ei- lassung oder Verbot bzw. Beschränkung) unterliegen, um ner Umweltbeobachtung erhoben werden, nur ein Stand- den Erfolg dieser Maßnahmen zu überprüfen. Anderer- bein eines effektiven Chemikalienmanagements. Um das seits sollten aber auch solche Stoffe beobachtet werden, Chemikalienmanagement zu verbessern, sollten die im für deren Risikomanagement die Industrie eigenverant- Rahmen eines Monitorings ermittelten Daten in die Stoff- bewertung einfließen. Hier gibt es die folgenden Ansatz- wortlich durch geeignete Maßnahmen zur angemessenen punkte: Beherrschung der Risiken zu sorgen hat (Artikel 14 Ab- satz 6 bzw. Artikel 37 Absatz 6 REACH-Verordnung). – Maßnahmen werden auf der Grundlage einer Stoffbe- Insofern würde der Erfolg des Regulierungsansatzes, der wertung getroffen. Die Verantwortung für einen Groß- die Verantwortung für die sichere Verwendung von Stof- teil der Stoffe liegt bei der Industrie (vgl. Tz. 623), fen primär der chemischen Industrie überträgt, messbar. während sich die Behörden auf die Priorisierung regu- lierungsbedürftiger Stoffe konzentrieren. Dieser Auf- 10.3.6 Verknüpfung des medienübergreifenden gabenverteilung wird es nicht gerecht, dass nur die Monitorings mit der gesundheitsbe- Stoffbewertungsbehörden, nicht aber Hersteller und zogenen Umweltbeobachtung nachgeschaltete Anwender Hintergrundbelastung, Kombinationswirkungen und gemischte Expositionen 630. Eine Implementierung des medienübergreifenden bei Stoffbewertung und Risikomanagement berück- Monitorings hätte auch Vorteile für die gesundheitsbezo- sichtigen müssen. Die Maßnahmen der chemischen In- gene Umweltbeobachtung. Von besonderer Bedeutung für dustrie zur angemessenen Risikobeherrschung legen das Schutzgut „menschliche Gesundheit“ sind Verände- nicht die tatsächliche Umweltbelastung zugrunde. Weil rungen in der Umwelt als Frühwarnung vor etwaigen Ri- die Expositionsszenarien auf Modellierungen beruhen, siken auch für den Menschen (Risikokommission 2003, sollten sie mithilfe von Daten aus dem Monitoring ver- S. 29). Informationsquellen für solche Frühwarnsysteme feinert werden. Dies gilt insbesondere für die Erstel- sind vor allem die Umweltbeobachtungsprogramme. lung der sogenannten spezifischen Umweltemissions- kategorien (LÜSKOW et al. 2010, S. 15 ff.). 631. Da der Mensch in die natürliche Umwelt eingebun- den ist, ergeben sich enge Zusammenhänge, die für die – Die REACH-Verordnung hat nur den einzelnen Unter- öko- und humantoxikologischen Risikoabschätzungen nehmer bzw. den einzelnen Stoff im Blick. Um den benutzt werden können, wie zum Beispiel Informationen Erfolg zu kontrollieren und eine Problemverlagerung zur Exposition. Die für den Menschen relevanten Ein- zu vermeiden, müssen auch Wechselwirkungen (z. B. tragspfade für stoffliche Belastungen sind die Luft, die Additions- oder Kumulationseffekte) berücksichtigt Nahrungsaufnahme und das Trinkwasser. Daneben spie- werden. Hier reichen die Registrierungsdaten alleine nicht aus, da man ihnen keine konkreten Informatio- len Stoffe in Produkten (z. B. Kosmetik) und stoffliche nen zum Eintrag von Stoffen in die Umwelt entneh- Belastungen in Innenräumen eine Rolle. men kann. Sie sollten durch Umweltdaten aus einem Auf Ebene der Ministerien und Bundesoberbehörden ver- Monitoring ergänzt werden. netzt das Aktionsprogramm Umwelt und Gesellschaft – Insbesondere bei PBT- und vPvB-Stoffen sind Eintrag (APUG) die Politikbereiche Umwelt-, Gesundheit- und in die Umwelt und Wirkung zeitlich und räumlich Verbraucherschutz. Mehrere Ministerien und Bundesober- voneinander getrennt. Zudem können sich Stoffe erst behörden kooperieren im Rahmen dieses Programms und im Nachhinein als besonders besorgniserregend he- fördern Forschungsprojekte und Informationskampagnen. rausstellen. Hier kann das Umweltmonitoring zusätzli- In der gesundheitsbezogenen Umweltbeobachtung wird che Erkenntnisse liefern. die Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen ermittelt (Belastungsmonitoring) und im Effektmonitoring die bio- logischen Parameter gemessen, die auf die Belastungen re- Nutzung der Registrierungsdaten für das Stoffmonitoring agieren oder deren Wirkung anzeigen (BADER und LICHTNECKER 2003). Ein Suszeptibilitätsmonitoring 629. Das Monitoring von Stoffen in der Umwelt ist mit misst modulierende Eigenschaften bestimmter Gene bzw. großem Arbeitsaufwand verbunden. Entsprechend ist es, Gengruppen auf den Metabolismus und die Toxizität von auch weil eine Auswertung gar nicht leistbar wäre, nicht Fremdstoffen. Praktische Erhebungen der gesundheitsbe- zielführend, für sämtliche Stoffe die Umweltbelastung zogenen Umweltbeobachtung finden im Rahmen der Um-

348 Auf dem Weg zu einem medienübergreifenden Monitoring weltsurveys und der Datenermittlung der Umweltproben- Die methodischen Diskussionen sollten nicht mehr nach bank (www.umweltprobenbank.de) statt. Vollzugsaufgaben oder Umweltmedien getrennt werden, sondern sollten zukünftig vor allem an Wirkungseigen- 10.4 Auf dem Weg zu einem medien- schaften orientiert sein. Das Scientific Committee on übergreifenden Monitoring Health and Environmental Risks (SCHER) unterstützt es, die Wirkung aller gefährlichen Stoffe nach einem harmo- 632. Auf Natur und Umwelt wirkt eine Vielzahl von dif- nisierten Grundschema zu prüfen und Konsistenz zwi- fusen stofflichen, klimatischen und strukturellen Belas- schen den bestehenden Methoden-Leitfäden herzustellen. tungen. Diffuse stoffliche Belastungen bestehen bei- Bei spezifischen Wirkungsmechanismen (vor allem bei spielsweise in Akkumulationsprozessen, in Stofftransfers Pflanzenschutzmitteln, Bioziden, Arzneimitteln) soll mit- und stofflichem Austausch zwischen den Umweltmedien tels gezielter Verfeinerungsschritte vorgegangen werden, sowie indirekten Wirkungen. Strukturell verändernd wir- um Unsicherheiten zu reduzieren. ken Landnutzungen oder beispielsweise Eingriffe in den Wasserhaushalt. Um Umweltveränderungen und ihre Ur- 634. Auf EU-Ebene empfahl die EEA (2007) die Ent- sachen aufzuzeigen, zu analysieren und zu bewerten, be- wicklung eines harmonisierten Chemikalieninformations- darf es daher nicht nur einer medienbezogenen Bewer- systems. Das Monitoring von Chemikalien sollte wegen tung des Zustandes der Kompartimente Boden, Wasser der niedrigen Nachweisgrenzen und der möglichen Kom- und Luft, sondern vor allem auch der medienübergreifen- binationswirkung von Chemikalien durch ein biologi- den Umweltbeobachtung und Bewertung (vgl. Ab- sches Monitoring ergänzt werden, das die mögliche Toxi- schn. 10.2.4). Das übergeordnete Ziel der medienüber- zität als Zielpunkt hat (ebd., S. 29). greifenden Umweltbeobachtung ist die kontinuierliche Deutschland wird sich dieser Entwicklung nicht ver- Erfassung der Veränderung, Entwicklung und Belastung schließen können. Das bedeutet, dass die Entwicklung ei- der Umwelt als Ganzes. Für die Umweltverwaltungen nes medienübergreifenden Monitorings rechtzeitig konzi- und auch für die Eigenverantwortung der chemischen In- piert und organisatorisch vorbereitet werden sollte. Im dustrie (im Rahmen der REACH-Verordnung), aber auch Folgenden wird auf die dafür notwendigen Schritte einge- für die interessierte Öffentlichkeit würde so eine Rück- gangen. kopplung gesellschaftlich gesetzter Qualitätsstandards mit aktuellen Daten aus der Umwelt möglich und deren Einhaltung überprüfbar. 10.4.1 Entwicklung eines medienüber- greifenden Monitorings Die medienübergreifende Umweltbeobachtung hat die Auswirkungen auf Organismen, Ökosysteme und die 635. Schwerpunkte der Umweltbeobachtung in einem Funktionen des Naturhaushaltes zum Gegenstand und koordinierten Netzwerk von Programmen sollten die fol- verknüpft dabei biologische, chemisch-physikalische und genden Themen sein, die aber auch einzeln ihre politische sonstige Daten aus verschiedenen Messnetzen. Daher ist Bedeutung erfüllen, gesellschaftlich gesetzte Qualitäts- es wichtig, dass chemisch-analytische Bestimmungen standards auf ihre Einhaltung hin zu prüfen: (Expositions-/Belastungsmonitoring) mit biologischen – die Entwicklung der Biodiversität mit ihren drei Ebe- Wirkungsuntersuchungen (Effektmonitoring) stärker als nen (genetische, Art- und Ökosystemebene), bislang verknüpft werden (AK Umweltmonitoring 2008). Dazu ist eine Evaluierung der vorhandenen Instrumente – Chemikaliensicherheit, und Methoden im Hinblick auf die gemeinsamen Ressort- ziele notwendig. – Einfluss des Klimawandels und der Anpassungsmaß- nahmen auf die Biodiversität, Die Primärdaten eines Monitoringprogramms müssen so- wohl dem eigentlichen Ziel des Programms dienen, aber – Sicherheit in der Anwendung der Gentechnik, zusätzlich auch aggregiert werden können, um nutzerspe- zifisch aufbereitet werden zu können. Ein Verknüpfen mit – Zusammenhang von Gesundheit und Umwelt. anderen Messnetzen oder anderen Messnetzinhalten muss Dazu ist eine Harmonisierung und Koordinierung der weitestgehend möglich sein. Die Primärdaten müssen Umweltbeobachtungsprogramme des Bundesministe- auch bei der Suche nach Ursachenzusammenhängen ge- riums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nutzt werden können und somit öffentlich zugänglich (BMU) auf Bundesebene mit anderen Ressorts – vor al- sein. Innovative Ziele sind die Eingrenzung von ökosys- lem dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- tembezogenen Wirkungsschwellenwerten im Sinn der na- schaft und Verbraucherschutz (BMELV) – notwendig. tionalen Biodiversitätsstrategie (BMU 2007, Kap. B 3.1), Grundgerüst dafür sollte die modulare Einführung der um letztendlich die ökologischen Grenzen einhalten zu ÖFS in allen Bundesländern sein. können. Für das Gesamtkonzept und das Schließen von Datenlü- Ziele für das stoffliche Monitoring auf EU-Ebene cken, die durch die mediale Struktur bedingt sind und die einer ökologischen Modellierung und Bewertung entge- 633. Konsistenz zwischen den Vollzugsaufgaben stellt genstehen, ist ein strukturelles Vorgehen festzulegen auch ein wesentliches Ziel der Europäischen Kommission (UBA 2002). Grundlegend für ein medienübergreifendes und ihrer wissenschaftlichen Gremien dar (SCHER 2010). Monitoring sind

349 Medienübergreifendes Monitoring

– eine Bestandsaufnahme der Umweltbeobachtungspro- – die Darstellung der Wirkung von Vertragsnaturschutz- gramme, ihrer Messnetze und ihrer jeweiligen Metho- und Agrarumweltmaßnahmen (WERKING-RADTKE dik sowie ihrer räumlichen Verteilung und Repräsenta- und KÖNIG 2011) ermöglichen, tivität, – zu den Berichtspflichten im Rahmen der FFH-Richtli- – ein Herausarbeiten der Schnittstellen, um die unter- nie beitragen (KÖNIG und BOUVRON 2005) und schiedlichen Monitoringkonzepte – zumindest teil- weise – integrierbar gestalten zu können, – Grundlagen einer überwachenden und fallspezifischen Beobachtung beim Inverkehrbringen von gentech- – die methodische Anpassung und gegebenenfalls die nisch veränderten Organismen stellen, die im Spezial- Zusammenführung der Umweltbeobachtungsprogramme fall für die gentechnisch veränderten Organismen um in den Bundesländern, relevante Aspekte ergänzt werden (FIEBIG 2010). – die inhaltliche oder geografisch/räumliche Ergänzung 637. Der SRU empfiehlt deshalb als Grundlage für die fehlender Umweltbeobachtungsprogramme oder Überwachung von Schutz und nachhaltiger Nutzung der fehlender Teilaspekte (z. B. Ergänzung durch ein Ef- biologischen Vielfalt die flächendeckende Einführung der fektmonitoring, Erweiterung der Programme durch ÖFS. umweltrelevante Stoffe oder Ergänzung von Stichpro- benflächen fehlender Naturräume), 10.4.3 Operationalisierung eines medien- – der Aufbau geeigneter Datenmanagementsysteme übergreifenden Monitorings (vgl. Abschn. 10.4.3.2). 638. Die Überwachung des Schutzes der natürlichen Dieses medien- und fachübergreifende Vorgehen sollte in Lebensgrundlagen liegt in der Verantwortung der öffentli- einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe organisiert chen Hand. Eine zentrale übergeordnete Organisation, die werden. Dies stellt eine Herausforderung für alle Betei- als Informations- und Koordinationsstelle über die ver- ligten dar und braucht insbesondere den guten Willen, die schiedenen Verwaltungsebenen hinweg die Datenerhe- eigenen Beobachtungsprogramme auf andere abzustim- bung und die Datennutzung regelt, wäre wünschenswert men und die Daten uneingeschränkt zur Verfügung zu (vgl. Abschn. 10.4.1). So würden unterschiedliche Daten- stellen (BANDHOLTZ 2004). Zunächst müssen die Da- interessen – etwa aus Sicht des Natur- oder des Umwelt- ten aufbereitet und ihre Gültigkeit, Zuverlässigkeit und schutzes – von vornherein offenbar und koordiniert. Ein Nachvollziehbarkeit (Tab. 10-2) dargestellt werden. Dies organisatorisches Vorbild könnte die Ansiedlung des Net- bindet Personalkapazitäten. Weiterhin muss in manchen werk Ecologische Monitoring (NEM) der Niederlande am Fällen die Rechtslage zur Weitergabe von Daten geklärt dortigen Bundesamt für Statistik (Centraal Bureau voor werden. de Statistiek) sein (SOLDAAT 2011). Das Statistische Bundesamt ist bereits mit dem Erstellen 10.4.2 Ökologische Flächenstichprobe der umweltökonomischen Gesamtrechnung betraut, wel- als Grundnetz für ein Monitoring che die Faktoren Energie, Rohstoffe, Emissionen, Flä- 636. Eine deutschlandweite Einführung der ÖFS wäre chennutzung, Umweltindikatoren und Umweltschutzmaß- sinnvoll, um den Zustand der Biodiversität flächende- nahmen analysiert beziehungsweise bearbeitet. Zudem ckend und statistisch relevant auch in der Normalland- erarbeitet das Statistische Bundesamt alle zwei Jahre den schaft darstellen und Ursachen von Veränderungen abbil- Indikatorenbericht zur Nachhaltigkeitsstrategie (Statisti- den zu können (vgl. Abschn. 10.3.1). Das Grundnetz der sches Bundesamt 2011). Dadurch wird die Nachhaltig- ÖFS stellt bundesweit bereits die Grundlage für den keitsstrategie der Bundesregierung unterstützt. Eine orga- Indikator Artenvielfalt und Landschaftsqualität dar nisatorische Anbindung eines medienübergreifenden (MITSCHKE et al. 2007) und ist die Grundlage für das Monitorings beim Statistischen Bundesamt wäre auch vor Monitoring zur Unterfütterung des HNV-Farmland-Indi- dem Hintergrund der zukünftig im von der Europäischen kators (HNV – High Nature Value) (im Rahmen der Kommission geplanten Regelungsrahmen für die umwelt- ELER-Verordnung). Ein bundesweiter Ausbau der ÖFS ökonomische Gesamtrechnung zu erfassenden Ökosys- würde zusätzlich temleistungen sinnvoll (vgl. Tz. 549). Das Statistische Bundesamt mit seiner ausgewiesenen Erfahrung im Be- – bislang fehlende statistisch abgesicherte Aussagen reich der Datenaufbereitung eignet sich also als neutraler über die biologische Vielfalt in der Normallandschaft „Makler“ von Informationen. Gleichzeitig sichert es durch liefern, wie beispielsweise die Darstellung der Biodi- seinen langjährigen Publikationsservice eine qualitativ versität in Agrarlandschaften, Siedlungen und Wäldern hochwertige Information der Öffentlichkeit. (Artenzusammensetzungen, Flächen- und Bestandsent- wicklungen (inklusive Problemarten/Neophyten)) 639. Diese Schritte werden nicht ohne eine Institutiona- (KÖNIG et al. 2008; KÖNIG 2008; WERKING- lisierung vonstattengehen können. Bereits 1991 hat der RADTKE et al. 2008), SRU (1991, Tz. 109) eine Institutionalisierung der Um- weltbeobachtung vorgeschlagen „wie es im Bereich der – das Erstellen von Verbreitungskarten mit Angaben von Volkswirtschaft längst üblich ist.“ Es wurde damals vor- Nutzungsveränderungen und dem Einfluss des Klima- geschlagen, zusätzliches Personal von Bund und Ländern wandels (SANTORA 2011), bereitzustellen. Schließlich können durch eine organisato-

350 Auf dem Weg zu einem medienübergreifenden Monitoring rische Neuregelung der Umweltbeobachtung wahrschein- Verwaltungsvollzug. Schon aus pragmatischen Gründen lich auch Kosten eingespart werden. ist eine Erfolgskontrolle nicht neu aufzubauen, sondern soweit wie möglich in die bestehenden Überwachungs- 10.4.3.1 Kooperationen verbessern programme zu integrieren. 640. Dringend geboten ist eine bessere Koordinierung Beispielsweise werden bereits in allen Bundesländern die der vorhandenen Ansätze und Instrumente. Umweltver- Daten aus der WRRL für die Bewertung der meisten waltungen auf Bundes- und Landesebene sowie in den FFH-Fischarten im Rahmen des FFH-Monitorings heran- sektoral aufgebauten Verwaltungen haben komplexe pla- gezogen. Das Monitoring häufiger FFH-Waldlebens- nerische, bewertende und abwägende Aufgaben zu erfül- raumtypen wird über die Bundeswaldinventur abgedeckt. len. Um einen integrierten Umweltschutz sicherzustellen, Und die Relation zwischen dem Vorkommen von Flächen sollte jeder Bereich der Umweltverwaltung über medien- des HNV-Farmland-Indikators und der Kulisse von Agrar- übergreifende Beurteilungskompetenzen verfügen und umweltmaßnahmen wird im Rahmen eines FuE-Vorha- eine über das eigene Ressort hinausreichende Koordinie- bens (FuE – Forschung und Entwicklung) des BfN ge- rung der Arbeitsabläufe organisieren können. Insbesondere prüft. Ein integrativer Vollzug sollte inhaltlich erprobt mit dem umweltqualitätszielorientierten Schutzansatz ge- werden. Dazu und über die Integration von Forschungser- hen notwendige Verpflichtungen zu Umweltmonitoring, gebnissen in die Routinen der Umweltbeobachtung be- Evaluation und Berichterstattung einher (SRU 2007, steht Forschungs- und Handlungsbedarf. Kap. 1.2). Außerdem verlangen das nationale Verfas- Projekte zu ubiquitären Schadstoffen werden bereits in sungsrecht, das europäische sowie das internationale Koordination zwischen den Verwaltungen erprobt. So Recht von der Umweltverwaltung eine zunehmende Öff- wird die Zusammenarbeit zwischen BfN und UBA be- nung hin zu einer verstärkten Beteiligung der Öffentlich- züglich des Stickstoff-Monitorings in Relation zu den Le- keit an umweltrelevanten Verwaltungsverfahren. bensraumtypen der Natura 2000-Flächen weiter ausge- 641. Die Operationalisierung der Integrationsziele einer baut. Dagegen wurde das Moosmonitoring, mit dem die medienübergreifenden Umweltbeobachtung in bestehende atmosphärische Schwermetall- und Stickstoffexposition Routinen ist schwierig, denn das Umweltrecht ist zersplit- der deutschen Natura 2000-Gebiete erfasst werden kann, tert, Zielkonflikte sind intransparent und viele stoffbezo- 2009 eingestellt (SCHRÖDER et al. 2010; KRATZ und gene Vorgaben gelten parallel (Tab. 10-1). Dieses Problem SCHRÖDER 2009) und sollte nach Meinung des SRU re- ist seit Mitte der 1990er-Jahre politisch erkannt (Enquete- aktiviert werden. Kommission Schutz des Menschen und der Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunfts- Im Rahmen der Bodendauerbeobachtung der Länder (TLL verträglichen Entwicklung 1998) und behindert nach wie 2006) und der Bundeswaldinventur werden unter anderem vor einen effizienten Vollzug und eine effektive Stoffpoli- das Chemikalienmonitoring mit anderen biologischen und tik. Regulative Bewertungsmethoden, Instrumente und wirtschaftlichen Daten korreliert. Das nationale forstliche Kriterien der Erfolgskontrolle wurden problembezogen Umweltmonitoring (Level I des ICP Forests (BZE – Bo- entwickelt (Risikokommission 2003). denzustandserhebung im Wald, WZE – Waldzustandser- hebung), Level II des ICP Forests (Intensivdauerbeobach- Sowohl im Umweltrecht als auch in den Bewertungsme- tung)) könnte in Bezug auf seine Organisation als thoden herrschen daher immer ein additiver Ansatz und kooperatives Bund-Länder-Monitoringsystem auch für die Abwägungsgebote. Ein Schutzziel oder ein Rechtsakt Landwirtschaft und den Naturschutz beispielgebend sein überzuordnen ist politisch und rechtlich kaum durchsetz- (BOLTE et al. 2008; 2007; SEIDLING et al. 2002; bar. Auch kann auf Einzelabwägungen nicht verzichtet SPLETT und INTEMANN 1994). werden. Andererseits betreibt die Europäische Kommis- sion eine entschiedene, dezentrale Integrationspolitik, in- 10.4.3.2 Austausch und Nutzung von Daten: dem sie die Berücksichtigungspflichten zwischen den Informationsfluss stärken Sektorpolitiken systematisch vergrößert. Die Umsetzungs- kontrolle obliegt dabei weitgehend den Mitgliedstaaten 643. Grundsätzlich ist es für ein effektives Monitoring und trifft hier auf die etablierten Überwachungsroutinen. – vor allem, wenn es mehrere Einzelprogramme mitei- Diese Strategie der dezentralen Integrationspolitik ist an- nander verbindet – zentral, den Informationsfluss zu ver- gesichts der komplexen Schutzziele sinnvoll, droht aber in bessern. Hierzu sollten vermehrt übergreifende Datenban- „organisierter Unverantwortung“ statt in effizienten Maß- ken aufgebaut und Datentransfers erleichtert werden. nahmen zu versickern. Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern reichen hier nicht aus, vielmehr muss auch die europäi- 642. Nach dem Willen der Europäischen Kommission sche Ebene mit eingebunden werden. sollen methodische Diskussionen nicht mehr nach Voll- zugsaufgaben oder Umweltmedien getrennt werden, son- Damit Doppelarbeiten vermieden werden, Daten ausge- dern zukünftig vor allem an Wirkungseigenschaften wertet und für Maßnahmen nutzbar gemacht werden kön- orientiert sein (SCHER 2010; vgl. Tz. 633). Daher stellt nen, ist eine Verbesserung des Austauschs und der Nut- sich nicht allein auf rechtlicher Ebene die Frage nach In- zung von Daten innerhalb der Behörden notwendig. Die tegration und Konsistenz der Schutzziele und -anforderun- dafür erforderliche integrative Datenanalyse erfordert die gen (z. B. Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Er- Zusammenführung von Daten sowohl verschiedenen haltung des Schutzgutes Biodiversität), sondern auch im Typs als auch aus verschiedenen Quellen. Damit werden

351 Medienübergreifendes Monitoring konkrete Anforderungen an das Qualitätsmanagement bei diese Richtung gilt es weiterzudenken und nach techni- der Datenerfassung notwendig, die auch für daraus abge- schen und rechtlichen Möglichkeiten für den Informa- leitete Kriterien für Qualitätsstandards Voraussetzung tionsaustausch zwischen Behörden und auch mit der Öf- sind (KNETSCH 2011a). Dafür ist es notwendig, ver- fentlichkeit zu suchen. bindliche Regeln für Organisation, Methoden und Tech- nik aufzustellen (Tab. 10-2). 646. Im Hinblick auf Daten und Informationen zu Stof- fen gilt es zunächst die stoffbezogenen Daten, wie durch 644. Darüber hinaus können auch Wissenschaft und in- die REACH-Verordnung vorgesehen, zusammenzuführen teressierte Öffentlichkeit durch den Zugang zu Daten in und für das Chemikalienmanagement nutzbar zu machen. deren Auswertung und die Initiierung von Maßnahmen Dabei sollte nicht nur den Zugang geregelt, sondern auch einbezogen werden. Daher sollte grundsätzlich zwischen die Voraussetzungen für die Verwendung der Daten fest- den Behörden, aber auch gegenüber der Öffentlichkeit gelegt werden. Denn während die Behörden, die innerhalb freier Zugang zu Daten ermöglicht werden. Werden Gren- der REACH-Verordnung die Aufgabe der Stoffbewertung zen gezogen, die sich etwa durch das Gebot der klaren Zu- übernehmen, weitgehende Zugangsrechte zu dieser Daten- ständigkeitsordnung oder Geheimhaltungsinteressen erge- bank haben, haben Überwachungsbehörden und sektorale ben, so sollte hierbei die Bedeutung von Informationen für Vollzugsbehörden (etwa Genehmigungsbehörden für In- staatliche und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse dustrieanlagen) nur Zugriff auf das REACH-Informations- berücksichtigt werden (RICHTER 2003, S. 199 ff.). portal (RIPE (Réseaux IP Européens): www.ripe.net) oder 645. Einen zielführenden Ansatz bietet die INSPIRE- sind auf Amtshilfe angewiesen (HEIß 2011, S. 343; FÜHR Richtlinie 2007/2/EG, mit deren Hilfe eine Geodaten- 2011, S. 246). Hierdurch werden der schnelle Zugriff und infrastruktur innerhalb der EU geschaffen werden soll. die effektive Nutzung der Datenbank für das Chemikalien- Danach sollen verfügbare Daten entsprechend aufbereitet management erschwert. Sämtliche vorhandene Stoffdaten und über Portale bereitgestellt werden, sodass die Richtli- sollten in eine europäische Datenbank eingestellt werden nie auch für die Umweltbeobachtung große Bedeutung und den beteiligten Behörden der erforderliche Zugang erlangen wird. Überschneidungen gibt es mit der Umwelt- verschafft werden (SCHMOLKE 2011, S. 548). Dazu gibt informationsrichtlinie 2003/4/EG, wonach Behörden ver- es bereits Vorarbeiten wie die Zusammenführung von Da- pflichtet sind, Umweltinformationen der Öffentlichkeit tenbanken mit Informationen zu Chemikalien im frei zu- verfügbar zu machen. Dabei müssen die Antragsteller gänglichen Portal „Stoffdatenbanken der Bundesrepublik – sofern es sich nicht ohnehin um öffentliche Verzeich- Deutschland“ (www.stoffdaten-deutschland.de). Diese nisse oder Listen handelt – eine Gebühr entrichten; ein In- Anwendung erlaubt einen Zugriff auf nationale Stoffda- teresse müssen sie allerdings nicht geltend machen. In tenbanken.

Ta b e l l e 10-2

Notwendige Regelungsbereiche für eine integrative Datenanalyse

Organisatorische Regelungen – betreffen nachvollziehbare und nachprüfbare Prozessschritte der Datenerhebung sowie die eindeutige Verantwort- lichkeit des Datenhalters, – umfassen Angaben zur Validität (Gültigkeit), Reliabilität (Zuverlässigkeit) und Reproduzierbarkeit (Nachvollzieh- barkeit) der Daten, – schließen die Dokumentation von Auffälligkeiten ein, die im Kontext zu dem Datum steht. Methodische Regelungen – betreffen die Validität der Probennahmeplanung und das Messnetzdesign, die Probennahme und die Aufbereitung für das Ziel der Untersuchung, – umfassen das Qualitätssicherungsmanagement der Analysen, – schließen die Art und Weise der statistischen Bearbeitung und Auswertung der Daten ein. Technische Regelungen – betreffen die technische Übermittlung der Daten nach vorgegebenen organisatorischen Regelungen, – umfassen die Einhaltung von technischen Standards und von Datenformaten, – schließen die Interoperabilität von Umweltdaten in einen anderen Kontext ein (semantischer Datensatz).

Quelle: KNETSCH 2011a, S. 7, verändert

352 Auf dem Weg zu einem medienübergreifenden Monitoring

10.4.3.3 Erste organisatorische Mit der Föderalismusreform wurden die Kompetenzen Umsetzungsschritte für die umweltrechtliche Gesetzgebung neu geordnet. Hierdurch sollte dem Bund die Möglichkeit zur Vollrege- 647. Organisatorisch sollte eine Umweltbeobachtung lung der Materie und zur einheitlichen Umsetzung von als ein wachsendes Netzwerk, transparent und verfügbar EU-Recht gegeben werden (Deutscher Bundestag 2006, für die Öffentlichkeit aufgebaut werden (Internetverfüg- S. 7 ff.). Entsprechend wurde die Rahmengesetzgebungs- barkeit). Bislang besteht keine dauerhafte technische, do- kompetenz aufgegeben. Für den Bereich des Naturschut- kumentarische und operative Organisationsform für die zes und der Landschaftspflege hat der Bund nun – wie für integrative Zusammenschau von vorhandenen und im andere Bereiche des Umweltrechts auch – eine konkurrie- Aufbau befindlichen Informationsbeständen der Umwelt- rende Gesetzgebungskompetenz (Artikel 74 Absatz 1 beobachtung. Jedoch bestehen dafür die Voraussetzungen Nummer 29 GG; Artikel 72 Absatz 1 Grundgesetz (GG)). (BANDHOLTZ 2004). Daten liegen in großer Menge vor, Zwar können die Bundesländer grundsätzlich abwei- deren Weitergabe ist aber „durch Unsicherheiten der chende Regelungen treffen, abweichungsfest sind aller- Rechtslage und der erforderlichen Qualitätsstufen we- dings neben dem Recht des Arten- und Meeresschutzes sentlich behindert“ (ebd., S. 127). Neben den Umweltbe- vor allem die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes obachtungsprogrammen sollte eine „Integrationsschicht“ (Artikel 72 Absatz 3 Nummer 2 GG). Über deren Ausle- gewährleisten, dass im Stoffrecht generierte Daten ver- gung wird in der Literatur viel diskutiert, das Bundesver- knüpft werden können (BANDHOLTZ 2004): zum Bei- fassungsgericht (BVerfG) hat sich hierzu bisher noch spiel die Nutzung der REACH-Daten, um die Stoffe zu nicht geäußert. Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass bestimmen, die beobachtet werden sollen. Eine Internet- die Umweltbeobachtung zu den allgemeinen Grundsätzen verfügbarkeit ist dabei heutzutage selbstverständlich und des Naturschutzes gehört, da nur so ein bundesweites macht auch die Daten der Öffentlichkeit zugänglich. Konzept realisierbar sei (HENDRISCHKE 2007, S. 456; SCHULZE-FIELITZ 2007, S. 257; FISCHER-HÜFTLE Notwendig ist auch eine GIS-basierte räumliche Zuord- 2007, S. 83; DEGENHART 2010, S. 429). Ein solches nung. Beispiele dafür gibt es auf drei räumlichen Konkre- setzt nicht nur Monitoringprogramme in den einzelnen tisierungsstufen. Auf der Ebene der Landnutzungen Bundesländern voraus, sondern erfordert auch eine ge- können die CORINE-Daten genutzt werden. Für flächen- wisse Vergleichbarkeit. Insofern liegt es auch im gemein- scharfe Aussagen, insbesondere auf landwirtschaftlichen samen Interesse von Bund und Ländern, sich auf be- Flächen, bietet es sich an, InVeKos (Integriertes Verwal- stimmte Mindestanforderungen und Strukturen zu einigen tungs- und Kontrollsystem, eingeführt im Rahmen der und diese auch festzuschreiben. Auch der Gesetzgeber Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik) zu nutzen, selbst ist bei der Novellierung des BNatSchG davon aus- ein elektronisches System, das bereits zur internen Doku- gegangen, dass es sich bei der Umweltbeobachtung um mentation und Evaluation des Europäischen Landwirt- einen allgemeinen Grundsatz handelt und hat sie im Ge- schaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums setz auch als solchen bezeichnet. Entsprechend können (ELER) auf behördlicher Ebene der Landwirtschaft zur bundesweit einheitliche Monitoringstandards im Natur- Verfügung steht. Adressenscharf arbeitet das Deutsche schutzrecht verankert werden, ohne dass die Länder hier Schadstofffreisetzungs- und -verbringungsregister (Pollu- abweichen können. tant Release and Transfer Register – PRTR) (UBA 2011). Fraglich ist, ob hiervon auch das Chemikalienmonitoring 648. Es ist zu prüfen, ob inhaltliche und organisatorische erfasst ist. Durch die Änderung des Wortlauts von Be- Schwerpunkte eines medienübergreifenden Monitorings obachtung des „Naturhaushalts“ (§ 12 BNatSchG a. F.) nach der Novellierung des Bundesnaturschutzrechtes hin zu der Beobachtung von „Natur und Landschaft“ (§ 6 unter Nutzung von § 6 BNatSchG „Umweltbeobachtung“ BNatSchG) sollte laut Gesetzesbegründung eine entspre- bundeseinheitlich geregelt werden können (vgl. Ab- chende Eingrenzung des Beobachtungsgegenstandes vor- schn. 10.4.4). Die notwendige Kooperation zwischen den genommen werden (Deutscher Bundestag 2009). Ob da- Behörden und Ressorts sollte durch Verwaltungsvereinba- mit eine Abweichung vom bisherigen Bezugsobjekt des rungen konkretisiert und abgesichert werden. Monitorings in Form des umfänglich definierten „Natur- haushalts“ intendiert ist, ist fraglich (KOCH und KROHN 10.4.4 Festschreibung bundesweit einheit- 2008, S. 31 f.). Teilweise wird davon ausgegangen, dass licher Monitoringstandards sich keine Eingrenzung ergeben hat (SCHUMACHER/ SCHUMACHER in: SCHUMACHER/FISCHER- 649. Zur Gewährleistung der Vergleichbarkeit erhobe- HÜFTLE 2010, § 6 Rn. 9). Zumindest ist ein Chemikali- ner Daten und der einfachen Anpassung an europäische enmonitoring von der Beobachtung von Natur und Land- Vorgaben ist die Festschreibung bundesweit gültiger Mo- schaft auch weiterhin mit umfasst, da nach § 6 Absatz 2 nitoringstandards notwendig. Dies sollte im Rahmen des BNatSchG nicht nur die Veränderungen des Zustands von geltenden Naturschutzrechts erfolgen, das nach § 1 Ab- Natur und Landschaft zu beobachten sind, sondern eben satz 1 BNatSchG nicht nur auf die dauerhafte Sicherung auch ihre Ursachen. Entsprechend ist die Festschreibung der Biodiversität, sondern auch auf Leistungs- und Funk- bundesweit gültiger Standards für ein Monitoring – auch tionsfähigkeit des Naturhaushalts als Ganzem abzielt und von Chemikalien – auf Grundlage des Naturschutzrechts entsprechend einen umfassenden Ansatz verfolgt. möglich.

353 Medienübergreifendes Monitoring

10.4.5 Finanzierung eines medienüber- toring nur auf offene Fragen in der Bewertung greifenden Monitorings einzelner Stoffe bezieht. 650. Insbesondere hinsichtlich eines Stoffmonitorings – Bei Erteilung einer Zulassung gehört es zu den Aufla- gibt es verschiedene Ansatzpunkte dafür, die chemische gen, die zugelassenen Stoffe während der Zulassungs- Industrie an der Finanzierung zu beteiligen. Allerdings spanne oder auch noch darüber hinaus zu beobachten. sind diese nicht nur hinsichtlich der zu beobachtenden Problematisch ist hier, dass sich das Monitoring nur Stoffe, sondern auch bezüglich deren Wirkungen begrenzt. auf die zugelassenen Verwendungen oder Stoffe be- Ein medienübergreifendes Monitoringprogramm aufzu- zieht. Ein flächendeckendes, medienübergreifendes bauen und zu unterhalten macht die Bereitstellung zusätz- Monitoring kann nur schwer initiiert werden. licher finanzieller Mittel erforderlich, vor allem für Perso- nal. Hierdurch entstehen zwar zunächst zusätzliche Sonstige Ansatzpunkte: Kosten, die jedoch – wenn auf Grundlage zusätzlicher In- – Es könnte eine Monitoring-Verordnung erlassen wer- formationen zielgerichtetere Maßnahmen möglich werden – den, auf deren Grundlage die chemische Industrie fi- an anderer Stelle eingespart werden können (Europäische nanziell in die Pflicht genommen wird. Sofern sich die Kommission 2012). Grundsätzlich ermöglicht das um- Monitoringprogramme jedoch auch auf Stoffe bezie- weltrechtliche Verursacherprinzip, die Kosten für Vermei- hen sollen, die nicht mehr hergestellt oder verwendet dung, Beseitigung und Ausgleich von Umweltbelastungen werden, ist der Anknüpfungspunkt für eine finanzielle demjenigen anzulasten, der sie verursacht hat (vgl. zum Beteiligung fraglich. Insbesondere muss eine nach- Verursacherprinzip KLOEPFER 2004, S. 189 ff.). Auch trägliche Verpflichtung der Hersteller wohl ausschei- die Finanzierung des medienübergreifenden Umweltmo- den. nitorings sollte sich grundsätzlich am Verursacherprinzip orientieren. – Möglich ist die Erhebung einer Chemikalienabgabe im Sofern ein Gesamtkonzept angestrebt wird, das die Aus- Sinne einer Sonderabgabe, durch die die Finanzie- wirkungen auf die Biodiversität umfassend zu ermitteln rungsverantwortlichkeit der chemischen Industrie ein- versucht, stößt das Verursacherprinzip dann an seine gefordert wird. Ihr Aufkommen fließt nicht in den Grenzen, wenn die durch die Monitoringprogramme ab- allgemeinen Staatshaushalt, sondern wird für die Fi- gefragten Daten nicht auf die Umweltbelastungen durch nanzierungsaufgabe, das Chemikalienmonitoring, ge- klar identifizierbare Verursacher zurückgehen. Insofern nutzt (vgl. zur Sonderabgabe KIRCHHOFF 2007, wären die Kosten dem Gemeinlastprinzip entsprechend Rn. 69 ff.). Auch hier ist jedoch fraglich, ob das Moni- über den Staatshaushalt – und damit durch den Bund und toring von Stoffen, die nicht mehr hergestellt und ver- die Länder – zu finanzieren. Dies schließt jedoch nicht wendet werden, über diese Abgabe finanziert werden aus, dass die Kosten für die Erhebung bestimmter Daten könnte. dem Verursacherprinzip entsprechend angelastet werden. 652. Auch in anderen Bereichen ist es grundsätzlich 651. Insbesondere hinsichtlich eines Stoffmonitorings möglich, die Kosten für das Monitoring oder sogar die ei- gibt es verschiedene Ansatzpunkte dafür, die chemische gentliche Aufgabe den Verursachern anzulasten (z. B. Industrie an der Finanzierung zu beteiligen. Agro-Gentechnik). Ein umfassendes Biodiversitätsmoni- toring wird aber durch den Staat zu finanzieren sein. Inso- Ansatzpunkte innerhalb der REACH-Verordnung: fern, als dieser die Ergebnisse nutzen kann, um seinen – Die ECHA finanziert sich unter anderem über Regis- Berichtspflichten gegenüber der Europäischen Union trierungsgebühren. Fügt man das Monitoring zum nachzukommen, oder seine getroffenen Maßnahmen zu Aufgabenkatalog der ECHA hinzu, so könnten die Ge- evaluieren, liegt das Monitoring aber auch im Interesse bühren auch für ein Monitoring verwendet werden. des Staates. Dieser Ansatz stößt jedoch auf mehrere Probleme. Zu- nächst fallen die Gebühren einmalig bei Registrierung 10.5 Zusammenfassung und Empfehlungen oder Aktualisierung an. Da ab 2018 nur noch dann neu hergestellte Chemikalien registriert werden müssen, Bedeutung des Monitorings für die Umweltpolitik steuert die ECHA ohnehin auf eine Finanzierungslü- 653. Natur und Umwelt sind die Grundlage einer nach- cke zu. Ab diesem Zeitpunkt erhofft man sich zwar, haltigen Entwicklung. Kenntnisse über ihren Zustand sind ausreichend Gelder über die Zulassungsgebühren auf- Voraussetzung für Schutzmaßnahmen. Das Konzept der bringen zu können. Angesichts der vermutlich weni- starken Nachhaltigkeit verlangt, dass die natürlichen Le- gen bis dahin zulassungspflichtigen Stoffe ist das Ge- bensgrundlagen langfristig bewahrt und schonend in An- lingen äußerst fragwürdig. Dann werden die ECHA spruch genommen werden. Die drei Hauptaufgaben der und ihre Aufgaben ohnehin vermehrt über Gelder aus Umweltbeobachtung – die Analyse des Umweltzustandes, dem Haushalt der EU finanziert werden. das frühzeitige Erkennen und Bewerten von Risiken und – Im Rahmen der Stoffbewertung können von den Be- die Erfolgskontrolle von umwelt- und naturschutzpoliti- wertungsbehörden weitere Daten verlangt werden. schen Maßnahmen und nachhaltigkeitspolitischen Zielset- Hier könnte – wie im Altstoffprogramm – eine Moni- zungen – sind daher grundlegend für Entscheidungen in toringpflicht durch die Behörden ausgesprochen wer- Politik und Verwaltung. Lösungen müssen mit konkreten den. Problematisch ist allerdings, dass sich das Moni- Daten für konkrete Entscheidungen begründet werden.

