AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR MAINZ FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR

Jahrgang 2010 4. Clemens Zintzen (Hrsg,) 1. Thomas Finkenauer Die Zukunft des Buches. Vorträge des Abhandlungen der Die Rechtsetzung Mare Aurels zur Symposions der Geistes- und sozial­ Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse Sklaverei wissenschaftlichen Klasse und der ISBN 978-3-515-09677-5 Klasse der Literatur in der Akademie Jahrgang 2015 • Nr. 6 108 18,- der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, am 20. Mai 2010 2. Gernot Wilhelm (Hrsg.) ISBN 978-3-515-09893-9 / Unterwegs zu neuen Weltordnungen? 75 15,- Folgen der Globalisierung. Zukunfts­ fragen der Gesellschaft. Vorträge des 5. Ernst Symposions vom 22. Februar 2008 Aletheia. Eine Episode aus der ISBN 978-3-515-09724-6 Geschichte des Wahrheitsbegriffs Michael Custodis 57 S., € 13,- ISBN 978-3-515-09917-2 29 S., € 7,- 3. Mare Lienhard Identität im Wandel: Die Elsässer 6. Ludwig M. Eichinger Rudolf Gerber und die Anfänge ISBN 978-3-515-09725-3 Normprobleme, oder: Variation ist € 8,- sinnvoll. zum heutigen Deutsch der Gluck-Gesamtausgabe 4, Walter Slaje ISBN 978-3-515-09931-8 "Neti neti". On the meaning of an 76 S., € 15,- Upani~adic citation of some renown in Hindu texts and Western minds 7. Ernst Osterkamp ISBN 978-3-515-09799-4 Spartacus unter den Deutschen. Über 52 € 10,- die Geschichte einer literarischen Niederlage ISBN 978-3-515-10084-7 Jahrgang 2011 29 S. (inkl. 3 s!w-Abb.), 7 - 1. Otmar Issing Krise des Euro? - Krise Europas? Vor 8. Ruppreeht trag vom 5. November 2010 anlässlich Recht und Rechtsleben im der Jahresfeier der Akademie der Wis­ pt()lemä,is(:he>ll und römischen senschaften und der Literatur, Mainz Mn:VT1'~HlrL An der Schnittstelle ISBN 978-3-515-09837-3 griechischen und ägyptischen Rechts 25 € 6,- 332 a.C. 212 p.C. ISBN 978-3-515-10085-4 2. Bernard Andreae 63 2 s!w-Abb.), ApeHes von Kolophon. Das Telephos bild aus Herculaneum im antiken und modernen Kunsturteil Jahrgang 2012 ISBN 978-3-515-09838-0 1. Jansohn 69 S. 15 Farbabb.), € 16,- Zu Pest und in der englischen Literatur 3. Udo W. Scholz ISBN 978-3-515-10234-6 Der römische Kalender. Entstehung 103 18,- und Entwicklung ISBN 978-3-515-09892-2 84 S., € 16,-

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR • MAINZ FRANZ STEINER VERLAG . STUTTGART Eingereicht am 25. August 2015, zum Druck genehmigt am selben Tag, ausgegeben am 14. Dezember 2015.

Nähert man sich dir Geschichte der deutschsprachigen Musikwissenschaft als aka­ demischer Disziplin, um entlang wesentlicher Entwicklungslinien Konstanten wie Varianten im Denken über Musik und ihrer wissenschaftlichen Beschreibung zu rekonstruieren, gerät bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein Charakteristikum in den Blick, dass über alle politischen, sozialen und fachlichen Veränderungen hin­ weg für mehr als einhundert Jahre relativ intakt blieb: die aus einer philologischen Methodenpräferenz entstandene Editionspraxis. Zum einen nahm man mit gro­ ßer Geste in Korrelation zum bürgerlichen Patriotismus das Gesamtschaffen von Komponisten in den Blick, die zum Kernbestand tradierter deutscher Musikkul­ tur erklärt wurden, so dass ihr Werk idealtypisch in aller Vollständigkeit in einer kritischen Gesamtausgabe zusammengefasst werden sollte; als ein Musterfall gilt hier die von der Leipziger Bach-Gesellschaft 1850 initiierte Edition. Zum anderen entstanden mit Reihen wie Denkmäler Deutscher Tonkunst, Denkmäler der Tonkunst

in Bayern bzw. Österreich Publikations unternehmen, 1 die den kompilierten Werken eine gemeinsame kulturelle Identität unterstellten und sie im Sinne einer musikhis­ torischen Ahnenreihe kanonisierten. In seltener Deutlichkeit überkreuzten sich bei diesen Editionsprojekten Perso­ nengeschichten führender Musikwissenschaftier mit Forschungsprämissen, The­ menpräferenzen und Methodentraditionen. In Forschungsergebnisse großangeleg• Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek ter Langzeiteditionen übersetzen ließen sich diese Interessen allerdings erst, wenn Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; entsprechende finanzielle Ressourcen erschlossen werden konnten. Und während detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Großprojekte wie die Bach-Gesamtausgabe noch auf den Bedarf einer großen, mu­ ISBN: 978-3-515-11248-2 sikinteressierten Öffentlichkeit und ihrer Musikfeste mit einem Subventionssystem reagierten,z waren die meisten der folgenden Editionen ohne staatliche Förderung

Wolfgang Schmieder, Artikel Gesamtausgaben, in: MGG 4, Kassel et al. 1955, Sp. 1850f. sowie Dietrich Berke und Wolfgang Schmieder, Denkmäler und Gesamtausgaben, in: MGG2, © 2015 by Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz Sachteil2, Kassel et al. 1995, Sp. 1109f. Alle Rechte einschließlich des Rechts zur Vervielfältigung, zur Einspeisung in elektronische 2 Mark Burford, Nationalism, liberalism, and commemorative practice. A tale 0/ two 19th-century Systeme sowie der Übersetzung vorbehalten. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen Bach editions, in: Musics intellectual history, New York 2009; Karen Lehmann, Die Anfonge des Urheberrechtsgesetzes ist ohne ausdrücldiche Genehmigung der Alcademie und des Verlages einer Bach-Gesamtausgabe. Editionen der Klavierwerke durch Ho./fineister und Kühnel (Bureau unzulässig und strafbar. de Musique) und CR Peters in Leipzig 1801-1865, Leipzig und Hildesheim 2002; Hans­ Druck: Druckerei & Verlag Steinmeier GmbH & Co. KG, Deiningen Joachim Hinrichsen, Die Bach-Gesamtausgabe und die Kontroversen um die Auffohrungspraxis Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier der Vokalwerke, in: Bach und die Nachwelt. Band 2 1850-1900, hg. von Michael Heinemann Printed in Germany und demselben, Laaber 1999. ~:

4 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 5 nicht realisierbar. Voraussetzung einer erfolgreichen Akquise langfristiger Ressour­ Nach dessen Tod im Jahr 1957 führte zunächst sein Mitarbeiter Friedrich-Heinrich cen war die wissenschaftliche Bestätigung kulturpolitischer Leitlinien, in diesen Neumann die Gesamtausgabe weiter, nach dessen überraschendem Tod 1959 wur­ Fällen des Wilhelminischen Staates. Dass sich die konservativen akademischen Eli­ de sie von Gerhard eroll fortgesetzt. Nach Unterstützung durch die Volkswagen­ ten ohnehin mit der Leitkultur des deutschen Kaiserreiches identifizierten, doku­ Stiftung ab 1962, das Bundesministerium für Forschung und Technologie sowie mentierten sie in wirkmächtigen Biografien.3 Während den Editionen mmit keine kurzzeitig die Deutsche Forschungsgemeinschaft wurde die Gluck-Gesamtausgabe ideologischen Kompromisse im Wege standen,4 erscheinen die politischen Entste­ ab 1979 in das von Bund und Ländern geförderte Akademienprogramm aufgenom­ hungsumstände einiger dieser Langzeitunternehmen aus heutiger Sicht wesentlich men. Seit 1978 ist/die Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz problematischer, wie am Beispiel der Gluck-Gesamtausgabe zu zeigen sein wird. Trägerin der Ausgabe. 6 Nach der Wende zum 20. Jahrhundert verfügten die meisten der neubegon­ Ausgangspunkt der vorliegenden Studie war eine Ideine Notiz der von Herbert nenen oder weitergeführten Gesamtausgaben über keine Anbindung zum prak­ Gerigk für das Amt Rosenberg der NSDAP herausgegebenen Verbundzeitschrift tischen Musildeben im Sinne einer selbstständigen Präsenz der entsprechenden Musik im Kriege. Dort ist im Winterheft 1943/44 zu lesen, dass vom Staatlichen Werke in den Spielplänen von Konzert- und Opernhäusern. Als Liebhaberunter­ Institut für Deutsche Musikforschung beim Göttinger Musikhistoriker Rudolf Ger­ nehmungen musikbegeisterter Laien und Wissenschaftler waren sie vielmehr dem ber eine auf 35 Bände kalkulierte Gesamtausgabe der Werke "des großen Musikers Wunsch entsprungen, ehemals prominente oder nur durch Werkausschnitte be­ Christoph Willibald Gluck"7 in Auftrag gegeben worden sei. Wie konnte ein sol­ kannte Künstler im Kanon der bürgerlichen Musikkultur zu etablieren. Um im ches philologisches Großunternehmen im vierten Kriegsjahr auf den Weg gebracht Detail nachvollziehen zu können, wie erstens aus Arbeitsschwerpunkten einzelner werden? Welchen propagandistischen Mehrwert versprach sich eine Diktatur, die Protagonisten und Kollektivinteressen von Fachverbänden und Verlagen gemein­ auf der im 19. Jahrhundert postulierten Konstruktion von der Weltgeltung der same Forschungsschwerpunkte sich entwickelten, wie diese zweitens bei Wissen­ deutschen Musik zwar beharrte und damit aber vor allem Bach, Beethoven und schaftsorganisationen und staatlichen Kulturinstanzen platziert werden konnten Wagner assoziierte, von einer Gluck-Edition, um sie der herrschenden rassistischen und drittens solche Forschungsziele über politische Systemwechsel hinweg relativ Leitkultur einzufügen? Zur Beantwortung dieser Fragen ist aus Gründen der Über• intakt blieben, bietet die seit Dezember 1940 mit einer Denkschrift vorbereitete sichtlichkeit zunächst auf die Verschränkung von Rudolf Gerbers Karriere mit sei­ und seit 1951 unter der Leitung von Rudolf Gerber in Karl Vötterles Bärenreiter• nem Lebensthema Gluck einzugehen, um anschließend chronologisch den Gang Verlag erscheinende Gluck-Gesamtausgabe ein Fallbeispiel von seltener Deutlich­ der Ereignisse zu schildern. keit. 5 Die hier vorgelegte Darstellung schließt mit der Herausgeberschaft Gerbers. 1. 3 Siehe prototypisch Philipp Spitta, Johann Sebastian Bach (2 Bände), Leipzig 1873 und 1880 sowie dazu Karen Lehmann, Die Idee einer Gesamtausgabe: Projekte und Probleme, in: Bach Rudolf Gerber (1899-1957) war als Schüler Hermann Aberts bereits in der Früh• und die Nachwelt. Band 11750-1850, Laaber 1997, S. 262-267 und das Unterkapitel5.2 Die phase seiner akademischen Laufbahn sowohl mit dem Thema Gluck als auch mit Nation als Geschichtsg1'oße bei Frank Hentschel, Bürgerliche Ideologie und Musik. Politik der der Absicht, diesem Komponisten eine Gesamtausgabe zu widmen, in Berührung Musikgeschichtsschreibung in Deutschland 1776-1871, Frankfurt 2006. gekommen. Weder aber die 1909/10 gegründete und von Abert angeführte Leip­ 4 Celia Applegate und Pamela Potter, Germans as the "People Genealogy an Identity, 0/Music'~ 0/ ziger Gluck-Gesellschaft noch die 1913 von Max Arend ins Leben gerufene Dresd- in: dieselben (Hg.), Music and German National Identity, Chicago 2002, S. 15. 5 Für uneingeschränkte und unvoreingenommene Unterstützung der Recherchen ist folgen­ den Personen und Institutionen herzlich zu danken: Dr. Gabriele Buschmeier (Akademie der Mainz) , Prof. Dr. Albrecht Riethmüller (Freie Universität Berlin), Prof. Barbara Scheuch­ Wissenschaften und der Literatur, Mainz) , Prof. Dr. Gerhard Croll (Universität Salzburg), Vötterle und Patrick Kast (Bärenreiter-Verlag) sowie Yuliya Shein (Gluck-Gesamtausgabe Dr. Thomas Ertelt und Falk Hartwig (Staatliches Institut für Musikforschung Preußischer Arbeitsstelle Mainz). Kulturbesitz, Berlin), Dr. Eva-Marie Felschow (Archiv der Justus-Liebig-Universität Gießen), 6 Siehe hierzu ausführlich Gabriele Buschmeier, Musikwissenschaft im Akademienprog1·amm. Dr. Thomas Franke (Niedersächsisches Landesarchiv Hannover), Prof. Dr. Friedrich Gei­ Eine Bestandsaufnahme von den Anfingen bis heute, in: Archiv für Musikwissenschaft 69 (2012), ger (Universität Hamburg), Dr. Vera Grund (Gluck-Gesamtausgabe Forschungsstelle Salz­ Heft 4. burg), Dr. Ulrich Hunger (Universitätsarchiv Göttingen), Matthias Meissner (Bundesarchiv 7 Musik im Kriege (= Organ des Amtes Musik beim Beauftragten des Führers für die Überwachung Berlin), Christine Peters (Stadtarchiv Hannover), Walter Pietrusziak (Archiv der Deutschen der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP) , Dezember Forschungsgemeinschaft), Prof. Dr. Klaus Pietschmann (Johannes Gutenberg-Universität 1943/Januar 1944, Heft 9/10, S. 197. 6 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Arlfange der Gluck-Gesamtausgabe 7 ner Gluck-Gemeinde waren mit ihren Editionsplänen erfolgreich gewesen. 8 Die als \XTissenschaftler noch als Privatmann ließ Gerber Zweifel an seiner Gesinnung ersten eigenen Erfahrungen bei einer Gesamtausgabe sammelte Gerber zwischen aufkommen,14 fungierte als Blockhelfer seines Wohnviertels15 und absolvierte 1938 1928 und 1935 als Herausgeber dreier Bände der Praetorius-Edition, woraus man das SA-Sportabzeichen. Als weitere Mitgliedschaften gab Gerber im zweiten Entna­ rückschließen kann, dass ab dieser Zeit bei ihm die Idee langsam heranreifte, eine zifizierungsfragebogen u.a. an: Gesamtausgabe für Gluck zu versuchen und diese gründlicher als seine Vorgänger NSDAP "Anwärter (ohne Mitgliedsbuch) seit 1. 10. 37" zu planen. NSDoB. "nich/erinnerlich, vermutlich 1939 aus der Reichsdozentenschaft Der Beginn von Gerbers Universitätslaufbahn war ähnlich unauffällig wie bei übernommen" anderen Musikwissenschaftlern seiner Generation: Zum Abschluss seiner Assis­ NSV "ja 1934 bis 1945" tentenzeit bei Abert in Berlin absolvierte er in dessen Todesjahr 1928 seine Habi­ NS.-Lehrerbund "vermutlich ja 1934/35 vor Übernahme in die Reichsdozen­ litation. Da er von Aberts Nachfolger Arnold Schering anschließend nicht über• tenschaft" nommen wurde, musste er ein halbes Jahr überbrücken,9 bis er als Privatdozent Reichsdozentenschaft "ja 1935 (?) bis 1945" und Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts nach Gießen wechseln konnte. Deutsches Rotes Kreuz "ja 1935 bis 1945" Mit zusätzlichen Lehraufträgen an der Universität in Frankfurt (1933 bis 1935) Reichskolonialbund "ja 1936 bis ?" sowie an der dortigen Musikhochschule als Dozent für Kirchenmusik (bis 1938) Reichsluftschutzbund "ja 1935 [recto 29. Mai 1934] bis 1945" Volksbund für das Deutschtum im Ausland (VDA.) "ja 1934 bis 1938 oder 39" schränkte er die Vielzahl seiner Verpflichtungen erst ein, als man ihn 1937 (dem "Staatl. Institut für deutsche Musikforschung 1935 bis 1945" Jahr seines Parteieintritts)lO in Gießen zum planmäßigen außerordentlichen verbe­ ,,Akademie für gemeinnützige Wissenschaften Erfurt 1937 bis heute".16 amteten Professor beförderte und er sich fortan noch stärker der Forschung widme­ te. Seine Verpflichtungen an der Frankfurter Musikhochschule behielt er allerdings Als Vortragsredner und Autor legte Gerber ab 1935 ein ldares politisches Bekenntnis bei, um dort von 1938 bis 1943 musikwissenschaftliche Lehrveranstaltungen abzu­ ab und benannte beispielsweise in der Zeitschrift für Musik die Aufgaben der Musik­ halten. Vermutlich aus Kapazitätsgründen endeten diese zeitgleich mit seiner Beru­ wissenschaft im Dritten Reich. Hier liest man nun von der "notwendigen und längst fung zum Ordinarius nach Göttingen, zumal er bis kurz vor Kriegsende seine alte ersehnten Einschaltung unserer Wissenschaft in die große, einheitliche Kulturar­ Stelle in Gießen zusätzlich weiterhin vertratY Für die Sommersemester 1939 und beit, die uns im Dritten Reich gestellt ist und damit die sichtbare Legitimierung 1941 finden sich auch zwei Lehrveranstaltungen Gerbers zu Gluck im Gießener der musikalischen Forschung überhaupt". Auch erfahrt man von einer zu schaf- Seminarangebot.12 Unterbrochen wurde die Lehrtätigkeit des weitgehend uk-ge­ stellten Gerber nur durch kurze Verpflichtungen zum Militärdienst im Winterse­ mester 1944/45,13 währenddessen Werner Korte ihn in Göttingen ersetzte. Weder bis 1940 dgl. Unteroffizier, 1944 bis 1945 Luftschutzeinheit in Schwerin, Wismar, Hannover Unteroffizier." Auch in seinem ersten Fragebogen vom 24. Mai 1945 hatte Gerber die un­ 8 Gerhard Croll, Die Gesamtausgabe der "Werke von Christoph Willibald Gluck, gestern und heute, richtige Arlgabe gemacht, nicht vom Militärdienst befreit gewesen zu sein. Siehe für seine in: Gluck-Schriften. Ausgewählte Aufiätze und Vorträge 1967-2002, hg. von Irene Brandenburg wiederholt verlängerten UK-Stellungen dagegen in seiner Göttinger Rektoratsalne (März und Elisabeth Richter, Kassel et al. 2003, S. 339. 1943 bis zum Mai 1957, Sig. 2997, Universitätsarchiv Göttingen) Schreiben des Dekans der 9 Auflistung von Rudolf Gerbers Dienstzeiten (datiert auf den 14. August 1957) in seiner Per­ Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität an den Kurator der Universität vom sonalakte der Philosophischen Fakultät, Universitätsarchiv Göttingen. 10. April 1943, 14. Februar und 11. Juli 1944. 10 Gerber wurde am 17. Oktober 1937 mit der Nummer 5863193 in die NSDAP aufgenom­ 14 Schreiben der Landesregierung an die Abteilung VII vom 8. Februar 1937 in Gerbers men, Bundesarchiv Berlin (BArch) R 4901-13263, Blatt 2820. Gießener Personalakte: "Sein politisches Verhalten war vor und nach der Machtübernahme 11 Personalakte von RudolfGerber im Universitätsarchiv Gießen Sig. PrA Phil Nr. 9, Dokument einwandfrei." Siehe zu seiner Zuverlässigkeit auch ein Schreiben des Hauptamtes Wissen­ des Reichsstatthalters in Hessen - Landesregierung - Abteilung VII vom 23. Juni 1943. schaft, Amt Wissenschaftsbeobachtung vom 2. Februar 1942 an die Partei-Kanzlei München 12 Sommersemester 1939 Das musikdramatische "Werk Chr. W. Glucks und Sommersemester (BArch NS 15-237, Blatt 88) sowie einen Kommentar zur Liste mit Vortragenden zum Tag 1941 Geschichte der Oper im 18. Jahrhundert (von Händel bis Gluck und Mozart), siehe Archiv der deutschen Hausmusik des Deutschen Volksbildungswerkes vom August 1942 (BArch NS flr Musikforschung4 (1939), S. 252 bzw. 6 (1941), S. 118. 15-254, Blatt 181): "Prof. Dr. RudolfGerber steht ebenfalls in Verbindung mit unserem Amt 13 Arlgaben über Militärdienst in Gerbers zweitem Entnazifizierungsfragebogen vom 28. Juli Musik und wird als Gelehrter wegen seiner ldaren weltanschaulichen Haltung geschätzt." 1947, Entnazifizierungsakte Sig. Nds 171 Hildesheim Nr. 16018, Niedersächsisches Landes­ 15 BArch R 4901-13263, Blatt 2820. archiv Hannover: ,,1938 9.10. bis 10.10. Luftnachrichtenkompanie Gießen Gefreiter, 1939 16 Fragebogen II vom 28. Juli 1947 in seiner Entnazifizierungsakte. 8 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfange der Gluck-Gesamtausgabe 9

