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Unterhaching in der NS-Zeit

Stand Mai 2010

„Tote, die man nicht beweint, kommen als Gespenst wieder.“ (türkisches Sprichwort)

C: Dietrich Grund

82024 Taufkirchen 2

Unterhaching in der NS- Zeit

Inhalt 2 Vorgeschichte 3 Parteien 4 Gleichschaltung des Gemeinderates 6 Bürgermeister Fladt 8 Bürgermeister Prenn 11 Die Ortsgruppenleiter 16 NS- Unrecht 21 Rassehygiene 28 Antisemitismus 30 Aufmärsche und Feiern 35 Schwester Pia 41 Krieg in der Heimat 42 Widerstand 45 NSDAP- Filiale Taufkirchen 50 Neubeginn 52 Zusammenfassung 55 Anhang 58

Kurzzeichen für die Archive

HA Hauptstaatsarchiv München SA Staatsarchiv München SM Stadtarchiv München DA Diözesanarchiv München OA Archiv des Bezirks Oberbayern GU Gemeindearchiv Unterhaching 3

Vorgeschichte

Unterhaching erlebte in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts zahlreiche tief- gehende Brüche und Wandlungen. In der äußerlich friedvollen Prinzregentenzeit (1885- 1912) profitierte das Dorf als Lebensmittellieferant von der Prosperität der nahen Landeshauptstadt München; im Dorf hatten noch unangefochten die 15 reichsten Bau- ern das Sagen. Die Friedenszeit ging Ende Juli 1914 abrupt zu Ende. Bald schon zeigten sich auch in Unterhaching die Auswirkungen des ersten totalen Krieges. Aus dem 1000- Seelen- Dorf mussten 132 Männer ausrücken, von denen jeder Vierte nicht zurückkehrte. Im November 1918 erzwangen kriegsmüde Soldaten und Arbeiter die Beendigung des sinnlosen Mordens und damit auch das Ende der Monarchie in Bayern und ganz Deutschland. Im Zuge der damaligen Revolution traten auch in Unterhaching sozialde- mokratische Arbeiter erstmals als „Parteigruppe“ und als Arbeiter- und Bauernrat in Er- scheinung. Bei der Niederknüppelung der Revolution und der Ermordung von 4 Sozia- listen aus dem Dorf durch Freikorpskämpfer im Mai1919 erlebte Unterhachings Einwoh- nerschaft schockiert, was politische, hier faschistische Gewalt ausrichtet. Die Zwanziger Jahre waren im Ort geprägt durch den Bau zahlreicher Wohnhäuser und starken Zuzug von Neubürgern. Die „Soziologie“ des Dorfes veränderte sich grundle- gend, so dass bei der Kommunalwahl 1929 nicht mehr die bäuerlich- konservativen Gruppierungen sondern die Liste der „Siedler“ die meisten Stimmen erhielt. Not und Unruhe der Weimarer Republik führten bis 1931 zur Etablierung von nicht we- niger als sechs Parteiortsgruppen. Nur 2 Jahre später hatte aber die „nationalsozialisti- sche Revolution“ dafür gesorgt, dass die NSDAP zur alleinigen und „allmächtigen Insti- tution“ (Felzmann) 1 geworden war. Es folgte Diktatur und Krieg. Das Ende der Herrschaft der Nazis und des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1945, stellt einen weiteren tiefen Einschnitt in der Ortsgeschichte dar. Wie sich der Nazismus in Unterhaching darstellte, soll im Folgenden anhand der erhal- tenen Dokumente anschaulich gemacht werden. Wobei es nach wie vor schwierig ist, die Frage von Joachim Fest auch für das Dorf zu beantworten: Wie konnten so viele so bedenkenlos mitmachen?

1 Unterhaching, ein Heimatbuch, S. 100 4

Parteien

Bis zu der Zeit, als die Revolution 1918 die Monarchie in Bayern beendete, gab es im Dorf Unterhaching keine Parteigruppierungen. Im Februar 1919, nach Ermordung des Ministerpräsidenten Eisner, tun sich erstmals Sozialisten zusammen und bestimmen als Arbeiter- und Bauernrat für etliche Wochen die Geschicke der Gemeinde. In einem Brief werden sie bezeichnet als „sozialdemokratische Parteigruppe“, ergänzt durch den Zusatz „Sektion “, was auf die Siedlungen im Bereich des Bahnhofs Neubi- berg als Treffpunkt verweist. Aber bereits bei der Landtagswahl im Januar 1919, in der kurzen Regierungszeit Eis- ners, hatte die SPD bemerkenswerterweise die meisten Stimmen im Dorf erhalten, nämlich 320 oder 49 %. (SPD-Anteil in Oberbayern und Gesamtbayern: 35,4 und 33 %). Es folgten die BVP mit 319, die Deutsche Volkspartei mit 11 Stimmen und der Bau- ernbund mit einem Votum. Als eigentliches Gründungsjahr des SPD- Ortsvereins gilt freilich das Jahr 1921 und als ihr Gründer und Leiter der Arbeiter Wilhelm Kloiber. 1924 ist die SPD erstmals im Gemeinderat vertreten, während sie 1919 an der Kommunalwahl nicht teilnahm. Ab 1928 leitete Kloiber eine getrennte SPD- Sektion für / Neubiberg, während der Bäcker Erhard Süß zum Vorsitzenden im Dorf gewählt wurde 2. Wilhelm Kloiber, der seit 1901 SPD- Mitglied war 3, war in der Revolutionszeit Vorsitzen- der des ABR in Unterhaching und leitete gleichzeitig eine Ortsgruppe der Unabhängi- gen Sozialdemokraten in München- Au 4. Die USPD konnte aber in Unterhaching nicht Fuß fassen. Im Jahr 1919 tritt auch erstmals ein Kommunist in Erscheinung: der Kunstmaler Eugen Vitalowitz 5. Er wurde wie drei weitere Dorfbewohner, Opfer der sogenannten „Weißen Garde“ bei der Gegenrevolution im Mai 1919 6. In der politisch aufgewühlten Notzeit anfangs der 1930er Jahre gab es eine außerge- wöhnlich große Zahl von Parteigruppen, nämlich Ortsgruppen der NSDAP (ungefähre Mitgliederzahl: 45) im Dorf und in Ottobrunn, SPD im Dorf (20), in Ottobrunn (70), BVP (20) , Bauern- und Mittelstandspartei im Dorf (20) und Reichsbanner Schwarz- Rot- Gold (40) in Ottobrunn. 7

2 Chronik der SPD Unterhaching 1996 („SPD- Chronik“), S.18 3 SPD- Chronik, S.12 4 „Neue Zeitung“ Nr. 6, Jan 1919 5 GU 00/3 6 Bericht des Bürgermeisters von Unterhaching aus dem Juni 1919 7 SA LRA 108761 5

Eine KPD- Ortsgruppe wird 1931 gegründet 8. Bei der Reichstagswahl am 5.3.1933 wählten 12 % der Unterhachinger Bürger diese Partei (nur 11,7 % die SPD) 9. Sie hat- ten u. A. einen Erwerbslosenausschuss und die Rote Hilfe gebildet , das heißt eine voll entwickelte Parteiorganisation. 10 Im Gemeindeparlament präsent war die KPD aber erst sehr viel später: von 1946 bis 1952 stellte sie einen Gemeinderat 11 .

Der 1929 gewählte Gemeinderat sah jedoch noch anders aus. In ihm waren vertreten: SPD: Wilhelm Kloiber, Erhard Süß (2 Räte) 12 Bürgerliche Einheit: Heinz Hoffmann, Korbinian Stumpf, Karl Kottmüller, Johann Hacker, Jakob Hofbauer, Hans Trapp (6 Räte (?)) Siedler & gleichgesinnte Ortsbewohner: Josef Fenzl, Phillip Mertzlufft, Carl Stengel, Oskar Albert, Wilhelm Schmelz (5 Räte?) 13 .

1. Bürgermeister war Josef Prenn, 2. Bürgermeister der Architekt Carl Stengel. Letzte- rer war in der evangelischen Gemeinde aktiv, die damals erst 300 Mitglieder hatte. Er entwarf die Heilandskirche und beteiligte sich durch Spende und Darlehen an dem 1938 eingeweihten Bau. 14 1933 wurden zunächst KPD und SPD verboten, später mussten sich auch die anderen Parteien auflösen. Die NSDAP war also jetzt „die Partei“. Sie brachte es auf einen Mit- gliederstand von 220 Personen. 15 Und der örtliche „SA- Trupp“ (er gehörte zum „Sturm Neubiberg“) wuchs bald auf Zug- stärke an. Hitlerjugend und BDM (Bund Deutscher Mädchen) waren aktiv. 16

8 SA (Staatsarchiv München) LRA 108761 9 Umrechnung der Stimmenzahlen aus SPD- Chronik, S.19 10 SA LRA 131699, Schutzhaftkartei, s. die angegebenen Funktionsbezeichnungen 11 SPD-Chronik, S.26/27 12 SPD- Chronik, S. 18, lt. der unvollständige Wahlniederschrift hatte aber Paul Bunge 1 Stimme mehr als Süß und Hans Panzer mehr Stimmen als Kloiber. Haben beide die Wahl nicht angenommen? 13 GU, GR- Protokoll Jan. 1930. Die Wahlniederschrift im GU ist unvollständig: es geht nicht klar daraus hervor, wer gewählt wurde. Anscheinend hatten die Wähler (die Rede ist von 75+346+450 =871 abgegebenen gültigen Stimmzet- teln) je 20 Stimmen zum Panaschieren. Aber Hans Trapp war nur Nr. 12 lt. der Niederschrift !? 14 Volker Herbert: „1938-1988, 50 Jahre Evang.-luth. Heilandskirche Unterhaching“ 15 Handakten Felzmann, undatiertes Mitgliederverzeichnis der NSDAP Ortsgruppe 16 Heimatbuch, S. 94 6

Gleichschaltung des Gemeinderates

Im Halbmonatsbericht des Regierungspräsidenten von Oberbayern heißt es unter dem 12.1.1933 , dass die NSDAP in Oberbayern ihre Werbetätigkeit wieder aufgenommen habe. Wörtlich dann: „Im Amtsbezirk München- Land erschöpfte sich die Tätigkeit in ei- ner Wehrsportübung des [SA-]Sturmes 5 in Stärke von 40-50 Mann in der Nähe von Feldmoching und in einem Propagandamarsch des Sturmes 25/2 und 24/2 von Fasan- garten- Unterhaching- Taufkirchen nach Deisenhofen. An dem Propagandamarsch nahmen etwa 60 Leute in Uniform teil.“ 17 Im gleichen Monat ereignete sich in Berlin die „Machtergreifung“ und stufenweise wur- den die Grundrechte außer Kraft gesetzt. [Im März] übernahm Ritter von Epp [in Bay- ern] die vollziehende Gewalt. Der neue starke Mann [aber] war Gauleiter Adolf Wagner, ein wütender Antisemit und Feind der Kirche ... 18 “ Die letzte freie Wahl, die Reichstagswahl am 5. März 1933, hatte im Dorf schon einen Erdrutschsieg der NS- Partei erbracht, die offensichtlich für viele zum Hoffnungsträger aus Zukunftsangst und Resignation geworden war. Sie erhielt 48,6 Prozent der Stim- men. 19 In Unterhaching wird die „Machtübernahme“ von NSDAP und SA mit einem Fackelzug- und der Zerstörung des Ebert- Denkmals- „gefeiert“ 20 . Das Dorf wird sofort von allen bekannten Kommunisten „gesäubert“: sie werden aus ih- ren Wohnungen geholt, ins Gefängnisse geworfen und im KZ Dachau gequält. Auch der Gemeinderat- er besteht aus Vertretern der Listen „Bürgerliche Einheit“ und „Siedler und gleichgesinnte Ortsbewohner“und 2 Sozialdemokraten- bleibt nicht untätig: Er nimmt den „freiwilligen Rücktritt“ des jüdischen SPD- Ortsvorsitzenden Süß an und verhindert auch die Weiterarbeit des Ottobrunner SPD- Chefs Wilhelm Kloiber. In vorauseilendem Gehorsam beschließt die frei gewählte Volksvertretung unter Füh- rung von Bürgermeister Prenn die Umbenennung des Pittingerplatzes in Adolf- Hitler- Platz. Auch die Herren Göring, von Epp, Adolf Wagner und Hindenburg werden auf Schildern von Straßen oder Plätzen geehrt. Das sind die letzten Entscheidungen des freien Gemeinderates. Die Nazis sind nicht mehr zu bremsen. Mit dem Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich neh- men sie sich das Recht heraus, putschartig in die Gemeindedemokratie einzugreifen. Man verlangt die Gemeinderäte entsprechen der Ergebnisse der Reichstagswahl vom 5.3.1933 „umzubesetzen“. „Marxistischen Parteien“ (SPD, KPD usw) wurde die Mitwir-

17 HA, MA 106670 18 Friedrich Prinz: „Die Geschichte Bayerns“ München1997, S.411 19 Manfred Bialucha: „Streiflichter in eine dunkle Zeit“, Eigenverlag Landkreis München 1979 S.14 20 SPD- Chronik, S.21 7 kung generell verboten. Der alte, noch aus zwei Gruppierungen zusammengesetzte Gemeinderat wird in die Wüste geschickt und durch neue (nicht gewählte) Männer aus nur 2 Parteien ersetzt. Dabei billigte NSDAP sich selbst 6 Mandate zu und gewährte der BVP (einstweilen) 4 Sitze. Die Nazis bestimmten jetzt auch, wer 1. Bürgermeister zu sein hat. Der gewählte Bür- germeister, Josef Prenn, wird seines Amtes beraubt und der NSDAP- Ortsgruppenlei- ter Dr. Fladt auf den Schild gehoben. Prenn reagiert auf diesen Gesetzesbruch indem er mit Nummer 1 928 995 selbst Mit- glied der Nazi- Partei wird und als Zweiter Bürgermeister seinen Dienst versieht. Es sei erwähnt, dass beispielsweise Bürgermeister Josef Beil in anders entschied: er verzichtete auf das Amt, als man ihn vor die Wahl stellte „der Partei bei- oder zurück- zutreten“! 21 Schon wenige Wochen später endet die „große Koalition“: die NSDAP beansprucht die ganze Macht und vollendet im Sommer 1933 auf Dorfebene ihre Alleinherrschaft, indem sie die 4 BVP- Vertreter durch eigene „Parteigenossen“ (PG) ersetzt.

Am 3.1.1935 sendet Josef Prenn, der inzwischen wieder zum 1. Bürgermeister aufge- rückt ist, eine Liste der auf Dorfebene ausgewählten Parteigenossen mit der Bitte um Bestätigung als Gemeinderäte zur NS-Kreisleitung nach München. Bei der Gelegenheit wird nach neuen Bestimmungen die Zahl der- nur noch beratend tätigen- Räte von 7 auf 12 erhöht. Der Hitlerdiktatur gelingt auch die politische Gleichschaltung der Bevölkerung: Rudolf Felzmann berichtet über das Abstimmungsverhalten der Bürger Unterhachings im Jahr 1934. Damals stimmten 2418 Bürger dafür und 264 (=10 Prozent) dagegen, dass Hitler Reichspräsident und zugleich Kanzler wird, wobei „die Partei“ für eine 99,8- prozentige Wahlbeteiligung gesorgt hatte. Lediglich 7 von 2762 Wahlberechtigten hatten nicht an der Abstimmung teilgenommen!

21 Sauerlach, das Tor zum Bayerischen Oberland, Heimatbuch, Sauerlach 2000 8

Stimmzettel und Hinweise der NSDAP zur Wahl am 12.11.1933

Dann heißt es im Heimatbuch: „Wie sehr die nationalsozialistische Bewegung die Wäh- lermassen zu faszinieren wusste, zeigt auch die [endgültig] letzte Reichstagswahl vom 10.4.1938: Inklusive Ottobrunn stimmten 3050 für und 4 [=1,3 Promille] gegen die [NS-] Wahlvorschlagsliste 22 “.

Bürgermeister Fladt

„Dr. Wilhelm Leonhardt, genannt Fladt [nach seinen Pflegeeltern], geb. am 19.7.1889 in Sao Paulo/ Brasilien, war 1926 bayrischer Staatsangehöriger geworden und hatte sich

22 Unterhaching, ein Heimatbuch, S. 96 9 in Unterhaching als Zahnarzt niedergelassen. Er trat 1931 der NSDAP bei und wurde bald Ortsgruppenführer“ 23 . Die Gründung des Ortsvereins war 1925 erfolgt 24 . Im April1933 kürt der aus Mitgliedern von NSDAP und BVP bestehende Gemeinderat Dr. Fladt zum Ersten Bürgermeister. Am 9. November wird er mit allen Bürgermeistern der bayrischen Gemeinden vor der Feldherrnhalle in München vereidigt. Eine Wahl mit fatalen Folgen: Der Bauunternehmers Ludwig Bayer erstattet bereits zwei Monate nach der Wahl Anzeige bei der „Politischen Polizei“ gegen Dr. Fladt we- gen Beleidigung: Bayer war unzufrieden mit Bauarbeitern, die ihm der Zweite Bürger- meister Prenn zugewiesen hatte. Fladt ließ kurzerhand die Arbeiten einstellen, drohte dem Bauunternehmer mit „Dachau“ und nannte ihn „einen Lackl und unehrlichen Men- schen“ .25 . Im Juli 1933 folgte eine Anzeige gegen Dr. Fladt und gegen neun SA- Männer wegen Körperverletzung: In einer Wirtschaft hatte der betrunkene SA- Mann H. Radau ge- macht und über Bürgermeister Fladt geschimpft, weil er seiner Meinung nach zu wenig Unterstützung für seine 8 Kinder erhalte. Er lies sich durch gutes Zureden nicht beruhi- gen; da versuchte ein Handwerksmeister ihn durch eine Backpfeife zur Raison zu brin- gen. Stunden später holen SA- Leute den Meister aus dem Bett und schlugen ihn brutal zusammen .26 Anfang August zeigte die Gendarmeriestation (1933 war die Polizei noch nicht Heinrich Himmler unterstellt!) den Bürgermeister an, weil er die Schutzleute „Waschlappen und Feiglinge“ genannt hatte. Kurz darauf entzog die Landkrankenkasse München Dr. Fladt die Zulassung für seine Zahnarztpraxis, da er nicht erbrachte Leistungen abgerechnet hatte. Geschäftsführer der Landkrankenkasse war ein Unterhachinger Landwirt und PG. Dieser beschwerte sich in der Folge, dass „Dr. Fladt mich immer angreift und mit Dachau droht“ und gibt an: „In Unterhaching hat jeder für sein Leben zu fürchten.“ 27

Nach der Praxissperrung schlug die SA- Führung 28 vor, die Gauleitung solle Fladt als Ortsgruppenleiter und Bürgermeister entlassen. Der Gauleiter tut dies auch, entsendet aber dann den Stellv. Kreisleiter Trepte nach Unterhaching, um „die ganzen Angriffe gegen Dr. Fladt nochmals eingehend nachzuprüfen“ . Trepte versammelt die Parteimit- glieder um sich, wobei er fordert: „Es darf auch keinen geben, der mit irgend einer An- schuldigung hinter dem Berge hält, denn es ist Pflicht unter Kameraden, sich offen aus- zusprechen.“ Nach längerem Hin und Her und erst auf wiederholte Aufforderung des Pg. Trepte, äußert sich der Pg. Meyer: „Meine Anschuldigungen gegen Dr. Fladt,

23 SPD- Chronik, S.21 24 GU, Amtsblatt vom 2.11.1935 25 SA, LRA 17853 26 SA, o.a.O. Die SA 27 SA, o.a.O. 28 Röhm hatte bis 1936 noch die Oberhand gegenüber der SS Himmlers, die danach abgetrennt wurde 10 hauptsächlich wegen meiner Familie sind derart groß, dass ich sie von Gerichts wegen weiter untersuchen lassen werde ... Es ist Sache genug, wenn man mich immer im Schmutz herumgezogen hat, dass ich ein Betrüger und Verleumder bin“ ... Danach kommen zur Sprache Streitsachen des OGL mit dem Bürgermeister von Tauf- kirchen (dem Ersterer Unfähigkeit vorwarf) und mit dem SA- Führer von Neubiberg. Ferner geht es um die Berechtigung für die Sperrung eines Geschäftes und einer Wirt- schaft. Ein Bauer beklagt, das die Landwirte vom OGL wegen einer Milchpreiserhöhung als Blutsauger beschimpft wurden. Pg. Trepte versucht die Streitpunkte als unwesentlich hinzustellen und schließt mit den Worten: „Wir haben das Wesentliche beendet ... Pochen Sie sich an die Brust und be- denken Sie, was unser Führer geleistet hat und wie oft er hintan gesetzt wurde und nicht von der Stange gewichen ist und wenn wir ihn nicht hätten, wer weiß, wie es uns gegangen wäre.. Dass Dr. Fladt für den Sieg des Guten und Edlen arbeitet, ist heute vollständig unbestritten geblieben ...“

Kurze Zeit nach dieser Krisensitzung trifft sich die „gleichgeschaltete“ Gemeindevertre- tung und „ spricht dem ersten Bürgermeister sein volles uneingeschränktes Vertrauen aus“. Unter Führung des Zweiten Bürgermeisters Prenn hatte der Gemeinderat zuvor schon für Dr. Fladt geworben und auf dessen soziales Handeln hingewiesen: Er habe die Kinder aus Volksschule und Johannisheim kostenlos untersucht.

