Ringgenberg, Kirchenruine St. Peter in Goldswil : Abschluss der Sanierungsarbeiten 2015-2017

Autor(en): Herrmann, Volker / Leibundgut, Markus

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Archäologie : Jahrbuch des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern = Archéologie bernoise : annuaire du Service archéologique du canton de Berne

Band (Jahr): - (2018)

PDF erstellt am: 04.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-787333

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Ringgenberg, Kirchenruine St. Peter in Goldswil Abschluss der Sanierungsarbeiten 2015-2017

VOLKER HERRMANN UND MARKUS LEIBUNDGUT

Abb. 1: Ringgenberg, Kirchenruine Goldswil. Die Kirchenruine nach der Sanierung im Dezember 2016. Drohnenaufnahme. Blick nach Norden.

Seit dem Sommer 2017 erstrahlt nach über Ruinengeschichte zweijähriger Sanierungszeit die mittelalterliche Mit der Verlegung der Gottesdienste in die Kirchenruine auf dem Goldswiler Kirchhubel in neue Kirche auf der ehemaligen Burg Ringgenberg der Gemeinde Ringgenberg in frischem Glanz war die Kirche auf dem Goldswiler Hubel (Abb. 1). Vom Bödeli zwischen Thuner- und ab 1670/71 dem Verfall preisgegeben. Einzig Brienzersee aus erblickt man wieder von Weitem der Glockenturm hatte die Jahrhunderte seit die eindrucksvolle Ruine. Seit dem der Aufgabe der Kirche weitgehend unbeschadet ausgehenden 11. Jahrhundert besitzt die einstige überstanden. Erst zwischen 1942 und 1945 Pfarrkirche St. Peter mit ihrem an italienischen wurden die Kirchenreste wieder freigelegt und Vorbildern orientierten Glockenturm Bedeutung einschliesslich des umliegenden Ortsfriedhofs als markanter Bezugspunkt in der Landschaft und der Beinhauskapelle instand gesetzt und (Abb. 2). Der Pfarrsprengel der nördlich saniert. Auch am Turm mussten damals umfangreiche der Aare und damit im Bistum Konstanz Sicherungs- und Reparaturarbeiten

gelegenen Kirche war erstaunlich weitläufig. So vorgenommen werden. kamen neben den Bewohnern der Dörfer Goldswil, Seitdem waren rund 70 Jahre vergangen, in Ringgenberg und Niederried bis 1471 auch denen das raue Klima im Berner Oberland - die Leute von , -Waldegg Regen, Schnee und heftige Stürme - wieder seine und hinauf zum Goldswiler Hubel, deutlichen Spuren an den Mauern hinterlassen um der sonntäglichen Messe beizuwohnen, hatte. Wollte man das national bedeutende Hochzeiten zu feiern, ihre Kinder taufen zu lassen mittelalterliche Denkmal langfristig vor dem oder von Bekannten und Verwandten aus Verfall bewahren, bestand nun erneut dringend der Dorfgemeinschaft mit Seelmessen Abschied Handlungsbedarf. Vor allem das Fehlen zu nehmen und Bestattungen vorzunehmen. eines Daches über der Turmruine erwies sich 90 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2018

' Sanierung «te* Était ï S Der Turm bekam ein Schutzdach aus Metall, um das darunterliegende Mauerwerk und die fragilen Bauelemente und Zierstücke aus Tuff besser vor der Witterung zu schützen (Abb. 3). Unter dem Dach hängt seit 2016 in einem modernen