fenden "völkischen Musikgeschichtsforschung" ,17 um die "stammesmäßigen und Sippe. "21 Gleiches gilt für seinen Beitrag Die deutsche Wesensform bei Händel und rassischen Sonderheiten innerhalb der deutschen Musikgeschichte auszuweisen" .18 Gluck, der sich über das allen "welschen",22 sprich verweichlichenden Einflüssen Im Ton identisch ist sein Beitrag von 1939 Die Musik der Ostmark. Eine Wesens­ trotzende germanische Wesen der beiden Komponisten ausließ, dessen Grundlagen schau aus ihrer Geschichte. Ihre Widerstandskraft habe die österreichische Musik ein "tiefes, unverkennbar deutsches Verantwortungsbewußtsein"23 sowie ein "nicht - als Teil der deutschen Kultur - vor allem in der jahrhundertelangen Abwehr mu­ minder der deutschen Wesensart entspringendes kritisch-abwägendes und zugleich sikalischer Fremdherrschaft bewiesen, beispielsweise während der "Überflutung" willens mäßig-stürmisches Kämpfertum" gewesen sei. Denn, so Gerber weiter, das Europas durch den niederländischen Musikstil im 16. Jahrhundert. 19 In der ersten / nordische Erbteil im deutschen Blut läßt den deutschen Menschen nicht nur Hälfte des 20. Jahrhunderts sei der "Genius der Ostmark" in einen tiefen Schlaf im praktischen Handeln oder im wissenschaftlichen Forschen, sondern auch in versunken, "er träumte auf den anmutigen Fluren Niederösterreichs oder erglänzte der Welt der künstlerischen Phantasie Probleme, Widerstände und Konflikte in stiller Einsamkeit im Firnschnee der Salzburger und Kärntner Alpengipfel. Er sehen, die "überwunden" werden müssen. Der wirldiche deutsche Künstler ist kehrte zur bäuerlichen Scholle zurück oder sang sein ewig junges Lied in der hoch­ mit seinem ganzen Innern, mit Ernst und stärkster Anteilnahme, d.h. mit allen gelegenen Almhütte", da in den Jahrzehnten zuvor das internationale Judentum, tieferen Kräften seines Menschentums auch bei seiner künstlerischen Aufgabe, angeführt von seinem Hauptvertreter, dem "tschechischen Ghetto-Juden Gustav die ihm eine wirldiche Aufgabe und nicht nur spielhafte Ergötzung ist. 24 Mahler",20 eine Ära des äußeren und inneren Zerfalls besiegelt habe. Mit dem gera­ Es sei daher dem "wikingerhaften Zug" in der "rassischen Wesenheit" der "un­ de vollzogenen Anschluss Österreichs verbinde sich daher - so Gerber abschließend verkennbar nordischen Herrenmenschen"25 Händel und Gluck zu verdanken, dass - der vordringliche Wunsch, dass nach einer Zeit der Auslöschung das echte und mit ihnen als den "tatkräftigsten Wegbereitern der deutschen Weltherrschaft in der wahre Österreicherturn von Neuem aufbrechen möge und künden solle "von der Musik"26 die "geschichtliche Stunde" für die deutsche Musik gekommen sei und unversiegbaren und in Zeiten der Not sich selbst verjüngenden Kraft des deutschen dieser Anspruch bis in die Gegenwart fortbestehe. Geistes." Es passt somit ins Bild, dass Gerber auch in der musikwissenschaftlichen Es ist aus heutiger Sicht schwer zu entscheiden, mit welcher Motivation und Sektion der ersten Reichsmusiktage 1938 in Düsseldorf mit einem Vortrag über Überzeugung Gerber diese wissenschaftlich dürftigen, ideologisch umso eindeu­ Volkstum und Rasse in der Persönlichkeit und Kunst von Johannes Brahms präsent war. tigeren Texte verfasste, ihre strategische Funktion als Karriereschriften verfehlten sie Gerbers Schriften zu Gluck, die im zeitlichen Umfeld seiner 1941 vorgelegten jedenfalls nicht, ihm den Weg bis ins Zentrum der deutschen musikwissenschaft­ Komponistenbiografie als Zeitschriftenaufsätze erschienen, durchzieht ebenfalls lichen Forschung zu ebnen. Wie seine Personalakte anlässlich seiner Ernennung dieser politisierte Tonfall. So stößt man in seinen Neuen Beiträgen zur Gluckschen zum planmäßigen außerordentlichen Professor 1937 vermerkt, wurde er "als Mit­ Familiengeschichte auf typische propagandistische und antisemitische Floskeln von glied in die von dem Herrn Reichserziehungsminister gebildete Kommission zur "kerndeutschen Volkstumsgebieten", "völkischen Grenzgebieten" und "fremdvöl• Herausgabe der deutschen Musikdenkmale"27 berufen, angesiedelt beim Staatlichen kischer Abstammung" und erfährt auch hier von der Notwendigkeit musikwissen­ Institut für Deutsche Musikforschung, das 1935 auf Initiative von Bernhard Rusts schaftlicher Volkstums- und Rasseforschung: "Denn gerade in der Kunst - und spe­ ziell beim Musiker - entspringt das Seelenhafte seiner Schöpfung und seines Wesens bis zu einem hohen Grade den Kräften der durch Volkstum und Rasse getragenen 21 Rudolf Gerber, Neue Beiträge zur Gluckschen Familiengeschichte, in: Archiv für Musikforschung 6 (1941), Heft 3, S. 129f. 22 Rudolf Gerber, Die deutsche Wesensform bei Händel und Gluck, in: Deutsche Musikkultur 6 (1941-42), S. 109f. 23 Ebenda, S. 111. 17 Rudolf Gerber, Die Aufgaben der Musikwissenschaft im Dritten Reich, in: Zeitschrift für Musik 24 Ebenda, S. 114. Siehe zur Konstruktion einer ideologischen Genealogie Händel - Gluck 102 (1935), Heft Mai, beide Zitate S. 500. - Wagner und der Stilisierung Händels zum "Wikinger" , Georg Fried­ 18 Ebenda, S. 501. Siehe zum Zusammenhang dieses Textes zu Gerbers Rolle im Dritten Reich rich Händel, in: Gestaltung der Idee. Blut und Ehre H. Band Reden und Aufiätze 1933-1935, Albrecht Riethmüller, Deutsche Musik aus der Sicht der deutschen Musikwissenschaft nach 1933, München 1°1939, S. 282ff. in: Das Deutsche in der Musik, hg. von Marion Demuth, Dresden 1997, S. 72f. 25 Gerber, Die deutsche Wesensform bei Händel und Gluck, S. 115. 19 Rudolf Gerber, Die Musik der Ostmark. Eine Wesensschau aus ihrer Geschichte, in: Zeitschriftfür 26 Ebenda, S. 117. Deutsche Geisteswissenschaft 2 (1939), Heft 1, S. 65. 27 Personalakte der Philosophischen Fakultät, Universitätsarchiv Göttingen, Ernennungsunter­ 20 Ebenda, S. 77f. lagen vom 13. Dezember 1937.

J.. 10 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 11

Ministerium 1935 aus den Überresten des Bückeburger Instituts hervorgegangen ponisten reklamierte zur "Inangriffnahme einer nach wissenschaftlichen Gesichts­ war. Auch seine akademische Karriere bekam nun den nötigen Schwung, um in die punkten ausgerichteten und gleichzeitig der Praxis dienenden Gesamtausgabe der vordere Linie der deutschen Musikwissenschaft vorzustoßen. Gluckschen Werke, soweit sich eine solche bei der lückenhaften Quellenüberliefe• Die entscheidenden Möglichkeiten, seine Gluck-Recherchen voranzubringen, rung bewerkstelligen läßt. "33 ergaben sich in dem Augenblick, als er bald nach Kriegsbeginn Mitarbeiter in Her­ Dieser Anspruch von Werk und Autor wurde von Rezensenten bestätigt und bert Gerigks Sonderstab Musik beim Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg wurde, um insbesondere die Forderung nach einer Gesamtausgabe begrüßt.34 Es mag dabei in den besetzten Westgebieten Bibliotheken und Archive nach Spuren deutscher mehr als ein Zufaltsein, dass eine von Gerbers Doktorand Erwin Völsing besorgte Musik zu durchforsten. Diese Tätigkeit muss seinem brennenden Ehrgeiz sehr Besprechung, vorgelegt in der Deutschen Musikkultur (einer der beiden vom Staatli­ entgegengekommen sein, alle zu Gluck nachweisbaren Quellen zu ermitteln, da chen Institut für Deutsche Musikforschung herausgegeben Zeitschriften), mit einer er während der Vorbereitungsphase zu seiner Komponistenbiografie viele Spuren Verneigung vor beginnt, dem Leiter der Musikabteilung in Alfred noch ins Leere hatte laufen lassen müssen. Dies belegen die ab 1939 dutzendfach Rosenbergs Amt des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten erhaltenen Briefwechsel mit Archiven, Bibliotheken, Standesämtern, Behörden und geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP. So heißt es Pfarreien entlang der Lebensstationen Glucks und dessen Vorfahren, mit denen bei Völsing: Gerber für Auskünfte, Fotokopien von Quellen und Bestandsauflistungen in regem 28 Es ist ein besonderes Verdienst der bekannten, von Herbert Gerigk heraus­ Austausch stand. Aus seiner Karteikarte beim Reichserziehungsministerium geht gegebenen Schriftenreihe "Unsterbliche Tonkunst", daß der wertvolle neue hervor, dass ein Antrag auf RM 500 Reisekostenhilfe "für Untersuchungen über Beitrag des Gießen er Musikwissenschaftlers einem der am meisten vernach­ Leben und Schaffen des Komponisten Christoph Willibald Gluck" 1939 zwar von lässigten deutschen Großmeister gewidmet wurde, bei dem - wie bei kaum Joseph Müller-Blattau und Arnold Schering befürwortet, vom Ministerium aber einem zweiten großen Komponisten - die Erforschung seines Lebens und sei­ nicht bewilligt wurde.29 Nach eigenen Angaben in seiner Entnazifizierungsakte un­ ner Werke immer noch empfindliche Lücken aufwies. In überaus gründlicher ternahm er diese Reise dennoch und besuchte auf eigene Kosten vom 26. Juli bis Weise untersucht Rudolf Gerber einleitend das Glucksche Geschlecht, wobei zum 13. August 1939 Archive u.a. in Komotau und Brüx. 30 In seinem Beitrag zur mit Recht die nachgewiesene rein deutsche Herkunft der Familie und des Na­ 35 Gluckschen Familiengeschichte bemerkte Gerber hierzu: mens betont wird.

Zur Ermittlung der einzelnen Tatsachen und Daten diente neben einem ge­ Mit dem publizistischen Eintreten für Gluck, diese Komponistenbiografie in sei­ nau präzisierten Rundschreiben an etwa 600 katholische Pfarrämter der Ober­ ne Reihe aufzunehmen, bekräftigte Gerigk gleichsam an der Oberfläche der öf• pfalz, Mittelfrankens und Schwabens sowie ausführlicher Suchanzeigen in den fentlichen Wahrnehmung, was ihn bereits seit zwei Jahren mit Gerber verband.36 Diözesan-Amtsblättern der Bischöflichen Ordinariate Regensburg, Eichstädt, Unmittelbar mit Kriegsbeginn war Rosenbergs Einsatzstab, und mit ihm Gerigks Passau, Bamberg, Schlackenwerth, Leitmeritz u.a. in erster Linie eine Studien­ reise mit eingehenden Forschungen in verschiedenen Kreis-, Stadt- und Kir­ chenarchiven der Oberpfalz und des Sudentengaus im Juli 1939,31 33 In der 1952 erschienenen Neuauflage hatte sich am deutsch-nationalen Ton, Glucks Werk als "ein Stück der deutschen Seele" zu pflegen, nichts geändert. Rudolf Geber, Christoph Willi­ Mit der zwei Jahre später vorgelegten Biografie untermauerte Gerber seinen Ruf bald Gluck, Potsdam 1950 [nicht angegebene 2. Auflage], S. 215. als solider deutscher Forscher, indem er mit einer Vielzahl neuer Quellen Zweifeln 34 Rudolf Steglich, Besprechung von Rudolf Gerber, Christoph Willibald Ritter von Gluck, in: des "Juden Einstein"32 und tschechischer Kollegen an der deutschen Abstammung Zeitschrift für Musik 109 (1942), Heft 9 (September), S. 405. Siehe auch die gleichfalls loben­ de Besprechung durch den Blume-Schüler Hans Joachim Therstappen, in: Archiv für Musik­ Glucks entgegentrat und zum Ende des Buches die Deutungshoheit über den Kom- forschung 8 (1943), S. 108f. 35 Erwin Völsing, Besprechung von Rudolf Gerber, Christoph Willibald Ritter von Gluck, in: 28 Siehe die entsprechenden Korrespondenzordner in der Salzburger Gluck-Forschungsstelle. Deutsche Musikkultur 8 (1943/44), S. 57. Siehe zu Völsing auch die Meldung seiner 1940 29 BArch DS/BO 117 Karteikarte des Reichserziehungsministeriums, Einträge vom 23. April gedruckten Dissertation G.F Händels englische Kirchenmusik (= Schriften reihe des Staatlichen bis zum 25. September 1939. Instituts fir Deutsche Musikforschung, Heft 6), in: Archiv für Musikforschung 6 (1941), S. 116. 30 Entnazifizierungsakte, Erster Fragebogen vom 24. Mai 1945. 36 Siehe zu Gerigks Interesse an Gluck-Literatur auch seine Rezension von Roland Tenschert, 31 Gerber, Neue Beiträge zur Gluckschen Familiengeschichte, Anmerkung 1 auf S. 131. Christoph Willibald Gluck, Bibliographisches Institut Leipzig 1938, in: Die Musik 30 (1938), 32 RudolfGerber, Christoph Willibald Ritter von Gluck, Potsdam 0.]. [1941], S. 132. 2. Halbjahr, S. 547. 12 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 13