Da die Kassenzulassung des Dr. Fladt gesperrt wurde und er sich selbst als „vollstän- dig verarmt“ bezeichnete, zahlte ihm die Gemeinde nun monatlich 150 RM Gehalt und 100 RM Aufwandsentschädigung. Wegen dieses Zugeständnisses führten jedoch ein- zelne Gemeindebürger Beschwerde bei der Kreisleitung der NSDAP. Der Zweite Bür- germeister Prenn springt wieder für Dr. Fladt in die Breche und argumentiert, dass die Verwaltungskosten der Gemeinde trotz der Zahlungen immer noch unter denen ver- gleichbarer Gemeinden lägen.

Im März 1934 waren der Führer Adolf Hitler und zahlreiche Minister nach Unterhaching und Taufkirchen gekommen, um mit großer Geste den Auftakt für den Bau der Auto- bahn München- Salzburg zu geben. - Einige Wochen später wandte sich die Kantinen- wirtin Stiedel aus Ottobrunn, die zusammen mit ihrem Ehemann acht Kinder zu versor- gen hatte, an Minister Goebbels mit der Beschwerde, Dr. Fladt habe zwei Kioske auf der Autobahnbaustelle genehmigt, die ihr starke Konkurrenz machten. Es wurde in Ber- lin festgestellt, dass der Eingriff des Bürgermeisters unzulässig war und dass für Abhilfe im Sinne der Kantinenwirtin zu sorgen sei. 11

Dr. Fladt wurde im April 1934 wegen „fortgesetztem Betrug“ hart, nämlich zu vier Mona- ten Gefängnis bestraft. Er hatte zahnärztliche Leistungen für einen Schreiner auf den Krankenscheine von dessen Eltern abgerechnet. Die Strafe wird ihm aber gegen Zah- lung von 300 Mark und Schadenersatz „bedingt erlassen“. Im Juni 1934 erstellte der ortsansässige Sanitätsstandartenführer, PG und Blutordens- träger Dr. Furch ein ärztliches Attest, in dem er diagnostizierte, Dr. Fladt sei infolge ei- nes Herzklappenfehlers arbeitsunfähig 29 . Vier Monate später endete dieses Kapitel der Ortsgeschichte, denn Dr. Fladt „zog ohne Abschied am 1. Oktober nach Obernzell bei Passau 30 .“

Bürgermeister Prenn

Der Landwirt Josef Prenn (1879- 1975) gehörte von 1906 bis 1919 dem „Gemeindeaus- schuss“ an, dem Vorgänger des Gemeinderates. Er verwaltete jahrelang ehrenamtlich mehrere Kassen der Gemeinde (Gemeindekasse, Wasserleitungskasse und Schulkas- se). 31 Kurz nach der Niederschlagung der Räterepublik, im Juni 1919, wurde er von den Einwohnern zum Bürgermeister gewählt. Zu seinen ersten Aufgaben gehörte die Berichterstattung über die Revolutionsereignis- se im Dorf für den Chef der Regierung von Oberbayern Ritter von Kahr. Prenn erledigt dies in völlig einseitiger Weise unter der Überschrift „Räte- und Kommunistenherr- schaft“. Die Sozialdemokraten, die damals den Arbeiter- und Bauernrat bestimmten, dif- famiert er pauschal als Kommunisten und Terroristen. Die Ermordung von 4 Gemeinde- bürgern durch rechtsradikale Freikorpskämpfer bezeichnet er herzlos als „Unschädlich- machung“. Prenns Wirken als Dorfoberhaupt wird von der Bürgerschaft goutiert, so dass sie ihn bei den Kommunalwahlen 1924 und 1929 in seiner Position bestätigen. Die „Machtergreifung“ im Jahr 1933 führte, wie beschrieben, dazu, dass die Nationalso- zialisten den Gemeinderat für sich okkupierten und für ihren Ortsgruppenleiter Dr. Fladt den Posten des Ersten Bürgermeisters beanspruchten. Um Zweiter Bürgermeister zu werden, entschließt sich Prenn aus dem Bayerischen Bauernbund aus- und in die NSD- AP einzutreten. Damit tut er der „Partei“ einen großen Gefallen, die sich natürlich freut, dass der tüchtige und beliebte Altbürgermeister in ihre Reihen tritt. Dies gilt besonders auch für die Folgezeit. Denn die NSDAP ist in Verlegenheit als nur ein Jahr später, nach zahlreichen Skandalen Dr. Fladt zurücktritt und dem Dorf den Rücken kehrt. Nun läßt sich Josef Prenn vom Gemeinderat wieder zum Ersten Bürger-

29 SA o.a.O. 30 SPD- Chronik, S.21 31 SA, LRA 108812, Visitationen der Gemeinde Unterhaching 1904-1935 12 meister ausrufen. Der neue NS- Ortsgruppenleiter Schneider wird Zweiter Bürgermeis- ter. Zur Amtseinführung Prenns richtet das Bezirksamt und die NS-Kreisleitung eine Feier aus. Nach den Ansprachen heißt es: „Der neue und alte 1. Bürgermeister dankte hier- auf in sichtlich bewegten Worten für das ihm von der Bewegung und von der Gemeinde entgegengebrachte Vertrauen und er gab der Versicherung Ausdruck, dass er im Sinne des Führers und der hohen ethischen Verpflichtung des Eides der treue Sachwalter der Gemeinde sein werde. Er stellte fest, dass die Gemeinde im Winter 1932/33 vor dem fi- nanziellen Zusammenbruch gestanden habe und nur der von Gott gesandte Führer habe es vermocht, der Misswirtschaft des früheren Systems mit starker Faust ein Ende zu bereiten. So könne die Gemeinde in Zuversicht in eine neue Epoche seiner(!) Ge- schichte hinüberblicken...“ „Der Schluss klang in das(!) Gelöbnis aus, dem Führer und dem Volke unverbrüchlich die Treue zu halten und die aus ehrlichem Herzen entsprun- genen Glückwünsche der Anwesenden bekräftigten das Gefühl, dass die Worte auf fruchtbaren Boden gefallen sind.“ 32 Parteigenosse Prenn leitet nun also- unter der politischen Kontrolle der „Partei“ mit ih- ren zahlreichen örtlichen und überörtlichen Repräsentanten- die Geschicke Unterha- chings. Im Mai 1934 hatte sich Prenn, damals noch als Zweiter Bürgermeister, einer unange- nehmen Aufgabe gestellt: Die Gemeinde soll 8000 Mark Unterstützungsgelder an das Arbeitsamt zurückzahlen, die Kasse ist aber leer, da Unterhaching für eine neue Volks- schule 225 000 Mark ausgegeben hat. Aufgrund der ungünstigen Wirtschaftsentwicklung hat sich außerdem zwischen 1930 und 1932 die Zahl der „Wohlfahrtserwerbslosen“, die von der Gemeinde unterstützt werden, von 0 auf 120 erhöht. Unterhaching muß nun 68 % ihrer Ausgaben für Fürsor- geleistungen aufwenden. Prenn schildert in einem Brief an das Arbeitsamt in drastischen Worten, dass die Hilfs- appelle an verschiedene „Staatsbehörden“ vergeblich waren und dass in Unterhaching die Ausgaben für Notstandsarbeiten zur Arbeitsbeschaffung (hauptsächlich Wasserlei- tungs- und Straßenbaumaßnahmen) eingeschränkt werden mussten und Anträge auf „Wohlfahrtserwerbslosenunterstützung“ nur noch in den dringendsten Fällen positiv ent- schieden werden können. Prenn vermutet, radikale Elemente, welche er im Erwerbslosenausschuss der örtlichen KPD zu erkennen glaubt, hätten die notleidende Arbeiterschaft gegen ihn aufgehetzt. Das deckt sich mit dem Halbmonatsbericht des Regierungspräsidiums von Oberbayern vom 12.1.1933 in dem es heißt: „Der Kommunismus versteht es, die bestehende trost- lose Lage der Landwirtschaft gut zu nutzen... In Erwerbslosenversammlungen wird ge-

32 GU, Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 15.11.1934 13 fordert, Ausschüsse von Erwerbslosen sollten die Forderungen an den maßgebenden Stellen vertreten. Einzelne Diskussionsteilnehmer kritisierten noch lebhaft das Verhal- ten verschiedener Bürgermeister und das mangelnde Verständnis für die Not der Er- werbslosen. 33 Bürgermeister Prenn schreibt: „Der Höhepunkt der Verhetzung wurde am 28.8.32 er- reicht, dem Auszahlungstag der Erwerbslosen in der Turnhalle zu Unterhaching, an welchem Tage die erste Kürzung der Unterstützung erfolgte. Der Unterzeichnete wurde von der Straße weggeholt in die Turnhalle, wo cirka 400 Erwerbslose versammelt wa- ren, mit Sprechchören wie >Hunger- Arbeit- Brot< empfangen u. musste unter dieser aufgehetzten Menge Rede u. Antwort stehen, was die Gemeinde zur Linderung der Not zu tun gedenkt.“ 34 Auch in Taufkirchen kam es zu Protesten der Arbeitslosen, die von einem „Überfallkom- mando“ beendet wurden. 35 Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Hitler- Regierung zeitigten schnell positive Wirkungen; die Arbeitslosigkeit sank in Bayern von 6,5 % 1932 auf 3 % in 1934. 36 In ei- nem Brief der Kreisleitung München- Ost der NSDAP an Innenminister Wagner vom Herbst 1933 wird ein schneller Erfolg in Unterhaching allerdings noch dem Wirken des umstrittenen Bürgermeisters Fladt gutgeschrieben und behauptet, dieser hätte zwi- schen März und Oktober 1933 die Zahl der Arbeitslosen von 400 auf 200 halbiert. 37

Wie beschrieben ist Prenn ab November 1934 wieder 1. Bürgermeister. Er hat den Ge- meinderat jetzt nach dem Führerprinzip zu leiten- die Gemeinderäte haben nur noch beratende Funktion. So beginnt in ein Beschluss nun z. B. jetzt mit der Klausel: „Nach Beratung mit den Gemeinderäten beschließt der Bürgermeister vorbehaltlich der Zu- stimmung der NSDAP und der Genehmigung der Aufsichtsbehörde“.

Schon im folgenden Jahr gibt Bürgermeister Prenn bei verbesserter Kassenlage be- kannt, dass der Kindergarten wieder geöffnet wird. 38

Im November 1935 gibt es in Unterhaching keine Arbeitslosen mehr, bis auf die weni- gen „Volksgenossen, die wegen beschränkter Arbeitsfähigkeit noch nicht vermittelt wer- den konnten.“ 39

33 HA, MA 106670 34 Handakten Felzmann, Briefdurchschlag vom 28.5.1934 an das Arbeitsamt München 35 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933- 1945)“, unveröffentliches Manuskript 36 Rumschöttel, Ziegler (Hrsg) „Staat und Gaue in der NS- Zeit, Bayern 1933- 1945“ Beck, München 2004 37 SA, LRA 17853 38 GU, Amtsblatt vom 2.11.1935 39 wie vor 14

Im Einklang mit der NS-Rassenideologie schlägt der Bürgermeister im Jahr 1936 vor, eine seiner Meinung nach „vollkommen geistesgestörte“ Frau zu sterilisieren. 40

Im Februar 1937 erscheint Pg. Sprenger, der Beauftragter der Kreisleitung der NSDAP, in Unterhaching, da die Amtszeit von Bürgermeister Prenns zu Ende geht. Nachdem der Gemeinderat seine „volle Zufriedenheit mit der Amtsführung des bisherigen Bürger- meisters“ zum Ausdruck bringt, hat auch die Kreisleitung keine Bedenken gegen eine erneute Beauftragung Prenns. Sie macht aber unmissverständlich klar, dass der Bür- germeister bei seiner Arbeit stets „nationalsozialistische Grundsätze“ zu beachten habe 41 . Demgemäß lauten dann z. B. eine Entschließung des Bürgermeisters: „Der NS- DAP ... wird vom 1. August 1938 an das Obergeschoss des Gemeindeanwesens Haus Nr. 3 ½ kostenlos zur Verfügung gestellt“ 42 .

Im August 1939 wird Josef Prenn 60 Jahre alt. Die Partei lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, den beliebten Bürgermeister zu feiern. Der Gemeinderat wird in einer Sondersitzung vom Ortsgruppenleiter Bock, dem Bürgermeisterstellvertreter Schneider und dem 1. Beigeordneten Dr. Furch mit dem zuvor gefassten Beschluss vertraut ge- macht, dass „ die bisherige Kirchenstraße umbenannt wird in Bürgermeister- Prenn- Straße. Ferner wird Herrn Bürgermeister Prenn in Anerkennung seiner besonderen Verdienste um die Gemeinde … das Ehrenbürgerrecht verliehen.“ Die Bevölkerung erfährt die Neuigkeit dann durch das Gemeindeblatt, in dem es erläu- ternd heißt: „Im engeren Rahmen fanden sich ... Männer von Partei, Staat und Wehr- macht zu einer kleinen Feier zusammen. Nach einleitender Musik ergriff Kreisinspek- teur Pg. Hackenberger des Kreises München das Wort. Er streifte die großen Verdiens- te des Jubilars und überreichte demselben im Auftrage des Kreisleiters eine in Leder gebundene Ausgabe des Werkes unseres Führers >Mein Kampf<. Gemeinderat Pg. Meiler betonte, dass es dem Jubilar zur besonderen Ehre gereiche, den Ehrenbürger- brief im Reiche Adolf Hitlers empfangen zu haben... Die Anwesen der >Bürgermeister- Prenn- Strasse< zeigten am Ehrentage reichen Flaggenschmuck 43 .“

Es wurde stets gut darauf geachtet, das Prenn Politik „im Sinne des Führers“ machte. Als er dann einmal an einer Fronleichnamsprozession teilnahm, musste er sich im Münchner Rathaus einen Rüffel der Partei abholen. 44

40 SA, Gesundheitsämter 5077 41 GU Beschlussbuch, Sitzung vom 22.2.1937, 1935 werden alle Gemeinderäte Beamte (ohne Bezüge), seit 1936 werden Ersatzleute für den Gemeinderat, z. B. wenn jemand wegzieht, durch die Kreisleitung bestimmt 42 GU, GR v.22.7.1938 43 GU, Amtsblatt vom 5.8.1939 44 DA, Fragebogen B, Nationals. Verfolgung kath. Laien, Unterhaching, St. Korbinian 15

Am 1. September 1939 löste das NS- Regime den Zweiten Weltkrieg aus, in dessen Verlauf dann die Amtszeit der Mandatsträger unbefristet verlängert wurde. Bis 1945 wurde nun alles den Erfordernissen des Krieges untergeordnet und zentral geregelt. Beschlüsse der Bürgermeister waren offenbar kaum noch gefragt. 1940 und 1941 werden Kriegsgefangene im Dorf untergebracht und zur Arbeit in der Landwirtschaft und bei der Reichsbahn eingeteilt. Im Gemeinderat gibt es wegen Ein- berufungen und Umzügen häufige Veränderungen. Die Gemeindeverwaltung ist während der Dauer des Krieges stark beschäftigt, die Ver- teilung von Lebensmitteln und Brennstoffen aber z. B. auch von Baustoffen für die Re- paratur von „Fliegerschäden“ über Bezugsscheine zu organisieren.

Bei Kriegsende wird plötzlich in anderer Weise über das Gemeindeoberhaupt berichtet: „[Der Einmarsch der Amerikaner] vollzog sich am 1. Mai, 9 Uhr vormittags, in aller Ruhe. Herr Bürgermeister Josef Prenn... hat alles daran gesetzt, dass der Volkssturm keinen Widerstand leistete, dass die Panzersperren entfernt wurden...“ 45 Mehr über Josef Prenn im Kapitel Neubeginn.

Hier noch ein Blick auf die Stellvertretung des Bürgermeisters: Die Partei führte 1935 anstelle des 2. Bürgermeisters zwei Stellvertreter ein, die aber nur noch „Beigeordnete“ genannt wurden. Anstelle von Otto Schneider wurde der praktische Arzt Dr. Erich Furch erster Stellvertreter; als 2. Beigeordneter fungierte Georg Herrmann. Erich Furch war 1894 in Esslingen geboren worden und 1933 nach Unterhaching in die Sommerstrasse gezogen. Schon 1923 und dann wieder seit 1930 war er Mitglied der NSDAP. In der SA wurde er Standartenführer. Als studentischer Sanitäter hatte er beim „Marsch auf die Feldherrnhalle“ in Bereitschaft gestanden, was ihm den „Blutor- den“ einbrachte. Im 2. Weltkrieg diente er als Feldarzt. Bei Kriegende beschlagnahmte die US- Armee sein Haus. Er musste fast 3 Jahre in einem Internierungslager verbringen. Er wurde im Spruchkammerverfahren als „minderbelastet“ eingestuft- und damit erstaunlicherweise schlechter bewertet als der Bürgermeister- und mit einer Sühneleistung von 2000 RM bestraft. Die Landpolizei hatte über ihn geurteilt, Dr. Furch habe den beim Bombenangriff auf den Marxhof verletzten Ordensschwestern unter Einsatz seines Lebens Erste Hilfe ge- leistet. Er sei aber ein Fanatiker gewesen, der bis zum Schluss an den Endsieg ge- glaubt habe. 46

45 Peter Pfister (Hrsg.): „Die Kriegs- und Einmarschberichte“, Verlag Schnell und St. Regensburg, 2005 46 SA, Spruchkammerakten, Karton 474, Erich Furch 16

Die Ortsgruppenleiter

Es gab in Unterhaching einen außergewöhnlich häufigen Wechsel der Ortsgruppenlei- ter. Verursacht wurde das durch Umzüge, Einberufungen zum Kriegsdienst aber auch wohl, weil die Kreisleitung der NSDAP gelegentlich unzufrieden war mit der Arbeit der von ihr eingesetzten PG. Die meiste Zeit über war der OGL im Dorf auch für den Orts- teil Ottobrunn und für Taufkirchen zuständig, manchmal gab es dort aber auch eigene Parteichefs. Die ersten Ortsparteichefs waren Hauptmann a. D. Luzian Igel im Dorf und Rudolf Weinbeer in Ottobrunn (schon bei der Gründung 1925?). Ansonsten ist nur bekannt, dass Luzian Igel vor 1932 durch Dr. Feld abgelöst wurde. In der folgenden Tabelle sind Angaben über die OGL in Unterhaching ab 1932 ein- schließlich der Eingruppierung in den späteren Entnazifizierungsverfahren (soweit fest- stellbar) zusammengefasst.

Zeitraum Name Beruf Gruppe/Bezeichnung etwa ´32- 6.´34 Wilhelm Fladt Zahnarzt 10.34 – 4.35 Otto Schneider Inspektor IV Mitläufer 5.35 – 12.36 Hans Horn Zollrat a. D. IV Mitläufer 1.37 - 8.39 Max Brock Händler III Minderbelasteter 1.40 – 5.44 Anton Kandler Glaser IV Mitläufer 6.44 – 7.44 Georg Müller 8.44 – 4.45 Otto Veit Schreiner II Belasteter

Die Dokumente, die über das Wirken der OGL berichten, sind nicht sehr zahlreich. Die meisten Informationen stammen aus den Entnazifizierungs- oder Spruchkammerakten. Hier sind naturgemäß nur Angaben über mögliche strafwürdige Handlungen und ande- rerseits entlastende Erklärungen, im Volksmund „Persilscheine“ genannt, enthalten. Im Falle des Wilhelm Fladt (s. o.) gibt es zusätzlich einigen Schriftverkehr, da er gleich- zeitig Bürgermeister war und Schreiben wegen seiner vielen Auseinandersetzungen mit anderen Personen anfielen. 17

Die NSDAP-Kreisleitung setzte Otto Schneider als Nachfolger des Dr. Fladt ein. Schneider, geb. am 1.11.1889 in München, nahm am Ersten Weltkrieg von Anfang bis zum Schluss teil. In seinem Lebenslauf schreibt er: „Im Jahr 1920 hörte ich zum ersten Mal unseren Führer Adolf Hitler sprechen und nun wusste ich, wohin ich gehöre. Ich kam von Hitler nicht mehr los.“ NSDAP- Mitglied war er in den Jahren 1921-23 und 1932-45. Im Entnazifizierungsver- fahren gab der Nachkriegsbürgermeister Sedlmeyer zu Protokoll: „ Schneider spielte sich als OGL groß auf. Er war wegen seiner Drohungen gefürchtet.“ Er lebte von 1927 bis 1940 in Unterhaching. Dann zog er nach München, wo er in Untergiesing nochmals 2 Jahre lang eine Ortsgruppe leitete. Zunächst schlechter eingruppiert, wurde er 1949, nach zweijähriger Internierung in Dachau und Moosburg schließlich in die Gruppe der Mitläufer eingereiht und musste 200 DM Sühneleistung aufbringen. 47

Die NSDAP- Ortsgruppe Unterhaching war 1934 bereits stark angewachsen und schon in 2 „Zellen“ geteilt. Zum Stab des Ortsgruppenleiters gehören jetzt ein: • Kassenleiter • Propagandaleiter • Ortswalter der Deutschen Arbeitsfront • Bauernschaftsführer • Jugendbildner (wohl zuständig für „Schuljugend, Jungvolk, HJ, BDM“) • und 2 Zellenleiter. Später kommt eine „Frauenschaftsführerin“ dazu. Bauernschaftsführer war der Landwirt Korbinian Stumpf. Die Bauernschaftsführer oder Ortsbauernführer hatten seit 1937 weitreichende Kompetenzen: Sie kontrollierten die vorgeschriebenen Anbauarten aller Höfe durch Flurbegehungen und konnten bei Verstößen Bußgelder verhängen. Sie führten Sprechtage und Werbemaßnahmen durch und überwachten den Einsatz von ausländischen Arbeitskräften. 48 Am 1. Mai 1935 wird OGL Schneider von der Kreisleitung aber bereits wieder abgelöst.