354 Zusammenfassung und Empfehlungen

Gesellschaftlich festgelegte Risikostandards, wie zum Der Zustand der biologischen Vielfalt wird durch multi- Beispiel Grenzwerte in der Stoffregulierung oder der faktorielle Umweltbelastungen beeinflusst. Neben den Schutz der Umwelt beim Anbau gentechnisch veränderter Auswirkungen von Landnutzungen und Landnutzungsän- Pflanzen, müssen überprüfbar sein. Deshalb sollte das derungen sind drei hauptsächliche Umweltfaktoren zu Einhalten dieser Standards durch ein medienübergreifen- nennen: des Monitoring verifiziert werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Verlust einmal ausgestorbener Gense- – Stoffe aus diffusen Quellen, die chronische Belastun- quenzen oder gar Arten nicht rückgängig gemacht werden gen verursachen; kann. – der Klimawandel, der zur Verschiebung von Verbrei- tungsgebieten von Arten führt und Wegen der erheblichen Zeitverzögerung zwischen Erken- nung und Behebung der Ursachen für den Verlust der bio- – die Wirkungen von gentechnisch veränderten Organis- logischen Vielfalt besteht im Sinn der Ressourcen- und men auf ihre Umwelt. Risikovorsorge die Notwendigkeit, frühzeitig tätig zu werden. Vor diesem Hintergrund ist die Erstellung eines Es handelt sich also um chemische, physikalische und Gesamtkonzepts geboten, mit dem auch der Status der biologische Stressoren, die einzeln und in der Summe biologischen Vielfalt selbst dargestellt wird. komplexe Wirkungen und systemische Risiken verursa- chen und nicht durch punktuelle Maßnahmen zu steuern sind. Diese multifaktoriellen Belastungen der Biodiversi- Fragmentiertes Monitoring als Problem tät werden durch mehrfache Zuständigkeiten in der Ver- waltung gespiegelt. Die Kooperation und Zusammenar- 654. Eine Ausrichtung der Monitoringprogramme am beit der Verwaltungen sollte in Zukunft gestärkt und medial aufgebauten Umweltrecht hat historisch zu sekto- gefördert werden. ralen Erhebungen und Messnetzen geführt (Beobachtun- gen von Wasser, Luft, Boden, Erfassungen von Arten und Strukturen). Dies gilt sowohl für die nationalen als auch Medienübergreifendes Monitoring für die europäischen Umweltbeobachtungsprogramme. 656. Um Umweltveränderungen und ihre Ursachen auf- Ursache war und ist die Überprüfung der Wirkungen der zuzeigen, zu analysieren und zu bewerten, bedarf es nicht jeweiligen Rechtsvorschriften. nur einer medienbezogenen Erfassung des Zustands der Die Umweltbeobachtung in Deutschland und Europa ist Kompartimente Boden, Wasser und Luft und der biologi- daher durch eine Vielzahl an Messnetzen gekennzeichnet, scher Vielfalt, sondern vor allem auch der medienübergrei- die nach Umweltmedien und administrativen Zuständig- fenden Umweltbeobachtung. Um die Tendenz zur Anrei- keiten getrennt voneinander betrieben werden. Daraus cherung von Schadstoffen über eine kritische Schwelle resultieren oft Abstimmungsschwierigkeiten über die hinaus zu stoppen, müssen für flächendeckende diffuse Ressortgrenzen aber auch Ländergrenzen hinweg und In- Stoffeinträge die Umweltwirkungen ermittelt und eine Ex- konsistenzen zwischen den vorhandenen Daten. Insbe- positionsabschätzung vorgenommen werden, auf deren sondere fehlen harmonisierte Mindestanforderungen für Grundlage das Risiko (Gefährlichkeit + Exposition) na- eine Erfolgskontrolle der stoffbezogenen Teilziele. Aber turwissenschaftlich bewertet und Maßnahmen des Risiko- auch die Datenverfügbarkeit bzw. die Zugriffsrechte auf managements abgeleitet werden können. die Daten sind oft ungeklärt. 657. Die Umweltwirkungen von Chemikalien werden zunehmend nach international harmonisierten Methoden Ziel muss es also sein, diese Konzepte sowohl in Bezug erfasst und bewertet. Die Konsistenz zwischen den Voll- auf den Inhalt als auch auf die Bewertungsmöglichkeiten zugsaufgaben stellt auch ein wesentliches Ziel der Euro- und die öffentliche Zugänglichkeit zu vernetzen und ge- päischen Kommission und ihrer wissenschaftlichen Gre- gebenenfalls zu harmonisieren. Schon aus pragmatischen mien dar. Die methodischen Diskussionen sollen nicht Gründen ist eine Erfolgskontrolle nicht neu aufzubauen, mehr nach Vollzugsaufgaben oder Umweltmedien ge- sondern – soweit wie möglich – in die bestehenden Beob- trennt werden, sondern zukünftig vor allem an Wirkungs- achtungsprogramme zu integrieren. eigenschaften orientiert sein. Im Ergebnis stehen hand- lungsleitende Informationen für die Verwendung und Erfassen der multifaktoriellen Belastungen schutzgutspezifische Orientierungswerte zur Verfügung, der biologischen Vielfalt die mit Umweltdaten verglichen werden können und so eine systematische Erfolgskontrolle ermöglichen. Deutsch- 655. Schutz und Nutzung der biologischen Vielfalt sind land wird sich dieser Entwicklung nicht verschließen nachhaltig zu sichern, daher müssen Schutzgebiete und können. Das bedeutet, dass die Entwicklung eines me- die Normallandschaft (land- und forstwirtschaftlich ge- dienübergreifenden Monitorings rechtzeitig konzipiert nutzte Flächen, Gewässer, Siedlungen) kontinuierlich und organisatorisch vorbereitet werden sollte. überwacht werden. Die Ziele des Naturschutzes gelten auf der gesamten Landesfläche. Auch in der sogenannten 658. Im Rahmen der REACH-Verordnung liegen hier Normallandschaft kommen geschützte Arten vor, die auf wertvolle Möglichkeiten für stoffbezogene Informatio- die Landnutzung selbst und die dabei eingesetzten Stoffe nen, die einerseits nicht genutzt werden. Andererseits ist bzw. die möglichen Auswirkungen gentechnisch verän- aber auch die REACH-Verordnung im Sinne eines me- derter Organismen reagieren. dienübergreifenden Monitorings lückenhaft. So ist eine

355 Medienübergreifendes Monitoring

Expositionsabschätzung durch den Hersteller nur dann weltschutzes – von vornherein offenbar und koordiniert. vorgesehen, wenn die Stoffe gefährlich im Sinne der Weiterhin spricht für eine Anbindung, dass das Statisti- CLP-Verordnung sind oder die Kriterien eines PBT- oder sche Bundesamt das Konzept der ÖFS mit entwickelt hat vPvB-Stoffes erfüllen und in Mengen über 10 t/a herge- und dass es bereits mit dem Erstellen der umweltökono- stellt werden. Die Expositionsabschätzungen basieren auf mischen Gesamtrechnung und der Herausgabe der Indi- Modellierungen und berücksichtigen keine Kombina- katorenberichte zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie tionswirkungen mit anderen Stoffen bzw. zusätzliche Be- betraut ist. Eine organisatorische Anbindung hier wäre lastung durch andere Hersteller. Ihre Expositionspfade in auch vor dem Hintergrund der zukünftig zu erfassenden der Umwelt sind nicht immer vollständig erfasst. Ökosystemleistungen sinnvoll. 659. Je mehr stoffspezifische Risikoinformation vor- Auf behördlicher Ebene haben die Umweltverwaltungen handen ist, umso drängender wird ein Konzept, um die komplexe planerische, bewertende und abwägende Auf- Information in die betreffenden Gesetzgebungen zu integ- gaben zu erfüllen. Um einen integrierten Umweltschutz rieren. Für diesen horizontalen Informationsaustausch sicherzustellen, sollte jeder Bereich der Umweltverwal- fehlen derzeit noch geeignete Verfahren und Strukturen. tung über medienübergreifende Beurteilungskompeten- Ohne geeignete fachliche und organisatorische Vorgaben zen verfügen und eine über den eigenen Bereich hinaus- und Messnetze bleibt auch das Ziel der nationalen Strate- reichende Koordinierung der Arbeitsabläufe organisieren gie zur biologischen Vielfalt, flächendeckende diffuse können. Stoffeinträge und ihre Wirkungen auf die biologische Vielfalt zu reduzieren, nicht überprüfbar. Gleichzeitig for- Festschreibung bundesweit einheitlicher dern auch die Fachgesetze der Chemikalienregulierung Monitoringstandards entsprechende Daten zu möglichen Wirkungen auf biolo- gische Endpunkte ein. 662. Zur Gewährleistung der Vergleichbarkeit erhobe- ner Daten und der einfachen Anpassung an europäische Bundesweite Einführung der ökologischen Vorgaben ist die Festschreibung bundesweit gültiger Mo- Flächenstichprobe nitoringstandards notwendig. Dies sollte im Rahmen des geltenden Naturschutzrechts erfolgen, das nach § 1 Ab- 660. Flächendeckende Aussagen zum Zustand der Bio- satz 1 BNatSchG nicht nur auf die dauerhafte Sicherung diversität in den verschiedenen Landnutzungstypen (auf der Biodiversität, sondern auch auf Leistungs- und Funk- den drei Ebenen der Biodiversität: Ökosysteme und Le- tionsfähigkeit des Naturhaushalts als Ganzem abzielt und bensräume, Arten und Gemeinschaften, Genome und entsprechend einen umfassenden Ansatz verfolgt. Für den Gene) sind zurzeit nicht möglich. Ein medienübergreifen- Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege hat des Monitoring muss deshalb mit einem bundesweiten der Bund nun – wie für andere Bereiche des Umwelt- Netz der ÖFS kombiniert werden, um die im Bereich Be- rechts auch – eine konkurrierende Gesetzgebungskompe- obachtung der Biodiversität zu erhebenden Daten mit den tenz. Entsprechend ist die Festschreibung bundesweit Erhebungsdaten von Chemikalien bzw. den möglichen gültiger Standards für ein Monitoring – auch von Chemi- Auswirkungen der Gentechnik statistisch relevant aufei- kalien – auf Grundlage des Naturschutzrechts möglich. nander beziehen zu können. Eine flächendeckende Ein- führung der ÖFS kann auch Auswirkungen von Landnut- Finanzierung zung und Klimawandel auf die biologische Vielfalt darstellen und zu den Berichtspflichten im Rahmen der 663. Grundsätzlich ermöglicht das umweltrechtliche FFH-Richtlinie und der ELER-Verordnung beitragen. Verursacherprinzip, die Kosten für Vermeidung, Beseiti- Das Grundnetz der ÖFS dient bereits in Teilen der bun- gung und Ausgleich bei Umweltbelastungen demjenigen desweiten Erhebung des Indikators Artenvielfalt und anzulasten, der sie verursacht hat. Auch die Finanzierung Landschaftsqualität und dem bundesweiten Monitoring des medienübergreifenden Umweltmonitorings sollte sich zur Unterfütterung des HNV-Farmland-Indikators. Der grundsätzlich am Verursacherprinzip orientieren. Bezüg- SRU empfiehlt deshalb eine Erweiterung dieses Teilnet- lich der Kosten sollte nach dem Verursacherprinzip insbe- zes hin zu einer flächendeckenden Einführung der ÖFS sondere im Bereich des Monitorings von Chemikalien als Grundlage für die Überwachung von Schutz und Nut- und der Gentechnik auch die Industrie herangezogen wer- zung der biologischen Vielfalt. den, die im Rahmen der neueren Umweltgesetze letztend- lich auf diese Daten angewiesen ist. Sofern eine Anlas- Institutionalisierung des medienübergreifenden tung der Kosten nach dem Verursacherprinzip nicht Monitorings möglich ist, wären die Kosten über den Staatshaushalt zu finanzieren. 661. Die Umsetzungsschritte für eine medienübergrei- fende Umweltbeobachtung werden nicht ohne eine Insti- Öffentliche Zugänglichkeit der Daten tutionalisierung vonstattengehen können. Jedoch können durch eine organisatorische Neuregelung der Umweltbe- 664. Organisatorisch sollte eine Umweltbeobachtung obachtung wahrscheinlich auch Kosten eingespart wer- als ein wachsendes Netzwerk, transparent und verfügbar den. Der SRU schlägt eine institutionelle Anbindung am für die Öffentlichkeit, aufgebaut werden (Internetverfüg- Statistischen Bundesamt vor. So würden unterschiedliche barkeit). Grundsätzlich sollte ein freier Zugang zu Daten Dateninteressen – etwa aus Sicht des Natur- oder des Um- ermöglicht werden, die Geheimhaltung hingegen nur aus-

356 Literatur nahmsweise zulässig sein. So können auch Wissenschaft Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und interessierte Öffentlichkeit durch den Zugang zu Da- und Verbraucherschutz, Hessisches Ministerium für Um- ten in deren Auswertung und die Initiierung von Maßnah- welt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Thüringer men mit einbezogen werden. Transparenz in der Umwelt- Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Um- politik erhöht zudem deren Glaubwürdigkeit. welt (2008): Erster integrierter Umweltbericht für das länderübergreifende UNESCO-Biosphärenreservat Rhön. 10.6 Literatur Kurzfassung. Oberelsbach: Bayerische Verwaltungsstelle Biosphärenreservat Rhön. AK Umweltmonitoring (2008): Positionspapier zum stoffbezogenen Umweltmonitoring (Kurzfassung). Um- Belden, J., McMurry, S., Smith, L., Reilley, P. (2010): weltmedizin in Forschung und Praxis 13 (3), S. 155–164. Acute toxicity of fungicide formulations to amphibians at environmentally relevant concentrations. Environmental Antoniou, M., Brack, P., Carrasco, A., Fagan, J., Habib, M., Toxicology and Chemistry 29 (11), S. 2477–2480. Kageyama, P., Leifert, C., Nodari, R. O., Pengue, W. (2010): GV-SOJA Nachhaltig? Verantwortungsbewusst? Bernal, M. H., Solomon, K. R., Carrasquilla, G. (2009): Bochum: GLS Bank. Toxicity of formulated glyphosate (glyphos) and cosmo- flux to larval and juvenile colombian frogs 2. Field and Antoniou, M., Habib, M., Howard, C. V., Jennings, R. C., laboratory microcosm acute toxicity. Journal of Toxico- Leifert, C., Nodari, R. O., Robinson, C., Fagan, J. (2011): logy and Environmental Health / A 72 (15–16), Roundup and birth defects. Is the public being kept in the S. 966–973. dark? Cameron, Tex.: Farm and Ranch Freedom Alliance. http://farmandranchfreedom.org/sff/RoundupandBirth- Beudert, B., Breit, W., Höcker, L., Stamm, O., Schwarz, Defects.pdf (29.02.2012). B. (2007): Integrierte Umweltbeobachtung im Forellen- bachgebiet des Nationalparks Bayerischer Wald im Netz- ARCADIS Belgium, EBRC Consulting (2011): Identifi- werk des Internationalen Kooperationsprogramms über cation and evaluation of data on flame retardants in con- die Auswirkungen grenzüberschreitender Luftschadstoffe sumer products. Final report. Brüssel: Europäische Kom- und des Klimawandels auf Ökosysteme (UN/ECE – ICP mission – Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher. Integrated Monitoring). Berlin, Grafenau: Umweltbun- Contract number 17.020200/09/549040. desamt, Nationalpark Bayerischer Wald. Arenholz, U., Bergmann, S., Bosshammer, K., Busch, D., Dreher, K., Eichler, W., Geueke, K.-J., Grubert, G., Hähnle, J., BfN (Bundesamt für Naturschutz) (2009): Agro-Gentech- Harff, K., Kraft, M., Leisner-Saaber, J., Oberdörfer, M., nik in der Kontroverse. Anforderungen und Risiken beim Rauchfuss, K., Respondek, R., Reupert, R., Rose-Luther, J., Anbau von GVP. Wissenschaftliche Kontroversen und Schroers, S., Tiedt, M., Just, P., Poschner, A., Susset, B. Anwendung des Vorsorgeprinzips. Hintergrundpapier zum (2011): Verbreitung von PFT in der Umwelt. Ursachen Pressegespräch am 12.01. am Bundesamt für Naturschutz – Untersuchungsstrategie – Ergebnisse – Maßnahmen. (BfN) in Bonn. Bonn: BfN. http://www.bfn.de/fileadmin/ Recklinghausen: Landesamt für Natur, Umwelt und Ver- MDB/documents/presse/Agro-Gentechnik-Hintergrund. braucherschutz Nordrhein-Westfalen. LANUV-Fachbe- pdf (01.03.2012). richt 34. BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) (2011a): Neue Back, H.-E., Rohner, M.-S., Seidling, W., Willecke, S. Daten zu gesundheitlichen Aspekten von Glyphosat? (1996): Konzepte zur Erfassung und Bewertung von Eine aktuelle, vorläufige Facheinschätzung des BfR. Ber- Landschaft und Natur im Rahmen der „ökologischen Flä- lin: BfR. Stellungnahme 035/2011. chenstichprobe”. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. UGR-Materialien 6. BfR (2011b): Organozinnverbindungen in verbraucherna- hen Produkten. Berlin: BfR. Stellungnahme 034/2011. Bader, M., Lichtnecker, H. (2003): Umweltmedizinische Leitlinie Human-Biomonitoring. Aachen: Deutsche Ge- BfR (2006): Hohe Gehalte an perfluorierten organischen sellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin. http:// Tensiden (PFT) in Fischen sind gesundheitlich nicht un- www.dgaum.de/images/stories/pdf/LL_U_%20Humanbio bedenklich. Berlin: BfR. Stellungnahme 035/2006. monitoring.pdf (29.02.2012). BMELV (Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- BAFU (Bundesamt für Umwelt Schweiz), Umweltrat schaft und Verbraucherschutz) (2011): Ergebnisse der Wald- EOBC (Umweltbeobachtungs- und -bilanzrat für Europa) zustandserhebung 2010. Berlin: BMELV. http://www. (2009): Bilanzen als Instrument für Umweltbeobachtung bmelv.de/SharedDocs/Downloads/Landwirtschaft/Wald- und Ressourcenmanagement. Ergebnisse der Umweltbe- Jagd/ErgebnisseWaldzustandserhebung2010.html;jsessio obachtungskonferenz. Bern, Karlsruhe: BAFU, Umwelt- nid=AC0BFA61F0BF32815E67BA5B90B23174.2_cid2 rat EOBC. http://www.eobc.eu/journal/U01-EU09-de.pdf 38 (03.04.2012). (29.02.2012). BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Bandholtz, T. (2004): Machbarkeitsstudie. Integrations- Reaktorsicherheit) (2010): Indikatorenbericht 2010 zur schicht Umweltbeobachtung. Abschlussbericht. Berlin: Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Berlin: Umweltbundesamt. UBA Z 2.1-93501-11/1. BMU.

357 Medienübergreifendes Monitoring

BMU (2007): Nationale Strategie zur biologischen Viel- und Zulassung des Herbizid-Wirkstoffes Glyphosat. Ber- falt, vom Bundeskabinett am 7. November 2007 be- lin: Deutscher Bundestag. Bundestagsdrucksache 17/ schlossen. Berlin: BMU. 7168. Bolte, A., Schröck, H.-W., Block, J. (2007): Pflanzenar- Deutscher Bundestag (2011b): Stellungnahme des Einzel- tenvielfalt der Wälder in Deutschland – Beitrag der forst- sachverständigen (Prof. Dr. Ralf Schulz) Institute of Envi- lichen Umweltbeobachtung zu ihrer Erfassung und Be- ronmental Sciences, University of Koblenz-Landau für die wertung. In: Begemann, F., Schröder, S., Wenkel, K.-O., 51. Sitzung des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- Weigel, H.-J. (Hrsg.): Agrobiodiversität. Bonn: Bundes- schaft und Verbraucherschutz zur Öffentlichen Anhörung anstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Schriftenreihe zum Thema: „Neuordnung des Pflanzenschutzrechtes“. des Informations- und Koordinationszentrums für Biolo- Berlin: Deutscher Bundestag, Ausschuss für Ernährung, gische Vielfalt 27, S. 214–234. Landwirtschaft und Verbraucherschutz. http://www.bun- destag.de/bundestag/ausschuesse17/a10/anhoerungen/__ Bolte, A., Wellbrock, N., Lux, W., Strich, S., Steinhauser, D. A_26_10_2011_Neuordnung_des_Pflanzenschutzrechtes (2008): Waldmonitoring und Umweltpolitik. AFZ – Der /Stellungnahmen/A-Drs__624-G_Schulz.pdf (01.03.2012). Wald 63 (17), S. 921–923. Deutscher Bundestag (2009): Gesetzentwurf der Fraktio- Brack, W. (2011): Models for Assessing and Forecasting nen der CDU/CSU und SPD. Entwurf eines Gesetzes zur the Impact of Environmental Key Pollutants on Marine Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Land- and Freshwater Ecosystems and Biodiversity http:// schaftspflege. Berlin: Deutscher Bundestag. Bundestags- www.modelkey.org/ (29.02.2012). drucksache 16/12274. Bühler, C. (2010): Biodiversitätsmonitoring als Grund- Deutscher Bundestag (2006): Gesetzentwurf der Fraktio- lage für andere Überwachungsprogramme – Beispiele aus nen der CDU/CSU und SPD. Entwurf eines Gesetzes zur der Schweiz. Vortrag, Umweltbeobachtungskonferenz, Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 23.–24.09.2010, Essen. 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, Bühler, C., Birrer, S., Kohli, L., Martinez, N., Plattner, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c). Berlin: Deutscher M., Roth, T. (2008): Erhebungsdesign und -Methoden für Bundestag. Bundestagsdrucksache 16/813. ein GVP-Monitoring Schweiz. Bern: Bundesamt für Um- DFG Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädli- welt Schweiz. cher Arbeitsstoffe (Deutsche Forschungsgemeinschaft Bundesregierung (2008): Deutsche Anpassungsstrategie Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher an den Klimawandel. Vom Bundeskabinett am 17. De- Arbeitsstoffe) (2007): MAK- und BAT-Werte-Liste 2007. zember 2008 beschlossen. Berlin: Bundesregierung. Weinheim: Wiley-VCH. Mitteilung der Senatskommis- sion zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe 43. Bunke, D. (2011): Expositionsszenarien: Aufgabe, Struk- tur, Entwicklung. In: Führ, M. (Hrsg.): Praxishandbuch Diehl, P. (2010): Anforderungen an die Gestaltung von REACH. Köln: Heymann, S. 167–180. chemisch-physikalischen Monitoringprogrammen am Rhein. Umweltwissenschaften und Schadstoff-Forschung 22 (3), Calliess, C. (2001): Rechtsstaat und Umweltstaat: Zu- S. 205–212. gleich ein Beitrag zur Grundrechtsdogmatik im Rahmen mehrpoliger Verfassungsrechtsverhältnisse. Tübingen: Mohr DJV (Deutscher Jagdschutz-Verband) (2009): Wildtier- Siebeck. Jus Publicum 71. Informationssystem der Länder Deutschlands. Ergebnisse 2009. Bonn: DJV. Cardinale, B. J., Matulich, K. L., Hooper, D. U., Byrnes, J. E., Duffy, E., Gamfeldt, L., Balvanera, P., O’Connor, Doerpinghaus, A., Dröschmeister, R. (2010): Stand des M. I., Gonzalez, A. (2011): The functional role of produ- Naturschutzmonitorings in Deutschland. In: Doerpinghaus, A., cer diversity in ecosystems. American Journal of Botany Dröschmeister, R., Fritsche, B. (Hrsg.): Naturschutz- 98 (3), S. 572–592. Monitoring in Deutschland: Stand und Perspektiven. Ta- gungsband zum Statusseminar an der Internationalen Na- Clarke, N., Fischer, R., Vries, W. de, Lundin, L., Papale, D., turschutzakademie Insel Vilm vom 14. bis 18. April 2008. Vesala, T., Merilä, P., Matteucci, G., Mirtl, M., Simpson, Bonn-Bad Godesberg: Bundesamt für Naturschutz. Natur- D., Paoletti, E. (2011): Availability, accessibility, quality schutz und Biologische Vielfalt 83, S. 7–17. and comparability of monitoring data for European fo- rests for use in air pollution and climate change science. Doyle, U., Heiß, C. (2009): Bewertung von diffusen Stoff- iForest – Biogeosciences and Forestry 4 (4), S. 162–166. einträgen im Rahmen der nationalen Biodiversitätsstrate- gie. Umweltwissenschaften und Schadstoff-Forschung 21 Degenhart, C. (2010): Verfassungsrechtliche Rahmenbe- (6), S. 539–548. dingungen der Abweichungsgesetzgebung. Die Öffentli- che Verwaltung 63 (10), S. 422–430. Dröschmeister, R. (2001): Bundesweites Naturschutzmo- nitoring in der Normallandschaft mit der Ökologischen Deutscher Bundestag (2011a): Antwort der Bundesregie- Flächenstichprobe. Natur und Landschaft 76 (2), rung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Harald S. 58–69. Ebner, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dröschmeister, R., Benzler, A., Berhorn, F., Doerpinghaus, A., – Bundestagsdrucksache 17/6858 –. Risikobewertung Eichen, C., Fritsche, B., Graef, F., Neukirchen, M.,

358 Literatur

Sukopp, U., Weddeling, K., Züghart, W. (2006): Natur- schuss der Regionen. Hin zu einem gemeinsamen schutzmonitoring: Potenziale und Perspektiven. Natur Umweltinformationssystem (SEIS). KOM(2008) 46 endg. und Landschaft 81 (12), S. 578–584. Brüssel: Europäische Kommission. EBCC (European Bird Census Council) (2012): What is Europäische Kommission (2000): Mitteilung der Kom- Pan-European Common Bird Monitoring Scheme? http:// mission. Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips. www.ebcc.info/pecbm.html (02.02.2012). KOM(2000) 1 endg. Brüssel: Europäische Kommission. ECHA (Europäische Chemikalienagentur) (2008): Leitli- Europäische Kommission – Generaldirektion Umwelt nien zu Informationsanforderungen und Stoffsicherheits- (2010): Feasibility Study on Establishment of a Chemical beurteilung. Teil D: Erstellung von Expositionsszenarien. Data Centre. Specifications to Invitation to Tender Helsinki: ECHA. ENV.D.3/SER/2010/0084rl. Brüssel: Europäische Kom- mission, Generaldirektion Umwelt. EEA (European Environment Agency) (2007): Towards a European chemicals information system. A survey on re- Fei, C., McLaughlin, J. K., Lipworth, L., Olsen, J. (2009): ported monitoring activities of chemicals in Europe. Lu- Maternal levels of perfluorinated chemicals and sub- xembourg: Office for Official Publications of the Euro- fecundity. Human Reproduction 24 (5), S. 1200–1205. pean Communities. EEA Technical report 06/2007. Fiebig, C. (2010): GVO-Monitoring NRW. Integration ei- EEA (2001): Late lessons from early warnings: The pre- nes GVO-Monitoring in das System der Ökologischen cautionary principle 1896-2000. Luxemburg: Office for Flächenstichprobe (ÖFS). Vortrag, Umweltbeobachtungs- Official Publications of the European Communities. En- konferenz, 23.–24.09.2010, Essen. vironmental issue report 22. Fischer-Hüftle, P. (2007): Zur Gesetzgebungskompetenz Enquete-Kommission Schutz des Menschen und der Um- auf dem Gebiet „Naturschutz und Landschaftspflege“ welt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zu- nach der Föderalismusreform. Natur und Recht 29 (2), kunftsverträglichen Entwicklung (1998): Konzept Nach- S. 78–85. haltigkeit. Vom Leitbild zur Umsetzung. Abschlußbericht Fricke, M., Lahl, U. (2005): Risikobewertung von Per- der Enquete-Kommission Schutz des Menschen und der fluortensiden als Beitrag zur aktuellen Diskussion zum Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig REACH-Dossier der EU-Kommission. Umweltwissen- zukunftsverträglichen Entwicklung. Bonn: Deutscher schaften und Schadstoff-Forschung 17 (1), S. 36–49. Bundestag. Bundestagsdrucksache 13/11200. Führ, M. (Hrsg.) (2011): Praxishandbuch REACH. Köln: EPA (U. S. Environmental Protection Agency) (2005): Heymann. Draft risk assessment of the potential human health ef- fects associated with exposure to perfluorooctanoic acid Führ, M., Krieger, N., Bizer, K., Mereny, S., Cichorow- and its salts. Washington, DC: EPA. ski, G., Kleihauer, S., Ahrens, A., Heitmann, K., Hack- mack, U., Ewringmann, D., Koch, L., Rehbinder, E. Europäische Kommission (2012): Mitteilung der Kom- (2006): Risikominderung für Industriechemikalien unter mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- REACh. Anforderungen an eine technische Arbeitshilfe ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den für Hersteller, Importeure und Stoffanwender. Dessau: Ausschuss der Regionen. Konkretere Vorteile aus den Umweltbundesamt. UBA-Texte 05/06. Umweltmaßnahmen der EU: Schaffung von Vertrauen durch mehr Information und größere Reaktionsbereit- Gebhardt, H., Rammert, U., Schröder, W., Wolf, H. schaft der Behörden. COM(2012) 95 final. Brüssel: Euro- (2010): Klima-Biomonitoring: Nachweis des Klimawan- päische Kommission. dels und dessen Folgen für die belebte Umwelt. Umwelt- wissenschaften und Schadstoff-Forschung 22 (1), S. 7–19. Europäische Kommission (2011a): Mitteilung der Kom- mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- Geiger, F., Bengtsson, J., Berendse, F., Weisser, W. W., ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Emmerson, M., Morales, M. B., Ceryngier, P., Liira, J., Ausschuss der Regionen. Lebensversicherung und Natur- Tscharntke, T., Winqvist, C., Eggers, S., Bommarco, R., kaptial: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr Pärt, T., Bretagnolle, V., Plantegenest, M., Clement, L. W., 2020. KOM(2011) 244 endg. Brüssel: Europäische Kom- Dennis, C., Palmer, C., Onate, J. J., Guerrero, I., Hawro, mission. V., Aavik, T., Thies, C., Flohre, A., Hänke, S., Fischeri, C., Goedhart, P. W., Inchausti, P. (2010): Persistent nega- Europäische Kommission (2011b): Mitteilung der Kom- tive effects of pesticides on biodiversity and biological mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- control potential on European farmland. Basic and ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Applied Ecology 11 (2), S. 97–105. Ausschuss der Regionen. Rio+20: Hin zu einer umwelt- verträglichen Wirtschaft und besserer Governance. Haffmans, S. (2010): Auswirkungen chemisch-syntheti- KOM(2011) 363 endg. Brüssel: Europäische Kommis- scher Pestizide auf die biologische Vielfalt. Hamburg: sion. Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. Europäische Kommission (2008): Mitteilung der Kom- Haffmans, S. (2008): Pestizide in der Biodiversitäts-Dis- mission an den Rat, das Europäische Parlament, den Euro- kussion. In: Haffmans, S. (Hrsg.): Biodiversität versus päischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Aus- Pestizide. Dokumentation der Vorträge des Workshops

359 Medienübergreifendes Monitoring

„Biodiversität versus Pestizide“ vom 21. Februar 2008 in needed to maintain ecosystem services. Nature 477 Hannover. Hamburg: Pestizid Aktions-Netzwerk e.V., (7363), S. 199–202. S. 77. Isenring, R. (2010): Pesticides reduce biodiversity. Pesti- Haines-Young, R., Potschin, M. (2010): Proposal for a cide News 88 (June 2010), S. 4–7. Common International Classification of Ecosystem Goods and Services (CICES) for Integrated Environmen- ISOE (Institut für sozial-ökologische Forschung) (2010): tal and Economic Accounting (V1), 21st March 2010. Vorsorge durch gemeinsame Verantwortung: Integrative Nottingham: Centre for Environmental Management, Strategien zu Risikominderung im chemischen Pflanzen- University of Nottingham. EEA/BSS/07/007. schutz. Eine Handreichung für die Praxis. Frankfurt am Main: ISOE. Materialien Soziale Ökologie 33. Heiß, C. (2011): Aufgaben und Kooperationsbedarf im Vollzug. In: Führ, M. (Hrsg.): Praxishandbuch REACH. Jones, D. K., Hammond, J. I., Relyae, R. A. (2010): Köln: Heymann, S. 336–346. Roundup and Amphibians: The importance of concentra- tion, application time, and stratification. Environmental Heiß, C. (2010): Was kann die stoffbezogene Umwelt- Toxicology and Chemistry 29 (9), S. 2016–2025. beobachtung für die Biodiversitätsstrategie leisten? In: Doerpinghaus, A., Dröschmeister, R., Fritsche, B. (Hrsg.): Kirchhoff, P. (2007): Nichtsteuerliche Abgaben. In: Isen- Naturschutzmonitoring in Deutschland. Bonn: Bundes- see, J., Kirchhoff, P. (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts amt für Naturschutz. Naturschutz und Biologische Viel- der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 5: Rechtsquellen, falt 83, S. 211–220. Organisation, Finanzen. 3., völlig neubearb. und erw. Aufl. Heidelberg: C.F. Müller, S. 1101–1174. Hendrischke, O. (2007): „Allgemeine Grundsätze“ als ab- weichungsfester Kern der Naturschutzgesetzgebung des Klitzing, F. von (2002): Konkretisierung des Umweltbeob- Bundes. Natur und Recht 29 (7), S. 454–458. achtungsprogramms. Integration der Beobachtungspro- gramme anderer Ressorts. Aktualisierung und Fortschrei- Hoffmann, F., Kloas, W. (2012): Estrogens Can Disrupt bung der Bestandsaufnahme der Beobachtungsprogramme Amphibian Mating Behavior. PLoS ONE 7 (2), anderer Ressorts (Erstaufnahme – 1995/1996). Berlin: S. e32097. Umweltbundesamt. UBA-Texte 65/02. Hoover, R. N., Hyer, M., Pfeiffer, R. M., Adam, E., Bond, B., Klitzing, F. von, Corsten, A., Mischke, A. (1998): Kon- Cheville, A. L., Colton, T., Hartge, P., Hatch, E. E., kretisierung des Umweltbeobachtungsprogramms. Inte- Herbst, A. L., Karlan, B. Y., Kaufman, R., Noller, K. L., gration der Beobachtungsprogramme anderer Ressorts. Palmer, J. R., Robboy, S. J., Saal, R. C., Strohsnitter, W., Berlin: Umweltbundesamt. UBA-Texte 73/98. Titus-Ernstoff, L., Troisi, R. (2011): Adverse Health Out- comes in Women Exposed In Utero to Diethylstilbestrol. Kloepfer, M. (2004): Umweltrecht. 3. Aufl. München: New England Journal of Medicine 365 (14), Beck. S. 1304–1314. Knetsch, G. (2011a): Auswahl und Bewertung von Daten IARC (International Agency for Research on Cancer) aus Umweltbeobachtungsprogrammen zur Bilanzierung (2006): Inorganic and Organic Lead Compounds. Lyon: von Polychlorierten Biphenylen. Berlin, Freie Universi- IARC. IARC Monographs on the Evaluation of Carcino- tät, Fachbereich Geowissenschaften, Dissertation. genic Risks to Humans 87. Knetsch, G. (2011b): V-2.6 Behördliche Umweltinforma- ICP Forests (International Co-operative Programme on tionssysteme. In: Schröder, W., Fränzle, O., Müller, F. Assessment and Monitoring of Air Pollution Effects on (Hrsg.): Handbuch der Umweltwissenschaften. Grundla- Forests) (2010): Der Waldzustand in Europa 1985 bis gen und Anwendungen der Ökosystemforschung. Lo- 2010. 25 Jahre Waldzustandsmonitoring des ICP Forest. sebl.-Ausg., 20. Erg.-Lfg., 3/11. Landsberg am Lech: Hamburg: Johann Heinrich von Thünen-Institut. Ecomed, S. 3–20. ICP Forests, Europäische Kommission – Generaldirek- Knetsch, G., Rosenkranz, D. (2003): Umweltbeobachtung – tion Umwelt (2011): The condition of forests in Europe. Konzepte und Programme des Bundes. In: Sächsisches 2011 Executive Report. Hamburg: Johann Heinrich von Landesamt für Umwelt und Geologie (Hrsg.): Ziele, Stra- Thünen-Institut. tegien, Konzepte des Bundes und ausgewählter Länder. Dresden: Sächsisches Landesamt für Umwelt und Geolo- Ingerowski, J. B. (2009): Die REACh-Verordnung: Eine gie, S. 6–24. Bestandsaufnahme und Bewertung der Instrumente und Strategien des neuen europäischen Chemikalienrechts un- Knopp, D., Deng, A., Letzel, M., Taggart, M., ter dem Aspekt des wirksamen Schutzes von Umwelt und Himmelsbach, M., Zhu, Q.-Z., Peröbner, I., Kudlak, B., Gesundheit vor chemischen Risiken. Baden-Baden: No- Frey, S., Sengl, M., Buchberger, W., Hutchinson, C., mos. Forum Umweltrecht 59. Cunningham, A., Pain, D., Cuthbert, R., Raab, A., Meharg, A., Swan, G., Jhala, Y., Prakash, V., Rahmani, A., Isbell, F., Calcagno, V., Hector, A., Connolly, J., Harpole, Quevedo, M., Niessner, R. (2007): Immunological deter- W. S., Reich, P. B., Scherer-Lorenzen, M., Schmid, B., mination of the pharmaceutical diclofenac in environ- Tilman, D., Ruijven, J. van, Weigelt, A., Wilsey, B. J., mental and biological samples. In: Kennedy, I. R. (Hrsg.): Zavaleta, E. S., Loreau, M. (2011): High plant diversity is Rational environmental management of agrochemicals.