Sonderstab Musik, eingesetzt worden, um in den besetzten Gebieten nach angeb­ 6 - 8 Wochen erfordern, falls wenigstens die wichtigsten Autographe unserer lich herrenlosem Besitz ursprünglich deutscher Herkunft zu suchen und diesen ins größten Musiker ermittelt werden sollen. Die Handschriften befinden sich Deutsche Reich zu überführen. In diese Zeit fällt Gerbers obsessive Suche nach zum geringsten Teil in Paris. Sie sind von der Generaldirektion der franzö• Gluck-Quellen, so dass davon auszugehen ist, dass er seine erste Verpflichtung für sischen staatlichen Bibliotheken fast sämtlich auf ein uns bekanntes Schloß Gerigk und die damit verbundenen Machtbefugnisse nutzte, um nun Material auch an der Loire geschafft worden, wo sie von Fachleuten verwaltet werden. Das gegen den Widerstand der Besitzer sichten zu können. Die ersten hierzu in Archiven Schloß liegt im besetzten Gebiet. Falls der Rücktransport vor Beginn des Win­ erhaltenen Unterlagen stammen aus dem Jahr 1940 und sind nicht nur hinsichtlich ters nicht mehr ph.öglich sein sollte, muß an Ort und Stelle gearbeitet werden, weil sonst die Möglichkeit des zeitweiligen Verschwindens von Handschriften der Auflistungen nachgewiesener Gluck-Unterlagen aufschlussreich, sondern geben besteht, die für uns besonders wichtig sind. 39 auch Einblicke in die Einschätzung der Bedeutung Glucks durch staatliche Stellen. Als erstes Zwischenergebnis hatte man im Archiv des Pariser Konservatoriums Dass die Erwähnung einer geplanten Gluck-Gesamtausgabe mit Sicherheit auf nicht nur 55 unbekannte Briefe Glucks aufgefunden, sondern darüber hinaus 77 entsprechende Pläne Gerbers zurückgeht, von denen Gerigk entsprechend Kennt­ Originalbriefe Wagners an den jüdischen Verleger Maurice Schlesinger, die auf­ nis gehabt haben muss, belegt eine umfangreiche Denkschrift Gerbers, die er mit grund der politischen Brisanz dieser Konstellation möglichst umgehend nach Datum vom 6. Dezember 1940 für Max Seiffert, den Leiter des Staatlichen Insti­ Deutschland überführt werden sollten. Hierzu hieß es in einem Bericht von Ge­ tuts für deutsche Musikforschung, fertigstellte (siehe Abb. 1). Wenn für ein solches rigk, damit sei "eine spätere gegen uns gerichtete Verwendung dieser Briefe [aus­ Expose mindestens von einer mehrmonatigen Vorlaufzeit auszugehen ist, fiel die zuschalten]. [ ... ] Bei den Lohnarbeiten Wagners ist ein Besitzanspruch des franzö• Entwurfsphase dieser Pläne genau in Gerigks Berichtszeitraum. sischen Staates wohl kaum gegeben. "37 Ferner wurden separat umfangreiche Listen Gerber begann dabei seine Begründung einer Gluck-Gesamtausgabe nicht, wie von Gluck-Autographen und Dirigierpartituren in der Bibliothek der Pariser Oper vielleicht aus wissenschaftlicher Sicht zu erwarten wäre, mit dem immensen, philo­ angefertigt (u.a. zu Orphie, Armide und Iphigenie en Anlide).38 In einem weiteren logisch anspruchsvollen Forschungsbedarf des Themas, sondern entsprechend der Bericht, datiert auf den 20. September 1940, ging Gerigk nicht nur näher auf die politischen Zeitumstände mit der besonderen Bedeutung des Komponisten für die Arbeitsbedingungen in französischen Archiven ein, sondern erwähnte explizit die Vorherrschaft der deutschen Musik: Wichtigkeit dieser Vorarbeiten für eine zukünftige Gluck-Gesamtausgabe: Unter den Führerpersönlichkeiten der deutschen Musik, die in leidenschaft­ In der Bibliothek der Großen Oper gibt es überhaupt keinen brauchbaren licher Hingabe an ihre geschichtliche Aufgabe deutschen Geist und deutsche Katalog und auch kein Verzeichnis. Aufgrund der Ermächtigung durch die Seele in vorbildhafter Weise geformt haben, steht eh. w. Gluck in vorderster Militärverwaltung dürfen wir jetzt erstmalig die dort aufbewahrten hand­ Reihe. Seine Bedeutung innerhalb der deutschen Musik- und Geistesgeschich­ schriftlichen Bestände durchsehen. In erster Linie interessierte hierbei Gluck, te bedarf heute keiner Erörterung mehr. Glucks überragende Grösse wird von dem neben wertvollsten Autographen zeitgenössische Partituren vorhan­ dadurch besonders gekennzeichnet, dass der Wirkungsbereich seines Kunst­ den sind, die Eintragungen von seiner Hand tragen. Für die in Vorbereitung schaffens weit über die Grenzen seiner deutschen Heimat hinausgreift und in befindliche Neuausgabe der Werke Glucks bildet das aufgefundene Material den gesamteuropäischen Raum hineinstrahlt. Neben Händel war Gluck der eine wesentliche Verbreiterung der Arbeitsgrundlage. [ ... ] Es muß betont wer­ tatkräftigste Vorkämpfer für die Weltgeltung der deutschen Musik, da er in den, daß die Bestände hinsichtlich der französischen Musiker durchweg noch fremden Formen um den Sieg des deutschen Geistes kämpfte, diese Formen­ erheblich vollständiger sind. Falls also deutscher Besitz in das Reich zurück• welt schliesslich unter der bezwingenden Kraft seines Genies umprägte und geführt werden sollte, werden die französischen Sammlungen keineswegs ver­ in eigenes Besitztum verwandelte, das den Stempel deutschen Wesens und öden. Im übrigen konnte bisher bei keiner dieser neueren Handschriften ein deutscher Art trägt.40 unrechtmäßiger Erwerb festgestellt werden. Sie sind fast ausnahmslos durch Kauf und noch häufiger durch Schenkung in den Besitz des französischen Staates gelangt. [ ... ] Die Arbeiten in Frankreich werden mindestens noch 39 Bericht von Herbert Gerigk vom 20. September 1940 Musikschätze deutscher Herkunft in Frankreich, in: BArch NS 30-065042f. 37 Undatierter Bericht von Herbert Gerigk, in: BArch NS 30-002039 (Unterlagen zum Sonder­ 40 Denkschrift von Rudolf Gerber "bett. die Veranstaltung einer Gesamtausgabe der Werke stab Musik). Christoph Willibald Glucks" vom 6. Dezember 1940, erhalten in der Gluck-Forschungsstelle 38 BArch NS 30-002040. Salzburg. Siehe die vollständige Transkription im Anhang. 14 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 15

en kennen zu lernen und nicht allein vor die grossen Meisterwerke gestellt zu werden, in denen der durch Niederungen und über Höhen führende Reifepro­ zess bereits abgeschlossen ist.

Mit seiner Denkschrift beabsichtigte Gerber, das Staatliche Institut für deutsche Musikforschung "als [die] repräsentative Vertretung der deutschen Musikwissen­ schaft" zu überzeu~n, eine Gesamtausgabe Glucks "innerhalb der Publikations­ reihen ,Das Erbe deutsche Musik'" in Angriff zu nehmen, womit er noch einmal ohne Nennung seines Lehrers auf Aberts erfolglosen Versuch drei Jahrzehnte zuvor Bezug nahm, einzelne Bände in unterschiedlichen Reihen zu veröffentlichen. In ei­ ner kurzen Übersicht von Gerhard eroll zur Geschichte der Gluckforschung findet sich hierzu der Hinweis, dass diese Idee zur Anbindung einer Gluck-Gesamtausgabe an die Erbe-Reihe auf Anraten von Max Seiffert fallengelassen wurde, was einen Grund liefern könnte, warum Gerbers Pläne zu diesem Zeitpunkt nicht weiter konkretisiert wurden.41 In einer abweichenden Darstellung äußerte Gerber im Jahr 1954 gegenüber Richard Baum vom Bärenreiter-Verlag, dass er Seiffert noch im Dezember 1940 seine Denkschrift eingereicht habe, der zunächst etwas zurückhal• tend gewesen sei, "dann aber doch den Auftrag erteilt und Geld in Aussicht gestellt [hat] für die bibliographischen Erhebungen, die ich bald darauf auch einleitete. Der Bärenreiter-Verlag trat m.W erst im April 1943 in Erscheinung, als ihm das Institut die Gluck-GA übertrug. "42 Eine politisch markante Wendung nahmen die bisher von Gerigk koordinierten Recherchen, als dieser am 2. Oktober 1940 der Konkurrenz Bericht erstatten muss­ te in Person des Propagandaministers Joseph Goebbels höchst persönlich.43 Dieser zeigte sich begeistert und völlig überrascht von den Pariser Funden und ordnete neben der vollen bürokratischen Unterstützung seines Hauses sowie einer finanzi­ ellen Hilfe von RM 20.000 für nötige Fachkräfte eine sofortige Sicherstellung der "für das Reich besonders wichtigen und wertvollen Stücke" an: "Wesentlich die Manuskripte Richard Wagners, seinen Briefwechsel mit dem Juden Schlesinger, die Autographe von Gluck sowie die im Besitz der Grossen Oper befindlichen zeitge­ nössischen Dirigierpartituren der Werke von Gluck und vielen andern. "44 Dieser Abb. 1: RudolfGerbers Denkschrift vom 6. Dezember 1940, S. 1 (Gluck-Forschungsstelle Salzburg) Bericht deckt sich mit einer Eintragung in Goebbels' Tagebuch am nächsten Tag:

41 Gerhard Croll, Gluckforschung und Gluck-Gesamtausgabe, in: Musik und Verlag. Karl Vötterle Aus diesem künstlerischen Vermächtnis erwachse der deutschen Kunst und Wissen­ zum 65. Geburtstag am 12. April 1968, hg. von Richard Baum und Wolfgang Rehm, Kassel schaft nicht nur die "Ehrenpflicht", einzelne Teile aus Glucks Schaffen zu pflegen et al. 1968, S. 194f. und aufzuarbeiten. Vielmehr sei das Gesamtwerk 42 Brief von Rudolf Gerber an Richard Baum vom 26. März 1954, in: Bärenreiter-Archiv. 43 BArch NS30-002047. in einer vorbildlichen kritischen Neuausgabe zu vereinigen und der Öffent• 44 Bericht von Herbert Gerigk über seinen Besuch bei Minister Goebbels vom 3. Oktober 1940, lichkeit zugänglich zu machen. Das deutsche Volk hat ein Recht darauf, das S. 3, in: BArch NS 30-002045. Siehe ergänzend einen Entwurf von Herbert Gerigk, verfasst Werden und Wachsen seiner grossen geistigen Führer in allen einzelnen Stadi- am 23. Oktober 1940 in Paris, in: BArch NS 30-002048.

a-______.. ~ ______------16 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfange der Gluck-Gesamtausgabe 17

"Mit Dr. Gerigk Frage der Originalmusikalien in Frankreich besprochen. Da liegen unübersehbare Mengen deutschen Kulturgutes. Ich treffe mit Dr. Gerigk Vorsorge, daß sie nach Deutschland zurückgeschafft werden. Vor allem Sachen von Gluck an .. und Mozart, aber auch von Schubert und Wagner. Die Franzosen haben das Mate­ ~6<~AbSChrHt r {/ (l)d.ie Ph:j.1Qs. Fak •. I, Abt. rial vollkommen verkommen lassen. Es ist eine wahre Kulturschande. "45 ~2) die Dir. der Univ. Bibl.:!.othek Dass Rudolf Gerber maßgeblich für die Erstellung dieser Listen verantwortlich '113) Prof, Dr, Gerbe~ war, geht aus dem erhaltenen Archivmaterial ldar hervor. Denn trotz der Einstu­ z.ur ~nntnis ... · fung seiner Sonderaufträge als Geheimsache hinterließ die für einen verbeamteten Absohrift. Universitätsprofessor zuständige Ministerialbürokratie mit Dienstreiseanträgen und Prof.Pr7R.Q e~ b e r l' Giessen, ~2.9.42. An den Herrn Dekan def Ppilos.Fak.I.Abt. Genehmigungen für Sonderurlaub ausreichend Aktenspuren (siehe Abb. 2). Da die . S:pektabilität!, .' ...... " , Die Heichsleitung Rosenbe:rg hat .Zllich llJ:I..t DurohfUhrung besonder<:!r Partei als Kern der NS-Bewegung außerhalb der administrativen und ministeria­ musikgesohiChtli6her.Arbe;Lten. in,P a rl.s beauftragt Ich bitt ci h ß.uer S:pektabilität ergebenst, mi'ch :tUr'.~ie Zeit Vom 29:9.b1s 28~10~1~~2 len Hierarchien operierte und übergeordnete Anweisungen erteilen konnte, konnte be\lrlauebenz,l!.wollen.Uas S~hreiben d.es Amtes Rosenbeyg liegt'bei\~ ..•.. ! , Hei~ Hltler! Ihr sF;lhrergebener gez. Gerber:~ , Gerber in einem Schreiben an den Dekan seiner Philosophischen Fakultät im März An aras RektorElt der Ludvllgs-Universität. Umstehendes Gesuch zur' BefUr­ vlOr,tlJ,XIg g~nehmigt vorgelegt, g~'Z 1 v~.,B14Il1en,taH;L,'Dekant 1941 seinen Auftraggeber problemlos benennen, ohne den Auftrag zu spezifizieren urschrift~iCh der Phl1os. Fak '.ft. Abt.1Üer. ·zurltGl;;ge~eicl.l. t. Ich genehmi.ge. d enumseitlg erbetEluen Urlaub. .", '.. "';' ....• , (der Antrag wurde bereits zwei Tage später genehmigt): , Giessen, den 25. Septelllpl;ll;' 1942~ , ' . ;r •V. gez,.R a )J, c h • Die Reichsleitung Alfred Rosenberg hat das Ersuchen an mich gerichtet, bei den musikwissenschaftlichen Sonderarbeiten in den westlich besetzten Gebie­ ten meine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Ich bitte daher Euer Spek­ Abb. 2: Eine der von Rudolf Geber überlieferten Dienstreiseanträge für Gerigks tabilität, einen dreiwöchigen Urlaub vom 17. März bis 5. oder 10. April d.]. Sonderstab Musik (Universitätsarchiv Gießen, Sig. PrA Phil Nr.9) befürworten zu wollen. Ein Ausfall meiner Vorlesungen und Seminarübungen kommt nicht in Betracht, da die betr. Stunden vorverlegt werden können. Da die Angelegenheit im Hinblick auf die Formalitäten der Reisevorbereitungen von Ihrer Universität Urlaub erhalten. Da der Unterzeichnete in den nächsten eilig ist, bitte ich ergebenst um möglichst umgehende Erledigung meines Ge­ Tagen bereits wieder in die besetzten Gebiete zurückkehrt, werden Sie gebe­ suchs. Die Einladung der Reichsleitung lege ich in Abschrift bei. 46 ten, wegen der Ausfertigung des Passierscheins, die folgenden Angaben unserer Dienststelle zu Händen von Pg. Reul zu übersenden: Name, Vorname, Beruf, Auch aus Gerigks Anfrage bei Gerber, die seinem Antrag in Abschrift beilag und so­ Geburtstag- und Ort, Nummer und ausstellende Behörde des Lichtbildaus­ mit zur Kenntnisnahme durch Außenstehende gedacht war, lassen sich keine Rück• weises. Damit Ihnen rechtzeitig ein Wehrmachtsfahrschein übersandt werden schlüsse auf die tatsächlichen Tätigkeiten des Sonderstabs Musik ableiten: kann, werden Sie gebeten, dem Unterzeichneten dem von Ihnen vorgesehenen Abreisetag möglichst umgehend an die Feldpost-Nr. 43 071 mitzuteilenY Wir bestätigen Ihnen hiermit, dass Sie von unserer Dienststelle gebeten wor­ den sind, im Rahmen des Einsatzstabes der Dienststellen des Reichsleiters Ro­ Wie umfangreich Gerbers Aufträge beim Sonderstab waren und ob die von ihm senberg für die westlichen besetzten Gebiete und die Niederlande für einige lokalisierten Bestände zu Gluck, Wagner und Beethoven tatsächlich nach Deutsch­ Wochen mitzuarbeiten. Als Einsatzzeit kommt der Zeitraum vorn 17. März bis land abtransportiert wurden, ist den überlieferten Unterlagen nicht zu entnehmen. etwa Mitte April in Frage. Geben Sie bitte Nachricht, ob wir mit Ihrer Hilfe Einerseits geht aus einem als streng vertraulich ldassifizierten Bericht von Gerigk rechnen können, falls Sie für diesen Zeitraum (im äussersten Falle 3 Wochen) hervor (datiert auf den 5. November 1940 in Paris), dass Goebbels' ursprüngliche Weisung zum Abtransport nicht aufrechterhalten wurde.48 Andererseits ist aus 45 Die Tagebücher von Joseph Goebbels, im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Un­ der Zeit nach Januar 1941 ein achtseitiger Bericht über die Wegnahme französischer terstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands hg. von Elke Fröhlich, Teil I AufZeich­ nungen 1923-1941, Band 8 April- November 1940, München 1998, S. 358, Eintrag vom 3. Oktober 1940. 47 Abschrift des Schreibens der Reichsleitung, Hauptstelle Musik vom 27. Februar 1941, unter­ 46 Schreiben von Gerber an den Dekan der Philosophischen Fakultät I vom 3. März 1941 in zeichnet von Herbert Gerigk, ebenda. seiner Gießener Personalakte. 48 Bericht von Herbert Gerigk, Paris 5. November 1940, in: BArch NS 30-002053. 18 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfange der Gluck-Gesamtausgabe 19

Kunstschätze durch die Deutsche Botschaft und den Einsatzstab Rosenberg in Frank­ Gluck-Monografie misstrauisch, wenn eine Zeichnung von Quenedey lapidar mit reich erhalten, der einen Überblick gibt zur der Quellenangabe "Paris, Privatbesitz" versehen ist (gleiches gilt für einen Instru­ Sicherstellung herrenlosen Musikmaterials aus jüdischem und freimaure­ mentalsatz Glucks) und beide Abbildungen in der Neuauflage von 1952 nicht mehr rischem Besitz und [ ... ] der Feststellung aller Musikhandschriften deutscher enthalten sind. 52 Herkunft in den westlichen besetzten Gebieten. Es wurden rund 38 Einsatz­ In den Jahren 1942 und 1943 blieb Gerber gemeinsam mit Karl Gustav FeIlerer steIlen bearbeitet und Nachforschungen in 6 Bibliotheken und Konservatorien für den Sonderstab aktiv und führte auch "wissenschaftliche Aufträge" für die von gehalten. Ausser wertvollen Notenhandschriften wurden Notenmaterial, kost­ Alfred Rosenberg /eplante Hohe Schule der Partei aus, um in Paris deutsche Mu­ bare Musikinstrumente, Schallplatten und deutsch-feindliche Korrespondenz sikdrucke zu recherchieren. 53 Dabei geriet die Arbeit erneut zwischen konkurrie­ 49 von Musilduitikern sichergestellt. rende Zuständigkeiten, als die Parteikanzlei das Auswärtige Amt über diesen als "Geheimsache der Wehrmacht" auszuführenden Auftrag in Kenntnis setzte.54 Aus Eine umfangreiche Provenienzforschung der in den einzelnen Bänden der Gluck­ Al{tennotizen des Kulturleiters im Auswärtigen Amt, Fritz von Twardowski, und Gesamtausgabe zugrundegelegten Quellen wird diese Spuren im Detail zu Unterstaatsseluetär geht hervor, dass man in ihrer Behörde der Zu­ rekonstruieren haben. Ob Gerbers Tätigkeiten sich auch auf Privatwohnungen und ständigkeit von Rosenbergs Amt für musikwissenschaftliche Angelegenheiten wi­ jüdische Sammlungen erstreckten oder auf öffentliche Archive und Bibliotheken dersprach und auf einer Zuweisung der beiden Forscher in ihre Zuständigkeit beim beschränkten, ist nicht bekannt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine Deutschen Institut in Paris bestand. 55 Ob das Ende von Gerbers Sonderaufträgen beiläufige Formulierung Wolfgang Boettichers aus dem Jahr 1958. Zu dieser Zeit für Gerigk diesem Gerangel um Zuständigkeiten zuzuschreiben ist oder seiner Ar­ war er längst Kollege von Gerber in Göttingen, wo man nach Auskunft damaliger beitsbelastung geschuldet war, als er im Frühjahr 1943 den Göttinger Ruf annahm, Studenten um seine politische Vergangenheit wusste. Erst der vom Journalisten sich weiterhin in Gießen selbst noch vertrat und die im Frühjahr 1943 nun auf Henning de Vries ausgelöste Skandal um Boettichers Mitwirkung im Sonderstab den Weg gebrachte Gluck-Gesamtausgabe seine restlichen Kapazitäten absorbierte, Musik und seiner Assistenz bei Gerigks perfidem Lexikon der Juden in der Musik muss vorläufig offen bleiben. machte in den 1990er Jahren diese Konstellation öffentlich. 50 Inmitten der schein­ bar unpolitischen Nachkriegsatmosphäre Ende der 1950er Jahre bemerkte Boet­ ticher unter der unverfänglichen Überschrift Über Entwicklung und gegenwärtigen H. Stand der Gluck-Edition: ,,[ ... ] die Forschungen Gerbers haben gezeigt, welcher Bevor Gerber mit dem Beginn der Gluck-Edition eines seiner al{ademischen Le­ Vorrat sich in privaten Sammlungen verbirgt. "51 In diesem Wissen um Gerbers Ein­ bensziele verwirldichen konnte, musste er sich mit seinem Rivalen Hans Joachim satz für den Sonderstab stimmen auch Abbildungen in der ersten Auflage seiner Moser auseinandersetzen, der ihm in zwei entscheidenden Momenten fast zuvor­ gekommen wäre. Zunächst betrifft dies Mosers Gluck-Biografie, die 1940 und da­ 49 Undatierter Bericht über die Wegnahme französischer Kunstschätze durch die Deutsche mit ein Jahr vor Gerbers Pendant publiziert wurde. Nachdem Moser im September Botschaft und den Einsatzstab Rosenberg in Frankreich (nach Januar 1941), S. 8, in: 1933 seines Postens als Direktor der Akademie für Kirchen- und Schulmusik in BArch NS 30-014045. 50 Henning de Vries, Sonderstab Musik. Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940-45, Ber­ lin 1998 (im englischen Original als Sonderstab Musik. Music Conjiscation by the Einsatz­ 52 Gerber, Christoph Willibald Ritter von Gluck, Abbildung 15 (vor S. 65) "Christoph Willibald stab Reichsleiter Rosenberg under the Nazi Occupation ofWestern Europe, Amsterdam 1996). Gluck. Zeichnung von Edme Quenedey. Paris, Privatbesitz" sowie Abbildung 23 (vor S. 113) Siehe zur methodisch zweifelhaften Ausführung der Studie und der um Boetticher geführten "Instrumentalsatz von Christoph Willibald Gluck. Eigenschrift. Privatbesitz". öffentlichen Kontroverse stellvertretend die Rezension des Buches durch Michael Walter, 53 Brief Herbert Gerigks vom 12. Oktober 1942 an den Stabsführer Einsatzstab Reichsleiter online unter http:// http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/ rezbuecher-149 (Abruf am Rosenberg Pg. Utikal (BArch NS 30-064290) sowie Brief von Gerigk an Prof. Dr. Bäumler, 6. Februar 2015). Leiter des Aufbauamtes der Hohen Schule, vom 17. September 1942 (BArch NS 30-065188). 51 Wolfgang Boetticher, Über Entwicklung und gegenwärtigen Stand der Gluck-Edition, in: Acta 54 Parteikanzlei (Hesseldieck) an das Auswärtige Amt am 3. Oktober 1942 z. Hd. Dr. Krieger, Musicologica 30 (1958), Heft 1/2, S. 112. Siehe hierzu auch die Angabe des Gerber-Schülers in: Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP. Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes. Ludwig Pinschers: "eine Mitwirkung [Gerbers] an den Raubzügen von Gerigks Sonderstab Regesten Band 2, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, bearbeitet von Helmut Heiber unter Musik ist nicht belegt." Ludwig Pinscher, Artikel RudolfGerber, in: MGG2, Personenteil 5, Mitwirkung von Gerhard Weiher und Hildegard von Kotze, München et al. 1983, S. 862. Kassel et al. 2002, Sp. 764. 55 Notiz eines Mitarbeiters Gödde vom 7. Oktober 1942 für Fritz von Twardowski, ebenda. i.'