Der neue Mann ist der ehemalige Zollamtsrat und Major Hans Horn, geb. 1972 aus Taufkirchen. Dieser hat im Juni sogleich seinen großen Auftritt als es wegen der Auto- bahnbaustelle zum zweiten Mal heißt: Der Führer kommt! 49 Die Organisation der örtlichen Partei ist scheinbar jetzt voll entfaltet: sie gliedert sich in 2 Zellen in Unterhaching und je eine Zelle in Taufkirchen und Ottobrunn.

47 SA, Spruchkammerakten, Karton 1673, Otto Schneider 48 Rumschöttel, Ziegler (Hrsg) „Staat und Gaue in der NS- Zeit, Bayern 1933- 1945“ Beck, München 2004 49 Handakten Felzmann, Aufruf vom 27.6.1935. 18

Der Ortsgruppenführer befielt militärisch knapp: „Da die Eröffnung dieser Strecke weit über die Grenzen des Gaues hinaus Bedeutung hat, werden alle Partei- und Volksge- nossen durch Spalierbildung sich beteiligen.“ Mit Fahnen und Musik ziehen die Unter- hachinger „Volksgenossen“ zur waldgesäumten Autobahn und jubeln zusammen mit vielen Hundertschaften von Parteiorganisationen, Polizei und Belegschaften von Groß- betrieben aus München und Umgebung Adolf Hitler zu. Zwei Monate später werden die Arbeiter Ott und Kneißl im gleichen Wald brutal miss- handelt. Nach Feststellung der Gendarmeriestation Unterhaching waren die Täter: der Parteigeschäftsführer Engelberth und der Ortsgruppenleiter Horn 50 (Einzelheiten s. im Kapitel Widerstand). Im Januar 1937 übernimmt der junge Max Brock (geb. 1905 in München) die Leitung der Ortsgruppe, während Horn OGL von Taufkirchen wird. Brock fand schon als Schü- ler des Münchner Ludwigsgymnasiums zur Nazibewegung. Er beteiligte sich 1923 als Wachmann am Hitlerputsch, so dass er den „Blutorden“ erhielt. 1927/28 versuchte er sich als Getreidehändler und war dann 2 Jahre lang arbeitslos. Die Partei stellte ihn nun für Archivarbeiten im „Braunen Haus“ an. Bei Kriegsbeginn wurde er eingezogen. Er stieg auf zum Kompaniechef und war NS- Führungsoffizier eines Bataillions. Im März 1945 erlitt Brock eine Kriegsverwundung; er kam ins Lazarett zunächst in Possenhofen dann in Rosenheim. Im Juli des gleichen Jahres wurde er verhaftet und bis 1947 im Internierungslager Moosburg festgehalten. Er wurde als „Minderbelasteter“ (Gruppe III) eingestuft und kam mit einer Sühneleistung von 100 DM davon. 51 Ein bekannter Unterhachinger Hand- werksmeister hatte von Brock gesagt: „ Er war ein fanatischer Nazi, der jederzeit für die Ideen des Nationalsozialismus eintrat aber er war ein anständiger Mensch.“

Der Glasermeister Anton Kandler, geb 1893, wurde 1940 zum Nachfolger Brocks er- nannt. 1943 schreibt er mehrmals an den Hauptschulrektor Engelländer und führt Be- schwerde wegen des schlechten Besuchs der Jungmädchen- und Jungvolkstunden. (Der langjährig erfahrene Schulmann Engelländer war auch Organist und Leiter des Kir- chenchores. Er versuchte, obwohl nominelles Parteimitglied, „Nazieinflüsse aus dem Schulwesen stillschweigend auszuschalten.“ Er stand mit dem jüdischen Bürger Ri- chard Stern, Holbeinstraße 1, in freundschaftlichen Kontakt. Deshalb wurde er ange- zeigt und von der Gestapo einem quälenden Verhör unterzogen. 52 ) Kandler wird aber als im Allgemeinen tolerant beschrieben. Es heißt, er hätte ein ent- spanntes Verhältnis zu Kirche gehabt und Opfern von Fliegerangriffen tatkräftig gehol- 50 SA, LRA 58164. Genau genommen ist im Polizeibericht nur von Misshandlung des Kneißl die Rede aber die exakte Aussage des Ott bei der Polizei beweist, dass damals Ott und Kneißl geschlagen wurden und sich gegenseitig misshandeln mussten. 51 SA, Spruchkammerakten, Karton 201, Max Brock 52 SA, Spruchkammerakten, Karton 365, Karl Engelländer 19 fen. Er setzte sich sogar für Josef Bleibinger (s.u.) ein, als bei diesem eine kommunisti- sche Parteizeitung gefunden worden war. Bei der Kreisleitung sei er als „flauer Ortsgruppenleiter“ angesehen worden. In einem Spitzelbericht des SD, des Geheimdienstes der NSDAP vom Mai 1944, heißt es: „Der jetzige Ortsgruppenleiter, Glaser, Drogerist und Kleinwarenhändler, will sich sein Ge- schäft [durch Eintreten für die Partei] nicht verderben. [Er] ist energisch gegen alte Leute, bei jungen hübschen Frauen und gefährlichen Leuten ist er nicht so scharf.“ Au- ßerdem wird geurteilt: „Die politischen Leiter sind unzuverlässig.“ 53 Anton Kandler war außer OGL auch noch „Ortsamtsleiter“ der NSV. Er blieb OGL bis er 1944 in der NSV zum Kreisamtsleiter aufstieg. Im Entnazifizierungsverfahren hielt man ihm vor, er habe einen Handwerker verraten, der sich abfällig über den Führer geäußert hatte. Er wurde aber lediglich als Mitläufer eingestuft, musste aber 1500 RM und 150 DM Sühneleistung bezahlen. 54

Für nur 2 Monate war Georg Müller Ortsvorstand der NSDAP bis im August 1944 der Schreinermeister Otto Veit als letzter OGL verpflichtet wurde. Otto Veit, geb. 1902 in München, leitete die Möbelfabrik „Werkhaus Veithof“, einen NS- Musterbetrieb, der die NS- Prominenz einschließlich des „Führers“ mit „Stilmöbeln“ versorgte. Unter anderen beschäftigte Veit den holländischen Zwangsarbeiter van Dongen und dessen Frau in seinem Betrieb. Veit zeigte van Dongen wegen eines Streites um die Arbeitsleistung an. Daraufhin wurde der Höllander eine Woche lang bei der Gestapo in Moosach gequält. Er erlitt einen Zusammenbruch und musste in einer Klinik behandelt werden. Auch seine Frau wurde kurzzeitig inhaftiert. Van Dongen berichtete: „Unterhaching bebte, als Veit bewaffnet... die Runde machte und was er da die Deutschen überall angeschnauzt hat, das war schon nicht mehr schön.“ In einem anderen Bericht heißt es, der OGL habe mit der Pistole in der Hand von Militärs die Herausgabe eines gefangenen, aus einem Flugzeug abgesprungenen, amerikanischen Soldaten verlangt, sei aber seinerseits mit Gewehren bedroht und von seinem Vorhaben abgebracht worden. 55 Im Entnazifizierungsverfahren machte man Veit insbesondere zum Vorwurf, dass er, bevor er OGL wurde, als V- Mann für den Parteigeheimdienst SD Spitzeldienste geleis- tet hatte. Leittragende dabei waren vor allem die Gastwirtsfrau Forster aus Taufkirchen- Bergham und ihre Tochter Magdalena Kölbl. Von Frau Kölbl heißt in Veits Berichten dass sie regelmäßig „Feindsender“ höre. Frau Forster wurde vorgeworfen, dass sie eine Polin in die Familie aufgenommen und sich mehrfach staatsfeindlich geäußert habe.

53 SA, Spruchkammerakten, Karton 221, Johann Bücherl 54 SA, Spruchkammerakten, Karton 834, Anton Kandler 55 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933- 1945)“, unveröffentlichtes Manuskipt 20

Als auch noch ein Nachbar Frau Forster wegen einer hitlerkritischen Äußerung anzeig- te, wurde gegen sie Haftbefehl erlassen. Gendarmeriemeister Schranner von der Orts- polizei verschleppte aber absichtlich die Ausführung, die dann wegen des Kriegsendes nicht mehr zustande kam.

(Foto: Staatsarchiv München) Ortsgruppenleiter Otto Veit

Otto Veit wurde nach Kriegsende 2 Jahre lang in Regensburg interniert. Von der Spruchkammer wurde er 1950 als „Belasteter“ eingestuft und sein Vermögen bis auf die „notwendigsten Gebrauchsgegenstände“ zur Wiedergutmachung eingezogen. 56

Aus dem Ortsteil Ottobrunn ist noch zu berichten: In einem Gemeinderatsprotokoll taucht 1939 ein OGL Reisewitz auf. Möglicherweise war parallel zur Abtrennung von Taufkirchen auch in Ottobrunn wieder eine eigene Parteiformation installiert worden. Reisewitz wird von SPD- Chef Wilhelm Kloiber als parteipolitischer „Quälgeist ersten Ranges“ bezeichnet. Besonders arbeitete er gegen den Pfarrer und die treuen Kirch- gänger. Er wird zur Wehrmacht eingezogen und ist gefallen.

1942 übernimmt der Lehrer Fritz Schollwöck das Amt des OGL. Schollwöck, geb. 1900 in Oberding, trat 1933 der NSDAP bei und wurde bald Mitglied im Unterhachinger Ge- meinderat. Von ihm wird Gegensätzliches berichtet: Einerseits äußerte er sich gegen die Kirche und die „Heidenmission“ und „überlieferte die Schule aus Angst vor Nachtei- len dem Nationalsozialismus“ (Pfarrer Anton Ferstl) andererseits bewahrte er verschie- dene Bürger unter ihnen einen, der einen Juden versteckt hielt, vor der Verfolgung durch die Gestapo. Auch er kommt nach Kriegsende mit der Einstufung als „Mitläufer“ davon. Er musste aber 20 Tage Sonderarbeit in der Schweige Ottobrunn leisten. 57 Zusätzliches zur „NS- Filiale“ Taufkirchen s. das eigene Kapitel.

56 SA, Spruchkammerakten, Karton 1862, Otto Veit 57 SA, Spruchkammerakten, Karton 1690, Fritz Schollwöck 21

NS- Unrecht

Am 9. März 1933 übernahmen die Nationalsozialisten putschartig die Macht in Bayern. Der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler wurde Polizeipräsident in München- er be- wohnte damals ein „bescheidenes Anwesen in Waldtrudering“ 58 - und Chef der „Bayri- schen Politischen Polizei“ 59 . Bereits 4 Tage später, wurden Bürger verhaftet und in Gefängnissen und in dem neuen Konzentrationslager Dachau erniedrigt und gefoltert. Im Staatsarchiv München findet sich ein anonymes „Verzeichnis der 10.3.33- 15.10.33 in Schutzhaft befindlichen Per- sonen“ außerdem eine „Schutzhaftkartei“. Diese Unterhachinger Einwohner sind darin z. B. aufgeführt 60 : Der Schreiner Josef Bleibinger, geb.16.2.1905 in Traunstein. 61 Als Haftgrund wird ange- geben: „OGF KPD, Agitator, Führer des Erwerbslosen- Ausschusses, Rote Hilfe“. Fünf Monate lang wird er im KZ Dachau gequält 62 , 1941 nochmals zwei Monate lang wegen angeblichem Hochverrat 63 . Mit Schreiben vom 30.9.1941 bittet die GESTAPO die Kreisleitung der NSDAP während der Haftzeit die Betreuung der Angehörigen zu übernehmen („B. hat zwei minderj. Pfle- gekinder in seinem Haushalt“). Es gab dazu eine Anweisung Himmlers, der verhindern wollte, dass sich Angehörige in ihrer Not an Religiöse oder kommunistische Organisa- tionen wenden . Nach der Entlassung wird die Ortsfrauenschaftsleiterin angewiesen, die „Nachbetreuung“ durchzuführen. Bleibinger wird im Mai 1945 in den provisorischen Gemeinderat berufen und im Januar 1946 zum einzigen KPD- Gemeinderat gewählt.

Der Mechaniker Franz Drexler, geb. am 27.1.1883 in München, kommt für zwei Jahre nach Dachau („Zelle 5/2“) 64 . Auch ihm wird vorgeworfen, er sei OGL der KPD gewesen und „der radikalste Kommunist von Unterhaching und Hetzer“. Er wird ebenfalls beim Neubeginn in den provisorischen Gemeinderat delegiert.

58 Willibald Karl (Hrg.): „Trudering, Waldtrudering, Riem“, Buchendorfer Verlag, München 2000 59 1934 wurde Himmler Leiter der Politischen Polizei auf Reichsebene und 1936 Chef der gesamten deut- schen Polizei. Vgl. Hartmut Mehringer „Widerstand und Emigration“ dtv, München 1997. 60 SA, LRA 148581 u. LRA 131699 61 Angabe Gem. Unterhaching, Sept. 2005 62 SA, Schutzhaft 8130000214 63 GU, GR- Sitzung am 12.5.1945 64 Angabe Archiv KZ- Gedenkstätte Dachau vom 7.9.2005 und Gem. Unterhaching, Sept. 2005, Drexler war SPD- Mitglied 1912-1930, s. NS des GR vom 12.5.1945 22

Auch Johann Ott, geb. 10.10.1904 in Wies/ Miesbach 65 , wird 1933 und später noch zwei Mal der Schutzhaft ausgesetzt. Die Vorwürfe gegen ihn lauten „vor Jahren OGF der KPD, in NSDAP eingetreten um >Spionage< zu treiben, wollte Kampfbund gg. faschist. Gefahr gründen, Redner“. Zwei Arbeiter sagten bei der Politischen Polizei aus, Ott hätte sich als Leiter der illegalen KPD Unterhachings bezeichnet. Die GESTAPO schreibt am 12.12,1938 an die Gaufrauenschaftsleitung und daraufhin die NS- Frauenschaft an die Ortsfrauenleiterin, dass man sich um die Familie kümmern soll. 66 Insgesamt waren 1933 zehn Bürger wegen ihrer Mitgliedschaft in der KPD in Haft. Der schlichte Kommentar von Rudolf Felzmann bei der Entlassung: „Alle bewahrten über ihre Behandlung eisernes Schweigen 67 .“ Ab dem 10.5.1935 ist Georg Eicheldinger als politischer Gefangener im KZ Dachau in Haft. Seine Frau ersucht im Februar 1937 vergeblich um seine Entlassung (s. Anhang). 1938, im Jahr vor dem Kriegsbeginn, wird Johann Ott wiederum verhaftet. Und dies geschieht mit insgesamt 31 Gemeindebürgern unter ihnen vier Frauen! 68 Was man ihnen vorwirft und ihre Haftdauer sind nicht überliefert. Einer der Gefangenen war offenbar aufgrund einer Anzeige des Bürgermeisters im KZ. Im Beschlussbuch des Gemeinderates heißt es : „Vom Schreiben des Landrates Mün- chen vom 11.2.39 sowie der Kommandantur des Konzentrationslagers Dachau vom 1.2.39 wurde Kenntnis genommen. [Herbert Schmidt, Name geändert] befindet sich seit 10.12.38 im K- Lager Dachau als Arbeitszwangsgefangener und wurde ursprüngl. auf 3 Monate eingewiesen. Nachdem seine Führung schlecht ist, wird dem Antrage des La- gerkommandanten des KLD stattgegeben und einer Verlängerung von neun Monaten zugestimmt. Die festgesetzten Kosten werden von der Gemeindekasse Unterhaching übernommen.“ 69 Herbert Schmidt muss also jetzt mit dem Segen von Bürgermeister und Gemeinderat „Erziehungsmaßnahmen“ im KZ Dachau und im KZ Mauthausen bei Linz erleiden, wo- hin man ihn noch verlegt. Die Zahl der Schutzhäftlinge in Deutschland hatte 1933 50.000 betragen, war mit der Konsolidierung der NS- Herrschaft bereits 1934 auf 3.000 zurückgegangen und dann bis 1937 wieder auf 7.500 gestiegen. Während politische Haftgründe an Bedeutung ver- loren, wurden ab 1937/38 verstärkt Menschen als Volksschädlinge denunziert und we- gen Pseudodelikten inhaftiert, so dass Ende 1938,nach der „Reichskristallnacht“, wie- der 60.000 Menschen einsaßen. Entsprechend den Richtlinien der bayrischen Politi-

65 Angabe Gem. Unterhaching, Sept. 2005 66 SA, Schutzhaftakten 8130000215 67 Heimatbuch, S.94 68 „Die Anfänge der Braunen Barbarei“, Bay. Landeszentrale für pol. Bildung, München 2004 69 GU, GR- Sitzung vom 17.2.1939, 1939-1945 galt reichseinheitlich der „Landkreis“ und der „Landrat“, s. Deutinger et. al. (Hrsg.): „Die Regierungspräsidenten von Oberbayern“, München, 2005 23 schen Polizei umfasste der Begriff „Volksschädling“ Bettler, Landstreicher, Zigeuner, Arbeitsscheue, Müßiggänger, Prostituierte, Querulanten, Gewohnheitstrinker, Raufbol- de, Psychopaten und Geisteskranke. 70

Ein lediger Handwerker aus Taufkirchen wurde ebenfalls 1938 (wegen unzureichender Arbeitsdisziplin) eingesperrt und zwar hintereinander in die KZ Buchenwald und Maut- hausen. Da er nach 4 Jahren noch nicht entlassen war, setzten sich OGL Horn und Bürgermeister Bücherl in einem Brief an den Landrat für ihn. Er wurde daraufhin im De- zember 1942 zur Wehrmacht eingezogen. 71

Bei der GESTAPO- Leitstelle München war Ende 1939 Andreas Kneißl einen Monat lang in Haft, weil er auf einer Baustelle (wohl aus Unzufriedenheit mit der Entlohnung) geäußert hatte: „Heil, mein Führer, wir werden alle Tage dürrer“ 72 Kneißl war 1935 vom Ortsgruppenleiter und vom Geschäftsführer der NSDAP brutal misshandelt worden (s. u.). Nach Beginn des Krieges gegen Russland 1941musst Klaus Hagen (Name geändert) aus Taufkirchen wegen „antinationalsozialistischer und defaitistischer Reden“ mindes- tens 12 Tage im Gefängnis verbringen. 73

Briefzensur Ab Herbst 1934 erhielt die Unterhachinger Gendarmerie von Bayrischen Politischen Po- lizei den Befehl, Briefe vor der Zustellung von der Post in Empfang zu nehmen, fachge- recht zu öffnen, auf verdächtige Inhalte zu prüfen und zurück zu geben. Von der Zen- surmaßnahme waren 14 Personen betroffen. Der prominenteste war Baron Nikolaus von Gagern, geb. 18.6.1875, der einen jugoslawischen Pass hatte. Wegen seiner Aus- landskontakte traute man ihm nicht, obwohl er mit den Nazis sympathisierte. Es hieß sogar, er habe Hitlers „Mein Kampf“ ins „Jugoslawische“ übersetzt. Brisante Inhalte im Sinne der Nationalsozialisten wurden wohl bei keinem der Über- wachten gefunden, so dass keine weiteren Repressionsmaßnahmen berichtet werden.

Die Kirchen Misstrauisch wurden kirchliche Aktivitäten beobachtet. Die Gendarmeriestation Otto- brunn hörte am 23.9.1934 die Predigt des Pfarrers Bomhardt aus Perlach in der evan- gelischen Kirche ab und schreibt der Abteilung mit Polizeiaufgaben beim Bezirksamt München: „Die Überwachung außerhalb der Kirche war sehr schwer durchzuführen.