360 Literatur

Risk assessment, monitoring, and remedial action Umweltdatenerhebung in Bund-Länder-Kooperation. Washington, DC: American Chemical Society. ACS Umweltwissenschaften und Schadstoff-Forschung 22 (1), Symposium Series 966, S. 203–226. S. 1–6. Kobialka, H., Plattner, M., Rüetschi, J. (2010): Das Bio- Kreuzig, R., Höltge, S., Heise, J., Kolb, M., Berenzen, N., diversitäts-Monitoring der Schweiz. Methoden und Er- Hahn, T., Jergentz, S., Wogram, J., Schulz, R. (2007): Un- gebnisse am Beispiel der Mollusken. Natur und Land- tersuchungen zum Abflussverhalten von Veterinärphar- schaft 85 (4), S. 142–148. maka bei Ausbringung von Gülle auf Ackerland und Weide. Runoff-Projekt. Dessau: Umweltbundesamt. Koch, H.-J., Krohn, S. (2008): Das Naturschutzrecht im UBA-Texte 24/07. Umweltgesetzbuch. Den Auftrag der Föderalismusreform erfüllen. Dessau: Umweltbundesamt. Forum Umweltge- Lange, M., Burkhard, B., Gee, K., Kannen, A. (2010): Ri- setzbuch 7. siko im Kontext von Offshore-Windkraft und systemi- schem Risikodiskurs. Costline Reports 2010 (15), Köck, W. (1997): Umweltqualitätsziele und Umweltrecht. S. 1–13. Zeitschrift für Umweltrecht 8, S. 79–87. Liess, M., Kattwinkel, M., Kaske, O., Beketov, M., Kommission Human-Biomonitoring (2009): 2. Adden- Steinicke, H., Scholz, M., Henle, K. (2010): Considering dum zur „Stoffmonographie Blei – Referenz- und „Hu- protected aquatic non-target species in the environmental man-Biomonitoring“-Werte der Kommission „Human- risk assessment of plant protection products. Leipzig: Biomonitoring“. Stellungnahme der Kommission „Hu- Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. man-Biomonitoring“ des Umweltbundesamtes. Bundes- gesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheits- Lüskow, H., Wirth, O., Reihlen, A., Jepsen, D. (2010): schutz 2009 (52), S. 983–986. Standardisation of Emission Factors for the Exposure As- sessment under REACH. Dessau-Roßlau: Umweltbun- König, H. (2010): Die Ökologische Flächenstichprobe desamt. UBA-Texte 12/11. (ÖFS) in Nordrhein-Westfalen. In: Doerpinghaus, A., Dröschmeister, R., Fritsche, B. (Hrsg.): Naturschutzmoni- Mamy, L., Gabrielle, B., Barriuso, E. (2010): Compara- toring in Deutschland. Bonn: Bundesamt für Naturschutz. tive environmental impacts of glyphosate and conventio- Naturschutz und Biologische Vielfalt 83, S. 19–28. nal herbicides when used with glyphosate-tolerant and non-tolerant crops. Environmental Pollution 158 (10), König, H. (2008): Biodiversität nordrhein-westfälischer S. 3172–3178. Siedlungen. Natur in NRW 2008 (2), S. 44–46. Mann, R. M., Hyne, R. V., Choung, C. B., Wilson, S. P. König, H. (2003): Naturausstattung der nordrhein-westfä- (2009): Amphibians and agricultural chemicals: Review lischen Normallandschaft. Zahlen und Trends zu Biotop- of the risks in a complex environment. Environmental typen, Strukturen, Flora und Avifauna aus der Ökologi- Pollution 157 (11), S. 2903–2927. schen Flächenstichprobe (ÖFS) Nordrhein-Westfalen. LÖBF-Mitteilungen 28 (2), S. 15–24. Marquard, E., Förster, J., Vohland, K. (2012): Nationales Biodiversitäts-Monitoring 2020. Eine Übersicht von Di- König, H., Bouvron, M. (2005): Die Ökologische Flä- versitas Deutschland e.V. und dem Netzwerk-Forum zur chenstichprobe als Beitrag zur FFH-Berichtspflicht. Biodiversitätsforschung Deutschland (NeFo) zum Beitrag LÖBF-Mitteilungen 30 (3), S. 20–25. der deutschen Biodiversitätsforschung zur Weiterent- König, H., Werking-Radtke, J., Neitzke, A. (2008): Bio- wicklung des nationalen Biodiversitäts-Monitoring. Ber- diversität nordrhein-westfälischer Agrarlandschaften. Na- lin, Leipzig: Diversitas Deutschland e.V., Netzwerk-Fo- tur in NRW 2008 (2), S. 39–43. rum zur Biodiversitätsforschung Deutschland. Koordinationsstelle Biodiversitäts-Monitoring Schweiz Maxim, L., Spangenberg, J. H. (2009): Driving forces of (2009): Zustand der Biodiversität in der Schweiz. Ergeb- chemical risks for the European biodiversity. Ecological nisse des Biodiversität-Monitoring Schweiz (BDM) im Economics 69 (1), S. 43–54. Überblick. Stand: Mai 2009. Bern: Bundesamt für Um- Middelhoff, U., Hildebrandt, J., Breckling, B. (2006): Die welt Schweiz. Umwelt-Zustand 11/09. Ökologische Flächenstichprobe als Instrument eines Koordinationsstelle Biodiversitätsmonitoring Schweiz GVO-Monitoring. Bonn: BfN. BfN-Skripten 172. (2006): Zustand der Biodiversität in der Schweiz. Ergeb- Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Ba- nisse des Biodiversitätsmonitorings Schweiz (BDM) im den-Württemberg (2011): Natur – das grüne Kapital unse- Überblick. Stand: Mai 2006. Bern: Bundesamt für Um- res Landes. Naturschutzstrategie Baden-Württemberg welt Schweiz. Umwelt-Zustand 04/06. 2020. Stuttgart: Ministerium für Umwelt, Naturschutz Kowarik, I., Bartz, R., Heink, U. (2008): Bewertung und Verkehr Baden-Württemberg. „ökologischer Schäden“ infolge des Anbaus gentechnisch veränderter Organismen (GVO) in der Landwirtschaft. Mitschke, A., Sudfeldt, C., Heidrich-Riske, H., Bonn: BfN. Naturschutz und Biologische Vielfalt 56. Dröschmeister, R. (2007): Monitoring häufiger Brutvögel in der Normallandschaft. In: Begemann, F., Schröder, S., Kratz, W., Schröder, E. (2009): Moosmonitoring. Wider Wenkel, K.-O., Weigel, H.-J. (Hrsg.): Monitoring und In- die Vernunft – zum Ende eines Programms effektiver dikatoren der Agrobiodiversität. Tagungsband eines Sym-

361 Medienübergreifendes Monitoring posiums am 7. und 8. November 2006 in Königswinter. Reese, M. (2010): Leitbilder des Umweltrechts. Zur Zu- Bonn: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. kunftsfähigkeit leitender Schutzkonzepte. Zeitschrift für Agrobiodiversität 27, S. 129–147. Umweltrecht 21 (7–8), S. 339–346. OECD (Organisation for Economic Co-operation and De- Relyae, R. A., Jones, D. K. (2009): The toxicity of Roundup velopment) (2002): Co-operation on existing chemicals. original max to 13 species of larval amphibians. Environ- Hazard assessment of perfluorooctane sulfonate (PFOS) mental Toxicology and Chemistry 28 (9), S. 2004–2008. and its salts. Paris: OECD. ENV/JM/RD(2002)17/FI- Richter, E. (2003): Anforderungen an eine nachhaltigkeits- NAL. gerechte Informations- und Kommunikationsordnung im Offenthaler, I., Bassan, R., Belis, C., Garo-Stach, I., Umweltrecht. In: Lange, K. (Hrsg.): Nachhaltigkeit im Ganz, S., Iozza, S., Jakobi, G., Kaiser, A., Kirchner, M., Recht. Eine Annäherung. Baden-Baden: Nomos. Gießener Knoth, W., Kräuchi, N., Levy, W., Moche, W., Nurmi-Le- Abhandlungen zum Umweltrecht 14, S. 199–223. gat, J., Raccanelli, S., Schramm, K.-W., Schröder, P., Risikokommission (2003): ad hoc-Kommission „Neuord- Sedivy, I., Simoncic, P., Staudinger, M., Thanner, G., Uhl, M., nung der Verfahren und Strukturen zur Risikobewertung Vilhar, U., Weiss, P. (Hrsg.) (2009): MONARPOP Tech- und Standardsetzung im gesundheitlichen Umweltschutz nical Report. Rev. ed. Wien: Federal Ministry of Agricul- der Bundesrepublik Deutschland“. Abschlussbericht der ture, Forestry, Environment and Water Management. Risikokommission. Salzgitter: Risikokommission. Ohe, P. C. von der, Deckere, E. de, Prüß, A., Muñoz, I., Robinson, R. A., Sutherland, W. J. (2002): Post-war chan- Wolfram, G., Villagrasa, M., Ginebreda, A., Hein, M., ges in arable farming and biodiversity in Great Britain. Brack, W. (2009): Toward an integrated assessment of the Journal of Applied Ecology 39 (1), S. 157–176. ecological and chemical status of european river basins. Integrated Environmental Assessment and Management 5 Santora, G. (2011): Von der Stichprobenaufnahme zur (1), S. 50–61. Verbreitungskarte. Natur in NRW 2011 (3), S. 33–36. Pascher, K., Moser, D., Dullinger, S., Sachslehner, L., SCHER (Scientific Committee on Health and Environ- Gros, P., Sauberer, N., Traxler, A., Frank, T. (2010): Bio- mental Risks) (2010): Opinion on the Chemicals and the diversität in österreichischen Ackerbaugebieten im Hin- Water Framework Directive: Technical Guidance for De- blick auf die Freisetzung und den Anbau von gentechnisch riving Environmental Quality Standards. Brüssel: Euro- veränderten Kulturpflanzen. Wien: Bundesministerium päische Kommission. http://ec.europa.eu/health/scientific für Gesundheit. _committees/environmental_risks/docs/scher_o_127. pdf (02.03.2012). Pascher, K., Moser, D., Dullinger, S., Sachslehner, L., Scherber, C., Eisenhauer, N., Weisser, W. W., Schmid, B., Gros, P., Sauberer, N., Traxler, A., Grabherr, G., Frank, T. Voigt, W., Fischer, M., Schulze, E.-D., Roscher, C., (2011): Setup, efforts and practical experiences of a moni- Weigelt, A., Allan, E., Beszler, H., Bonkowski, M., toring program for genetically modified plants – an Aus- Buchmann, N., Buscot, F., Clement, L. W., Ebeling, A., trian case study for oilseed rape and maize. Environmental Engels, C., Halle, S., Kertscher, I., Klein, A.-M., Koller, R., Sciences Europe 23 (12). http://www.enveurope.com/con Konig, S., Kowalski, E., Kummer, V., Kuu, A., Lange, M., tent/pdf/2190-4715-23-12.pdf (05.03.2012). Lauterbach, D., Middelhoff, C., Migunova, V. D., Milcu, Pascher, K., Moser, D., Traxler, A., Frank, T., Dullinger, S., A., Muller, R., Partsch, S., Petermann, J. S., Renker, C., Sauberer, N., Sachslehner, L., Höttinger, H., Grabherr, G. Rottstock, T., Sabais, A., Scheu, S., Schumacher, J., Tem- (2007): Untersuchungsdesign zur Erfassung der Biodiver- perton, V. M., Tscharntke, T. (2010): Bottom-up effects of sität in österreichischen Ackerbauflächen. In: Breckling, plant diversity on multitrophic interactions in a biodiver- B., Dolek, M., Lang, A., Reuter, H., Verhoeven, R. (Hrsg.): sity experiment. Nature 468 (7323), S. 553–556. GVO-Monitoring vor der Umsetzung. Bonn: Bundesamt Schleswig-Holsteinischer Landtag (2011): Kleine An- für Naturschutz. Naturschutz und Biologische Vielfalt 49, frage der Abgeordneten Antje Jansen (DIE LINKE) und S. 33–43. Antwort der Landesregierung – Ministerin für Landwirt- schaft, Umwelt und ländliche Räume. Gefährdungslage Plieninger, T., Bieling, C., Gerdes, H., Ohnesorge, B., für Mensch, Tier und Umwelt durch Glyphosat und Schaich, H., Schleyer, C., Trommler, K., Wolff, F. (2010): AMPA. Kiel: Schleswig-Holsteinischer Landtag. Druck- Ökosystemleistungen in Kulturlandschaften. Konzept sache 17/1812. und Anwendung am Beispiel der Biosphärenreservate Oberlausitz und Schwäbische Alb. Natur und Landschaft Schmolke, A. (2011): Zuständigkeiten im behördlichen 85 (5), S. 187–192. Vollzug auf EU-Ebene und in Deutschland. In: Führ, M. (Hrsg.): Praxishandbuch REACH. Köln: Heymann, Raps, A. (2007): Umweltmonitoring von GVO in der S. 522–549. Schweiz – Forschung und Umsetzung. In: Breckling, B., Dolek, M., Lang, A., Reuter, H., Verhoeven, R. (Hrsg.): Schröder, W., Pesch, R., Kratz, W., Holy, M., Zechmeister, H., GVO-Monitoring vor der Umsetzung. Bonn-Bad Godes- Harmens, H., Fagerli, H., Ilyin, I. (2010): Atmosphärische berg: Bundesamt für Naturschutz. Naturschutz und Biolo- Deposition und Anreicherung von Schwermetallen und gische Vielfalt 49, S. 25–32. Stickstoff in Natura-2000-Gebieten Deutschlands. Um-

362 Literatur weltwissenschaften und Schadstoff-Forschung 22 (6), Statistisches Bundesamt, BfN (Bundesamt für Natur- S. 711–720. schutz) (2000): Konzepte und Methoden zur Ökologi- schen Flächenstichprobe – Ebene II: Monitoring von Schulte, C. (2006): Persistente, bioakkumulierende und Pflanzen und Tieren. Bonn: BfN. Angewandte Land- toxische Stoffe in der EU – Anspruch und Wirklichkeit. schaftsökologie 33. Mitteilungen der Fachgruppe Umweltchemie und Ökoto- xikologie 12 (3), S. 65–68. Staub, C., Ott, W., Heusi, F., Klingler, G., Jenny, A., Häcki, M., Hauser, A. (2011): Indikatoren für Ökosys- Schulz, R. (2004): Field Studies on Exposure, Effects, temleistungen: Systematik, Methodik und Umsetzungs- and Risk Mitigation of Aquatic Nonpoint-Source Insecti- empfehlungen für eine wohlfahrtsbezogene Umweltbe- cide Pollution. Journal of Environmental Quality 33 (2), richterstattung. Bern: Bundesamt für Umwelt Schweiz. S. 419–448. Umwelt-Wissen 1102. Schulze-Fielitz, H. (2007): Umweltschutz im Föderalis- mus – Europa, Bund und Länder. Neue Zeitschrift für Sudfeldt, C., Dröschmeister, R., Langgemach, T., Wahl, J. Verwaltungsrecht 26 (3), S. 249–259. (2010): Vögel in Deutschland 2010. Münster, Bonn, Güstrow: Dachverband Deutscher Avifaunisten , Bundes- Schumacher, J., Fischer-Hüftle, P. (2010): Bundesnatur- amt für Naturschutz, Länderarbeitsgemeinschaft der Vo- schutzgesetz. Kommentar. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer. gelschutzwarten. Seidling, W., Lux, W., Kürbis, H. (2002): Das Level-II- Sukopp, U., Neukirchen, M., Ackermann, W. (2010): Bi- Programm – Brücke zwischen Ökosystemforschung und lanzierung der Indikatoren der Nationalen Strategie zur Monitoring im Wald. Beiträge für Forstwirtschaft und biologischen Vielfalt. Wo steht Deutschland beim 2010- Landschaftsökologie 36 (3), S. 103–107. Ziel? Natur und Landschaft 85 (7), S. 288–300. Soldaat, L. (2011): Monitoring der Biologischen Vielfalt TLL (Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft) in Agrarlandschaften der Niederlande. Vortrag, Monito- (Hrsg.) (2006): Bodendauerbeobachtung auf landwirt- ring der Biologischen Vielfalt im Agrarbereich, schaftlich genutzten Flächen. Monitoring zur Erfassung 12.–13.04.2011, Braunschweig. von Veränderungen wesentlicher Bodenfunktionen. Ab- Splett, P., Intemann, H. (1994): Intensive Waldzustands- schlußbericht. Jena: TLL. überwachung auf Dauerbeobachtungsflächen in Deutsch- Todd, B. D., Bergeron, C. M., Hepner, M. J., Hopkins, W. A. land. AFZ – Der Wald 22 (49), S. 1237. (2011): Aquatic and terrestrial stressors in amphibians: A SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen) (2011a): test of the double jeopardy hypothesis based on mater- Vorsorgestrategien für Nanomaterialien. Sondergutach- nally and trophically derived contaminants. Environmen- ten. Berlin: Erich Schmidt. tal Toxicology and Chemistry 30 (10), S. 2277–2284. SRU (2011b): Wege zur 100 % erneuerbaren Stromver- UBA (Umweltbundesamt) (2012): Daten zur Umwelt. sorgung. Sondergutachten. Berlin: Erich Schmidt. Dessau-Roßlau: UBA. http://www.umweltbundesamt-da- ten-zur-umwelt.de (05.03.2012). SRU (2008): Umweltgutachten 2008. Umweltschutz im Zeichen des Klimawandels. Berlin: Erich Schmidt. UBA (2011): PRTR-WIKI. Dessau-Roßlau: UBA. http:// www.prtr.bund.de/frames/index.php?PHPSESSID=73 SRU (2007): Umweltverwaltungen unter Reformdruck. 0e9e38469b2167084e7c24bba5e8ac&gui_id=PRTR Herausforderungen, Strategien, Perspektiven. Sondergut- (05.03.2012). achten. Berlin: Erich Schmidt. UBA (2010): Bisphenol A – Massenchemikalie mit uner- SRU (2004a): Koexistenz sichern: Zur Novellierung des wünschten Nebenwirkungen. Dessau-Roßlau: UBA. Gentechnikgesetzes. Berlin: SRU. Kommentar zur Um- weltpolitik 4. UBA (2009a): Per- und polyfluorierte Chemikalien: Ein- SRU (2004b): Umweltgutachten 2004. Umweltpolitische träge vermeiden – Umwelt schützen. Dessau-Roßlau: Handlungsfähigkeit sichern. Baden-Baden: Nomos. UBA. SRU (2002): Umweltgutachten 2002. Für eine neue Vor- UBA (2009b): Wie identifiziert das Umweltbundesamt reiterrolle. Stuttgart: Metzler-Poeschel. besonders besorgniserregende Stoffe? Dessau-Roßlau: UBA. www.reach-info.de/dokumente/svhc_strategie.pdf SRU (1994): Umweltgutachten 1994. Für eine dauerhaft- (01.03.2012). umweltgerechte Entwicklung. Stuttgart: Metzler-Poeschel. UBA (2002): Projekt Umweltbeobachtung. Endbericht. SRU (1991): Allgemeine ökologische Umweltbeobach- Berlin: UBA. tung. Sondergutachten. Oktober 1990. Stuttgart: Metzler- Poeschel. UBA (2000): Ziele für die Umweltqualität. Eine Be- standsaufnahme. Berlin: UBA. Statistisches Bundesamt (2011): Umweltökonomische Gesamtrechnungen. Nachhaltige Entwicklung in Deutsch- Umweltrat EOBC (Umweltbeobachtungs- und -bilanzrat land. Indikatoren zu Umwelt und Ökonomie 2011. Wies- für Europa) (2011): Monitoring im Bereich Umwelt und baden: Statistisches Bundesamt. Biodiversität. Ergebnisse der Umweltbeobachtungskonfe-

363 Medienübergreifendes Monitoring renz. Karlsruhe: Umweltrat EOBC. http://www.eobc.eu/ Pflanzen/MON810_Neubewertung_2009_Kurzfassung. journal/U01-EU11-de.pdf (01.03.2012). pdf?__blob=publicationFile&v=2 (01.03.2012). Vohland, K. (2008): Impacts of climate change on biodi- Züghart, W., Benzler, A. (2007): Monitoring der Umwelt- versity – consolidated knowledge and research gaps. wirkungen gentechnisch veränderter Organismen – eine CAB Reviews 3 (086), S. 1–11. Herausforderung. In: Breckling, B., Dolek, M., Lang, A., Werking-Radtke, J., König, H. (2011): Wirkung von Ver- Reuter, H., Verhoeven, R. (Hrsg.): GVO-Monitoring vor tragsnaturschutz- und Agrarumweltmaßnahmen. Natur in der Umsetzung. Bonn-Bad Godesberg: Bundesamt für NRW 2011 (3), S. 28–32. Naturschutz. Naturschutz und Biologische Vielfalt 49, S. 7–18. Werking-Radtke, J., König, H., Bittner, C. (2008): Biodi- versität nordrhein-westfälischer Wälder. Natur in NRW Züghart, W., Benzler, A., Berhorn, F., Graef, F., Sukopp, U. 2008 (2), S. 44–46. (2005): Monitoring der Wirkungen gentechnisch verän- Wogram, J. (2010): Effekt- und Risikobewertung von derter Organismen auf Natur und Landschaft nach Markt- Pflanzenschutzmitteln. Vortrag, Fachökotoxikologie-Kurs, zulassung. Natur und Landschaft 80 (7), S. 307–315. 15.03.2011, Dessau-Roßlau. Züghart, W., Raps, A., Wust-Saucy, A.-G., Dolezel, M., ZKBS (Zentrale Kommission für die Biologische Sicher- Eckerstorfer, M. (2011): Monitoring of genetically modi- heit) (2009): Stellungnahme der ZKBS zur Risikobewer- fied organisms. A policy paper representing the view of tung von MON810. Neue Studien zur Umweltwirkung the National Environment Agencies in Austria and Swit- von MON810. Kurzfassung. Braunschweig: ZKBS. http:/ zerland and the Federal Agency for Nature Conservation /www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/06_Gentech in Germany. Wien: Umweltbundesamt GmbH. Report nik/ZKBS/01_Allgemeine_Stellungnahmen_deutsch/04_ REP-0305.

364 Kapitel 11

Inhaltsverzeichnis Seite

11 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien ...... 367

11.1 Einleitung ...... 367 11.2 Die Einhaltung ökologischer Grenzen als Problem politischer Steuerung ...... 368 11.2.1 Staatliche Verantwortung für die Einhaltung ökologischer Grenzen ...... 368 11.2.2 Politische Herausforderungen ...... 369 11.2.3 Ökologische Grenzen in der Umweltpolitik ...... 370 11.3 Politische Strategien als Instrumente zur Thematisierung ökologischer Grenzen ...... 371 11.3.1 Strategien im Regierungshandeln ...... 371 11.3.2 Politische Strategien und ihre Funktionen in Bezug auf ökologische Grenzen ...... 373 11.3.3 Das Leitbild der „Green Economy“ in politischen Strategien . . . . 374 11.3.4 Analyse von Nachhaltigkeitsstrategien ...... 376 11.3.4.1 EU Ebene: EU Nachhaltigkeitsstrategie und Europa 2020 ...... 376 11.3.4.2 Deutschland: Nationale Nachhaltigkeitsstrategie ...... 377 11.3.5 Analyse von Umweltstrategien ...... 381 11.3.5.1 EU Ebene: Umweltaktionsprogramme ...... 381 11.3.5.2 Deutschland: Ein neues Umweltprogramm ...... 383 11.3.6 Analyse von Sektorstrategien mit Umweltrelevanz ...... 384 11.4 Zur Notwendigkeit von institutionellen Reformen ...... 386 11.5 Zusammenfassung ...... 388 11.6 Literatur ...... 389

Abbildungen

Abbildung 11-1 Vorschlag des SRU für eine Architektur politischer Strategien und ihre Funktionen in Bezug auf öko- logische Grenzen ...... 373 Abbildung 11-2 Nachhaltigkeitsmodell der Bundesregierung ...... 378

Tabellen

Tabelle 11-1 Beispiele für umweltrelevante Strategien auf Bundes- ebene ...... 371 Tabelle 11-2 Beispiele für umweltrelevante Strategien auf EU-Ebene . 372

365 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien

Seite

Tabelle 11-3 Leitbilder des umweltpolitischen Diskurses ...... 375 Tabelle 11-4 Status der Indikatoren der Nachhaltigkeitsstrategie, die den Umweltzustand abbilden ...... 380

366 Einleitung

11 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien

11.1 Einleitung nen umwelt- und klimapolitische Integrationsprozesse statt. So wurden in einigen Ministerien (z. B. den Bundes- 665. Im Jahr 2012 jährt sich die Konferenz der Verein- ministerien für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- ten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de cherschutz (BMELV), für Verkehr, Bau und Stadtentwick- Janeiro zum zwanzigsten Mal. Die Rio-Konferenz war lung (BMVBS) sowie für Wirtschaft und Technologie ein Meilenstein in der internationalen Umwelt- und Ent- (BMWi)) Umweltkapazitäten verstärkt oder neu aufge- wicklungspolitik, nicht nur weil hier wichtige internatio- baut, teilweise auch umweltpolitische Zuständigkeiten in nale Abkommen geschlossen wurden, sondern auch, weil andere Ressorts verlagert. Im Zentrum der Aufmerksam- der Begriff der nachhaltigen Entwicklung als Leitprinzip keit steht dabei der Klimawandel. Als weiteres zentrales der internationalen Staatengemeinschaft verankert wurde. Thema hat sich in den letzten Jahren aber auch der Res- Damit wurde erstmals der Zusammenhang zwischen Um- sourcenschutz entwickelt: Die Besorgnis, dass – nicht zu- welt und Entwicklung auf höchster Ebene anerkannt. letzt durch erhöhte Nachfrage in Schwellenländern – be- Doch auch zwanzig Jahre nach der Rio-Konferenz ist es stimmte strategische Rohstoffe in Zukunft nicht in – trotz partieller Erfolge – nicht gelungen, Entwicklungs- ausreichender Menge verfügbar sein könnten, hat nicht pfade in Deutschland, Europa und der Welt systematisch nur das Ziel der Rohstoffsicherung auf die politische Ta- so auszurichten, dass die Anforderungen nachhaltiger gesordnung gesetzt, sondern auch das Thema Ressour- Entwicklung erfüllt werden. Nicht zuletzt das von den ceneffizienz aufgewertet (BMWi 2010). Vereinten Nationen initiierte Millennium Ecosystem As- sessment (REID et al. 2005) hat gezeigt, in welch bedroh- Der Widerspruch, dass trotz des skizzierten Mainstrea- lichem Maße menschliche Aktivitäten den Zustand der mings von Umweltthemen bedrohliche ökologische natürlichen Ressourcen verschlechtern und welche Fol- Trends fortbestehen, zeigt, wie groß die politischen He- gen dies in Zukunft für die Bereitstellung lebensnotwen- rausforderungen sind. Der Sachverständigenrat für Um- diger Ökosystemleistungen haben könnte. Auch das vor- weltfragen (SRU) hält es in diesem Sinne für notwendig, liegende Umweltgutachten macht deutlich, dass in vielen die ökologischen Schutzgüter wieder stärker ins Zentrum Bereichen – zum Beispiel beim Meeresschutz (vgl. des umweltpolitischen Handelns zu stellen. Die nüchterne Kap. 8), bei nicht-erneuerbaren Rohstoffen (vgl. Kap. 2) Analyse der weltweiten ökologischen und sozio-ökonomi- und in der Waldpolitik (vgl. Kap. 6) – Belastungsgrenzen schen Trends zeigt, dass globales Wirtschaften innerhalb überschritten werden und Nutzungskonflikte zunehmen. ökologischer Grenzen nicht durch punktuelle Interventio- Sektorale Entwicklungen zeigen teilweise einen ungebro- nen erreicht werden kann, sondern tief greifende Transfor- chenen Trend zur Übernutzung natürlicher Ressourcen mationsprozesse erfordert (WBGU 2011, S. 33–69). Not- und Senken. So steht beispielsweise die prognostizierte wendig sind umfassende technische, ökonomische und Entwicklung bei den Güterverkehrsemissionen im ekla- soziale Umsteuerungsprozesse, nicht nur im Energiesys- tanten Widerspruch zu Klimazielen (vgl. Kap. 4). Die Le- tem, sondern auch in anderen Sektoren und Lebensberei- bensmittelproduktion (vgl. Kap. 3) trägt entscheidend zu chen. Dieser Herausforderung müssen sich Politik und Ge- Grenzüberschreitungen in den Bereichen Klima- und Bio- sellschaft dringend stellen. diversitätsschutz sowie bei Nitratemissionen bei. 667. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich das vor- 666. Dass die ökologische Gesamtbilanz ernüchternd liegende Kapitel mit der Frage, wie es politisch gelingen ausfällt, erscheint zunächst paradox, denn der Umwelt- kann, Entwicklungspfade so auszurichten, dass ökologi- schutz ist im Verlauf seiner Geschichte in das Zentrum von sche Belastungsgrenzen nicht überschritten werden. Ob- Politik und Gesellschaft gerückt. In den letzten Jahren hat wohl die Verantwortung des Staates für den Schutz der sich dieser Prozess nochmals erheblich verstärkt, sodass Umwelt in Verantwortung für zukünftige Generationen man heute in Deutschland im Hinblick auf bestimmte öko- verfassungsrechtlich klar formuliert ist, ist es nur teil- logische Themen von einem „Mainstreaming“ sprechen weise gelungen, diese Anforderung in eine Umweltpolitik kann (vgl. auch SRU 2011c, Abschn. 6.4.2): Umwelt- umzusetzen, die sich an ökologischen Grenzen und dem schutz spielt in den Programmen der politischen Parteien Zustand der Schutzgüter orientiert. Dies hat – neben prin- eine zunehmend wichtigere Rolle. Energie- und Klima- zipiell korrigierbaren Gründen wie der mangelnden Ef- politik ist ein zentrales Feld politischer Auseinanderset- fektivität von Umsetzungsmaßnahmen – auch strukturelle zungen auf Bundes- und Länderebene geworden. Die Me- Ursachen, beispielsweise Interessengegensätze, Wissens- dienberichterstattung über Umweltthemen hat in den defizite, Komplexitätsprobleme und die begrenzte Steuer- letzten Jahren deutlich zugenommen und ein anhaltend ho- barkeit von globalen Umwelteffekten durch vorgelagerte her Anteil der deutschen Bevölkerung fordert eine ökolo- Wertschöpfungsketten. Um ökologische Leitplanken trotz gische Vorreiterrolle für Deutschland (BORGSTEDT dieser Hemmnisse wirksam werden zu lassen, sieht der et al. 2010). Auch in Verwaltungen finden auf allen Ebe- SRU politische Strategieprozesse wie Nachhaltigkeits-

367 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien strategien, Umweltstrategien und Sektorstrategien als führlich EPINEY und SCHEYLI 1998, S. 36 ff.; zentralen Ansatzpunkt. Im Fokus des Kapitels steht daher REHBINDER 2007, Rn. 81). Entsprechend ist die durch die Analyse, wie solche Strategieprozesse der Operatio- das Untermaßverbot gezogene Grenze im Sinne der nalisierung und Umsetzung ökologischer Leitplanken Nachhaltigkeit zu konkretisieren. Daher sollte zum Bei- dienen können, in welchem Maße sie dies bereits tun und spiel die Freisetzung von Stoffen die Tragfähigkeits- wie diese Funktion verbessert werden kann. Darüber hi- grenze der Umweltmedien nicht überschreiten (vgl. Ab- naus sind aber auch institutionelle Reformen nötig, um schn. 10.2.3). An erneuerbaren Ressourcen darf nur so die staatliche Langzeitverantwortung durch eine Stärkung viel verbraucht werden, wie sich regenerieren kann. Bei von Umweltinteressen besser zu verankern. nicht-erneuerbaren Ressourcen besteht eine Pflicht zur größtmöglichen Schonung (vgl. zu den sog. Manage- 11.2 Die Einhaltung ökologischer Grenzen mentregeln MURSWIEK in: SACHS 2009, Artikel als Problem politischer Steuerung 20a GG Rn. 37 f.). Diese durch die Nachhaltigkeit vorge- gebenen Minimalanforderungen gilt es als Grenzen einzu- 11.2.1 Staatliche Verantwortung für die halten, damit die Umwelt auch den zukünftigen Generatio- Einhaltung ökologischer Grenzen nen als Grundlage erhalten bleibt. Nach überwiegender Meinung in der Literatur darf eine allgemeine oder unzu- 668. Sowohl der Staat als auch die Europäische Union mutbare Verschlechterung der ökologischen Gesamtsitua- haben eine besondere Verantwortung für den Schutz tion nicht hinterlassen werden. Daher muss bei Eingriffen der Umwelt (vgl. zum Begriff der Verantwortung in die Umwelt – sofern sie nicht vermieden werden kön- MURSWIEK 1985, S. 29 ff.). Für die nationale Ebene er- nen – ein entsprechender Ausgleich geschaffen werden gibt sich dies aus der Staatszielbestimmung des Arti- (so z. B. EPINEY in: von MANGOLDT/KLEIN/ kels 20a Grundgesetz (GG). Sie lautet: STARCK 2010, Artikel 20a GG Rn. 65; MURSWIEK in: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künfti- SACHS 2009 Artikel 20a GG Rn. 44; REHBINDER gen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und 2007, S. 149 f.; KLOEPFER 2004, § 4 Rn. 35; kritisch die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung hierzu etwa SCHINK 1997, S. 226 f.). durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz Jenseits dieser Grenze liegt die Konkretisierung des und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Recht- Schutzkonzepts – etwa über Umweltqualitätsziele sprechung.“ (REESE 2010, S. 345) – in den Händen der zuständigen Bei der Ausfüllung dieser Verantwortung räumt das Bun- Staatsorgane. Sie haben dabei einen Optimierungsauftrag, desverfassungsgericht dem Staat zunächst einen weiten wonach der Umweltschutz – bezogen auf die rechtlichen Gestaltungsspielraum ein (vgl. nur BVerfGE Bd. 118, und tatsächlichen Möglichkeiten – in einem möglichst S. 79 (110)). Dies ist dem Umstand geschuldet, dass Um- hohen Maße zu realisieren ist (BRÖNNEKE 1999, weltschutzaspekte an der Abwägung mit widerstreitenden S. 269 ff.; SOMMERMANN 1997, S. 360 f.). Im Rah- Verfassungsbelangen (Grundrechte, Sozialstaatsprinzip) men der Interessenabwägung mit anderen Verfassungsbe- teilnehmen und hier keinen absoluten Vorrang genießen. langen gilt es wegen der Zukunfts- und Langzeitverant- Dem Gestaltungsspielraum sind jedoch durch Arti- wortung des Staates den Vorgaben des Vorsorgeprinzips kel 20a GG auch Grenzen gesetzt, denen der Staat im Rechnung zu tragen (von MANGOLDT/KLEIN/ Rahmen eines Schutzkonzeptes, das bestimmte Leitplan- STARCK 2010; SCHULZE-FIELITZ in: DREIER 2006, ken zu formulieren hat, Rechnung tragen muss, um seiner Artikel 20a GG Rn. 53; vgl. hierzu ausführlich CAL- Verantwortung gerecht zu werden. LIESS 2001, S. 181). Weil Kausalketten oft nur partiell nachvollziehbar sind und der Punkt, an dem die Grenzen Der Verpflichtung zum Umweltschutz lässt sich kein prä- überschritten werden, nicht genau bestimmt werden kann, zises Schutzniveau entnehmen, das der Staat zu beachten sind Sicherheitsabstände einzuhalten, die es im Einzelfall oder zu verwirklichen hätte (EPINEY in: von zu bestimmen gilt. Dementsprechend muss das Schutz- MANGOLDT/KLEIN/STARCK et al. 2010, Artikel 20a konzept auch am Maßstab der Risikovorsorge bestimmt GG Rn. 64). Allerdings gilt es, den verbindlichen mate- werden (CALLIESS 2001, S. 153 ff.). riellen Zielkern des Staatsziels und ein im Hinblick da- rauf bestehendes Verbot, das Mindestmaß an gebotenem 669. Konkreter als über Artikel 20a GG lassen sich dem Schutz zu unterschreiten (Untermaßverbot), als absolute Unionsziel Umweltschutz des Artikels 191 des Vertrags Grenze zu beachten (BRÖNNEKE 1999, S. 272 ff. und über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) 471 ff.; SOMMERMANN 1997, S. 439 ff.). Gemeinhin bzw. der Integrationsklausel des Artikels 11 AEUV ent- verpflichtet das Untermaßverbot die Staatsorgane zu ei- sprechende Vorgaben für die Europäische Union entneh- nem angemessenen und wirksamen Schutz. Im Rahmen men. So zielt die Umweltpolitik der Europäischen Union des Artikels 20a GG kann dieser vor allem wegen der Be- nach Artikel 191 Absatz 1 AEUV unter anderem auf die zugnahme auf die zukünftigen Generationen konkretisiert Erhaltung der Umwelt ab und muss damit – im Sinne eines werden. Denn hierdurch entsteht dem Staat eine beson- ökologischen Bestandsschutzes – Verschlechterungen ent- dere, rechtlich verpflichtende Zukunfts- und Langzeitver- gegenwirken (CALLIESS in: CALLIESS/RUFFERT 2011, antwortung (KLOEPFER 1996, S. 78; zum Begriff ferner Artikel 191 AEUV Rn. 10; KÄLLER in: SCHWARZE GETHMANN et al. 1993, S. 14 ff., 26 ff., 57 ff.). Diese 2009, Artikel 174 EGV Rn. 8). Darüber hinaus gilt es wird in zutreffender Weise auch als Ausdruck des Grund- – wie auch im Rahmen des Artikels 20a GG – den Um- satzes der nachhaltigen Entwicklung interpretiert weltschutz im Rahmen der Abwägung mit anderen Be- (FRENZ 1999, S. 40 f.; KLOEPFER 1996, S. 78; aus- langen zu optimieren, also bestmöglich zu realisieren

368 Die Einhaltung ökologischer Grenzen

(CALLIESS in: CALLIESS/RUFFERT 2011, Artikel 191 Debatten. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist dabei zu AEUV Rn. 44; KAHL 1993, S. 69 ff.). berücksichtigen, dass die staatlichen Steuerungskapazitä- ten begrenzt sind (MAYNTZ 2005). Dies ergibt sich aus Relevant für die Pflicht der Europäischen Union, für die einer Reihe verschiedener Faktoren, beispielsweise aus Einhaltung ökologischer Grenzen zu sorgen, ist aber vor der – auch verfassungsrechtlich garantierten – Autonomie allem die Integrationsklausel des Artikel 11 AEUV, wo- wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Akteure, dem Wi- nach gilt: derstandspotenzial von Regelungsbetroffenen, dem Ein- „Die Erfordernisse des Umweltschutzes müssen bei der fluss von Partikularinteressen in korporatistischen Ent- Festlegung und Durchführung der Unionspolitiken und scheidungsstrukturen und der Politikverflechtung im -maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhalti- föderalen politischen System. Zusätzlich zu den allgemei- gen Entwicklung einbezogen werden.“ nen Grenzen der Steuerungsfähigkeit von staatlicher Poli- Hierdurch wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der tik stellen ökologische Probleme spezifische Herausfor- Zustand der Umwelt in hohem Maße von Entscheidungen derungen dar (JACOB et al. 2007). Dazu gehören unter in anderen Politikbereichen – wie zum Beispiel der Ver- anderem die Schwierigkeiten bei der Bewirtschaftung öf- kehrs-, Landwirtschafts- oder Energiepolitik – beeinflusst fentlicher Güter sowie das zeitliche und geografische wird und die Umsetzung des Umweltschutzes entspre- Auseinanderfallen von Ursachen und Wirkungen von chend ein hohes Maß an Integration verlangt. Gesetzge- Umweltproblemen. Aus Sicht einer politischen Mobili- ber und Verwaltung sind daher gehalten, Umweltschutz sierung für einen Umsteuerungsprozess besteht eine be- als Querschnittsaufgabe zu verstehen und alle Politiken sondere Schwierigkeit darin, dass ökologische Grenz- frühzeitig auf ihre Umweltverträglichkeit hin zu überprü- überschreitungen für Bürger häufig nicht unmittelbar fen. Entscheidungen in umweltrelevanten Politikberei- erfahrbar sind. Dies gilt aus drei Gründen insbesondere chen dürfen nicht ausschließlich an deren immanenten auch für ein hoch entwickeltes Industrieland wie Zielen ausgerichtet, sondern müssen mit Rücksicht auf Deutschland: Erstens haben erfolgreiche Umweltschutz- die Umweltauswirkungen getroffen werden (CALLIESS maßnahmen die unmittelbar erfahrbare Umweltbelastung in: CALLIESS/RUFFERT 2011, Artikel 11 AEUV Rn. 6; in Deutschland stark reduziert, während viele der verblei- KÄLLER in: SCHWARZE 2009, Artikel 6 EGV Rn. 13). benden negativen ökologischen Trends – beispielsweise Durch die Bezugnahme auf den Grundsatz der nachhalti- die Nährstoffbelastung von Gewässern und Stoffeinträge gen Entwicklung wird dabei auch für die Ebene der Euro- ins Grundwasser – weniger sichtbar sind (JÄNICKE und päischen Union die Aufnahmefähigkeit der Umweltme- VOLKERY 2001). Zweitens entstehen viele der negati- dien bzw. Regenerationsrate der Ressourcen im Sinne der ven Umweltfolgen der Produktion und des Konsums in ökologischen Nachhaltigkeit als Grenze definiert. Deutschland in anderen Teilen der Erde, beispielsweise indem umweltintensiv hergestellte (Vor-)Produkte – wie 670. Damit sind sowohl auf nationaler als auch auf eu- Erze (Kap. 2) oder Futtermittel in der Landwirtschaft ropäischer Ebene die im Sinne der ökologischen Nachhal- (Kap. 3) – importiert werden. Drittens betreffen Grenz- tigkeit zu konkretisierenden Grenzen einzuhalten. Wegen überschreitungen häufig globale Gemeinschaftsgüter mit der Ungewissheiten im Konkretisierungsprozess sollten der Folge, dass einzelne Länder ihre Problemverantwor- die Grenzen nicht ausgereizt werden, vielmehr gilt es von tung und Handlungskapazität als gering wahrnehmen. ihnen vorsorglich Abstand zu halten. Dies durch geeig- Aus wissenschaftlicher, vor allem langfristiger und globa- nete Verfahren und Maßnahmen sicherzustellen, ist so- ler Perspektive stellen sich die ökologischen Herausfor- wohl dem Staat als auch der Europäischen Union aufge- derungen daher wesentlich drängender dar als dies in geben, wobei sich aus Artikel 11 AEUV allerdings Politik und Gesellschaft wahrgenommen wird. hinsichtlich der Umsetzung der Nachhaltigkeit und Inte- gration des Umweltschutzes in andere Politikbereiche 672. Trotz all dieser Probleme und Einschränkungen konkretere Vorgaben ergeben, als dies bei Artikel 20a GG zeigt nicht zuletzt die aktuelle Klima- und Energiepolitik der Fall ist. Eine nach dem Vorbild des EU-Rechts konzi- in Deutschland, dass der Staat sehr wohl handlungsfähig pierte Regelung wäre daher auch für das nationale Verfas- sein kann, wenn sich in der Gesellschaft parteiübergrei- sungsrecht wünschenswert (vgl. Tz. 712). fend ein gemeinsames Verständnis über bestimmte Hand- lungsnotwendigkeiten herausgebildet hat (vgl. SRU 11.2.2 Politische Herausforderungen 2011c, Abschn. 6.4.2). Vor allem bei schleichenden De- generationsprozessen mit geringer Sichtbarkeit, wie bei- 671. Während die technologischen und ökonomischen spielsweise dem Artenverlust und der Grundwasserkonta- Kapazitäten für die erfolgreiche Bewältigung ökologi- mination, muss die Wissenschaft dabei einen erheblichen scher Herausforderungen zumindest für wesentliche Teil- Beitrag zur Problemwahrnehmung leisten (JÄNICKE und bereiche recht optimistisch eingeschätzt werden dürfen VOLKERY 2001). Notwendige Voraussetzung für die er- (IPCC 2011; SRU 2011c), liegt nach Einschätzung des forderlichen zielgerichteten Umsteuerungsprozesse sind SRU die größte Herausforderung darin, die politischen, daher funktionierende Schnittstellen zwischen der Wis- institutionellen und rechtlichen Voraussetzungen für ent- senschaft auf der einen und Politik und Gesellschaft auf sprechende Transformationsprozesse zu schaffen. der anderen Seite (vgl. Abschn. 1.6.1). Sie sollten die Wie solche Transformationsprozesse auf nationaler, euro- Herstellung relevanten und robusten Wissens über ökolo- päischer oder gar globaler Ebene in angemessener Ge- gische Grenzen fördern und die Herausbildung wissen- schwindigkeit initiiert und gesteuert werden können, ist schaftlich fundierter politischer und gesellschaftlicher Gegenstand intensiver wissenschaftlicher und politischer Konsense in Bezug auf angestrebte Umweltziele unter-

