„Schwarzgelb“ gelebt?

Carl Goldmark im franzisko-josephinischen Musikleben

Christian Glanz

The paper tries to trace the question, why the official political ideology of as a supranational system found no equivalence in Austrian art music during the last period of the Habsburg empire. The question is discussed in the case of Carl Goldmark (1830-1915), who, of Jewish-Hungarian descent, can be seen as a very distinct example for complex Austrian identity (Moritz Csáky) during this era. Goldmark’s remarkable career both as a composer and as a very important figure within ’s musical life is interpreted in respect to the importance of “schwarzgelb”-ideology especially within the journalistic obituaries to his death. The paper shows that this career had its more important cultural source in the relatively short era of liberal political and cultural dominance in Austria, beginning with the 1860s. Trying to trace this complex within Goldmark’s compositions we get no clear result. But also in this respect Goldmark was partly seen as “schwarzgelb” in ensuing ages.

Die Ausgangsüberlegung dieser Ausführungen lassen sich durch eine möglicherweise trivial anmutende Frage beschreiben: Warum gibt es in der österreichischen Musikge- schichte keine der Popularität der Moldau (Vltava) von Bedřich Smetana – respektive eine dem gesamten programmsinfonischen Zyklus Ma Vlast – vergleichbare, im Sinn der übernationalen Gesamtstaatsidee des ausgehenden 19. Jahrhunderts „schwarzgelbe“ kunstmusikalische Schlüsselkomposition? Es geht also um die Frage nach der Repräsentanz und Relevanz der übernationalen Staatsideologie in der „Kunstmusik“ Österreichs während der letzten Jahrzehnte der Donaumonarchie. Das „realpolitische“ Scheitern der Gesamtstaatsideologie ist in der historischen Literatur umfassend dargestellt worden.1 Die Diskussion dieser Frage- stellung im Zusammenhang mit Musik hat hingegen bisher erst wenig Aufmerksamkeit gefunden. Relativ ausführlich behandelt wurde in diesem Kontext einerseits die Gattung Operette (vor allem in Gestalt von Moritz Csákys These von der Wiener Operette als

1 Nach wie vor grundlegend: Friedrich Heer, Der Kampf um die österreichische Identität, Wien 1981.

Musicologica Austriaca 28 (2009) 104 Christian Glanz

einer populären „Kunstgattung der Gesamtstaatsidee“2), andererseits eher thesenhaft – im Sinn einer in unterschiedlicher Intensität erfüllten „staatssymbolischen Aufgabe“ – die altösterreichische Militärmusik.3 Ein Beispiel für die zumindest in einzelnen Kompositionen grundlegende Relevanz der gesamtstaatlichen, also „schwarzgelben“ Thematik im militärmusikalischen Re- pertoire wäre Julius Fučiks groß angelegtes, heute jedoch wohl gänzlich unbekanntes Orchesterwerk Österreichs Ruhm und Ehre op. 59. Die „Vier symphonischen Gedichte“ im Sinn einer viersätzigen Programmsinfonie entstanden im Umfeld des fünfzigsten Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Joseph I. (1898). Sie thematisieren in klar teleo- logischer und affirmativer Ausrichtung zentrale Stationen und Persönlichkeiten der habs- burgischen Geschichte:

1. Satz: Rudolf von Habsburg (Gründung Österreichs, seine Krönung zu Aachen) 2. Satz: Maria Theresia 3. Satz: Die Schlacht bei Custozza (24. Juni 1866) 4. Satz: Franz Joseph I. (Jubiläum Seiner Majestät – 50 Jahre Kaiser von Österreich 1848-18984)

Die Verortung der übernationalen Staatsidee in der zweifellos enorm populären, damit zum Transport derartiger Inhalte grundsätzlich befähigten Gattung Operette bedarf einer hier nur anzudeutenden, sehr differenzierten Betrachtung, vor allem im Hinblick auf wichtige, der Gesamtstaatsidee klar widersprechende Tendenzen in der Darstellung speziell der nichtdeutschen und nichtmagyarischen Völker der Donaumonarchie.5 Ihr tatsächliches Auftreten im Repertoire der Militärmusik ist hingegen schon durch deren grundlegende Bindung an die Symbolik des Staatsganzen bedingt. Obwohl die k.u.k. Militärkapellmeister fundiert ausgebildet und bekanntlich auch als Komponisten unter- schiedlicher Genres erfolgreich waren, sind Werke wie das genannte Beispiel von Julius

2 Moritz Csáky, Ideologie der Operette und Wiener Moderne. Ein kulturhistorischer Essay zur öster- reichischen Identität, Wien-Köln-Weimar 1996. 3 Eugen Brixel, Gunther Martin, Gottfried Pils, Das ist Österreichs Militärmusik. Von der „Türkischen Musik“ zu den „Philharmonikern in Uniform“, Graz-Wien- Köln 1982; Christian Glanz, „Zur Bedeutung Südosteuropas für die populäre Musikkultur Österreichs: Der Balkan in der Wiener Operette und der österreichischen Militärmusik“, in: Horst Haselsteiner (Hg.), Bericht über den internationalen Kongress „Wirtschafts- und Kulturbeziehungen Österreichs mit Süd- osteuropa seit dem Wiener Kongreß“ (Zur Kunde Südosteuropas, Bd. II/17), Graz 1991, S. 173-183. 4 Im Entstehungsjahr war Julius Fučik als Kapellmeister eines Infanterieregiments in Budapest tätig; vgl. Vortrag von Jason S. Heilman, „Militärmusik und kulturelle Identität in der k.u.k. Zeit“, Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften Wien, 29. Mai 2007. Vor kurzem ist das Werk Fučiks wieder der musikalischen Praxis zugänglich gemacht worden, allerdings in einer Bearbeitung für sinfonisches Blasorchester von Armin Suppan (Adler-Musikverlag, Bad Aussee). 5 Christian Glanz, „Wiener Operette und österreichische Identität“, in: European Journal for Semiotic Studies 13/3-4 (2001), S. 505-522; Marion Linhardt, Residenzstadt und Metropole. Zu einer kulturellen Topographie des Wiener Unterhaltungs- theaters (1858-1918), Tübingen 2006. „Schwarzgelb“ gelebt? 105

Fučik im Musikleben offenbar nicht als der Sinfonik gleichrangig angesehen worden und haben jedenfalls keine entsprechende Platzierung im nichtmilitärischen Repertoire ge- funden. Die militärische Funktionsmusik6 nimmt, obwohl teilweise zu beträchtlicher und auch anhaltender Popularität gelangt, ebenfalls einen anderen Standort im Musikleben ein und scheidet aus diesen Überlegungen daher ebenfalls aus.