70 Comite Internationale de Dachau (Hrsg.):Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1945, München 2005 71 SA, Spruchkammerakten, Karton 221, Hans Bücherl 72 SA, Staw 9459 73 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933- 1945)“, unveröffentlichtes Manuskipt 24

Der Herr Pfarrer sprach sehr leise, so dass die meisten Worte überhaupt nicht mehr verstanden werden konnten. Im übrigen sind die Teilnehmer so spät zu Kirche gegan- gen, dass manchmal ein Teil der Predigt überhaupt nicht angehört werden konnte, um nicht allzu auffällig zu sein. Aus diesem Grund war eine gute Abhörung nicht möglich. Die Predigt machte auch nicht den Eindruck, dass gegen die Reichskirchenregierung [gemeint ist sicher die Leitung der „deutschen Christen“] Stellung genommen werden sollte. 74 “

Die Pfarrer Faustner (St. Korbinian) und Erhard (ab 1941 Seelsorger bei St. Alto) erhiel- ten von Parteistellen mehrmals Verwarnungen wegen der Durchführung bzw. der Ter- minierung der Christenlehre. 75

Im August 1941 verfügte das Kultusministerium, dass die Kruzifixe aus den Schulen zu entfernen sind. Dies führte zu großer Erregung in der Landbevölkerung. Unter Führung von Frau W. die daraufhin von der Gestapo verwarnt wurde, zogen 60 Frauen zum Sitz des NS- Ortsgruppenleiters und verlangten die „Zurückbringung des Kreuzes“. 76 Eine NSV- Beauftragte hatte aus dem Kindergartensaal in der Schule das Kruzifix entfernt. „Als Herr Josef Prenn [es erfuhr], brachte [er] das Kreuz selbst an seinen alten Platz zurück.“ 77 Der Erlaß zur Entfernung der Kruzifixe wurde aufgrund zahlreicher Proteste später tatsächlich wieder zurückgenommen. 78

„Das kirchliche Leben hatte in der Nazizeit in Ottobrunn viel zu leiden.“ berichtet der Priester Anton Ferstl. „Bis 1941 war ein ausgesprochen scharfer Ortsgruppenleiter hier...1940 sagte er zu mir: >Von den 180 Parteigenossen gehen nur noch ein paar in die Kirche und diesen werde ich es noch austreiben!< Jeden Sonntag beobachtete er vom gegenüberliegenden Schulhaus aus, wer die Kirche besucht und bei der Fronleich- namsprozession ging er noch eigens ein Stück nebenher, um alle Teilnehmer aufzu- schreiben. Wenn auch sein Wunsch, den Pfarrer ins KZ zu bringen nicht in Erfüllung ging... so brachte er es doch mit Hilfe eines Lehrerehepaares fertig, durch Briefe an den Gauleiter Wagner das Schulverbot über den Pfarrkuraten verhängen zu lassen.“

Die Nationalsozialisten verwehrten den Klöstern ihre Weiterarbeit im Schulsektor. Das Bezirksamt München berichtete 1939 an die Reg. von Oberbayern: „Im Landkreis wird an keiner Stelle Unterricht durch eine klösterliche Lehrkraft erteilt. Soweit an einer

74 SA, LRA 20037 zit. n. «Streiflichter…» 75 DA, Fragebogen A, Nationals. Verfolgung kath. Geistlicher 76 DA, Fragebogen B, Nationals. Verfolgung kath. Laien 77 SA, Spruchkammerverfahren Josef Prenn, Eidesstalliche Erklärung Johann Recher 78 Bayrische Landesanstalt für politische Bildungsarbeit: „Die Geschichte des modernen Bayern“, 2000 25

Schule vor einiger Zeit noch klösterliche Lehrkräfte tätig waren, wurden diese inzwi- schen abgebaut. Lediglich im St. Johannishaus in Unterhaching sind klösterliche Lehr- kräfte tätig [und blieben es wohl auch]. Das St. Johannishaus ist eine Anstalt für schwer erziehbare (schwachsinnige) Knaben.“ 79

Das Sondergericht beim Landgericht München 1 verurteilte im 2. Kriegsjahr einen 39 Jahre alten Mann aus Ottobrunn wegen Abhörens ausländischer Rundfunksender zu sieben Monaten Gefängnis. Zwei junge Büroangestellte erhielten später wegen des gleichen „Verbrechens“ Strafen von einem und eineinhalb Jahren Zuchthaus! 80

Zwangsarbeit Im Oktober 1940 beschließt der Gemeinderat die Turnhalle zur Unterbringung von Kriegsgefangenen gegen 0,10 RM Benutzungsgebühr pro Nacht und Mann zur Verfü- gung zu stellen, die im Gemeindegebiet Zwangsarbeit verrichten sollen. Im Folgejahr wurden zusätzlich 150 „Kriegsgefangenen der Deutschen Reichsbahn“ aufgenommen. 81 1942 verrichten in Unterhaching etwa 450 Menschen Zwangsarbeit. Sie kommen aus Belgien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Holland, Italien, Jugoslawien, Kroatien, Po- len, Serbien, der Slowakei, Tschechien, der Ukraine, manche sind staatenlos oder wer- den summarisch als „Ostarbeiter“ bezeichnet. Sie sind eingesetzt in Haushalten, bei Bauern, in mehreren Betrieben und in der Luftfahrtforschungsanstalt Ottobrunn 82 . Sie hatten die Bedrückungen der unfreiwilligen Arbeit im fremden Land zu erdulden. Ein holländischer ziviler Zwangsarbeiter und seine Ehefrau waren in der Möbelfabrik des OGL Otto Veit beschäftigt. Wegen eines Streites um die Arbeitsleistung wurde die Frau mehrere Tage und der Mann eine Woche lang bei der Gestapo gequält. Der Hol- länder erlitt einen Zusammenbruch und musste in einem Krankenhaus behandelt wer- den. 83 In Taufkirchen wurde ein Monat nach Kriegsende ein Einwohner von einem Polen er- schossen, als er sich schützend vor seine Frau stellte, die angeblich eine polnische Zwangsarbeiterin schlecht behandelt hatte. 84 Es gab aber auch Beispiele für eine gute Behandlung der Fremden. 85 Ab Mitte 1943 konnten sich französische Kriegsgefangene in den zivilen Status überführen lassen, was ihnen einige Erleichterungen brachte. „Die sogenannten >Fremdarbeiter< aus den besetzten östlichen Gebieten lebten [dagegen] unter erschwerten Bedingungen.“ 86 Felz- 79 SA, LRA 18859 80 “Streiflichter” S. 103 81 GU, GR vom 20.10.1940 und 20.7.1941 82 Handakten Felzmann, Schreiben der Gemeinde Unterhaching an Landratsamt München v. 10.11.1942 83 SA, Spruchkammerakten, Karton 1862, Otto Veit 84 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933- 1945)“, unveröffentlichtes Manuskipt 85 Altbürgermeister Knapek in der SZ LKS, 31.5.08 und Ehrenbürger Kris, s. Anhang 86 M. Hamm und W. Bude (Hrsg.): „Die Herrschaft Aschau und das Priental“, Aschau im Ch. 2003 26 mann berichtet von Plünderungen durch Zwangsarbeiter nach Kriegsende, was nicht auf ein gutes Einvernehmen zwischen ihnen und den bisherigen Arbeitgebern schlie- ßen lässt. 87 Strafarrest Aus dem Januar 1945 ist der Entwurf eines Schreibens der Ortsgruppe Unterhaching der Partei- Feuerwehr an den Landrat München- Land erhalten geblieben, in dem es u.a. heißt: „In Unterhaching wurden 4 Löschgruppen von der Partei aufgestellt und mit TS 8 Spritzen ausgerüstet. Die Spritzen mussten ... mit Jugendlichen bemannt werden. Es hat sich gezeigt, dass von diesen die anständigen Kerle immer bei Übung und Ein- satz anwesend sind, während eine Reihe von Drückebergern entweder überhaupt nie oder nur selten erschienen sind. Heute ist der Mannschaftsstand durch Einberufungen so gelichtet, so dass es auf jeden Mann ankommt. Die pflichtgemäßen Jungmänner sagen sich aber nun auch schon, warum sie immer die Dummen sein sollten, während die Schweine sich immer von jeder Anstrengung und Gefahr drücken könnten ... Wir haben keine Handhabe, gegen diese Kerle vorzu- gehen. Deshalb ersuchen Ortsgruppenleiter und Einsatzleiter, der Landrat möge über die drei Jungmänner Arreststrafe über Samstag-Sonntag verhängen und dem Polizei- meister entsprechenden Auftrag geben...“ 88 Handschriftlich ist ergänzt: „An O.Gru.Lei. übergeben am 8.1.45. Der O.Gr.L. will die Sache selbst weiterleiten u. strafrechtlich verfolgen lassen.“

KZ Ottobrunn Von Mai 1944 bis Mai 1945 bestand im Osten Unterhachings eine KZ- Außenstelle mit 400 bis 600 Gefangenen. Über Ihre Behandlung heißt es in einer von Schülern erstell- ten Dokumentation u. A.: „Die Häftlinge wurden in Viehwaggons ... nach Ottobrunn gebracht. Die Reise dauerte vierundzwanzig Stunden ...Schläge und Dritte waren im Ottobrunner Lager zur Zeit und Unzeit üblich. Im Außenlager Ottobrunn [des KZ Dachau] strafte man mit ... Schlägen und Peitschenhieben, dem Pfahlhängen und Bunkerarresten. ...Beim Pfahlhängen be- kam der Bestrafte die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und wurde dann daran aufgehängt. ... Besonders grausam war der Arrest im Stehbunker. Der Raum war so niedrig, das der Bestrafte nicht aufrecht stehen konnte. Eine Eisenstange verhinder- te das Sitzen. Manche Häftlinge verbrachten ihren Arrest im Stehbunker oft tagelang in gebückter Haltung, ohne dass sie in dieser Stellung hätten schlafen können... Die Gefangenen halfen in erster Linie beim Bau der LFM [Luftfahrtforschungsanstalt München]...Sie waren in verschiedenen Betrieben in [Unterhaching-] Ottobrunn, den

87 Heimatbuch, S. 107 88 GU, A 000/ 4 27

Nachbargemeinden und in München beschäftigt...In Ottobrunner Häusern verlegten sie Stromleitungen...In der Nachbargemeinde errichteten sie ein Wohnhaus für den Bürgermeister. Über die Zustände im Lager sprachen die Internierten nicht... Sie fürchteten, dass die Dienstherren die versuchte Kontaktaufnahme an die SS melden würden“. An einem Gefangenen, der vergeblich versucht hatte zu fliehen, statuierte die Lagerlei- tung ein Exempel: „Als wir [Gefangene nach einem Arbeitseinsatz] am Abend ins Lager kamen, erinnere ich mich daran, das dieser Italiener auf einem Stuhl vor dem Lagertor stand und nur ein Hemd an hatte. Er stand auf einem Stuhl. Er war geschlagen worden und das Blut lief ihm aus Nase und Mund, und er hatte ein Schild vor seiner Brust hän- gen: „Ich bin wieder da...“ Am nächsten Tag saßen wir beim Essen und die Mithäftlinge riefen mich zum Fenster und sagten: „Weißbach, komm rüber. Ein Italiener ist gerade aufgehängt worden.“ Ich ging zum Fenster und sah [Arnt, Name geändet], der zusam- men mit einem grünen Gefangenen namens [Hirsch, Name geändet] die Arme des Itali- eners oder Russen auf seinem Rücken zusammen banden und ihn dann an einen Baum oder Balken banden... Dann banden sie einen Felsen ... an seine Füße. Bevor sie gingen, trat Hirsch gegen den Häftling, um ihn zum Schaukeln zu bringen. Nach ei- niger Zeit kam Arnt wieder ... er schaukelte ihn wieder an und der Italiener schrie vor Schmerzen. Da ging ich, weil ich das nicht länger mit ansehen konnte, und ich weiß nicht wie lang er da hing. Danach kam er noch in den Stehbunker.“ „Über den Kapo [Kraus, Name geändert] berichtet ein Anwohner, er habe Häftlinge > so geprügelt ..., dass sie geschrien haben. Da war so eine Halle, da hat er sie in die Halle hinein, und da hat er sie so geschlagen, dass sie gebrüllt haben, dass wir es [draußen] noch gehört haben< 89 “ Über die Kenntnisse des Außenwelt stellt die Schülerarbeit fest: „Das Außenlager war den Ottobrunner Bürgern bekannt, nachdem es am Rand einer größeren Wohnsiedlung lag.“ Zum Ende des Konzentrationslagers heißt es: “Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner wurde der größte Teil [der Gefangenen] noch nach dem Süden abtransportiert. Die ver- bliebenen Häftlinge befreiten sich selbst“. 90 An den Transport nach Süden, der auch als „Todesmarsch“ bezeichnet wird erinnert z. B. in Grünwald eine eindrucksvolle Plastik. Die Männer mussten wohl am 30.4.1945 von Ottobrunn aus über , Hofolding, Dietramszell, Kirchbichl, Ellbach, Bad Tölz, Greiling, Reichersbeuern bis Waakirchen marschieren, wobei von der SS unter- wegs mindestens 15 Menschen (aus Ottobrunn oder anderen Lagern) erschossen wur-

89 Martin Wolf: „Im Zwang für das Reich“, Ottobrunn, 1997 90 Peter Pfister (Hrsg.): „Die Kriegs- und Einmarschberichte“, Regensburg, 2005 28 den. Am 1. Mai wurden die Gefangenen wahrscheinlich bei Waakirchen von amerikani- schen Soldaten befreit. 91

Rassehygiene

Hitler und die NSDAP hielten die „Reinhaltung der Rasse“ für ihre wichtigste Mission. Sie waren der Überzeugung, den Volkskörper durch rechtzeitige staatliche Eingriffen, wie Sterilisationen, vor erblich bedingten geistigen und körperlichen Krankheiten schüt- zen zu müssen. Gedanken, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert (und seit Dar- win und Mendel) überall, vor allem auch in den USA, populär waren. Die Nazis beließen es aber nicht bei Sterilisationen, sondern praktizierten auch die „Vernichtung lebensun- werten Lebens“ (was 1920 schon zwei deutsche Hochschullehrer in einem Buch gefor- dert hatten). Josef Prenn, der Bürgermeister von Unterhaching, gab in einem Fall, entsprechend der oben beschriebenen NS- Mission, den Anstoß: Unter dem Betreff „Unfruchtbarma- chung“ schrieb er im Januar 1936 an das Staatliche Gesundheitsamt München- Land: „Die Familie [Aussig, Name geändert] in Ottobrunn... hat in ihrer Familie schwere Krankheiten aufzuweisen, die den Verdacht rechtfertigen, dass es sich um erbliche Krankheiten handelt. Eine 26-jährige Tochter ist vollkommen geistesgestört, eine 25- jährige [Tochter hat eine] Rückgraterkrankung und ein 12-jähriger Sohn [hat] Knochen- markeiterung .. Ich halte dafür, dass Sie in dieser Angelegenheit einmal diesbezügliche Untersuchungen einleiten.“ 92 Der Bezirksarzt beim Bezirksamt München beantragte auch sogleich die Sterilisation der Frida Aussig aufgrund des „Gesetzes zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses vom 14.7.1933“ (nicht aber Maßnahmen gegen ihre Geschwister) . Die NS- Justiz hatte zum Vollzug dieses Gesetzes beim Amtsgericht München ein spe- zielles Erbgesundheitsgericht geschaffen. Die mit einem Berufsrichter und 2 Ärzten be- setzte Erste Kammer beschloss im Mai 1936 in der üblichen Geheimsitzung die Un- fruchtbarmachung der Frida Aussig anzuordnen. Man stützte sich dabei auf die Diagno- se „Schizophrenie“ und postulierte: „Nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß ihre Nachkommen an schweren geistigen Erbschäden leiden werden.“ Der operative Eingriff wurde dann im August im Schwabinger Krankenhaus durchgeführt. Der standardisierte ärztliche Bericht dazu gibt

91 Andreas Wagner: „Todesmarsch“, www.a-wagner-online.de, Geretsried 2001 92 SA, LRA 20287 29 die falsche Diagnose „angeborener Schwachsinn“ an, was zeigt, wie grobschlächtig man arbeitete. Frau Aussig verstarb 1940 bei ihren Eltern in Ottobrunn; die eigentliche Todesursache ist nicht überliefert 93 . Auch die Eheleute Stelter (Name geändert) aus Taufkirchen, beide über 40 und, wie es heißt, leicht geistig behindert, wurde abgeholt und sterilisiert. „Nach diesem schlimmen Ereignis sind sie dann bald verstorben.“ 94 Frau Eva Steinlein (Name geändert) war 6 Jahre lang in der Anstalt Eglfing- Haar unter- gebracht. Am 24.1.1941 kam sie mit einem Transport ins österreichische Schloss Hart- heim, wo sie mit Giftgas getötet wurde 95 Der Witwer erhielt 2 Wochen später „ die Mit- teilung, dass seine Frau ... am 7.2. 1:30h gestorben sei“. Bereits am folgenden Tag war ihr Leichnam ohne Benachrichtigung der Familie eingeäschert worden. Die Urne traf kurze Zeit später in München ein und wurde auf dem Friedhof am Perlacher Forst beigesetzt. 96 Ein weiters Euthanasieopfer ist offenbar Herr Ullrich Stein (Name geändert). Zunächst kam er in die klösterliche Pflegeanstalt Schönbrunn bei Dachau. Am 17.6.1941 wurde er nach Haar gebracht. 3 Tage später transportiert man den Patienten in „eine Reichs- anstalt“, wahrscheinlich auch die Euthanasieanstalt Hartheim, wo er umkam. Im Schloss Hartheim wurden etwa 30.000 Kranke mit Giftgas ermordet. Für ganz Deutschland schätzt man die Zahl der getöteten behinderten oder unheilbar Kranken auf 80.000. 97 Nach Protesten aus der Bevölkerung wurde die erste, zentral aus Berlin gelenkte Euthanasieaktion im August 1941 abgebrochen. Danach kam es zu dezentralen Tö- tungsaktionen in den Heilanstalten. Die Opfer wurden jetzt durch systematischen Nah- rungsreduktion, nach dem „Hungerkosterlaß“ des Reichsinnenministeriums vom No- vember 1942, so weit geschwächt, dass sie an Krankheiten starben. Zu diesen gehört wahrscheinlich Frau Ida Ernst (Name geändert) aus Ottobrunn. Sie war an Schizophrenie erkrankt.

93 SA, Gesundheitsämter Nr. 5077 94 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933-1945)“, unveröffentliches Manuskript 95 Mitteilung des Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim vom 4.4.2008 96 SA, Amtsgericht München Nr. 1954/ 2172 97 Deutsches Hygienemuseum Dresden (Hrgb.): „Tödliche Medizin im Nazionalsozialismus“, Böhlau-Ver- lag, Köln 2008 30

(Foto: Archiv des Bezirks Oberbayern) Ida Ernst aus Unterhaching- Ottobrunn in Haar

Der zuständige Bezirksarzt berichtete: „[Ida Ernst] wurde durch die Heil- und Pflegean- stalt Eglfing – Haar am 4.1.35 unfruchtbar gemacht.“ 1938 wurde sie erneut in Haar eingeliefert, wo sie 6 Jahre später, auf 31 Kilogramm ab- gemagert starb; Diagnose: „Lungentuberkulose“ .98 Eine Zeitung berichtete kürzlich: „Die Ärzte im Klinikum Haar machten sich während des Nationalsozialismus mitschuldig an der Tötung tausender psyschisch Kranker... Der Direktor des Klinikums, Herrmann Pfannmüller, galt als aktiver Vorkämpfer der NS- Rassenideologie. Als ... das >Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses< verab- schiedet wurde, veranlasste er , dass 1700 Patienten sterilisiert und mehr als 3000 Pa- tienten durch Deportation in eine Vernichtungsanstalt, durch Vergiftung mit Medikamen- ten und in Hungerstationen ihr Leben lassen mussten. Darunter waren auch 332 Kin- der... Auch 2029 Erwachsene mussten direkt durch Pfannmüllers Begutachtungen, die er in Haar durchführte, sterben.“ 99

Antisemitismus

Die Ablehnung alles Jüdischen wird ersichtlich aus einem Beschluß des örtlichen Ge- meinderates vom Herbst 1938: Mit sofortiger Wirksamkeit wird die Auerbachstraße in „Hochäckerstraße“ umbenannt. Begründung: „Die Erhebungen haben ergeben, dass

98 OA, Heil-und Pflegeanstalt Eglfing/ Haar, Patientenakte 6006, SA LRA 20263, SA AG München, Erb- gesundheitsgericht 1934/ 252 99 Süddeutsche Zeitung , Landkreisausgabe Süd vom 23./24.8.2008 31 die ursprüngliche Straßenbezeichnung auf einen Juden zurückzuführen ist.“ 100 Das war folgerichtig, nachdem im Gemeindeblatt ja festgestellt worden war: „Der Jude hasst dieses neue, starke, selbstbewusste und schöne nationalsozialistische Deutschland wie sonst nichts auf der Welt...“ In einer Anordnung zur Reichtagswahl im Jahr 1936 wird bestimmt: „Juden sind nicht wahlberechtigt“. Aus dem bayerischen Oberland berichtet man: „Am Sonntag dem 5. August [1935] zog eine große Gruppe unter Vorantritt einer Musikkapelle durch ganz Tölz unter Mitführung eines Transparents: >Juden sind hier unerwünscht, Bad Tölz will keine Juden<“. 101 Einen Hinweis auf die Freiwildsituation der jüdischen Bürger gibt auch der Monatsbe- richt des Regierungspräsidenten von Oberbayern- als „willfähriger Teil der nationalso- zialistischen Staatsverwaltung“ (Hermann Rumschöttel)- über Ereignisse im Rahmen der Pogrome im November 1938, in dem es heißt: „Die Empörung über dieses Verbre- chen [dem Mord des 17-jährigen Herschel Grynspan an dem deutschen Gesandt- schaftsrat in Paris] war allgemein. Die im Anschluss daran getroffenen politischen Maß- nahmen waren in den einzelnen Orten mit jüdischen Einwohnern verschieden. Zumeist wurden die Juden zur sofortigen Abreise veranlasst, da für ihre Sicherheit keine Ge- währ mehr bestehe. Verschiedentlich mussten sie auch eine Erklärung unterschreiben, nie mehr zurückzukehren und ihren Grund- und Hausbesitz durch Verkauf aufzugeben. Ein Teil der Juden wurde festgenommen und der Gendarmerie übergeben, was zur Verhaftung und zur Überstellung an die Staatspolizeileitstelle München führte.“ 102

Zwei Unterhachinger Bürger waren unter den Verhafteten: Fanny Schnurmann und ihr Sohn Emil Schnurmann. Auf Weisung von Gestopochef Heydrich wurde die Schutzhaft für „Frontkämpfer“ am 28.11.1938 und für ältere Häftlinge am 12.12.1938 aufgeho- ben. 103 Fanny Schnurmann, geboren in Heidingsfeld als Franziska Adler, 83 Jahre alt, überleb- te die Strapazen der Haft nur um wenige Wochen: sie starb im Januar 1939.