Glockenstuhl eine neue, aus Bronze gegossene Kirchenglocke. Sie läutet seitdem wieder täglich den Abend ein. Die spätmittelalterliche Glocke von St. Peter war 167t zur neuen Kirche in Ringgenberg gebracht worden, um sie dort im Kirchturm aufzuhängen. Selbst in der Nacht wird der Glockenturm von Goldswil seit der X Sanierung wieder seiner angestammten Rolle als :'V richtungsweisende Landmarke im Berner Oberland gerecht. Zwei Scheinwerfer beleuchten seit der Sanierung den in lombardischer Manier mit Blendnischen, Blendarkaden, Gesimsen, Abb. 2: Ringgenberg, als folgenschwer. Vorbildlich hat sich die Gurtbändern und Schallgeschossen reich gegliederten Kirchenruine Goldswil. Gemeinde Ringgenberg gemeinsam mit der Turm und setzen ihn eindrucksvoll in Szene. 3D-Modell zum Kirchhu- Kirchgemeinde 20L4 der herausfordernden Aufgabe Das heute fehlende oberste Schallgeschoss wird bel mit der rekonstruierten der Ruine Unter durch moderne Säulen- spätmittelalterlichen einer Generalsanierung gestellt. und Pfeilerstümpfe Kirche St. Peter, entwickelt der fachlichen Begleitung des Archäologischen markiert. auf der Grundlage Dienstes des Kantons Bern (ADB) und Auch die Ruine des ehemaligen Kirchenschiffs von Scandaten. Blick dank der grosszügigen finanziellen Unterstützung mit dem Chorraum wurde saniert und nach Süden. durch den kantonalen Lotteriefonds und zum Schutz der mittelalterlichen Mauern das Bundesamt für Kultur ist es gelungen, die entwässert. Den Erdarbeiten und Sanierungen gingen Kirchenruine bis 2017 umfassend wieder Sondierungen und Dokumentationen des instand zu setzen und als Kulturdenkmal von ADB voran, um den Baubestand im Detail zu besonderem Rang aufzuwerten. erfassen und die Bau- und Sanierungsgeschichte

Abb. 3: Ringgenberg, Kirchenruine Goldswil. Der Kirchhubel nach der Sanierung im Dezember 2016 aus der Vogelperspektive. Drohnenaufnahme. RINGGENBERG, KIRCHENRUINE ST. PETER IN GOLDSWIL KURZBERICHTE 91

Plattengräber älter als die Kirchenbauten Abb. 4: Ringgenberg, Saalkirche 10./11. Jh. (wohl mit Apsis) Kirchenruine Goldswil. Grundrissplan zum Kirch- Campanile Mitte bis 2. Hälfte 11. Jh. hubel mit der Kirchenruine Saalkirche mit Rechteckchor und Nartex um 1100 inmitten des umfriedeten Kirch- und Friedhofareals, im Nordosten davon die Beinhauskapelle und im Süden die Pfarrhausruine. M. 1:500.

20 m I der Kirche besser kennenzulernen. Die an der Westseite der Kirchenruine wurde ein Sanierungsarbeiten erfolgten unter Beachtung der neuer Platz angelegt und in der sanierten Ruine Abb. 5: durch das Gesetz gebotenen denkmalpflege- der Frühmesskapelle entstand ein Wetterschutz Ringgenberg, Kirchenruine Goldswil. rischen Sie beschränkten sich für die Friedhofsbesucher. Beim Bau des Zurückhaltung. Rekonstruierte Grundrisse weitgehend auf das Entfernen der Verfüllschich- Wanderwegs vor der Südseite der Kirchhofmauer der Bauphasen. ten und Hinzufügungen der i94oer-Jahre. Viele schnitt man Gebäudereste des zugehörigen 1 Saalkirche, 10.-12. historische Bauspuren und Grabreste sind so im wohl spätmittelalterlichen Pfarrhauses an. Jahrhundert; 2 Saalkirche mit Narthex und Campanile Innenraum der ehemaligen Kirche unter dem Kurzfristig entschloss man sich dazu, auch diese 11.-16. Jahrhundert; modernen sickerfähigen Bodenbelag erhalten Mauern zu sanieren und für die Öffentlichkeit 3 Kirche nach 1528-1670. geblieben und stehen auch zukünftig für sichtbar zu machen. Eine Informationsstele am M.1:1000. Forschungen zur Verfügung. östlichen Zugang und mehrere Hinweistafeln geben den Besuchern einen Einblick in die Bau- Inwertsetzung und Kirchengeschichte. Die didaktischen und touristischen Aufwertungsarbeiten an der Ruine bezogen den von Baugeschichte der Goldswiler Gemeinde genutzten Kirch- und Die Anfänge auf dem Kirchhubel liegen noch Friedhof rund um die Kirche sowie das weitere im Dunkeln. Einzelne Steinplattengräber, die Umfeld des Kirchhubeis mit ein (Abb. 3). vor die älteste Steinkirche zurückreichen, dürften Die Böschungen entlang der Kirchenmauern gemäss besser datierter Vergleichsfunde in wurden wieder der ursprünglichen Gelände- karolingisch-ottonische Zeit weisen und topografie angeglichen und das Wegsystem zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert angelegt worden im Umfeld der Kirche bekam eine neue sein. Ob damals bereits eine vielleicht aus