Zur Begründung der Anwendung der Frage auf Carl Goldmark seien zunächst Stimmen der „Nachwelt“ zitiert: Alexander L. Ringer setzt in seinem letzten Buch, der Schönberg-Monographie, mit Goldmarks Tod am 2. Jänner 1915 das „definitive Ende des 19. Jahrhunderts in der öster- reichischen Musik“7 an. Das Begräbnis Goldmarks, ein großes öffentliches Ereignis und wahrlich eine „schöne Leich’“ steht auch in Elias Canettis Jugenderinnerungen (Die geret- tete Zunge) symbolisch-episodisch in Zusammenhang mit dieser „Endzeitthematik“8. Theo- dor Helm, eine der wesentlichen Kritikerstimmen über Jahrzehnte, urteilt im Rückblick sehr positiv: „Unter den namhaften, in Wien gelebt habenden Komponisten, die im Lauf der letzten 15 Jahre von dem unerbittlichen Sensenmann dahingerafft wurden, war der Tondichter der ‚Königin von Saba‘ Karl Goldmark […] jedenfalls der bedeutendste.“9 Die in den Tageszeitungen veröffentlichten – mit Ausnahme der Reichspost sehr aus- führlichen – Nachrufe schlagen bereits ganz ähnliche Töne an: „Nun hat der gewaltige Schnitter auch den größten österreichischen Tondichter der Gegenwart dahingemäht.“10 Eine heute sicher überraschende und übertrieben anmutende Einschätzung, die je- doch keineswegs isoliert auftritt.11 Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des seit Monaten tobenden Krieges (die Anfangseuphorie war mittlerweile längst abgeklungen) wird das Ableben des ausnahmslos als allgemein verehrt charakterisierten Komponisten in den Zeitungen zum Verlust im vaterländischen Sinne: „Goldmark hat für sein Vaterland gelebt, hat, indem er vom Ewigkeitshauch berührte Kunstwerke schuf, auf seine Wei- se der Ehre des Vaterlandes gedient und den Kulturbesitz der Menschheit erheblich gemehrt.“12 Der Österreicher Goldmark wird also im vaterländischen Sinn besonders gewürdigt, wobei aber auch die ungarische Identität des Komponisten aufgrund seiner Biographie symbolisch bedeutende Würdigung erfährt. Naheliegenderweise geschieht dies besonders nachdrücklich in den Budapester Blättern, wo Goldmark als „großer Sohn unseres Landes“ und „neben Liszt der größte ungarische Musiker“ bezeichnet wird, der sich auch „immer warm und offenherzig zu dem Lande seiner Geburt bekannt“ habe.13

6 Märsche, „militärische Tonbilder“, folkloristische Potpourris. 7 Alexander L. Ringer, Arnold Schönberg. Das Leben im Werk, Stuttgart-Weimar 2002, S. 30. 8 Elias Canetti, Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend, Zürich 1977, S. 144f. 9 Theodor Helm, Fünfzig Jahre Wiener Musikleben (1866-1916). Erinne- rungen eines Musikkritikers, hg. von Max Schönherr, Wien 1977, S. 335. 10 Nachruf im Feuilleton der Wiener Abendpost (Beilage zur Wiener Zeitung), 4. Jänner 1915, S. 1. 11 Gleichlautend beispielsweise in der Oesterreichischen Volks-Zeitung, 3. Jänner 1915, S. 5. 12 Neue Freie Presse, 3. Jänner 1915, S. 14. 13 Pester Lloyd, 3. Jänner 1915, S. 13f. 106 Christian Glanz

Die Nachrufe betonen die zahlreichen Dokumente der Anerkennung auch von höchster offizieller Seite, die der Komponist schon zeitlebens erfahren habe und heben damit den vaterländischen Aspekt der Angelegenheit noch zusätzlich hervor. Ganz direkt wird der gesamtstaatliche Aspekt von Guido Adler im Rahmen der Gedenkfeier des Wiener Tonkünstlervereins formuliert: „Goldmark repräsentiert das Oesterreichertum in der Um- fassung der musikalischen Idiome der Gesamtmonarchie, in der Beziehung zum Orient, in dem nie zu tilgenden Austausch mit der italienischen Kunst und nähert sich in seinem dramatischen Hauptwerk der damals begünstigten französischen großen Oper.“14 Adler lässt diese Beurteilung Goldmarks auf einen Vergleich mit Brahms, Bruckner, Mahler, Johann Strauß und Hugo Wolf folgen, wobei auch hier die Kriegsumgebung mehr als deutlich hervortritt (Mahler erscheint hier beispielsweise als „Verherrlicher des österrei- chischen Soldatentums“!). Tatsächlich entfaltete Carl Goldmark zeitlebens vielfältige Aktivitäten, seine Position im Wiener Musikleben darf im Gesamtblick durchaus als zentral bezeichnet werden: Bereits 1866, schon am Beginn seiner Karriere als Komponist, wird er Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde.15 In der musikalischen Öffentlichkeit Wiens ist er damals erst mit zwei Kammermusikwerken und besonders der Sakuntala-Ouverture be- kannt. Das Streichquartett a-Moll war 1861 vom renommierten Hellmesberger-Quartett uraufgeführt worden. 1862/63 schrieb er regelmäßig Musikfeuilletons in der Constitutio- nellen Österreichischen Zeitung; bereits 1863 hatte er ein Staatsstipendium erhalten. Goldmark ist auch immer wieder in verschiedenen prominent besetzten Kommissi- onen vertreten: Zunächst gemeinsam mit Johannes Brahms und Eduard Hanslick in der 1863 gegründeten Musik-Commission des Ministeriums für Cultus und Unterricht (die beiden Komponisten und der Musikkritiker waren dabei jahrelang die einzigen „nicht- ministeriellen“ Mitglieder, 1898 kam dann Antonín Dvořák dazu, 1899 Ignaz Brüll, 1906 schließlich Ferdinand Löwe und Robert Hirschfeld),16 1879 in der staatlichen Preisrichter- kommission für Künstlerstipendien (wieder zusammen mit Brahms und Hanslick), fungiert 1886/87 als Präsident des Wiener Tonkünstlervereins, der ihn 1900 zum Ehrenmitglied und 1908 zum Ehrenpräsidenten ernennt. Schließlich erscheint er neben Gustav Mahler, Guido Adler, Felix Weingartner, Ferdinand Löwe u.a. im achtzehnköpfigen Kuratorium der 1909 aus der Verstaatlichung des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde entstandenen Musikakademie. Er spricht sich in diesem Zusammenhang u.a. zusammen

14 Guido Adler, „Karl Goldmark. Worte des Gedenkens, gesprochen am 28. Januar 1915 im Wiener Tonkünstlerverein“, in: Neue Freie Presse Nr. 18116, 29. Januar 1915, S. 14. 15 Gerhard Winkler, Art. „Goldmark, Karl“, in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart (Personenteil, Bd. 7), zweite neubearbeitete Ausgabe Kassel und Stuttgart 2002, Sp. 1239-1243. Die Musikfreunde ehrten folglich auch den Verstorbenen mit einer Trauerfeier vor dem Vereinsgebäude im Rahmen des großen Leichenzuges. 16 Vgl. Friedrich C. Heller, „Die Zeit der Moderne“, in: Rudolf Flotzinger, Gernot Gruber (Hg.), Musikgeschichte Österreichs, Bd. 3: Von der Revolution 1848 zur Gegenwart, 2., überarbeitete und stark erweiterte Aufl. Wien-Köln-Weimar 1995, S. 98. „Schwarzgelb“ gelebt? 107