:1 i! 20 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 21

Berlin enthoben worden war,56 bemühte er sich in den Folgejahren um seine Reha­ nen Gegenstand "mit geradezu peinlich modischen Floskeln der Charakterisierung" bilitierung, u.a. als linientreuer Autor für das SS-Ahnenerbe, blieb unter seinen Kol­ "allzu penible Kleinmalerei "61 betrieben habe. legen aber ein akademischer Außenseiter. Zum 1. Mai 1940 verpflichtet als Leiter Auch Rudolf Gerber reagierte umgehend auf Moser und griff ihn im Archiv der Reichsstelle für Musikbearbeitungen des Propagandaministeriums, saß er nun für Musikforschung scharf an. Auf Augenhöhe als Gluck-Spezialist, dessen eigene an einem Informationsknotenpunkt des Ministeriums und war vermutlich über Abhandlung gerade im Druck vorlag und nun unabsichtlich wie eine Gegenschrift seinen Vorgesetzten Heinz Drewes, den Leiter der Musikabteilung in Goebbels' wirkte, war seine Kollegenschelte schonungslos. Gerber erldärte seine eigenen An­ Apparat,57 auch über Gerigks Berichte aus Paris zum Sonderstab Musik und damit sprüche zur umfass{nden Erschließung aller Primärquellen zum Maßstab und rich­ zu den bereits 1940 formulierten Absichten einer Gluck-Gesamtausgabe im Bilde. 58 tete damit gegen Mosel' den Vorwurf, noch nicht einmal die vorhandenen Sekun­ Angesichts Besorgnis erregender Aufführungszahlen, die Moser mit statistischer därquellen korrekt und ohne Ausschmückungen ausgewertet zu haben.62 Gerbers Sachkenntnis zusammenfasste, begründete er im Vorwort die Notwendigkeit seiner Verriss wäre als Zeitdokument nicht so ergiebig, wenn nicht Moser umgehend im Biografie mit einer diagnostizierten Lücke im Gluck-Schrifttum, um daraus im ty­ nächsten Zeitschriftenjahrgang reagiert hätte und direkt neben seiner Verteidigung pischen Propagandaton der Zeit einen drängenden Forschungsbedarf abzuleiten: Gerbers darauf Bezug nehmende Replik erschienen wäre. Ohne überzeugende Ge­ Da muß [sic] versucht werden, angesichts der so wachen Kulturplanung des gen argumente aufbringen zu können, bemühte sich Moser, Gerber in ldeinem Maß• 63 Dritten Reichs auf die Vernachlässigung eines hohen deutschen Kulturguts stab in vielen Details zu widerlegen. Da Mosel' allerdings nach dessen Auffassung hinzuweisen, das nichts mit bloß historischem Ballast zu tun hat. Es gilt eine "in seinen kritischen und polemischen Äußerungen bisher keineswegs wählerisch Werbung sozusagen in zwölfter Stunde für das Vermächtnis eines Großmeis• und empfindsam war", 64 nutzte Gerber die abschließende Gelegenheit, um dem ters von so nordischem Gepräge, wie es nur bei wenigen unserer führenden Kontrahenten einen peinlichen Stil und mangelnde Sachkenntnis vorzuwerfen: Musiker gleich rein gefunden wird. 59 Dann muß aber gesagt werden, daß M., der in seinem mit anspruchsvollen Vielleicht mag Moser sein populär gehaltenes Bändchen nicht primär für die Mu­ Zielen auftretenden Buch selbst nicht das Geringste zur Klärung dieser Fra­ gen geleistet hat, aus meinen Archivmitteilungen noch manches sehr wohl sikwissenschaft geschrieben haben, zumindest stieß es im Fach auf scharfe Ableh­ gebrauchen könnte, wenn er die Quellen in einem wissenschaftlichen Sinne nung. Als erster Rezensent sprach ihm der Blume-Schüler und Redakteur beim auszuwerten vermöchte. Daß er hierzu nicht in der Lage ist, haben die obigen Archiv für Musikforschung Hans Joachim Therstappen in der Deutschen Musikkultur Quasi-Einwendungen gegen meine Besprechung gezeigt. [ ... ] Der Wert des umgehend jede wissenschaftliche Redlichkeit ab, da "Moser offenbar mit Absicht M.schen Werkes ist weniger im Wissenschaftlichen zu suchen als in der schö• auf quellenmäßige Arbeit verzichtet"60 und ohne Respekt oder Verständnis für sei- nen Begeisterung, mit der er sich seiner Aufgabe entledigt. 65

Während dieses Kollegenduells hielt Joseph Goebbels' Interesse an Gluck vorläufig an. So notierte er am 10. November und 16. Dezember 1941 in seinem Tagebuch die Ergebnisse von Besprechungen mit Clemens Krauß zur künftigen Gestaltung 56 Fred K. Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker 1933-1945, CD-R Kiel 2004, S. 4686. der Salzburger Festspiele und wusste sich mit dem Dirigenten einig, Salzburg mit 57 Siehe zu Heinz Drewes auch Martin Thrun, Führung und Verwaltung. Heinz Drewes als Leiter der Musikabteilung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (1937-1944), in: Die Reichsmusikkammer. Kunst im Bann der Nazi-Diktatur, hg. von Albrecht Riethmüller 61 Ebenda, S. 92. und Michael Custodis, Wien und Köln 2015. 62 Rudolf Gerber, Rezension von: Hans J oachim Moser, Christoph Willibald Gluck. Die Leistung, 58 Siehe zu seiner eigenen Stellenbeschreibung Hans Joachim Moser, Von der Tätigkeit der Reichs­ der Mann, das Vermächtnis, Stuttgart 1940, in: Archiv für Musikforschung 6 (1941), S. 182 stelle für Musikbearbeitungen, in: Jahrbuch der deutschen Musik 1943, im Auftrag der Abtei­ und 185. Siehe zu Mosers Eigenart, Überlieferungslücken mit kreativer Imagination zu fül• lung Musik des Reichsministeriums für Volksaufldärung und Propaganda hg. von Hellmuth len, auch seinen geschönten Selbstbericht des Forschers und Schriftstellers, in: Festgabe für Hans von Hase, Leipzig und Berlin 1943. Joachim Mosel' zum 65. Geburtstag, hg. von einem Freundeskreis, Kassel 1954, S. 154 sowie 59 Hans Joachim Moser, Christoph Willibald Gluck. Die Leistung, der Mann, das Vermächtnis, den Nachruf von Anna Amalia Abert auf Moser, erschienen in: Acta Musicologica 40 (1968), Stuttgart 1940, S. IX. S. 91f. 60 Hans Joachim Therstappen, Rezension von Hans Joachim Moser, Christoph Willibald 63 Hans Joachim Moser, Erwiderung, in: Archiv für Musikforschung7 (1942), S. 61. Gluck. Die Leistung, der Mann, das Vermächtnis, Stuttgart 1940, in: Deutsche Musikkultur 6 64 Rudolf Gerber, Replik auf Moser, in: ebenda, S. 63. (1941-42), S. 90. 65 Ebenda, S. 64. 22 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 23

Werken von Mozart und Gluck vom Wiener Musikbetrieb abzusetzen. 6G Auch wenn Die Verschiebung der Gesamtausgabe von Mosel' zu Gerber könnte davon begüns• für die folgenden Kriegsjahre bei Goebbels keine intensivere Beschäftigung mit tigt worden sein, dass Mosers politische Glaubwürdigkeit wie auch sein wissen­ Gluck mehr nachweisbar ist, kann es doch kaum Zufall gewesen sein, dass die ersten schaftliches Talent genau zu dieser Zeit massiv in Zweifel gezogen wurden. Wie aus Schritte des Staatlichen Instituts für deutsche Musikforschung zur Inangriffnahme Alcten der Parteikanzlei der NSDAP hervorgeht, war man auf die laufende Überar• einer Gluck-Gesamtausgabe nicht - wie nach Gerbers Denkschrift von 1940 und beitung seines 1937 erstmals erschienenen Musiklexikons aufmerksam geworden, Gerigks daran anknüpfenden Ausführungen zu gewesen vermuten wäre - zu diesem das als NS-konformes Standardwerk das Riemann-Lexikon ablösen sollte. Da in führten, sondern erneut zu Hans Joachim Mosel' ins Reichspropagandaministeri­ der von Wolfang Woetticher mitbetreuten Neuauflage aber weiterhin alle Namen um. Dies war der zweite entscheidende Moment innerhalb weniger Monate, dass jüdischer und halbjüdischer Musiker zwar mit Großbuchstaben gekennzeichnet, Gerber sich Mosers Konkurrenz erwehren musste. Es ist vermutlich seinem Ruf als aber trotz eines durchgängig antisemitischen Tons noch enthalten waren, ordnete Gluck-Experten und obsessiven Quellenforscher, einer strategisch glücklichen Posi­ man die Einstellung der in einzelne Hefte aufgeteilten Neuauflage an, da man ein tion im musikwissenschaftlichen Kollegennetzwerk und nicht zuletzt der Findigkeit Totschweigen dieser Musiker bevorzugte.G8 Karl Vötterles vom Bärenreiter-Verlag zu verdanken, dass diese Situation zugunsten In seiner 1963 erschienenen Autobiografie Haus unterm Stern ging Vötterle aus­ Gerbers entschieden wurde, wie dieser ihm am 1. April 1943 berichtete: führlich und sehr persönlich auf den Beginn der Gluck-Gesamtausgabe ein. Nach Im Einverständnis mit Herrn Prof. Dr. Albrecht kann ich Ihnen mitteilen, einer Kasseler Aufführung von Orpheus und Euridice im Winter 1942/43 habe er daß mir das staatliche Institut für Deutsche Musikforschung die von Ih­ den großen editorischen Nachholbedarf erkannt und Gerber als Herausgeber für nen vorbereitete Gluck-Ausgabe übertragen hat. Es ist aus verschiedenen eine Gesamtausgabe gewinnen können, den er vermutlich seit einer gemeinsamen Gründen außerordentlich wünschenswert, daß für diese Ausgabe bald ein Edition von Bach-Sonaten im Jahr 1941 kannte. Daraus entstand der Gedanke, Subskriptions-Aufruf in der Art der beiliegenden Monteverdi- und Schein­ vergleichbar zur Händel-Pflege in Göttingen einen zentralen Ort für Gluck zu fin­ Aufrufe herausgebracht wird. Meine Verhandlungen mit Herrn Prof. Dr. Alb­ den. Mit Matthieu Lange als Generalmusikdirektor und Gustav Rudolf Sellner als recht haben einen merkwürdigen Ausgangspunkt. Wie ich Ihnen vertraulich Intendanten waren gerade zwei Gluck-Begeisterte nach Hannover berufen worden, sagen kann, hat mir das Reichsministerium für Volksaufldärung und Propa­ so dass sich diese Stadt für eine entsprechende Renaissance des Komponisten beson­ ganda eine Gluck-Ausgabe unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Moser übertra• ders anbot. Mit der Stadtverwaltung kam man rasch überein, dem Hannoveraner gen. Von diesem Auftrag erzählte ich Herrn Prof. Dr. Blume, als ich ihn vor Theater das Erstaufführungsrecht für jede neu herausgegebene Oper zuzusprechen, einer Woche in Bern traf. Er machte mich sofort darauf aufmerksam, daß Sie wofür die Stadt einen Zuschuss zu jedem Band einer neuen Gesamtausgabe leisten mit den Vorbereitungen für eine solche Ausgabe schon sehr weit sind. Da ich wollte. Sowohl der weitere Verlauf des Krieges als auch der Weggang von Lange mit Herrn Prof Dr. Albrecht in bester Zusammenarbeit stehe, rief ich ihn nach meiner Rücld<:ehr sofort an und habe - da eine Zusammenarbeit nicht in Frage und Sellner aus Hannover hätten den avisierten Beginn einer Gluck-Blüte zwar käme, daraufhingearbeitet, daß die Ausgabe unterbleibt, für die offenbar noch verhindert, dank der anhaltenden finanziellen Unterstützung der Stadt Hannover weniger Vorarbeiten geleistet sind: das ist die Moser'sche Ausgabe. Als Aus­ aber sei es dennoch gelungen, im Auftrag des Berliner Instituts für Musikforschung gleich für die mir entgangene Publikation hat mir nun Herr Prof. Dr. Albrecht zumindest eine Gesamtausgabe auf den Weg zu bringen. G9 Ihre Gluck-Ausgabe übertragen. G7 Aus nicht zu rekonstruierenden Gründen und sicherlich mit diplomatischem Feingefühl ließ Vötterle in seinem Rückblick von zwanzig Jahren mehrere kleinere und größere Kapitel in der Geschichte der Gluck-Gesamtausgabe aus, die sie noch stärker zu einer Geschichte institutioneller Kontinuitäten aus der Zeit des Dritten 66 Die Tagebücher von Joseph Goebbels, im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Un­ Reiches in die Nachkriegszeit hätte werden lassen. So kam weder die Vorgeschich- terstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands hg. von Elke Fröhlich, Teil II Diktate 1941-1945, Band 2 Oktober-Dezember 1941, München 1996, S. 265f. und S. 518f. 68 Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP. Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes. Reges­ 67 Brief von Karl Vötterle an Rudolf Gerber vom 1. April 1943, Ordner Gluck BVK, DFG, ten Band 4, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, bearbeitet von Peter Longerich, München Gerber in der Gluck-Forschungsstelle Salzburg. Siehe zur Geschichte des Verlags während der 1992, S. 502. NS-Zeit auch Sven Hiemke, "Folgerichtiges Weiterschreiten (~ Der Bären reiter- Verlag im "Drit­ 69 Karl Vötterle, Haus unterm Stern. Über Entstehen, Zerstörung und Wiederaufbau des Bärenrei• ten Reich ", in: Bärenreiter-Aimanach. Musikkultur heute. Positionen - Profile - Perspektiven, ter- Werkes, Kassel et al. 1963, S. 223f. Siehe hierzu auch die Bärenreiter-Chronik. Die ersten Kassel et al. 1998, S. 161-170. fonfzigJahre 1923-1973, Kassel et al. 1973, S. 65f. 24 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfange der Gluck-Gesamtausgabe 25 te mit Moser zur Sprache, da dieser nach der Veröffentlichung seines Buches Die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft sowie der siebte Paragraph den Ausschluss Musik der deutschen Stämme (1957) weit über das Fach hinaus als unbelehrbarer vo~ Mitgliedern bei "Nichteinhaltung der mit der Mitgliedschaft verbundenen Revisionist galt. Von noch größerer Bedeutung war die von Vötterle ebenfalls nicht Pflichten, bei unehrenhaftem und staats- oder deutschfeindlichen Verhalten. "73 erwähnte diskrete Gründung einer Gluck-Gesellschaft 1943/44 unter Schirmherr­ In der Zwischenzeit hatte Rudolf Gerber die inhaltliche Konzeptionierung der schaft von Hartmann Lauterbacher, dem Gauleiter für Südhannover-Braunschweig. Gesamtausgabe weit vorangebracht und mit Franz Rühlmann einen Kollegen zur Diese Gesellschaft firmierte als Trägerin der Gesamtausgabe, um den Verträgen mit Mitarbeit gewinnen können, der sich ebenfalls seit Längerem für eine Gluck-Re­ der Stadt Hannover eine rechtliche Grundlage zu geben. Daran schloss sich nach naissance einsetzte tlnd 1938 eine konzertante Aufführung von Glucks Orpheus in Kriegsende ein längerer Streit mit der Stadtverwaltung in Hannover an, die sich an der Wiener Urfassung an der Berliner Hochschule für Musik geleitet hatte,?4 Dort einen Vertrag aus der NS-Zeit nicht gebunden fühlte und der Gesamtausgabe ihre war er als Stellvertreter von Hochschuldirektor Fritz Stein und Professor für Opern­ finanzielle Unterstützung daher verweigern wollte. Bei dem von Vötterle 1950 an­ dramaturgie und Operngeschichte bestens positioniert sowie als Parteimitglied seit gestrengten und zwei Jahre später in zweiter Instanz gewonnenen Prozess ldärte sich dem 1. Mai 1933, Dozentenbundführer der Hochschule und Lektor beim Amt nicht nur die Frage der Rechtsnachfolge des Staatlichen Instituts für deutsche Mu­ Rosenberg politisch gut vernetzt. 75 Im Januar 1943 hatte Rühlmann an der Hoch­ sikforschung, sondern es findet sich auch ein konkreter Grund, weshalb 1951 der schule eine von Steins Assistenten Sergiu Celibidache neuinstrumentierte Fassung erste Band der Gesamtausgabe erschien, da nun inmitten des laufenden Prozesses des Bestraften Trunkenbolds realisiert,76 "übrigens mit durchschlagendem Erfolg, Fakten geschaffen waren, die zugleich mit Franz Rühlmanns Band Der bekehrte der sich auch auf einer anschliessenden Tournee bei der Kriegsmarine in Nord­ Trunkenbold einen Bogen zurück in die Jahre vor 1945 schlagen. Um in dieser deutschland in immer steigendem Masse bestätigte",77 wie er Intendant Lange nach Verflechtung einzelner Entwicldungsstränge nicht die Übersicht zu verlieren, folgt Hannover schrieb. Auch Johannes Petschull, Leiter des von ihm arisierten Leipziger die Darstellung mit der Gründung der Hannoveraner Gluck-Gesellschaft und der Peters-Verlags sowie der ebenfalls von ihm annektierten Wiener Universal Edition,78 Planung des Rühlmann-Bandes zunächst den Ereignissen bis 1945, um im anschlie­ war an Rühlmanns vollständiger deutscher Bühnenbearbeitung interessiert, um sie ßenden Abschnitt die Spuren in der Nachkriegszeit zu skizzieren. zusammen mit dem Orpheus-Material bei Hans Joachim Moser "in der Reihe der Nachdem Rudolf Gerber vom Staatlichen Institut für deutsche Musikforschung Gluck-Veröffentlichungen der Reichsstelle herausgeben zu lassen",?9 Wie erwähnt die Verantwortung als Gesamtherausgeber der Gluck-Edition übertragen worden hatten Mosers Gluck-Ambitionen gerade sechs Wochen zuvor aber ein unerwar­ war, bemühte sich der Bärenreiter-Verlag angesichts der zunehmend schwierigen tetes Ende gefunden, so dass Vötterle und Gerber ihrem Leipziger Konkurrenten Lage im vierten Kriegsjahr, die nächsten praktischen Schritte rasch anzugehen. Nachdem Vötterle am 16. Juni 1943 dem neuen Hannoveraner Intendanten die Gründung einer Gluck-Gesellschaft unter Schirmherrschaft des Gauleiters vorge­ 73 Satzung der Gluck-GeseHschaft von 1944, in: Archiv des Staatlichen Instituts für Musikfor­ schlagen hatte,7° konnte Sellner fünf Wochen später bereits nach Kassel berichten, schung (SIM), Sig. HA-SIM-5-9-1-1-2. dass Gauleiter Lauterbacher "mit Freuden das Protektorat" einer neuen Gluckge­ 74 Siehe Franz Rühlmann, Zur Wiederbelebung Glucks, in: Festschrift für Fritz Stein zum 60. sellschaft übernähme'?! Zwei Tage später teilte Sellner diese Pläne Rudolf Gerber Geburtstag, hg. von Hans Hoffmann und Franz Rühlmann, Braunschweig 1939. mit und bat ausdrücldich um strenge Vertraulichkeit.72 Innerhalb weniger Wochen 75 Siehe zu Rühlmann Prieberg, Handbuch Deutsche Musik, S. 5942ff., Christi ne Fischer-Defoy, konnte Vötterle bereits einen ersten Entwurf für eine Vereinssatzung zirkulieren Kunst Macht Politik. Die Nazijizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Balin, Berlin 1988, S. 72 und 298 sowie Albrecht Dümling, Auf dem Weg zur" Volksgemeinschaft': Die lassen, die nach ldeineren Ergänzungen und einer formaljuristischen Überarbei• Gleichschaltung der Berliner Musikhochschule ab 1933, in: Musik in der Emigration 1933-1945. tung im Juli des Folgejahres 1944 unterzeichnet wurde. Während die ersten drei Velfolgung, Vertreibung, Rückwirkung, Stuttgart und Weimar 1994, S. 106. Paragraphen mit der Begründung einer Gluck-Tradition in Hannover und der He­ 76 Vorwort von Franz Rühlmann für Den bekehrten Trunkenbold (== Gluck-Gesamtausgabe Abtei­ rausgabe einer Gesamtausgabe die Ziele der Gesellschaft zusammenfassten, regelte lung IV Französische komische Opern Band 5), Kassel 1951, S. 12. der vierte Paragraph - konform zu den Nürnberger Rassegesetzen - die formalen 77 Franz Rühlmann an Matthieu Lange vom 18. Juni 1943, in: SIM Sig. HA-SIM-5-9-1-1-10. 78 Sophie Fetthauer, Musikverlage im "Dritten Reich (( und im Exil, Hamburg 22007, S. 178f. und Albrecht Dümling, Musik hat ihren Wert. 100 Jahre musikalische Verwertungsgesellschaft in 70 Brief von Karl Vötterle an Gustav Rudolf SeHner vom 16. Juni 1943, in: Bärenreiter-Archiv. Deutschland, Regensburg 2003, S. 217. 71 Brief von Gustav Rudolf SeHner an Karl Vötterle vom 27. August 1943, ebenda. 79 Brief von Johannes PetschuH an Franz Rühlmann vom 24. Mai 1943, in: SIM Sig. 72 Brief von Gustav Rudolf SeHner an Rudolf Gerber vom 29. August 1943, ebenda. HA-SIM-5-9-1-1-8. 26 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 27