Ordnung. Vor dem modernen Gemeinschaftsgrab Holz errichtete Kirche bestanden hat, wissen 92 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2018

Abb. 6: Ringgenberg, turm auf niedrigerem Niveau vor die Ostseite Kirchenruine Goldswil. der Kirche gestellt werden. Auch der Narthex 3D-Rekonstruktion der ist auf einer tieferen Geländestufe als das spätmittelalterlichen Kirchenschiff Kirche St. Peter mit dem errichtet worden (Abb. 6). heute fehlenden obersten Die hochmittelalterliche Kirche hat ohne Schallgeschoss, eingebettet erkennbare grössere Umbauten bis zur in das heutige Reformationszeit bestanden. Lediglich am Turm Oberflächenrelief. Blick nach Nordwesten. könnte es bereits vor dem 16. Jahrhundert zu Baumassnahmen gekommen sein. Das oberste Schallgeschoss und das darüber anzunehmende pyramidenförmige Dach wurden abgetragen und durch ein sattelförmiges Käsbissendach ersetzt. Reste der damals aufgerichteten Giebelwände und der Steinplattendeckung hatten bis 1945 überdauert, mussten aber wegen Einsturzgefahr durch den heutigen mit Stahlbeton wir nicht. Auch für eine mögliche frühere armierten Turmabschluss ersetzt werden.

Nutzung des landschaftsbeherrschenden Hügels In der abschüssigen Nordostecke des Kirchhofs über dem Bödeli fehlen uns noch Belege. Dass baute man im 13. oder 14. Jahrhundert die unterhalb des Hubeis nicht erst seit dem doppelstöckige Beinhauskapelle (Abb. 3 und 4, ausgehenden Mittelalter wichtige Verkehrswege zu grün). Im Untergeschoss deponierte man die den Alpenpässen verliefen, lassen die Langknochen und Schädel der Skelette, die bei archäologischen Funde aus dem Berner Oberland der Anlage neuer Gräber angeschnitten wurden. erahnen. In der darübergelegenen Kapelle mit Sicher durch die Grabungen bezeugt ist dreiseitigem Polygonalchor fanden Frühmessen eine leicht trapezförmige Saalkirche von 18,5 m und Seelmessen für die Verstorbenen und ihre Länge und 9 beziehungsweise 8 m Breite mit Nachkommen statt. halbrundem oder rechteckigem Chor (Abb. 4, Die Einführung der Reformation im Staat orange und 5,1). Sie ist älter als der hochmittelalterliche Bern 1528 bedeutete auch in Goldswil eine deutliche Glockenturm. Ci4-Daten zu Resten Zäsur in der Kirchengeschichte. Zuvor am- der Stangenhölzer des Baugerüsts deuten darauf teten die Chorherren des Stifts in als hin, dass der als freistehender Campanile Leutpriester in der Pfarrkirche St. Peter und geplante Turm in den letzten Jahrzehnten vor 1100 versahen dort den Messdienst. Von nun an war ein errichtet wurde (Abb. 4, violett und 5,2). Am vom Staat Bern eingesetzter reformierter Pfarrer Bau waren vielleicht auch Handwerker aus der für die Gemeinde zuständig. Dieser wohnte Lombardei beteiligt, zu der das Berner Oberland im Pfarrhaus aufder Südseite vor der Kirchhofmauer seit dem Mittelalter intensive Kontakte (Abb. 4, grün). Grundmauern und Keller unterhielt. Der Chor der ersten Kirche wurde für des in den Hang gestellten Gebäudes wurden den Turmbau abgerissen. Bald wurde auch die dokumentiert und zum Teil im Gelände zugehörige Saalkirche über leicht vergrössertem wieder sichtbar gemacht. Es ist anzunehmen, Grundriss erneuert. Sie bekam nun einen neuen dass die Anfänge des Pfarrhauses in die katholische Rechteckchor, der vom benachbarten Zeit zurückreichen und hier bereits Kap- Turmeingang abgerückt werden musste (Abb. 4, rot lane und der zuständige Leutpriester aus dem und 5,2). Im Westen fügte man eine geschlossene Stift untergebracht waren. Die neue Vorhalle, einen sogenannten Narthex, an, Gottesdienstordnung verlangte bald auch nach der als Taufkirche genutzt worden sein könnte. Veränderungen im Chor der Kirche (Abb. 4, blau Die ungewöhnliche Anordnung des Turmes vor und 5,3). Zur Errichtung eines reformierten dem Chor der Kirche ist wohl der Topografie Predigtsaals wurde der alte Rechteckchor samt des Baugrunds geschuldet. Für eine Erweiterung Chorschwelle und Triumphbogen abgebrochen. der ersten Steinkirche war auf der zu allen Die beiden Mauerenden des Kirchenschiffs banden Seiten schroff abfallenden Felsrippe kein Platz. nun an die Turmecken an. Auch der