mit Löwe und Mahler ausdrücklich fördernd für Arnold Schönberg aus, damit dieser unent- geltlich (!) an der Akademie Musiktheorie und Komposition unterrichten darf. 1892 beruft ihn der Herzog von Coburg-Gotha in das Team der Juroren seines Opernwettbewerbs auf der Suche nach einem „deutschen Verismo“.17 Goldmarks weitreichende Bedeutung zu Lebzeiten geht beispielsweise auch daraus hervor, dass er zu denen gehört, die Mahler für wichtig genug hält, ihn 1897 bei seiner Be- werbung für die Stelle an der Wiener Hofoper mit seiner Fürsprache zu unterstützen. Der Kontakt war schon während Mahlers Direktion in Budapest entstanden, neben Brahms’ bekanntem Lob der Don Giovanni-Aufführung erwähnt Mahler in einem Brief an seine Schwester Justine ausdrücklich auch das von Goldmark für sein Dirigat des Lohengrin.18 Gleichzeitig beschreibt Mahler in einem Brief an Alma (vor der Hochzeit) Goldmark aber als jemanden, der aus Angst um die eigene Originalität keine Werke von Zeitgenossen intensiv studiere.19 Dieses von Mahler deutlich ironisierte Originalitätsstreben haben ihm seine Anhänger jedenfalls wiederholt emphatisch bestätigt, unter anderem sogar im direkten Vergleich mit Giuseppe Verdi.20 Guido Adler lobt ebenfalls diese Haltung: „Er zeigt sich auch nicht als stürmender Neutöner, nicht als rückstauender [sic!] Alttöner, sondern als strebender Selbsttöner.“21 Goldmark erhielt zudem viele offizielle Ehrungen und Auszeichnungen, darunter das Ritterkreuz des Leopoldordens (1896), das Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft (1910), das Ehrendoktorat der Universität Budapest (1910) und 1914 (gemeinsam mit Richard Strauss) die Ehrenmitgliedschaft der Accademia di Santa Cecilia in Rom. Als Person öffentlichen Interesses erscheint Goldmark auch in nicht primär musika- lischen Zusammenhängen. Beispielsweise hebt ihn Karl Kraus mehrmals sehr lobend hervor. Rund ums „Goldmarkjubiläum“ 1900 (siebzigster Geburtstag) kritisiert er in der Fackel noch die mangelnde Anerkennung bei manchen Stimmen in der musikalischen Öffentlichkeit, besonders im polemisch pointierten Hinblick auf die prominenten Autoren Richard Heuberger und Max Kalbeck; später wird diese Kritik noch auf Ludwig Karpath (immerhin ein Neffe des Komponisten) ausgedehnt. Kraus, bekanntlich kein ausgewie- sener Musikwissenschaftler, bezeichnet Goldmark hier sogar überschwänglich als den „größten Musikdramatiker nach Wagner“.22 Die Fackel erwähnt ihn erneut 1902 (wieder mit dem Hinweis auf Wagner), gleichermaßen als Begünstigten „liberaler Protektion“ wie als Opfer „antisemitischer Gegnerschaft“. Für diesen zweiten Aspekt wird von Kraus im gleichen Jahr der Kritiker Theodor Helm als Beispiel angeführt: dieser argumentiere nämlich in antisemitischer Weise gegen Goldmark in der Wiener Deutschen Zeitung,

17 Preisgekrönt wurde Josef Forsters Die Rose von Pontevedra, Franz Lehárs Rodrigo ging leer aus. 18 Stephen McClatchie (Hg.), Gustav Mahler: „Liebste Justi!“ Briefe an die Familie, Stuttgart 2005, S. 142f. 19 Henry-Louis de La Grange, Günther Weiß (Hg.), „Ein Glück ohne Ruh‘“. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma, 1997, S.105. 20 Albert Gutmann, Aus dem Wiener Musikleben. Künstler-Erinnerungen 1873-1908. Erster Band, Wien 1914, S. 49. 21 Adler, „Karl Goldmark“ (s. Anm. 14). 22 Die Fackel Nr. 42 (Ende Mai 1900), 27f. 108 Christian Glanz

neutral bis wohlwollend hingegen – zum selben Werk – im Pester Lloyd.23 Kraus geht es in diesen Fällen jedoch in Wahrheit nicht um Carl Goldmark, sondern um seine bekannte Auseinandersetzung mit dem etablierten Wiener Feuilleton. Bemerkenswert ist aber auch, dass Goldmark im bekannten „Parteienstreit“ zwischen „Wagnerianern“ und „Brahminen“ persönlich eine sehr interessante Stellung einge- nommen hat. In Albert Gutmanns Künstler-Erinnerungen (1914) heißt es sogar: „Ein unbegreiflich hohes Wunder: Ein großer Meister, ein berühmter Meister – der keinen einzigen Feind hat.“24 Goldmark ist tatsächlich gleichermaßen ein persönlicher Freund von Johannes Brahms, auch mit Eduard Hanslick ist er sehr vertraut. Zu beiden besteht aber insgesamt auch ein durchaus ambivalentes Verhältnis und das wechselseitig,25 keineswegs kann jedenfalls von ausschließlicher „gegenseitiger Förderung“ im Sinn einer verschworenen Clique gesprochen werden. Hanslick hat bei aller persönlichen Nähe gerade die Musik der Königin von Saba sehr kritisch gesehen: „Meine Bemühung, mich mit Goldmark’scher Musik zu befreunden, führte nicht immer zum Ziele, so sehr diese Bemühung mir durch meine persönliche Achtung und Sympathie für den Tondich- ter erleichtert wurde.“26 Charakteristisch ist auch Hanslicks selbstverständlich positiv gemeinter Hinweis, dass es sich bei Goldmarks Sakuntala trotz des Bezugs auf das „indische Drama“ keineswegs um Programmmusik handle, das Werk sei vielmehr „für sich vollkommen verständlich und selbständig.“27 Goldmarks Erfolgswerk wird damit vom „Verdacht“ der Programmatik gleichsam „freigesprochen“. Carl Goldmark gehörte aber 1872 auch zu den öffentlich Engagierten und prominenten Propagatoren bei der Gründung des Wiener Akademischen Wagner-Vereins. Stimmen aus der musikalischen Öffentlichkeit Wiens betonten später diese vor dem Hintergrund des vielbeschworenen „Parteienstreits“ zwischen „Wagnerianern“ und „Brahminen“ un- gewöhnliche Position: „Unabhängigkeit ist immer Goldmarks hervorstechendster Charak- terzug gewesen.“28 Die natürlich ebenfalls feststellbaren negativen Stimmen und Angriffe auf Goldmark kamen in erster Linie von der in Wien bereits früh deklariert rassistisch argumentierenden antisemitischen Presse, die ihn als Nutznießer und Mitgestalter einer umfassenden, jüdisch gelenkten „Kunstverschwörung“ erscheinen ließ, beispielsweise 1896 im Zusammenhang mit den Nachrufen auf : im antisemitischen Sa- tireblatt Kikeriki wurden Goldmark und die ihm freundlich gesonnene Wiener Allgemeine Zeitung beschuldigt, das Gedenken an Bruckner für Reklame in eigener Sache miss-