Druck gehen sollte, bevor die Kriegslage sich weiter verschärfte. 81 Am 19. Juli 1944 teilte Vötterle dem Leiter des Gaukulturrates Südhannover-Braunschweig die Un­ terzeichnung des Vertrages mit, verbunden mit dem formellen Antrag zum Eintrag der Gluck-Gesellschaft in das Vereinsregister. "Die Gründungsfeier" , so Vötterle weiter, mit der die Gesellschaft und mit ihr die Ankündigung der Gesamtausgabe publik gemacht werden sollte, könne "zu einem beliebigen, vom Gauleiter festge­ setzten Zeitpunkt slattfinden. "82 Unter dessen Schirmherrschaft amtierte Sellner als Vereinsvorsitzender (siehe Abb. 3) und Vötterle als Stellvertreter, der von den Nationalsozialisten 1933 in den Ruhestand versetzte hessische Minister a.D. und Zentrumspolitiker Ferdinand Kirnberger als Schriftführer sowie der Dresdner Hof­ rat Otto Schambach als Kassenführer. 83 Zur Begründung der Auswahl von Schriftführer und Kassenführer stellte Vötterle gegenüber dem Gaukulturrat strategische Überlegungen an: Minister a.D. Dr. Kirnberger und Hofrat Schambach sind ältere Herren, die man aber für solche Arbeiten braucht und die den meisten solcher musika­ lischen Gesellschaften angehören (Spohr-Ges. und Schütz-Gesellschaft). Sie sind nicht mehr im Dienst und können ihre ganze Aktivität solchen Ehren­ posten zuwenden, während die jüngeren ja doch immer nur für die praktische künstlerische Arbeit zur Verfügung stehen. 84

Aufschlussreicher als diese sachliche Zusammenfassung ist ein Bericht, mit dem Vötterle am folgenden Tag Sellner die Umstände der Vereinsgründung schilderte Abb. 3: Schreiben der Gauleitung Südhannover-Braunschweig an Gustav Sellner (siehe Abb. 4): zur Unterstützung der Pläne einer Gluck-Gesellschaft Ich habe einen Fliegeralarm benutzt und den formellen Akt der Gründung der (Stadtarchiv Hannover, Sig. HR 19 Nr. 0253) Deutschen Gluck-Gesellschaft soeben vorgenommen. Ich habe die Gründung mit interessierten Mitarbeitern meines Verlages durchgeführt und die Eintra­ gung beim Vereinsregister Hannover beantragt. Sobald die Eintragung erfolgt Petschull zuvorkamen und Rühlmann am 6. Juli 1943 für den Bestraften Trunken­ ist, ist es dann Ihre Aufgabe, die Vorstandsmitglieder zu berufen. Die vorge­ bold schließlich bei Bärenreiter unterschrieb. 80 sehenen Vorstandsmitglieder informiere ich heute, wie aus dem beigefügten 85 Nachdem alle Vorbereitungen für die Gründung der Gluck-Gesellschaft im Durchschlag ersichtlich ist. Herbst 1943 abgeschlossen waren, ließ dieser Schritt aus unbekannten Gründen Am auf sich warten, so dass Vötterle im folgenden Frühsommer erneut auf den Ab­ 81 Schreiben von Vötterle an Sellnervom 21. April 1944, in: SIM Sig. HA-SIM-5-9-1-1-18. 28. Juni 1944 trug er Sellner dieses Anliegen erneut vor (ebenda). schluss des Vertrages mit der Stadt Hannover drängte, da der von Rühlmann fertig 82 Schreiben von Vötterle an den Leiter des Gaukulturrates Südhannover-Braunschweig vom edierte Band (das Vorwort ist auf den 15. März 1944 datiert) schnellst möglich in 19. Juli 1944, in: Bärenreiter-Archiv. Der Vertrag sah einen Zuschuss Hannovers für jeden Band von RM 3.000 vor, wofür die Stadt als Gegenleistung drei Freiexemplare erhielt, und räumte den Städtischen Bühnen das Vorrecht für Uraufführungen ein. Siehe das auf den 80 Brief von Gerber an Rühlmann vom 23. Mai 1943, in: SIM Sig. HA-SIM-5-9-1-1-26. 25. Juli 1944 datierte Vertragsexemplar, in: SIM Sig. HA-SIM-5-9-1-1-48. Moser und die Reichsbearbeitungsstelle wurden für etwaige Klavierauszüge der Oper weiter­ 83 Protokoll zur Gründung der Gluck-Gesellschaft vom 20. Juli 1944, in: Bärenreiter-Archiv. hin konsultiert. Siehe den Brief von Karl Vötterle an Franz Rühlmann vom 1. Juni 1944, in: 84 Schreiben von Karl Vötterle an den Leiter des Gaukulturamtes Südhannover-Braunschweig SIM Sig. HA-SIM-5-9-1-1-18, sowie einen Brief von Franz Rühlmann an Karl Vötterle vom vom 19. Juli 1944, in: Bärenreiter-Archiv. 28. Juli 1944, ebenda. 85 Schreiben von Karl Vötterle an Gustav Rudolf Sellner vom 20. Juli 1944, in: Stadtarchiv 28 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 29

Die Öffentlichkeit erfährt zunächst nichts von der Gründung der Deutschen Gluck-Gesellschaft. Die offizielle Gründung wird im Herbst zu einem gege­ benen Termin in Hannover durchgeführt. Ich bitte Sie daher, auch zunächst noch nicht über die Gründung der Gluck-Gesellschaft zu sprechen. Wie Sie wissen, sind Sie für den Vorstand vorgesehen und Sie werden selbstverständ• lich auch für die Gründung eingeladen. 86 Vielleicht war von eirtlgen Beteiligten vermutet worden, dass der längst auf deut­ schem Boden ausgetragene Zweite Weltkrieg zu diesem Zeitpunkt in eine entschei­ dende Phase getreten war, abzusehen war indes keineswegs, dass kein Dreivierteljahr später die weltpolitische Lage sich entscheidend verändert hatte und alle politi­ schen Verflechtungen mit dem Dritten Reich plötzlich hochgradig belastend sein konnten. Es sollte sich daher als entscheidender Vorteil für Vötterle und Gerber herausstellen, dass auch der Gauleiter, wie Sellner im August 1944 mitgeteilt wur­ de, von einer öffentlichen Feierstunde als symbolischem Gründungsakt der Gluck­ Gesellschaft vorläufig abgesehen hatte und daher bis Kriegsende bis auf die Be­ teiligten niemand davon erfuhr. Auch im bald einsetzenden Rechtsstreit mit der Stadt Hannover konnte somit die Gluck-Gesamtausgabe zur unpolitischen, rein wissenschaftlichen Angelegenheit deklariert werden. 87 Nach einer Mitteilung des Amtsgerichts Hannover wurde der Deutschen Gluck-Gesellschaft e.V am 8. Juni 1953 die Rechtsfähigkeit entzogen, da nach Ermittlungen des Gerichts "die Zahl der Vereinsmitglieder unter drei herabgesunken. Der Verein wurde 1944 eingetra­

gen. Eine Tätigkeit nach Kriegsende war nicht festzustellen. "88

IH.

Den Übergang von der NS-Diktatur in die Nachkriegszeit verbrachte Rudolf Ger­ ber mit Amtsgeschäften, noch am 7. Mai 1945 unterzeichnete er Abrechnungen Abb. 4: Schreiben von Karl Vötterle an Gustav Rudolf Sellner zur Gründung der für die Universitätskasse. Nachdem er am 24. Mai 1945 einen ersten Fragebogen Gluck-Gesellschaft (Stadtarchiv Hannover, Sig. HR 19 Nr. 0253) zur Entnazifizierung ausgefüllt hatte und ohne Einwand von der amerikanischen Militärregierung am 17. Dezember 1945 zunächst im Amt bestätigt worden war, Noch am selben Tag informierte Vötterle auch die neuen Vorstandsmitglieder Ger­ hätte sein weiteres Entnazifizierungsverfahren eine entscheidende Hürde darstellen ber, Kirnberger, Scham bach und Rühlmann über die Vereinsgründung und bat sie können. Seine im Landesarchiv Hannover verwahrte Spruchkammerakte enthält ebenfalls vorläufig um äußerste Diskretion: 86 Karl Vötterle am 20. Juli 1944 an die Herren Gerber, Kirnberger, Schambach und Rühlmann, in: Bärenreiter-Archiv. Hannover, Sig. HR 19 Nr. 0253 [= Stadtarchiv Hannover]. Das Gründungsprotokoll wurde 87 Schreiben des Leiters des Reichspropagandaamtes Südhannover-Braunschweig Redeker vom von acht Mitgliedern unterschrieben: Paul Gümbel (Kassel), Dr. Bernhard Martin (Kassel), 16. August 1944 an Gustav Rudolf Sellner, ebenda. Dennoch wurde Sellner am 6. Septem­ Elfriede Rampold (Kassel), Ernamarie Schmidt-Brücken (Kassel), Heinz Ständlen (Kassel), ber 1944 von Gauleiter Lauterbacher förmlich zum Vorsitzenden der Deutschen Gluck­ Karl Vötterle, Hanny Weber (Kassel) und Prof. Dr. Walter Upmeyer (Oberbillingshausen üb. Gesellschaft berufen, siehe die entsprechende Abschrift des Dokuments, in: ebenda. Göttingen) . 88 Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 8. Juni 1953, in: Stadtarchiv Hannover. 30 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 31

mit Datum vom 28. Juli 1947 einen weiteren Fragebogen, der in allen wesentlichen Einstufung in Kategorie V der Unbelasteten nicht entgegen, schloss sich am 2. Ja­ Punkten identisch ist mit dem ersten. Die Erwähnung seiner Forschungsreisen ins nuar 1948 der Entnazifizierungsausschuss der Stadt Göttingen an und hielt ihm die Ausland in Sachen Gluck schien dabei für ihn unproblematisch, vielleicht auch in verschiedenen Persilscheinen attestierte Haltung zugute, ein "scharfer Gegner" unvermeidbar: des Systems gewesen zu sein und seine Kinder "gegen den Geist von HJ und BDM" erzogen zu haben. 20.3.-4.4.41 und 24.10.-8.11.42 Wissenschaftliche Forschungen in Paris (Bi­ bliotheque Nationale, Conservatoire de Musique) und Brüssel (Conservatoire Noch bevor am 22. Oktober 1947 auch Karl Vötterles Entnazifizierungsfall de Musique) für Vorbereitung einer durch das "Staatliche Institut für Deut­ im Berufungsverfahrfn zu seinen Gunsten entschieden wurde,91 war die Arbeit im sche Musikforschung" geplanten "Gesamtausgabe der musikalischen Werke Bärenreiter-Verlag trotz kriegszerstörter Gebäude und Maschinen längst in vollem von Christoph Willibald Gluck (1714-1787)". Haben Sie die Reise auf eigene Gang. Spätestens zur Jahresmitte existierten Planungen, wie der ehemalige Leiter Kosten unternommen? ,,Ja".89 des Staatlichen Instituts Hans Albrecht nach Göttingen an Gerber schrieb, die Gluck-Gesamtausgabe möglichst bald anlaufen zu lassen, auch wenn für den in Da er bei der Auflistung dieser Reisen allerdings das Amt Rosenberg als Auftragge­ Aussicht genommenen Band Paris und Helena nicht alle Quellen zur Verfügung ber unterschlug und auch zur Finanzierung falsche Angaben machte, was strafbar stünden.92 Als Ursache für diese Eile galten Pläne amerikanischer Musikwissen­ war, wird er sich der politischen Brisanz und Tragweite dieser Umstände für seine schaftler, eine konkurrierende Gluck-Ausgabe auf den Weg zu bringen, von denen weitere Karriere bewusst gewesen sein. Auch die erwähnte Freistellung vom .Militär• Wilibald Gurlitt in den Freiburger Universitätsblättern berichtet hatte.93 Da nach dienst unterschlug er, da eine Darlegung der Gründe für eine Unabkömmlichkeit Albrechts Auffassung das inzwischen entstandene Berliner Landesinstitut "nicht in kriegswichtigen Angelegenheiten wieder Fragen zum Inhalt seiner Forschungen ohne weiteres die Rechtsnachfolge des alten Staatlichen Instituts antreten kann und nach sich gezogen hätte. will", war Vötterle nach diesem Wegfall der ursprünglichen Auftraggeber das wei­ Etwaige Sorgen, dass sein Schwindel aufgedeckt würde, erwiesen sich aber als tere Vorgehen unklar. Zuvor hatte er in einem Schreiben an den Berliner Oberbür• unbegründet. Auch hier kam ihm entgegen, dass in den Formularen Beteiligungen germeister eine Klärung der Rechtsnachfolge erbeten und im September 1947 zur an NS-Unternehmungen wie seine Forschungen für Gerigk nicht explizit vorgese­ Antwort erhalten, dass nach Ansicht des Landes Berlin das ehemalige Institut "wie hen waren, so dass er rekonstruierbare Mitgliedschaften in Partei und Verbänden alle Reichs- und Staatsinstitute auf Berliner Boden nach dem Zusammenbruch hö• korrekt auflistete und die Frage nach einer beamtenmäßigen Zugehörigkeit zum herer Verwaltungsinstanzen in den Geschäftsbereich der Stadt Berlin übergegangen Amt Rosenberg wahrheitsgemäß verneinen konnte, da er als Universitätsprofessor sei. "94 Die Stadt habe, so Alfred Berner für das Berliner Landesinstitut für Musik­ 90 dem ehemaligen Reichserziehungsministerium unterstanden hatte. Um die Be­ forschung weiter, auch Mittel zum Wiederaufbau und zur Weiterführung der Insti­ hauptung zum Stichpunkt Schriftwerke und Reden aufrecht halten zu können, sich tutsarbeit zur Verfügung gestellt. Grundlage hierfür sei aber zuvor eine eingehende "nie politisch betätigt" oder "Vorlesungen oder Ansprachen gehalten oder Schriften Prüfung der alten Verträge: veröffentlicht [zu haben], die politischen Inhalts waren", gab er zum einen an, dass seine Veröffentlichungen und Vorträge "ausschließlich Themen aus dem Gebiete der Musik" betroffen hätten. Zum anderen hatte er wohlweißlich ein lückenhaftes 91 Bärenreiter-Chronik. Die erstenfünfzigjahre 1923-1973, S. 56. Schriftenverzeichnis eingereicht, das weder den erwähnten Aufsatz zur Musik der 92 Gluck-Forschungsstelle Salzburg, Ordner Gluck-Korrespondenz, Brief von Hans Albrecht an Ostmark enthielt, noch andere einschlägige Beiträge im Archiv für Musikforschung. Gerber vom 21. Juli 1947. Der Empfehlung des Unterausschusses der Universität vom 6. Oktober 1947, Ger­ 93 Brief von Karl Vötterle an Rudolf Gerber vom 28. Juli 1947, in: Bärenreiter-Archiv: "Die amerikanischen Pläne hat Herr Prof. Dr. Gurlitt in der letzten Nummer der ,Universitas' bers "nach Aktenlage nur nominelle Mitgliedschaft in der NSDAP" stünde einer bekannt gegeben; Sie können diese in Göttingen leicht in der Bibliothek bekommen." Siehe Wilibald Gurlitt, American Institute ofMusicology in Rom, in: Universitas. Zeitschrift für Wis­ 89 Siehe Gerbers zitierte Entnazifizierungsakte im Landesarchiv Hannover. senschaft, Kunst und Literatur 2 (1947), Heft 2, S. 375f. 90 Wie eng dabei sein Kontakt zu Ministerialrat Herman-Walther Frey war, für dessen Entnazi­ 94 Siehe den Brief des Bärenreiter-Verlags an den Berliner Oberbürgermeister vom 28. Juli 1947 fizierungsverfahren er später einen Persilschein beisteuerte, ist bislang unklar. Siehe Michael und die Antwort von Alfred Berner für das Berliner Landesinstitut am 17. September 1947 Custodis, Kontinuität und Loyalität - Freys Wissenschaftsnetzwerk, in: Herman- W'alther Frey: an Bärenreiter, in: SIM Sig. HA-SIM-5-9-1-1-43 Schriftwechsel Bärenreiter 1947-58 sowie er­ Ministerialrat, Wissenschaftlel; Netzwerker. NS-Hochschulpolitik und die Folgen, hg. von dem­ gänzend SIM, Mappe Schriftwechsel Senator f Volksbildung, Magistrat, Stadtrat Charlottenburg selben, Münster 2014 [= Münsteraner Schriften zur zeitgenössischen Musik 2], S. 37. 1949-5927 BI. Ehemaliger Ordner: "Gluck-Gesamtausgabe Schriftw. u.a. ". 32 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfange der Gluck-Gesamtausgabe 33