Deshalb musste der sechsgeschossige Glocken¬ Zugang zum Turm wurde so in den Innenraum RINGGENBERG, KIRCHENRUINE ST. PETER IN GOLDSWIL KURZBERICHTE

der Kirche verlegt. Predigtkanzel und Taufbecken, Abb. 7: Ringgenberg, die im Zentrum der neuen Glaubenslehre Kirchenruine Goldswil. der beiden stehen, fanden seitdem im Chorbereich Platz. Kopien romanischen Tuffsteinskulpturen der Südseite des entstand als letzte An Turmes in Form eines männlichen grössere Baumassnahme eine Sakristei. Atlanten oder Wahrscheinlich wurde sie nötig, als man 1564 das Oranten von der Ostseite des Pfarrhaus in den Ortskern von Goldswil Campanile, ausgestellt im Turmerdge- verlegte. Bis 1670 feierten die Bewohner der schoss. zugehörigen Gemeinden Goldswil, Niederried und Ringgenberg ihre Gottesdienste in der Kirche auf dem Hubel. Anschliessend verlegte man sie in die neue Kirche in Ringgenberg und gab das alte Gotteshaus dem Verfall preis.

Turm Von besonderem kunst- und kulturhistorischem Wert ist der ehemals freistehende, sechsgeschossige Glockenturm, der in der näheren Region singulär ist (Abb. 6). Seine deutlichen Parallelen findet er in der lombardischen Baukunst Oberitaliens und im hochmittelalterlichen Kirchenbau des gesamten Alpenraums zwischen Südtirol Ostseite sollten sie vermutlich Unheil von der und den Pyrenäen. Massgeblich geprägt dahinterliegenden Kirche und der dort versammelten wird der heute noch 16 m hohe Turm durch die Christenheit abwehren. Die beiden in sich nach oben hin zunehmenden Öffnungen Kopie im Erdgeschoss des Turms ausgestellten der Schallgeschosse. Das heute fehlende Ab- Skulpturen zeigen deutlich, wie eng die christliche schlussgeschoss kann mithilfe der 1945 geborgenen Glaubenswelt im 11. Jahrhundert noch mit und dokumentierten Spolien zuverlässig dem volkstümlichen Brauchtum und mit rekonstruiert werden. Während die heidnischen Vorstellungen verwoben war. Arkadenöffnungen auf der West-, Nord- und Südseite von Tuffpfeilern und -säulen werden, getragen Literatur war auf der Ostseite in den beiden obersten Einwohnergemeinde Ringgenberg Kirchenruine Geschossen jeweils eine menschliche Skulptur in (Hrsg.), St. Peter Goldswil. Festschrift zur Sanierung 2015 bis 2017. Form eines tragenden Atlanten oder betenden Unterseen 2017. Oranten (Abb. 7). Die beiden männlichen eingestellt Volker Herrmann, Die mittelalterliche Kirchenruine St. Peter Figuren tragen mit dem zur Schau auf dem Kirchhubel Goldswil. Uferschutzverband Thunerund gestellten Geschlechtsteil einerseits volkstümlich Brienzersee. Jahrbuch 2016,121-154. heidnische und zugleich archaische Züge. Volker Herrmann, Einfluss lombardischer Bauhütten im Andererseits können ihre seitlich erhobenen Berner Oberland am Beispiel der früh- und hochmittelalterlichen Kirchenruine von Ringgenberg-Goldswil. Mitteilungen Hände als Gebets- und des Segensgestus der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters Christentums verstanden werden. Eingebaut auf der und der Neuzeit 30. Heidelberg 2017, 59-72.