23 Vgl. ebenda Nr. 105, S. 17 und Nr. 123, S. 26. 24 Gutmann, Aus dem Wiener Musikleben (s. Anm. 20), S. 49. Der Autor würdigt den Komponisten hier auch mit einem hymnischen Gedicht. 25 Dies zeigt sich etwa in den Auseinandersetzungen rund um Die Königin von Saba. Brahms und Goldmark loben sich jedoch auch gegenseitig, z.B. äußert sich Brahms sehr positiv über die Sinfonie Ländliche Hochzeit. Privat befand man sich zumindest zum Teil im gleichen Umfeld, so gab es im sommerlichen Salzkammergut eine „Nachbarschaft“ Brahms – Goldmark. 26 Aus Hanslicks Premierenbericht über Die Königin von Saba, in: Neue Freie Presse, 13. März 1875, zit. nach Iris Weingartner, Carl Goldmark und seine Oper „Die Königin von Saba“, Diplomarbeit Wien 2002, S. 133. 27 Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, 2. Teil, Wien 1870, S. 340. 28 Wiener Konzertschau Nr. 2, 15. Oktober 1911, S. 18. „Schwarzgelb“ gelebt? 109

braucht zu haben (es ging dabei um ein in diesem Blatt abgedrucktes angebliches Lob Goldmarks durch Bruckner).29 Dies sei laut Kikeriki deswegen unmöglich, weil Bruckner selbst („wie seinen Intimen wohlbekannt ist“, so Kikeriki) Richard Wagners Position in Das Judentum in der Musik restlos geteilt habe. Ebenso ist beispielsweise 1899 Gustav Mahlers Dirigat von Goldmarks Oper Die Kriegsgefangene in den „nationalen“ Blättern automatisch Ergebnis und „Beweis“ des behaupteten „jüdischen Regimes“ an der Hof- oper. Die Ablehnung von dieser Seite her war Goldmark bewusst: In seiner posthum er- schienenen, bereits 1910 begonnenen Autobiographie30 erwähnt er wohl auch deswegen entsprechend ausführlich seinen frühen Einsatz für Wagner (auch als Kritiker) und den späteren „Bann“ seiner Person und seines Werks durch die „offizielle Wagner-Partei“. Die Anwendung der Kategorie des „Schwarzgelben“ auf Goldmark ist von einem ganz und gar banal scheinenden Zugang her durchaus bedenkenswert: Carl Goldmarks Lebenszeit ist mit der des Epochenkaisers Franz Joseph so gut wie identisch (der Re- gent überlebte den Komponisten nur um etwas mehr als eineinhalb Jahre) und in seiner Biographie spiegeln sich die bestimmenden Kräfte und Strukturen der franzisko-josephi- nischen Epoche: Vormärz und Revolution, „Neoabsolutismus“, der Weg zur Verfassung und die liberale Dominanz, schließlich Aufstieg der Massenparteien und allgemeines Wahlrecht (für Männer!). Parallel dazu geschah das enorme Anwachsen der Reichshaupt- stadt Wien zur Metropole, stadtkulturell manifestiert durch die Pole „Ringstraße“ (das liberale Großbürgertum etabliert sich in historistischer Prunkarchitektur) und Elend der (1890 eingemeindeten) Vorstädte.31 Das stets umfangreicher werdende „Dazwischen“, die Handwerker, Kleingewerbetreibenden, Beamten und Kleinbürger, wurde seit den 1870er Jahren mit rasch zunehmendem Erfolg vom späteren Bürgermeister Karl Lueger aufgesammelt.32 Goldmarks in diesen Zeitraum fallender Lebensweg ist vor allem eine Karriere, ein bemerkenswerter Aufstieg aus einfachsten Verhältnissen, ein Umstand, der in den Nach- rufen auch unisono gewürdigt wird. Die Herkunft aus mehrfach marginalisierter Umge- bung teilt er mit zahlreichen Exponenten der Wiener Kulturschaffenden seiner (Anton Bruckner) und besonders der nächsten Generation (Gustav Mahler). Der Vater war aus Westgalizien nach Ungarn eingewandert, fungierte als gebildeter „Notar und Kantor“ in der jüdischen Gemeinde von Deutschkreutz. Die große Familie lebte jedoch in ärm- lichen Umständen in ländlichen Regionen Ungarns, zunächst am Plattensee, später in

29 Vgl. Manfred Wagner, Bruckner, Mainz 1983, S. 329f. 30 Carl Goldmark, Erinnerungen aus meinem Leben, Wien 1922, S. 77. 31 Carl Schorske, Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de Siècle, München 1994; Wolfgang Maderthaner, Lutz Musner, Die Anarchie der Vorstadt. Das andere Wien um 1900, Frankfurt am Main-New York 1999. 32 John W. Boyer, Karl Lueger (1844-1910). Christlichsoziale Politik als Beruf. Eine Biographie, Wien-Köln-Weimar 2010. 110 Christian Glanz

Westungarn, dem heutigen Burgenland.33 Kindheit und Jugend werden von ihm im auto- biographischen Rückblick einerseits idealisiert (als von den bedrängten Umständen her gleichsam erzwungene Selbstbildung, eine Variante des schon von Joseph Haydn bean- spruchten „original Werdens“, auch dieses Motiv taucht dann in den Nachrufen wiederholt auf), andererseits tendenziell abgeschwächt: So verschweigt er vor allem seinen familiär bedingten Anteil an der jüdischen Tradition, der Vater war immerhin Kantor und Notar und im Wohnort der Jugendzeit Deutschkreutz gab es eine sehr aktive jüdische Gemeinde.34 Diese Abschwächung seiner jüdischen Herkunft in der Autobiographie ist wohl mit der erfolgreich vollzogenen gesellschaftlichen Etablierung zu erklären, ein Aspekt, der auch in zahlreichen ähnlichen Biographien feststellbar ist.35 Im Speziellen dürfte auch die in der strenggläubigen Tradition des Vaters existente Ablehnung säkularer Bildung – die ja wesentliche Aufstiegs- und Integrationsbedingung war – in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen.36 Goldmarks Distanz zum praktizierten Judentum erscheint beispielsweise auch in den Erinnerungen Richard Kraliks. Vom Komponisten um „den lang ersehnten guten Operntext“ gebeten, hatte Kralik „ihm als einem Juden altbiblische Stoffe im Sinne Händels“ angeboten. „Aber merkwürdigerweise hatte er gerade vor diesen den größten Abscheu. Er sehnte sich kulturell aus dem Judentum heraus, ins deutsche Volkstum, ins Griechentum hinein. Das fand ich für sein eigenes Wesen abträglich.“37 Er verbringt eine entbehrungsreiche Jugend. Der ältere Bruder Josef (1818-1881), Arzt, der „Stolz der Familie“,38 ist politisch intensiv in der Wiener Revolution von 1848 engagiert, flüchtet nach deren Scheitern als verurteilter Aufrührer in die USA und wird erst 1870 rehabilitiert. Über Carl Goldmarks eigene Haltung zur Revolution bleibt der Leser der Autobiographie letztlich übrigens weitgehend im Unklaren. Der für Goldmark stets betonte autodidakte Aspekt ist in seinem musikalischen Werdegang tatsächlich sehr bedeutend, vor allem die direkte Erfahrung durch die Brot- arbeit unter meist unzulänglichen Bedingungen als Orchestermusiker (Geiger) auch an kleinsten Bühnen der Provinz ist dabei wichtig. Es gibt in diesen harten Lehrjahren je- doch auch kurze Phasen professioneller Ausbildung, unter anderem beim renommierten Geigenpädagogen Joseph Böhm39 in Wien.