Was nun den Eintritt in die Verträge mit den Verlagen betrifft, so stehen wir Vötterle in seiner Rechtsauffassung bestärkte, dass die vertraglichen Grundlagen zur auf dem Standpunkt, dass wir zu einer generellen Übernahme nicht verpflich­ Umsetzung der Gesamtausgabe weiterhin gegeben waren, was vor allen Dingen die tet sind; denn nicht nur die ökonomischen Grundlagen auf denen seinerzeit Finanzierung aus Hannover voraussetzte. Dort kündigte man allerdings zum 3. Juli die Verträge geschlossen wurden, sondern auch die geistigen Grundlagen ha­ 1948 den Vertrag, da man sich an Verpflichtungen aus der NS-Zeit nicht gebunden ben sich derart verändert, dass nicht ohne weiteres zugesagt werden kann, ob fühlte. Darüber hinaus könnte angesichts der akuten Versorgungsengpässe in der die Durchführung der damaligen Pläne im Sinne unserer heutigen Aufgaben kriegszerstörten Stadt und ihrer notleidenden Bevölkerung kein Geld für nebenran­ liegt, ja ob nicht gar Vorhaben dabei sind, deren Durchführung den vom al­ gige Publikationsprojc&te zur Verfügung gestellt werden.98 Wie zu erwarten, nahm liierten Kontrollrat erlassenen Bestimmungen widersprechen würde, bzw. die man in Kassel diese Kündigung nicht an und verwies im September 1948 auf die vorgesehenen Mitarbeiter aus eben diesen Gründen auszuscheiden haben. alten Argumente, Statt die erbetenen Verträge nach Berlin zur Prüfung zu übersenden, drohte Vöt• daß es der Stadt Hannover immer zur Ehre gereichen wird, wenn diese Ausga­ terle im Juni 1948 mit einem selbstständigen Vorgehen, falls das Berliner Institut be mit ihrer Unterstützung zustande gekommen ist. Darüber hinaus gibt das nicht seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllte, und legte einen überarbeiteten vertraglich festgelegte Vorrecht den Städtischen Bühnen die Möglichkeit, die Vertrag vor, ohne das für einen Abgleich der Modifikationen benötigte Ursprungs­ Pflege der Musik Christoph Willibald Glucks unter besonders günstigen Be­ dokument mitzuschicken, so dass der ursprüngliche Vertrag unverändert in Kraft dingungen durchzuführen und Hannover vermag - ähnlich wie es Göttingen blieb.95 Da der im Juni 1943 mit dem damaligen Institut geschlossene Kontrakt mit Händel geglückt ist - sich im Rahmen des europäischen Gesichtskreises 99 aber keinen festen Druckkostenzuschuss vorsah, sondern nur eine Bereitschaft zur ein besonderes Gesicht und einen besonderen Charakter zu geben. Erstattung von Auslagen und fotografischer Kopierarbeiten enthielt, blieben dem Auch auf der inhaltlichen Ebene kam die Gesamtausgabe in dieser Zeit kaum voran, Verlag keine Möglichkeiten, eine Unterstützung aus Berlin zu erzwingen, zumal da die vor 1945 in Paris angefertigten Filme der dortigen Bestände in Schloss Sei­ die komplizierte politische Struktur des unter alliierter Kontrolle stehenden Senats fersdorf, wohin das Staatliche Institut in der letzten Kriegsphase ausgelagert worden von Großberlin Entscheidungen verzögerte. Eine erste im November 1949 einge­ war, vollständig verbrannt waren. Die über Jahre von Gerber betriebene Quellenak­ brachte Magistratsvorlage zur Unterstützung der Gluck-Gesamtausgabe wurde vom quise musste daher ein zweites Mal begonnen werden, so dass weder die Laufzeit Stadtkämmerer zurückgewiesen und auch in den Jahren 1951 und 1952, als in der noch der Umfang der Gesamtausgabe mehr zu taxieren war, wie er Alfred Berner inzwischen gegründeten Bundesrepublik das Wirtschaftswunder zu blühen begann am 4. Juli 1948 mitteilte: und insbesondere die Stadt Berlin aufgrund ihrer strategischen Bedeutung hohe Subventionen erhielt, konnten vom Berliner Landesinstitut jeweils "nicht mehr als Paris muss also von neuem wieder beschafft werden, vor allem aber wird in rund DM 500.-- für Quellenbeschaffung"96 aufgewendet werden. Italien eine grosszügige und langfristige Aktion einsetzen müssen, die mich Zurück zur Vorbereitung der Gesamtausgabe lag zu Jahresbeginn 1948 eine Zu­ jahrelang in Anspruch nimmt, da ich Ort für Ort von Turin bis Neapel abgra­ sen muss. Wie ich vor kurzem authentisch hörte, sind die ital. Bestände gros­ sage aus Hannover vor, die nächste Spielzeit mit Paris und Helena zu eröffnen,97 was senteils noch ausgelagert und erst in etwa 2 Jahren greifbar. Wenn wir also bis dahin reisen dürfen (und das Leben bis dahin in ruhigen Bahnen läuft) wird man um 1950 mit der Quellenbeschaffung in grossem Stil beginnen können. 95 Übersicht zur Gluck-Gesamtausgabe (nach 1971), in: SIM Sig. HA-SIM-5-9-1-1-38. Siehe ergänzend einen Brief von Alfred Berner an Richard Baum beim Bärenreiter-Verlag vom [ ... ] Es wird also dann, wenn alle Umstände günstig zusammenwirken, so 29. Juni 1948 (Bärenreiter-Archiv) mit der Bitte, eine von Hans Albrecht angekündigte Zah­ sein, wie es im Vertrag von 1943 heisst, dass jedes Jahr ein Band, alle 2 Jahre lung von RM 4000 zu erklären, endlich die alten Vertragsunterlagen zur Verfügung zu stellen 2 Bände erscheinen können. Mit einer 20jährigen Dauer wird man rechnen und die Unterstützung der Stadt Hannover zu spezifizieren. 96 Brief von Alfred Berner an Senator Joachim Tiburtius vom 17. März 1953, in: SIM Alete Gluck-G.A. 97 Schreiben von Karl Vötterle an Dr. Goerges bei den Städtischen Bühnen Hannover vom 98 Siehe die Kündigung vom 3. Juli 1948 sowie eine ausführliche Begründung im Schreiben des 29. Januar 1948, in: Stadtarchiv Hannover. Im September 1947 kursierte bereits ein erstes Hannoveraner Stadtdirektors an Karl Vötterle vom 11. November 1948. Siehe des Weiteren Gerücht, dass Hannover von seinem Erstaufführungsrecht Gebrauch machen wollte und da­ einen späteren Brief von Stadtdirektor Georg Lindemann an Vötterle vom 9. Februar 1950, mit eine Inszenierungsanfrage aus Göttingen blockierte. Siehe Brief von Gerber an Vötterle in: Stadtarchiv Hannover. vom 20. September 1947, in: Bärenreiter-Archiv. 99 Karl Vötterle an die Stadt Hannover vom 13. September 1948, ebenda. 34 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 35

müssen, falls nicht späterhin ein rascheres Tempo im Erscheinen der einzelnen die Aufgaben der ehemaligen zentralistischen Berliner Institution weiterzuführen Bände angeschlagen werden kann. JOD und damit die Entwicklung der deutschen Musikforschung in der Nachkriegszeit zu lenken. 104 Zum anderen zog der Versuch, Projekte aus der NS-Zeit möglichst Da nach einem weiteren Meinungsaustausch in die Gespräche zwischen Kassel und bruchlos weiterzuführen, zwangsläufig die Frage nach der Engführung oder Tren­ Hannover keine Bewegung gekommen war, erwog Karl Vötterle Klage einzureichen nung der Bereiche "Musik" und "Politik" nach sich, inmitten einer Zeit, als sie in und ließ der Stadt Hannover im Januar 1949 einen entsprechenden Schriftsatz zu­ größerem Maßstab in zahllosen Entnazifizierungsverfahren prominenter wie unbe­ kommen. 101 In den im Landesarchiv Hannover erhaltenen Prozessakten findet sich kannter Musikschafferlder verhandelt wurde und die Entnazifizierungspolitik in der hierzu eine Einschätzung des städtischen Rechtsamt vom 3. Februar 1949, dass ein Bevölkerung und auch innerhalb der Gruppe der NS-verfolgten Musiker auf nahe­ "Rechtsstreit [ ... ] nur dann Aussicht auf Erfolg haben [dürfte], wenn seinerzeit mit zu lückenlose Ablehnung stieß. 105 der Herausgabe der Werke Glucks tatsächlich ein politischer Zweck verfolgt werden Pointierter als in der Formulierung "Gluck war kein Nationalsozialist" könnte sollte. Anhaltspunkte dafür, daß dies der Fall gewesen ist, sind nicht vorhanden. "102 dieser Knotenpunkt von Musik und Politik kaum gefasst werden: Man versuchte Hierbei bezog man sich auf eine entsprechende Position der Bärenreiter-Anwälte sich erst gar nicht daran, die Verbindung der Gesamtausgabe zur nationalsozia­ Dr. Werner Lasch und Dr. Herbert Schless vom 26. Januar 1949: listischen Musik- und Wissenschaftspolitik wortreich zu entflechten. Stattdessen Auch mit der politischen Einstellung der berufenen Vertreter der Stadt Han­ definierte man das Projekt über seinen Gegenstand, einen im 18. Jahrhundert ver­ nover im Jahre 1944 kann ein Rücktrittsrecht nicht begründet werden. Gluck storbenen Künstler, und nicht über dessen Rezeption durch spätere Generationen, war kein Nationalsozialist. Der Herausgeber, Herr Prof. Dr. Gerber in Göt• womit zugleich postuliert wurde, es habe in der NS-Zeit neutrale, rein disziplinären tingen, der Bärenreiter-Verlag in Kassel und die Stadt Hannover verfolgten Regeln gehorchende Wissenschaft geben können. Im Wissen um die Gründung der ebenfalls mit der Herausgabe des Gluck-Werkes keinen politischen Zweck. Die Gluck-Gesellschaft unter Schirmherrschaft des Gauleiters und die Sonderaufträge Herausgabe des Gesamtwerks Glucks war und ist eine Kulturarbeit, die das Herbert Gerigks wäre es ein Leichtes gewesen, diese Argumentation auszuhebeln auch bleibt, wenn sie von einer nationalsozialistischen Stadtverwaltung veran­ lasst wurde. Die Auffassung und Anschauung der damaligen Stadtverwaltung, und den Beweis anzutreten, dass die Gluck-Gesamtausgabe Teil der nationalsozia­ dass die Herausgabe der Gluck-Werke wünschenswert und zu unterstützen sei, listischen Propaganda gewesen war. Da die Gründungsgeschichte der Gluck-Gesell­ ist auch heute noch zu teilen. 103 schaft in Hannover aber entweder nicht bekannt oder als nicht als Gegenargument in Betracht gezogen wurde und - als Glücksfall für die Beteiligten - Gerbers Einsatz Man sollte an dieser Stelle gewärtigen, welche grundsätzlichen Fragen und Hal­ für den Sonderstab Musik als Geheimsache des Amtes Rosenberg eingestuft gewe­ tungen sich hier kontrovers gegenüberstanden: An einem dem äußeren Anschein sen und damit ebenfalls nicht publik war, ließ sich das Hannoveraner Rechtsamt nach so unauffälligen Gegenstand wie einer Gesamtausgabe für Gluck ent­ nicht auf eine Verteidigung seiner Vertragskündigung auf der Detailebene ein, son­ schied sich zum einen 1947/48 die Rechtsnachfolge des Staatlichen Instituts für dern blieb bei seiner formalen Strategie. deutsche Musikforschung, als Friedrich Blume sich an die Spitze der deutschen Mu­ Wie zu erwarten war, kam es 1950 zum Prozess, der für die Gluck-Gesamtaus­ sikwissenschaft gesetzt und in Kiel längst ein Landesinstitut gegründet hatte, um gabe zum entscheidenden Katalysator wurde. Dass die Gefahr, dabei mit der ei­ genen politischen Vergangenheit konfrontiert zu werden, keineswegs unbegründet war, belegt ein Brief von Vötterle vom 27. März 1951. Darin bat er Gerber für den 100 Brief von Rudolf Gerber an Alfred Berner vom 4. Juli 1948 mit Dank für dessen Brief vom laufenden Prozess um exakte Angaben zu folgenden Punkten: 28. Juni 1948, in: SIM Sig. HA-SIM-5-9-1-46. 101 Brief von Karl Vötterle an Rudolf Gerber vom 28. Juni 1949, in: Bärenreiter-Archiv. Siehe 1. Welche Forschungsarbeiten sind im letzten Kriegsjahr und insbesondere bis auch eine Aktennotiz von Alfred Brenner (mit Briefkopf des Instituts für Musikforschung, zur Währungsunion für die GA gemacht worden. Berlin-Grunewald, Hubertusbader Str. 19) vom 17. August 1949, dass Vötterle die Übersen• dung des ursprünglichen Vertrags ein weiteres Mal versprach, was er im Oktober schließlich einlöste, in: SIM Sig. HA-SIM-5-9-1-1-43 Schriftwechsel Bärenreiter 1947-1958 (Vötterle, 104 Michael Custodis, Friedrich Blumes EntnazifizierungsveJfohren, in: Musikforschung65 (2012), Rehm-Berner). Heft 1. 102 Ergänzung des Rechtsamts Hannover vom 3. Februar 1949 zum Bärenreiter-Schriftsatz vom 105 Michael Custodis und Friedrich Geiger, Netzwerke der Entnazifizierung. Kontinuitäten im 26. Januar 1949, in: Stadtarchiv Hannover. deutschen Musikleben am Beispiel von Werner Egk Hilde und Heinrich Strobel, Münster 2013 103 Schriftsatz der Bärenreiter-Rechtsanwälte vom 26. Januar 1949, ebenda. [= Münsteraner Schriften zur zeitgenössischen Musik 1], S. 101-125. 36 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 37