Ihr Sohn, Emil Schnurmann, wurde am 22.11.1889 in Karlsruhe geboren. Er hatte nach dem Abitur in Heidelberg Kunstgeschichte studiert. Selbst beschrieb er sich: „Ich bin evangelisch-lutherisch seit 1913, kriegsfreiwilliger Frontkämpfer, Leutnant d. R. a. D. im Inf. Reg. 98, Inhaber des EK. I. u. II, Verwundetenabzeichen u. a. Auszeichnun- gen.“ 104

100 GU, GR-Sitzung am 25.11.1938 101 HA, MA 106670 102 HA, MA 106671 103 Kropat 1997, S. 141, zit. nach Heusler, Weger: „Kristallnacht“, Buchendorfer Verlag, München 1998 104 SA, OfinD 7268 32

Als „Stand“ des Schnurmann wird in den amtlichen Unterlagen nacheinander angege- ben (und damit sein schrittweiser gesellschaftlicher Abstieg gekennzeichnet): „Kunst- historiker, Gutsbesitzer, Gärtner, Zwangsarbeiter“ 105

Emil Schnurmann (Foto: Stadtarchiv München)

Der Nazistaat steckte riesige Geldmengen in die Aufrüstung, die großteils über Kredite finanziert wurden. Als dies an erste Grenzen stieß, kam man auf die Idee, die Lücken mit dem Geld der jüdischen Bürger zu schließen. Die Verordnung vom 26.4.1938 „zwang die Juden, ihr gesamtes Vermögen detailliert gegenüber den Finanzämtern zu deklarieren, sofern es 500 Reichsmark überschritt.“106 Emil Schnurmann gab den Wert seines Anwesens, Tegernseer Landstraße 106 (heute Münchner Straße 8) mit 20.000 RM und sein Gesamtvermögen mit rund 22.000 RM an. Das Finanzamt München- Land errechnete daraus die „Judenvermögensabgabe“ von 20 % also 4.400 RM. Kurze Zeit später wurde die Vermögensabgabe um weitere 5 Prozentpunkte erhöht, d.h. weitere 1100 Mark wurden fällig. Schnurmann erreichte aber eine Abminderung, da seine „jüdische“ Immobilie inzwischen im Marktwert von 20.000 auf 15.000 RM gefallen war. Der Logik zum Trotz, wurde aber von Schnurmann jetzt noch die neu erfundenen „Wertzuwachssteuer“ verlangt : zu zahlen waren weitere 3.000 Mark. Auch bekommt Schnurmann jetzt Besuch von der Unterhachinger Polizei, um nachzu- schauen, ob er vielleicht Vermögenswerte verschwiegen habe. Bei der Gelegenheit äu- ßerte Schnurmann, dass er nach England oder Argentinien auswandern möchte.

105 SM, Auskunft aus der Datenbank über die Opfer des Holocaust; SA (Hrsg.): „Biographisches Erinne- rungsbuch Münchner Juden 1933- 1945“, München 2007 106 Götz Aly: „Hitlers Volksstaat“, S Fischer, Frankfurt 2005 33

Um das Geld aufzubringen, dass das Finanzamt im Auftrag des Staates von ihm ver- langt, entschließt sich der jüdische Mitbürger sein Anwesen an seinen freundlichen Nachbarn Bertram (Name geändert) zu verkaufen. Hier nun greift Josef Prenn ein: Er berichtet im Gemeinderat: „Herr Bürgermeister gab zu Kenntnis von dem Grundverkauf des Juden Schnurmann an Herrn [Bertram] unter Umgehung der Gemeinde. Im Einvernehmen mit der Kreisleitung der NSDAP konnte der Kauf rückgängig gemacht werden und besteht die Aussicht, das Gebäude nebst Grundstück der NSV zu vermitteln...“ Zwei Monate später beschließt man: „Das Anwesen des Juden Emil Israel Schnur- mann Unterhaching, Tegernseerlandstraße 106 wird von der Gemeinde Unterhaching käuflich erworben. Der Kaufpreis von 15 000 RM sowie die notwendigen Nebenkosten werden genehmigt... Das Anwesen ... wird voraussichtlich als Kindergartenheimstätte umgebaut... “ 107 Der Kindergarten wurde dann auch eingerichtet, Eigentümer wurde aber die National- sozialistische Volksfürsorge (NSV). Herr Ganter, der ehemalige Kreisarchivpfleger, ver- mutet, die NSV habe aus ideologischen Gründen nicht direkt mit einem Juden Geschäf- te machen wollen und habe daher die Gemeinde „vorgeschickt“. Ab Juni 1945 übernahm die Gemeinde Unterhaching dann (wahrscheinlich kostenlos nach Liquidierung der NSV) das Anwesen und den Kindergarten. 1952 wurde sie dann auch grundbuchamtlich Eigentümerin der Immobilie, welche sie 2 Jahre später an einen privaten Käufer veräußerte. Der von der Gemeinde aus dem Verkauf der „jüdischen“ Immobilie erzielte Gewinn wurde nicht veröffentlicht 108 Nach dem Verlust seine Wohnstatt und ohne Arbeitsmöglichkeit –nach Erlass der Ver- ordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben am 12.11.1938 waren ihnen fast alle Berufe verschlossen- bestreitet Schnurmann nun seinen Lebensunterhalt „auf das einfachste durch den Verkauf [der] Möbel...“. Da der Kaufpreis für sein Haus auf ein Sperrkonto kam, konnte er nicht aus Deutschland ausreisen, da ihm das Geld für die Fahrt und für die dann anfallende perfide „Reichsfluchtsteuer“ nicht zur Verfü- gung stand. Aufgrund des Gesetzes über die Mietverhältnisse der Juden vom 30.4.1939 ist Schnur- mann im Mai 1940 gezwungen Unterhaching zu verlassen und in das „Judenhaus“ in der Frauenstraße 24 in München zu ziehen. Es gab in München etwa 30 solche Miets- häuser, die jüdischen Bürgern gehörten, die gezwungen wurden, anderen Juden in großer Zahl Unterkunft zu geben. Dies war die Vorstufe zur angestrebten >judenfreien Stadt<“109 .

107 GU, GR-Sitzungen am 20.7. u. 10.9.1939 108 Auskunft von Bauamtsleiter Bauer, Unterhaching, am 12.2.2006 109 SZ vom 25./26.3.2006 34

In Berg am Laim und Milbertshofen wurden nun Zwangslager eingerichtet. Schnur- mann wird in das beschönigend „Heimanlage“ genannte Getto in Berg am Laim einge- wiesen, dass er nur zur Zwangsarbeit in einer Gärtnerei in der Ismaninger Straße ver- lassen durfte. Die Insassen mussten Ihre Ausweise abgeben und waren damit aus der sozialen Existenz ausgestoßen.

Das Lager Berg am Laim war in 2 Stockwerken im Klostergebäude der Barmherzigen Schwestern errichtet worden. „320 jüdische Menschen [waren dort] auf engstem Raum zusammengepfercht, unten im Erdgeschoß die Männer, im ersten Stock die Frauen.“ Die Lager mussten unter Naziaufsicht von der Israelitischen Kultusgemeinde betrieben werden. Nachdem Proteste gegen die Gewaltmaßnahmen völlig wirkungslos geblieben waren, verzichtete die Kultusgemeinde darauf. Der Historiker Erich Kasberger kommentiert: „Diese Züge der Resignation der Kultusgemeinde haben sicherlich auf tragische Weise den reibungslosen Weg der Münchner Juden in die Deportation erleichtert“ Und: „Das Hinwegsehen der Bevölkerung [bedeutete] letztlich Einverständnis mit den Verhältnis- sen.“ 110 Frau Dr. Else Behrend- Rosenfeld und 3 Männer wurden als Heimleitung bestimmt. Sie versuchte das beengte Zusammenleben der Menschen in möglichst geordnete Bahnen zu lenken. 111 Die Gefangenen müssen für „Kost und Logie“ selber aufkommen: Sie ha- ben 10 Pf pro Essen und 50 Pf für die Übernachtung aufzubringen, notfalls muss die jü- dische Gemeinde einspringen, die auch die Möbel zu beschaffen hatte. Im November 1941 wird Schnurmann in das Lager überführt, das Juden in Zwangsar- beit in Milbertshofen errrichtet hatten. Dort wird vom geprüften Gerichtsvollzieher beim Amtsgericht München ermittelt, dass sein Besitz jetzt nur noch 3.100 RM beträgt. (Der Erlös für sein Haus auf den Sperrkonnto wird ihm anscheinend schon gar nicht mehr zugerechnet!) Der Unterhachinger erhält im Lager die Verfügung zugestellt, dass sein Besitz auf- grund des „Gesetzes über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens“ vom 14.3.1933 dem deutschen Staat anheimfällt, sobald er deutschen Boden ver- lässt. 112 Dies geschieht am 20.11.1941: Schnurmann war einer von den 980 Menschen, die damals in der ersten Deportation aus München nach Litauen „evakuiert“ wurden. 113 Die Bahnfahrt dauerte 3 Tage. Männer, Frauen und Kinder sperrte man in Kaunas in die dortige alte Festung ein.

110 Knauer, Kasberger: „Berg am Laim“ Volksverlag, München 2007 111 Erich Kasberger et.al. im Lesebuch zur Geschichte des Münchner Alltags, Buchendorfer Vlg. 1987 112 SA, FA 19245, OfinD 7268, die 11. VO zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 bestimmte, dass bei jeden Grenzübertritt das Vermögen von Juden dem Staat verfällt. 113 Orphis Wiesen: „Die jüdischen Gemeinden in Bayern“. Aus 16 Städten im „Altreich“ und der CSR wurden im Spätherbst 1941etwa 50.000 Juden „in die Gegend von Riga und Minsk abgeschoben.“ 35

Tags darauf wurden die Menschen auf einem Feld, wo Erdgruben ausgehoben waren, mit Maschinengewehren erschossen. Ingesamt wurden am 25.11.1941 in Kaunas fast 3.000 Juden getötet. Die Gesamtzahl der in Kaunas Ermordeten wird auf 50.000 ge- schätzt. Es heißt: „Hier vollzog sich im Sommer 1941- zu einer Zeit also, als noch kei- nes der Vernichtungslager seinen tödlichen Betrieb aufgenommen hatte- der Übergang von pogromartigen Ausschreitungen zum systematischen Völkermord.“ 114

Die Deutsche Bank, Filiale München schrieb ein halbes Jahr später an den Herrn Ober- finanzpräsident, Dienststelle für Vermögensverwertung: „Wir gestatten uns darauf hin- zuweisen, dass uns bisher von einer Evakuierung des Genannten [Emil Schnurmann] nichts bekannt war, und bitten Sie uns dies der Ordnung halber zu bestätigen.“ Emil Schnurmann hinterließ keine Nachkommen. Entschädigungsanträge nach dem einschlägigen Bundesgesetz wurden nicht gestellt. 115

Ein dritter Bürger jüdischer Abstammung war der SPD- Vorsitzende und Bäckermeister Erhard Süß. Er wurde im Frühjahr 1933 aus dem Gemeinderat hinausgedrängt. Weite- res über sein Schicksal war nicht zu ermitteln. Vielleicht ist es ihm gelungen, sich au- ßerhalb Deutschlands rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.

Im August 1936 vermerkt das Gemeinderatsprotokoll, dass der Gemeindepfarrer von sich aus anbietet: „die Kirchenbücher für die Sippenforschung auszuwerten.“ Übertreibt Martin Gailus, wenn er dies als „ kirchliche Amtshilfe bei der Judenverfolgung im >Drit- ten Reich< charakterisiert“? 116

Aufmärsche und Feiern

Die NSDAP entwickelte eine große Fertigkeit darin, auch in den Dörfern Veranstaltun- gen durchzuführen, um die Menschen für sich und ihre Ziele zu gewinnen. Ein Teil der Aufmärsche und Feiern in Unterhaching ist in den Dokumenten belegt. Das die Werbe- wirkung gegeben war, lässt sich belegen durch die hohen Zustimmungsraten bei den Volksabstimmungen; inwieweit sich Verdruss einstellte, wegen eines Zuviel an Aktio- nen, ist nicht mehr feststellbar. Dass Hitlers Machtergreifung im Dorf gefeiert wurde, ist weiter oben bereits nachzule- sen. Ein Großereignis findet im August 1933 in Unterhaching statt: ein „Staatsbegräb-

114 G.R. Ueberschär (Hrgb.): „Orte des Grauens, Verbrechen im 2. Weltkrieg“ Primus Vl. Darmstadt 2003 115 Zuletzt Auskunft der Bundeszentralkartei bei der Bezirksregierung in Düsseldorf im April 2006 116 Manfred Gailus: „Kirchliche Amtshilfe. Die Kirche und die Judenverfolgung im Dritten Reich“, Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2008 36 nis“ für den Hitlerjungen Walter Pröbstle, der bei einem Unwetter in einem Zeltlager der HJ auf der Theresienwiese in München gestorben war. Eine Zeitung berichtet: „Vom Krankenhaus Schwabing aus [überführte man die Leiche des Walter Pröbstle] in seinen Heimatfriedhof nach Unterhaching, wo man ihm am Nachmittag des Mittwochs auf Staatskosten ein feierliches Begräbnis bereitete. Unter- hachings Häuser hatten zur Abschiedsstunde ihre Fahnen halbstock gesetzt und mit Trauerwimpeln geschmückt. ... Staatsminister [Gauleiter] Adolf Wagner trat dann vor. ...: > Wir stehen am Grabe eines jungen deutschen Soldaten. Er ist gefallen um Deutschland. Alles hatte die Gebietsfüh- rung getan, um die Sorge für die Jungen tragen zu können. Trotzdem wollte das Ge- schick, dass einer fallen musste und eine Reihe von Jungens heute noch verwundet im Krankenhaus liegen(!). Wir wollen nicht hadern mit dem Geschick. Wir wollen mutig das Geschick tragen, wie es Soldatenart ist. Wir wollen uns beugen unter dem, was der Herrgott uns schickt, wissend dass es im- mer recht und gut ist. Wir wollen Soldaten bleiben, die notwendig sind, damit das Werk vollendet werden kann, dass uns das Schicksal auferlegt hat. Zwei Millionen mussten im Feld fallen, rund 300 Kameraden fielen in den letzten 14 Jahren. Zwei Hitler- Jungens hat das Schicksal aus unseren Reihen herausgelöst. So musste es sein und wir wollen starke Menschen sein und uns rüsten, Ihr von der S.A. und Ihr Männer und Frauen, für unseren Teil bereit zu sein, wenn das Geschick von uns das gleiche fordern sollte... Wir wollen würdig sein der großen Vorbilder. Und Ihr Jungens, seit würdig dem(!) toten Kameraden, der hier liegt. Es geht um Deutschland und um Deutschland ist kein Opfer zu schade...< In schier unendlicher Reihe traten nach Adolf Wagner die Kameraden zum letzten Ab- schied an. ... Im Namen der O. Gr. Unterhaching der N.S.D.A.P. nahm deren Führer Dr. Fladt Abschied ... Der Gemeinde Unterhaching Kranz legte zweiter Bürgermeister Prenn nieder ... Hitler-Jungen, Jungvolk, S.A. und S.A.R., S.S. und Stahlhelmkameradschaft, Deutsche Mädels, die S.A.- Führung „Hochland“, die S.A.- Brigade München- Oberbayern, die N.S.D.A.P.- Frauenschaft, die Braunen Schwestern, die N.S.D.A.P.- Kriegsopfer, die Gendarmeriebeamten des Bezirks, alt und jung traten zum letzten Gruße an und alle hinzogen. 117 “ brachten Blumen, während die letzten Abschiedsweisen über die Stätte des Friedens Der mächtige Gauleiter Wagner macht sich den Tod des Unterhachinger Jungen zunut- ze: Aus dem Sterben im Gewittersturm macht er Kriegsgeschehen. Der Tote wird fast in die Reihe gestellt mit den Parteimärtyrern vom „Marsch auf die Feldherrnhalle“ des Jah- res 1923. Hier wird schon sichtbar die offenbar systemimmanente Verklärung des To-

117 MNN Nr. 230, vom 25.8.1933 37 des und des toten Helden. Ein ehemaliger Hitlerjunge berichtete, dass am Eingang des „Hochlandlagers“ der HJ bei Königsdorf plakatiert war: „Wir sind zum Sterben für Deutschland geboren“. 118 Und Hellsichtige konnten aus solchen Äußerungen 1933 schon die Überzeugung gewinnen, dass Hitler Krieg bedeutet- und haben es auch ge- tan, wie beispielsweise aus den Aufzeichnungen der im November 2007 verstorbenen Unterhachinger Sozialdemokratin Maxi Besold hervorgeht. 119

Der Toten des Putschversuches von 1923 wird nun jährlich mit einem pompösen „Staatsakt“ der NSDAP auf dem Münchner Odeonsplatz gedacht, 1933 verbunden mit der Vereidigung „der Herrn Bürgermeister sämtlicher Bayer. Gemeinden“ also auch des Wilhelm Fladt. 120 In seiner dortigen Rede führte der Reichsstatthalter und angebliche Besieger der Roten Armee Ritter von Epp u. a. aus: „ In der zurückliegenden Zeit war es ja an dem, dass der Bürgermeister der Spielball der Parteien war... Wir wollen, dass der Führergedanke insbesondere in dem 1. Bürgermeister... zum Ausdruck kommt, und ihm, dem ersten Führer, die andern zu Willen zu sein haben bei der Neueinrichtung der Verhältnisse.“ 121

Im März 1934 kommt Reichskanzler Hitler zum offiziellen Baubeginn der Reichsauto- bahn München- Salzburg nach Unterhaching und Taufkirchen (Vorarbeiten begannen schon im November 1933). Er wird begleitet von seinem Stellvertreter von Papen. Au- ßerdem erschienen: Goebels, drei weitere Minister und der Reichsstatthalter von Epp. Gauleiter Wagner heißt die Gäste willkommen und betont schließlich: „Wir grüßen den Führer als Schöpfer der deutschen Einheit, als den, der als wahrhafter Sozialist den deutschen Volksgenossen wieder Arbeit und Brot gab.“ Hitler markiert den Start der „Arbeitsschlacht“ mit den vom Rundfunk übertragenen Worten: „Das Ziel ist uns gesetzt, deutsche Arbeiter fanget an!“ Es werden wenig Maschinen aber viele Arbeiter eingesetzt: Ende des Jahres sind es auf der 100 km langen Baustelle München- Siegsdorf fast 12.000. Es wird geschätzt, dass durch den Autobahnbau 250.000 Menschen Beschäftigung fanden, also immerhin 4,2 Prozent der 6 Millionen Erwerbslosen. Doch die Arbeitsbedingungen sind hart. Die beteiligten Münchner Baufirmen (von Hoch- tief bis Karl Stöhr) zahlen weniger als 80 Pf/Std, so dass etliche Arbeiterfamilien zusätz- liche Unterstützungsleistungen benötigen. Die Firmen können die Arbeiter, welche teil- weise hierher zwangsverpflichtet wurden, bei Schlechtwetter oder bei angeblicher Un- tauglichkeit oder bei Protesten mit der Androhung von Geld- oder Gefängnisstrafen dis-

118 Dr. Rothhaus in „Grünwald Chronik“ 119 Freundeskreis Maxi Besold (Hrgb.): „Mit Zivilcourage Zeichen gesetzt“, Selbstverlag, München 2008 120 SA, Schreiben des Bezirksamt München an die Bürgermeister, LRA 17818 121 Zeitgenössischer Zeitungsbericht, zitiert nach Manfred Bialucha: „Streiflichter in eine dunkle Zeit“ 38 ziplinieren oder kurzerhand entlassen 122 . Es war damals unter menschenunwürdigen Bedingungen Schwerstarbeit zu verrichten. 123 So wurde beispielsweise verlangt, dass ein Arbeiter auch bei schwierigen Bodenverhältnissen pro Tag 8 m³ Erde auszuheben hat. Bereits ein Jahr später heißt es bei der NSDAP- Ortsgruppe Unterhaching erneut: „Der Führer kommt !“ „Am Samstag, 29.Juni abends 6 Uhr findet die Eröffnung der Reichsautobahnstrecke München- Holzkirchen statt... Da die Eröffnung weit über die Grenzen des Gaues hinaus Bedeutung hat, werden alle Partei- und Volksgenossen durch Spalierbildung sich beteiligen... Volksgenossen und Volksgenossinnen, viele haben durch die Reichsautobahn Arbeit und Brot bekommen. Dies müssen wir in erster Linie unserem Führer Adolf Hitler ver- danken. Wir wollen daher auch zeigen, dass wir mit dem Führer einig sind und uns restlos zur Verfügung stellen. Es ist für uns bereits ein Bedürfnis geworden, den Führer persönlich zu sehen und begrüßen zu dürfen. Um unsere enge Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen, erwarte ich daher, dass sämtliche Deutsche Männer und Frauen sowie die Deutsche Jugend geschlossen antritt.“ Alle Dorfbewohner müssen sich, flankiert von der SS, in Marschkolonnen zur Baustelle begeben, sogar Gehbehinderte werden zum Jubeln dorthin geschafft. 124

Ende April 1935 veröffentlicht das „Amts- Blatt der Gemeinde Unterhaching- Ottobrunn“ folgenden Appell: „Der Führer hat den 1. Mai, den „Tag der Nationalen Arbeit“, zum Fei- ertag des gesamten deutschen, schaffenden Volkes erhoben. Der 1. Mai ist also Dein Feiertag, der Dich daran erinnert, dass Dir Dein Führer die gleichberechtigte Stellung im deutschen Volke gegeben hat, die Dir als schaffender, deutscher Volksgenosse zu- steht ... Der 1. Mai muß aber auch wirklich von jedem Volksgenossen durch persönli- che Beteiligung mitgefeiert werden. Der Führer ruft Dich an diesem Tage, um wieder zu Dir zu sprechen. Zeige, dass Du ein Glied der deutschen Volksgemeinschaft bist: Kom- me, um Deinen Führer zu ehren und zu hören.“ Es folgt das Programm mit Umzug, Maitanz und gemeinsamem Anhören der „Führerre- de“ 125 Auch die gleichgeschalteten Vereine trieben politische Propaganda. So schreibt z. B. der „Vereinsführer“ des Turnvereins Hachinger Tal endend mit „Gut Heil- Heil Hitler“: „An die Bevölkerung von Unterhaching und Taufkirchen!: Der Turnverein Hachinger Tal führt am Sonntag, dem 2.Juni 1935, die pflichtgemäße Olympia- Werbung [für die Spie- le im Jahr 1936] durch und zeigt … turnerische Vorführungen.“ 122 Jürgen Bauer „Arbeit und Brot, Ein Bericht über die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Baus der Autobahn München- Salzburg im Südosten Bayerns“, Facharbeit, Ottobrunn 1995 123 Richard Vahrenkamp in „Die Chiemseeautobahn“, Hist. Verein von Oberbayern, 130. Band, 2006 124 Handakten Felzmann, Schreiben der NSDAP- Ortsgruppe Unterhaching vom 27.6.1935 125 GU, Amtsblatt v. 27.4.1935 39

„Deutsche Männer, Frauen und Jugend zeigt Euer Interesse durch regste Teilnahme an dieser für deutsches Volkstum werbenden Veranstaltung! Treibt Turnen und Sport- zu Eurem und des Vaterlandes Wohl! 126

Die NSDAP- Ortsgruppe Unterhaching plakatiert zum 23./24.Juni 1935 einen „Aufruf zur Sonnwendfeier“. Den „Volksgenossen und Volksgenossinnen“ wird eingeschärft : „Der Sonnwendtag ist ein Freudenfest unserer Jugend, die sich in Spiel, Wettkämpfen und Feiern die Kraft holt, dereinst unsere Fahne weiterzutragen. Das ganze Volk fühlt sich an diesem Tage mit der Jugend verbunden und wird in einmütiger Geschlossen- heit die errungene Volksgemeinschaft bekennen! Besucht deshalb die Wettkämpfe und Veranstaltungen! Es wird ein weiterer Fortschritt zu dem Ziel sein, dessen Programm heißt: Adolf Hitler!“ Sonntags abends formiert sich daraufhin bei der Turnhalle ein Festzug zu der Feier, die in Taufkirchen- Winning abgehalten wird.