33 Vgl. Winkler, Art. „Goldmark, Karl“ (s. Anm. 15). Die Gemeinde Deutschkreutz beherbergt heute ein Goldmark-Museum und ein „Café Goldmark“, auch eine Zugverbindung der Österreichischen Bundesbah- nen zwischen Wien und Deutschkreutz ist nach dem Komponisten benannt. 34 Gerhard Winkler, „Joseph Joachim und Carl Goldmark. Zwei parallele jüdische Musikerbiographien aus dem historischen Westun- garn“, in: ders. (Hg.), Musik der Juden im Burgenland, Eisenstadt 2006, S. 79-100. 35 Leon Botstein, Ju- dentum und Modernität. Essays zur Rolle der Juden in der deutschen und österreichischen Kultur 1848 bis 1938, Wien-Köln 1991, bes. S. 126-148. 36 Steven Beller, Wien und die Juden 1867-1938, Wien-Köln-Wei- mar 1993, S. 104. 37 Richard Kralik, Tage und Werke. Lebenserinnerungen, Wien 1922, alle Zitate S. 137. 38 Nachruf auf Carl Goldmark im Pester Lloyd, 3. Jänner 1915, S. 13. 39 Zur Wiener Geigentradition vgl. Wolfgang Augustin, Die neuere Wiener Geigenschule. Geigenvirtuosen als Komponisten, Lehrer und Neuerer in der Wiener Musikkultur vom Vormärz bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Instrumentalentwicklung, Diss. Wien 2004. „Schwarzgelb“ gelebt? 111

Nach ersten weitgehend unbeachtet gebliebenen Kompositionen Ende der 1850er Jahre profitiert er schließlich eindeutig vom liberal bestimmten Klima im Wien der „Grün- derzeit“: beginnend mit der bereits erwähnten Aufführung zunächst des Streichquartetts (der Weg zur Etablierung beim liberalen Bildungsbürgertum führt über die Kammermu- sik!), 1865 folgt der Erfolg der Sakuntala-Ouverture,40 die Tätigkeit als Musikschriftsteller, der Erhalt eines Staatsstipendiums, die Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft der Mu- sikfreunde und die kurzzeitige Leitung des Gesangvereins Eintracht (hervorgegangen aus dem jüdischen Männerchor Zion) sind weitere Stationen des Fußfassens im rasch expandierenden Musikleben der Metropole. Nicht zufällig kommt es gerade in diesen Jahren zu einer deutlichen Zunahme der regelmäßigen Konzerte (vor allem jener der Philharmoniker) und am Ende des liberalen Jahrzehnts stehen auch die architektonischen Symbole für das bildungsbürgerliche Wiener Musikleben der Gründerzeit: die neue Hof- oper und das Gebäude des Musikvereins am Ring. Der Durchbruch zur wirklich allgemeinen Bekanntheit erfolgt mit der großen Oper Die Königin von Saba (Text: Salomon Hermann von Mosenthal) an der Hofoper 1875, zuvor ist in der breiten musikinteressierten Öffentlichkeit nur die bereits erwähnte Ouverture Sakuntala erfolgreich (die 1865 von den Philharmonikern schon bei der „Leseprobe“ unüblich heftig akklamiert wird).41 Die „Verbindung aus grande-opéra und Wagners Leit- motivik“ wird in der Folge auch im Ausland (vor allem in Italien) viel gespielt. Goldmark wird danach in erster Linie als Bühnenkomponist42 wahrgenommen, jedoch schreibt er auch gleichrangig Klaviermusik, Männerchöre, zahlreiche Orchesterwerke43 und Lieder. Mit diesem vielfältigen Werk in allen wesentlichen Gattungen steht er als Generalist auffällig quer zu der von Manfred Wagner als für den Zeitraum seit den 1860er Jahren als charakteristisch eingeschätzten Tendenz der Wiener Musikschaffenden zur Spezi- alisierung auf bestimmte Genres, ein tatsächlich wichtiger Aspekt, der jedoch in den Nachrufen keine Rolle spielt.44 Aus der Zusammenarbeit mit so gänzlich unterschied- lich orientierten Librettisten wie Mosenthal und Mahlers Freund Siegfried Lipiner, auch aus der keineswegs stringenten Stoffwahl selbst, lassen sich keine weiterreichenden, konzeptuell grundsätzlich relevanten Schlussfolgerungen ziehen, die über die auch bei den Zeitgenossen feststellbaren Tendenzen versuchter Neuorientierung (sichtbar etwa in der zeitweiligen Attraktivität der „Märchenoper“45) hinausgehen. Immerhin wird man

40 Sein Freund Ernst Mach hatte ihn auf den Stoff aufmerksam gemacht. 41 Herta und Kurt Blaukopf, Die Wiener Philharmoniker. Welt des Orchesters – Orchester der Welt, Wien 1992, S. 226f. 42 Weitere Bühnenwerke: Merlin (Siegfried Lipiner, 1886), Das Heimchen am Herd (A. M. Willner nach Dickens, 1896), Die Kriegsgefangene (Emil Schlicht, 1899), Götz von Berlichingen (A.M. Willner nach Goethe, 1902), Ein Wintermärchen (A. M. Willner nach Shakespeare, 1907). 43 Ouvertur en Im Frühling, In Italien, Der gefesselte Prometheus, Sinfonie Ländliche Hochzeit, Violinkonzert a-Moll. 44 Manfred Wagner, „Wien – Stadt der Musik? Im Widerstreit zweier Positionen“, in: Kristian Sotriffer (Hg.), Das größere Österreich. Geistiges und soziales Leben von 1880 bis zur Gegenwart, Wien 1982, S. 56-60. 45 Friedrich C. Heller, „Jugendbewegung und Märchenoper“, in: Elmar Budde, Rudolph Stephan (Hg.), Franz Schreker-Symposion (Schriftenreihe der Hochschule der Künste Berlin, Bd. 1), Berlin 1980, S. 95-102. 112 Christian Glanz