369 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien stützen. Da Grenzüberschreitungen in vielen Bereichen intergenerativ gerechter Nutzungsansprüche an natürliche auf der Ebene von globalen Systemen ermittelt und kom- Ressourcen muss politisch beantwortet werden. Eine muniziert werden müssen, kommt global vernetzten Insti- reine Kosten-Nutzen-Abwägung bei der Umweltzielbe- tutionen des Wissenstransfers eine Schlüsselrolle zu. stimmung stößt auch wegen der Komplexität der Zusam- menhänge zumeist an Bewertungsgrenzen. Die Umwelt- 11.2.3 Ökologische Grenzen in zielbildung kann sich daher nicht gänzlich den politischen der Umweltpolitik Abwägungsprozessen zwischen Schutz- und Verursacher- interessen entziehen (REESE 2010, S. 343). Zugleich 673. Umweltpolitische Ziele sind eine grundlegende muss sie aber darauf achten, dass die Schutzinteressen Voraussetzung für eine erfolgreiche Umweltpolitik. Sie nicht gegenüber ökonomischen Belangen weggewogen beschreiben die „sachlich, räumlich und zeitlich ange- werden. Entscheidend in diesem Prozess sind wissen- strebte Umweltqualität und damit auch die maximal zu- schaftliche, technische und ökonomische Handlungska- lässige Nutzung der Umwelt“ und sollten grundsätzlich in pazitäten (JÄNICKE 2010; von PRITTWITZ 1990; einem gestuften, beteiligungsfreundlich ausgestalteten 2011), die zum einen den umweltpolitischen Verände- Prozess auf der Basis des vorhandenen Wissens um öko- rungsbedarf öffentlichkeitswirksam verdeutlichen, zum logische Grenzen festgelegt werden (ausführlich dazu anderen aber auch die Lösungsoptionen auf den verschie- SRU 1994, Kap. 2.1). Zwar sind in den letzten beiden De- denen Ebenen (z. B. Technikwahl, Wirtschaftsstruktur, kaden in diesem Sinne vor allem im Rahmen von euro- Wachstumsdynamik) veranschaulichen. Zielbildung und päischen Richtlinien qualitätszielorientierte Politikan- Handlungskapazitäten können sich dabei in einem über sätze und darauf abgestimmte Maßnahmenprogramme für Jahrzehnte verlaufenden Prozess gegenseitig verstärken viele Umweltmedien entwickelt worden. Dies gilt bei- (JÄNICKE 2010). spielsweise für den Klimaschutz, die Luftreinhaltepolitik, den Gewässer- und Meeresumweltschutz sowie mit Ein- 676. Wie selbstverstärkendes Policy-Feedback (JORDAN schränkungen auch für den Boden- und den Naturschutz. und RAYNER 2010; vgl. auch Tz. 710) und Akzeleration Die Qualitätsziele sind aber im Sinne einer dynamischen (JÄNICKE 2010) auf der Basis eines robusten weltweiten und mittelfristigen Fortschreibung vielfach aktualisie- wissenschaftlichen Konsenses im Sinne ökologischer rungsbedürftig. Zudem ist das Zielsystem noch stark auf Grenzziehungen funktionieren können, lässt sich am Bei- lokale und regionale Umweltprobleme fokussiert, zu we- spiel der Klimapolitik illustrieren. Das 2°-Ziel, das 2010 nig aber auf „planetarische Grenzen“ (ROCKSTRÖM bei der Weltklimakonferenz in Cancún nach einer etwa et al. 2009; 2011). 15-jährigen Debatte international akzeptiert wurde, basiert im Wesentlichen auf den schrittweise robuster geworde- 674. Systematisch herauszuarbeiten, wo „die maximal nen wissenschaftlichen Erkenntnissen des Intergovern- zulässige Nutzung der Umwelt“ liegt, ist allerdings in mental Panel on Climate Change (IPCC) (vgl. Kap. 1, mehrfacher Hinsicht anspruchsvoll. Das Konzept der Tz. 84), einer erfolgreichen weltweiten Kommunikation ökologischen Grenzen (und verwandte Konzepte wie der ökonomischen Folgen klimapolitischer Untätigkeit „ökologische Tragfähigkeit“, „planetarische Grenzen“ durch den Stern-Bericht (STERN 2007; vgl. auch HEY und „kritisches Naturkapital“, vgl. Abschn. 1.2.3) zielt 2009) und medienwirksamer Illustrationen dieser Folgen auf die grundlegende Einsicht, dass sich die anthropogene durch Extremereignisse, die mit dem Klimawandel in Zu- Ressourceninanspruchnahme im Rahmen der Reproduk- sammenhang gebracht werden können. Zugleich waren tionskapazität der Natur bewegen muss und dass es kriti- aber auch die Handlungskapazitäten einer ehrgeizigen Kli- sche Belastungsschwellen für wichtige globale Ökosys- mapolitik gewachsen, zumal sich aus Sicht der Akteure teme gibt, jenseits derer die Gefahr von abrupten, mehrere Technologien als Problemlöser anboten (erneuer- möglicherweise katastrophalen Veränderungsprozessen bare Energien, Atomenergie und Kohlenstoffsequestrie- besteht. Allerdings ist die konkrete Identifizierung sol- rung) (SRU 2011c, Kap. 5) und eine Erfolg versprechende cher Schwellen mit erheblichen Unsicherheiten verbun- klimapolitische Instrumentierung zur Verfügung stand den, etwa weil komplexe biophysische Systeme und die (z. B. Emissionshandel, Einspeisevergütung). Die damit Regenerationsprozesse, die zur Eigenstabilität beitragen, verbundenen ökonomischen Chancen haben in der Indus- nicht ausreichend verstanden werden. Angesichts dieser trie die Akzeptanz für das 2°-Ziel und für entsprechende Unsicherheiten muss regelmäßig auf das Vorsorgeprinzip Emissionsreduktionsziele erhöht. Die sowohl national als zurückgegriffen werden (SRU 2011b; ROCKSTRÖM auch europäisch mittlerweile akzeptierten Reduktionser- et al. 2011). fordernisse bilden die Grundlage eines breiten energie- und klimapolitischen Handlungsprogramms. Dies allein 675. Umweltziele basieren zwar auf naturwissenschaft- sichert zwar weder den Erfolg der internationalen Klima- lichen Erkenntnissen, beispielsweise über die Aufnahme- diplomatie noch eine hinreichend zielführende Umset- fähigkeit von Senken und die Regenerationsfähigkeit von zung, muss aber dennoch als ein fortgeschrittenes Beispiel erneuerbaren Ressourcen. Dennoch handelt es sich dabei für die politische Anerkennung ökologischer Grenzen ge- letztlich um die Festlegung von normativen Grenzen für wertet werden. gesellschaftlich akzeptable Risiken, die keine rein natur- wissenschaftliche Aufgabe sein kann (am Beispiel der 677. Die Operationalisierung von ökologischen Gren- Luftreinhaltepolitik: BRUCKMANN 2010). Zumindest zen ist folglich eine langfristige Herausforderung, die auf implizit wird immer auch eine Abwägung zwischen dem verschiedenen politischen Handlungsebenen koordiniert Aufwand für die Zielerreichung und den erhofften positi- geleistet werden muss. An Umweltzielen ausgerichtete ven Effekten getroffen. Auch die Frage international und Handlungsstrategien sollten trotz der evident hohen Vo-

370 Politische Strategien raussetzungen in Politik und Recht weiter vorangetrieben instrumentarium nicht ersetzen. In der politikwissen- werden. schaftlichen Literatur werden sie daher auch als neue Form des „strategic public management“ (STEURER 11.3 Politische Strategien als Instrumente 2007; STEURER und MARTINUZZI 2005) oder „new zur Thematisierung ökologischer mode of reflexive governance“ (MEADOWCROFT Grenzen 2007) verstanden. Bei Nachhaltigkeitsstrategien han- delt es sich somit nicht um hierarchische Lenkungsin- 11.3.1 Strategien im Regierungshandeln strumente, sondern um eine interaktive und partizipa- 678. Sowohl in Deutschland als auch auf europäischer tive Form der Selbstbeobachtung und -steuerung von Ebene werden einzelne Problembereiche zunehmend mit- Politik und Gesellschaft. hilfe von Strategieprozessen bearbeitet. Ziel der Strategien – Unter Umweltstrategien sind Prozesse oder Pro- ist es in der Regel, unter Einbindung gesellschaftlicher Ak- gramme zu verstehen, die von Umweltverwaltungen teure eine Problemformulierung zu einem Themengebiet federführend erarbeitet werden, um auf das Erreichen vorzunehmen, Handlungserfordernisse zu formulieren, von Zielen – in erster Linie Umweltzielen – in ver- mittel- bis langfristige Ziele zu setzen und koordinierte schiedenen Handlungsbereichen hinzuwirken. Dabei Maßnahmenbündel auszuarbeiten. In der politikwissen- ist zu unterscheiden zwischen thematischen Um- schaftlichen Literatur wird die Tendenz zur Strategiebil- weltstrategien, die einzelne Problembereiche in den dung dadurch erklärt, dass komplexe und instabile Bedin- Blick nehmen (z. B. nationale Strategie zur biologi- gungen der Politik zu einem „Paradox wachsender schen Vielfalt), und übergreifenden Umweltstrategien Kalkulationsnotwendigkeit bei abnehmender Kalkula- (z. B. Umweltprogramm der Bundesregierung von tionsmöglichkeit“ führen, die in einen zunehmenden Be- 1971 und Umweltaktionsprogramme auf EU-Ebene). darf an politischer Strategie mündet (RASCHKE und TILS Umweltstrategien sollen ökologischen Handlungsbe- 2007). darf thematisieren, Ziele und Maßnahmen formulieren 679. Vor dem Hintergrund ökologischer Herausforde- und unterschiedliche Handlungsebenen koordinieren. rungen kann man drei Arten von Strategien unterschei- den: Nachhaltigkeitsstrategien, Umweltstrategien und – Auch die politischen Strategien von anderen Ministe- Sektorstrategien mit Umweltrelevanz: rien und Verwaltungen (z. B. in den Bereichen Ver- kehr, Landwirtschaft, Forschung, Energie und Struk- – Nachhaltigkeitsstrategien sollen Entwicklungspro- turpolitik) haben zunehmend eine ökologische zesse auf langfristige ökologische, soziale und öko- Dimension. Im Vordergrund stehen bei solchen Sek- nomische Ziele ausrichten und haben damit einen torstrategien mit Umweltrelevanz in der Regel die umfassenden thematischen Anspruch. Nach dem Steu- Ziele und Interessen des federführenden Ressorts und erungskonzept der Agenda 21 sind Nachhaltigkeits- der von ihm vertretenen Akteure (z. B. Landwirtschaft strategien als partizipative, lernorientierte und kapazi- oder Industrie), obwohl im Einzelfall auch Umwelt- tätsbildende Prozesse angelegt, die Situationsanalysen ziele handlungsleitend sein können (so z. B. beim mit Umsetzungsstrategien und Mechanismen der Er- Energiekonzept der Bundesregierung). gebniskontrolle verbinden (MEADOWCROFT 2007). Obwohl Nachhaltigkeitsstrategien auch die Verbind- Sektorstrategien und Umweltstrategien besitzen einen se- lichkeit von Zielen erhöhen sollen, dürfen keine über- lektiven thematischen Fokus, während Nachhaltigkeits- höhten Erwartungen an ihre Steuerungsfähigkeit ge- strategien eine übergreifende Perspektive einnehmen. Die stellt werden. Nachhaltigkeitsstrategien können ein Tabellen 11-1 und 11-2 zeigen Beispiele für die verschie- umfassendes, integriertes Planungs- und Umsetzungs- denen Strategietypen auf nationaler und EU-Ebene.

Tabelle 11-1

Beispiele für umweltrelevante Strategien auf Bundesebene

Strategie Federführende Ressorts Nachhaltigkeitsstrategien Nationale Nachhaltigkeitsstrategie Bundeskanzleramt Umweltstrategien Deutsches Ressourceneffizienzprogramm BMU Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt BMU Strategie der Bundesregierung zur Windenergienutzung auf See BMU Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel BMU

371 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien noch Tabelle 11-1

Strategie Federführende Ressorts Sektorstrategien mit Umweltrelevanz Aktionsplan der Bundesregierung zur stofflichen Nutzung nachwachsender Roh- BMELV stoffe Aktionsplan Güterverkehr und Logistik BMVBS Aktionsprogramm „Energie für morgen – Chancen für ländliche Räume“ BMELV Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energie- BMWi / BMU versorgung Hightech-Strategie 2020 BMBF / BMWi Nationaler Entwicklungsplan Elektromobilität BMWi / BMVBS Rohstoffstrategie BMWi Waldstrategie 2020 BMELV Weißbuch Innenstadt BMVBS BMU: Bundesministerium für Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMELV: Bundesministerium für Ernährung. Landwirtschaft und Verbraucherschutz, BMVBS: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, BMWi: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, BMBF: Bundesministerium für Bildung und Forschung SRU/UG 2012/Tab. 11-1

Tabelle 11-2

Beispiele für umweltrelevante Strategien auf EU-Ebene

Strategie Federführende Ressorts Übergreifende Strategien EU-Nachhaltigkeitsstrategie Generalsekretariat Europa 2020 Generalsekretariat Umweltstrategien Fahrplan für eine kohlenstoffarme Wirtschaft 2050 GD Klimapolitik Fahrplan für ein ressourceneffizientes Europa GD Umwelt EU-Biodiversitätsstrategie 2020 GD Umwelt Überprüfung der EU-Politik für Luftqualität GD Umwelt Sektorstrategien mit Umweltrelevanz Energiefahrplan 2050 GD Energie Energieeffizienzplan GD Energie Leitinitiative Innovationsunion GD Forschung und Innovation Weißbuch: Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum GD Mobilität und Verkehr Grundstoffmärkte und Rohstoffe: Herausforderungen und Lösungsansätze GD Unternehmen und Industrie Leitinitiative Industriepolitik im Zeitalter der Globalisierung GD Unternehmen und Industrie Aktionsplan für Nachhaltigkeit in Verbrauch und Produktion und für eine nachhal- GD Umwelt / GD Unter- tige Industriepolitik nehmen und Industrie Mitteilung Handel, Wachstum und Weltgeschehen GD Handel GD: Generaldirektion SRU/UG 2012/Tab. 11-2

372 Politische Strategien

11.3.2 Politische Strategien und ihre Funktionen Signal- und Orientierungswirkung, die von solchen Zielen in Bezug auf ökologische Grenzen ausgehen kann, sind die internationalen und nationalen Klimaschutzziele. 680. Der SRU sieht politische Strategieprozesse als wichtige Ansatzpunkte, um politische Entscheidungen An ökologischen Grenzen orientierte Umweltstrategien stärker auf die Einhaltung ökologischer Grenzen auszu- sollten ein umfassendes Set ökologischer Leitplanken für richten. Die verschiedenen Strategietypen – Nachhaltig- die Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen und Senken keitsstrategien, Umweltstrategien und Sektorstrategien festlegen und diese dynamisch fortschreiben. Bei der mit Umweltrelevanz – können dabei jeweils unterschied- Zielformulierung sind nicht nur nationale Schutzgüter, liche, sich gegenseitig ergänzende und verstärkende Bei- sondern prioritär auch globale Gemeinschaftsgüter und träge zu einer systematisch an der Einhaltung von Grenzen deren faire Inanspruchnahme durch Deutschland und die ausgerichteten Umweltpolitik leisten (vgl. Abb. 11-1). EU zu berücksichtigen. Die Zielvorgaben sollten sowohl Wichtig sind hierbei aber eine realistische Einschätzung auf die Vermeidung kritischer Umkipp- und Schwellen- des möglichen Beitrags der verschiedenen Strategiean- werte ausgerichtet sein als auch technisch-ökonomische sätze und ihr Zusammenspiel. Vermeidungskapazitäten und deren Kosten auf den ver- schiedenen Wirkungsebenen der Umweltpolitik berück- Eine wichtige Funktion von Nachhaltigkeitsstrategien ist sichtigen. Dies erfordert einen breiten und wissensinten- es, einen breiten gesellschaftlichen Konsens über Nachhal- siven Vorbereitungsprozess. tigkeitsziele herzustellen. Im Hinblick auf die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ist es dabei entschei- Andere Politikbereiche sollten bei der Entwicklung von dend, dass langfristige, Schutzgut orientierte Umweltziele Sektorstrategien mit Umweltrelevanz die betroffenen Um- im Zielsystem von Nachhaltigkeitsstrategien eine zentrale weltziele aufnehmen und ihre Maßnahmen darauf aus- Rolle spielen. Ergänzt werden sollten sie durch kurz- und richten. Umweltziele bilden die Grundlage für eine Be- mittelfristige Umwelthandlungsziele. Beispielhaft für die wirtschaftung innerhalb der Tragfähigkeitsgrenzen und

Abbildung 11-1

Vorschlag des SRU für eine Architektur politischer Strategien und ihre Funktionen in Bezug auf ökologische Grenzen

Nachhaltigkeitsstrategie - spiegelt gesellschaftlichen Konsens über Nachhaltigkeitsziele wider - signalisiert politischen Willen, Ziele zu erreichen - bietet gesellschaftlichen Akteuren Orientierung

Umweltstrategien Sektorstrategien mit - thematisieren ökologische Probleme Umweltrelevanz - bringen relevantes Wissen in die Politik - entwickeln politikfeldspezifische - formulieren ökologische Anforderungen Strategien im Einklang mit Umweltzielen Übergreifendes Umweltprogramm Rohstoffe Landwirtschaft

Klimaanpassung Ressourcen Verkehr Energie Biologische Vielfalt thematische Umwelt- strategien

SRU/UG 2012/Abb. 11-1

373 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien damit für Nutzungszuteilungen und -beschränkungen ter Druck stehender Ökosysteme das globale Wirtschafts- durch marktwirtschaftliche oder ordnungsrechtliche In- wachstum dauerhaft fortzusetzen. Wirtschaftswachstum strumente sowie durch sektorale Transformationsstrate- bleibt damit die wesentliche Messlatte für ökonomischen gien. Sie bedürfen damit eines längerfristigen Planungs- Erfolg, auch wenn festgestellt wird, dass es notwendig sei, und Zeithorizonts. ein „breiteres Konzept des Fortschritts“ zu entwickeln (OECD 2011, S. 22). Kontroverse Auseinandersetzungen 11.3.3 Das Leitbild der „Green Economy“ über das Konzept der grünen Wirtschaft wurden auch im in politischen Strategien Vorfeld der Rio+20-Konferenz geführt. Kritiker des Kon- zepts, vor allem aus Entwicklungs- und Schwellenländern, 681. Der Begriff der grünen Wirtschaft (green eco- äußerten hier die Befürchtung, dass der Begriff der nach- nomy) hat sich auf globaler Ebene als neues umweltpoli- haltigen Entwicklung geschwächt werden soll und dass die tisches Leitbild etabliert (BÄR et al. 2011; OECD 2011; neue Agenda zu einer Vernachlässigung von sozialer Ge- UNEP 2011). Der Diskurs der grünen Wirtschaft, des grü- rechtigkeit und zu Umweltprotektionismus führen könnte nen Wachstums oder des nachhaltigen Wirtschaftens (KHOR 2011; AS-PTA et al. 2012). nimmt auch in Strategieprozessen auf nationaler und eu- ropäischer Ebene eine zunehmend wichtige Rolle ein. 683. Trotz der Vielfalt und Heterogenität der Analysen Dabei eröffnet das Leitbild der grünen Wirtschaft einer- sind drei wiederkehrende und miteinander verbundene seits neue umweltpolitische Gestaltungschancen, gerade Argumentationsstränge zu beobachten: im Hinblick auf eine Verankerung ökologischer Grenzen – Die Umwelt als ökonomische Ressource: Basis dieses beinhaltet er andererseits aber auch Risiken, die im Fol- Diskurses ist der Grundgedanke der Umweltökono- genden erläutert werden sollen. mie, dass die Übernutzung natürlicher Ressourcen und Die Karriere des Leitbilds der grünen Wirtschaft baut auf Senken im Wesentlichen als Problem von Marktversa- einer schon länger zu beobachtenden Ökonomisierung gen zu interpretieren ist. Weil Umweltgüter häufig öf- des umweltpolitischen Diskurses auf. Zu verstehen ist da- fentliche Güter sind, die wegen ihrer Nicht-Aus- runter die zunehmende Bedeutung eines Argumentations- schließbarkeit nicht über den Markt gehandelt werden rahmens, der die verschiedenen Aspekte der Umweltpoli- können, werden Knappheiten nicht durch den Preis tik zentral mit ökonomischen Kategorien analysiert angezeigt und es kommt zu einer Übernutzung. So (Kosten, Nutzen, Kapital, Markt, Effizienz, Produktivität verschiedenartige Entwicklungen und Ereignisse, wie etc.) und daraus Handlungsbedarf ableitet sowie Lö- die dramatischen Warnungen des UN-Weltklimarates, sungsansätze entwickelt. Die Analyse von Umweltpro- erneut ansteigende Energiepreise, erhöhte und stark blemen aus ökonomischer Sicht ist keineswegs neu, son- schwankende Preise für Agrarprodukte, ein zunächst dern besitzt eine lange wissenschaftliche und politische unerklärliches Bienensterben in den USA und Europa Tradition (PEARCE 2002). Bemerkenswert an der derzei- und der sich abzeichnende globale Wettbewerb um tigen Entwicklung ist jedoch die Dominanz, die der öko- knappe strategische Rohstoffe, haben zu einem erhöh- nomische Argumentationsrahmen inzwischen erreicht ten Bewusstsein dafür beigetragen, dass auch techno- hat. logisch und ökonomisch hoch entwickelte Länder auf funktionierende ökologische Grundlagen angewiesen 682. Gemeinsame Kernaussage der aktuellen Green- und anfällig für ökologische Krisen sind. Um die Economy-Diskurse ist, dass Umweltschutz nicht generell volkswirtschaftlichen Kosten, die mit einer Übernut- als Kostenfaktor angesehen werden darf, sondern große zung von Ressourcen verbunden sein können, besser ökonomische Chancen birgt. Jenseits dieses zentralen Mo- zu erfassen, wurden in den letzten Jahren zahlreiche tivs sind die auf nationaler und internationaler Ebene ge- Analysen und Studien durchgeführt, die die Abhän- führten Diskussionen jedoch sehr heterogen – nicht nur im gigkeit der Menschen und ihrer wirtschaftlichen Akti- Hinblick auf die verwendeten Schlüsselbegriffe, sondern vitäten von der Natur aufgezeigt haben (REID et al. auch in Bezug auf Schwerpunktsetzungen, Begründungs- 2005). Vielfach wurde dabei auch versucht, den öko- zusammenhänge und Schlussfolgerungen (s. Tab. 11-3). nomischen Wert der Dienstleistungen abzuschätzen, So basiert das Konzept der grünen Wirtschaft, wie es vom die durch Ökosysteme erbracht werden (COSTANZA United Nations Environment Programme (UNEP) ver- et al. 1997; STERN 2007; TEEB 2010). Die Studien wendet wird, auf einer Analyse nicht nur der ökonomi- zeigen auch, im Einklang mit den Erkenntnissen öko- schen und ökologischen Krisen, sondern auch von deren logischer Ökonomie, dass viele mit dem Naturkapital sozialen Ursachen und Auswirkungen (UNEP 2011). Be- verbundene Dienstleistungen nicht oder nur sehr be- tont wird etwa die große Bedeutung stabiler Ökosysteme grenzt durch andere Kapitalformen ersetzbar sind. für die Armutsbekämpfung, nicht zuletzt angesichts der Abhängigkeit der ländlichen Bevölkerung in Entwick- – Die ökonomischen Chancen des Umweltschutzes: In lungsländern von lokalen Umweltbedingungen. Die Ana- Abgrenzung zum traditionellen Diskurs, der Umwelt- lyse der Organisation for Economic Co-operation and De- schutz als Kostenfaktor angesehen hat, wird hier her- velopment (OECD) steht demgegenüber in einer Tradition vorgehoben, dass Umweltpolitik in mehrfacher Hin- der Förderung von effizienten und marktfreundlichen sicht positive ökonomische Effekte haben kann. Dies Wirtschaftspolitiken und erweitert sie um eine Auseinan- betrifft nicht nur direkte Kostenersparnisse auf Seiten dersetzung mit ökologischen Grenzen. Sie stellt somit das der Industrie, sondern auch die Initiierung von Moder- Ziel in den Mittelpunkt, trotz begrenzter Rohstoffe und un- nisierungsprozessen mit positiven Folgen für die

374 Politische Strategien

Tabelle 11-3

Leitbilder des umweltpolitischen Diskurses

Leitbild Kernaussage Quellen Grüne Wirtschaft Ökologische Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Fortschritt sind keine Ge- UNEP 2011 gensätze. Die Schaffung einer sozial gerechteren und ökologischeren Wirt- schaft ist ein Instrument für nachhaltige Entwicklung, sowohl für Industrie-, als auch für Entwicklungsländer. Der Übergang zu einer grünen Wirtschaft setzt allerdings voraus, dass die Politik günstige Bedingungen dafür schafft. Ansatzpunkte für die Förderung einer grünen Wirtschaft sind u. a. die Um- schichtung öffentlicher und privater Investitionen in Richtung Klimaschutz und Ressourceneffizienz sowie in die Erhaltung von Naturkapital. Grünes Grünes Wachstum bedeutet die Förderung ökonomischen Wachstums bei OECD 2011 Wachstum gleichzeitigem Schutz der Ressourcen und Ökosystemleistungen, auf die wir angewiesen sind. Ökologische Investitionen und Innovationen können dabei Wachstum erhalten und neue ökonomische Chancen eröffnen. Green New Deal Die Wirtschaftskrise ist eine Chance für einen ökologischen Umbau der BARBIER 2010; Wirtschaft. Ökologisch ausgerichtete Programme zur Stimulierung der FRENCH et al. Wirtschaft können das Fundament schaffen für technologischen Wandel, 2009 umweltfreundliche öffentliche Infrastruktur und „grüne“ Arbeitsplätze. Nachhaltiges Nachhaltiges Wachstum bedeutet, eine ressourceneffiziente, nachhaltige Europäische Kom- Wachstum und wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen. In einer Welt, die CO2- mission 2010 Emissionen mindert und in der Ressourcen knapp sind, soll die Führungs- rolle Europas im Wettbewerb um die Entwicklung neuer Verfahren und Technologien ausgenutzt werden. Dadurch sollen nicht nur der wirtschaftli- che Erfolg der EU gesichert, sondern gleichzeitig die Umwelt geschützt und der soziale und territoriale Zusammenhalt Europas gestärkt werden. Ökologische Große Leitmärkte werden in der Zukunft eine starke ökologische Dimen- BMU 2006 Industriepolitik sion aufweisen. Daher werden Länder, die eine Technologieführerschaft in den grünen Märkten erreichen, globale Wettbewerbsvorteile erlangen und Wohlstand und Arbeitsplätze sichern. Gefördert werden muss eine solche Technologieführerschaft aber durch eine aktive ökologische Industriepoli- tik, die die Wirtschaft auf knapper werdende Ressourcen einstellt, die strate- gische Zukunftsindustrien stärkt, Technologiesprünge initiiert und die Marktdiffusion innovativer Technologien fördert. Ökologische Wirtschaft und Umwelt sind nicht notwendigerweise Gegensätze. Unter be- JÄNICKE 1984; Modernisierung stimmten Umständen kann die Entwicklung und Diffusion effizienter Tech- 1993; HAJER nologien eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltnutzung 1997; MOL 2001 herbeiführen. Dies erfordert jedoch politische Strategien, die eine solche ökologische Modernisierung befördern. Dazu gehören unter anderem ver- bindliche Umweltziele, dynamische Steuerungsinstrumente, konsensorien- tierte Politikprozesse, langfristige Politikplanung und horizontale wie verti- kale Politikintegration. SRU/UG 2012/Tab. 11-3

Volkswirtschaft (JÄNICKE 2008), sekundären Nutzen cen zu maximieren, sollte Umweltpolitik darauf aus- in anderen Sektoren und nicht zuletzt die internationa- gerichtet sein, das konstatierte Marktversagen durch len Wettbewerbsvorteile auf zukünftig wachsenden die Internalisierung externer Kosten zu korrigieren grünen Märkten für Umwelttechnologien (OECD (OECD 2011). Dabei sollten umweltpolitische Instru- 2011; BMU 2006). mente wirtschafts- und innovationsfreundlich ausge- staltet werden, um die ökologischen Ziele zu mög- – Marktkonforme Umweltpolitik: Kern dieses Argumen- lichst geringen Kosten zu erreichen. Diese Position tationsstrangs ist die Begründung einer marktkonfor- schließt an die schon lange anhaltende Kritik ord- men Umweltpolitik. Um die Umwelt als ökonomische nungsrechtlicher Steuerung an und betont die Vorzüge Ressource zu erhalten und dabei ökonomische Chan- ökonomischer Instrumente.

375 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien

Der Diskurs der grünen Wirtschaft unter 11.3.4 Analyse von Nachhaltigkeitsstrategien dem Aspekt ökologischer Grenzen 11.3.4.1 EU Ebene: EU Nachhaltigkeitsstrategie 684. Für die Entwicklung von Strategien zur Einhaltung und Europa 2020 ökologischer Grenzen ist die steigende Bedeutung des 686. Seit dem Jahr 2000 ist die Strategiediskussion in der Diskurses der grünen Wirtschaft aus Sicht des SRU grund- EU durch zwei teilweise politisch konkurrierende, teil- sätzlich positiv, hat jedoch auch Risiken. Positiv ist, dass weise komplementäre Strategieprozesse gekennzeichnet: das Konzept der grünen Wirtschaft auf die ökonomische zum einen die wirtschaftspolitische Lissabon-Strategie, Bedeutung von funktionsfähigen Ökosystemen hinweist. zum anderen die stärker umwelt- und sozialpolitische Auch wenn die Funktionsverluste von Ökosystemen se- Ziele verfolgende europäische Nachhaltigkeitsstrategie. lektiv nur aus ökonomischer Perspektive betrachtet wer- Das ungeklärte Verhältnis dieser beiden Strategien zuein- den, ist dies eine wichtige Voraussetzung für die Entwick- ander, ihre unbefriedigende Problemangemessenheit und lung problemadäquater Strategieansätze, die ökologische Steuerungskraft und ihre schwache Verkoppelung mit na- Belastungsgrenzen thematisieren. Der Diskurs der grünen tionalen und internationalen Strategieprozessen wurden Wirtschaft stärkt die ökonomische Legitimation der Um- wiederholt deutlich kritisiert (zusammenfassend: SRU weltpolitik und kann damit ein starker Treiber für Maß- 2008, Kap. 1; RNE 2009; EHNMARK 2009; BERGER nahmen und Instrumente sein, deren positive Kosten-Nut- und HAMETNER 2008; zum schwachen Steuerungsansatz zen-Bilanz eindeutig ist. Ebenso verbessert er die der Lissabon-Strategie: SCHÄFER 2005; HOMEYER Akzeptanz von Instrumenten, die dazu geeignet sind, zu 2010). einer Internalisierung externer Kosten beizutragen und da- 687. Mit ihrer Europa 2020-Strategie für ein „intelli- mit dem grundsätzlich als legitim angesehenen Ziel der gentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ (Euro- Korrektur von Marktversagen dienen (OECD 2011). päische Kommission 2010; s. Tab. 11-2) vom März 2010 hat die EU ein übergreifendes Strategiedokument für die 685. Andererseits kann der Diskurs der grünen Wirt- Dekade bis 2020 vorgelegt, das die Nachfolge der wirt- schaft auch zu unzulässigen Verengungen führen. Dies be- schaftspolitischen Lissabon-Strategie antritt, aber nach trifft zunächst die Verengung der Legitimation des Um- derzeitiger Auffassung der Europäischen Kommission weltschutzes auf den ökonomischen Nutzen. Dies ist nicht auch die europäische Nachhaltigkeitsstrategie ersetzen nur aus ethischer und rechtlicher Perspektive zu hinterfra- soll. Auch der Europäische Rat hat bis Ende 2011 darauf gen, sondern ist vor allem angesichts von Wissensgrenzen, verzichtet, einen Termin für eine umfassende Überprü- Unsicherheiten und methodischen Schwierigkeiten pro- fung der Nachhaltigkeitsstrategie festzulegen, obwohl blematisch. In der Praxis ist zu beobachten, dass sich die dies ursprünglich vorgesehen war (Rat der Europäischen Ökonomisierung des umweltpolitischen Diskurses als He- Union 2006). Ob die Europa 2020-Strategie tatsächlich rausforderung für Umweltverwaltungen darstellt, die bei einen so umfassenden Charakter hat, dass sie auch die Maßnahmen, bei denen den unmittelbaren Kosten ein un- Umweltziele einer Nachhaltigkeitsstrategie bzw. eines sicherer oder methodisch nicht abschätzbarer Nutzen ge- Umweltaktionsprogramms aufnehmen könnte, wird je- genübersteht, unter einen erhöhten Rechtfertigungsdruck doch skeptisch gesehen (so kritisch BERGER et al. 2010, kommen (z. B. GINZKY und RECHENBERG 2010, die S. 9). Zudem gibt es grundlegende Zieldifferenzen zwi- in diesem Zusammenhang von einer „Beweislastumkehr“ schen einer Strategie, die an Konzepte des grünen Wachs- sprechen). Damit entsteht eine systematische Verzerrung tums und der ökologischen Modernisierung anknüpft, zuungunsten von Umweltgütern und Problemstellungen, und einem Nachhaltigkeitsverständnis, das zumindest in deren Funktionsweisen komplexer und bei denen die Wis- seiner originären Bedeutung auch ökologische Grenzen sensbasis schwächer ausgeprägt ist. Insbesondere ist zu und damit grundlegendere Veränderungen der Industrie- vermeiden, dass solchen Umweltaspekten, die mit größe- nationen deutlich thematisiert (BAKER 2007). rer Zuverlässigkeit und geringerem Aufwand monetari- Das breite Themenspektrum der Europa 2020-Strategie sierbar sind, eine größere Bedeutung in der Güterabwä- deckt wichtige Handlungsfelder der Nachhaltigkeitsstrate- gung gegeben wird, als solchen, die ökonomisch schwierig gie ab. Konkretisiert wird die Strategie insbesondere durch zu fassen sind. Eine Gefahr liegt auch darin, dass ökono- sieben sogenannte Leitinitiativen. Die für die Weiterent- mische Bewertungen auf einer bestimmten räumlichen wicklung der europäischen Umweltpolitik zentrale Leit- Ebene die möglichen Auswirkungen auf andere Ebenen initiative für ein „ressourcenschonendes Europa“ enthält nicht berücksichtigen und damit Verdrängungs- und Ver- wiederum die Ankündigung zahlreicher, teilweise außer- lagerungseffekte vernachlässigt werden (BRONDÍZIO ordentlich weitreichender Programme für die Klimapolitik und GATZWEILER 2010). Noch problematischer ist es bis 2050, für die Reform der europäischen Agrar- und jedoch, wenn der Argumentationsstrang der „ökonomi- Strukturpolitik oder für die Erhaltung der biologischen schen Chancen des Umweltschutzes“ allein handlungslei- Vielfalt. Das Ziel der effizienten Ressourcennutzung wird tend wird – ein Begründungszusammenhang, der bei- sehr breit gefasst und betrifft viele wichtige umweltpoliti- spielsweise in der europäischen Wachstumsstrategie sche Handlungsfelder. Insgesamt sind von der Eu- „Europa 2020“ anklingt (vgl. Abschn. 11.3.4.1). Hier be- ropa 2020-Strategie wesentlich weiterreichende und stär- steht die Gefahr, dass Umweltpolitik ihre eigenständige ker innovatorische Impulse zu erwarten als von der Begründung und damit auch an politischem Einfluss ver- EU-Nachhaltigkeitsstrategie. Sie stößt zum einen neue liert. komplexe Politikprozesse an, die weitreichende Ziele ver-

376 Politische Strategien folgen, wie zum Beispiel die Klimaneutralität der Strom- scher Bundestag 2011a; Bundesregierung 2012, S. 66; versorgung. Der Umsetzungsprozess wird zudem deutlich EEAC 2011b). Die im Lichte der Zukunftsverantwortung straffer und hierarchischer vom Generalsekretariat der Eu- und globalen Gerechtigkeit zu setzenden ökologischen ropäischen Kommission gesteuert. Leitplanken haben im Sinne einer Langfristökonomie Pri- orität gegenüber kurzfristigen Wachstumszielen Die Europa 2020-Strategie lässt sich in ihren Umwelttei- (s. Kap. 1.2) und bedürfen einer eigenständigen und nicht len als Beispiel für eine am Leitbild einer grünen Wirt- nur abgeleiteten Zielbestimmung. Daher sollte die EU- schaft orientierten Strategie – inklusive ihrer unzulässi- Nachhaltigkeitsstrategie als übergeordnete Langfriststra- gen Verengungen (vgl. Abschn. 11.3.3) – interpretieren. tegie fortgeschrieben werden. So finden sich zwar durchaus anspruchsvolle Ziele im Fahrplan für eine wettbewerbsfähige und CO2-arme Wirt- Wichtig ist eine europäische Nachhaltigkeitsstrategie schaft für 2050 (Europäische Kommission 2011a), im auch für eine wirksame Mehrebenensteuerung. Sie bildet Verkehrsweißbuch (Europäische Kommission 2011f; vgl. das europäische Bindeglied zwischen der internationalen Kap. 4) oder auch in der erneuerten Biodiversitätsstrate- Rio-Agenda (SRU 2004, Kap. 13) und den nationalen gie (Europäische Kommission 2011c). Diese Ziele wer- und regionalen Nachhaltigkeitsstrategien. Damit verbun- den aber nicht systematisch durch ein glaubhaftes Maß- den ist auch die Bildung von Institutionen und Netzwer- nahmenprogramm unterlegt (EEAC 2011a). Diese ken wie dem European Sustainable Development Net- verschiedenen umweltpolitischen Strategien der EU ste- work, dem Sustainable Development Observatory des hen zudem unter einem Wachstumsimperativ, der vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses und Europäischen Rat in seinen Schlussfolgerungen nochmals dem europäischen Netzwerk der Umwelt- und Nachhal- deutlich akzentuiert wurde (Rat der Europäischen Union tigkeitsräte (REIMER 2009; SCHOMERUS 2011; Bun- 2010a; BERGER et al. 2010). Eindeutig sind Wachstum desregierung 2012). Diese im Rahmen der Nachhaltig- und Wettbewerbsfähigkeit das zentrale Leitmotiv der Eu- keitspolitik entstandenen Institutionen sind ohne eine ropa 2020-Strategie („intelligent“, „nachhaltig“, „integra- erneuerte europäische Nachhaltigkeitsstrategie gefähr- tiv“ sind lediglich Nebenbedingungen). Der Europäische det. Die erneuerte EU-Nachhaltigkeitsstrategie sollte zu- Rat betrachtet die Strategie als „eine neue europäische dem mit dem zu entwickelnden umweltpolitische Zielsys- Strategie für Beschäftigung und Wachstum“ (Rat der Eu- tem des 7. Umweltaktionsprogramms (UAP) verknüpft ropäischen Union 2010b, S. 1). Selbst die Leitinitiative werden (s. Abschn. 11.3.5.1), sei es, dass sie den allge- für ein ressourcenschonendes Europa, die einzige um- meinen Begründungsrahmen für solche Ziele formuliert, weltpolitische Säule der Europa 2020-Strategie, betont: sei es, dass sie einzelne Ziele aufgreift. „Angesichts dieser Entwicklung wird eine effizientere Ressourcennutzung der entscheidende Faktor der Wachs- 11.3.4.2 Deutschland: Nationale tums- und Beschäftigungspolitik sein“ (Europäische Nachhaltigkeitsstrategie Kommission 2011d, S. 4). Der primär ökonomische Be- gründungsrahmen gilt auch für die EU-Biodiversitätsstra- 689. Im April 2002 hat die Bundesregierung eine natio- tegie (NeFo 2011). Wie im Konfliktfall, jenseits von Win- nale Nachhaltigkeitsstrategie unter dem Titel „Perspekti- Win-Konstellationen von Umwelt und Ökonomie, „zwi- ven für Deutschland“ veröffentlicht. Vier weitere Be- schen gegenläufigen Interessen abgewogen werden“ soll, richte (2004, 2005, 2008 und 2012) hatten die Aufgabe, lassen die im Rahmen der Europa 2020-Strategie entwi- über den Fortgang der Strategie zu berichten und wichtige ckelten umweltbezogenen Strategien offen. Eine eigen- Handlungsfelder weiterzuentwickeln. Der nachfolgende ständige Begründung von Umweltzielen, wie das Ziel der Abschnitt ist eine Aktualisierung des im September 2011 „Bewahrung der Fähigkeit der Erde, das Leben in all sei- vorgelegten Kommentars zum Entwurf des Fortschritts- ner Vielfalt zu beherbergen und die Achtung der Grenzen berichts 2012 (SRU 2011a). ihrer natürlichen Ressourcen“ in der Europäischen Nach- Der SRU begrüßt die Fortschreibung der Nachhaltigkeits- haltigkeitsstrategie (Rat der Europäischen Union 2006), strategie. Im internationalen Vergleich ist die deutsche findet sich in der Europa 2020-Strategie nicht mehr. Nachhaltigkeitsstrategie vorbildlich (NIESTROY 2005; 2006 konnte man noch von einer Dualität zwischen OECD 2006). Ihre Stärken liegen insbesondere in ihrem Wachstums- und Nachhaltigkeitszielen ausgehen, wobei zielorientierten Ansatz sowie der Verankerung von Ma- die Nachhaltigkeitsstrategie die Funktion eines überge- nagementinstrumenten und einem unabhängigen Monito- ordneten langfristigen Rahmens (Rat der Europäischen ringverfahren (SRU 2008, s. Kap. 1.3). Positiv ist auch, Union 2006, Ziffer 7) hatte. Mit Europa 2020 wird diese dass die Strategie institutionell gut eingebettet ist, durch Rangordnung nun offensichtlich umgekehrt: Umweltziele das Kanzleramt koordiniert wird und Aufmerksamkeit müssen weitgehend ökonomisch begründet werden. Da auf höchster politischer Ebene erhält (STIGSON et al. übergeordnete Ziele und der Diskursrahmen insbesondere 2009). Der Fortschrittsbericht belegt, dass die deutsche in der EU Einflusschancen verteilen (DAVITER 2007) Nachhaltigkeitsstrategie ein ernsthafter und aktiver Pro- und kollektive Identitäten symbolisieren (BAKER 2007), zess ist, der Kontinuität über mehrere Legislaturperioden ist der Leitbildwechsel der Europäischen Kommission und unterschiedliche Regierungen aufweist, das Regie- kritisch zu sehen. rungshandeln auf Nachhaltigkeitsziele verpflichtet und wichtige Impulse in die Gesellschaft gibt. Dennoch be- 688. Aus diesen Gründen bedarf es weiterhin einer ei- darf es weiterer Nachbesserungen, um die selbst gesteck- genständigen Europäischen Nachhaltigkeitsstrategie (Deut- ten Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie zu erreichen.