2. Die Gegenseite behauptet, daß die Kriegswirtschaft 1944 es dem Verlag und Nicht zuletzt hatte Friedrich Blume, seinem Freund Vötterle durch die gemeinsame Herausgeber gänzlich unmöglich gemacht habe, ernsthaft an die Herausgabe Zeit in der Jugendmusikbewegung seit Jahrzehnten eng verbunden, in seiner Funk­ der Gluck-Ausgabe heranzutreten. Um dem möglichst scharf entgegen zu tre­ tion als Präsident der Gesellschaft für Musikforschung den Prozess entscheidend ten, erbitten wir von Ihnen eine Erklärung, daß es gerade damals für Sie sehr mit einer Stellungnahme beeinflusst.lll Mit Datum vom 18. August 1951 bemühte viel leichter war, an die notwendigen Quellen (Paris) heranzukommen. 106 er in einem für Gutachten typischen, hymnischen Tonfall große Worte, die den Vierzehn Tage später antwortete Gerber ausweichend und bemerkte zu seinem bei­ Gedanken von der globalen Vorherrschaft der deutschen Musik ungebrochen wei­ gelegten Bericht, der in den überlieferten Archivalien nicht enthalten ist, dass die terführten, und argU1~entierte, dass die Gluck-Ausgabe ",Erldärung' zu meinen Gluck-Arbeiten [ ... ] natürlich für den Nicht-Fachmann eines der vordringlichsten Erfordernisse der Musikpraxis und Musikwissen­ nach nicht viel aussieht. In Wirldichkeit verbirgt sich dahinter eine mit viel Geduld schaft aller Welt [sei]. Das beweist allein die Tatsache, dass diese Ausgabe von und Ausdauer verbundene Arbeit. Die Gluck-GA ist deshalb so kompliziert, weil dem ehm. Staatlichen Institut für deutsche Musikforschung angelegt und in sich eben das Material über ganz Europa verstreut findet. "107 dessen Produktionsprogramm aufgenommen worden ist. Unter den deutschen Aus Sicht des Bärenreiter-Verlags war der Prozess ein voller Erfolg und nach Grossmeistern der Musik ist Gluck der einzige, von dem noch keine Gesamt­ der zweiten Instanz 1952 gewonnen. Zum einen hatte Alfred Berner am 24. Au­ ausgabe seiner Werke vorliegt. Die alten Einzelausgaben sind seit Jahrzehnten, gust 1951 gegenüber dem Landgericht Hannover endgültig ldar gestellt, dass die z.T. seit einem Jahrhundert und länger vergriffen. [ ... ] Es ist nicht nur eine Rechtsnachfolge des ehemaligen Staatlichen Instituts für deutsche Musikforschung deutsche Ehrenpflicht der Gegenwart, diese Ausgabe vorzulegen, sondern es besteht auch ein dringendes Bedürfnis danach, weil Gluck's Opern in stei­ auf das neue Institut für Musikforschung Berlin übergegangen sei und man den gendem Maße auf den Bühnen aufgeführt werden, und weil die Wissenschaft alten Vertrag für die Gluck-Gesamtausgabe übernommen habe. lOS Zum anderen eine kritisch korrekte Ausgabe benötigt. hatte Vötterle zu diesem Zeitpunkt bereits Fakten geschaffen und den ersten Band, Franz Rühlmanns Edition des Bekehrten Trunkenbolds, drucken und im Juni 1951 Darüber hinaus bedrohe die amerikanische Konkurrenz den deutschen Markt, so ausliefern lassen. lo9 Die Gesamtausgabe war nun kein Phantom mehr, sondern ein dass man die Werke Haydns und Mozarts bereits hätte verloren geben müssen, mit Subventionsprojekt, das auf Jahrzehnte nicht mehr aufzuhalten war, wollte man der Konsequenz unschätzbarer ideeller und materieller Verluste. l12 Er fühle sich da­ sich nicht international blamieren. Vötterle war sich des Drucks, den er erzeugte, her berufen, so Blume in seinem Schlusswort, "gerade zu dieser Frage ausdrücldich wohl bewusst und reagierte damit zugleich selbst auf Gerüchte über konkurrierende in meiner Eigenschaft als Präsident der Gesellschaft für Musikforschung im Namen Bestrebungen, wie ihm RudolfGerber noch am 17. Juni 1951 bestätigt hatte, bevor nicht nur der deutschen Musikwissenschaft, sondern im Namen der gesamten deut­ dieser von dem überraschenden Erscheinen des ersten Bandes erfuhr: schen musikalischen Kultur zu sprechen." Allmählich spricht es sich herum, dass Gluck noch ein "Objekt" ist, und so Am 27. März 1952 entschied das Landgericht Hannover den Rechtsstreit zu­ sollte es mich nicht wundern, wenn eines schönen Tages, während dem wir gunsten des ldagenden Bärenreiter-Verlags, der 1944 geschlossene Vertrag sei wei­ "planen" und Prospekte entwerfen, ein fertiges GA-Unternehmen von anderer terhin in Kraft, und hielt in seiner Urteils begründung fest, dass die 1948 erfolgte Seite (es braucht nicht deutsch zu sein!) "auf dem Plan" ist. Dass Hermann einseitige Kündigung durch die Stadt Hannover mit der "völlig veränderten Situa­ Scherchen etwas derartiges beabsichtigt, wissen Sie vielleicht nicht. Er hat sich tion seit 1944"113 nicht zu rechtfertigen sei. Ferner orientierte sich auch das Gericht direkt an mich gewandt, einige Opern von Gluck in seinem Verlag herauszu­ am damaligen Konsens, dass Musik und Politik zwei voneinander streng getrennte bringen. 110 Welten seien:

106 Brief von Karl Vötterle an RudolfGerber vom 27. März 1951, in: Bärenreiter-Archiv. 107 Antwortbrief von Rudolf Gerber an Karl Vötterle vom 15. April 1951, ebenda. 108 Auskunft von Alfred Berner für das Landgericht Hannover vom 24. August 1951, in: Stadt­ 111 Gutachten von Friedrich Blume als GfM-Präsident vom 18. August 1951, in: Stadtarchiv archiv Hannover. Hannover. 109 Siehe auch den Brief von Alfred Berner an Rudolf Gerber vom 12. Juni 1951, in: SIM Sig. 112 Das Schüren dubioser und konkreter Ängste gehörte seit Langem zum Repertoire musikwis­ HA-SIM-5-9-1-1-46 Schriftwechsel RudolfGeber 1948-53. sensc4aftlicher Rhetorik, siehe Albrecht Riethmüller, German Music from the Perspective 0/ 110 Brief von Rudolf Gerber an Karl Vötterle vom 17. Juni 1951 sowie einen Brief von Karl German Musicology after 1933, in: Journal flr lVJusicological Research 11 (1991), S. 178. Vötterle an Rudolf Gerber vom 20. Juni 1951, beide Bärenreiter-Archiv. 113 Urteil des Hannoveraner Gerichts vom 27. März 1952, in: Stadtarchiv Hannover. 38 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 39

Vielmehr hat der Wechsel in der politischen Grundtendenz auf den vorlie­ die Unterstützung einzelner Bände nicht hinaus, positiv konnte Rudolf Gerber am genden Vertrag überhaupt keinen Einfluss gehabt. Die Arbeiten Christoph 10. Dezember 1954 immerhin mitteilen, dass die Göttinger Akademie, deren Mit­ Willibald Glucks, als Werke eines ldassischen Musikers, können nach Auffas­ glied er war, den Doppelband Paride ed Elena mit DM 2.000 förderte. ll8 sung des Gerichts einer politischen Würdigung überhaupt nicht unterliegen. Ein strategisch wesentlich weitreichender Schritt, für den ebenfalls die Gluck­ Die Wertschätzung Glucks in den interessierten Kreisen ist heute die gleiche Gesamtausgabe den Anlass lieferte, war die Gründung der Musikgeschichtlichen wie in der Zeit des Nationalsozialismus. Eine Kündigung unter dem Gesichts­ Kommission in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins am 3l. Januar 1953,119 punkt der ideologischen Verschiebung zwischen 1944 und 1948 konnte daher mit dem die Konseq!enzen aus der Lücke gezogen wurde, die der Wegfall des Staat­ nicht in Betracht kommen. lichen Instituts als Zentralstelle zur Koordinierung und Lenkung der deutschen Eine für Stadtdirektor Georg Lindemann angefertigte amtsinterne Einschätzung Musikforschung hinterlassen hatte. Auf diesem Wege ließen sich dank dieser mu­ des Urteils hielt dieses im Ergebnis zwar für außerordentlich unbefriedigend, da sikwissenschaftlichen Selbstverwaltung öffentlicher Mittel weitere Finanzierungslü• es der Hannoveraner Argumentation von grundlegend veränderten Bedingungen cken schließen. Den Anfang bei dieser Entwicklung machte eine Denkschrift zur im Vergleich der Jahre 1944 und 1948 nicht gefolgt sei. Mit der Bewertung des Lage der deutschen Musikforschung, die an einflussreiche politische Institutionen Gerichts stimmte man in Teilen aber überein, "daß politische Gesichtspunkte als und Persönlichkeiten sowie an führende Einrichtungen zur Wissenschaftsförderung solche s.Zt. für den Vertragsabschluß nicht maßgebend gewesen sind, es hätte aber verschickt wurde und die ebenfalls mit dem Argument einer fehlenden Zentralein­ einsehen müssen, daß den politischen Änderungen insoweit Rechnung getragen richtung operierte: werden mußte, als unzweifelhaft der Vertragsabschluß eine Auswirkung der Re­ Das vordinglichste Erfordernis, das als Nahziel möglichst schnell anzustreben nommiersucht der damaligen Machthaber war. "114 ist, besteht in der Wiedererrichtung eines zentralen Forschungsinstituts (in Mit diesem Erfolg war eine Teilfinanzierung der Gesamtausgabe nun gesichert, Nachfolge des ehem. Staatlichen Instituts für deutsche Musikforschung) auf der verbleibende Rest der zu deckenden Druckkosten allerdings noch offen. Auch Bundesebene, das mit genügend Befugnissen und genügend Mitteln ausge­ die Deutsche Forschungsgemeinschaft übernahm ab dem Jahr 1954 nur Zuschüsse stattet ist, um gemeinsam mit den drei vorhandenen Forschungsinstituten die zur Bereitstellung von Druckvorlagen und der dazugehörigen Filme,115 eine weiter­ gesamtdeutschen Aufgaben in Angriff zu nehmen, nämlich: Quellen und Ab­ gehende Finanzierung von Personal, Honoraren oder Druckkostenzuschüssen in handlungen zu publizieren, mit der Gesellschaft für Musikforschung an der Höhe von DM 40.000 lehnte sie aufgrund der langen Laufzeit der Gesamtausgabe Herausgabe einer laufenden Fachzeitschrift und laufender Schriftenreihen zu­ ab. 116 Die im Archiv der Deutschen Forschungsgemeinschaft hierzu überlieferten sammenzuarbeiten, Materialsammlungen anzulegen, die landschaftliche Mu­ sikforschung und die Inventarisierung der landschaftlichen Quellen wieder Unterlagen enthalten auch Zusammenfassungen der anonymisierten Gutachten, in Gang zu setzen usw. Es hat sich gezeigt, daß alle diese Aufgaben ohne ein wovon eines dem Tonfall und der Sachkenntnis nach von Blume stammte, der zu Zentralinstitut nicht zu leisten sind. 120 dieser Zeit gemeinsam mit Wilibald Gurlitt die Musikwissenschaft bei der DFG vertrat: "Die Gesamtausgabe der Werke Glucks, seit 1940 geplant, seit 1943 dem Antragssteller in Auftrag gegeben und von ihm weit gefördert, sei ein vordringliches Anliegen für die gesamte Weltmusikforschung."117 Dennoch ging die DFG über

In einem Brief an Rudolf Gerber vom 29. November 1954 (ebenda) ging Karl Vötterle nach 114 Dossier eines Stadtrates für Stadtdirektor Georg Lindemann vom 28. April 1952, ebenda. der Ablehnung des Antrags davon aus, dass Blume sich mit Sicherheit für den Antrag ein­ 115 Brief von Rudolf Gerber an das Staatliche Institut für Musikforschung in Berlin vom gesetzt habe, während Gurlitts Haltung nicht einzuschätzen sei. Nach dem Wortlaut seines 16. August 1953, in: SIM Sig. HA-SIM-5-9-1-1-46 Schriftwechsel RudolfGerber 1948-53. Schreibens waren Vötterle die Gutachten offensichtlich nicht bekannt. 116 Übersicht aus dem Jahr 1954 zu DFG-geförderten musikwissenschaftlichen Unternehmen 118 Brief von Rudolf Gerber an Karl Vötterle vom 10. Dezember 1954, ebenda. mit dem Vermerk, dass die Gluck-GA 1954 mit DM 25.000 unterstützte werde, nachdem 119 Alfred Berner an den Berliner Senator für Volksbildung Joachim Tiburtius am 17. März DM 40.000 beantragt worden waren. Kommentar: "langfristig. Druck durch andere Stellen 1953 zur Gluck-Gesamtausgabe, in: SIM, Sig. Akte Gluck-G.A. gefördert." Archiv der Deutschen Forschungsgemeinsschaft [= DFG-Archiv]. 120 Denkschrift der Gesellschaft für Musikforschung zur Lage der Deutschen Musikforschung, 117 Anonyme Stellungnahme eines der Fachgutachter, in: DFG-Archiv. Wie aus einem Brief von abgedruckt im 5. Heft des Jahrgangs 2/3 (1952) der Musiliforschung. Hans Joachim Moser Rudolf Gerber an Richard Baum vom 11. April 1954 hervorgeht (Bärenreiter-Archiv), ver­ wiederum verstand seine Denkschrift Das musikalische Denkmälerwesen in Deutschland (Kas­ mutete man Wilibald Gurlitt und Friedrich Blume als DFG-Gutachter des Gluck-Antrags. sel und Basel 1952) explizit als Ergänzung der GfM-Publikation. 40 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfange der Gluck-Gesamtausgabe 41

Nach eingehender Lektüre lud Ludwig Raiser, Präsident der DFG, Friedrich Blu­ tet sich daher zu Grundsatzproblemen im Umgang mit musikwissenschaftlicher l2l me im August 1952 zu einem Gedankenaustausch nach Bonn ein. In diesem Forschung im Dritten Reich: Den vorgelegten Ergebnissen sind keinerlei Hinwei­ Gespräch am 22. Oktober 1952 entstand die Idee, anstelle einer kaum zu reali­ se darauf zu entnehmen, unter welchen Umständen und in welchem Auftrag sie sierenden Institutsneugründung eine Kommission ins Leben zu rufen, die sich im zustande kamen, so dass in der Bewertung moralische Maßstäbe juristischen und praktischen Ergebnis kaum unterschiede, aber wesentlich leichter zu organisieren wissenschaftlichen Argumenten gegenüberstehen. und institutionalisieren sei. 122 Bei vorab geführten Gesprächen mit Dr. Erich Wen­ Im konkreten Fall/von Gerber und seiner Gluck-Forschung werden daraus un­ de, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, hatte Blume die Bereitschaft die­ auflösbar ineinander verschränkte Fragen: Wie ist mit einer nach wissenschaftlichen ses Hauses gewinnen können, eine solche als Verein organisierte Kommission mit Kriterien tadellos ausgeführten Gesamtausgabe umzugehen, deren akademische jährlich DM 20.000 zu finanzieren. Zu diesem Zeitpunkt unterstützte das Mini­ Grundlagen zwar bis in die Zeit vor der NS-Diktatur zurückreichen, die aber erst sterium bereits mehrere deutsche Gesamtausgaben, u.a. die Neue-Bach-Ausgabe. mit der skrupellosen Einbettung Glucks in die nationalsozialistische Musikpolitik Diese Förderung nahm Raiser zum Anlass, im Rahmen des Möglichen ebenfalls auf den Weg gebracht werden konnte? Als Symbol für den ungebrochenen Glauben Unterstützung zur Finanzierung von Hilfskräften oder dem Druck bestimmter Edi­ an die Weltgeltung der deutschen Musik konnte sie bezeichnenderweise in einer tionsprojekte zuzusagen. Eine Woche später legte Blume seinem Dankesbrief an vorgeblich unpolitischen Nachkriegsgesellschaft schließlich unbehelligt realisiert Raiser einen Durchschlag seines Schreibens an Wende bei, in dem er die Planungen werden, womit die Wortführer der deutschen Musikforschung ein weiteres Mal von für die Musikgeschichtliche Kommission skizzierte. Diese solle zukünftig a) die Re­ ihren Arbeiten aus der NS-Zeit profitierten. daktion musikalischer Quellenausgaben koordinieren, b) die von den bestehenden Landesinstituten geplanten Quellenpublikationen untereinander abstimmen, c) die Vorbereitung und Herausgabe sonstiger musikwissenschaftlicher Publikationen von gesamtdeutscher Wichtigkeit übernehmen und d) die Vorbereitung und den Wie­ deraufbau einer Sammlung von Quellenphotographien in die Wege leiten: Die Gesellschaft für Musikforschung schlägt daher dem Herrn Bundesminister des Innern vor, eine "Kommission für das musikalische Denkmälerwesen" zu errichten und sie mit der Lenkung und Planung dieser Aufgaben zu beauftra­ gen. Diese Kommission könnte an der Stelle eines zentralen Instituts wirken und eine Fortsetzung der ehemaligen "Preußischen Denkmälerkommission " bilden, die von etwa 1890-1935 bestanden hat. 123

Im Resümee der Ereignisse erfordert die Bewertung der Gluck-Gesamtausgabe als Modellfall einer Institutionalisierung europäischer Kulturgeschichte zunächst eine Verständigung über anzulegende Maßstäbe. Heute wie damals sind Großprojekte wie Gesamtausgaben nicht ohne öffentliche Förderung möglich. Erst aber mit der Bereitwilligkeit von Experten wie Rudolf Gerber, die eigene Expertise in den Dienst des braunen Terrorregimes zu stellen, eröffneten sich ihm die Möglichkeiten, Grundlagenforschung in einer Weise betreiben zu können, aus der ein so großange• legtes Projekt hervorgehen konnte. Die Kontinuität dieses Unternehmens verdich-

121 Schreiben von Ludwig Raiser an Friedrich Blume vom 29. August 1952, in: DFG-Archiv. 122 Aktennotiz Raisers vom 22. Oktober 1952 über eine Besprechung mit Blume am selben Tag, ebenda. 123 Schreiben von Friedrich Blume an Erich Wende vom 31. Oktober 1952, Durchschlag im DFG-Archiv. 42 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfange der Gluck-Gesamtausgabe 43