„pomp and circumstance“ der Königin von Saba zumindest allgemein mit der in der Ringstraßenkultur stets präsenten Bereitschaft zur repräsentativen Geschichtsaneignung im liberalen Wiener Großbürgertum in Verbindung bringen, das Werk somit auch als „Spiegel“ dieser Gesellschaft einschätzen dürfen (dazu später noch etwas mehr). Die eindrucksvolle Etablierung, die Goldmark jedenfalls erreichte, zeigt sich also reputations- und rezeptionsmäßig. Goldmark war aber auch als öffentliche Figur im Sinne einer gesellschaftlichen Pro- minenz präsent, sichtbar an den Ritualen und Symbolen eben dieser Prominenz. Den Sommer verbrachte er seit den Erfolgen der 1870er Jahre wie die übrige künstlerische und wirtschaftliche Elite Wiens im Salzkammergut. In Gmunden am Traunsee besaß er eine kleine Villa, in seinem Stammkaffeehaus Zum Schiff hatte er „seine“ regelmäßige Tarockpartie. Im Frühling war er im internationalen Badeort Abbazia (heute Opatija, Kroa- tien) an der Adria (der damaligen „k.u.k. Riviera“) anzutreffen, und in Wien war er – meist begleitet vom befreundeten Komponistenkollegen Ignaz Brüll – bekannter Stammgast des Café Landtmann an der Ringstraße beim Burgtheater, beide stundenlang mit betont polyglotter Zeitungslektüre beschäftigt. „Alle halben Stunden wechselten sie ein Wort miteinander. Goldmark schlief schließlich fast immer ein, während Brüll sich stundenlang seinen mächtigen Bart strich …“46 Eine „schwarzgelbe“ Biographie ist also abgesehen vom betroffenen Zeitraum zwei- fellos nicht nur in den speziellen Umständen der Nachrufe begründbar. Der historische Befund verlangt allerdings dringend nach einer Akzentuierung der liberalen Ära Wiens als des Zeitpunkts, der die Etablierung strukturell ermöglicht hat. Wie steht es nun aber um „schwarzgelbe“ Spuren in der Musik Goldmarks? Zunächst bekennt sich der Komponist wiederholt und ganz ausdrücklich zu der von ihm aus eigenem Impuls erworbenen „deutschen Kultur“. Er entspricht damit einer allgemein verbreiteten Haltung, hier muss in diesem Zusammenhang der Hinweis auf Schönberg, Mahler, Victor Adler, Kraus etc. genügen, er betont aber gleichermaßen auch oft seine „ungarische“ Herkunft und österreichische Identität. Als „österreichischer“ und „vaterländischer“ Komponist bezeichnet er sich selbst z.B. 1873 in einem Brief an Eduard Hanslick, in dem er um Unterstützung des noch unsicheren Opernprojekts Die Königin von Saba bittet:

Bei aller notwendigen Bescheidenheit werden Sie mir das bißchen Selbstgefühl nicht übelnehmen, wenn ich’s hier ausspreche: daß ich der einzige österreichische Komponist bin – da man Brahms und Volkmann nicht zu diesen zählen kann – dessen Werke auf allen deutschen und nichtdeutschen Konzertprogrammen zu finden sind. […] Ich habe Grund, zu glauben, daß unsere Direktion durch einige vaterländische Mißerfolge ängst- lich und mißtrauisch wurde. Es mag wohl manchmal ein Unglück sein, ein Österreicher

46 „Die Gäste des Wilhelm Kerl“, in: Illustriertes Landtmann Extrablatt (Oktober 2002), S. 3. Vgl. auch Max Graf, Legende einer Musikstadt, Wien 1949, S. 225f. „Schwarzgelb“ gelebt? 113

zu heißen, aber eigentlich doch noch keine Schande. Der Staat gibt Pensionen, Aufträge, Stipendien an Künstler, und wenn dieser nun sein Wort hält, nach jahrelanger ange- strengter und gewissenhafter Arbeit ein würdiges, Erfolg versprechendes Werk vorlegt, findet er nur verschlossene Türen! Es fällt mir nicht ein, wenn mein Werk schlecht ist, mich auf den „Vaterländischen“ zu berufen; aber wenn es gut ist, sollte das billig mir kein Hindernis sein…47

Ein konkret musikalisches Bemühen um eine „österreichische“ Schreibweise im Sinn eines dekodierbaren musikalischen „Vokabulars“ lässt sich aus seiner Autobiographie oder aus seinem Umfeld freilich nicht ablesen. Goldmark steht dennoch beispielsweise bei Max Graf (in Legende einer Musikstadt, einer wesentlichen Quelle für den Topos von der „Musikstadt Wien“ nach 1945) für die franzisko-josephinische Epoche schlechthin. Deren „Glanz und Sinnlichkeit“ seien bei ihm besonders ausgeprägt. Graf betont die dafür typische „Beimischung des Orienta- lischen“ und motiviert alles aus der Biographie des Komponisten (und implizit auch der Epoche).48 In Goldmarks Musik seien laut Graf die unterschiedlichen kulturellen Kräfte der Monarchie versammelt „zu einer höheren allgemeinen Kultur“,49 eine überaus deutliche Anspielung auf die übergeordnete „schwarzgelbe“ Staatsidee. Graf ist dabei bemüht, Goldmark vor allem vom Wagnerumfeld und der deutschen Musik abzugrenzen, etwa am Beispiel seines Götz von Berlichingen. Hier sei Goldmark laut Graf vom typisch deutschen Stoff nicht wirklich angesprochen gewesen, generell bemüht er für Goldmark Friedrich Nietzsches „mediterrane Phantasie“.50 Diese Akzentuierung dürfte im Wesentlichen durch den historischen Standort und die Intention von Max Grafs Buch zu erklären sein: Bereits 1945 noch während der US-Emigration des bedeutenden Wiener Musikforschers und Publizisten erstmals ver- öffentlicht,51 unternimmt es den Versuch, Wien und Österreich betont nicht als Teil der deutschen Entwicklung zu sehen und diese Sichtweise zunächst einmal vor allem in der westlichen Welt zu propagieren. Die „Musikstadt Wien“ und das „Musikland Österreich“ treten hier nämlich durchgängig als die wesentlichen Charakteristika einer österrei- chischen Eigenart auf. Auf der Suche nach „schwarzgelben“ musikalischen Mitteln stellt sich aber ein ganz prinzipielles Problem: Sofort hörbare Spezifika eines musikalischen Vokabulars in auch nur vergleichbarer Deutlichkeit und Drastik wie bei Antonín Dvořák und Bedřich Smetana (oder im Hinblick auf das „Ungarische“ etwa bei Ferenc Erkel), wären natürlich bei einem

47 Brief an Hanslick im Zusammenhang mit Goldmarks Bitte um dessen Unterstützung bei der Vorberei- tung der Annahme der Königin von Saba seitens der Hofoper, abgedruckt in: Goldmark, Erinnerungen aus meinem Leben (s. Anm. 30), S. 121 bzw. 124. 48 Graf, Legende einer Musikstadt (s. Anm. 46), S. 215-232. 49 Ebenda, S. 216. 50 Ebenda, S. 228. 51 Legend of a Musical City, zweite englischsprachige Auflage 1969, spanisch 1947, deutsch 1949. Graf kehrte 1947 aus der Emigration nach Wien zurück. 114 Christian Glanz