377 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien

Indikatoren- und Zielsystem – Vielfach sind Umweltziele außerdem nicht ausrei- chend langfristig gesetzt. So bestehen beispielsweise 690. Das Nachhaltigkeitsmodell der Bundesregierung für die Verbesserung der Luftqualität und für die Re- sieht die drei Bereiche Wirtschaft, Umwelt und Soziales duzierung der Stickstoffüberschüsse nur Ziele für als grundsätzlich gleichrangige Elemente des Zieldrei- 2010. Nicht zuletzt die Klimapolitik zeigt, dass erst ecks der Nachhaltigkeit an, stellt aber gleichzeitig klar, der Blick auf langfristige ökologische Erfordernisse es dass die „Erhaltung der Tragfähigkeit der Erde“ eine „ab- ermöglicht, einerseits den angemessenen Handlungs- solute äußere Grenze“ (Bundesregierung 2012, S. 27) für bedarf zu identifizieren und andererseits hinreichende Abwägungsprozesse darstellt. Dass die Bewahrung der Kapazitäten für einen weitreichenden technischen und natürlichen Lebensgrundlagen damit eine Vorrangstel- institutionellen Wandel aufzubauen. lung einnimmt, wird nun auch in der grafischen Darstel- lung des Nachhaltigkeitsmodells besser deutlich – Schließlich beziehen sich eine Reihe der Ziele auf Ef- (s. Abb. 11-2). fizienzindikatoren, das heißt, sie sind als relative Grö- ßen definiert (z. B. Personenbeförderungsleistung je Abbildung 11-2 Einheit Bruttoinlandsprodukt). Dies hat zur Folge, dass nur die relative „Belastungsintensität“ im Verhältnis Nachhaltigkeitsmodell der Bundesregierung zur Wirtschaftsleistung ausgedrückt wird, nicht aber die tatsächliche Zu- oder Abnahme der Belastung (SRU Zieldreieck der Nachhaltigkeit 2002, Tz. 280). Dies ist vor allem deshalb problema- tisch, weil Effizienzsteigerungen aufgrund verschiede- ner Effekte indirekt verbrauchserhöhend wirken kön- nen (Rebound-Effekt). Wenn – wie beispielsweise beim Personentransport – zwar eine gewisse Entkopplung Wirtschaft Soziales gelingt, aber das absolute Niveau der Belastungen wei- Absolute Grenze: terhin über akzeptablen Grenzen liegt, wird durch Effi- Erhaltung der zienzindikatoren ein unangemessen positives Bild der Lebensgrundlagen Maßnahme Entwicklung gezeichnet. in globaler relative Grenzen/ Perspektive Optimierungsgebot Umwelt Empfehlungen 692. Insgesamt ist das Indikatoren- und Zielsystem der Nachhaltigkeitsstrategie in seiner Bandbreite, seinem Ziel- niveau und seinem Zeithorizont noch nicht dazu geeignet, Abbildung angelehnt an: SRU, KzU Nr. 9, 2011/Abb. 2 den Entscheidungen von politischen und gesellschaftli- Quelle: Bundesregierung 2012 chen Akteuren eine Orientierungsfunktion im Hinblick auf die Bedrohung natürlicher Lebensgrundlagen zu bieten. 691. Ein wesentliches Defizit der Strategie liegt jedoch Nach Ansicht des SRU ist es möglich, das bestehende In- weiterhin in der unzureichenden Ausarbeitung dieses Kern- dikatoren- und Zielsystem mit begrenztem Aufwand so zu aspekts nachhaltiger Entwicklung. Nach Auffassung des verändern, dass es in stärkerem Maße eine Orientierungs- SRU sollte die Nachhaltigkeitsstrategie die Bedrohung na- funktion für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundla- türlicher Lebensgrundlagen, die das stabile Funktionieren gen bieten kann. Dabei kann insbesondere auf die natio- von Wirtschaft und Gesellschaft erst ermöglichen, stärker nale Strategie zur biologischen Vielfalt zurückgegriffen in den Blick nehmen. In der Operationalisierung von werden, in deren Rahmen ein anspruchsvolles und robus- Nachhaltigkeit durch Indikatoren und Ziele wird die Auf- tes Zielsystem entwickelt worden ist, das stärkeren Nieder- gabe der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen nur schlag in der Nachhaltigkeitsstrategie finden sollte. Mittel- sehr unzureichend bearbeitet (für eine vollständige Ana- fristig hält es der SRU – auch angesichts der zunehmend lyse der Indikatoren und Ziele vgl. SRU 2011a): miteinander vernetzten ökologischen Ziele – für notwen- dig, das umweltpolitische Zielsystem im Rahmen eines in- – Von den insgesamt 38 Indikatoren der Nachhaltig- tegrierten Umweltprogramms auf nationaler Ebene weiter- keitsstrategie bilden nur fünf den Zustand der Umwelt zuentwickeln (vgl. Abschn. 11.3.5.2). ab. Wichtige ökologische Herausforderungen werden nicht (z. B. Gewässerschutz) oder nur unzureichend 693. Kurzfristig sollte die Bundesregierung: (z. B. Biodiversität) berücksichtigt. Es wird zudem nicht angemessen erfasst, inwieweit Land-, Forst- und – die Ziele zur Ressourcenschonung sowie zum Güter- Fischereiwirtschaft natürliche Ressourcen nachhaltig und Personentransport auf absolute Größen umstellen, bewirtschaften. um sie wirkungssicher zu machen und unangemessene Entwarnungsbotschaften zu vermeiden, – Die gesetzten Ziele sind nicht durchgängig problem- adäquat. So müssten beispielsweise die Ziele für die – die Ziele mit relativ engem Bezug zur Umweltqualität Begrenzung von Flächeninanspruchnahme und Stick- (Flächeninanspruchnahme, Stickstoffüberschuss, öko- stoffüberschuss sowie für einzelne Luftschadstoffe auf logischer Landbau, Schadstoffbelastung der Luft) für längere Sicht noch verschärft werden. die Zeithorizonte 2030 und 2050 fortschreiben und

378 Politische Strategien

– eine Reihe von Indikatoren ergänzen, die wichtige Indikator Treibhausgasemissionen einen Trend, der zur ökologische Schutzgüter betreffen, eine erhebliche Zielerreichung führen würde (s. Tab. 11-4). Die vier ande- Gesundheitsrelevanz besitzen bzw. die Nachhaltigkeit ren Indikatoren zeigen eine Entwicklung, die die Ziele der von Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft messen. Nachhaltigkeitsstrategie zum Teil deutlich verfehlen Dazu sollten Indikatoren in den folgenden Bereichen würde. Besonders besorgniserregend ist die statistisch si- ergänzt werden: ökologischer Gewässerzustand, Er- gnifikante Verschlechterung des Indikatorwertes „Arten- haltungszustand der FFH-Lebensräume und FFH-Ar- vielfalt und Landschaftsqualität“, der im Jahr 2009 nur ten (FFH – Fauna-Flora-Habitat), gefährdete Arten, 67 % des Zielwertes erreichte. Verlust von biologischer Vielfalt auf landwirtschaftli- chen Flächen, nachhaltige Forstwirtschaft, nachhaltige 697. Insbesondere dort, wo Ziele deutlich verfehlt wer- Meeresfischerei, Belastung durch Straßenlärm und den oder gar gegenläufige Trends zu konstatieren sind, Schadstoffbelastung der Luft (für eine vollständige sollte die negative Bilanz der Ausgangspunkt für eine Darstellung und Begründung siehe SRU 2011a, S. 10). Analyse mit der Fragestellung sein, in welchen Sektoren weitergehende Maßnahmen zur Einhaltung ökologischer 694. In der kommenden Berichtsperiode (2012 bis Belastungsgrenzen unvermeidlich sind, weil bisherige 2016) sollte die Bundesregierung das Ziel der Erhaltung Strategien an ihre Grenzen stoßen. Wie auch im Rahmen der Lebensgrundlagen in globaler Perspektive konzeptio- des Peer-Reviews der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie nell weiter ausarbeiten. Zunächst sollte dabei die Bedeu- gefordert (STIGSON et al. 2009), sollte die Nachhaltig- tung globaler und lokaler Ökosystemdienstleistungen keitsstrategie stärker darauf ausgerichtet werden, gemein- analysiert werden, um aufzuzeigen, mit welchen Nachtei- sam mit gesellschaftlichen Gruppen ehrgeizige Zukunfts- len und Risiken eine weitere Übernutzung natürlicher konzepte (Road Maps) für bestimmte Sektoren zu Ressourcen verbunden ist. Aus einer Analyse der beson- entwickeln. Nach Einschätzung des SRU gehören dazu ders wichtigen und bedrohten Schutzgüter sollten priori- beispielsweise die Landwirtschaft (SRU 2009) und der täre ökologische Handlungsfelder abgeleitet werden. Im Güterverkehr (Kap. 4). Insbesondere in Sektoren mit Lichte dieser Erkenntnisse sollte dann – in einem transpa- hohen Wachstumsraten und langlebigen Infrastrukturen renten Verfahren unter Beteiligung relevanter gesell- sowie bei sich kumulierenden Umweltfolgen ist eine Zeit- schaftlicher Gruppen – das bestehende Indikatoren- und perspektive 2050 sinnvoll, um langwierige Umsteue- Zielsystem auf seine Problemangemessenheit überprüft rungsprozesse frühzeitig einzuleiten. Beispiele für beste- werden. Bei wichtigen, bisher nicht berücksichtigten hende Langfristkonzepte sind die Klimaschutzziele und Schutzgütern (z. B. Grundwasserschutz und genetische die Ausbauziele für erneuerbare Energien, wie sie im Vielfalt) sollte die Entwicklung von geeigneten Indikato- Rahmen des im Juli 2011 revidierten Energiekonzeptes ren und Datengrundlagen vorangetrieben werden (vgl. der Bundesregierung beschlossen wurden (vgl. SRU Kap. 10). Langfristig sollten die Indikatoren stärker auch 2011c). die ökologischen Wirkungen in anderen Ländern abbil- den. Nachhaltigkeitsmanagement 695. Wirtschaftlicher Wohlstand wird trotz einer aus- führlichen Würdigung der Diskussion über alternative In- 698. Die seit dem Fortschrittsbericht 2008 unter den dikatoren (Bundesregierung 2012, S. 192 ff.) weiterhin Oberbegriff „Nachhaltigkeitsmanagement“ gestellten In- lediglich durch den Indikator „Bruttoinlandsprodukt je stitutionen und Prozesse sind nach Einschätzung des SRU Einwohner“ operationalisiert. Dass das Bruttoinlandspro- ein wertvoller Beitrag zur Erhöhung der Steuerungsfähig- dukt jedoch kein adäquates Maß für gesellschaftlichen keit der Nachhaltigkeitsstrategie. In welchem Maße die Wohlstand ist, ist weitgehend unstreitig (vgl. Kap. 1, bereits umgesetzten institutionellen Reformen konkrete Tz. 91). Der SRU empfiehlt daher, den Indikator des Entscheidungen beeinflusst haben, kann allerdings nicht Bruttoinlandsproduktes in der kommenden Berichtsperiode umfassend bewertet werden. Zum einen liegen – auch durch weitere Indikatoren zu ergänzen, um auf mögliche aufgrund der Aktualität der Prozesse – noch keine Evalu- Divergenzen zwischen Wirtschaftswachstum und gesell- ierungen vor, zum anderen ist eine solche Bewertung me- schaftlicher Wohlfahrt aufmerksam zu machen. thodisch problematisch. Aufgrund der Beobachtung lau- fender Prozesse ist allerdings davon auszugehen, dass 696. Der SRU begrüßt, dass das Statistische Bundesamt Veränderungen eher inkrementeller Natur sind. Trotz in- regelmäßig, umfassend und in eigener Verantwortung über stitutioneller Verbesserungen bleibt die Verbindung der die Entwicklung der Nachhaltigkeitsindikatoren berichtet Strategie mit der Tagespolitik ein wesentliches Defizit. Es und dass die Bilanzierung durch das Statistische Bundes- ist daher grundsätzlich zu begrüßen, dass der Fortschritts- amt nun durch eine politische Bewertung seitens der Bun- bericht eine weitere Stärkung der Nachhaltigkeitsstrategie desregierung ergänzt wird. Allerdings bleibt die Auseinan- anstrebt. Allerdings bleiben die dazu bisher vorgeschla- dersetzung mit den Problembereichen bislang kursorisch. genen Initiativen – gemessen an den Herausforderungen – In den Schlussfolgerungen der Bundesregierung aus der zu unverbindlich und zu wenig ambitioniert. Analyse des Statistischen Bundesamtes werden von den 19 Indikatoren mit problematischer Entwicklung nur drei 699. Zentrales Element des Nachhaltigkeitsmanage- („Staatsdefizit“, „Transportintensität“ und „Verdienstab- ments ist die Nachhaltigkeitsprüfung. Sie wurde 2009 stand zwischen Frauen und Männern“) ausdrücklich ange- eingeführt und ergänzt das bestehende Verfahren der Ge- sprochen. Von den fünf Indikatoren, die den Zustand der setzesfolgenabschätzung um den Aspekt der Nachhaltig- Umwelt unmittelbar oder mittelbar abbilden, zeigt nur der keit. Die geänderte Fassung der Gemeinsamen Geschäfts-

379 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien

Tabelle 11-4

Status der Indikatoren der Nachhaltigkeitsstrategie, die den Umweltzustand abbilden1

Zielwerte aus ökologischer Sicht Indikator Nr. Ziel Status2 problemadäquat? Klimaschutz 2) THG-Emissionen Reduktion um 21 % bis 2008/2012, ja3 um 40 % bis 2020 und um 80 bis 95 %  bis 2050, jeweils gegenüber 1990 Flächeninanspruchnahme 4) Anstieg der Sied- Reduzierung des täglichen Zuwach- langfristig ist eine weitere Senkung nötig4 lungs- und Verkehrs- ses auf 30 ha bis 2020 fläche Artenvielfalt 5) Artenvielfalt und Anstieg auf den Indexwert 100 bis ja Landschaftsqualität zum Jahr 2015

Landbewirtschaftung 12a) Stickstoff- Verringerung bis auf 80 kg/ha land- langfristige Zielsetzung fehlt; langfristig überschuss wirtschaftlich genutzter Fläche bis ist stärkere Senkung nötig5 2010, weitere Absenkung bis 2020 Luftqualität

13) Schadstoff- Verringerung auf 30 % gegenüber langfristige Zielsetzung fehlt; bei NH3 und belastung der Luft 1990 bis 2010 NOx sind stärkere Minderungen notwen- (SO2, NOx, NH3, dig, dies kommt im pauschalen Zielwert NMVOC) für alle Schadstoffe nicht zum Ausdruck6

1 Bei den Indikatoren „Treibhausgasemissionen“ und „Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche“ handelt es sich um Belastungsindikatoren. Aufgrund ihrer engen Kopplung mit dem Umweltzustand wurden sie hier jedoch den Umweltzustandsindikatoren zugerechnet. 2 Symbole zur Beschreibung des Status: Sonne: Entwicklung hin zum Zielwert (Abweichung < 5 %) bzw. Zielwert ist erreicht, Sonne/Wolke: In- dikator entwickelt sich in die richtige Richtung, aber Abweichung 5 – 20 %, Wolke: Indikator entwickelt sich in die richtige Richtung, aber Ab- weichung > 20 %, Gewitterwolke: Indikator entwickelt sich in die falsche Richtung. 3 Die Ziele stellen einen angemessenen deutschen Beitrag zu den globalen Bemühungen um eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 °C dar. Nach derzeitigem Wissensstand ist diese Begrenzung ausreichend, um gefährlichen Klimawandel zu vermeiden, s. SRU 2011c, Ab- schn. 2.3.2 4 SRU 2008, Tz. 535 5 UBA 2009 6 SRU 2008, Tz. 240 ff. SRU/UG 2012/Tab. 11-4

ordnung der Bundesministerien legt fest, dass die 2011 durch den Parlamentarischen Beirat hat ergeben, Ressorts darstellen, „ob die Wirkungen des Vorhabens ei- dass bei mehr als der Hälfte der 306 bewerteten Gesetze ner nachhaltigen Entwicklung entsprechen, insbesondere und Verordnungen die Nachhaltigkeitsprüfung als man- welche langfristigen Wirkungen das Vorhaben hat“. Der gelhaft eingestuft wurde, weil die Vorlagen keine oder Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung unplausible Aussagen zur nachhaltigen Entwicklung (PBNE) des Deutschen Bundestages hat es sich zur Auf- enthielten (Deutscher Bundestag 2011b). Außerdem stellt gabe gemacht, als „Wächter“ für die Durchführung der der PBNE fest, dass „die Nachhaltigkeitsprüfungen häu- Nachhaltigkeitsprüfung zu fungieren. Er prüft relevante fig eher oberflächlich erfolgen oder zumindest nicht ver- Gesetzesvorlagen daraufhin, ob die Nachhaltigkeitsstrate- tieft genug dargestellt sind“ (Deutscher Bundestag 2011b, gie bei der Gesetzesfolgenabschätzung berücksichtigt S. 5). Da sich aber im Zeitverlauf der Evaluierung der worden ist und ob die Auswirkungen des Vorhabens plau- Anteil der zu beanstandenden Prüfungen verringerte, sibel dargestellt sind. Eine Evaluation des Verfahrens der sieht der PBNE die Nachhaltigkeitsprüfung insgesamt Nachhaltigkeitsprüfung im Zeitraum März 2010 bis Juni „auf einem guten Weg“ (ebd., S. 4).

380 Politische Strategien

700. Der SRU sieht die Nachhaltigkeitsprüfung als rung (Eckpunktepapier, Referentenentwurf) beginnen wichtigen und grundsätzlich positiv zu bewertenden An- und angemessen dokumentieren. satz an, um den Zielen der Nachhaltigkeitsstrategie in Rechtsetzungsprozessen mehr Gewicht zu geben. Es – Die Bundesregierung sollte sich stärker darum bemü- muss jedoch auch konstatiert werden, dass die Nachhal- hen, die Qualität der Nachhaltigkeitsprüfungen zu er- tigkeitsprüfung durch die gleichen strukturellen Schwä- höhen und dafür zu sorgen, dass nicht nur die (im chen gekennzeichnet ist wie die Gesetzesfolgenabschät- Sinne der nachhaltigen Entwicklung) positiven, son- zung insgesamt (HERTIN et al. 2009b; VEIT 2010). Das dern auch die negativen Folgen benannt werden. Hauptproblem besteht darin, dass die Gesetzesfolgenab- – Die Reichweite der Nachhaltigkeitsprüfung sollte ge- schätzung vom eigentlichen Prozess der Politikanalyse stärkt werden, indem sie nicht nur auf Regelungsent- und -formulierung weitgehend abgekoppelt ist. In der würfe aus den Ministerien angewendet, sondern auch Praxis verfasst das federführende Ressort die Darstellung für solche obligatorisch durchgeführt wird, die von der Gesetzesfolgen in der Gesetzesbegründung erst dann, Bundesrat und Bundestag initiiert werden. wenn es sich bereits auf eine bestimmte Ausgestaltung des Regelungsvorhabens festgelegt hat. Dementspre- Mittelfristig spricht sich der SRU dafür aus, eine umfas- chend ist die Darstellung der Gesetzesfolgen in der Geset- sende, mit einheitlichen Anforderungen, Leitlinien und zesbegründung auf die Rechtfertigung des Vorhabens Handreichungen ausgestattete, integrierte Politikfolgen- ausgerichtet. Auf eine Darstellung von negativen Folgen abschätzung nach dem Vorbild des Impact-Assessment- und von Regelungsalternativen wird so weit wie möglich Verfahrens der EU zu entwickeln (Europäische Kommis- verzichtet. Solange die Folgenabschätzung nicht integra- sion 2009), die auch Langfristfolgen und Konsequenzen ler Bestandteil des Politikformulierungsprozesses ist, außerhalb Deutschlands berücksichtigt. Ein solches Ver- kann auch die Nachhaltigkeitsprüfung nur sehr begrenzt fahren zur integrierten Politikfolgenabschätzung sollte ihren Zweck erfüllen, das Bewertungsspektrum für Ge- transparent ausgestaltet sein, frühzeitig im Stadium der setzesvorhaben zu erweitern. Eine Öffnung und Formali- Gesetzesformulierung beginnen sowie einen separaten, sierung der vorparlamentarischen Entscheidungspro- im Internet zu veröffentlichenden Bericht zur Folgenab- zesse, zu der die Gesetzesfolgenabschätzung eigentlich schätzung vorsehen. Das Verfahren sollte einer unabhän- beitragen sollte, wird aufgrund struktureller Hemmnisse gigen Qualitätskontrolle unterliegen, vergleichbar mit der (HERTIN et al. 2009a; JACOB et al. 2008; VEIT 2010) bestehenden Prüfung durch den Normenkontrollrat, die kurzfristig kaum zu erreichen sein. sich jedoch bislang nur auf wirtschaftliche Kosten be- zieht. Ein entsprechendes Gremium zur Qualitätskon- 701. Im Ergebnis bewertet der SRU die Bilanz der Nach- trolle sollte mit erweiterten Befugnissen ausgestattet wer- haltigkeitsprüfung etwas kritischer als der PBNE. Positiv den. Zu erwägen wäre beispielsweise das Recht, hervorzuheben ist, dass die ausdrückliche Behandlung von Nachbesserungen zu verlangen, bevor die Gesetzesvor- Nachhaltigkeitsfolgen in der Gesetzesbegründung die lage der Bundesregierung zum Beschluss vorgelegt wer- Nachhaltigkeitsstrategie aufwertet. Referenten aller Res- den kann. sorts müssen sich mit den Zielen und Managementregeln der Strategie vertraut machen und werden dabei mögli- cherweise für bestimmte Problembereiche und Langfrist- 11.3.5 Analyse von Umweltstrategien entwicklungen sensibilisiert. Dass das Instrument der Nachhaltigkeitsprüfung in seiner derzeitigen Ausgestal- 11.3.5.1 EU Ebene: Umweltaktionsprogramme tung tatsächlich in nennenswertem Maße Entscheidungen 702. Die Umweltaktionsprogramme (UAP) der EU ha- im Sinne der Nachhaltigkeit beeinflusst, hält der SRU auf- ben nach Artikel 192 AEUV eine generelle Orientierungs- grund der bisherigen Erfahrungen für unwahrscheinlich. funktion, indem sie die allgemeinen Ziele und Grundlinien Mit einer gewissen Besorgnis betrachtet der SRU darüber der Umweltpolitik abstecken (CALLIESS in: CALLIESS/ hinaus, dass die Erweiterung des Mandats des Normen- RUFFERT 2011, Artikel 192 AEUV Rn. 33; KNILL 2003, kontrollrats einseitig die Berücksichtigung von Erfül- S. 48 f.). Während frühere Umweltaktionsprogramme alle lungskosten (z. B. bei umweltpolitischen Maßnahmen) fünf Jahre neu aufgelegt wurden, haben das 5. und das ak- stärkt, ohne spiegelbildlich die ökologischen Konsequen- tuell gültige 6. UAP jeweils eine Laufzeit von zehn Jahren zen von sektoralen Regelungsvorhaben in gleichem Maße (2002 bis 2012). Umweltaktionsprogramme formulierten aufzuwerten. Um sicherzustellen, dass tatsächlich „mögli- bereits in der Vergangenheit den grundlegenden umwelt- che unbeabsichtigte Nebenwirkungen eines Rechtset- politischen Ansatz ihrer jeweiligen Periode (HEY 2005; zungsvorhabens – in generationenübergreifender und HOMEYER 2009) und bieten Gelegenheit für eine bilan- globaler Betrachtung – möglichst frühzeitig im Normset- zierende Gesamtschau (Europäische Kommission 2011e). zungsverfahren in den Blick genommen werden“ (Bun- Auch wenn ihre unmittelbare Steuerungskraft zum Teil desregierung 2008), sind nach Auffassung des SRU wei- skeptisch eingeschätzt wird (HOMEYER 2010; HOMEYER tere Veränderungen nötig. und WITHANA 2011), haben UAP im Vergleich zu einfa- Kurzfristig empfiehlt der SRU folgende Maßnahmen: chen Kommissionsmitteilungen eine deutlich höhere Le- gitimität. Sie werden im ordentlichen Gesetzgebungsver- – Die Bundesregierung sollte darauf hinwirken, dass die fahren durch Europäisches Parlament und Rat beschlossen Ressorts die Nachhaltigkeitsprüfung bei allen Rege- (vgl. auch CALLIESS in: CALLIESS/RUFFERT 2011, lungsvorhaben in frühen Stadien der Politikformulie- Artikel 192 AEUV Rn. 34) und können damit auch zu ei-

381 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien ner verbreiterten Identifikation beitragen (Europäische bessere Integration der Umweltdimension in andere Kommission 2011e; Rat der Europäischen Union 2011). Gemeinschaftspolitiken, Als eines der weitestreichenden europäischen Umweltpro- – die Berücksichtigung der globalen Umweltauswirkun- gramme gilt das 5. UAP von 1992, insbesondere weil es gen, die von ökonomischem und politischem Handeln nach dem Vorbild des niederländischen Umweltplans ent- in der EU ausgehen und wickelt wurde, in dem an ökologischen Leitplanken aus- – Anreize zu einer absoluten Entkopplung von Wirt- gerichtete umweltpolitische Ziele formuliert wurden (SRU schaftswachstum und Umweltschädigung. 1994; 2000). Das 5. UAP verfolgte das Ziel, durch die For- mulierung sektoraler Handlungsansätze die Integration 704. Bei der konkreten Umsetzung dieser allgemeinen von Umweltaspekten in andere Sektoren voranzutreiben. Grundsätze und Anforderungen stellt sich konzeptionell Hinsichtlich eines zielorientierten Umweltpolitikansatzes die Frage, wo der programmatische Mehrwert gegenüber war das 6. UAP von 2002 deutlich zurückhaltender. Zwar der Vielzahl der in jüngster Zeit vorgelegten umweltbezo- gelang es, einige strategische Ziele im Sinne übergeordne- genen Strategien der Europäischen Kommission liegen ter Leitlinien zu formulieren (Artikel 2). Die Konkretisie- könnte (VOLKERY et al. 2011). Von der Europäischen rung und quantitative Operationalisierung von Zielen er- Kommission wurde in diesem Zusammenhang der „Fahr- folgte jedoch nur teilweise im 6. UAP selbst (HOMEYER plan für ein ressourceneffizientes Europa“ (Europäische und WITHANA 2011, S. 11 f.). Diese Aufgabe wurde, al- Kommission 2011b) problematisiert, der einem die ge- lerdings mit sehr unterschiedlicher Erfolgsbilanz, auf sie- samte Umwelt umfassenden Ressourcenbegriff folgt und ben thematische Strategien verlagert. Als Folge war der somit programmatisch einem Umweltaktionsprogramm Beitrag des 6. UAPs zu einer originären umweltpoliti- vorgreift. Der Fahrplan enthält einige weitreichende und schen Zielbildung insgesamt begrenzt (SRU 2008; thematisch breit gefächerte Visionen für 2020 und 2050. HOMEYER und WITHANA, 2011). So erwähnt die Kommission das Ziel, ökologische Gren- zen zu respektieren. Sie strebt an, umweltschädliche Sub- Dennoch haben Umweltrat und Europäische Kommission ventionen bis zum Jahr 2020 abzuschaffen. Eine ökologi- in Folge der Evaluation des 6. UAPs übereinstimmend sche Steuerreform in den Mitgliedstaaten soll durch wichtige Aufgaben und Funktionen von Umweltaktions- Umschichtung der Steuerbasis von Lohneinkommen hin programmen identifiziert (Rat der Europäischen Union zu Umweltgütern geschehen. Dabei soll das Niveau der 2010a; 2011; Europäische Kommission 2011e; Vorreiterländer erreicht werden. Bis 2050 soll die Netto- HOMEYER und WITHANA 2011, S. X und 21). Von he- flächeninanspruchnahme auf null gesenkt werden. Weit- rausragender Bedeutung ist die umweltpolitische Orien- reichende Umweltziele werden auch für die Bereiche Ab- tierungsfunktion eines UAPs und die gestärkte Legitima- fall, Gewässerbewirtschaftung, Luft und Biodiversität tion und politische Rückendeckung durch ein gemeinsam formuliert. Zudem greift sich der Fahrplan die drei Kon- von Rat und Parlament angenommenes Programm. Es kann sumbereiche mit der höchsten Umweltrelevanz heraus: einen übergeordneten Begründungsrahmen für verschie- Ernährung, Gebäude und Verkehr. Insgesamt werden viele umweltpolitische Handlungsfelder unter dem Leit- dene umweltpolitische Initiativen und Strategien liefern motiv thematisiert, dass die Umwelt eine zentrale wirt- und damit zu deren Kohärenz beitragen, die Kommunika- schaftliche Ressource darstellt und dass Effizienz der tion und Vermittlung einzelner Ziele und Maßnahmen er- Schlüssel zur Lösung ist. Vor diesem Hintergrund kann leichtern und übergeordnete Ziele, wie sie in der europäi- ein 7. UAP einen programmatischen Mehrwert bieten, schen Nachhaltigkeitsstrategie formuliert worden sind, wenn eine Profilbildung hinsichtlich der folgenden As- durch instrumentelle Vorschläge konkretisieren. Insge- pekte gelingt: samt kann es damit einen wichtigen Beitrag zur politi- schen Sichtbarkeit leisten und somit einen hohen Stellen- – Ein UAP kann eine grundlegendere Begründungsbasis wert der europäischen Umweltpolitik symbolisieren. liefern als der effizienzorientierte Ansatz des Ressour- Nicht zuletzt ist das Fehlen vergleichbarer Umweltstrate- cenfahrplans. So wird die Formulierung und Einhal- gien in vielen Mitgliedstaaten, so auch in Deutschland tung ökologischer Grenzen sicher nicht alleine oder (Abschn. 11.3.5.2), ein wichtiges Argument für ein vorrangig durch technologische Effizienzstrategien 7. UAP als allgemeiner Orientierungsrahmen. Damit gelingen können. Erforderlich wäre ein angemessenes, diese Funktionen auch erfüllt werden, ist es aber notwen- längerfristiges und an ökologischen Grenzen orientier- dig, dem Programm ein klares Profil mit einem überge- tes Zielsystem, zu dessen Erstellung das 7. UAP einen ordneten Ansatz zu geben und erkennbare Schwerpunkte Beitrag leisten sollte. zu setzen (VOLKERY et al. 2011). – Umwelt- und Klimaschutz sind in der europäischen 703. Programmatisch hat der Umweltministerrat bereits Kommission auf zwei unterschiedliche Generaldirek- im Dezember 2010 die folgenden Anforderungen an ein tionen aufgeteilt worden. Diese etwas willkürliche und 7. UAP formuliert (Rat der Europäischen Union 2010a): von den wenigsten Mitgliedstaaten gespiegelte Orga- nisationsstruktur führt dazu, dass die Wechselwirkun- – eine ehrgeizige Vision für die Umweltpolitik bis 2050 gen, insbesondere zwischen Klimaschutz und Natur- mit Prioritäten und realistischen Zielen für 2020, schutz, programmatisch unzureichend abgebildet werden. Wegen der Federführung der Generaldirek- – die Verbesserung der Kohärenz, der Komplementarität tion Umwelt für den Ressourcenfahrplan wird das und der Synergien mit anderen EU-Strategien und die Thema Klimaschutz nicht systematisch behandelt. Das

382 Politische Strategien

7. UAP sollte die Kohärenz insbesondere zwischen tiert bereits eine Bestandsaufnahme der Grenzüberschrei- diesen beiden umweltpolitischen Zielen sichern, um tungen, mittelfristigen Problementwicklungen und des die sich abzeichnende Problemverlagerung zu vermei- Handlungsbedarfs (EEA 2007; 2010a; 2010b). den. – Der Fahrplan entwickelt noch keine schlüssige um- 11.3.5.2 Deutschland: Ein neues weltrechtspolitische Agenda, um den „visionären Zie- Umweltprogramm len“ näher zu kommen. Sein Fokus liegt bei marktkon- formen und informatorischen Instrumenten und ersten 706. Die Bundesrepublik Deutschland hat keine ausge- Vorschlägen für Indikatoren. Es besteht durchgängig prägte Tradition einer übergreifenden Strategieentwick- Konkretisierungs- und Weiterentwicklungsbedarf hin- lung. Das 1971 entwickelte 1. Umweltprogramm wurde sichtlich des umweltrechtlich gebotenen Schutzni- nicht dauerhaft fortgeschrieben, auch weil ein solcher veaus und der Ziele des Ressourcenfahrplans. planerisch-zukunftsorientierter Ansatz nicht in das eher reaktive deutsche Muster der Umweltpolitik passte (SRU – Neben dem Recht ist das Geld ein zentrales Steue- 2002, S. 162). Ein zweiter Anlauf, der Entwurf eines um- rungsmedium der Umweltpolitik und der Umweltpoli- weltpolitischen Schwerpunktprogramms im Jahr 1998, tikintegration. Wie das EU-Budget auf die Erhaltung wurde wegen des Regierungswechsels nicht formell vom öffentlicher Umweltgüter und auf Investitionen in zu- Bundeskabinett verabschiedet. Es wurden jedoch einige kunftsfähige Infrastrukturen ausgerichtet werden Ziele des umweltpolitischen Schwerpunktprogramms in kann, ist eine zentrale Gestaltungsaufgabe dieses Jahr- der Nachhaltigkeitsstrategie von 2002 aufgegriffen und zehnts (EEAC 2009). Im Hinblick auf das EU-Budget, haben damit eine deutliche Aufwertung erfahren (SRU also die Integration der Ziele der Ressourceneffizienz 2000, S. 89 ff; SRU 2002, S. 162). Die faktische Bedeu- in die Ausgaben der EU, enthält der Fahrplan keine tung der konzeptionellen Vorarbeiten für das Schwer- programmatischen Aussagen. Hier kann das 7. UAP dazu beitragen, das von der Europäischen Kommis- punktprogramm kommt insbesondere dadurch zum Aus- sion im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens druck, dass ein in den Jahren 1996 bis 1998 aufwendig vorgeschlagene Ziel umzusetzen, 20 % des EU-Bud- erarbeitetes Programm 14 Jahre später noch die Zielstruk- gets für klimabezogene Ausgaben aufzuwenden. tur der aktuellen Nachhaltigkeitsstrategie in ihrer Um- weltdimension prägt. Eine deutliche Aktualisierung des – Schließlich ist aus dem „Fahrplan für ein ressour- Zielsystems fand durch das Energiekonzept der Bundes- ceneffizientes Europa“ noch kein hinreichender Bei- regierung (SRU 2011c) sowie durch die Nationale Strate- trag zur umweltpolitischen Schwerpunktbildung für gie zur biologischen Vielfalt statt (DOYLE et al. 2010; die kommende Dekade zu erkennen. Das 7. UAP BMU 2010; 2007). Dennoch ist das umweltpolitische sollte einige wenige, klar erkennbare thematische Zielsystem Deutschlands insgesamt aktualisierungsbe- Handlungsschwerpunkte formulieren, um begrenzte dürftig. Ein eigenständiges nationales Umweltprogramm Handlungskapazitäten Erfolg versprechend bündeln kann einerseits einen Beitrag zur Konkretisierung und zu können. politischen Akzeptanz des europäischen Umweltaktions- 705. Derzeit sind vor allem drei Optionen für eine Profi- programms im nationalen Kontext leisten, andererseits lierung des 7. UAPs in der Diskussion: besserer Vollzug auch weiterreichende Impulse für die EU setzen. Die Um- und bessere Koordinierung der Umweltpolitik, Beitrag zur weltpolitik der Pionierstaaten war in der Vergangenheit Umsetzung und Konkretisierung des Ressourcenfahrplans Voraussetzung und Vorläufer für eine anspruchsvolle und Vermittlung des neuen Konzepts ökologischer Gren- europäische Umweltpolitik (HÉRITIER et al. 1994; zen (VOLKERY et al. 2011). Von diesen Optionen ver- ANDERSEN und LIEFFERINK 1997; JÖRGENS 2004). spricht die Bezugnahme auf das Konzept der ökologischen Grenzen die anspruchsvollste und der Problemlage ange- 707. Auch in Deutschland sollte daher das umweltpoli- messenste Variante. Hierbei sollte im Hinblick auf die tische Zielsystem umfassend und dynamisch überarbeitet Zielformulierung und den konzeptionellen Rahmen auf sowie auf den aktuellen Wissensstand gebracht werden. die Vorarbeiten des Ressourcenfahrplans zurückgegriffen Eine solche Verknüpfung zwischen dem Stand der For- werden. Wichtig ist es dabei, einen wissensbasierten Pro- schung in den relevanten Wissensbereichen und der Poli- zess zur dynamischen Fortschreibung ausgewählter mit- tik ist nach Auffassung des SRU am besten im Rahmen telfristiger Umweltziele zu etablieren, insbesondere für eines integrierten Umweltprogramms zu realisieren. Ein zentrale Themen wie Stickstoffeintrag, Flächeninan- umfassendes Umweltprogramm könnte die Integration spruchnahme und Landnutzung, Wasserverfügbarkeit so- des Umweltschutzes in relevante Politikbereiche fördern, wie die Funktionserhaltung wichtiger Ökosysteme (z. B. Wechselwirkungen zwischen verschiedenen umweltpoli- Meere, Wälder, Feuchtgebiete). Ein Programm, das ledig- tischen Zielen aufzeigen, die Effektivität und Umsetzung lich bereits vereinbarte Ziele dokumentiert oder nur auf die des geplanten 7. UAPs auf der nationalen Ebene stärken bessere Umsetzung beschlossener Maßnahmen zielt, und gleichermaßen neue Impulse für die europäische und würde zu kurz greifen. Von einem 7. UAP sollten gut vor- nationale Umweltpolitik geben. Nicht zuletzt würde es bereitete und fachlich begründete Impulse für eine verbes- auch die Sichtbarkeit und Bedeutung der Umweltpolitik serte Umweltpolitikintegration und eine europäische jenseits des Klimaschutzes erhöhen und neue Impulse für Nachhaltigkeitsstrategie ausgehen. Mit dem Bericht zur die Aktualisierung der umweltbezogenen Ziele und Indi- Lage der Umwelt der Europäischen Umweltagentur exis- katoren in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie setzen.

383 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien

Die letzte veröffentlichte Bestandsaufnahme von Um- (vgl. Kap. 4) oder der Haltung der Bundesregierung zur weltzielen wurde im Jahr 2000 durch das Umweltbundes- Reform der europäischen Agrarpolitik (vgl. SRU 2007). amt erstellt (UBA 2000). Im Rahmen eines aktuellen Zum Teil haben die praktizierten Lösungsansätze zur Forschungsprojektes (Umweltforschungsplan, Forschungs- Folge, dass Probleme in andere Bereiche oder ins Ausland kennzahl UM10 17 907) erfolgt derzeit eine Sammlung verschoben werden. Darüber hinaus ist die Kohärenz zwi- der heute bestehenden Umweltqualitäts- und Handlungs- schen den einzelnen Politikbereichen bislang noch unzu- ziele. Diese Arbeiten sowie die Ziele, die im Rahmen von reichend, sodass es zu nicht aufeinander abgestimmten Sektorstrategien und thematischen Umweltstrategien ent- und gegenläufigen Handlungen kommt (z. B. umwelt- wickelt worden sind (z. B. Energiekonzept, nationales schädliche Subventionen, vgl. UBA 2010; GRUNWALD Ressourceneffizienzprogramm), können als Grundlage und KOPFMÜLLER 2006, S. 134). für ein aktualisiertes nationales Umweltprogramm ge- nutzt werden (für eine Analyse einzelner Umweltstrate- So ist etwa die Förderung eines vermehrten Einsatzes von gien vgl. z. B. Kap. 6.3 (Waldstrategie 2020) und Kap. 10 Biokraftstoffen ein eindrückliches Beispiel für eine mit (nationale Strategie zur biologische Vielfalt)). strategischen Sektorinteressen kompatible Strategie, die jedoch neue Umweltprobleme schafft. Mit den Ausbauzie- len für Biokraftstoffe sind unterschiedliche Risiken der 11.3.6 Analyse von Sektorstrategien Problemverlagerung verbunden (OECD und FAO 2011; mit Umweltrelevanz LABORDE 2011; BERINGER et al. 2011; BOWYER und 708. Sektorale Strategien im Zuständigkeitsbereich des KRETSCHMER 2011; GOKLANY 2011; HIEDERER Landwirtschafts-, Verkehrs- oder Wirtschaftsministeriums et al. 2010; WBGU 2009; SRU 2007; EEA 2011). Hohe bieten eine Chance sektorale, zumeist wirtschaftsnahe In- Biokraftstoffanteile sind in der Verkehrspolitik als Ersatz teressen und Politikpfade mit Umwelterfordernissen abzu- für herkömmliche, klimaschädliche Treibstoffe interes- gleichen und dabei möglicherweise Synergien zu entwi- sant, können aber durch direkte und indirekte Landnut- ckeln. Umwelterfordernisse werden gelegentlich aber nur zungsänderungen zu weitreichenden sozialen und ökolo- sehr selektiv aufgegriffen oder die Ministerien verfolgen gischen Problemen führen. Auch eine Umstellung auf Politikansätze, die zu Problemverlagerungen führen. Elektromobilität schließt Problemverlagerungen nicht aus. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die benötigte 709. Mit der Vereinbarung über regelmäßige – aller- Elektrizität nicht regenerativ erzeugt wird bzw. sich die dings freiwillige – Ressortberichte besteht grundsätzlich Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien an der ein Verfahrensinstrument der Verankerung der Ziele der Stromversorgung durch den steigenden Stromverbrauch Nachhaltigkeitsstrategie in den einzelnen Ministerien verlangsamt. Die Einführung der Elektromobilität ist als (BMU 2009; BMWi 2009; BMVBS 2009; 2011; BMBF Klimaschutzmaßnahme auch dann zweifelhaft, wenn da- 2009). Da jedoch bisher keine Einigkeit über die Schwer- mit verbunden ist, dass Anstrengungen zur Verbrauchssen- punkte der Ressortberichte sowie die darin abzudecken- kung herkömmlicher Fahrzeuge vernachlässigt werden. den Nachhaltigkeitsaspekte besteht, unterscheiden sie Der massive Flächenverbrauch durch den Individualver- sich stark in ihrer Konzeption und Ausrichtung sowie in kehr kann auch bei Einführung der Elektromobilität nur ihrem Verhältnis zur Nachhaltigkeitsstrategie (BERGER gesenkt werden, wenn eine Integration in nachhaltige ur- und STEURER 2009). Sie zeigen, dass Umweltziele oft- bane Mobilitätskonzepte gelingt (vgl. Kap. 5). Hingegen mals noch nicht systematisch genug in die zentralen und könnten sehr anspruchsvolle Effizienzstandards für Pkw strategischen Schwerpunktsetzungen integriert werden oder eine weiterreichende Steuerung der Verkehrsmittel- (JORDAN und LENSCHOW 2010; vgl. auch STIGSON wahl Umweltentlastungen ohne Risiken der Problemver- et al. 2009, S. 59). Allein durch die integrativen Impulse lagerung erreichen – diese Maßnahmen sind jedoch weit- von Sektor übergreifenden Institutionen (Staatssekretärs- aus schwerer mit sektoralen Interessen in Einklang zu ausschuss für nachhaltige Entwicklung, Nachhaltigkeits- bringen. Eine weitere Dimension der Problemverlagerung rat, Parlament), die auf den umfassenden Charakter nach- entsteht durch die Verlagerung von Produktionen ins Aus- haltiger Entwicklung abzielen, sind die Widerstände land, so zum Beispiel in der Holzwirtschaft. Ein Großteil derjenigen Akteure, deren Interessen in sektoralen Ent- des in Deutschland genutzten Holzes und der Holzpro- scheidungsstrukturen und -verfahren solide verankert dukte wird importiert (vgl. Kap. 6, Tz. 365). Die Importe sind, oft nicht zu überwinden. Zum Teil scheinen die sek- kommen zu einem erheblichen Teil aus Ländern mit gerin- toralen Strategien auch als Mittel der nachträglichen Er- geren gesetzlichen Standards als in Deutschland und aus klärung und Legitimierung von politischen Initiativen zu nicht-nachhaltiger Waldbewirtschaftung, ein Teil davon fungieren, die aus anderen politischen und institutionellen stammt sogar aus illegalem Einschlag (HIRSCHBERGER Prozessen hervorgegangen und nicht immer an Nachhal- 2008). tigkeitszielen orientiert sind (VOLKERY et al. 2006, S. 2061). 710. Solche Beispiele illustrieren zum einen, dass mitt- lerweile umweltbezogene Strategien in verschiedenen In einigen Politikbereichen werden ökologische Probleme Sektorpolitiken verankert sind, zum anderen aber, dass nicht hinreichend aufgegriffen. Dies gilt insbesondere für Umweltthemen nur selektiv aufgegriffen werden und eine den Schutz der biologischen Vielfalt, zum Beispiel in der Neuausrichtung strategischer Sektorinteressen mit Schwie- Waldstrategie (vgl. Kap. 6), der Politik zu den erneuerba- rigkeiten verbunden ist (JACOB 2008). Die Hauptursache ren Energien (insbesondere zur energetischen Nutzung hierfür liegt darin, dass ökologische Erfordernisse nicht von Biomasse, vgl. SRU 2011c; 2007), der Verkehrspolitik mit sektoralen Interessen vereinbar erscheinen. Deshalb