Anhang lung der Guckschen Werke, die zudem im Rahmen der damals bestehenden Denkmäler der Tonkunst in Österreich und Bayern (DTÖ, DTB) erscheinen sollten und auf diese Transkription einer maschinenschriftlichen Denkschrift Rudolf Gerbers vom Weise das Schicksal der Zersplitterung erfahren mussten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass all diese Versuche Kompro­ 6. Dezember 1940 mit handschriftlichen Korrektureinzeichnungen, erhalten in der mißlösungen darstellten, die in keinem Falle zum Ziele führten: eine geschlossene, nach Gluck-Forschungsstelle Salzburg. Unregelmäßigkeiten der Orthografie und der In­ streng wissenschaftlichen Gesichtspunkten durchgeführte und zugleich der pralnischen terpunktion wurden unverändert beibehalten. Die Darstellung folgt Gerbers Satz­ Musikübung als Richts~nur dienende Ausgabe der Gluckschen Werke ins Leben zu bild, eingeklammerte Ergänzungen entsprechen seinen Korrektureinzeichnungen. rufen. Andererseits muss es als eine Ehrenpflicht der deutschen Musikforschung gelten, mit allen Kräften darauf hin zu arbeiten, dass diese längst fällige Schuld abgetragen wird. Der Unterzeichnete, der in eingehenden Forschungen die Probleme um Gluck zu klären sich bemüht, wendet sich daher mit dem Antrag an das "Staatliche Institut für Den ksch ri Er deutsche Musikforschung" als der repräsentativen Vertretung der deutschen Musikwis­ bett. die Veranstaltung einer Gesamtausgabe der Werke senschaft, eine Gesamtausgabe der Werke Glucks im Rahmen der Publikations reihen Christoph Willibald GIl!cks "Das Erbe deutscher Musik" ins Auge fassen und alsbald in die Wege leiten zu wollen. Als Richtlinien gestattet sich der Unterzeichnete folgende Gesichtspunkte in Vorschlag zu bringen. Vorbemerkung: Unter den Führerpersönlichkeiten der deutschen Musik, die in leiden­ schaftlicher Hingabe in ihre geschichtliche Aufgabe deutschen Geist und deutsche Hauptteil Seele in eillmaliger [vorbildhaftel'] Weise geformt haben steht eh. w. Gluck in vor­ 1. derster Reihe. Seine Bedeutung innerhalb der deutschen Musik- und Geistesgeschichte bedarf heute keiner Erörterung mehr. Glucks überragende Grösse wird dadurch be­ Der Begriff der "Gesamtausgabe" schliesst eine totale Erfassung des sonders gekennzeichnet, dass der Wirkungsbereich seines Kunstschaffens weit über die Gluckschen Schaffens in sich. Die Quellenlage der Gluckschen Werke ist nun aber - Grenzen seiner deutschen Heimat hinausgreift und in den gesamteuropäischen Raum wie bereits angedeutet - im Augenblick noch so geartet, dass zwar das Gesamtschaffen hineinstrahlt. Neben Händel war Gluck der tatkräftigste Vorkämpfer für die Weltgel­ Glucks annähernd vollständig übersehbar ist und die einzelnen Werke namentlich be­ tung der deutschen Musik, da er in fremden Formen um den Sieg des deutschen Geistes kannt sind, dass wir hingegen von einer Reihe von Werken nur Namen und Auffüh• kämpfte, diese Formenwelt schliesslich unter der bezwingenden Kraft [seines Genies] rungsumstände, nicht jedoch die Gesamtpartitur, höchstens Einzelteile (Arien) kennen. umprägte und in eigenes Besitztum velwandelte, das den Stempel deutschen Wesens Die Bestrebungell [maßgebenden Persönlichkeiten] der ehemaligen Gluck-Gesellschaft und deutscher Art trägt. (s.o.) haben im Hinblick auf diese Gegebenheiten den Plan einer Gesamtausgabe zu­ Die deutsche Kunst und Wissenschaft haben angesichts dieser ein­ gunsten einer Auswahlsammlung preisgegeben. Der Unterzeichnete vertritt jedoch den maligen Grösse nicht nur die verpflichtende Aufgabe, einzelnes aus seinem umfassenden Standpunkt, dass diese Resignation unbegründet ist, da noch nicht einmal ein nen­ Schaffen zu hüten, zu pflegen und in wissenschaftlicher Durchdringung zu erforschen, nenswerter und ernsthafter Versuch unternommen wurde, die Bibliotheken und Ar­ sondern nach Möglichkeit das Gesamtwerk des Meisters in einer vorbildlichen kriti­ chive auf Glucksche Werke systematisch zu durchsuchen. An dieser Stelle müssten die schen Neuausgabe zu vereinigen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Vorarbeiten für eine künftige Gluck-Gesamtausgabe einsetzen. Solange wir nicht auf deutsche Volk hat ein Recht darauf, das Werden und Wachsen seiner grossen geistigen Grund einer umfassenden Bestandsaufnahme der Gluckschen Werküberlieferung die Führer in allen einzelnen Stadien kennen zu lernen und nicht allein vor die grossen Gewissheit erlangt haben, dass manche der Werke unwiederbringlich verloren sind, ha­ Meisterwerke gestellt zu werden, in denen der durch Niederungen und über Höhen ben wir keine überzeugende und stichhaltige Veranlassung, den Plan einer Gesamtaus­ führende Reifeprozess bereits abgeschlossen ist. gabe fallen zu lassen. Im Gegenteil: bei einer allseitigen, gründlichen Durchforstung der Versuche, Gluck eine kritische Ausgabe seiner Werke zuteil werden zu lassen, wurden schon in früheren Jahren, teils von der vor dem Weltkrieg beste­ in Betracht kommenden Quellen und Aufbewahrungsorte ist durchaus die Möglichkeit henden Gluck-Gesellschaft, teils durch Einzelinitiative unternommen. Sie blieben aus gegeben, vermisste Werke wieder ans Licht zu bringen und selbst über das Mass an den verschiedensten Gründen bereits in den Anfangen stecken, Bald mangelte den Un­ bekannten Gluck-Werken hinaus auch solche Kompositionen zu entdecken, die bisher ternehmen die sinnvolle Planung oder die Finanzkraft, bald scheiterten die gefassten nicht einmal dem Namen nach bekannt waren. So gelang es dem Unterzeichneten bei Pläne an der Unzulänglichkeit, der unkritischen und unwissenschaftlichen Methode der der Erforschung der Gluckschen Familiengeschichte, in einem böhmischen Adelsarchiv Herausgeber. Die Gluck-Gesellschaft selbst nahm im Hinblick auf die empfindlichen (beiläufig) 3 unbekannte Sinfonien (darunter ein bedeutendes Werk) sowie eine bisher Lücken, die die Überlieferung der Gluckschen Werke bis zur Stunde kennzeichnet, von unbekannte Triosonate als echte Gluck-Werke festzustellen. Voraussetzung für diese Ar­ einer umfassenden Gesamtausgabe Abstand und plante lediglich eine Auswahlsamm- beit ist indessen, wie gesagt, dass der Rahmen der zu erfassenden Fundorte möglichst 44 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 45 weit abgesteckt wird. Es kommen dafür neben den grossen und ldeinen öffentlichen Angesichts der hohen Bedeutung dieser Werke und des Fehlens jeg­ Bibliotheken vor allem die Privatbibliotheken verschiedenster Art in Frage. Räumlich licher Neuausgabe ist eine Revision dieser Opern die allererste Aufgabe der in die Wege sind dabei in erster Linie die Bibliotheken Italiens sowie des Landes Österreich und zu leitenden Gesamtausgabe. des Protektorats Böhmen und Mähren zu berücksichtigen, da es sich zunächst darum 2) Ähnliches gilt von dem viel umstrittenen "Telemacco" (Wien handeln wird, die als verschollen geltenden 12 frühitalienischen Opern Glucks zutage 1765), der der Gruppe der Reformopern nahesteht bzw. in einem weiteren Sinne zu ihr zu fördern. Besondere Aufmerksamkeit beanspruchen die noch erhaltenen Privatbiblio­ gehört. Die Inangriffnahme der Revision dieses Werkes gehört ebenfalls zu den dring­ theken der fürstlichen und aristokratischen Widmungsträger Gluckscher Opern. Von lichsten Aufgaben. I aufgefundenen Werken, zumal solchen in ausserdeutschem Besitz, wären alsdann pho­ 3) In Ergänzung der musikdramatischen Reformwerke sind die, ne­ tographische Reproduktionen herzustellen, die dem Staatlichen Institut für deutsche ben "Don Juan" noch verbleibenden Tanzdramen: Semiramis (I765), Alessandro (vor Musikforschung als Eigentum zugeführt werden. Letzteres gilt auch von den Hand­ 1766) und LOrfano della China (1774) zu einer geschlossenen Veröffentlichung zu­ schriften einzelner Gluck-Arien in den Pariser und Brüsseler Archiven und Bibliotheken sammenzufassen. Da all diese Ballette einen relativ !deinen Umfang besitzen, werden sowie von den in Paris aufbewahrten Gluck-Autographen. sie ausgabetechnisch am zweckmässigsten sogleich auf einen bandmässigen Zusammen­ schluss mit dem in DTÖ XXX erschienenen Tanzdrama "Don Juan" angelegt. 4) Als nächstwichtige Gruppe kommen die vollständig überlieferten H. italienischen Opere serie in Betracht, und zwar: a) Ipermestra (Venedig 1744) Befasst sich somit dieser Zweig der Vorarbeiten zu einer Gluckschen b) Semiramide riconosciuta (Wien 1748) Gesamtausgabe mit der unerlässlichen und umfassenden Bestandsaufnahme der noch c) Ezio (Prag 1750) vorhandenen Werke und ihrer Bereitstellung für die Veröffentlichung, so hat ein zwei­ d) La Clemenza di Tito (Neapel 1752) ter Arbeitssektor alsbald mit der Veröffentlichung der bekannten, in ihren Quellen zu­ e) Antigono (Rom 1756) gänglichen Gluck-Werke zu beginnen. Dabei muss von vornherein als unumstösslicher f) Il Re pastore (Wien 1756) Grundsatz gelten, dass sämtliche in Quellen zugängliche Werke Glucks in die Gesamt­ g) Il Trionfo di Clelia (Bologna 1763) ausgabe aufgenommen werden, auch solche, die bereits in früheren kritischen Ausgaben Da jede dieser Opern einen Band füllt, liegen hier 7 Bände vor. erschienen sind. In diese Kategorie gehören somit auch die Werke, die in der franzö• 5) In Ergänzung hierzu bilden die Schäferspiele, Opernserenaden sischen Ausgabe der Mme. Pelletan vereinigt wurden, sowie die in DTÖ und DTB und Huldigungsstücke in italienischer Sprache eine geschlossene Abteilung. Hierzu ge­ veröffentlichten Werke: Orfeo, Le Nozze d'Ercole e d'Ebe, Don Juan und LInnocenza hören: giustificata. Die meisten dieser älteren Veröffentlichungen sind im Handel schon längst a) Le Cinesi (Schlosshof 1754) erschöpft, eine Neuausgabe bzw. Neuauflage innerhalb der geplanten Gluck-Gesamt­ b) La Danza (Wien 1755) ausgabe wäre somit schon dadurch ohne weiteres gerechtfertigt. Da ausserdem in einer c) Il Parnasso confuso (Wien 1756) Reihe von Fällen jene Ausgaben auch in kritischer Hinsicht nicht die letzte Sorgfalt d) La Corona (Wien 1756) erkennen lassen, ist auch nach dieser Seite eine erneute kritische Durchsicht der Quellen e) La Contesa de' Numi (Kopenhagen 1749) zwecks Neuveröffentlichung vollauf begründet. Welche Werke nur übernommen, wel­ f) Tetide (Wien 1760) che neu revidiert werden müssten, wäre noch im einzelnen zu prüfen. Im allgemeinen g) Il Prolo go (Florenz 1767) kann von den Ausgaben der DTÖ und DTB gesagt werden, dass sie (mit Ausnahme h) Le Feste d'Apollo (Parma 1769) einiger Übersetzungen) auch heute noch genügen, während die Werke der Pelletan­ Da es sich auch hier z.T. um Stücke !deineren Umfangs handelt, las­ Ausgabe durchweg neu zu revidieren sind. Doch kann diese Aufgabe zunächst in den sen sich mehrere Werke in einen Band zusammenschliessen: a-d und fl g. Es kämen hier Hintergrund treten. Vordringlich und alsbald für eine Veröffentlichung bereitzustellen somit 4 Bände in Betracht. sind diejenigen Werke, die überhaupt noch keine kritische Quellenausgabe erfahren 6) Eine geschlossene Gruppe bilden fernerhin die französischen Vau­ haben. Nach dem Grad ihrer Bedeutung handelt es sich dabei um folgende Werke bzw. devillekomödien und komischen Opern zwischen 1758 und 1764. Es handelt sich hier­ Werkgruppen: bei um folgende Werke: a) LIle de Merlin 1) Im Vordergrund stehen die beiden italienischen Reformopern: b) La Fausse esclave a) Alceste (Wien 1767) c) Le Diable a quatre b) Paride ed Elena (Wien 1770) d) LArbre enchante (I. und 2. Fassung) e) Cythere assiegee 46 Michael Custodis Rudolf Gerber und die Anfänge der Gluck-Gesamtausgabe 47

f) LIvrogne corrige in einzelne Gruppen oder Abteilungen (Serien) aufgeteilt, die jeweils eine interne Band­ g) Le Cadi dupe zählung durchführen. Aus dem oben aufgestellten Veröffentlichungsplan ergeben sich h) La Rencontre imprevue diese Abteilungen zwanglos: Von diesen Werken können zwei (b, c) zu einem Band zusammenge­ schlossen werden, so dass 7 Bände in Betracht kommen. Die beiden Fassungen von d) 1. Abteilung: (Italienische und Französische) Musikdramen können dabei innerhalb eines Bandes bequem berücksichtigt werden, während bei e) In chronologischer Folge umfasst diese Serie: zunächst nur die 2. Fassung (Paris 1775) vorgelegt werden kann, da von der 1. Fassung Bd.) Orfeo zunächst noch die Partitur fehlt. Bd. 2 Telemacco 7) Die letzte Abteilung umfasst in einem Band die nichtdramati- Bd. 3 Alceste sche Vokal- und Instrumentalmusik, nämlich: Bd. 4 Paride ed Elena a) 12 Sinfonien Bd. 5 Iphigenie en Aulide b) 8 Trios Bd. 6 Orphee et Euridice c) Einzelne Instrumentalstücke Bd. 7 Alceste d) Kirchenmusik Bd.8 Armide e) Lieder Bd. 9 Iphigenie en Tauride Vorstehende Übersicht ergibt einen Umfang von 23 Bänden. Hierzu Bd. 10 Echo et Narcisse treten mit der Zeit die oben genannten, bereits veröffentlichten Werke aus DTÖ, DTB Bd. 11 Iphigenie aufTauris (Alxinger) und der Pelletanausgabe: a) Orfeo (aus DTÖ) 2. Abteilung: Tanzdramen b) Le Nozze d'Ercole e d'Ebe (aus DTB) umfasst einen Band mit den unter 3) auf Seite 4 genann­ c) LInnocenza giustificata (aus DTÖ) ten Werken. 124 1-2 Bände d) Iphigenie en Aulide e) Orphee et Euridice f) Alceste (Paris) 3. Abteilung: Italienische Opere serie Pelletanausgabe g) Armide Bd. 1 Ipermestra h) Iphigenie en Tauride Bd.2 Le Nozze d'Ercole ed'Ebe i) Echo et Narcisse Bd. 3 Semiramide reconosciuta sowie: k) Iphigenie aufTauris - in deutscher Fassung von Bd.4 Ezio Alxinger. Bd. 5 La Clemenza di Tito Bd. 6 LInnocenza giustificata Die Gesamtausgabe beläuft sich hiernach vorläufig auf 33 Bände, Bd. 7 Antigono wobei jedoch die Frage des Zuwachses durch die unter I genannte Werkgruppe sowie Bd. 8 Il Re pastore durch Einzelstücke noch nicht einbegriffen ist. Sollten die Nachforschungen nach den Bd. 9 Il Trionfo di Clelia dort genannten verschollenen bzw. unbekannten Werken restlos vom Glück begünstigt sein - was zwar erwünscht, aber kaum anzunehmen ist -, so würde der endgültige 4. Abteilung: Italienische Opernserenaden und Huldigungsstücke Umfang der Gesamtausgabe (einschliesslich etwaiger Supplementbände) ca. 45 Bände Bd. 1 Le Cinesi, La Danza, Il Parnasso confuso, La Corona betragen. Die Inangriffnahme der ersten Veröffentlichungsarbeiten nach dem vorgeleg­ Bd.2 La Contesa de'Numi ten Plan braucht jedoch von jenen Forschungen, die sich über Jahre hinziehen können, Bd. 3 Tetide, Il Prolo go nicht abhängig gemacht zu werden. Die Gesamtausgabe wird ihren Zweck erfüllen, Bd. 4 Le Feste d'Apollo wenn auch nicht jene restlose Vollständigkeit erreicht wird, die grundsätzlich unter Auf­ wendung aller Mittel zu erstreben ist. Um das Erscheinungssystem der einzelnen Werke möglichst elas­ tisch zu gestalten und zugleich einem jeden Band von vornherein seinen festen Platz in der Gesamtausgabe anzuweisen, wird das Glucksche Gesamtwerk am zweckmässigsten 124 Gemeint ist der Abschnitt II.3. 48 Michael Custodis

5. Abteilung: Französische komische Opern 20 Klaus Ganzer 20 Gottfried Gabriel Bd. 1 L ile de Merlin Der päpstliche Primat und das Erkenntnis in den Wissenschaften und Bd. 2 La Fausse esclave, Le Diable a quatre römische Kaiserrecht der Literatur Bd. 3 LArbre enchante ISBN 978-3-515-10316-9 ISBN 978-3-515-10475-3 24 So, € 6,- Bd. 4 Cythere assiegee 17 So, € 6,- Bd. 5 LIvrogne corrige 30 Walter Slaje 30 Anselm Doering-Manteuffel Bd. 6 Le Cadi dupe Suum c1J'1que. Zur ideen­ Das doppelte Leben. Bd. 7 La Recontre imprevue geschichtlichen Verankerung einiger Generationenerfahrungen im indischer Gewaltphänomene Jahrhundert der Extreme ISBN 978-3-515-10317-6 ISBN 978-3-515-10476-0 6. Abteilung: Vokal- und Instrumentalmusik 54 S., € 10,- 20 So, € 6,-

Hierher gehören in einem Band die unter 7) auf Seite 6 genannten 40 Walter Slaje 40 Eva-Maria Dickhaut (Hrsgo) Werke. 125 Trimürti. Zur Verwandlung eines Wohlgelebt! Wohlgestorben? 2 Bände inklusivistischen Dominanzbegriffs in Leichenpredigten in der Historischen eine monotheistische Trinitätslehre Bibliothek der Stadt Rudolstadt. ISBN 978-3-515-10318-3 Beiträge des Kolloquiums vom Verschollene Werke, die auf Grund der erwähnten Such­ 51 So, € 10,- 15. April 2011 aktion wieder ans Tageslicht treten, werden in derjenigen Abteilung, zu der sie typolo­ ISBN 978-3-515-10613-9 gisch gehören, als Supplementbände angefügt bzw. an entsprechender Stelle eingereiht, 50 Helwig Schmidt-Glintzer (Hrsgo) 78 S., € 15,- Weist der Fundamentalismus die falls die Abteilung noch nicht vollständig erschienen ist. Das gilt vor allem von der Wissenschaft in die Schranken? Bibel, 50 Maria R.-Alföldi 3. Abteilung, von der die meisten Werke (12) vermisst werden. Es dürfte sich emp­ Koran und Veda als letzter Maßstab Das Berliner pectorale aus dem fehlen, mit der Bearbeitung dieser Abteilung erst nach einer gewissen Anlaufszeit der der Erkenntnis. Zukunftsfragen späten 6. Jahrhundert. Ein Hals- und Gesamtausgabe zu beginnen, um hier etwaige Ergebnisse der Bestandsaufnahme abzu­ der Gesellschaft. Vorträge des Brustschmuck eines Eunuchen im Symposiums vom 24. Februar 2012 Dienste des byzantinischen Kaisers warten. ISBN 978-3-515-10351-0 ISBN 978-3-515-09838-0 93 So, € 16,- 102 So (inkl. 31 s/w-Abb. und 4 Farbabb.), € 18,- 60 Ernst Heitsch Giessen, den 6. Dezember 1940 Vision als Offenbarung? Zum Problem 6. Bernard Andreae frühchristlicher Bekehrung Aphrodite, Hera und Heroen. ISBN 978-3-515-10352-7 Adaptionen griechischer Meisterwerke 19 So, € 6,- der Malerei in römisch-kampanischen Wandgemälden ISBN 978-3-515-10667-2 Jahrgang 2013 149 So (inkl. 22 Farbabbo), € 22,- 10 Heinz Duchhardt Herausforderung Südwest? Die 70 Niels-Peter Birbaumer/Clemens Zintzen deutschen Kulturwissenschaften Abschiedsszenen. Trennungsschmerz und das "Schutzgebiet" Deutsch­ bei Vergil und Homer aus philo­ Südwestafrika logischer und neurologischer Sicht ISBN 978-3-515-10474-6 ISBN 978-3-515-10668-9 74 So, € 15,- 62 So, € 14,-

125 Gemeint ist der Abschnitt 11.7.