in Geltung befindlichen, deklariert übernationalen Kontext kaum entsprechend einfach und unmissverständlich zu formulieren gewesen! Außerdem findet man bei Goldmark keine Titel, die „Schwarzgelbes“ gleichsam direkt und programmatisch transportieren würden. Vereinzeltes „Ungarisieren“ in Werktiteln – etwa in der Tondichtung Zrinyi (1902), Ungarische Tänze für Klavier (1876), Magyar Ábránd, Beitrag zum „Ausstellungsalbum ungarischer Tonkünstler“ (1885) – ist wohl primär aus der Attraktivität eines stilistischen „Idioms“ zu erklären, eine bekanntlich auch bei Johannes Brahms und später noch bei feststellbare Neigung. Gewissermaßen grundsätzlich auffällig ist bei Goldmark ganz sicher die häufige Verwendung von vergleichsweise „strengen“ Verfahren und Techniken der kunstmusi- kalischen Tradition: eine hohe Wertschätzung der Fuge, auch als täglich diszipliniert vollzogene praktische Übung. Die damals sonst selten (etwa bei Brahms) Verwendung findenden historischen Formen Präludium und Passacaglia treten besonders im Kla- vierwerk, nur vereinzelt in der Sinfonik, auf, die verschiedenen Techniken der Variation spielen generell eine große Rolle. Der weitgehende Autodidakt Goldmark hat sich, auch hierin Anton Bruckner vergleichbar, wohl konsequent selbstkritisch immer wieder der ei- genen technischen Fähigkeiten versichert. Aber es scheint sich dabei – wie auch in den Stoffen seiner Opern – wohl auch noch um eine bewusste Bezugnahme auf tatsächliche oder angenommene bildungsbürgerliche Haltungen und Erwartungen im Sinne einer „Inbesitznahme der Kunsttraditionen“, gerade in der bereits angesprochenen Wiener Gesellschaft der Ringstraßenzeit so deutlich sichtbar, zu handeln, hierin wiederum der Haltung von Johannes Brahms vergleichbar. Dieses Bildungsbürgertum der Gründerzeit dominierte ja neben alter Aristokratie den Musikverein. Starke persönliche stilistische Eigentümlichkeiten finden sich vor allem in der Harmo- nik, mit einer Vorliebe für zumindest „unübliche“ Fortschreitungen, zum Teil unvermittelte Rückungen und frei einsetzende Dissonanzen. Hanslick sah auch dieses Charakteristi- kum sehr kritisch: „Der reichliche Gebrauch, um nicht zu sagen Mißbrauch von Vorhalten, Synkopen und Dissonanzen gehört freilich zu den Merkmalen der modernen deutschen Schule überhaupt; aber ein so anhaltendes Vergnügen an schneidenden Mißklängen wie Goldmark empfinden doch nur wenige seiner Collegen.“52 „Folkloristik“ ist zwar feststellbar, erscheint aber grundsätzlich „abstrakt“ formuliert. Ein Beispiel wäre etwa in der Sinfonie Ländliche Hochzeit (3. Satz: „Serenade“, mit dem beliebten Dudelsackeffekt, aber verbunden mit im Kontext unüblichen Harmoniefolgen) zu finden. Von offenem „Wagnerismus“ ist in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll zu sprechen. Tatsächlich sehr auffällig ist schließlich die immer wieder schon bei Zeitgenossen Goldmarks auftretende vergleichende Bezugnahme auf Hans Makart (1840-1884), laut

52 Aus der Premierenkritik zur Königin von Saba (s. Anm. 26). „Schwarzgelb“ gelebt? 115

Ludwig Hevesi „das große Original in einer nicht originalen Welt.“53 In der Literatur wird vor allem Die Königin von Saba in ihrer „Opulenz“ und „orientalischen Pracht“ immer wie- der mit dem „Makartstil“ in der Malerei als „typisch österreichischem“ Charakteristikum im Hinblick auf die Ästhetik der Ringstraßenzeit in Verbindung gebracht. Auch im Vorwort der Autobiographie Goldmarks, verfasst vom Musikschriftsteller, Komponisten und Juristen Ferdinand Scherber,54 erscheint „die Architektur dieser Zeit des neuen Wien mit ihrem Gold- und Farbenrausch und das Makartsche Gemälde“55 als gleichsam „klimatischer“ Hintergrund der Entwicklung des Komponisten, und auch Guido Adlers Würdigung zieht die „gleichzeitige Farbenpracht der Gemälde von Makart, bei dem auch das Verhältnis von Linie und Farbe ein ähnliches ist“56 heran. Bei der Lektüre der Szenenanweisungen zur Oper ist es tatsächlich schwer, nicht sofort an Pracht und Monumentalismus des Makartklischees zu denken. Etwa in der Beschreibung der „Halle im Palaste Salomos“, Schauplatz des ersten Akts:

Zwei Prachtpfeiler teilen den Hintergrund in drei Bogen, die kleineren führen in Säulengänge. Von der Höhe der Bühne herab, auf beiden Seiten im Hintergrund, füh- ren breite Treppen, mit Teppichen belegt, am Fuße der Treppen goldene Löwen, links und rechts Türen aus Ebenholz und Gold. Links im Vordergrund der Löwenthron. Das Ganze bietet den Anblick der höchsten Pracht. Über die Treppen herab steigen von der linken Seite die Frauen Salomons in festlichen Gewändern, verschleiert. Sklavinnen mit Pauken, Harfen und Triangeln folgen. Von der rechten Seite folgen die Töchter Jerusalems, Mägde mit goldenen Blumenkörben begleiten sie [...].57

Ähnliches ist bei der Charakterisierung der Szenerie beim Einzug der Königin von Saba (1. Akt, Nr. 10 und 11) zu finden, die Beschreibung der Königin selbst liest sich wie eine der „typischen“ Makart-Frauenbilder. Auch der Schauplatz des Tempels (2. Akt, 5. Szene und folgende) und die „Festhalle“ des dritten Aktes sind von äußerster Prunkentfaltung charakterisiert. Die Makart-Komponente ist ebenso in den Nachrufen auf Goldmark zu finden, etwa, wenn vom „Nestor und ‚Makart‘ unter den österreichischen Tondichtern“58 gesprochen wird. Als „Klischee vom Schwulst des musikalischen Makartstils“59 ist in tendenziell abwer- tendem Kontext noch in neuerer musikhistorischer Literatur die Rede, schon wesentlich früher bereits eindeutig negativ assoziiert in „national“ orientierter Musikliteratur: Walter Niemann sah Goldmark in Anspielung auf den Ahasvermythos überhaupt als „ein Stück wandernder Geschichte“.60

53 Vgl. Marianne Bernhard, Zeitenwende im Kaiserreich. Die Wiener Ringstraße. Architektur und Gesell- schaft 1858-1906, Regensburg 1992, S. 251-262, hier S. 253. 54 Erich H. Mueller, Deutsches Musiker- Lexikon, Dresden 1929, Sp. 1230f. 55 Goldmark, Erinnerungen aus meinem Leben (s. Anm. 30), S. 6. 56 Adler, „Karl Goldmark“ (s. Anm. 14). 57 Die Königin von Saba, 1. Akt, 1. Szene. 58 Musica Divina III/1 (Jänner 1915), S. 19. 59 Musikgeschichte Österreichs, Bd. 3 (s. Anm. 16), S. 57. 60 Walter Niemann, Die Musik seit Wagner, Berlin 1913, S. 70f. 116 Christian Glanz