384 Politische Strategien stößt auch die innerbehördliche Koordination zwischen günstige situative Konstellation, in der auf eine vorhan- Umwelt- und Sektorpolitik an Grenzen. Eine Beschleuni- dene Lösung zurückgegriffen werden konnte (MATTHES gung des umwelttechnischen Fortschritts kann jedoch 2011; GLASER 2011). durch positive Rückkopplungen zwischen Politikprozess, Innovationsgeschehen und Marktdynamik gelingen Von hoher Bedeutung für die Umwelt- und Nachhaltig- (JÄNICKE 2010). Hier spielt das Leitbild des umweltver- keitspolitik sind weiterhin die Strategien des Umweltsek- träglichen Wachstums der Bundesregierung (Bundesregie- tors wie das Integrierte Energie- und Klimaschutzpro- rung 2002, S. 110; vgl. auch Kap. 1) insofern eine wich- gramm oder die nationale Strategie zur biologischen tige Rolle, als es auch zu einer Neudefinition sektoraler Vielfalt. Sie tragen dazu bei, einen übergeordneten Rah- Interessen führen kann: Die Marktdynamik umwelt- men für die Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik zu schaf- freundlicher Lösungen bringt Synergien mit ökonomi- fen sowie den politischen Willen für die Festsetzung von schen Interessen sowie neue politische Akteure ins Spiel, Zielen und Zeitplänen und deren Umsetzung aufzubauen. die das sektorale Interessengefüge verändern. Die Rolle der Branche der erneuerbaren Energien bei der Energie- Empfehlungen wende dürfte hierfür das aktuellste Beispiel sein (SRU 711. Der SRU sieht folgende Ansatzpunkte, um sekto- 2011c, S. 193 ff. und 225). Politikinnovationen, die meist rale Strategien für die Bearbeitung auch anspruchsvoller nur in kleinen Schritten eingeführt werden, schaffen über Umweltziele zu öffnen: längere Zeiträume die Bedingungen dafür, dass sich Ver- änderungsimpulse immer weiter verstärken. Ein neuer, – Regulativer Rahmen aufbauend auf ökologischen Leit- sich langfristig verstärkender Politikpfad kann entstehen, planken: Basis für den Erfolg sektoraler Umweltstra- wenn erste, noch unzureichende institutionelle Innovatio- tegien ist ein wirkungsvoller regulativer Rahmen, der nen und Maßnahmen den Ruf nach weitergehenden Refor- aus den politisch definierten ökologischen Leitplanken men auslösen und hierdurch der neue Pfad vertieft werden operationale Handlungsziele und Maßnahmenpakete kann (Policy-Feedback, vgl. PIERSON 1993; JORDAN ableitet. Dazu können verbindliche und überprüfbare und RAYNER 2010). Grenzwerte und Indikatoren, Aktionspläne, Maßnah- menkataloge, ökonomische Anreize sowie Evaluation Von besonderer Bedeutung für sektorale, umweltorien- und Monitoring gehören. Ein Positivbeispiel ist die tierte Transformationen ist die Mobilisierung und Stär- ressortübergreifende Strategie der Bundesregierung kung von „Pionieren des Wandels“ (WBGU 2011; zu zur Förderung der Windenergienutzung auf See (BMU „Helferinteressen“ vgl. von PRITTWITZ 1990) und Ak- et al. 2002), die von einem Forschungs- und Monito- teurskoalitionen, die dem traditionellen Übergewicht von ringprozess zu den Auswirkungen auf die Biodiversi- Verursacher- gegenüber Umweltschutzinteressen entge- tät begleitet wird, dessen Informationen wiederum für genwirken können. Sektorale Umweltpolitik kann dann die Planung von und für Standards zur Errichtung von erfolgreich sein, wenn der Zugang von Innovateuren zu Windparks genutzt werden. den informellen und formellen Netzwerken der sektoralen Politikberatung gezielt erleichtert und etablierte Akteurs- – Sektorale Verantwortung für die Einhaltung ökologi- netzwerke systematisch durchmischt werden. Auch die scher Grenzen und das Erkennen von Risiken: Sowohl Umweltpolitik kann sich hier zielgerichtet als Innova- der europäische Fahrplan für eine CO2-arme Wirt- tionsmotor profilieren (vgl. z. B. die Ausführungen zu schaft (Europäische Kommission 2011a) als auch das Trolley-Truck-Systemen in Abschn. 4.3.5.1). Energiekonzept der Bundesregierung (BMWi und BMU 2010) zeigen exemplarisch ein schrittweises Mit wachsenden Handlungs- und Lösungskompetenzen Verfahren sektoraler Verantwortungszuweisung. Aus von Innovateuren gelingt auch die Thematisierung an- dem allgemeinen Handlungsziel einer weitgehenden spruchsvoller Umweltprobleme besser, weil sie als lösbar Verminderung von Treibhausgasen werden sektorale erkannt werden (von PRITTWITZ 1990; 2011). In die- Handlungsziele abgeleitet, die Orientierung für die sem Sinne kommt einer gezielten Forschungs- und Weiterentwicklung von Sektorpolitiken geben. Ein Markteinführungspolitik eine wichtige Rolle zu. Hier- solchermaßen systematisches Vorgehen sollte auch in durch werden Handlungskapazitäten gestärkt, die die Vo- anderen umweltpolitischen Handlungsfeldern gezielt raussetzungen für eine verbesserte sektorale Akzeptanz vorangetrieben werden. Darüber hinaus sind Strate- anspruchsvoller Umweltziele schaffen. gien des Umweltsektors ein unverzichtbarer Bestand- teil der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Sie sind Neben der Wahrnehmung von Problemen und der Ausbil- durch langfristige Umweltqualitätsziele zu ergänzen dung von Lösungskapazitäten sind politische Opportunitä- und mit den umweltrelevanten Fachpolitiken zu kop- ten und Entscheidungsgelegenheiten maßgeblich für die peln. Umsetzung von sektoralen Umweltstrategien (KINGDON 2011). Solche situativen Erfolgsbedingungen sind nicht – Etablierte Strukturen transformieren bzw. stärken: direkt steuerbar. Es ist aber von hoher Bedeutung, dass ro- Eine wichtige institutionelle Flankierung einer schritt- buste, nachhaltige Lösungsansätze verfügbar sind, wenn weisen Veränderung sektoraler Handlungsstrategien sich günstige Konstellationen oder zeitlich begrenzte Ge- sind veränderte Berichtspflichten, Evaluationsverfah- legenheiten einstellen. Die Abkehr von der Laufzeitver- ren sowie Verantwortungs- und Ressourcenstrukturen längerung für Atomkraftwerke nach dem Unfall von Fu- (VOLKERY et al. 2006, S. 2051 ff.). Durch die Minis- kushima ist ein interessantes Beispiel für eine solche terien angefertigte Nachhaltigkeitsberichte mit res-

385 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien

sortspezifischen Zielen und fundierten Arbeitspro- nikfreie Regionen (PICK 2009, S. 162 ff.) oder die grammen sollten insbesondere darstellen, wie die beispielgebende Abfall-, Verkehrs- oder Klimapolitik Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie systematisch in das einzelner Bundesländer und Kommunen (JÖRGEN- operative Tagesgeschäft transformiert werden und wie SEN 2002; 2008; SCHREURS 2008). eine entsprechende Allokation von Verantwortlichkei- ten erfolgt. Die Ressortberichte sollten obligatorisch 11.4 Zur Notwendigkeit von in der Nachhaltigkeitsstrategie verankert, nach einem institutionellen Reformen einheitlichen Muster vergleichbar gestaltet und mit verbindlichen Zielen, Maßnahmen und Zeitplänen 712. Strategieprozesse können im Hinblick auf eine konkretisiert werden. Die Ministerien sollten ver- Ausrichtung von Regierungshandeln auf ökologische pflichtet sein, in regelmäßigen Abständen zu berichten Ziele wichtige Funktionen erfüllen. Nach Auffassung des und die Berichte zu veröffentlichen. Die Fortschritte SRU sind jedoch weitere institutionelle Vorkehrungen nö- der sektoralen Nachhaltigkeitspolitik sind von unab- tig, um Umweltinteressen im politischen Prozess zu stär- hängiger Seite zu evaluieren und bei Fehlentwicklun- ken. gen sollten wirksame Instrumente zur Gegensteuerung eingesetzt werden (Deutscher Bundestag 2010, S. 5). – Umweltintegrationsklausel: Voraussetzung für die Einhaltung ökologischer Grenzen ist, dass Umweltpo- – Innovateure stärken und Asymmetrien entgegenwir- litik nicht nur vom Umweltressort gemacht wird, son- ken: Ökonomische Aspekte werden oft unmittelbar dern dass auch Entscheidungen in anderen, verursa- von durchsetzungsstarken Interessenverbänden vertre- chernahen Politikfeldern mit Rücksicht auf die ten. Dagegen werden ökologische Belange durch ver- Umwelt getroffen werden. Dies gilt gerade auch ange- gleichsweise schwache Organisationen vermittelt und sichts der Tatsache, dass ökologische Grenzen inzwi- vertreten (ADEN 2012; FEINDT und SARETZKI schen in mehreren Bereichen erreicht sind oder in ab- 2010). Um die Einhaltung ökologischer Ziele im ad- sehbarer Zeit erreicht werden (vgl. Abschn. 1.2.4). ministrativen System besser zu verankern und die Um die Wahrnehmung von Umweltschutz als Quer- Aufmerksamkeit für unerwünschte potenzielle Neben- schnittsaufgabe zu fördern, ist es aus Sicht des SRU wirkungen von Maßnahmen in einem Politikfeld zu sinnvoll, das Ziel der Integration von Umweltschutz in verbessern, ist denjenigen Akteuren mehr Gehör zu alle Politikbereiche verfassungsrechtlich zu veran- verschaffen, die auf solche Auswirkungen hinweisen kern, wie es auf europäischer Ebene bereits gelungen oder konkretes Interesse an einer Problemlösung ha- ist (vgl. Abschn. 11.2.1). Angelehnt an die Quer- ben. Diejenigen Kapazitäten sollten gestärkt werden, schnittsklausel des Artikels 11 AEUV könnte eine sol- mit denen aus systemischer Perspektive zu bevorzu- che (verfassungs-)rechtliche Verpflichtung in einem gende Lösungen erreicht und durch die Umweltschä- neuen Artikel 20a Absatz 2 GG wie folgt formuliert den verhindert oder beseitigt werden können. werden: „Die Erfordernisse des Umweltschutzes müs- sen bei der Festlegung und Durchführung aller staat- – Dies kann beispielsweise geschehen, indem Umwelt- lichen Politiken und Maßnahmen, insbesondere im technologien gefördert, Vertreter von Umweltbelan- Interesse künftiger Generationen, berücksichtigt wer- gen an Entscheidungsprozessen beteiligt oder Nach- den. Insoweit haben Bundesregierung und Bundestag haltigkeitsstandards gesetzt werden. Von großer geeignete institutionelle und organisatorische Vorkeh- Bedeutung ist hierbei die Einbeziehung von Umwelt- rungen zu treffen.“ und Naturschutzverbänden, die oftmals frühzeitig auf – Initiativrecht des Umweltministeriums in anderen Ge- die Nebenfolgen einer einseitig ökonomisch ausge- schäftsbereichen: Der SRU spricht sich dafür aus, dem richteten Sektorstrategie hinweisen (Oswald von Nell- Umweltministerium ein Initiativrecht außerhalb des Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaft- eigenen Geschäftsbereiches zu geben, um umweltpoli- sethik der Philosophisch-Theologischen Hochschule tische Initiativen in anderen Politikbereichen anzusto- Sankt Georgen 1996). Auch können projektbezogene, ßen. Dies könnte den Handlungsspielraum und Ein- ressortübergreifende Arbeitsgruppen hilfreich sein, zu fluss des Umweltministeriums deutlich stärken. Nach deren Aufgaben explizit die Beachtung ökologischer § 15a der Geschäftsordnung der Bundesregierung be- Ziele im politischen Prozess gehört. Zudem sollte die sitzt bereits das Ministerium für Familie, Senioren, personelle Ausstattung des Bundesumweltministeri- Frauen und Jugend ein solches Initiativrecht in Ange- ums für ressortabstimmungsrelevante Prozesse ver- legenheiten von frauenpolitischer Bedeutung. bessert werden (JACOB 2008). – Suspensives Widerspruchsrecht des Umweltministe- – Subnationale Vorreiter: Kommunen und Bundeslän- riums: Darüber hinaus könnte dem Umweltminister ein der können als Vorreiter fungieren. Hier werden viel- suspensives Widerspruchsrecht im Kabinett zukom- fach innovative Konzepte entwickelt, deren mögliche men, wenn es um Fragen von erheblicher ökologischer Projektion auf die nationale Ebene zu prüften ist. Bei- Bedeutung geht. Nach § 26 der Geschäftsordnung der spiele hierfür sind die Förderung erneuerbarer Ener- Bundesregierung besitzt bereits der Bundesfinanz- gien im Wärmebereich durch Baden-Württemberg minister das Recht, in Fragen von finanzieller Bedeu- (NAST et al. 2009, S. 74 ff.), zahlreiche Regionen, die tung Widerspruch gegen einen Beschluss der Bundes- eine Elektrizitätsversorgung zu 100 % mit erneuerba- regierung einzulegen. Es kann allerdings in einer ren Energien anstreben (SRU 2011c, S. 226), gentech- weiteren Sitzung überstimmt werden (Absatz 1). Das

386 Zur Notwendigkeit von institutionellen Reformen

Gleiche gilt für den Justiz- und den Innenminister, hier darüber berichten, ob ökologische Ziele – wie bei- allerdings nur, wenn der Widerspruch mit einer Un- spielsweise in den Bereichen Klimaschutz, Arten- vereinbarkeit mit bestehendem Recht begründet wird schutz und Ressourcenschonung – eingehalten wer- (Absatz 2). Ein solches suspensives Widerspruchs- den. Die bestehende IMA „Umsetzung der Nationalen recht wird schon seit längerem in der wissenschaftli- Strategie zur biologischen Vielfalt“ könnte in eine sol- chen Literatur diskutiert (CALLIESS 2001, S. 515 ff.; che erweiterte IMA „Natur- und Umweltschutz“ inte- JACOB und VOLKERY 2007; MÜLLER 1995; 2002; griert werden. PEHLE 1998) und ist gerade auch in Analogie zur Haushaltspolitik gut zu begründen. Auch hinsichtlich – Mobilität von Mitarbeitern der Bundesbehörden: Das der Einhaltung ökologischer Grenzen geht es um eine querschnittsorientierte Arbeiten innerhalb der Bundes- institutionalisierte Vorkehrung, die gewährleisten soll, regierung ist darüber hinaus dadurch zu verbessern, dass das Regierungshandeln ein politisch vorgegebe- dass Mitarbeiter verstärkt dazu motiviert werden, in nes Budget respektiert. Die Effektivität eines solchen sinnvollen Zeitabständen ihre Positionen innerhalb Instrumentes steht freilich in Wechselwirkung mit und zwischen den Ministerien zu wechseln. Die deut- dem gesellschaftlichen Stellenwert der Erhaltung na- sche Bundesverwaltung zeichnet sich – beispielsweise türlicher Lebensgrundlagen. Es ist dabei nicht davon im Vergleich zur Verwaltung der EU und in angelsäch- auszugehen, dass das Widerspruchsrecht regelmäßig sischen Ländern – durch eine hohe fachliche Speziali- ausgeübt wird – dies ist auch bisher nicht der Fall sierung und relativ geringe Mobilität zwischen den (BUSSE und HOFMANN 2010, S. 87). Vielmehr soll Ressorts aus. Das damit verbundene Problem ressort- eine antizipative Wirkung erzielt werden, das heißt, loyaler „Fachbrüderschaften“ als mentale Barriere für das suspensive Widerspruchsrecht soll einen weiteren integrative Problemlösungsansätze ist kritisch analy- Ansatz für einen frühzeitigen konstruktiven Dialog siert worden (HEY 1998, S. 52). mit dem Umweltministerium geben und dessen Ver- handlungsmacht in ökologisch besonders bedeutsa- – Umweltbezogenes Subventionscontrolling: Ein weite- men Angelegenheiten stärken (MÜLLER 1995; rer wichtiger Ansatzpunkt für ein ökologisches Main- PEHLE 1998). Es kann gleichzeitig aber auch als Auf- streaming innerhalb des Regierungsapparates ist die trag an das Umweltministerium verstanden werden, Bewertung der Umweltverträglichkeit bei Haushaltsent- Vorhaben anderer Ressorts mit mehr Nachdruck und scheidungen. Prioritär sollten bestehende umweltschäd- Aufmerksamkeit zu prüfen. Falls der Umweltminister liche Subventionen überprüft und abgebaut werden. Da- von seinem Widerspruchsrecht im Einzelfall tatsäch- für eignet sich ein systematisches umweltbezogenes lich Gebrauch macht, hätte das Instrument lediglich Subventionscontrolling, wie es vom Umweltbundes- zur Folge, dass eine Entscheidung verschoben, nicht amt vorgeschlagen wurde (UBA 2010). aber, dass sie blockiert wird. Sowohl das Initiativ- als – Umweltfreundliche öffentliche Beschaffung: Beste- auch das suspensive Widerspruchsrecht für den Um- hende Bemühungen, das Instrument der öffentlichen weltminister könnten durch einfachen Regierungsbe- Beschaffung zur Förderung von Umweltzielen einzu- schluss eingeführt werden. setzen, sollten fortgeführt und intensiviert werden. Ein – Interministerielle Arbeitsgruppe „Natur- und Umwelt- Beispiel dafür ist die Anpassung der Vergabeverord- schutz“: Im Zuge eines Mainstreamings ökologischer nung des Bundes, die nunmehr vorsieht, dass Produkte Themen setzen sich auch andere Ressorts als das Um- und Dienstleistungen beschafft werden, die im Hin- weltministerium zunehmend mit ökologischen He- blick auf ihre Energieeffizienz die höchsten Leistungs- rausforderungen auseinander (vgl. Tz. 666). Hierdurch niveaus haben und zur höchsten Effizienzklasse gehö- entstehen Abstimmungserfordernisse, die nicht aus- ren. Solche Vorgaben sollten verstärkt auch in anderen schließlich im Rahmen von Strategieprozessen erfüllt Bereichen sowie auf Ebene der Länder und Kommu- werden können, sondern auch institutionellen Nieder- nen gemacht werden. schlag finden müssen. Um eine intensivere und früh- – Vertikale Integration: Die Einhaltung ökologischer zeitige Koordination zwischen den Ressorts zu ermög- Grenzen ist eine Aufgabe, die von Bund, Ländern und lichen und einen Abgleich von Ressortaktivitäten mit Kommunen gemeinsam wahrgenommen werden muss. übergreifenden Umweltqualitätszielen zu erlauben, Die fachliche Zusammenarbeit in etablierten Bund- könnte eine interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) Länder-Gremien (v. a. im Rahmen der Umweltminis- „Natur- und Umweltschutz“ unter Federführung des terkonferenz) sollte stärker auch die übergreifenden BMU ins Leben gerufen werden. Daran sollten alle und strategischen Fragen des Umweltschutzes thema- Ministerien beteiligt sein, deren Aktivitäten unmittel- tisieren. Darüber hinaus ist auch in der Nachhaltig- bar oder mittelbar einen erheblichen Einfluss auf den keitspolitik eine engere Kooperation zwischen Bund Zustand der Umwelt haben, wie beispielsweise die und Ländern notwendig. Ansätze für eine intensivere Bundesministerien für Wirtschaft und Verkehr. Auf- Zusammenarbeit der Regierungszentralen im Rahmen gabe der interministeriellen Arbeitsgruppe wäre es, der Nachhaltigkeitsstrategie bestehen bereits seit 2008 die Verwirklichung der prioritären Umweltschutzziele (Bundesregierung 2012, S. 58 f.). In einer ad hoc zu- der Bundesregierung – wie sie in einem integrierten sammentretenden „AG Nachhaltigkeit“ hatten sich Umweltprogramm festgeschrieben sein sollten (Ab- zeitweise Vertreter der Länder (Staats- und Senats- schn. 11.3.5.2) – in den entsprechenden Ressorts zu kanzleien sowie Umweltressorts) mit Vertretern des begleiten. Sie sollte dem Bundeskabinett regelmäßig Bundes (Bundeskanzleramt sowie einzelne Ressorts)

387 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien

über wichtige Themenbereiche ausgetauscht. Dazu ge- – In Deutschland sollte das umweltpolitische Zielsystem hörten insbesondere Nachhaltigkeitsindikatoren und umfassend überarbeitet und dynamisch an den aktuel- -ziele, die nachhaltige öffentliche Beschaffung und die len Wissensstand angepasst werden. Eine solche Ver- Reduzierung der Flächeninanspruchnahme. Diese Zu- knüpfung zwischen dem Stand der Forschung in den sammenarbeit sollte nach Auffassung des SRU in ei- relevanten Wissensbereichen und der Politik ist nach ner fest etablierten Bund/Länder-Arbeitsgruppe Nach- Auffassung des SRU am besten im Rahmen eines inte- haltigkeit auf Ebene der Staats- und Senatskanzleien grierten Umweltprogramms zu realisieren. Ein umfas- unter der Federführung des Bundeskanzleramts verste- sendes Umweltprogramm könnte die Integration des tigt werden. Die Bundesländer sollten erwägen, ob die Umweltschutzes in relevante Politikbereiche fördern, hier für die Bundesebene vorgeschlagenen Instru- Wechselwirkungen zwischen verschiedenen umwelt- mente (verfassungsrechtliche Querschnittsklausel, Ini- politischen Zielen aufzeigen, die Effektivität und Um- tiativ- und Widerspruchsrecht des Umweltministers, setzung des geplanten 7. UAPs auf der nationalen integriertes Umweltprogramm, interministerielle Ar- Ebene stärken und gleichermaßen neue Impulse für beitsgruppe, umweltbezogenes Subventionscontrol- die europäische und nationale Umweltpolitik geben. ling, umweltfreundliche öffentliche Beschaffung und Grundlage eines aktualisierten nationalen Umweltpro- Förderung der Mobilität der Mitarbeiter) auch auf gramms sollten dabei unter anderem die relevanten Landesebene sinnvoll eingeführt werden können, um Sektorstrategien und thematischen Umweltstrategien die Integration von Umweltbelangen in den Bundes- bilden (z. B. Energiekonzept, nationale Strategie für ländern und damit auch in der Bund-Länder-Zusam- biologische Vielfalt, nationales Ressourceneffizienz- menarbeit zu fördern. programm).

11.5 Zusammenfassung Orientierung von politischen Strategien 713. Angesichts von globalem Bevölkerungswachs- an Umweltqualitätszielen tum, fortschreitender Industrialisierung der Schwellen- 715. Auch politische Strategien außerhalb des Umwelt- länder und andauerndem Wirtschaftswachstum in Indus- ressorts können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die trieländern werden weltweit enorme Anstrengungen Politikentwicklung stärker auf ökologische Belastungs- notwendig sein, um Entwicklungspfade einzuschlagen, grenzen auszurichten. Dazu ist es jedoch unbedingt erfor- die folgenreiche Überschreitungen ökologischer Grenzen derlich, dass sie einen Bezug zu mittel- und langfristigen vermeiden (EEA 2010b; REID et al. 2005; IPCC 2007). ökologischen Zielsetzungen herstellen. Übergreifende Ein solcher Prozess birgt enorme, auch politische Heraus- Prozesse wie die Europa 2020-Strategie und die deutsche forderungen, die noch kaum in einer breiteren gesell- Nachhaltigkeitsstrategie bieten eine wichtige Orientie- schaftlichen Debatte reflektiert werden. Im vorliegenden rungsfunktion für nationale und europäische Politikpro- Kapitel identifiziert der SRU drei Ansatzpunkte für eine zesse. Insbesondere formulieren sie einen Referenzrah- nationale und europäische Politik zur Einhaltung ökologi- men für den allgemeinen umweltpolitischen Diskurs. Die scher Grenzen: eine Stärkung von Schnittstellen zwischen zu beobachtende Dominanz des Diskursrahmens der grü- Wissenschaft und Politik, eine Orientierung von politi- nen Ökonomie in vielen dieser Prozesse (vgl. Tz. 681) ist schen Strategien an Umweltqualitätszielen und die Stär- jedoch dann problematisch, wenn sie eine unzulässige kung umweltpolitischer Institutionen. Verengung der Legitimation des Umweltschutzes auf den ökonomischen Nutzen mit sich bringt. Stärkung von Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Politik Es muss weiterhin die Aufgabe von Nachhaltigkeitsstrate- gien sein, den Rahmen für einen langfristigen, integrieren- 714. Die Identifizierung und Thematisierung von ökolo- den, auf quantitative Ziele ausgerichteten und partizipati- gischen Grenzen findet an den Schnittstellen zwischen ven Strategieprozess zu bieten, der auch entsprechende Wissenschaft und Politik statt. Auf globaler Ebene bilden Monitoring- und Evaluationsprozesse beinhaltet. Dabei sich nach dem Vorbild des Intergovernmental Panel on müssen Nachhaltigkeitsstrategien zunehmend wieder auf Climate Change (IPCC) auch in anderen Umweltberei- die ökologischen Belastungsgrenzen und ihre Unterschrei- chen Institutionen der wissenschaftlichen Politikberatung tung refokussiert werden. Die grüne Ökonomie sollte als heraus, die solche Prozesse anstoßen können (vgl. Kap. 1, ein Instrument zur Erreichung nachhaltiger Entwicklung Tz. 84). Auf nationaler und europäischer Ebene sind nach angesehen werden. In diesem Sinne kommt der SRU zu Auffassung des SRU keine neuen Institutionen erforder- folgenden Empfehlungen: lich, sondern bestehende Strategien sollten in diesem Sinne weiterentwickelt werden: – Die europäische Nachhaltigkeitsstrategie sollte als übergeordnete Langfriststrategie fortgeschrieben wer- – Die Entwicklung des 7. UAPs sollte als wissensbasier- den, nicht zuletzt um die Kontinuität der im Kontext ter Prozess zur dynamischen Fortschreibung mittelfris- der Strategie entstandenen Institutionen und Akteurs- tiger Umweltziele angelegt sein. Es sollte die Wechsel- netzwerke auf europäischer und nationaler Ebene si- wirkungen zwischen verschiedenen Umweltbereichen cherzustellen. – zum Beispiel Klimaschutz und Naturschutz – pro- grammatisch abbilden und umweltpolitische Schwer- – Bei der Fortschreibung der nationalen Nachhaltigkeits- punkte setzen, um begrenzte Handlungskapazitäten zu strategie sollte in Zukunft das Ziel der Erhaltung der bündeln. natürlichen Lebensgrundlagen stärkeren Niederschlag

388 Zusammenfassung

im Nachhaltigkeitsmodell sowie im Indikatoren- und Andersen, M. S., Liefferink, D. (1997): European Envi- Zielsystem finden. Die Nachhaltigkeitsprüfung sollte ronmental Policy. The Pioneers. Manchester: Manchester gestärkt, besser in den Politikformulierungsprozess in- University Press. tegriert und langfristig in Richtung einer integrierten Folgenabschätzung nach Vorbild des europäischen Im- AS-PTA (Agricultura Familiar e Agroecologia), EED pact-Assessment-Verfahrens fortentwickelt werden. (Evangelischer Entwicklungsdienst), CTDT (Commu- nity Technology Development Trust), ECASARD (Ecu- – Sektorale Strategien mit Umweltrelevanz sollten einen menical Association for Sustainable Agriculture and Ru- stärkeren und systematischeren Bezug zu Umweltqua- ral Development), EJN (Ecumenical Justice Network), litäts- und Umwelthandlungszielen herstellen, um zu FASE (Federação de Órgãos para Assistência Social e vermeiden, dass der Fokus auf isolierte, technische Educacional), FLD (Fundaçao Luterana de Diaconia), Lösungen gesetzt wird, die zu einer Problemverlage- GeED (Gender Empowerment and Development), rung führen oder quantitativ hinter den notwendigen IBASE (Instituto Brasileiro de Análises Sociais e Econô- Verbesserungen zurückbleiben. micas), INESC (Instituto de Estudos Socioeconômicos), UBINIG (Policy Research for Development Alterna- Stärkung umweltpolitischer Institutionen tives), Third World Network (2012): The Future They Want. A Critique of the Rio+20 Zero Draft. Bonn: EED. 716. Wesentliches Hemmnis für den Schutz der Umwelt http://www.eed.de/fix/files/doc/eed_ua_critique_zero%20 bleibt die strukturelle Durchsetzungsschwäche von dis- drafteng_2012.pdf (13.02.2012). persen, langfristigen Umweltinteressen der Allgemeinheit Baker, S. (2007): Sustainable development as symbolic im Vergleich zu relativ konzentrierten und politisch gut commitment: Declaratory politics and the seductive ap- repräsentierten Verursacherinteressen. Auch wenn dieser peal of ecological modernisation in the European Union. Gegensatz durch das anhaltende Wachstum von Märkten Environmental Politics 16 (2), S. 297–317. für Umwelt- und Effizienztechnologien abgeschwächt wird, bleibt es notwendig, Umweltschutz und Langfristin- Bär, H., Jacob, K., Werland, S. (2011): Green Economy teressen institutionell zu stärken. Ansatzpunkte dafür Discourses in the Run-up to Rio 2012. Berlin: Forschungs- könnten nach Auffassung des SRU die folgenden sein: zentrum für Umweltpolitik. FFU-Report 07–2011. – eine Umweltintegrationsklausel nach europäischem Barbier, E. B. (2010): A global green new deal. Rethin- Vorbild, durch die das Ziel der Berücksichtigung von king the economic recovery. Cambridge: Cambridge Uni- Umweltbelangen in allen Politikbereichen verfas- versity Press. sungsrechtlich verankert wird, Berger, G., Hametner, M. (2008): Post-2010: The Future – ein Initiativrecht des Umweltministeriums in anderen of the EU SDS and its Interface with the Lisbon Process. Geschäftsbereichen, um umweltpolitische Initiativen Workshop Report of the 3rd ESDN Workshop. Brüssel: in anderen Politikbereichen anzustoßen, European Sustainable Development Network, Sustaina- ble Development Observatory of the European Economic – ein suspensives Widerspruchsrecht des Umweltminis- and Social Committee. http://www.sd-network.eu/?k= ters im Kabinett bei Fragen von erheblicher ökologi- ESDN%20workshops&s=workshop%20documentation& scher Bedeutung, year=2008a (15.04.2011). – eine interministerielle Arbeitsgruppe „Natur- und Um- Berger, G., Sedlacko, M., Gjoski, N. (2010): Towards an weltschutz“, die eine intensivere und frühzeitigere Ko- Economy compatible with Sustainable Development ordination zwischen den Ressorts ermöglicht und vor Principles: „Green Strategies in the context of Sustainable allem einen Abgleich von Ressortaktivitäten mit über- Development“. Conference Discussion Paper. Ghent: Eu- greifenden Umweltqualitätszielen erlaubt, ropean Sustainable Development Network. – eine Förderung der Mobilität von Mitarbeitern der Berger, G., Steurer, R. (2009): Horizontal Policy Integra- Bundesbehörden, sowohl innerhalb als auch zwischen tion and Sustainable Development: Conceptual remarks den einzelnen Einrichtungen, and governance examples. ESDN Quarterly Report 2009 (June). http://www.sd-network.eu/?k=quarterly%20reports – ein umweltbezogenes Subventionscontrolling, &report_id=13 (03.02.2012). – die Förderung einer umweltfreundlichen öffentlichen Beringer, T., Lucht, W., Schaphoff, S. (2011): Bioenergy Beschaffung sowie production potential of global biomass plantations under – die Umsetzung von Integrationsmechanismen auf der environmental and agricultural constraints. GCB Ebene der Bundesländer. Bioenergy 3 (4), S. 299–312. BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) 11.6 Literatur (2009): Ressortbericht des BMBF zum St-Ausschuss für Nachhaltige Entwicklung. Berlin: BMBF. Aden, H. (2012): Umweltpolitik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. http://www.springerlink.com/ BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und content/m3073121x67t3383/fulltext.pdf (06.02.2012). Reaktorsicherheit) (2010): Indikatorenbericht 2010 zur

389 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien

Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Berlin: mar, P. (Hrsg.): The economics of ecosystems and biodi- BMU. versity – Economical and ecological foundations. Lon- don: Earthscan, S. 149–182. BMU (2009): Nachhaltige Entwicklung durch moderne Umweltpolitik. Perspektiven für Generationengerechtig- Brönneke, T. (Hrsg.) (1999): Umweltverfassungsrecht. keit, Lebensqualität, Sozialen Zusammenhalt und Interna- Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Grund- tionale Verantwortung. Berlin: BMU. gesetz sowie in den Landesverfassungen Brandenburgs, Niedersachsens und Sachsens. Baden-Baden: Nomos. BMU (2007): Nationale Strategie zur biologischen Viel- Studien und Materialien zur Verfassungsgerichtsbarkeit falt, vom Bundeskabinett am 7. November 2007 be- 76. schlossen. Berlin: BMU. BMU (2006): Ökologische Industriepolitik. Memoran- Bruckmann, P. (2010): Umsetzung wissenschaftlicher Er- dum für einen „New Deal“ von Wirtschaft, Umwelt und kenntnisse in die Politik am Beispiel der EU Luftquali- Beschäftigung. Berlin: BMU. täts-Richtlinien. Umweltmedizin in Forschung und Praxis 15 (2), S. 113–121. BMU, BMWi (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie), BMVBW (Bundesministerium für Verkehr, Bundesregierung (2012): Nationale Nachhaltigkeitsstra- Bau und Wohnungswesen), BMVEL (Bundesministerium tegie. Fortschrittsbericht 2012. Berlin: Presse- und Infor- für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft), mationsamt der Bundesregierung. BMVg (Bundesministerium für Verteidigung), dena Bundesregierung (2008): Für ein nachhaltiges Deutsch- (Deutsche Energie-Agentur) (2002): Strategie der Bun- land. Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen Nachhaltig- desregierung zur Windenergienutzung auf See im Rah- keitsstrategie. Berlin: Presse- und Informationsamt der men der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Bundesregierung. Berlin: BMU, BMWi, BMVBW, BMVEL, BMVg, dena. Bundesregierung (2002): Perspektiven für Deutschland. BMVBS (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt- Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung. Ber- entwicklung) (2011): Verantwortung tragen – Zukunft ge- lin: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. stalten. Nachhaltigkeitsbericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Berlin: BMVBS. Busse, V., Hofmann, H. (2010): Bundeskanzleramt und Bundesregierung. Aufgaben, Organisation, Arbeitsweise. BMVBS (2009): Weichen stellen für morgen. Nachhaltig- 5., neu bearb. und aktualisierte Aufl. Heidelberg, Mün- keitsbericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau chen, Landsberg, Frechen, Hamburg: Müller. und Stadtentwicklung Berlin: BMVBS. Calliess, C. (2001): Rechtsstaat und Umweltstaat: Zu- BMWi (2010): Rohstoffstrategie der Bundesregierung. gleich ein Beitrag zur Grundrechtsdogmatik im Rahmen Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung mehrpoliger Verfassungsrechtsverhältnisse. Tübingen: Mohr Deutschlands mit nicht-energetischen mineralischen Roh- Siebeck. Jus Publicum 71. stoffen. Berlin: BMWi. Calliess, C., Ruffert, M. (2011): EUV/AEUV. Das Verfas- BMWi (2009): Nachhaltiges Wirtschaftswachstum si- sungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer chern. Wirtschaftskrise bewältigen. Vertrauen schaffen. Grundrechtecharta. Kommentar. 4. Aufl. München: Beck. Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Tech- nologie zur Information des Staatssekretärsausschusses Costanza, R., D'Arge, R., Groot, R. de, Farber, S., Grasso, für nachhaltige Entwicklung auf der Sitzung am M., Hannon, B., Limburg, K., Naeem, S., O’Neill, R. V., 9. Februar 2009. Berlin: BMWi. Paruelo, J., Raskin, R. G., Sutton, P., Belt, M. van den (1997): The value of the world's ecosystem services and BMWi, BMU (2010): Energiekonzept für eine umwelt- natural capital. Nature 387 (6630), S. 253–260. schonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversor- gung. Berlin: BMWi, BMU. Daviter, F. (2007): Policy Framing in the European Union. Journal of European Public Policy 14 (4), Borgstedt, S., Christ, T., Reusswig, F. (2010): Repräsenta- S. 654–666. tivumfrage zu Umweltbewusstsein und Umweltverhalten im Jahr 2010. Berlin, Dessau-Roßlau: Bundesministerium Deutscher Bundestag (2011a): Unterrichtung durch den für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Umwelt- Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung. bundesamt. Europäische Nachhaltigkeitsstrategie. Berlin: Deutscher Bundestag. Bundestagsdrucksache 17/5295. Bowyer, C., Kretschmer, B. (2011): Anticipated Indirect Land Use Change Associated with Expanded Use of Bio- Deutscher Bundestag (2011b): Unterrichtung durch den fuels and Bioliquids in the EU – An Analysis of the Na- Parlementarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung. tional Renewable Energy Action Plans. London: Institute Bericht des Parlamentarischen Beirats über die Nachhal- for European Environmental Policy. http://www.ieep.eu/ tigkeitsprüfung in der Gesetzesfolgenabschätzung und die assets/786/Analysis_of_ILUC_Based_on_the_National_ Optimierung des Verfahrens. Berlin: Deutscher Bundes- Renewable_Energy_Action_Plans.pdf (06.02.2012). tag. Bundestagsdrucksache 17/6680. Brondízio, E. S., Gatzweiler, F. (2010): Socio-cultural Deutscher Bundestag (2010): Unterrichtung durch den context of ecosystem and biodiversity valuation. In: Ku- Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung.

390 Literatur

Stellungnahme des Parlamentarischen Beirats für nach- Europäische Kommission (2011c): Mitteilung der Kom- haltige Entwicklung – Peer Review der deutschen Nach- mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- haltigkeitspolitik. Berlin: Deutscher Bundestag. Bundes- ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den tagsdrucksache 17/1657. Ausschuss der Regionen. Lebensversicherung und Natur- kaptial. Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr Doyle, U., Vohland, K., Ott, K. (2010): Biodiversitäts- 2020. KOM(2011) 244 endg. Brüssel: Europäische Kom- politik in Deutschland. Defizite und Herausforderungen. mission. Natur und Landschaft 85 (7), S. 308–313. Europäische Kommission (2011d): Mitteilung der Kom- Dreier, H. (Hrsg.) (2006): Grundgesetz. Kommentar. mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- Bd. 2: Art. 20–82. 2. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck. ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den EEA (European Environment Agency) (2011): Opinion Ausschuss der Regionen. Ressourcenschonendes Europa – of the EEA Scientific Committee on the greenhouse gas eine Leitinitiative innerhalb der Strategie Europa 2020. accounting in relation to bioenergy. Copenhagen: EEA. KOM(2011) 21 endg. Brüssel: Europäische Kommission. EEA (2010a): The European environment – State and Europäische Kommission (2011e): Mitteilung der Kom- outlook 2010. Assessment of global megatrends. Copen- mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- hagen: EEA. ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Sechstes Umweltaktionspro- EEA (2010b): The European environment – State and gramm der Europäischen Gemeinschaft. Abschließende outlook 2010. Synthesis. Copenhagen: EEA. Bewertung. KOM(2011) 531 endg. Brüssel: Europäische EEA (2007): The pan-European environment: Glimpses Kommission. into an uncertain future. Luxembourg: Office for Official Europäische Kommission (2011f): Weissbuch. Fahrplan Publications of the European Communities. EEA Report zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin 4/2007. zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenscho- EEAC (European Environment and Sustainable Develop- nenden Verkehrssystem. KOM(2011) 144 endg. Brüssel: ment Advisory Councils) (2011a): A Road Map for a Europäische Kommission. competitive Low Carbon Economy and lessons for the Europäische Kommission (2010): Mitteilung der Kom- Energy and Transport 2050 Roadmaps. Brussels: EEAC. mission. Europa 2020. Eine Strategie für intelligentes, EEAC (2011b): UNCSD – Rio20plus. The „Green Eco- nachhaltiges und integratives Wachstum. KOM(2010) nomy“ Agenda in the context of SD. Institutional Frame- 2020 endg. Brüssel: Europäische Kommission. work for SD at national level. EEAC statement and back- ground papers with national and regional good practice Europäische Kommission (2009): Leitlinien zur Folgen- examples on a green(er) economy. Brussels: EEAC. abschätzung. SEK(2009) 92. Brüssel: Europäische Kom- mission. EEAC (2009): Towards Sustainable European Infrastruc- tures. Statement and background document. Brüssel: Feindt, P. H., Saretzki, T. (Hrsg.) (2010): Umwelt- und EEAC. Technikkonflikte. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwis- senschaften. Ehnmark, E.-E. (2009): Opinion of the European Econo- mic and Social Committee on the Outlook for the sustai- French, H. F., Renner, M., Gardner, G. (2009): Auf dem nable development strategy (exploratory opinion). Brus- Weg zu einem Green New Deal. Die Klima- und die Wirt- sels: European Economic and Social Committee. NAT/ schaftskrise als transatlantische Herausforderungen. Ber- 440 – CESE 1706/2009 EN/o. lin: Heinrich-Böll-Stiftung. Schriften zur Ökologie 3. Epiney, A., Scheyli, M. (1998): Strukturprinzipien des Frenz, W. (1999): Nachhaltige Entwicklung nach dem Umweltvölkerrechts. Baden-Baden: Nomos. Forum Um- Grundgesetz. Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts weltrecht 29. 49, S. 37–80. Europäische Kommission (2011a): Mitteilung der Kom- Gethmann, C. F., Kloepfer, M., Nutzinger, H. G. (1993): mission an das Europäische Parlament, den Rat, den Eu- Langzeitverantwortung im Umweltstaat. Bonn: Econo- ropäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den mica-Verlag. Ausschuss der Regionen. Fahrplan für den Übergang zu Ginzky, H., Rechenberg, J. (2010): Die Ökonomisierung einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis im Umweltrecht – Von der dunklen Seite der Macht! Zeit- 2050. KOM(2011) 112 endg. Brüssel: Europäische Kom- schrift für Umweltrecht 21 (5), S. 252–255. mission. Glaser, A. (2011): After Fukushima: Preparing for a More Europäische Kommission (2011b): Mitteilung der Kom- Uncertain Future of Nuclear Power. The Electricity Jour- mission an das Europäische Parlament, den Rat, den euro- nal 24 (6), S. 27–35 päischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Fahrplan für ein ressourcen- Goklany, I. M. (2011): Could Biofuel Policies Increase schonendes Europa. KOM(2011) 571 endg. Brüssel: Eu- Death and Disease in Developing Countries? Journal of ropäische Kommission. American Physicians and Surgeons 16 (1), S. 9–13.