Am 6. Oktober1935 lädt die Partei im „Amts- Blatt“ wieder zum Feiern ein: Es geht zum „ERNTEDANK-FEST: Die Reichsflagge heraus! Schmückt die Häuser! Der deutsche unerschütterliche Lebenswille wird morgen Sonntag, dem Erntedanktag 1935, zum Ausdruck gebracht durch den Nährstand, den Wehrstand, den Schaffenden der Faust und der Stirn in einer Linie- unter einem Führer. Bauern und Soldaten sind die Garanten für die Sicherung von Blut und Boden, weshalb in diesem Jahr das Erntedankfest im Zeichen der Wehrhaftmachung des deutschen Reiches steht ... Aufstellung des Festzuges beim Gasthaus zur Post ... Zugordnung: HJ, JV, BDM, Schuljugend, Politische Leiter, Bauernschaft, SA, SAR, SAL, DAF, NSKOV [NS-Kriegs- opferverband], Vereine ... Abmarsch zur Turnhalle um 12.30 Uhr ... Übertragung der Feierlichkeiten vom Bücke- berg: Es spricht der Reichsbauernführer und der Führer ... 127 “ Auf dem Bückeberg bei Hameln in Niedersachsen wurde 1933- 1938 (im Krieg dann nicht mehr) das Reichserntedankfest zelebriert.

Anfang November 1935 heißt es im „Amts- Blatt“: „ZEHN JAHRE KAMPF! Am [16.u.17.11.] feiert die Ortsgruppe der NSDAP, Unterhaching ihr 10jähriges Bestehen. Die Volksgenossen wollen heute schon ihre ganze Aufmerksamkeit den anlässlich die- ser Feier stattfindenden Veranstaltungen zuwenden.“128

126 TSV Unterhaching, Festschrift zum 90jährigen Bestehen, Selbstverlag Unterhaching 2000 127 GU, Amtsblatt v. 5.10.1935 128 GU, Amtsblatt v. 2.11.1935 40

Der „Heldengedenktag“ wurde damals im Frühjahr begangen. Darüber wird berichtet: „Die Heldenfeier vollzog sich in Unterhaching unter stärkster Anteilnahme der Parteifor- mationen und –Gliederungen, der Vereine und der Bevölkerung am Kriegerdenkmal... Der Geist des Dritten Reiches gab ihnen die gebührende Ehre und hat ihre Opfer ge- adelt... Der Geist des November- Deutschland und des Pazifismus war die schnödeste Antwort auf den Opfertod der Soldaten des Großen Krieges. Es ist wieder schön ge- worden, in Deutschland zu leben und wir sind stolz und frei und glücklich geworden. “129 Das Kriegerdenkmal war im Juni 1925 im Rahmen eine pompösen Feier eingeweiht worden. Es mahnte und mahnt noch heute deutlich: „Gedenket der Toten und bewah- red den Frieden.“

Am 30.1.1937 wird von der NSDAP für den nächsten Tag eingeladen und gefordert: „Beflaggt Eure Häuser! An diesem denkwürdigen Jahrestag der Machtergreifung spricht um 13 Uhr der Führer ...Die Rede des Führers wird im Schulhaus, sowie in sämtlichen Gastwirtschaften in Unterhaching durch Lautsprecher übertragen. Sein Wort ist das der Deutschen Nation... 130 “

Im August 1939 berichtet das Amtsblatt, dass jetzt mit einem Hakenkreuzemblem ge- schmückt ist, über die Feier mit Repräsentanten der NSDAP, des Staates und der Wehrmacht anlässlich der Ernennung des Josef Prenn zum Ehrenbürger(s.oben). Au- ßerdem werden noch Termine für die Musterung und Aushebung von Wehrpflichtigen bekannt gegeben. Auch an dem Tag, den Hitler für den Kriegsbeginns mit dem Überfall auf Polen bestimmt hat, am 1.9.1939, findet eine Aushebung Unterhachinger Männern statt...

Im März 1940, nach den Anfangserfolgen der deutschen Truppen, organisiert die örtli- che NSDAP einen TAG DER WEHRMACHT im Dorf und lockt: „Sie können sich ohne Fleischmarken zum Preis von 0,50 RM. zu Gunsten des Kriegs- WHW [Winterhilfswerk] ein Wehrmachts- Eintopf- Essen sichern, wenn Sie rechtzeitig einen Gutschein bei Ih- rem Blockleiter erwerben. Die Bevölkerung wird gebeten sich zahlreich zu beteiligen und zeigt dadurch die Verbundenheit der Heimat mit der Front.“ Die Bekanntmachung im Amtsblatt schließt mit der Parole: “Deutsche! Für den Sieg ist ausschlaggebend, welches Volk sich in der Heimat am festesten mit der Front verbun- den fühlt. Auch hier werden wir Deutsche im Kriegs- WHW [Winterhilfswerk] 1939/40 stärker sein, als unsere Feinde es sich vorzustellen vermögen “ 131

129 GU, Amtsblatt v. 14.3.1936 130 GU, Amtsblatt v. 30.1.1937 131 GU, Amtsblatt v. 16.3.1940 41

Im Mai wurde jährlich der Muttertag begangen. An diesem Tag wurden Frauen, die vier Kinder geboren hatten, mit dem Mutterkreuz geehrt. Im Jahr 1941 berichtete die NSD- AP, Ortsgruppe Unterhaching, Amt für Volkswohlfahrt, an die Kreisleitung der Partei über den ungebührlichen Kommentar eines Bürgers zur durchgeführten Mutterehrung: „Am Montag, den 19. ds. äußerte sich [Horst Helfrich, Name geändert] in der Bahnhofs- wirtschaft in Unterhaching wörtlich: >Wenn meine Frau zum Zuchloasen- Verein gehen kann, dann kann ich mir auch einige Mass Bier kaufen.< Der Ausdruck ´Zuchtlaosen- verein´ bedeutet soviel wie ´Zuchsauenverein´... Sie können sich vorstellen, dass da- durch die kinderreichen Mütter in begreiflicher Aufregung sind...“ Helfrich wurde „belehrt und verwarnt“ und zur Wehrmacht eingezogen. 132

Die Inszenierung von Massenveranstaltungen- ein Charakteristikum moderner Diktatu- ren- gelang des Nationalsozialisten besonders gut. Wenn dann „Politstars“ wie Hitler und Goebels angekündigt wurden, für die man die Dörfer herausputzte und (mehr oder weniger freiwillig) Spalier stand, kannte die Begeisterung keine Grenzen. Durch „rituelle Formen der Teilnahme“ (Joachim Fest) erreichte man Mobilisierung, Bindung und Weg- nahme von Zukunftsängsten, wobei das Schicksal bedrängter Minderheiten völlig aus dem Blickfeld der Menschen geriet.

Schwester Pia

Eleonore Baur (geb. Mayr), genannt Schwester Pia, geb. 1885 in Kirchdorf bei Aibling, war 1919/20 als Sanitäterin bei verschiedenen Freikorpseinsätzen im Balikum, Ober- schlesien und Württemberg aktiv geworden. Als Elfte wurde sie Mitglied der NSDAP und nahm 1923 am „Marsch zur Feldherrnhalle“ teil, was ihr als einziger Frau den „Blutorden“ einbrachte. Heinrich Himmler bestellte sie später als Fürsorgeschwester der SS im Rang einer SS- Oberführerin. Sie hatten direkten Zugang zum „Führer“, was ihr ein besonderes Prestige verschaffte. Es gelang ihr zusätzlich zu ihrer Wohnung in München- Schwabing ein großes Grund- stück in - Furth zu erwerben. Hier ließ sie sich mit Hilfe von Gefangenen des KZ Dachau ein Holzhaus errichten, wobei sie sich Baumaterial aber auch Lebens- mittel, später Möbel im KZ „besorgte“. Während sie gelegentlich Gefangene in Dachau mit Liebesgaben und Gefälligkeiten bedachte, machte es ihr nichts aus, Zeuge von un- menschlichen medizinischen Versuchen im Lager zu werden. Auf ihrer Baustelle, wo die Häftlinge von SS- Männern bewacht wurden, quälte sie Ge- fangene. Diese mussten nahezu alle 14 Tage die Abortgrube leer schöpfen und mit

132 SA, Sta München I 6399 42

Bürste und Seife schrubben. Sie terrorisierte ihre Nachbarn und drohte immer wieder mit „Dachau“. Ein Häftling aus Wien erklärte später an Eides statt: „In Unterhaching gibt es verschie- dene Leute, die sie nach Dachau gebracht hat.“ 133 Einmal verfolgte Schwester Pia eine junge Frau, die „staatsgefährdend“ sei bis nach Taufkirchen, weil sie in einem zufälligen Gespräch mit ihr den Führer und die Wehr- macht beleidigt habe. Bürgermeister Hans Bücherl, obwohl selbst PG, versteckte die Fliehende in seinem Haus vor der wütenden Verfolgerin. 134 Schwester Pia wurde 1949 von der Spruchkammer als „Hauptschuldige“ eingereiht und zu 10 Jahren Arbeitslager verurteilt. Sie wurde aber bereits ein Jahr später aufgrund ei- nes Krankheitszeugnisses entlassen und lebte bis 1981, von Gleichgesinnten wegen ih- rer „Verdienste um Deutschland“ verehrt, in Oberhaching.

Krieg in der Heimat

Rudolf Felzmann berichtet: „Während bei den ersten [Luft-] Angriffen zwischen 1940 und 1943 ... nur leicht Schäden angerichtet wurden, fielen in der Nacht vom 6./7.9.1943 Bomben auf die Forstdiensthütte im Perlacher Forst. Zwei Menschen wurden dabei ge- tötet. Ein Tagesangriff am 2. sowie am 8.10.1943 richtete ziemliche Schäden an Häu- sern an, desgleichen ein Nachtangriff am 25.4.1944... Bei einem Tagesangriff am 9.6.1944 gab es erstmals 8 Verletzte... Ein Großangriff am [13.] Juni 1944 vormittags auf München...hatte ganz böse Folgen: Ein Bombenvolltref- fer auf das Gut der Barmherzigen Schwestern...tötete von den 30 Schwester 11 sofort, vier starben noch an den Folgen...“ Französische Kriegsgefangene, die bei den Schwestern Zwangsarbeit verrichteten, hat- ten in einem Erdbunker das Bombardement schadlos überstanden. In Ottobrunn wur- den am gleichen Tag 3 Menschen durch Splitterbomben getötet. 135 Dreizehn der im Erholungsheim Marxhof getöteten Schwestern wurden 4 Tage später im Münchner Waldfriedhof beigesetzt. In der überlieferten Grabrede des Domkapitular Grassl ist von furchtbaren Katastrophen und bitterernsten Kriegsopfern die Rede, die Frage nach Ursache und Schuld wird nicht gestellt. Am 12. und 13. Juli zerstörten oder beschädigten Fliegerbomben zahlreiche Gebäude, 34 Personen verloren ihr Obdach. „ Bomben fielen noch am 19.7.,16.11.und 22.11.1944 sowie am 7.1.1945 mit kleineren Schäden.“ 136

133 SA, SpKa, Karton 75, Bauer Eleonore 134 Peter Seebauer: „Taufkirchens schlimme Jahre (1933-1945)“, unveröffentlichtes Manuskript 135 Peter Pfister (Hrsg.) Die Kriegs- und Einmarschberichte, Regensburg, 2005 136 Heimatbuch S. 100, 101 43

Man versuchte, die Gebäudeschäden so gut es ging zu beheben. Baumaterialien waren allerdings rar. So schrieb die Gauarbeitsgemeinschaft der Dachdeckerbetriebe an den Bürgermeister, dass die meisten Dachziegelwerke wegen Kohlenmangel „schon stillge- legt sind“ . Man solle jemanden zum Ziegelwerk Meindl nach Dorfen senden, „der dort an Ort und Stelle feststellt, ob und wann die Dachziegeabgabe möglich ist“. Beim Bürgermeister und Pelztierzüchter Josef Prenn waren zahlreiche Silberfüchse ge- tötet worden. Prenn wurde vom Landrat eine Entschädigungssumme zuerkannt. Klaus Tenfelde schreibt über diese Zeit 137 : „Die Mobilisierung der Bevölkerung … war total. Sammlungen für Kriegszwecke, für das Rote Kreuz und ähnliches, >Kampfspen- den<, Umquartierungen, Fliegeralarm und Luftschutzmaßnahmen brachen Tag für Tag auf die Bevölkerung herein...“ Nach Großangriffen musste Unterhaching auch in München aushelfen. Der Einsatzlei- ter der NSDAP- Feuerwehrgruppe berichtete ans Landratsamt: „In Unterhaching wur- den 4 Löschgruppen von der Partei aufgestellt und mit TS-8-Spritzen ausgerüstet. Die Spritzen mussten- mit Ausnahme der Löschgruppe Taufkirchen- mit Jugendlichen be- mannt werden. Es hat sich gezeigt, dass von diesen die anständigen Kerle immer bei Übung und Einsatz anwesend sind, während eine Reihe von Drückebergern entweder überhaupt nie oder nur selten erschienen sind. Heute ist der Mannschaftsstand durch Einberufungen sehr gelichtet, so dass es auf jeden Mann ankommt... Wir haben keine Handhabe, gegen diese Kerle vorzugehen. Deshalb ersuchen Ortsgruppenleiter und Einsatzleiter, der Landrat möge über die drei Jungmänner Arreststrafe über Samstag- Sonntag verhängen und dem Polizeimeister entsprechenden Auftrag geben... 138 “ Ob die Strafe tatsächlich verhängt wurde, wird nicht berichtet. Der PG Fritz Schäfer (Name geändert) wurde vom NS- Ortsgruppenleiter verpflichtet, sein Auto „für den Luftkriegseinsatz zum Ziehen der TS- Spritze und zur Beförderung der Löschmannschaften in ständiger Einsatzbereitschaft zu halten und auf Abruf des Einsatzleiters Moritz Schwind (Name geändert) sofort einschießlich Fahrer zur Verfü- gung zu stellen... Betriebsstoff wird durch den Einsatzleiter vermittelt.“ Die „Partei“ bestätigte der Unterhachinger Ortsgruppe, „dass heute 1.4.45 bei der Kreisleitung die angeforderten fünf Herrenfahrräder ordnungsgemäß abgeliefert wur- den“. In einem überörtlichen Bericht heißt es : „Im Oktober 1944 rollte eine von Durchhaltepa- rolen getragene, auf den >totalen Kriegseinsatz< zielende Versammlungswelle der NS- DAP über [das Land]. Anfang November 1944 fand ein erster >Kriegsappell der wehrfä- higen Männer<, des Volkssturms, statt...Die Meldungen über das Kriegsgeschehen, über das Heranrücken der Alliierten... überschlugen sich... Im Februar 1945 wurde das

137 Klaus Tenfelde: „Proletarische Provinz, Radikalisierung und Widerstand in Penzberg/ Oberbayern 1900-1945“, Oldenbourg- Verlag, München/ Wien 1982 138 GU, A000/4 44

Standrecht über Südbayern verkündet und von Gauleiter Giesler in München ein Stand- gericht errichtet... Auch in Neubiberg stellte man noch ein Volkssturmbataillion auf. 139

Um die Wende zum April 1945 wurden schließlich die Aktivitäten jener letzten Geister- truppe des Hitler- Regimes, des Wehrwolfs, bekannt. Im Radio war ein >Wehrwolfsen- der< zu hören, der aufrief, >hinter dem Rücken des Feindes den Kampf für Freiheit und Ehre unseres Volkes fortzusetzen<.“ 140 Für Unterhaching brachte der Aufruf noch ein- mal Aufregung ins Dorf : „In der Nacht vom 29. auf den 30. April [1945] kamen ca. 200 Hitlerjungen, ein Vernichtungstrupp. Vom Bürgermeister wurde verlangt, dass er ihnen Quartiere beschaffe oder sie nach Sauerlach weiterbefördere.“ Der Bürgermeister tat das letztere. Und dann: „Am Abend des 30. April um 6 Uhr... kamen 2 große Personenautos voll Waffen- SS, stiegen beim N.N., ganz neben der Kirche, aus, 2 gingen auf den Kirch- turm... Der Herr Bürgermeister trat in [Verhandlungen] mit dem SS- Major, der betrun- ken war. Er ließ sich zwar wenig einreden, zog es aber vor, mit einem requirierten Auto das Weite zu suchen... Die SS zog um 8 Uhr und mit dem anderen Auto um halb 9 Uhr abends wieder ab... In der Nähe des Johanneshauses [heute: Polizeigebäude] leisteten SS- Männer mit Panzerfäusten Widerstand... Das Johanneshaus wurde von den Amerikanern beschos- sen...“ Die SS- Leute gaben auf, so dass die im Haus waltenden Schwestern die weiße Fahne hissen konnten. In dem zeitgenössischen Bericht heißt es aber noch: „ Bis über Mitternacht hinaus hörte man noch Schießen von der Autobahn her. Offenbar bekamen die Amerikaner von Seiten der SS noch weiteren Widerstand“ 141

Im Perlacher Forst hatte ein SS-Trupp eine Panzersperre errichtet. Die Amerikaner hat- ten aber in Flugblättern, die sich an die Bürgermeister richteten, verlangt, Barrikaden zu beseitigen. Andernfalls drohten sie nichts weniger als die Zerstörung der Orte an. Josef Prenn veranlasste daher, dass einige beherzte Männer das Hindernis in der Nacht be- seitigten. 142 Die amerikanische Armee hatte am 30.April bereits den Fliegerhorst Neubiberg erreicht. Neubiberg selbst, Ottobrunn und Unterhaching wurde am 1. Mai besetzt, ohne dass sich noch einmal Widerstand gezeigt hätte. In Taufkirchen, wo für fast 1000 deutsche Soldaten ein provisorisches Auffanglager entstand, zogen die Sieger erst 2 oder 3 Tage später ein...