Wenn man nun versucht, der Makart-Spur kritisch nachzugehen, könnte man folgende Aspekte auch für Goldmarks Musik für bedenkenswert halten: Erstens ihre grundsätzliche Verortung in einer bildungsbürgerlich geprägten ästhe- tischen Szenerie, die Kunst primär als „das schöne Zusätzliche“ – und noch nicht als „Essenz des Lebens“ – begreift. Als geliebtes, notwendiges und erwünschtes Gegenbild zum Alltagsleben begriffen, wird für diese Kunst als „Sonn- und Feiertag des Lebens“ eine genau geplante Zeit „erübrigt“ (Theodor Billroth), die sonst durchlaufende „Denk- maschine“ wird dafür zum Stehen gebracht (Franz von Lenbach).61 Zweitens: Goldmarks Musik und Makarts Malerei richten sich an eine Gesellschaft, die sich als „stil- und geschmacksbildend“ versteht. Die Vermittlung von gesicherter, aristokratisch geprägter Kunsttradition und deren symbolische Inbesitznahme (die bür- gerlichen Werte „Besitz und Bildung“) spielten dabei eine wichtige Rolle. Bei Makart wäre dies in den Symbolen Rubens und Tizian als Anspruchsniveau zu sehen, bei Goldmark entspräche dem einerseits die deutliche Hervorhebung musiktechnischer Kompetenz (also: die Demonstration der Beherrschung des Handwerks), andererseits der sicher gehandhabte „Wirkungsaspekt“ durch Positionierung von Effekten in Harmonik und Orchesterklang. Drittens wäre die Bedeutung der „Farbe“ auch im ästhetischen Diskurs der Zeit zu bedenken: die Beschreibungen von Werk und Atelier Makarts zeigen dieselben Meta- phern wie die von Stimmen gefeierter Sängerinnen („wie dunkelrot leuchtender Samt“) und die der Klangeindrücke der Musik Goldmarks, kulminierend in den Rezensionen der Königin von Saba. Goldmarks Musik wird also vor einer ähnlichen Metaphernkulisse abgehandelt wie Makarts Malerei. Viertens: Die Betonung des Dekorativen – von Hermann Broch für die Makartzeit der „fröhlichen Apokalypse“ als typisch hervorgehoben – liege laut Ludwig Hevesi in der Farbe, während sich das später zu zentraler Bedeutung aufrückende Ornament vor allem in der Linie äußere. „Charakter“ und „Stimmung“ lägen für die „Dekorativen“ als die Vorläufer der „Modernen“ vor allem in der Farbe begründet.62 Es wäre möglicherweise sinnvoll zu überlegen, ob und wieweit diese Sicht auf die Musik Goldmarks, nämlich auf das Verhältnis zwischen „linearer“ thematisch-motivischer Ebene und „flächiger“ Harmo- nik angewendet werden kann. Fünftens: In der Beurteilung des ästhetischen Werts der verglichenen Positionen scheint sich ein Unterschied zu zeigen: Hermann Broch hatte bekanntlich den „Un- Stil“ der Makartzeit letztlich als Kitsch gewertet (die ästhetischen Werte, die von ihm herangezogen wurden, seien nicht mehr gültig gewesen).63 Die von Goldmark betonte kunstmusikalisch-handwerkliche Basis hingegen (also Fuge und Kontrapunkt) war im Mu-

61 Karlheinz Rossbacher, Literatur und Liberalismus. Zur Kultur der Ringstraßenzeit in Wien, Wien 1992, S. 57ff. 62 Vgl. Kristian Sotriffer, „Dekoration als Kunst. Die ‚Überdeckung von Armut durch Reichtum‘“, in: ders. (Hg.), Das größere Österreich (s. Anm. 44), S. 51ff. 63 Zit. ebenda, S. 55. „Schwarzgelb“ gelebt? 117

sikdenken seiner Zeit zwar nicht in Mode (man bedenke die reservierte Aufnahme „alter“ Verfahren auch durch Brahms bei großen Teilen des Publikums), in ihrer grundlegenden technischen und ästhetischen Gültigkeit blieb sie jedoch unbestritten. Ihre Verbindung mit aufregendem Klang und oft unerwarteter Harmonik setzt diese Musik nicht automatisch dem Kitschverdacht aus. Auch Goldmarks Gegner haben einen solchen Verdacht nur im Kontext mit bekannten und von Wagner abgeleiteten antisemitischen Reflexen („fehlende Tiefe“, „Wirkung ohne Ursache“ etc.) erhoben.

Versuch eines Resümees Carl Goldmarks Laufbahn ist in wichtigen Aspekten von „schwarzgelben“ Zusammen- hängen gekennzeichnet: Ein mühsamer, letztlich aber sehr erfolgreicher Weg „von der Peripherie ins Zentrum“, mit der Etablierung als Komponist während der im Gesamtzu- sammenhang der österreichischen Geschichte kurzen, für seine Biographie aber ent- scheidenden liberalen Phase, führend zu seiner fortdauernden Verankerung im Wiener Musikleben, auch wesentlich über die Rolle des „Nur-Komponisten“ hinaus. Im hohen Alter konnte er so für Viele tatsächlich symbolisch den „vaterländischen“ Komponisten darstellen. Der eigene Standpunkt wird dabei musikalisch aber nicht in einer Weise festgelegt, die mit den spezifisch „nationalen“ Vokabularien von österreichischen Zeit- genossen wie Smetana, Erkel oder Dvořák zu vergleichen wäre. Hätte er sich – wie Max Graf meinte – tatsächlich als Exponent eines übergeordneten Identitätsprogramms ver- standen, wäre diese Vorgangsweise wohl auch die einzig sinnvolle gewesen: um „öster- reichisch“ im „schwarzgelben“ Sinn zu komponieren, könnte es ihm daher genügt haben, „als österreichische Persönlichkeit in Österreich zu komponieren“, um hier eine bekannte Definition „amerikanischer“ Musik von Aaron Copland64 zu variieren. Auch Goldmarks Autobiographie verklausuliert im Hinblick auf die Relevanz identitätsbezogener Stand- ortbestimmung Vieles, vor allem im Zusammenhang mit dem Antisemitismus. Was dabei dem posthumen Erscheinen der Schrift zuzuordnen ist, muss vorerst offen bleiben. Das Bewusstsein dafür und für Politik im Allgemeinen war bei Goldmark ganz sicher vorhan- den, nicht zwingend erschien es ihm aber offenbar, dazu auch unüberhörbar „im Werk“ Stellung zu nehmen. Ein geradezu schwankhaftes Indiz dafür sei zum Schluss erwähnt: In seiner Autobiographie berichtet Goldmark über eine lebensbedrohliche Situation, in die er als Achtzehnjähriger im Verlauf der revolutionären Wirren im seinerzeitigen Raab (heute Györ, Ungarn) geraten war. Aufgrund eines Missverständnisses war er in Gefahr, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden und der letztlich glückliche Ausgang der Sache wird vom Autor in der Erinnerung auch einem symbolischen Detail zugeschrieben: „Ich

64 „Da wir hier leben und hier wirken, können wir sicher sein, daß, wenn unsere Musik reif ist, sie auch amerikanisch sein wird. Amerikanische Persönlichkeiten werden amerikanische Musik schaffen ohne jede Hilfe von seiten eines bewußten Amerikanismus.“ Zit. nach Julia Smith, Aaron Copland. His works and His Contributions to American Music, New York 1955, S. 223. 118 Christian Glanz

weiß nicht, ob meine Beredsamkeit viel genützt hätte, aber jedenfalls war die Stimmung durch meine Darstellung des Falls schon gemildert und eine Reihe von Zufälligkeiten tat das übrige zu meiner Rettung. Meine Oberkleidung hing in Fetzen, so daß mein Hosen- träger sichtbar war; er war – schwarzgelb – auch ein mildernder Umstand.“65

65 Goldmark, Erinnerungen aus meinem Leben (s. Anm. 30), S. 42.