391 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien

Grunwald, A., Kopfmüller, J. (2006): Nachhaltigkeit. Homeyer, I. von, Withana, S. (2011): Final Report for the Frankfurt am Main, New York: Campus. Assessment of the 6th Environment Action Programme. Berlin, Brussels: Ecologic Institute, IEEP. DG ENV.1/ Hajer, M. A. (1997): The politics of environmental dis- SER/2009/0044. course. Ecological modernization and the policy process. Oxford, New York: Clarendon Press. IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) (2011): Summary for Policy Makers. In: IPCC (Hrsg.): Héritier, A., Mingers, S., Knill, C., Becka, M. (1994): Die Renewable Energy Sources and Climate Change Mitiga- Veränderung von Staatlichkeit in Europa. Ein regulativer tion. Special Report of the Intergovernmental Panel on Wettbewerb: Deutschland, Großbritannien und Frankreich Climate Change. Cambridge: Cambridge University in der Europäischen Union. Opladen: Leske + Budrich. Press, S. 3–26. Hertin, J., Jacob, K., Pesch, U., Pacchi, C. (2009a): The IPCC (2007): Climate Change 2007: Synthesis Report. production and use of knowledge in Regulatory Impact Genf: IPCC. Assessment: An empirical analysis. Forest Policy and Economics 11 (5-6), S. 413–421 Jacob, K. (2008): Die schwierige Integration von Nach- haltigkeitsaspekten. Zur Praxis der Politikfolgenabschät- Hertin, J., Turnpenny, J., Jordan, A., Nilsson, M., Russel, D., zung in Europa. Ökologisches Wirtschaften 2008 (4), Nykvist, B. (2009b): Rationalising the policy mess? Ex S. 15–17. ante policy assessment and the utilisation of knowledge in the policy process. Environment and Planning/A 41 (5), Jacob, K., Feindt, P. H., Busch, P.-O., Biermann, F. S. 1185–1200. (2007): Einleitung: Politik und Umwelt – Modernisierung politischer Systeme und Herausforderung an die Politik- Hey, C. (2009): Vom Paradigma zur Politik: der lange wissenschaft. In: Jacob, K., Biermann, F., Busch, P.-O., Marsch durch die Institutionen. In: Egan-Krieger, T. von, Feindt, P. H. (Hrsg.): Politik und Umwelt. Wiesbaden: VS Schultz, J., Thapa, P. P., Voget, L. (Hrsg.): Die Greifswal- Verlag für Sozialwissenschaften. Politische Vierteljahres- der Theorie starker Nachhaltigkeit: Ausbau, Anwendung schrift, Sonderheft 39, S. 11–37. und Kritik. Marburg: Metropolis. Beträge zur Theorie Jacob, K., Hertin, J., Hjerp, P., Radaelli, C., Meuwese, A., und Politik starker Nachhaltigkeit 2. Wolf, O., Pacchi, C., Rennings, K. (2008): Improving the Hey, C. (2005): EU environmental policies: A short his- practice of Impact Assessment. Berlin: Freie Universität tory of the policy strategies. In: EEB (European Environ- Berlin. Project No. 028889. mental Bureau) (Hrsg.): EU environmental policy hand- Jacob, K., Volkery, A. (2007): Umweltpolitikintegration book. A critical analysis of EU environmental legislation. und Selbstregulierung: Ein Vergleich von Instrumenten Making it accessible to environmentalists and decision zur Umweltpolitikintegration in den OECD-Ländern. In: makers. Brüssel: EEB, S. 17–30. Jacob, K., Biermann, F., Busch, P.-O., Feindt, P. H. Hey, C. (1998): Nachhaltige Mobilität in Europa. Ak- (Hrsg.): Politik und Umwelt. Wiesbaden: VS Verlag für teure, Institutionen und politische Strategien. Opladen: Sozialwissenschaften. Politische Vierteljahresschrift, Westdeutscher Verlag. Sonderheft 39, S. 360–381. Hiederer, R., Ramos, F., Capitani, C., Koeble, R., Blujdea, V., Jänicke, M. (2010): Die Akzeleration von technischem Gomez, O., Mulligan, D., Marelli, L. (2010): Biofuels: a Fortschritt in der Klimapolitik – Lehren aus Erfolgsfällen. New Methodology to Estimate GHG Emissions from Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht 33 (4), Global Land Use Change. A methodology involving S. 367–389. spatial allocation of agricultural land demand and estima- Jänicke, M. (2008): Megatrend Umweltinnovation. Zur tion of CO2 and N2O emissions. Ispra: European Com- ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Staat. mission – Joint Research Centre. http://eusoils.jrc.ec.eu München: oekom. ropa.eu/esdb_archive/eusoils_docs/other/EUR24483.pdf (06.02.2012). Jänicke, M. (1993): Über ökologische und politische Mo- dernisierungen. Zeitschrift für Umweltpolitik und Um- Hirschberger, P. (2008): Illegaler Holzeinschlag und weltrecht 16 (2), S. 159–175. Deutschland. Eine Analyse der Außenhandelsdaten. Frankfurt am Main: WWF Deutschland. Jänicke, M. (1984): Umweltpolitische Prävention als öko- logische Modernisierung und Strukturpolitik. Berlin: Homeyer, I. von (2010): Emerging Experimentalism in WZB. IIUG Discussion Papers 84–1. EU Environmental Governance. In: Sabel, C. F., Zeitlin, J. Jänicke, M., Volkery, A. (2001): Persistente Probleme des (Hrsg.): Experimentalist Governance in the EU: Towards Umweltschutzes. Natur und Kultur 2 (2), S. 45–59. a New Architecture? Oxford: Oxford University Press, S. 121–150. Jordan, A., Lenschow, A. (2010): Environmental policy integration: a state of the art review. Environmental Po- Homeyer, I. von (2009): The Evolution of EU Environ- licy and Governance 20 (3), S. 147–158. mental Governance. In: Scott, J. (Hrsg.): Environmental Protection. European Law and Governance. Oxford: Ox- Jordan, A., Rayner, T. (2010): The evoloution of climate ford University Press, S. 1–26. policy in the European Union: An historical overview. In:

392 Literatur

Jordan, A., Huitema, D., Asselt, H. van, Rayner, T., Berk- Entwicklungslinien. Baden-Baden: Nomos. Schriften zur hout, F. (Hrsg.): Climate Change Policy in the European Governance-Forschung 1, S. 11–20. Union. Confronting the Dilemmas of Mitigation and Adaptation. Cambridge: Cambridge University Press, Meadowcroft, J. (2007): National sustainable develop- S. 52–80. ment strategies: features, challenges and reflexivity. Eu- ropean Environment 17 (3), S. 152–163. Jörgens, H. (2004): Governance by Diffusion: Implemen- ting Global Norms Through Cross-National Imitation and Mol, A. P. J. (2001): Globalization and Environmental Learning. In: Lafferty, W. M. (Hrsg.): Governance for Sus- Reform. The Ecological Modernization of the Global tainable Development. The Challenge of Adapting Form Economy. Cambridge, Mass.: MIT Press. to Function. Cheltenham: Edward Elgar, S. 246–283. Müller, E. (2002): Environmental Policy Integration as a Jörgensen, K. (2008): Länder und Kommunen als Moto- Political Principle: The German Case and the Implica- ren des Umweltschutzes. Informationen zur politischen tions of European Policy. In: Lenschow, A. (Hrsg.): Envi- Bildung 287, S. 57–62. ronmental Policy Integration: Greening sectorial policies in Europe. London: Earthscan, S. 57–77. Jörgensen, K. (2002): Ökologisch nachhaltige Entwick- lung im föderativen Staat. Das Beispiel der deutschen Müller, E. (1995): Innenwelt der Umweltpolitik. Sozial- Bundesländer. Berlin: Freie Universität, Forschungsstelle liberale Umweltpolitik – (Ohn)macht durch Organisa- für Umweltpolitik. FFU-report 04–2002. tion? 2. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag. Kahl, W. (1993): Umweltprinzip und Gemeinschafts- Murswiek, D. (1985): Die staatliche Verantwortung für recht. Eine Untersuchung zur Rechtsidee des „bestmögli- die Risiken der Technik. Verfassungsrechtliche Grundla- chen Umweltschutzes“ im EWG-Vertrag. Heidelberg: gen und immissionsschutzrechtliche Ausformung. Berlin: Müller. Augsburger Rechtsstudien 17. Duncker & Humblot. Schriften zum Umweltrecht 3. Khor, M. (2011): The „Green Economy“ Debate: a Sustai- Nast, M., Ragwitz, M., Schulz, W., Bürger, V., Leprich, U., nability Perspective. Presentation on the Green Economy, Klinski, S. (Hrsg.) (2009): Ergänzende Untersuchungen in the context of sustainable development, at the United und vertiefende Analysen zu möglichen Ausgestaltungs- Nations (New York), 10–11 January 2011. South Bulletin. varianten eines Wärmegesetzes. Endbericht. Stuttgart, Individual Articles. http://www.southcentre.org/in- Berlin, Freiburg, Saarbrücken, Karlsruhe, Bremen: Deut- dex.php?option=com_content&view=article&id=1539 sches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Fachhochschule %3Asb54&catid=144%3Asouth-bulletin-individualartic für Wirtschaft Berlin, Öko-Institut, Institut für Zukunfts- les&Itemid=287&lang=en (13.02.2012). EnergieSysteme, Fraunhofer Institut Systemtechnik und Kingdon, J. W. (2011): Agendas, Alternatives and Public Innovations-Forschung, Bremer Energie Institut. Policies. 2nd, udated ed. Boston, Mass.: Pearson, Long- NeFo (Netzwerk-Forum zur Biodiversittsforschung Deutsch- man. land) (2011): Die EU Biodiversitätsstrategie 2020. Eine Kloepfer, M. (2004): Umweltrecht. 3. Aufl. München: Einschätzung aus dem Netzwerk-Forum zur Biodiversi- Beck. tätsforschung Deutschland. Leipzig: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ. Kloepfer, M. (1996): Umweltschutz als Verfassungsrecht: Zum neuen Art. 20a GG. Deutsches Verwaltungsblatt 111 Niestroy, I. (2005): Sustaining Sustainability. A bench- (2), S. 73–80. mark study on national strategies towards sustainable de- velopment and the impact of councils in nine EU member Knill, C. (2003): Europäische Umweltpolitik. Steuerungs- states. Utrecht: Lemma. EEAC series, Background Study 2. probleme und Regulierungsmuster im Mehrebenensys- tem. Opladen: Leske + Budrich. Governance 4. OECD (Organisation for Economic Co-operation and De- Laborde, D. (2011): Assessing the Land Use Change Con- velopment) (2011): Towards Green Growth. Paris: sequences of Biofuel Policies. Final Report. Washington, OECD. DC: International Food Policy Research Institute. http:// OECD (2006): Good Practices in the National Sustaina- trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2011/october/tradoc_1482 ble Development Strategies of OECD Countries. Paris: 89.pdf (06.02.2012). OECD. Mangoldt, H. von, Klein, F., Starck, C. (Hrsg.) (2010): OECD, FAO (Food and Agriculture Organization) Kommentar zum Grundgesetz. Bd. 2: Art. 20–82. 6., (2011): OECD-FAO Agricultural Outlook 2011–2020. vollst. neubearb. Aufl. München: Vahlen. Paris: OECD. Matthes, F. C. (2011): Energiewende in Deutschland – Der Weg in die Umsetzung. Energiewirtschaftliche Ta- Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts-und gesfragen 61 (9), S. 2–5. Gesellschaftsethik der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen (1996): Die Rolle der Um- Mayntz, R. (2005): Governance Theory als fortentwi- weltverbände in den demokratischen und umweltethi- ckelte Steuerungstheorie? In: Schuppert, G. F. (Hrsg.): schen Lernprozessen der Gesellschaft. Stuttgart: Metzler- Governance-Forschung. Vergewisserung über Stand und Poeschel. Materialien zur Umweltforschung 25.

393 Ökologische Grenzen einhalten – eine Herausforderung für politische Strategien

Pearce, D. (2002): An intellectual history of environmen- Reid, W. V., Mooney, H. A., Cropper, A., Capistrano, D., tal economics. Annual Review of Energy and the Envi- Carpenter, S. R., Chopra, K., Dasgupta, P., Dietz, T., ronment 27 (1), S. 57–81. Duraiappah, A. K., Hassan, R., Kasperson, R., Leemans, R., May, R. M., McMichael, T., Pingali, P., Samper, C., Pehle, H. (1998): Das Bundesministerium für Umwelt, Scholes, R., Watson, R. T., Zakri, A. H., Shidong, Z., Naturschtuz und Reaktorsicherheit: Ausgegrenzt statt in- Ash, N. J., Bennett, E., Kumar, P., Lee, M. J., Raudsepp- tegriert? Das institutionelle Fundament der deutschen Hearne, C., Simons, H., Thonell, J., Zurek, M. B. (2005): Umweltpolitik. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Ver- Ecosystems and Human Well-being. Synthesis. A Report lag. of the Millennium Ecosystem Assessment. Washington, Pick, D. (2009): Nachhaltige Landwirtschaft in ländli- DC: Island Press. chen Räumen. In: Friedel, R., Spindler, E. A. (Hrsg.): Reimer, I. (2009): Europäische Union: Kurzfallstudie im Nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume. Chancenver- Rahmen des Projektes „Meta-Analyse: Nachhaltigkeits- besserung durch Innovation und Traditionspflege. Wies- strategien in Politik und Wirtschaft“ Berlin: Forschungs- baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 150–167. zentrum für Umweltpolitik. Pierson, P. (1993): When Effect becomes Cause: Policy RNE (Rat für Nachhaltige Entwicklung) (2009): Matu- Feedback and Political Change. World Politics 45 (4), ring the Sustainablity Strategy – Statement Regarding the S. 595–628. 2009 Review of the European Union Strategy for Sustai- nable Development. Berlin: RNE. Prittwitz, V. von (2011): Das Katastrophenparadox. Wie Probleme wahrgenommen und kommuniziert werden: Fi- Rockström, J., Costanza, R., Will, S. (2011): How defi- nanzkrise, Dioxin, Fukushima, arabische Despoten ... Ber- ning planetary boundaries can transform our approach to lin: Volker von Prittwitz. http://www.volkervonprittwitz. growth. Solutions 2 (3). http://www.thesolutionsjour- de/katastrophenparadox_26032011.htm (15.12.2011). nal.com/node/935 (15.12.2011). Prittwitz, V. von (1990): Das Katastrophenparadox. Ele- Rockström, J., Steffen, W., Noone, K., Persson, Å., mente einer Theorie der Umweltpolitik. Opladen: Leske Chapin, F. S., Lambin, E. F., Lenton, T. M., Scheffer, M., + Budrich. Folke, C., Schellnhuber, H. J., Nykvist, B., Wit, C. A. de, Hughes, T., Leeuw, S. van der, Rodhe, H., Sörlin, S., Raschke, J., Tils, R. (2007): Politische Strategie: Eine K.Snyder, P., Costanza, R., Svedin, U., Falkenmark, M., Grundlegung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen- Karlberg, L., Corell, R. W., Fabry, V. J., Hansen, J., schaften. Walker, B., Liverman, D., Richardson, K., Crutzen, P., Foley, J. A. (2009): A safe operating space for humanity. Rat der Europäischen Union (2011): Assessment of the Nature 461 (7263), S. 472–475. sixth community enviornment action programme and the way forward: Towards a 7th EU environment action pro- Sachs, M. (2009): Grundgesetz. Kommentar. 5. Aufl. gramme. Council Conclusions. 3118th ENVIRON- München: Beck. MENT Council Meeting. Luxembourg, 10 October 2011. Schäfer, A. (2005): Die neue Unverbindlichkeit. Wirt- Brüssel: Rat der Europäischen Union. schaftspolitische Koordinierung in Europa. Frankfurt am Rat der Europäischen Union (2010a): Improving environ- Main: Campus. Schriften aus dem Max-Planck-Institut mental policy instruments. Council Conclusions. 3061st für Gesellschaftsforschung Köln 55. ENVIRONMENT Council meeting. Brussels, 20 Decem- Schink, A. (1997): Umweltschutz als Staatsziel. Die Öf- ber 2010. Brüssel: Rat der Europäischen Union. fentliche Verwaltung 50 (6), S. 221–229. Rat der Europäischen Union (2010b): Schlussfolgerungen Schomerus, T. (2011): Nachhaltigkeit braucht Institutio- des Vorsitzes. Europäischer Rat (Brüssel), 25./26. März nen – Zur Institutionalisierung von Nachhaltigkeitsräten. 2010. Brüssel: Rat der Europäischen Union. EUCO 7/10. Natur und Recht 33 (1), S. 1–7. Rat der Europäischen Union (2006): Die erneuerte EU- Schreurs, M. (2008): From the Bottom Up: Local and Strategie für nachhaltige Entwicklung. Brüssel: Rat der Subnational Climate Change Politics. The Journal of En- Europäischen Union. 10917/06. http://www.nachhaltig- vironment and Development 17 (4), S. 343–355. keit.at/monthly/2006-07/pdf/EU-SDS_final_version_2006 Schwarze, J. (Hrsg.) (2009): EU-Kommentar. 2. Aufl. Ba- _June26_de.PDF. den-Baden: Nomos. Reese, M. (2010): Leitbilder des Umweltrechts. Zur Zu- Sommermann, K.-P. (1997): Staatsziele und Staatszielbe- kunftsfähigkeit leitender Schutzkonzepte. Zeitschrift für stimmungen. Tübingen: Mohr Siebeck. Jus Publicum 25. Umweltrecht 21 (7–8), S. 339–346. SRU (Sachverständigenrat für Umweltfragen) (2011a): Rehbinder, E. (2007): Ziele, Grundsätze, Strategien und Ökologische Leitplanken setzen, natürliche Lebensgrund- Instrumente des Umweltschutzes. In: Hansmann, K., Sell- lagen schützen – Empfehlungen zum Fortschrittbericht ner, D. (Hrsg.): Grundzüge des Umweltrechts. 3. völlig 2012 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Berlin: SRU. neu bearb. und erw. Aufl. Berlin: Erich Schmidt, Kommentar zur Umweltpolitik 9. http://www.umweltrat. S. 123–284. de/SharedDocs/Downloads/DE/05_Kommentare/20101

394 Literatur

KOM_09_Nachhaltigkeitsstrategie.pdf?__blob=publica TEEB (2010): The Economics of Ecosystems & Biodi- tionFile (19.10.2011). versity: Mainstreaming the Economics of Nature. A syn- thesis of the approach, conclusions and recommendations SRU (2011b): Vorsorgestrategien für Nanomaterialien. of TEEB. Mriehel: Progress Press. Sondergutachten. Berlin: Erich Schmidt. SRU (2011c): Wege zur 100 % erneuerbaren Stromver- UBA (Umweltbundesamt) (2010): Umweltschädliche sorgung. Sondergutachten. Berlin: Erich Schmidt. Subventionen in Deutschland. Aktualisierte Ausgabe. Dessau-Roßlau: UBA. SRU (2009): Für eine zeitgemäße Gemeinsame Agrar- politik (GAP). Berlin: SRU. Stellungnahme 14. UBA (2009): Integrierte Strategie zur Minderung von Stickstoffemissionen. Dessau-Roßlau: UBA. SRU (2008): Umweltgutachten 2008. Umweltschutz im Zeichen des Klimawandels. Berlin: Erich Schmidt. UBA (2000): Ziele für die Umweltqualität. Eine Be- standsaufnahme. Berlin: UBA. SRU (2007): Klimaschutz durch Biomasse. Sondergut- achten. Berlin: Erich Schmidt. UNEP (United Nations Environment Programme) (2011): Towards a GREEN economy. Pathways to Sustainable SRU (2004): Umweltgutachten 2004. Umweltpolitische Development and Poverty Eradication. A Synthesis for Handlungsfähigkeit sichern. Baden-Baden: Nomos. Policy Makers. Genf: UNEP. SRU (2002): Umweltgutachten 2002. Für eine neue Vor- reiterrolle. Stuttgart: Metzler-Poeschel. Veit, S. (2010): Bessere Gesetze durch Folgenabschät- zung? Deutschland und Schweden im Vergleich. Wiesba- SRU (2000): Umweltgutachten 2000. Schritte ins nächste den: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Schriftenreihe Jahrtausend. Stuttgart: Metzler-Poeschel. interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsfor- schung 16. SRU (1994): Umweltgutachten 1994. Für eine dauerhaft- umweltgerechte Entwicklung. Stuttgart: Metzler-Poeschel. Volkery, A., Swanson, D., Jacob, K., Pinter, L. (2006): Stern, N. (2007): The Economics of Climate Change. The Coordination, Challenges, and Innovations in 19 National Stern Review. Cambridge: Cambridge University Press. Sustainable Development Strategies. World Development 24 (12), S. 2047–2063. Steurer, R. (2007): From government strategies to strate- gic public management: an exploratory outlook on the Volkery, A., Withana, S., Baldock, D. (2011): Towards a pursuit of cross-sectoral policy integration. European En- 7th Environment Action Programme: Potential Options vironment 17 (3), S. 201–214. and Priorities. Policy Paper for IEEP Project on: „Chartin Europe´s environmental policy future“. London, Brus- Steurer, R., Martinuzzi, A. (2005): Towards a new pattern sels: Institute for European Environmental Policy. of strategy formation in the public sector: first experien- ces with national strategies for sustainable development WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung in Europe. Environment and Planning/C: Government Globale Umweltveränderungen) (2011): Welt im Wandel. and Policy 23 (3), S. 455–472. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Hauptgutachten. Berlin: WBGU. Stigson, B., Babu, S. P., Bordewijk, J., O’Donnell, P., Haavisto, P., Morgan, J., Osborn, D. (2009): Sustainabi- WBGU (2009): Factsheet Bioenergie. Berlin: WBGU. lity „Made in Germany”. We know you can do it. Peer Factsheet 1/09. http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/ Review der deutschen Nachhaltigkeitspolitik. Berlin: Rat dateien/veroeffentlichungen/factsheets/fs2009-fs1/wbgu_ für Nachhaltige Entwicklung. factsheet_1.pdf (06.02.2012).

395

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

AEG = Allgemeines Eisenbahngesetz AEUV = Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ALARA = As Low As Reasonable Achievable APUG = Aktionsprogramm Umwelt und Gesellschaft AWZ = ausschließliche Wirtschaftszone AWZ Nordsee-ROV = Verordnung über die Raumordnung in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee AWZ Ostsee-ROV = Verordnung über die Raumordnung in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone in der Ostsee BAFU = Bundesamt für Umwelt (Schweiz) BArtSchV = Bundesartenschutzverordnung BAT = Best Available Technique (dt. BVT = beste verfügbare Technik(en)) BattG = Batteriegesetz BauGB = Baugesetzbuch BBergG = Bundesberggesetz BBodSchG = Bundesbodenschutzgesetz BBOP = Business and Biodiversity Offset Programme BDM = Biodiversitätsmonitoring (Schweiz) BfN = Bundesamt für Naturschutz BfR = Bundesinstitut für Risikobewertung BfS = Bundesamt für Strahlenschutz BFStrMG = Bundesfernstraßenmautgesetz BGH = Bundesgerichtshof BGR = Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BImSchG = Bundes-Immissionsschutzgesetz BImSchV = Bundes-Immissionsschutzverordnung BINATS = Monitoringsystem Biodiversity – Nature – Savety BiomasseV = Biomasseverordnung BIP = Bruttoinlandsprodukt BISE = Biodiversity Information System for Europe BJagdG = Bundesjagdgesetz BLE = Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung BMBF = Bundesministerium für Bildung und Forschung BMELV = Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz BMF = Bundesministerium der Finanzen BMG = Bundesministerium für Gesundheit

397 Abkürzungsverzeichnis

BMU = Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit BMVBS = Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung BMWi = Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie BMZ = Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung BNatSchG = Bundesnaturschutzgesetz BREFs = BAT Reference Documents BSAP = Baltic Sea Action Plan BSH = Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie BSPA = Baltic Sea Protected Areas Bt = Bacillus thuringiensis BtL = Biomass-to-Liquid BVerfG = Bundesverfassungsgericht BVerfGE = Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG = Bundesverwaltungsgericht BVT = beste verfügbare Technik(en) (engl. BAT = Best Available Technique) BWaldG = Bundeswaldgesetz BWI = Bundeswaldinventur BZE = Bodenzustandserhebung im Wald C = Kohlenstoff CAFE = Clean Air for Europe CBD = Convention on Biological Diversity – Übereinkommen über die biologische Vielfalt CFP = Carbon Footprints of Products

CH4 =Methan CICES = Common International Classification of Ecosystem Goods and Services CIS = Common Implementation Strategy – gemeinsame Einführungsstrategie CITES = Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora – Washingtoner Artenschutzübereinkommen CMA = Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft CMR = carcinogen, mutagen, reproduktionstoxisch (krebserzeugend, erbgutverändernd, fortpflanzungsgefährdend)

CO2 = Kohlendioxid

CO2eq =CO2-Äquivalent CORINE = Coordination of Information on the Environment dB(A) = Dezibel (korrigiert nach Bewertungskurve A) DBV = Deutscher Bauernverband DG Env = Environment Directorate-General – Generaldirektion Umwelt DGE = Deutsche Gesellschaft für Ernährung DLG = Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft DLR = Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt DMC = Domestic Material Consumption – Inländischer Materialverbrauch

DMCRÄ = DMC in Rohstoffäquivalenten

398 Abkürzungsverzeichnis

DMI = Direct Material Input – Direkter Materialeinsatz

DMIRÄ = DMI in Rohstoffäquivalenten DüV = Düngeverordnung EBCC = European Bird Census Council ECHA = Europäische Chemikalienagentur EEA = European Environment Agency – Europäische Umweltagentur EEAC = European Environment and Sustainable Development Advisory Councils EEG = Erneuerbare-Energien-Gesetz EG = Europäische Gemeinschaft EGV = Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EIONET = European Environment Information and Observation Network EIPPC-Büro = European Integrated Pollution Prevention and Control Bureau ElektroG = Elektro- und Elektronikgerätegesetz ELER = Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums EnWG = Energiewirtschaftsgesetz EPER = European Pollutant Emission Register – Europäisches Schadstoffregister EU = Europäische Union EU ETS = European Union Emission Trading System – Emissionshandelssystem der Europäischen Union EuGH = Europäischer Gerichtshof EuMon = EU-wide monitoring methods and systems of surveillance for species and habitats of Community interest EWG = Europäische Wirtschaftsgemeinschaft F = fischereiliche Sterblichkeit FAO = Food and Agriculture Organization of the United Nations – Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FFH = Fauna-Flora-Habitat FFH-Richtlinie = Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie FLEGT = Forest Law Enforcement, Governance and Trade Fm = Festmeter

FMSY = Fischereiliche Sterblichkeit, bei der der höchstmögliche Dauerertrag erhalten oder erreicht wird FoVG = Forstvermehrungsgutgesetz FSC = Forest Stewardship Council FTOH = Fluortelomeralkohole FuE = Forschung und Entwicklung GAP = Gemeinsame Agrarpolitik GATT = General Agreement on Tariffs and Trade – Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen GEF = Global Environment Facility GenTG = Gentechnikgesetz GFP = Gemeinsame Fischereipolitik GG = Grundgesetz

399 Abkürzungsverzeichnis

GIS = Geoinformationssysteme GLUA = Global Land Use Accounting – Globale Landnutzungsbilanzierung

GLUAcropland = Global Land Use Accounting of Agricultural Cropland Gt = Gigatonne(n) Gtkm = Giga-Tonnenkilometer GV = Gemeinschaftsverpflegung GVFG = Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz GVO = gentechnisch veränderter Organismus GVZ = Güterverkehrszentren HELCOM = Helsinki-Commission – Kommission des Übereinkommens zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets von 1992 HNV = High Nature Value HolzSiG = Holzhandels-Sicherungs-Gesetz IARC = International Agency for Research on Cancer ICES = International Council for the Exploration of the Sea – Internationaler Rat für Meeresforschung ICG-MSFD = Intersessional Correspondence Groups for the Implementation of the Marine Strategy Framework Directive ICMM = International Council on Mining and Metals ICP Forests = International Co-operative Programme on Assessment and Monitoring of Air Pollution Effects on Forests IEA = International Energy Agency – Internationale Energieagentur IED = industrial emissions directive – Industrieemissionsrichtlinie IEKP = Integriertes Energie- und Klimaschutzprogramm IKT = Informations- und Kommunikationstechnologie IKZM = Integriertes Küstenzonenmanagement ILO = International Labour Organization – Internationale Arbeitsorganisation IMA = Interministerielle Arbeitsgruppe IMO = International Maritime Organization – Internationale Seeschifffahrts-Organisation infas = Institut für angewandte Sozialwissenschaft INSPIRE = Infrastructure for Spatial Information in the European Community InVeKos = Integriertes Verwaltungs- und Kontrollsystem IÖW = Institut für ökologische Wirtschaftsforschung IPBES = Intergovernmental Science-Policy Platform for Biodiversity and Ecosystem Services IPCC = Intergovernmental Panel on Climate Change IPSRM = International Panel on Sustainable Resource Management IRP = International Resource Panel ISO = Internationale Organisation für Normung ITTA = International Tropical Timber Agreement – Internationales Tropenholz-Übereinkommen IUCN = International Union for Conservation of Nature IVG = integrierte Vorhabengenehmigung JRC = Joint Research Centre

400 Abkürzungsverzeichnis kcal = Kilokalorie KEP-Dienste = Kurier-, Express- und Paketdienste KrWG = Kreislaufwirtschaftsgesetz KUP = Kurzumtriebsplantagen

LDEN = Lärmschallpegel im Tag-Abend-Nacht-Index LEH = Lebensmitteleinzelhandel LIFE+ = L’Instrument Financier pour l’Environnement – Finanzierungsinstrument für die Umwelt lit. = Buchstabe

LNight = Lärmschallpegel in der Nacht LULUC = Land Use and Land Use Change – Landnutzung und Landnutzungsänderungen MA = Millennium Ecosystem Assessment MAK = maximale Arbeitsplatzkonzentration MaRess = Projekt Materialeffizienz und Ressourcenschonung MARPOL = International Convention for the Prevention of Marine Pollution from Ships – Internationales (-Übereinkommen) Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe MiD = Mobilität in Deutschland MJ = Megajoule MON810 = eine gegen den Maiszünsler resistente Maislinie MONARPOP = Monitoring Network in the Alpine Region for Persistent Organic Pollutants MOP = Deutsches Mobilitätspanel MPA = Marine Protected Area – Meeresschutzgebiet MSC = Marine Stewardship Council MSRL = Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie MSY = maximum stustainable yield – höchstmöglicher Dauerertrag Mt = Megatonne(n) N = Stickstoff

N2O = Lachgas NABU = Naturschutzbund Deutschland NAP = Nationaler Aktionsplan (zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln) NaWaRo = nachwachsende Rohstoffe NeFo = Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland NEM = Netwerk Ecologische Monitoring (Niederlande) NGOs = Non-Governmental Organisations – Nichtregierungsorganisationen

NH3 =Ammoniak NMVOC = non methane volatile organic compounds – flüchtige organische Verbindungen ohne Methan NNatG = Niedersächsisches Naturschutzgesetz NO = Stickstoffmonoxid

NO2 = Stickstoffdioxid

NOx = Stickstoffoxide NRMM = Non-Road Mobile Machinery – nichtstraßengebundene mobile Maschinen und Geräte NRW = Nordrhein-Westfalen NWI = nationaler Wohlfahrtsindex

401 Abkürzungsverzeichnis

OECD = Organisation for Economic Co-operation and Development – Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ÖFS = ökologische Flächenstichprobe ÖkoKennzG = Ökokennzeichengesetz ÖPNV = öffentlicher Personennahverkehr OSPAR = Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks (Oslo-Paris-Überein- (-Übereinkommen) kommen) PBNE = Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung PBT = persistent, bioakkumulierbar und toxisch PCB = Polychlorierte Biphenyle PCF = Product Carbon Footprint PEFC = Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes PFAS = Perfluoralkyl- und Polyfluoralkylsubstanzen PFOA = Perfluoroctansäure PFOS = Perfluoroctansulfonsäure PFT = perfluorierte Tenside PGM = Platingruppenmetalle PJ = Petajoule

PM = Particulate Matter – Partikel mit einem Durchmesser von z. B. 2,5 µm (PM2,5), 10 µm (PM10) PNEC = Predicted no Effect Concentration – abgeschätzte höchste Stoffkonzentration, bei der kein Effekt auftritt ppm = parts per million ProgRess = Deutsches Ressourceneffizienzprogramm PRTR = Pollutant Release and Transfer Register – Deutsches Schadstofffreisetzungs- und -verbringungsregister r = Rohholzäquivalent RegG = Regionalisierungsgesetz RIPE = Réseaux IP Européens (REACH-Informationsportal) RKI = Robert-Koch-Institut ROG = Raumordnungsgesetz RoHS = Restriction of Hazardous Substances SCHER = Scientific Committee on Health and Environmental Risks SEEA = System of Integrated Environmental and Economic Accounting – internationals System der umweltökologischen Gesamtrechnungen SEIS = Shared Environmental Information System – gemeinsames europäisches Umweltinformationsnetzwerk SEK = Schwedische Kronen

SO2 = Schwefeldioxid SPEAR = species-at-risk SRU = Sachverständigenrat für Umweltfragen SRÜ = Seerechtsübereinkommen SrV = System repräsentativer Verkehrsverhaltensbefragungen SSB = Spawning Stock Biomass – Biomasse laichreifer Tiere

402 Abkürzungsverzeichnis

STOA = Science and Technology Options Assessment SUP = Strategische Umweltprüfung SVHC = substances of very high concern – besonders besorgniserregende Stoffe TA Luft = Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft TBT = Tributylzinn TEEB = The Economics of Ecosystems and Biodiversity – Die Ökonomie der Ökosysteme und Biodiversität THG = Treibhausgas TierSchG = Tierschutzgesetz tkm = Tonnenkilometer TMC = Total Material Consumption – Vollständiger Materialverbrauch TMR = Total Material Requirement – Vollständiger Materialaufwand

TMRRÄ = TMR in Rohstoffäquivalenten TWh = Terawattstunde(n) UAP = Umweltaktionsprogramm UBA = Umweltbundesamt UGB = Umweltgesetzbuch UNDP = United Nations Development Programme – Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNECE = United Nations Economic Commission for Europe – Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen UNEP = United Nations Environment Programme – Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNESCO = United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization – Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur UNFCCC = United Nations Framework Convention on Climate Change – Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen UNFF = United Nations Forum on Forests – Waldforum der Vereinten Nationen UNIDO = United Nations Industrial Development Organization – Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung UVP = Umweltverträglichkeitsprüfung UVPG = Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung vPvB = very persistent, very bioaccumulative – sehr persistent und sehr (hoch) bioakkumulierbar vTI = Johann Heinrich von Thünen-Institut VwVfG = Verwaltungsverfahrensgesetz WBGU = Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen WCRF = World Cancer Research Fund – internationale Krebsforschungsorganisation WEEE = Waste Electrical and Electronic Equipment Directive WHG = Wasserhaushaltsgesetz WHO = World Health Organization – Weltgesundheitsorganisation WRRL = Wasserrahmenrichtlinie WTO = World Trade Organization – Welthandelsorganisation WWF = World Wide Fund For Nature WZE = Waldzustandserhebung

403 Stichwortverzeichnis

Stichwortverzeichnis Die Zahlenangaben beziehen sich auf Textziffern. Kursiv aufgeführte Angaben beziehen sich auf Kapitel oder Ab- schnitte.

2°-Ziel / 80%- bzw. 95%-Reduktionsziel (84, 248) Bundesverkehrswegeplan (BVWP) (4.4.3) Abfallwirtschaft (120 ff.) Carsharing (332) Agrarumweltmaßnahmen (184, 222, 235) Chemikalien (siehe auch REACH und Stoffe) – im Wald (387) – Belastungen (10.3.4.1–10.3.4.3) – Monitoring der Wirkung (583, 636, 647, 660) – Regulierung (10.3.5, 628 f., 634, 657) – Risiken (10.3.4.2, 10.3.4.3, 659) Angleichung von Raum und Geschwindigkeiten (5.5.2) Chemikalienrecht (Chemikalienregulierung) (601 f.) Anlagenzulassungsrecht (9) – EU-Rechtsakte (10.3.5.1) Antibiotika (3.2.5, 180 f.) –REACH (10.3.5.2, 646, 658) –Einsatz (3.2.5, 180 f.) CO2 – Resistenzen (3.2.5, 180 f.) – aus Moorböden (405) – Bepreisung von CO -Emissionen (4.4.1.1) Arbeits- und Umwelttoxizität (108) 2 –CO2-bezogene Kfz-Steuer (318 ff.) Arten, gebietsfremde (8.1.1, 374, 448) – Emissionen des Güterverkehrs (242, 248) – Emissionsgrenzwerte (268, 287, 318) Aufenthaltsräume (290, 291, 294) Dematerialisierung (250) Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) (501, 8.5.1) Dienstwagenprivileg (321) Ballungsräume (5) Effizienzsteigerung (117 ff.) Behördenkooperation (433) – im Güterverkehr (250, 253, 268, 286) Belastungen durch den motorisierten Straßenverkehr Einschränkung von Lebensräumen (5.2.1) (242, 5.2) Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs (257, 284, Bevölkerungsentwicklung und Szenarien für den 286) Personenverkehr (5.3.3) Elektroautos (336) Biodiversität (2, 46, 51, 575 f., 635, 2.2.1, 7.6.1.2) – Arten (2, 30, 579, 653) Elektromobilität (336) – genetische (2, 635, 653) Emissionen (108 f.) – in Waldökosystemen (347 ff.) emissionsarme Fahrzeuge, Förderung (5.5.5) – Monitoring (394, 637, 660, 10.3.1, 10.4.2) – Ökosysteme (2, 14, 18, 30, 32 f., 37, 105) Emissionshandel (141) – und Agro-Gentechnik (10.3.3) – im Straßenverkehr (265) – und Klimawandel (362, 10.3.2) Energiesteuer (264, 319) – Verlust von (40 ff., 3.2.2, 51, 347, 576, 579 f., 606, Energieverbrauch (111 f.) 693) Entflechtungsgesetz (327) Biodiversitätskonvention (siehe Übereinkommen über die biologische Vielfalt) Entkopplung (1.4, 1.6.2, 2.3.1, 2.3.2, 2.3.3) Biodiversitätsstrategie (siehe nationale Strategie zur – absolute und relative Entkopplung (62) biologischen Vielfalt) – Rebound-Effekt (66, 268) – und Thermodynamik (67) biologische Vielfalt (siehe Biodiversität) – von Wirtschaftswachstum und Güterverkehr Bundesberggesetz (134) (4.3.2)

404 Stichwortverzeichnis

Ernährungsgewohnheiten (3.2, 3.5) – in Ballungsräumen (309, 314) Europäische Meerespolitik (8.2, 520) – Straßengüterverkehr (4, 309) – Blaubuch (460, 516) –Modi (238 ff.) – Deutsche Umsetzung (462) – Güterverkehrszentren (GVZ) (252) – Grünbuch (457 ff., 516) Helsinki-Konvention (455, 472) Europäischer Binnenmarkt (247, 283) Holzeinschlag, illegaler (395) Externe Kosten Holzexporte (365) – des Kfz-Personenverkehrs (316) Holzimporte (365) – Internalisierung im Güterverkehr (4.4.1) – Internalisierung externer Kosten des Lebensmittel- Holzprodukte (361, 365) konsums (200, 204 ff.) Immissionen (556, 571) Fahrradverkehr (328 ff.) Indikatoren (1.2.4, 129 ff.) Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (137, 259, 347, 394, 400, 422, 479, 495, 583, 636, 660) Industrieemissionsrichtlinie (9.3.3) FFH-Gebiete (137, 155, 347, 394, 422, 498 ff., 592) Infrastrukturengpässe (252, 269 ff., 286) FFH-Richtlinie (siehe Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) Integration (9) – externe (525, siehe auch Umweltpolitikintegration) Finanzierung – formelle (527, 538 ff., 558 ff.) – von Moorschutzmaßnahmen (439) – interne (526 ff.) Fischerei (445, 448 f., 450, 452, 520) – materielle (527, 542 ff., 563 ff.) – Eingriffe (448 f.) – integrierter Umweltschutz (9, 523 ff.) Flächeninanspruchnahme des Verkehrs (5.2.1) Integrierte Verkehrsentwicklungsplanung (5.5.6) Förderung (siehe emissionsarme Fahrzeuge und Integrierte Vorhabengenehmigung (560 ff.) Umweltverbund) Integriertes Küstenzonenmanagement (8.5.2) Forststrategie der EU (393) Intermodale Verkehrsdienstleistungen (5.5.4) Forstwirtschaft (363 ff.) Kfz-bezogene Steuern (318 ff.) Fußgängerverkehr (328 ff.) Klimaschutz (3.2.3, 577) Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (327) – im Verkehr (4) Gemeinsame Agrarpolitik (409, 452, 492 f.) – im Wald (359 ff., 375, 397) Gemeinsame Fischereipolitik (452, 492 f., 520) – Moorböden (422 f., 7.5) Gesättigte-Fettsäuren-Steuer (3.6.1, 206 ff.) Klimawandel Geschwindigkeitsbeschränkungen (Tab. 5-2, 325, 329) – Adaptation (362) – Mitigation (362) Grüne Wirtschaft (58, 11.3.3) – und Waldökosysteme (6.2.3) Güternutzung (119) Kohlendioxid (siehe CO2) Gütertransportintensität (238, 249 ff.) Kohlenstoffkreislauf (345) Güterverkehr (4) – in Waldökosystemen (359 f.) – Aufkommen (238, 240, 242) Konsum (3) – Güterverkehrsleistung (238) – Historische Entwicklung und Status quo (240, 242) Konsumentenpräferenzen (3.5.1, 213 ff.) – Trends (244) Korrektur verkehrserzeugender ökonomischer – Szenarien (244, 251) Anreize (317)

405 Stichwortverzeichnis

Kostentransparenz und -internalisierung Maßnahmen für einen umweltfreundlichen Verkehr – im Verkehr (4.4.1, 287, 5.5.1) (5.5) Kraftstoffe Materialflussindikatoren (129 f.) – Besteuerung fossiler Kraftstoffe (264) Materialinputsteuer (140) – Biokraftstoffe (258 f.) Maut und Straßenbenutzungsgebühren (267, 287) – Upstream-Emissionshandel für Kraftstoffe (265) – Wasserstoff und synthetische Kohlenwasserstoffe Meeresbundesamt (476 f.) (260) Meeresschutz (8) Kreislaufführung (2.4.3) – Herausforderungen (8.1.2) Lärm (siehe Straßenverkehrslärm) – Interessen (8.1.2) – Politiken (8.3) Lebensmittel (3) – Relevante Sektorpolitiken (450, 8.3.4) – Außer-Haus-Verzehr (3.6.2) – und Rohstoffgewinnung (503 ff.) – Biodiversität (3.2.2, 177 ff., 184) – Eutrophierung (3.2.4) Meeresschutzgebiete (8.3, 520) – Flächenverbrauch (3.2.1) – In der deutschen AWZ (502 ff.) – Klimarelevanz (3.2.3) Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) (445 ff., – Label (219 ff.) 8.3, 520) – Mindesthaltbarkeitsdatum (218) – Deskriptoren (467) – Pflanzenschutzmittel (3.2.4) – Guter Umweltzustand (467) – Ressourcenverbrauch (3.2.1) – Maßnahmenprogramme (466, 468) – Umweltauswirkungen (3.2) – Regionale Umsetzung (8.3.3) – Wasserverbrauch (3.2.6) – Umsetzung in Deutschland (8.3.2) – Werbung (3.6.3) – Umweltziele (482 f.) Lebensmittelverluste (3.2.7, 216, 218, 223, 225 f., – Ziel der (465) 228 f.) Mehrwertsteuer (205 ff.) Lebensqualität (1.6.3, 289, 358) Miniaturisierung (117) Lock-in (266) Ministerielle Zusammenarbeit (11.3.1) Luftbelastung – zur Waldpolitik (396) – Dieselruß (298) Mobilität (289) – durch den Verkehr (5.2.4) – Feinstaub (298) Mobilitätseingeschränkte Personen (293) – Ozon (bodennahes) (300) Mobilitätsmanagement (331) – Rohstoffabbau (108 f.) Mobilitätsverhalten (5.3.1) – Stickstoffoxide (NOx) (299, 370)

– Stickstoffdioxid (NO2) (299) Mobility Pricing (322) – Wirkungen (298 ff.) Modal Split (303, 306) Luftqualitätsgrenzwerte (298, 556) – im Güterverkehr (238, 240) Marine Raumordnung (8.5.1, 520) Monitoring (10) – Eignungsgebiete (509 ff.) – der Biodiversität (10.3.1, 10.3.2, 655) – Europäischen Initiativen zur (516) – im Wald (394, 584, 589, 602) – Vorbehaltsgebiete (509 ff.) – Finanzierung (10.4.5, 663) – Vorranggebiete (509 ff.) – fragmentiertes (10.2.3, 654) – Wirkung (509 ff.) – medienübergreifendes (10.2.4, 656 ff., 10.4.1) Maritime Wirtschaft (450 ff.) – Monitoringstandards (10.4.4, 660, 662)

406 Stichwortverzeichnis

– und Natura 2000 (394, 642) Nordsee (447 ff.) – von Chemikalien (10.3.4, 656 ff.) – Belastungen (8.1.1, 479) Moor – Kies- und Sandabbau in der (503) – Biodiversität von Mooren (7.6.1.2) – Klimawandel (449) – Bundesinitiative Moorschutz (7.7.1) – Nutzungen (447 f.) – Klimarelevanz von Mooren (7.3.2) – Raumordnungsplan für die (507 ff.) – Moorflächen (7.3.1) – Schutzziele (482 ff.) – Moornutzungsformen (407) Normenkontrollrat (701) – Moorrenaturierung (420) Nutzungsgrenzen im Wald (385, 397) – Moorschutzprogramm (7.6.2) – Nutzungsextensivierung von Mooren (409) Öffentliche Zugänglichkeit von Daten (577, 638, 644, – THG-Vermeidungskosten (421) 647, 664) – Wasserhaushalt von Mooren (424) Öffentlicher Personennahverkehr, Finanzierung (327) – Wiedervernässung von Mooren (420) Offshore-Windenergienutzung (510) motorisierter Individualverkehr (MIV) (5) Ökologische Flächenstichprobe (10.4.2, 593, 595 ff, Nachhaltigkeit 600, 637, 660) – Nachhaltigkeitsmodelle (1.2.1, 690 f.) Ökologische Grenzen (1.2.3, 98, 575, 578 f., 588) – starke und schwache Nachhaltigkeit (41 f., 50) – Grenzüberschreitungen (49, 1.4.2) Nachhaltigkeitsmodelle (690 f.) – Planetarische Grenzen (49, 55) Nachhaltigkeitsprüfung (699 ff., 715) – Umkippeffekte (49) – Umweltziele (1.6.1) Nachhaltigkeitsstrategien – Verzahnung von Politik und Wissenschaft (1.6.1, – EU Nachhaltigkeitsstrategie (679, 11.3.4, 11.3.4.1) 98, 589, 11.2.2, 11.2.3, 714) – Nationale Nachhaltigkeitsstrategie (679, 11.3.2, 11.3.4, 11.3.4.2) Ökologische Mindeststandards in der Forstwirtschaft (6.4.2) Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (426) – Definition (383 f.) – und Nachhaltigkeitsstrategie (379, 391, 661, – rechtliche Implementierung (377, 383, 397) 679 f.) – Umsetzung in den Ländern (379, 386) – Umsetzung im Lebensraum Wald (351 ff.) – Ziele für den Lebensraum Moor (426) Ökologischer Landbau (3.2.7) – Ziele für den Lebensraum Wald (349) Ökosystemarer Ansatz (8.1.3) Nationaler Radverkehrsplan (326, 329) Ökosystemleistungen (auch Ökosystemdienstleistun- Natura 2000 gen) (1.2.2, 51, 423, 444, 575, 579, 665, 674, 682 ff., 694, 705) – Berichtspflichten (394) – Definition (44) – Monitoring (394) – Management (394) – im Wald (354, 381, 386 f., 392, 396) – Moorböden (422) – Inwertsetzung (1.2.2) – Netzwerk (Gebietsnetz) (498 ff., 505) – Monitoring (591, 594, 638, 661) – im Wald (394, 396 f.) Ökotoxizität – Rohstoffabbau (137) – Rohstoffabbau (109) Naturschutz Ölpreisentwicklung (251) – Biotopverbund (355, 373, 394, 422) OSPAR (455, 472) – Bundeskompetenz für den (434) – Finanzierung, in Waldökosystemen (387) Ostsee (449) – Rohstoffabbau (2.4.1) – Belastungen (8.1.1) – und Bildung (357, 388) – Raumordnungsplan (507 ff.)