139 SA, Spruchkammerakten, Karton 1730, Anton Schwarz 140 Klaus Tenfelde: „Proletarische Provinz“ s.o. 141 Peter Pfister (Hrgb.), Einmarschberichte 1945 (s.o.), Unterhaching, St. Korbinian 142 Heimatbuch S. 102 45

Die grobe Bilanz des Krieges: An der Front und in der Heimat verloren etwa 250 Unter- hachinger Gemeindebürger ihr Leben. 143 Das Dorf musste bis 1954 fast 3000 Flüchtlin- ge aufnehmen. 144

Widerstand

In letzter Zeit wird unter Historikern der Begriff Widerstand weit ausgelegt, also nicht nur auf aktive Handlungen sondern auch beispielsweise angewendet, wenn jemand sei- ne Skepsis gegenüber dem NS- Regime dadurch manifestiert, dass er „Feindsender“ abhört. So soll hier auch vorgegangen werden, denn immerhin bedurfte es persönlichen Mutes und der Risikofreude selbst für diesen „kleinen Widerstand“. In diesem Sinn ist auch ein Ansatz von Widerstand ist zu vermuten beim Jubiläumsheft „50 Jahre St. Otto“, in dem es heißt: „Am 7. Februar 1933 rief Expositus O. Mayer den kath. Männerverein Ottobrunn ins Leben mit der Begründung, dass es >in der Zeit der allgemeinen Zusammenschlüsse der Organisationen auch eine Front der kath. Männer geben müsse<. Inwieweit der Verein zunächst politisch diskutierte, ist nicht bekannt. Es heißt allerdings: >nach wenigen Jahren geriet dieser Verein mehr und mehr in die Kon- trolle der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei<“. 145

Ohne Zweifel zum Widerstand sind von Anbeginn an die Unterhachinger Kommunisten zu zählen. Der Hilfsarbeiter Johann Ott wurde mit einer Reihe anderer Parteifreunde im März 1933 ohne Anklage verhaftet („Schutzhaft“). Er war 1932 Chef der neuen Unter- hachinger Ortsgruppe der KPD geworden. Er hatte sich als Mitarbeiter der Roten Hilfe und des Erwerbslosenausschuss (EO) betätigt. 146 Außerdem hatte er 1933 mit anderen versucht einen „Kampfbundes gegen die faschistische Gefahr“ im Dorf zu gründen. 147 Die Gründungsversammlung in der Gastwirtschaft „Kriegersiedlung“ war vom Bürger- meister als Ortspolizeibehörde eilfertig an das Bezirksamt München gemeldet worden. Johann Ott zog sich den besonderen Hass der Nazis zu, da er zum Schein der NSDAP beitrat, um dort „Spionage“ zu betreiben. 148 Ott gab 2 Jahre später bei der Unterhachinger Polizei zu Protokoll: „Am Dienstag, den 13. August 1935, gegen 22,30 Uhr klopfte jemand an meiner, im Hause Nr. 70 im 1. Stocke gelegenen Wohnung. Als ich die Wohnungstüre öffnete, standen drei Männer

143 Heimatbuch S. 103 dazu die Opfer aus Euthanasie und Judenverfolgung 144 Heimatbuch S. 110 145 Festschrift 50 Jahre St. Otto, Ottobrunn 1987, S. 8 146 SA, LRA 58164 147 SA, LRA 58092 148 SA, LRA 148581 46 vor der Wohnungstüre, von denen zwei meine Wohnküche betraten ... Einer der einge- tretenen Männer zeigte mir flüchtig einen Ausweis und sagte: > Politische Polizei <. Er erklärte, dass ich mich sofort ankleiden und mitgehen müsse... Nachdem ich mich an- gekleidet hatte, musste ich mit diesen Polizeibeamten, welche bürgerliche Kleidung tru- gen, mitgehen. Die Herren gingen auf der Forststasse bis zu der etwa 300 m entfernten Adolf- Wagner- Straße, wo ein Personenwagen stand, in welchem ich Platz nehmen musste. Die Polizeibeamten ... brachten nach kurzer Zeit noch einen zweiten Mann (der Maurer Andreas Kneißl)... Die Fahrt ging tief in den Wald hinein bei Peiß, wo der Kraftwagen angehalten wurde. Dort hieß es aussteigen. Ein Wachtmeister entsicherte seine Pistole und sagte, ich sol- le mich auf den Bauch zu Boden legen. Dies tat ich nicht. Daraufhin erhielt ich einen derart kräftigen Schlag auf den Kopf, dass ich zu Boden stürzte. Am Boden liegend schlugen nun drei oder vier dieser Polizisten mit Ochsenfiesel und Stahlruten auf mich ein. Als sie mich genügend geschlagen hatten, gaben sie dem Andreas Kneißl ... einen Ochsenfiesl in die Hand mit dem Auftrag auf mich einzuschlagen, was Kneißl auch tat... Sodann wurde Kneißl mit dem Ochsenfiesel geschlagen. Ein Wachtmeister gab mir einen Ochsenfiesel in die Hand und gab mir den Auftrag, ebenfalls auf Kneißl einzu- schlagen. Dies tat ich nicht und warf den Ochsenfiesel weg. Darauf bekam ich mit dem Ochsenfiesel einen wuchtigen Schlag auf den Kopf und wurde dadurch gezwungen auf Kneißl einzuschlagen, was ich dann auch tat. Nachdem Kneißl gezüchtigt war, kam einer der Zivilisten mit einem Kübel, welcher Teer oder Lack enthielt. Ich musste meinen Rock und Weste ausziehen, worauf mich der Zi- vilist mit dem Pinsel mit der schwarzen Flüssigkeit im Gesicht und an den Haaren und an den Händen beschmierte... Nachdem das Auto weggefahren war, suchten Kneißl und ich uns zurecht und traten den Heimweg an, wo wir dann am 14. 8. 35 um 4 Uhr herum zu Hause anlangten... Am Montag, den 19. 8. 35 erlitt ich an der Arbeitsstelle einen Ohnmachtsanfall und musste mich hernach in das Krankenhaus r. d. I. in Mün- chen begeben, wo ich mit 24.8.35 Insasse war...“ Kommisär Anton Pröbstle von der Gendarmeriestation (s. Foto im Heimatbuch, S. 348) erlaubte sich zum damaligen Zeitpunkt noch festzustellen, dass nicht Polizisten die Tä- ter gewesen waren sondern Unterhachinger Nationalsozialisten angeführt vom Orts- gruppenleiter Major Horn und seinem Geschäftsführer, dem Ersten Beamten der Ge- meinde Unterhaching, Anton Engelberth. Vier Monate nach seiner Anzeige nimmt die Bayrische Politische Polizei Johann Ott in Haft, da zwei Zeugen behaupten, er habe gesagt, er sei der Leiter der illegalen KPD 149 .

149 SA, LRA 58164 47

Ende November wird er ins KZ Dachau verbracht, wo er für seinen politischen Kampf drei Jahre lang büßen muss. 150 Der Maurer Andreas Kneißl (* 1884 in Kreith) wurde 1939 einen Monat lang in Gestapo- haft gehalten, weil er auf einer Baustelle geäußert hatte: „Heil mein Führer, wir werden alle Tage dürrer“ 151 Die Gendarmeriestation berichtete am 16.8.1935 an das Bezirksamt als Polizeibehörde unter dem Betreff: „Verschmieren von Wänden und Plakaten mit beleidigenden (!) In- halt auf die Regierung am Bahnhof Unterhaching“ , dass von Unbekannten die folgen- den Sätze auf die Bahnhofswand und zwei Propagandaplakate geschrieben worden waren 152 : „Hier grüßt man mit dem Deutschen Gruß! Heil Hitler! Schwuli Sau.“ „Das ist alles Krampf und Schmei!“ „Euch schlagen wir das Kreuz noch ab!“ Der naive Nazigegner blieb unerkannt.

Eine Frau aus Ottobrunn wurde an die Behörden verraten, weil sie auf die Melodie des Horst- Wessel- Liedes sang: „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen, zum Scheißen sind wir alle schon bereit. Es flattert Scheißpapier in allen Ecken, nur Geduld, es dauert nur noch kurze Zeit. 153

Am 19.7.1939 veranstaltete die örtliche SA eine lautstarke Demonstration vor dem Haus des Holzhändlers Hans Schober (Name geändert), weil dem in einer Mechaniker- werkstatt herausgerutscht war : “Saubande verreckte, erleben möchte ich noch, bis der Hitler und seine ganze Bande verreckt!“ 154

Die Polizei in Ottobrunn zeigt im März 1936 eine Frau an, weil sie in Ihren Haus Zusam- menkünfte abhielt und berichtet: „Zur Sache ist zu bemerken, dass Frau Sauber (Name geändert) sich um den Kirchenchor angenommen hat und sich auch sonst um kirchli- che Sachen kümmert. Aus diesen Gründen ist sie sehr häufig mit Herrn Pfarrkurat Mayer beisammen. Herr Pfarrkurat Mayer wird hier als eine Person betrachtet, die ge- gen das jetzige Regime ist, wie so viele andere katholische Geistliche... 155 “

150 Laut Angabe Archiv KZ Gedenkstätte Dachau vom 7.9.2005 151 SA, Staw 9459 152 SA, LRA 58120 153 SA, LRA 58188, zit. nach „100 Jahre Siedlungsraum Ottobrunn“, S. 17 154 SA, Staw 5063 155 SA, LRA 58200 48

In einem Bericht der Reg. v. Oberbayern an die Polizeiorgane aus dem Juni 1938 fin- den sich die Sätze: „Beim Patronatsfest in Ottobrunn malte der Prediger ein Bild von Pest, Hunger und Krieg ... Wenn auch vom Frieden gesprochen würde, so rüste doch jedes Land auf und die Gefahr des Krieges sei gegenwärtig sehr groß. Der Prediger (Otto Mayer) erwähnte auch die Kirchenaustritte ... und erklärte, dass der Unglaube, der früher eine private Angelegenheit gewesen sei, heute organisiert werde ... 156 “ In einem Gemeinderatsprotokoll heißt es wohl daher: „Im Siedlungsgebiet Ottobrunn war als Gemeindewaisenrat Herr Expositus Mayer tätig. Infolge seiner politischen Ein- stellung ist derselbe für die Zukunft untragbar geworden. Auf seine weitere Mitarbeit wird verzichtet. Mit sofortigen Wirkung wird auf Vorschlag des Ortsgruppenleiters der NSDAP, Pg. Reisewitz, Herr Hans Huber (Name geändert) in Ottobrunn zum Gemein- dewaisenrat für Ottobrunn ernannt.“ 157

Otto Mayer war von 1929 bis 1939 Seelsorger in Ottobrunn. In seine Amtszeit fiel der Bau und die Einweihung der Kirche St. Otto (1937). Auch sein Nachfolger, Pfarrkurat Anton Ferstl- er amtierte bis 1950- hatte Probleme mit den Nazis: 158 Ferstl war bereits im Jahr 1933 in Rosenheim 7 Stunden lang festgesetzt, mit einer Pistole bedroht und von SS- Leuten geschlagen worden, weil er mit Jugendlichen eine Wanderung unter- nommen hatte. 159

(Fotos: Gemeinde St. Otto) Die Seelsorger Otto Mayer und Anton Ferstl

1940 zeigte die NSDAP den Priester Ferstl wegen eines Vorkommnisses im Religions- unterricht bei der GESTAPO an: „Er soll die Geschichte vom barmherzigen Samariter in der Weise in die Jetztzeit übertragen haben, dass ein Deutscher, dann ein Pfarrer und dann ein politischer Leiter an dem Verletzten vorüber gegangen seien; zuletzt sei ein

156 HA, MA 106 671 157 GU, GR-Sitzung vom 17.2.1939 158 Festschrift 50 Jahre St. Otto, Ottobrunn 1987 159 DA, Fragebogen A, Nationals. Verfolgung kath. Geistlicher, Anton Ferstl 49

Pole gekommen, der sich des Verletzten angenommen habe .“ 160 Das Untersuchungs- verfahren wurde jedoch nach „sehr unangenehmen Vernehmungen“ 161 des Beschuldig- ten „aufgrund der dürftigen Beweislage eingestellt“ 162 . Pfarrer Ferstl wurde aber mit „Schulverbot“ belegt.

August Melchner versteckte ab Mai 1944 in seinem Haus den jüdischen Rechtsanwalt Dr. Benno Schülein in seinem Haus, Ottobrunn, Rosenheimer Landstraße 63. Der OGL und Lehrer Fritz Schollwöck hat dies stillschweigend gedeckt. 163 Melchner gehörte 1945 dem provisorischen Gemeinderat und 1946-48 für die CSU der gewählten Gemeinde- vertretung an, die ihn zum 2. Bürgermeister bestimmt.

Die Gastwirtsfrau Forster in Taufkirchen- Bergham wurde denunziert, da sie mit ihrer Tochter „Feindsender“ im Radio gehört hatte. Außerdem soll sie nach dem Attentat auf Hitler im Juli 1944 folgende Aussagen gewagt haben: „Ist denn da gar keiner da, der diesen Bazi umbringt?“ „Wenn die Amerikaner einmal kommen, dann stelle ich ihnen gern mein Schlachthaus zur Verfügung!“ „Wie der Kai- ser gesehen hat, dass der Krieg verloren ist, ist er wenigstens gegangen, aber der Bazi geht nicht.“ 164

Fluchthilfe Die junge Sekräterin Barbara Urban aus München- Harlaching verhalf am 23. 3. 1945 einem KZ- Gefangenen zur Flucht. Nach Bombardierung ihres Hauses in Harlaching waren Barbara Urban und ihre Eltern in ihr Wochenendhaus in Brunnthal umgezogen. Dorthin setzte sich der polnische politische Gefangene Valentin Drygas bei einem Au- ßeneinsatz ab. Drygas wechselte die Kleidung und wurde dann von Barbara Urban auf dem Fahrrad nach Harlaching transportiert, wo er sich in der Hausruine bis zum Ein- marsch der Amerikaner versteckte. Als Fräulein Urban zu ihren Eltern zurück kam, erfuhr sie, dass die SS zwischenzeitlich das Wochenendhaus zweimal durchsucht hatte, ohne die Sträflingskleidung zu finden, die im Gebüsch versteckt war. 165

Bei Kriegsende ist nochmals von Pfarrer Anton Ferstl zu berichten, der über sich (in der dritten Person) schrieb: „ Schon ein halbes Jahr vorher sammelte der Pfarrer um sich mutige Männer, von denen keiner von den andern wusste. Als die Freiheitsaktion Bay-

160 HA, o.a.O 161 100 Jahre Siedlungsraum Ottobrunn, 2002, S. 75 162 Bösl, Kramer, Linsinger: „Ausländereinsatz im Landkreis München“, S. 154 163 SA, Spruchkammerakten, Karton 1690, Fritz Schollwöck 164 SA, Spruchkammerakten, Karton 1862, Otto Veit 165 Interwiew von Rainer Gränzer, Neubiberg, mit Frau Urban (Gesprächsnotiz vom 22.2.2006) 50 ern [des Hauptmann Gerngroß am 24. 4. 1945] begann, war das Signal zur Zusam- menkunft gegeben. Der Pfarrer überließ dann die weitere Arbeit diesen Männern. Sie halfen mit, die KZler zu befreien, stellten Wachen an Häusern gefährlicher Nazis und nahmen einige fest. Oberleutnant Schmitt und [NN] gingen am Abend des 30. April 1945 in den Fliegerhorst Neubiberg, wo abends 8 Uhr die Amerikaner angekommen waren, um mit ihnen wegen der Übergabe von Ottobrunn zu verhandeln. Diese sicherten auch eine kampflose Ein- nahme zu, wenn alle Häuser die weiße Fahne zeigen würden. Nachts gab der Pfarrer noch selber an die Leute die Weisung, weiße Fahnen zu hissen...“ 166

Im nachfolgenden Kapitel wird u. A. auch über einen unerwarteten Fall von Widerstand berichtet.

NSDAP- Filiale Taufkirchen

Das Nachbardorf Taufkirchen- es hatte Ende der 30er Jahre nur ein Sechstel der Ein- wohner- stand in der NS- Zeit stark unter dem Einfluss Unterhachings. Viele Jahre bil- dete Unterhaching und Taufkirchen eine gemeinsame NSDAP- Ortsgruppe. Der Orts- gruppenleiter- er war letztlich mächtiger als der Bürgermeister- konnte auch in Taufkir- chen eingreifen. Allerdings war es für ihn und die Partei nicht ganz leicht sich in der ge- schlossenen bäuerlich- katholischen Welt des Dorfes durchzusetzen. In einem Bericht des SD (das ist der von der SS betriebene Sicherheitsdienst der NSDAP) aus dem Win- ter 1945 heißt es über die Einwohnerschaft: „Ursprünglich gutmütig, wenn auch indo- lent, schwarz, konservativ, heute 80% Gegner [des Regimes] 15% lau, 5% willig.“ 167

Als 1937 Max Brock das Amt des OGL in Unterhaching übernahm, musste Hans Horn sich mit der Zuständigkeit für Taufkirchen begnügen, dessen Zelle zu einer getrennten Ortsgruppe wurde. Horn, geb. 1872, ist früher Zollamtsrat und im 1. Weltkrieg Major der Landwehr gewesen. Als ehemaliger Offizier und Beamter hob er sich ab von den übri- gen, eher kleinbürgerlichen Parteigenossen. Als Vorstand des Kriegervereins in Taufkir- chen nahm er, obwohl evangelisch, an der Fronleichnamsprozession teil. Trotzdem wurde in der Dorfgemeinschaft als fremd und unbeliebt empfunden. Da er oft mit Ruck- sack unterwegs war, wurde er heimlich der Hamsterei beschuldigt. Die Partei nahm ihm übel, dass er gegenüber dem Stellvertreter des mächtigen Gaulei- ters Wagner Zweifel an der Judenpolitik geäußert hatte, indem er berichtete, dass ein Kamerad jüdischen Glaubens ihm im Weltkrieg das Leben gerettet habe.

166 Peter Pfister (Hrsg.) Die Kriegs- und Einmarschberichte, Regensburg, 2005. Auch die Mitglieder des GR Benno von Gagern und Josef Weiss geben am 12.5.1945 an, an der FAB beteiligt gewesen zu sein. 167 SA, SpuchkammerA K 221, Brief der SD- Hauptaussenstelle München an den OGL Veit (ohne Datum) 51

1942 entfernte der Hauptlehrer Anton Schwarz auf Parteibefehl die Kruzifixe aus den beiden Klassenräumen. Im bereits zitierten Bericht des SD heißt es über ihn: „Der Hauptlehrer, Pg. ist gleichzeitig Organist und Kantor, sehr schwarz.“ Die Maßnahme löste einen Sturm der Entrüstung aus. Auch Horn distanzierte sich davon.

Die Landwirte beschlossen in einer stürmischen Versammlung das Winterhilfswerk zu boykottieren, wenn die Kreuze nicht wieder aufgehängt würden. Man sprach von einer Bauernrevolte. Die Gestopo erschien und verhörte die Teilnehmer. Mehrere von ihnen mussten einen Geldbetrag hinterlegen, um ihr Wohlverhalten zu garantieren. Die Ange- legenheit war der Anstoß, dass Horn entmachtet, die Ortsgruppe Taufkirchen aufgelöst und wieder nach Unterhaching eingereiht wurde. In dem Bericht des SD wird Horn be- schuldigt für die NS- Bewegung geradezu schädlich gewesen zu sein. Hans Horn wurde nach dem Krieg von der Spruchkammer als „Mitläufer“ eingestuft und musste zur Sühne 500 RM bezahlen. 168

1933 setzte die NSDAP den Landwirt Johann Riedmaier als Bürgermeister ein. Er wur- de aber abgesetzt, als man seine fortdauernde Sympathie für die inzwischen verbotene Bayerische Volkspartei und und ein Parteibuch jener Gruppierung bei ihm feststellte.

Der Bäckermeister Johann Bücherl, geb. 1900 in München, der zuvor Zellenleiter der NSDAP für Taufkirchen gewesen war, übernahm im Oktober 1935 das Bürgermeister- amt. In den umfangreichen Akten zur Entnazifizierung heißt es später Bücherl sei zu- nächst überzeugter Nazi gewesen, habe aber seit 1935 von der Sache nicht mehr viel wissen wollen. Der SD bescheinigt ihm in dem bereits zitierten Brief: „Der Bürgermeis- ter, Bäcker und Konditor, drückt sich von einer Betätigung in der Partei so gut er kann. Stark konfessionelle Einstellung, geht in Uniform mit übergezogenem Zivilmantel in die Kirche, lässt sich dann draußen die Uniformmütze nachbringen.“ Von Johann Bücherl sind zahlreiche Handlungen überliefert, die man als Widerstand charakterisieren kann! So sorgte er für die menschliche Behandlung der im Dorf tätigen Kriegsgefangenen (60 Franzosen schliefen in der Turnhalle) und Zwangsarbeiter. Er veranlasste, das 7 notgelandete Amerikaner nicht in die Hände der SS fielen, indem er sie der Gendarmerie in Oberhaching übergab. Zwei entlaufene englische Kriegsgefan- gene brachte er aus gleichem Grund auf Bitten des Wachtmeisters Egl von der Unter- hachinger Polizei in seinem Auto in das Gefangenenlager nach München zurück. Er beherbergte eine jüdische Familie vor ihrer Flucht in seinem Haus und erlaubte den Zuzug des jüdischen Justizrates Julius Prohownik aus Donauwörth.