407 Stichwortverzeichnis

Paludikulturen (7.4.3) – Wirtschaftliche Bedeutung (451) Parkraummanagement (323) – und Raumordnung (510) Pendlerpauschale (317) Sektorale Fahrverbote (283) Pendlerverkehr, Pendlerverflechtung (315) Sektorstrategien (679, 11.3.2, 11.3.6, 11.5) Personenverkehr Seltene Erden (108, 144, 153) – Personenverkehrsleistung (302 ff.) Staatliche Verantwortung – Personenverkehrsaufkommen (302 ff.) – Optimierungsauftrag (4.3.2, 11.2.1) – Szenarien für den Personenverkehr (311) – Staatszielbestimmung Umweltschutz (11.2.1) Personenwirtschaftsverkehr (309, 314) – Umbau des Verkehrssystems (286) – Untermaßverbot (11.2.1) Pfand (149) Stadtregionen (288) Politische Strategien (11, 11.1, 11.3, 715) Stoffe Primärbaustoffsteuer (139) – Charakterisierung umweltrelevanter Stoffe Produzentenverantwortung (143 ff.) (10.3.4.1) – diffuse Stoffeinträge (1, 184, 424, 448, 535, 576, REACH (10.3.5.2) 632, 655) – Registrierung (10.3.4.1, 621, 626 ff., 651) – Kenntnislücken in der Umweltbewertung von Stof- – Stoffsicherheitsbeurteilung (604, 624, 627, 640, fen (10.3.4.3) 661) – Monitoring (10.3.4, 10.4) Recycling (120 ff.) – Regulierung (10.3.5) Regelgeschwindigkeit (325) Stoffströme (128) Regenerative Energiequellen/Erneuerbare Energien Straßenverkehrslärm (267, 297) (709 ff.) Strategische Umweltprüfung (SUP) (274, 278, 530) – im Güterverkehr (254 ff., 4.5) Tempo 30 (Tab. 5-2, 325) Regionale Wirtschaftsförderung/Regionalvermarktung (252, 286) Tertiarisierung (250, 286) Regionalisierungsgesetz (327) Thermodynamik (1.2.1) Ressourcen (99) THG (siehe Treibhausgasemissionen) – ressourcenschonende Nutzung von Holz (397) Torf Ressourcennutzung (1.2, 1.3) – Torfimport (410) – Verteilungsgerechtigkeit (1.2.1) – Torfabbau (410) – Verallgemeinerbarkeit der Nutzungsansprüche – Torfnutzung (410) (1.2.1) – Torfersatzstoffe (410) Rohstoffe Treibhausgasemissionen (7.3.2) – Metallische (104) – Mineralische (104) Trolley-Trucks (257, 286) – Materialeffizienz (117 f.) Übereinkommen über die biologische Vielfalt Rohstoffpartnerschaften (151 f.) – Umsetzung in Deutschland: Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (350, 376, 396) Rohstoffrahmenabkommen (153) – Ziele (14, 46, 454, 498, 576) Schifffahrtsrouten (510) umweltfreundlicher Verkehr Seeschifffahrt (8.1) – Indikatoren (313) – Eingriffe (448) – Leitbild (312) – Regulierung (450) – Qualitätsziele (312)

408 Stichwortverzeichnis

Umweltgerechtigkeit (301) Wachstum (1.1, 1.3, 1.5) – Grenzen des Wachstums (1.1) Umweltpolitik – Grünes Wachstum (58) – Mainstreaming (11.1, 11.4) – Postwachstumsgesellschaft (59 ff.) – Steuerungsprobleme (11.1, 11.2, 11.3.3, 11.3.4, 11.3.6) – und Investitionen (1.5.1, 95) – Transformationsprozesse (*15, 72, 11.1, 11.2.2) – Verteilungskonflikte (93) – Umweltziele (11.2, 11.3, 11.4, 11.5) – Wachstumszwänge (1.5) – Wachstumsunabhängigkeit (1.6.3) Umweltpolitikintegration – Wohlfahrt (91, 114) – Integrationsklausel AEUV (669) – Wohlfahrtsmessung (91 f.) – Integrationsklausel GG (11.4, 716) – Initiativrecht des Umweltministeriums (11.4, 716) Wald – Interministerielle Arbeitsgruppe „Umwelt“ (11.4, – Diffuse Stoffeinträge (347, 370) 716) – und Funktionen des Waldes (6.2) – Suspensives Vetorecht des Umweltministeriums – und Klimawandel (6.2.3) (*15, 11.4, 716) – und Nachhaltigkeit (6.1) Umweltstrategien (11) – und Nutzungsgrenzen (385, 397) – Umweltaktionsprogramme der EU (11.3.4.1, – Waldbesitz (346) 11.3.5.1, 11.3.5.2) – Waldumbau (6.2.6.2) – Umweltprogramme in Deutschland (11.3.1, 11.3.2, 692, 11.3.5.2, 11.4, 11.5) – Zustand des Waldes (6.2.6)

Umweltverbund, Förderung (312, 5.5.3) Waldstrategie – der Länder (351, 377, 379) Umweltzonen (334 ff.) – Waldstrategie 2020 (6.3) UVP (529) Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) (424, 8.3.5) Verantwortung (43, siehe auch Staatliche Verant- wortung) Wasserverbrauch – Rohstoffabbau (110) Verbraucherverhalten (119, 3.5, 3.6) Wild Verkehrsaufkommen (siehe Güterverkehr und – Wald-Wild-Konflikt (6.2.6.1) Personenverkehr) – Wildschaden (362, 6.2.6.1, 6.4.6, 397) Verkehrsentwicklung in Ballungsräumen (5.3) Wildnis Verkehrsleistung (siehe Güterverkehr und Personen- – im Wald (6.2.2, 397) verkehr) – in der Nationalen Strategie zur biologischen Verkehrsunfälle (295 ff.) Vielfalt (355) – innerorts (295 ff.) – rechtlich sichern (6.4.4)

Verkehrsvermeidung (252, 263) Windkraft – im Wald (367) Verlagerung auf die Schiene (4.3.4, 286) – Monitoring der Wirkungen (595) Vogelschutzgebiete (498 ff.) – Offshore (447, 450, 468, 503, 505, 8.5.1) Volkswirtschaftliche Kosten des Verkehrs (316) Wohlfahrt (siehe Wachstum) Vorbildwirkung Zertifizierung – des öffentlichen Waldes (381, 397) – von Rohstoffen (150) Vorsorgeprinzip (11.2.1) – der Holzproduktion (366)

409 Rechtsquellenverzeichnis

Rechtsquellenverzeichnis

13. BImSchV Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immis- sionsschutzgesetzes (Verordnung über Großfeuerungs- und Gasturbinenanlagen) 2. BImSchV Zweite Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissions- schutzgesetzes (Verordnung zur Emissionsbegrenzung von leichtflüchtigen halogenierten organischen Verbindungen) 39. BImSchV Neununddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes Verordnung über Luftqualitätsstan- dards und Emissionshöchstmengen 9. BImSchV Neunte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissions- schutzgesetzes (Verordnung über das Genehmigungsverfahren) Abfallrahmenrichtlinie Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung be- stimmter Richtlinien Abfallverbrennungsanlagenrichtlinie Richtlinie 2000/76/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 4. Dezember 2000 über die Verbrennung von Abfällen (Abfallverbrennungs-Richtlinie) AEG Allgemeines Eisenbahngesetz AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade – GATT) Altauto-Richtlinie Richtlinie 2000/53/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 18. September 2000 über Altfahrzeuge AWZ Nordsee-ROV Verordnung über die Raumordnung in der deutschen ausschließ- lichen Wirtschaftszone in der Nordsee AWZ Ostsee-ROV Verordnung über die Raumordnung in der deutschen ausschließ- lichen Wirtschaftszone in der Ostsee Badegewässer-Richtlinie Richtlinie 2006/7/EG des Rates vom 8. Dezember 1975 über die Qualität der Badegewässer und deren Bewirtschaftung und zur Aufhebung der Richtlinie 76/160/EWG Batteriegesetz – BattG Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die um- weltverträgliche Entsorgung von Batterien und Akkumulatoren BauGB Baugesetzbuch BBergG Bundesberggesetz Biomasseverordnung – BiomasseV Verordnung über die Erzeugung von Strom aus Biomasse in ihrer durch die 1. Verordnung zur Änderung der Biomasseverordnung vom 9. August 2005 geänderten Fassung Biozid-Richtlinie Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid- Produkten BJagdG Bundesjagdgesetz

410 Rechtsquellenverzeichnis

Bundesartenschutzverordnung – BArtSchV Verordnung zum Schutz wild lebender Tier- und Pflanzenarten Bundes-Bodenschutzgesetz – BBodSchG Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten Bundesfernstraßenmautgesetz – BFStrMG Gesetz über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen Bundes-Immissionsschutzgesetz – BImSchG Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege Bundesschienenwegeausbaugesetz Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes Bundeswaldgesetz – BWaldG Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forst- wirtschaft CBD Übereinkommen über die biologische Vielfalt vom 5. Juni 1992 (Convention on Biological Diversity) CLP-Verordnung Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/ 2006 Düngeverordnung – DüV Verordnung über die Anwendung von Düngemitteln, Bodenhilfs- stoffen, Kultursubstraten und Pflanzenhilfsmitteln nach den Grundsätzen der guten fachlichen Praxis beim Düngen EG-Öko-Verordnung Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates vom 28. Juni 2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeich- nung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen und zur Auf- hebung der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Elektro- und Elektronikgerätegesetz – ElektroG Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die um- weltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten ELER-Durchführungsverordnung Verordnung (EG) Nr. 1974/2006 der Kommission vom 15. De- zember 2006 mit Durchführungsbestimmungen zur Verord- nung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates über die Förderung der Ent- wicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) ELER-Verordnung Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) EMAS-Verordnung Verordnung (EG) Nr. 1221/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 über die freiwillige Teil- nahme von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung und zur Auf- hebung der Verordnung (EG) Nr. 761/2001, sowie der Be- schlüsse der Kommission 2001/681/EG und 2006/193/EG Emissionshandelsrichtlinie Richtlinie 2009/29/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 23. April 2009 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Verbesserung und Ausweitung des Gemeinschaftssys- tems für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten

411 Rechtsquellenverzeichnis

Energiesteuerrichtlinie Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Re- strukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom Energiewirtschaftsgesetz – EnWG Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung Entflechtungsgesetz – EntflechtG Gesetz zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Fi- nanzhilfen EPER-Entscheidung Entscheidung 2000/479/EG der Kommission vom 17. Juli 2000 über den Aufbau eines Europäischen Schadstoffemissionsregis- ters (EPER) gemäß Artikel 15 der Richtlinie 96/61/EG des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umwelt- verschmutzung (IPPC) Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien Erneuerbare-Energien-Richtlinie Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG Eurovignetten-Richtlinie Richtlinie 2011/76/EU des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 27. September 2011 zur Änderung der Richtlinie 1999/ 62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung be- stimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie – FFH-Richtlinie Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhal- tung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen Fernstraßenausbaugesetz – FStrAbG Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen FLEGT-Verordnung Verordnung (EG) Nr. 2173/2005 des Rates vom 20. Dezember 2005 zur Einrichtung eines FLEGT-Genehmigungssystems für Holzeinfuhren in die Europäische Gemeinschaft Forstschäden-Ausgleichsgesetz – ForstSchAusglG Gesetz zum Ausgleich von Auswirkungen besonderer Scha- densereignisse in der Forstwirtschaft FoVG Forstvermehrungsgutgesetz Freisetzungsrichtlinie Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung gene- tisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz – GVFG Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Ver- kehrsverhältnisse der Gemeinden Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschafts- kodexes für Humanarzneimittel Genfer Luftreinhalteübereinkommen Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luft- verunreinigung vom 13. November 1979 Gentechnikgesetz – GenTG Gesetz zur Regelung der Gentechnik Gesetz zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rah- Gesetz zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie so- menrichtlinie wie zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes und des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtli- Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU- nie Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001

412 Rechtsquellenverzeichnis

GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gleisanschlussförderrichtlinie Richtlinie (Verwaltungsvorschrift) zur Förderung des Neu- und Ausbaus sowie der Reaktivierung von privaten Gleisanschlüssen Großfeuerungsanlagenrichtlinie Richtlinie 2001/80/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 23. Oktober 2001 zur Begrenzung von Schadstoffemis- sionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft Grundwasserrichtlinie Richtlinie 2006/118/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung Helsinki-Übereinkommen Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseege- biets (Convention on the Protection of the Marine Environment of the Baltic Sea Area) Holzhandels-Sicherungs- Gesetz – HolzSiG Gesetz gegen den Handel mit illegal eingeschlagenem Holz Industrieemissionsrichtlinie – IED Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (inte- grierte Vermeidung und Verminderung der Umweltver- schmutzung) (Neufassung) INSPIRE-Richtlinie Richtlinie 2007/2/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 14. März 2007 zur Schaffung einer Geodateninfrastruk- tur in der Europäischen Gemeinschaft (INSPIRE) ITTA Internationales Tropenholz-Übereinkommen (International Tro- pical Timber Agreement) IVU-Richtlinie Richtlinie 96/61/EG, kodifiziert als Richtlinie 2008/1/EG des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltver- schmutzung Klimarahmenkonvention – UNFCCC Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaän- derungen (United Nations Framework Convention on Climate Change) Kommunale Abwasserrichtlinie Richtlinie des Rates vom 21. Mai 1991 über die Behandlung von kommunalem Abwasser (91/271/EWG) Kreislaufwirtschaftsgesetz – KrWG Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen Lösemittelrichtlinie – VOC-Richtlinie Richtlinie 1999/13/EG des Rates vom 11. März 1999 über die Begrenzung von Emissionen flüchtiger organischer Verbindun- gen, die bei bestimmten Tätigkeiten und in bestimmten Anlagen bei der Verwendung organischer Lösungsmittel entstehen Luftqualitätsrichtlinie Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Eu- ropa MARPOL Internationales Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe in der Fassung des Proto- kolls von 1978 zu diesem Übereinkommen (International Con- vention for the Prevention of Marine Pollution from Ships – MARPOL 73/78) Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – MSRL Richtlinie 2008/56/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 17. Juni 2008 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt

413 Rechtsquellenverzeichnis

Naturschutzgesetz Baden-Württemberg Gesetz zum Schutz der Natur, zur Pflege der Landschaft und über die Erholungsvorsorge in der freien Landschaft Nitratrichtlinie Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus land- wirtschaftlichen Quellen NNatG Niedersächsisches Naturschutzgesetz Ökodesign-Richtlinie Richtlinie 2005/32/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2005 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestal- tung energiebetriebener Produkte und zur Änderung der Richt- linie 92/42/EWG des Rates sowie der Richtlinien 96/57/EG und 2000/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates Ökokennzeichengesetz – ÖkoKennzG Gesetz zur Einführung und Verwendung eines Kennzeichens für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus OSPAR-Übereinkommen Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostat- lantiks (Convention for the Protection of the Marine Environ- ment of the North-East Atlantic) Pflanzenschutzmittel-Verordnung Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates Pflanzenschutz-Rahmenrichtlinie Richtlinie 2009/128/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über einen Aktionsrahmen der Ge- meinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden POP-Übereinkommen Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe POP-Verordnung Verordnung (EG) Nr. 850/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über persistente organische Schadstoffe und zur Änderung der Richtlinie 79/117/EWG PRTR-Protokoll UN/ECE Protokoll über Register zur Erfassung der Freisetzung und Verbringung von Schadstoffen (PRTR) PRTR-Verordnung Verordnung (EG) Nr. 166/2006 des europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Januar 2006 über die Schaffung eines Euro- päischen Schadstofffreisetzungs- und -verbringungsregisters und zur Änderung der Richtlinien 91/689/EWG und 96/61/EG des Rates REACH-Verordnung Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Be- wertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagen- tur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission Regionalisierungsgesetz – RegG Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahver- kehrs Richtlinie 1999/32/EG Richtlinie 1999/32/EG des Rates vom 26. April 1999 über eine Verringerung des Schwefelgehalts bestimmter flüssiger Kraft- oder Brennstoffe und zur Änderung der Richtlinie 93/12/EWG

414 Rechtsquellenverzeichnis

Richtlinie 2004/107/EG Richtlinie 2004/107/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 über Arsen, Kadmium, Quecksil- ber, Nickel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in der Luft Richtlinie 2008/105/EG Richtlinie 2008/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien des Rates 82/176/EWG, 83/513/ EWG, 84/156/EWG, 84/491/EWG und 86/280/EWG sowie zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG Richtlinie 2010/77/EU Richtlinie 2010/77/EU der Kommission vom 10. November 2010 zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG hinsichtlich des Ablaufs der Fristen für die Aufnahme bestimmter Wirkstoffe in Anhang I Richtlinie 78/176/EWG Richtlinie 78/176/EWG des Rates vom 20. Februar 1978 über Abfälle aus der Titandioxid-Produktion Richtlinie 82/883/EWG Richtlinie 82/883/EWG des Rates vom 3. Dezember 1982 über die Einzelheiten der Überwachung und Kontrolle der durch die Ableitungen aus der Titandioxidproduktion betroffenen Umwelt- medien Richtlinie 92/112/EWG Richtlinie 92/112/EWG des Rates vom 15. Dezember 1992 über die Modalitäten zur Vereinheitlichung der Programme zur Ver- ringerung und späteren Unterbindung der Verschmutzung durch Abfälle der Titandioxid-Industrie ROG Raumordnungsgesetz RoHS-Richtlinie Richtlinie 2011/65/EU des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 8. Juni 2011 zur Beschränkung der Verwendung be- stimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten Schwefeldioxid-Richtlinie Richtlinie des Rates vom 15. Juli 1980 über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub (80/779/EWG) Seerechtsübereinkommen – SRÜ Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. De- zember 1982 SUP-Richtlinie Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkun- gen bestimmter Pläne und Programme Tabakwerbe-Richtlinie Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 26. Mai 2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwal- tungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Spon- soring zugunsten von Tabakerzeugnissen Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft – Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immis- TA Luft sionsschutzgesetz vom 24. Juli 2002 TierSchG Tierschutzgesetz Umgebungslärmrichtlinie Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm Umweltinformationsrichtlinie Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/ EWG des Rates

415 Rechtsquellenverzeichnis

Umweltzeichenverordnung Verordnung (EG) Nr. 66/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 über das EU-Umweltzeichen Urbarmachungsedikt Erlass des preußischen Königs Friedrich II. vom 22. Juli 1765 UStG Umsatzsteuergesetz UVP-Änderungsrichtlinie Richtlinie 97/11/EG vom 3. März 1997 zur Änderung der Richt- linie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten UVPG Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung UVP-Richtlinie Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträg- lichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Pro- jekten (85/337/EWG) Verordnung (EG) Nr. 726/2004 Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemein- schaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäi- schen Arzneimittel-Agentur Verwaltungsstruktur-Reformgesetz Baden-Würt- Gesetz zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und temberg zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums Vogelschutzrichtlinie Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildle- benden Vogelarten (kodifizierte Fassung) VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz Washingtoner Artenschutzübereinkommen – Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährde- CITES ten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (Convention on Inter- national Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora) Wasserhaushaltsgesetz – WHG Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts Wasserrahmenrichtlinie – WRRL Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrah- mens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasser- politik WEEE-Richtlinie Richtlinie 2002/96/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 27. Januar 2003 über Elektro- und Elektronik-Altgeräte WRRL-Tochterrichtlinie Richtlinie 2008/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien des Rates 82/176/EWG, 83/513/ EWG, 84/156/EWG, 84/491/EWG und 86/280/EWG sowie zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG

416 Einrichtungserlass

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Erlass über die Einrichtung eines Sachverständigenrates für Umweltfragen bei dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Vom 1. März 2005

§ 1 Gelegenheit, zu wesentlichen sich aus seinem Auftrag er- gebenden Fragen Stellung zu nehmen. Zur periodischen Begutachtung der Umweltsituation und Umweltbedingungen der Bundesrepublik Deutsch- land und zur Erleichterung der Urteilsbildung bei allen § 6 umweltpolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Der Sachverständigenrat für Umweltfragen kann zu Öffentlichkeit wird ein Sachverständigenrat für Umwelt- fragen gebildet. einzelnen Beratungsthemen Behörden des Bundes und der Länder hören sowie Sachverständigen, insbesondere Vertretern und Vertreterinnen von Organisationen der § 2 Wirtschaft und der Umweltverbände, Gelegenheit zur Äußerung geben. (1) Der Sachverständigenrat für Umweltfragen besteht aus sieben Mitgliedern, die über besondere wissenschaft- liche Kenntnisse und Erfahrungen im Umweltschutz ver- § 7 fügen müssen. (1) Der Sachverständigenrat für Umweltfragen erstattet (2) Die Mitglieder des Sachverständigenrates für Um- alle vier Jahre ein Gutachten und leitet es der Bundesre- weltfragen dürfen weder der Regierung oder einer gesetz- gierung jeweils im Monat Mai zu. gebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes noch dem öffentlichen Dienst des Bundes, eines Landes Das Gutachten wird vom Sachverständigenrat für Um- oder einer sonstigen juristischen Person des öffentlichen weltfragen veröffentlicht. Rechts, es sei denn als Hochschullehrer oder -lehrerin oder als Mitarbeiter oder Mitarbeiterin eines wissen- (2) Der Sachverständigenrat für Umweltfragen erstattet schaftlichen Instituts, angehören. Sie dürfen ferner nicht zu Einzelfragen zusätzliche Gutachten oder gibt Stellung- Repräsentant oder Repräsentantin eines Wirtschaftsver- nahmen ab. Das Bundesministerium für Umwelt, Natur- bandes oder einer Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerorgani- schutz und Reaktorsicherheit kann den Sachverständigenrat sation sein oder zu diesen in einem ständigen Dienst- für Umweltfragen mit der Erstattung weiterer Gutachten oder Geschäftsbesorgungsverhältnis stehen; sie dürfen oder Stellungnahmen beauftragen. Der Sachverständigen- auch nicht während des letzten Jahres vor der Berufung rat für Umweltfragen leitet Gutachten oder Stellungnah- zum Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfra- men nach Satz 1 und 2 dem Bundesministerium für Um- gen eine derartige Stellung innegehabt haben. welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu.

§ 3 § 8 Der Sachverständigenrat für Umweltfragen soll die je- (1) Die Mitglieder des Sachverständigenrates für Um- weilige Situation der Umwelt und deren Entwicklungs- weltfragen werden vom Bundesministerium für Umwelt, tendenzen darstellen. Er soll Fehlentwicklungen und Naturschutz und Reaktorsicherheit nach Zustimmung des Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder zu deren Besei- Bundeskabinetts für die Dauer von vier Jahren berufen. tigung aufzeigen. Dabei wird auf die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern nach Maßgabe des Bundesgremienbeset- § 4 zungsgesetzes hingewirkt. Wiederberufung ist möglich. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen ist nur an (2) Die Mitglieder können jederzeit schriftlich dem den durch diesen Erlass begründeten Auftrag gebunden Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak- und in seiner Tätigkeit unabhängig. torsicherheit gegenüber ihr Ausscheiden aus dem Rat er- klären. § 5 (3) Scheidet ein Mitglied vorzeitig aus, so wird ein Der Sachverständigenrat für Umweltfragen gibt wäh- neues Mitglied für die Dauer der Amtszeit des ausge- rend der Abfassung seiner Gutachten den jeweils fachlich schiedenen Mitglieds berufen; Wiederberufung ist mög- betroffenen Bundesministerien oder ihren Beauftragten lich.

417 Einrichtungserlass

§ 9 unterlagen verpflichtet. Die Pflicht zur Verschwiegenheit bezieht sich auch auf Informationen, die dem Sachver- (1) Der Sachverständigenrat für Umweltfragen wählt in ständigenrat gegeben und als vertraulich bezeichnet wer- geheimer Wahl aus seiner Mitte einen Vorsitzenden oder den. eine Vorsitzende für die Dauer von vier Jahren. Wieder- wahl ist möglich. § 12 (2) Der Sachverständigenrat für Umweltfragen gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie bedarf der Genehmigung (1) Die Mitglieder des Sachverständigenrates für Um- des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und weltfragen erhalten eine pauschale Entschädigung sowie Reaktorsicherheit. Ersatz ihrer Reisekosten. Diese werden vom Bundes- (3) Vertritt eine Minderheit bei der Abfassung der Gut- ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- achten zu einzelnen Fragen eine abweichende Auffas- heit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des sung, so hat sie die Möglichkeit, diese in den Gutachten Innern und dem Bundesministerium der Finanzen festge- zum Ausdruck zu bringen. setzt. (2) Die Kosten des Sachverständigenrates für Umwelt- § 10 fragen trägt der Bund. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen wird bei der Durchführung seiner Arbeit von einer Geschäftsstelle § 13 unterstützt. (1) Im Hinblick auf den in § 7 Abs. 1 neu geregelten Termin für die Zuleitung des Gutachtens an die Bundesre- § 11 gierung kann das Bundesministerium für Umwelt, Natur- Die Mitglieder des Sachverständigenrates für Umwelt- schutz und Reaktorsicherheit die bei Inkrafttreten dieses fragen und die Angehörigen der Geschäftsstelle sind zur Erlasses laufenden Berufungsperioden der Mitglieder des Verschwiegenheit über die Beratungen und die vom Sach- Sachverständigenrates ohne Zustimmung des Bundeska- verständigenrat als vertraulich bezeichneten Beratungs- binetts bis zum 30.06.2008 verlängern.

§ 14 Der Erlass über die Einrichtung eines Rates von Sachverständigen für Umweltfragen bei dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 10. August 1990 (GMBl. 1990, Nr. 32 , S. 831) wird hiermit aufge- hoben.

Berlin, den 1. März 2005

Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Jürgen Trittin

418 Publikationsverzeichnis

Publikationsverzeichnis Umweltgutachten, Sondergutachten, Materialienbände, Stellungnahmen Kommentare zur Umweltpolitik und Thesenpapiere Ab 2007 sind Umweltgutachten und Sondergutachten im Buchhandel oder über die Erich-Schmidt-Verlag GmbH und Co., Genthiner Str. 30 G, 10785 Berlin, zu beziehen. Umweltgutachten und Sondergutachten von 2004 bis 2006 sind erhältlich im Buchhandel oder direkt bei der Nomos- Verlagsgesellschaft Baden-Baden; Postfach 10 03 10, 76484 Baden-Baden, im Internet unter www.nomos.de. Bundestagsdrucksachen können bei der Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 100534, 50445 Köln, im Internet unter www.bundesanzeiger.de erworben werden. Ab 1998 stehen die meisten Publikationen als Download im Adobe PDF-Format auf der Webseite des SRU zur Verfü- gung (www.umweltrat.de).

Umweltgutachten Umweltgutachten 2012 Umweltgutachten 2002 Verantwortung in einer begrenzten Welt Für eine neue Vorreiterrolle Berlin: Erich Schmidt Verlag, erscheint Herbst 2012, Stuttgart: Metzler-Poeschel, 2002, 550 S., ISBN 978-3-503-13898-2 ISBN: 3-8246-0666-6 (Bundestagsdrucksache 14/8792) Umweltgutachten 2008 Umweltschutz im Zeichen des Klimawandels Umweltgutachten 2000 Schritte ins nächste Jahrtausend Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2008, 597 S., ISBN 978-3-503-11091-9 Stuttgart: Metzler-Poeschel, 2000, 688 S., (Bundestagsdrucksache 16/9990) ISBN: 3-8246-0620-8 (Bundestagsdrucksache 14/3363) Umweltgutachten 2004 Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern Baden-Baden: Nomos, 2004, 669 S., ISBN: 3-8329-0942-7 (Bundestagsdrucksache 15/3600)

Sondergutachten Vorsorgestrategien für Nanomaterialien Umwelt und Straßenverkehr Hohe Mobilität – Umweltverträglicher Verkehr Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2011, 354 S., ISBN 978-3-503-13833-3 Baden-Baden: Nomos, 2005, 347 S., (Bundestagsdrucksache 17/7332) ISBN 3-8329-1447-1 (Bundestagsdrucksache 15/5900) Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2011, 396 S., ISBN 978-3-503-13606-3 Baden-Baden: Nomos, 2004, 265 S., (Bundestagsdrucksache 17/4890) ISBN 3-8329-0630-4 (Bundestagsdrucksache 15/2626) Klimaschutz durch Biomasse Für eine Stärkung und Neuorientierung des Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2007, 124 S., Naturschutzes ISBN 978-3-503-10602-8 (Bundestagsdrucksache 16/6340) Stuttgart: Metzler-Poeschel, 2002, 211 S., ISBN 3-8246-0668-2 Umweltverwaltungen unter Reformdruck (Bundestagsdrucksache 14/9852) Herausforderungen, Strategien, Perspektiven Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2007, 250 S., ISBN 978-3-503-10309-6 (Bundestagsdrucksache 16/4690)

419 Publikationsverzeichnis

Materialien zur Umweltforschung Nr. 44 Nr. 39 Systemkonflikt in der Transformation der Stromver- Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie in sorgung Deutschland – Bestandsaufnahme, Monitoring, Öf- fentlichkeitsbeteiligung und wichtige Bewirtschaf- Fraunhofer IWES tungsfragen Berlin: SRU, 2011, 24 S. Tanja Leinweber Nr. 43 Berlin: SRU, 2009, 51 S.

Planungs-, genehmigungs- und naturschutzrechtliche Nr. 38 Fragen des Netzausbaus und der untertägigen Spei- chererrichtung zur Integration erneuerbarer Ener- Zwischen Wissenschaft und Politik gien in die deutsche Stromversorgung 35 Jahre Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen Prof. Dr. Jens-Peter Schneider Berlin: SRU, 2011, 99 S. Hans-Joachim Koch, Christian Hey Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2009, 304 S., ISBN: 978-3-503-11642-3 Nr. 42 Möglichkeiten und Grenzen der Integration verschie- Nr. 37 dener regenerativer Energiequellen zu einer 100% re- generativen Stromversorgung der Bundesrepublik Szenarien der Agrarpolitik – Untersuchung möglicher Deutschland bis zum Jahr 2050 agrarstruktureller und ökonomischer Effekte unter Berücksichtigung umweltpolitischer Zielsetzungen Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt Stephan Hubertus Gay, Bernhard Osterburg, Thomas Berlin: SRU, 2010, 80 S. Schmidt Berlin: SRU, 2004, 208 S. Nr. 41 Optionen der elektrischen Energieübertragung und Nr. 36 des Netzausbaus – Technische Möglichkeiten und Analyse der Bedeutung von naturschutzorientierten Kosten transeuropäischer Elektrizitätsnetze als Basis Maßnahmen in der Landwirtschaft im Rahmen der einer 100% erneuerbaren Stromversorgung in Verordnung (EG) 1257/1999 über die Förderung der Deutschland mit dem Zeithorizont 2050 Entwicklung des ländlichen Raums Prof. Dr. Heinrich Brakelmann, Prof. Dr. Istvan Erlich Bernhard Osterburg Berlin: SRU, 2010, 87 S. Stuttgart: Metzler-Poeschel, 2002, 103 S., ISBN: 3-8246-0680-1 Nr. 40 Möglichkeiten des großräumigen (transeuropäischen) Nr. 35 Ausgleichs von Schwankungen großer Teile intermit- Waldnutzung in Deutschland – Bestandsaufnahme, tierender Elektrizitätseinspeisungen aus regenerati- Handlungsbedarf und Maßnahmen zur Umsetzung ven Energiequellen in Deutschland im Rahmen einer des Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung 100% regenerativen Stromversorgung mit dem Zeit- horizont 2050 Harald Plachter, Jutta Kill, Karl-Reinhard Volz, Frank Hofmann, Roland Meder Dr. Gregor Czisch Stuttgart: Metzler-Poeschel, 2000, 298 S., Berlin: SRU, 2010, 135 S. ISBN: 3-8246-0622-4

Nr. 34 Stuttgart: Metzler-Poeschel, 2000, 138 S., ISBN: 3-8246-0621-6 Die umweltpolitische Dimension der Osterweiterung der Europäischen Union: Herausforderungen und Chancen Alexander Carius, Ingmar von Homeyer, Stefani Bär

420 Publikationsverzeichnis

Stellungnahmen Nr. 16 Nr. 7 Fischbestände nachhaltig bewirtschaften – Zur Re- Kontinuität in der Klimapolitik – Kyoto-Protokoll als form der Gemeinsamen Fischereipolitik Chance November 2011, 50 S. September 2005, 19 S.

Nr. 15 Nr. 6 100% erneuerbare Stromversorgung bis 2050: klima- Feinstaub durch Straßenverkehr – Bundespolitischer verträglich, sicher, bezahlbar Handlungsbedarf Mai 2010, 92 S. Juni 2005, 22 S.

Nr. 5 Nr. 14 Rechtsschutz für die Umwelt – die altruistische Ver- Für eine zeitgemäße Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) bandsklage ist unverzichtbar November 2009, 28 S. Februar 2005, 33 S.

Nr. 13 Nr. 4 Abscheidung, Transport und Speicherung von Koh- Zur Wirtschaftsverträglichkeit der Reform der Euro- lendioxid päischen Chemikalienpolitik Der Gesetzentwurf der Bundesregierung im Kontext Juli 2003, 36 S. der Energiedebatte April 2009, 23 S. Nr. 3

Nr. 12 Zur Einführung der Strategischen Umweltprüfung in das Bauplanungsrecht Arzneimittel in der Umwelt Mai 2003, 17 S. April 2007, 51 S. Nr. 2 Nr. 11 Windenergienutzung auf See Die nationale Umsetzung des europäischen Emissions- April 2003, 20 S. handels: Marktwirtschaftlicher Klimaschutz oder Fortsetzung Nr. 1 der energiepolitischen Subventionspolitik mit anderen Mitteln? Zum Konzept der Europäischen Kommission für eine April 2006, 15 S. gemeinsame Meeresumweltschutzstrategie Februar 2003, 13 S.

Nr. 10 Stellungnahme zum Referentenentwurf einer novel- lierten 17. BImSchV Der Umweltschutz in der Föderalismusreform August 2002, 24 S. Februar 2006, 23 S. Stellungnahme zur Anhörung der Monopolkommis- sion zum Thema „Wettbewerb in der Kreislauf- und Nr. 9 Abfallwirtschaft“ Februar 2002, 7 S. Auf dem Weg zur Europäischen Ressourcenstrategie: Orientierung durch ein Konzept für eine stoffbezo- Stellungnahme zum Regierungsentwurf zur deutschen gene Umweltpolitik Nachhaltigkeitsstrategie November 2005, 15 S. Februar 2002, 4 S.

Stellungnahme zum Ziel einer 40-prozentigen CO2- Nr. 8 Reduzierung Dezember 2001, 3 S. Die Registrierung von Chemikalien unter dem REACH-Regime – Prioritätensetzung und Untersu- Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Neu- chungstiefe regelung des Bundesnaturschutzgesetzes Oktober 2005, 53 S. März 2001, 9 S.

421 Publikationsverzeichnis

Kommentare zur Umweltpolitik

Nr. 8 Nr. 5 Laufzeitverlängerung gefährdet Erfolg der erneuer- Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine baren Energien Meeresschutzstrategie – Rückzug aus der europäi- September 2010, 12 S. schen Verantwortung? April 2006, 15 S. Nr. 9 Nr. 4 Ökologische Leitplanken setzen, natürliche Lebens- grundlagen schützen – Empfehlungen zum Fort- Koexistenz sichern: Zur Novellierung des Gentechnik- schrittbericht 2012 zur nationalen Nachhaltigkeits- gesetzes strategie März 2004, 14 S. September 2011, 22 S. Nr. 3 Nr. 7 Nationale Umsetzung der Reform der europäischen Agrarpolitik Towards Sustainable Fisheries März 2004, 7 S. Comment to the Commission’s Green Paper “Reform of the Common Fisheries Policy” (COM(2009)163 fi- nal) Nr. 2 Oktober 2009, 10 S. Emissionshandel und Nationaler Allokationsplan (nur in englischer Sprache) März 2004, 15 S.

Nr. 6 Nr. 1 Klimaschutz in der Finanzkrise Das Dosenpfand im Rechtsstreit Dezember 2008, 23 S. November 2002, 5 S.

Thesenpapiere Weichenstellungen für eine nachhaltige Stromversor- gung Mai 2009, 25 S.

422 Die umweltpolitische Debatte wird in Zukunft mehr und mehr durch den Leitbegriff Umweltgutachten der ökologischen Grenzen bestimmt werden: In einer begrenzten Welt kann es ­keine unbegrenzte Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen geben. Nachhaltiges Wirt- schaften erfordert eine Entkopplung von Wohlfahrt und Ressourcennutzung durch 2012 grundlegende Innovationen, veränderte Lebensstile und die Aufwertung überlebens- wichtiger Ökosystemleistungen. Im vorliegenden Umweltgutachten hat sich der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) bewusst auf wenige Schwerpunktthemen konzentriert, für die er einen besonde- Verantwortung ren Handlungs- oder Orientierungsbedarf sieht. Diese hat er zu den drei thematischen Clustern „Wohlfahrt und Ressourcennutzung entkoppeln“, „Ökosystemleistungen in einer aufwerten“ und „Integrative Konzepte stärken“ gebündelt. begrenzten Welt Der SRU berät die Bundesregierung seit 1972 in Fragen der Umweltpolitik. Die Zu- SRU · Umweltgutachten 2012 · Verantwortung in einer begrenzten Welt in einer begrenzten Verantwortung SRU · Umweltgutachten 2012 sammensetzung des Rates aus sieben Professorinnen und Professoren verschiedener Juni 2012 Fachdisziplinen gewährleistet eine wissenschaftlich unabhängige und umfassende Be- gutachtung sowohl aus naturwissenschaftlich-technischer als auch aus ökonomischer, rechtlicher und politikwissenschaftlicher Perspektive.

(D) € 9 783503 138982 59,00