168 SA, Spruchkammerakten, Karton 765, Hans Horn 52

Trotzdem wurde Bücherl 1945 seines Amtes enthoben und im Entnazifizierungsverfah- ren als Mitläufer eingereiht. 169

Neubeginn

Nach der Besetzung Bayerns „schritten die Amerikaner [umgehend] zum Wiederaufbau der Verwaltung, indem sie Bürgermeister, Landräte und Regierungspräsidenten ihres Vertrauens einsetzten“ 170 – aber wohl auch Gemeinderäte. Der Ottobrunner Priester Ferstl berichtet: „Die jetzige politische Lage ist für den Pfarrer durch die Mitwirkung bei der Aufstellung des Bürgermeister[-Kandidaten August Melchner 171 ] gekennzeichnet. Da dieser bisher wenig bekannt war, wurde der Pfarrer anfangs für alles angegan- gen.“ 172 Bereits am 12. Mai tagte dann in Unterhaching ein zwölfköpfiger, provisorischer Ge- meinderat , dem auch noch Prenn angehörte. Dieses Gremium gab gemeinsam eine Erklärung für die Militärregierung über das Verhältnis seiner Mitglieder zum NS- Staat und zur NSDAP heraus. Daraus ergibt sich, dass früher in linken und bürgerlichen Parteien gebunden gewesen waren: • Josef Bleibinger und Franz Drexler in der KPD • Wilhelm Kloiber, Otto Rittel und Leonhard Sedlmeyer in der SPD • August Melchner und Franz Kastner in der BVP

Mehrere Räte erwähnen ihre KZ- Strafen und einige ihre Teilnahme an der „Freiheitsak- tion Bayern“ in den letzten Kriegstagen. 4 Mitglieder gaben an, nie Parteimitglied gewe- sen zu sein, ausdrücklich auch nicht bei der NSDAP. Bei einem von ihnen, Benno von Gagern (Sohn des Nikolaus von Gagern s.o.), wundert dies, da er in einem Mitglieder- verzeichnis als Nr. 48 aufgeführt ist. 173 Von Gagern wird im Juni 1945 wegen seiner Englischkenntnisse als Gemeindebeamter zur Zusammenarbeit mit den Besatzungsbe- hörden eingestellt (während auf Anordnung der Militärbehörden vier NS- belastete An- gestellte entlassen werden müssen). Im Dezember zieht er nach Österreich um.

Prenns Beitrag zu der gemeinsamen Erklärung hat folgenden Wortlaut: „Bürgermeister Prenn, Mitglied des [Bayerischen] Bauernbundes bis 1933. Prenn wurde [seinerzeit] im Amt des berufsmäßigen Bürgermeisters belassen. Als solcher musste er Mitglied der

169 SA, Spruchkammerakten Karton 221, Johann Bücherl 170 Lothar Altmann: „Vom neuen zum modernen Bayern“, Verlag Schell & Steiner, Regensburg 2006 171 Lt. Chronik des SPD Unterachings von 1996 wurde Melchner vom GR zum 2. Bürgermeister gewählt 172 Anton Ferstl: Pfarrei St. Otto, Ottobrunn, Neujahrsbericht über die Jahre 1944/45 173 Handakten Felzmann, Undatiertes Mitgliederverzeichnis der NSPAP- Ortsgruppe 53

NSDAP werden. Trotz dieses Beitrittes zur NSDAP ist Prenn stets seiner alten politi- schen Überzeugung treu geblieben.“ 174 Wer die Vorgänge um das Hinausdrängen und Wiedereinsetzen Prenns kennt, der weiß, dass er 1933 von den Nazis gerade nicht im Amt des 1. Bürgermeisters belassen, sondern zunächst vom NS-OGL verdrängt wurde (s.o.)! Und wie er später als PG unter PGs seiner bauernbündlerischen Überzeugung- wie immer man diese definiert- treu geblieben sein will, bleibt rätselhaft.

Aber Josef Prenn wurde bald klar, dass er an der Spitze der Gemeinde doch unhaltbar geworden war und so sah er sich Ende Mai „veranlasst ... sein Amt nieder zu legen“. Womit er einer Entlassungsverfügung der amerikanischen Militärregierung zuvor kam. 175 Im folgenden Jahr beginnt im Rahmen der „Entnazifizierung“ das Spruchkammerverfah- ren gegen den bisherigen Bürgermeister. In einen Fragebogen trägt Prenn ein, dass er auch Kreistagsmitglied war und der NSDAP vom 1.5.1933 bis 1.5.1945 angehörte. Die Frage, zu welcher Gruppe von Belasteten er sich selbst zählt, beantwortete er so: „Nach Buchstabe K, Ziffer 8 der Anlage zum Gesetz [zur Befreiung vom Nationalsozia- lismus und Militarismus] gehöre ich in Klasse II [Belastete] sonst war ich Mitläufer“ - e in Bürgermeister als Mitläufer! Tatsächlich gelingt es Prenn so viele positive, schriftliche Aussagen („Persilscheine“) beizubringen, dass er als „Mitläufer“ eingestuft wird und mit einer Sühnezahlung von einhundert Mark plus Verwaltungskosten davonkommt. Der Inhalt der zu seinen Gunsten abgegebenen Erklärungen ist in der Tat beeindru- ckend. Sie sind nicht durchgehend unglaubwürdig. So mag stimmen, was der Installa- teur Georg Thoma (Name geändert) ihm bescheinigte, er habe „niemals parteifördern- de Reden gehalten“. Das konnte er den Funktionsträgern der „Partei“ überlassen. Dass er dem Ortsbauernvorsteher empfahl, sein Geld lieber zu vertrinken, als es für den Parteibeitrag auszugeben, kann nur aus der Spätzeit der NSDAP, kurz vor Kriegs- ende, stammen, als nur noch wenige Fanatiker an der Endsieg glauben konnten (und Prenn hautnah durch Bombenschäden an seine Pelztierzucht Fingerzeige bekommen hatte.) Bürgermeister Prenn hat sich für das Wohl der Gemeinde und einzelner Bürger einge- setzt- aber die Bürger hatten nicht alle Informationen. Und die Spruchkammer, die ihn als „Mitläufer“ durchgehen lies, hatte es versäumt, selbst die leicht zugänglichsten Do- kumente z. B. die Gemeinderatsprotokolle zu würdigen, die ein anderes Bild ergeben!

174 GU, GR- Sitzung vom 12.5.1945 175 SA, Spruchkammerakten, Karton 1350, Prenn Josef, Unterhaching, Arbeitsblatt v. 10.3.1947 54

Prenn hatte also den Weg für einen Neuanfang freigemacht und so wählte der kom- misarische Gemeinderat Ende Mai 1945 den sozialdemokratischen Pflasterermeister Leonhard Sedlmeyr zum Interimsbürgermeister. 176 Und die Militärregierung gab ihre Zu- stimmung. 177

Die amerikanische Regierung wünschte, dass die NS- Parteigänger nicht ungeschoren blieben. Demgemäß protokollierte der Gemeinderatunter dem 9.12.1945 folgende Straf- maßnahme gegen die „Nazis“: „Auf Befehl der Militärregierung sind alle Aktivisten sonntäglich zum Arbeitsdienst einzusetzen. Der Militärregierung sind 180 Aktivisten be- kannt.“ 178 Später heißt es zusätzlich, dass die schlimmsten NSDAP- Mitglieder zu „nie- dern Arbeiten“ heranzuziehen sind. Und: „Sechs leitende Parteileute wurden 1945 zeit- weise interniert.“ 179 Die Gemeinde musste nun Unterkünfte für etwa 250 Besatzungssoldaten beschaffen. Dazu wurde das Schulhaus zweckentfremdet und Häuser prominenter Nazis beschlag- nahmt. Bei rund 200 PG musste der neue Bürgermeister für die Militärverwaltung den Bestand an Möbeln für die Unterkünfte „erfassen“.

Wie beurteilten die Pfarrer die Lage in den letzten Kriegs- und ersten Friedensjahren? Martin Faustner berichtet aus St. Korbinian u. A: „Nur ein kleiner Teil der Katholiken ist religiös eifrig. Für Bibelstunden herrscht sehr wenig Interesse. Kinderzahl meist gering. Die Kinder sind sich vielfach selbst überlassen und streunen viel herum auf der Straße. Die Mädchenwelt ist großenteils leichtsinnig und oberflächlich. Die Amerikaner in Neu- biberg haben auch hier ihre Mädchen darunter auch untreue Frauen.“ Überraschend fügt Faustner 180 in den Seelsorgebericht die Feststellung ein,das Einver- nehmen mit den gemeindlichen Behörden (wo nur PG regierten) sei sehr gut gewesen. Das haben Faustners Kollegen, die Pfarrer Mayer und Ferstl aus Ottobrunn, sicher an- ders gesehen! Ferstl von der Ottokirche konstatiert hinsichtlich der Seelsorge: „Der religiöse Stand des Familienlebens ist erschreckend niedrig... Schon die Kinder wissen um viele Eheskan- dalgeschichten... Hinzu kommt eine weitgehende Zerstörung des Eigentumsbegriffs (Ottobrunner Einbrecherbanden).“ Pfarrer Peter Erhard von St. Alto schreibt: „Die Auswirkungen des Krieges sind schwer spürbar. Sehr viele Männer sind noch nicht zurückgekehrt, viele Familien sind zerris- sen. Außerdem wurde die sog. Agfasiedlung mit 36 Familien von der Besatzungsmacht

176 GU, GR- Sitzung vom 27.5.1945 177 HS, OMGBy 13/110-2/008 178 GU, GR- Sitzung vom 9.12.1945 179 Heimatbuch, S. 96 180 Sein Vorgänger Stemmer (von 1929-39) hatte angeboten „die Kirchenbücher für die Sippenforschung auszuwerten“. GU, GR-Sitzung vom 13.8.1936 55 beschlagnahmt. Dann haben die Amerikaner einen Club eingerichtet. Diese Maßnahme und die damit verbundenen Begleiterscheinungen wirken sich nicht vorteilhaft auf die Seelsorge aus. Die Naturfreunde sind stark und aktiv am Werke“. Im Gegensatz zu seinen Kollegen stellte Peter Erhard fest, das religiöse Leben sei in seiner Pfarrei nicht zurückgegangen, im Gegenteil: „Viele haben wieder das Beten ge- lernt.“ 181

Zusammenfassung

Es ist festzustellen, dass die Nazi- Herrschaft im Dorf Unterhaching mit außerordentlich viel Gewalt verbunden war. Die Zerstörung des Denkmals für den sozialdemokratischen Reichstagspräsidenten Ebert war für die Nazis eine der ersten „Amtshandlungen“. Wenige Tage nach der putschartigen „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten in Bay- ern wurden auch in Unterhaching ein Dutzend Einwohner, meist als Kommunisten gel- tende Männer, verhaftet und monate-, manchmal jahrelang in der „Schutzhaft“ gedemü- tigt und gequält. 1938 saßen rund 30 Dorfbewohner in Gefängnissen oder Konzentrationslagern . Unter- haching erhielt 1944 selbst ein KZ- Außenlager, wo entwürdigende und unmenschliche Behandlung der Gefangenen genügend oft vorkam. Es gab mindestens zwei Fälle, in denen die jeweiligen Führer der Unterhachinger NSD- AP Männer krankenhausreif prügelten. Die Drohung mit „Dachau“, selbst gegenüber „Parteigenossen“, wurde fast alltäglich ebenso die Postzensur. Gegenüber Behinderten sind Sterilisierungen und Morde bezeugt. Obwohl nur wenige jüdische Bürger im Dorf wohnten, gab es den staatlich verordneten Antisemitismus: Der Gemeinderat gab einer jüdisch klingenden Straße einen anderen Namen und er stieß den Bürger und SPD- Vorsitzenden Erhard Süß aus seinen Rei- hen. Eine Achtzigjährige starb kurz nach der „Schutzhaft“, ihr Sohn wurde seines Besit- zes beraubt und getötet. Trotz der allgegenwärtigen Gewaltdrohungen trauten sich einige Mutige Widerstands- handlungen auszuführen: Kurz vor Etablierung der Naziherrschaft gründeten Bürger noch einen „Kampfbund gegen die faschistische Gefahr“, einige hörten „Feindsender“. Zwei Priester in Ottobrunn zeigten in Gleichnissen ihre Abgrenzung zum Unrechtsstaat. Eine junge Angestellte verhalf unter Lebensgefahr einem KZ- Gefangenen in Ottobrunn zur Flucht. Schließlich sammelte wiederum in Ottobrunn ein Geistlicher heimlich NS- Gegner um sich, die sich im April 1945 an der Freiheitsaktion Bayern beteiligten.

181 DA, Seelsorgeberichte St. Korbinian, St. Alto, St. Otto 1944-45, 1946 und 1947 56

Wie ist die Haltung der Unterhachinger Bevölkerung zum Regime zu bewerten? Bei der letzten relativ freien Wahl gab 1933 etwa jeder Zweite der NSDAP seine Stimme. Die unbestreitbaren politischen und wirtschaftlichen Anfangserfolge der Nationalsozialisten waren dann wohl Ursache für die übergroße Zustimmung der Bevölkerung zu Hitlers Politik in den Volksabstimmungen. Zusätzlich führten vielerlei Zwangs- und Überwa- chungsmaßnahmen dazu, dass nur Wenige sich entzogen.

Aber wie ist das Verhalten des Gemeindeoberhauptes, des Bürgermeisters Josef Prenn, während der NS- Zeit zu bewerten? Annemarie Schäfer- Schmidl berichtet, dass Bürgermeister Prenn bescheiden aufgetreten und dass er jederzeit ansprechbar gewe- sen sei. Auch sei er der Kirche treu geblieben und nur zögernd NSDAP- Mitglied gewor- den. 182 Er war 1919 erstmals gewählt worden und hatte seine Sache offenbar so gut gemacht, dass er 1924 selbst von der SPD auf dem Wahlzettel als Bürgermeisterkandidat erschi- en. So wurde er im Jahr 1924 und 1929 jeweils wiedergewählt. Nach dem kurzen Intermezzo des Dr. Fladt stellte Prenn sich der NSDAP wieder als 1. Bürgermeister zur Verfügung. Anscheinend hielt Prenn bewusst oder unbewusst ein wenig Distanz zur Partei und ih- ren Bonzen und wurde auch deshalb in der Bevölkerung geschätzt. Gemeindebürger erhielten Unterstützung in Wohnungs- und Arbeitsplatzangelegenheiten auch wenn sie nicht PG waren. Der erklärte Kommunist Franz Xaver Drexler gab zu Protokoll, dass Prenn seine Frau während seiner Zeit im KZ großzügig unterstützte.

Aber spricht sein politisches Handeln auch für diese Distanz zur NS- Politik? Hier sind Zweifel angebracht. Bei seiner Amtseinführung schwor Prenn sein Amt im Sinne des von Gott gesandten Führers Adolf Hitler zu leiten. Später nahm er neuen Beigeordne- ten und Gemeinderäten selber den Schwur ab, dem Führer treu und gehorsam zu sein. Prenns unterstützte die Arbeit „der Partei“ u. A. durch die kostenfreie Bereitstellung von Büroräumen. Im Amtsblatt der Gemeinde, das Prenn herausgab, wird festgestellt, „dass wir stolz sind, weil wir den Führer Adolf Hitler unser [eigen] nennen dürfen.“ Mit den an- dern Gemeinderäten stimmt Prenn dem „freiwilligen“ Amtsverzicht des sozialdemokrati- schen, jüdischen Bäckers Erhard Süß zu. Josef Prenn konnte ins Feld führen, dass er machtlos war, wenn die Polizei Gemeinde- bürger verhaftete und für lange Zeit ins KZ sperrte. Als aber die Dachauer SS-Lager- kommandantur nachfragte, ob ein Bürger noch länger gefangen bleiben solle, gaben Bürgermeister und Gemeinderat ihr Ja! 183 Ebenso war Prenn führend beteiligt an dem

182 Annemarie Schäfer Schmidl: „Haching, Geschichten von gestern und vorgestern“ Gem.U. 2004 183 GU, GR vom 17.2.1939 57

Vorhaben, einem bedrängten jüdischen Mitbürger sein Haus und Grundstück für die Gemeinde unter Wert abzukaufen. Mindestens in einem Fall unterstützte er aktiv die NS- Politik der Rassenhygiene. Prenn vollzog in seiner Amtsführung die Vorgaben des NS- Staates. Nur in sehr gerin- gem Maße getraute er sich Abweichungen von der Parteilinie. 58

Anhang Anhang 1

Gespräche mit dem Zeitzeugen Christian Kriz Unterhaching, Sept. 2007

Christian Kriz wurde im Dezember 1929 geboren. Sein Vater war erfolgreicher Kunstmaler und Mitarbeiter des „Simplizissimus“. Obwohl unpolitisch, geriet er einmal wegen eines Bildes, auf dem eine NS- Fah- ne dargestellt war, mit den Nazis in Konflikt und wurde 6 Wochen lang einge- sperrt.

Als Christian Kriz 6 Jahre erreicht hatte, kam er in die Schule und wurde gleich- zeitig Ministrant, was er blieb, bis er 12 war. Vorbereitungsstunden und Mess- dienst machten ihm Spaß und das Geld, dass man bei Hochzeiten und anderen Feiern erhaschen konnte, war auch nicht zu verachten. Kris hat den Seelsorger Josef Stemmer (er amtierte von 1929-39) als guten Pfarrer in Erinnerung. Anschließend kam Pfarrer Martin Faustner. Er erkannte den kritischen Geist des Christian Kriz und charakterisierte ihn mit den Worten: „Du bist ein Suchender“. (Kris hat auch Pfarrer Hobmair aus Oberhaching in guter Erinnerung: dieser fuhr einmal mit nach Birkenstein bei Fischbachau, um ein Paar zu trauen, dem die Eltern den Segen verweigert hatten.) Mit 10 wurde Christian „Pimpf“ im „Jungvolk“. Öfter überschnitten sich jetzt die Termine. Kriz und seine Freunde suchten sich dann heraus, wo sie hinwollten: wenn ihnen das Ministrieren gerade nicht behagt, gingen sie zum Jungvolk und redeten sich beim Pfarrer mit der dortigen Verpflichtung heraus und umgekehrt. Die kleinen Hiterjungen mussten mit der Opferbüchse losgehen, wenn fürs Win- terhilfswerk (WHW) gesammelt wurde. Christian hielt zusammen mit einem Freund an der Hauptstraße Radler und die wenigen vorbeikommenden Autofah- rer an. Sie hatten an einem Tag trotz langer Bemühungen wenig Erfolg gehabt, worauf sein Freund und er vom damals mächtigen Verwalter des Lagerhauses äußerst 59

„schwach angeredet“ wurden. Dies sah Christian als völlig ungerechtfertigt an und war lange noch wütend. (Im Lagerhaus, wo die Bauern ihre Felderträge zwangsweise abliefern mussten, war auch das örtliche WHW angesiedelt.)

Mit 13 wurde Christian in die Flieger- HJ aufgenommen. Er war mit viel Freude dabei, wenn es darum ging, Flugmodelle zu basteln und dann auch das Segel- fliegen zu erlernen und schließlich selbstständig zu fliegen. Das ging bis 1944. Im letzten Kriegsjahr wurde Kriz noch gemustert. Am 20.4.1945 bekam er noch den Einberufungsbefehl, den er aber nicht mehr befolgen musste, da der Feind schon an der Donau stand. Während des Krieges kamen viele Zwangsarbeiter nach Unterhaching. Sie wur- den meist ordentlich behandelt. Diejenigen, die bei den Bauern arbeiteten, hat- ten oft besseres Essen, als die Einheimischen. Und besonders die jungen fran- zösischen Männer, die bald ein paar Worte Deutsch lernten, waren in der Da- menwelt nicht ungern gesehen. „In unserem Haushalt arbeitete der Pole Vadi, der als einziger Mann unter lauter Frauen, bald richtiggehend die Beschützerrolle übernahm z. B. wenn KZler oder später amerikanische Besatzer auftauchten“ , berichtet Christian Kriz.

In den letzten Kriegstagen hat Kriz gesehen, wie Reste der Wehrmacht das Dorf durchquerten. Zum Teil führten sie Flaggeschütze mit, die von russischen Kriegsgefangenen gezogen werden mussten.

Die amerikanische Armee beschlagnahmte 1945 u. A. kurzerhand die Häuser, die die Fa. Agfa für ihre Arbeiter- sie waren durchweg Sozialdemokraten und Gewerkschafter- errichtet hatten. Die Leute mussten mehrere Jahre lang von der Gemeinde irgendwo im Dorf untergebracht werden.

1946 schloß sich Christian Kriz den „Naturfreunden“ an und ging oft und gern ins „Gebirge“. Bald nahm er jetzt auch an SPD- Veranstaltungen teil. Die Sozial- demokratie war damals noch stark darauf ausgerichtet, Mitglieder, denen eine komplette Schulbildung versagt geblieben war, zu schulen.

Kriz studierte Bauingenieurwesen und engagierte sich langjährig in der SPD und im Gemeinderat Unterhachings. 60

Anhang 2

Gesuch um die Entlassung des Georg Eicheldinger aus dem KZ: Abschrift

Unterhaching 20. II. 37

An die Politische Staatspolizei München

Gesuch um Entlassung des Politischen Gefangenen Georg Eicheldinger, z. Zt. im Gefangenenlager Dachau

Mein Mann, Georg Eicheldinger, befindet sich seit 10. 5. 35 wieder im Lager Dachau. Ich bitte daher dringend um endliche Entlassung, da auch ich unter diesen Verhältnissen am schwersten zu leiden habe. Abhilfe kann hier nur der Mann schaffen. Die Wohnung teile ich bei meinen Eltern mit 13 Personen. Auch ist es für das Kind bes- ser, wenn der Vater die Erziehung in die Hand nehmen kann. Da ich täglich in der Arbeit stehe, muß ich das Kind zum großen Teil fremden Personen überlassen. Aus diesen Gründen bitte ich nochmals ebenso herzlich als dringend, geben Sie mir meinen Mann und dem Kinde seinen Vater, da ich am Ende meiner Kraft bin.

Mit deutschen(!) Gruß Mina Eicheldinger Unterhaching Herbststr . 20 61

(Die Geh. Staatspolizei lehnt mit Schreiben vom 23.2 37 an das Bezirksamt München das Entlassungsgesuch ab.)