jahr 2019

jahrgang 18

ausgabe 32

herausgeber christoph vatter ibrahima diagne

url interculture-journal.com

Interkulturelle Kommunikation in / mit Afrika: neue Perspektiven

Intercultural communication in / with Africa: new perspectives

La communication interculturelle en / avec l’Afrique : nouvelles perspectives

Mit Beiträgen von:

Adelheid Iken (Hamburg) Fidele Mutwarasibo (Dublin) Claude-Hélène Mayer (Johannesburg) Maja Störmer (Jena) Julien Bobineau (Würzburg) Christoph Vatter (Halle) Natascha Ueckmann (Halle)

Louis Ndong (Dakar) Annette Bühler-Dietrich (Stuttgart) Ibrahima Diagne (Dakar) Hans-Jürgen Lüsebrink (Saarbrücken) herausgeber bibliografische Information der deutschen jürgen bolten (jena) nationalbibliothek stefanie rathje (berlin) die deutsche nationalbibliothek verzeichnet diese publikation in der wissenschaftlicher beirat deutschen nationalbibliografie; de- rüdiger ahrens (würzburg) taillierte bibliografische daten sind im manfred bayer (danzig) internet über dnb.d-nb.de abrufbar. darla deardorff (durham) ibrahima diange (dakar) copyright klaus p. hansen (passau) interculture journal steht unter einer jürgen henze (berlin) creative commons attribution 3.0 bernd müller-jacquier (bayreuth) license. alois moosmüller (münchen) alexander thomas (regensburg) verlag yaling pan (peking) wissenschaftlicher verlag berlin. wvberlin.com chefredaktion druck: digitaler buchdruck sdl, berlin, anita ackermann printed in germany editing preis anita ackermann printausgabe: EUR 22,- abo: EUR 18,- pro heft bezug / abonnement direkt über den kontakt verlag: wvberlin.com/icj/ fachgebiet interkulturelle wirtschaftskommunikation (iwk) universität jena ernst-abbe-platz 8 07743 jena [email protected] issn online: 2196-9485 print: 2196-3363 url interculture-journal.com open access interculture journal steht als open access publikation kostenfrei unter unterstützt von // supported by interculture-journal.com zur verfügung inhalt content

Vorwort der Herausgeber 7 Christoph Vatter, Ibrahima Diagne Editorial Vorwort der Herausgeber

15 Fidele Mutwarasibo, Adelheid Iken I am because we are – the contribution of Artikel the Ubuntu philosophy to intercultural Articles management thinking

33 Claude-Hélène Mayer New African discourses in intercultural communication in Chinese-Tanzanian business interactions

53 Maja Störmer Der lange Weg der Versöhnung – Aspekte des deutsch-namibischen Vergangenheits- diskurses

71 Ibrahima Diagne Verweigerte Identitätsgeographien, ent- grenzte Universalismen und produktive Diskursformationen im Spannungsfeld postkolonialer Kontroversen in den afrika- nisch-europäischen Beziehungen

87 Julien Bobineau Koloniale Diskurse, afrikanische Epistemo- logien und das AfricaMuseum in Belgien. Zum Potential einer postkolonialen Inter- Praxisbericht kulturalität bei Felwine Sarr und Bénédicte Field report Savoy

xtkulturelle Me- dienstudien: Stereotype und Ideologie als textliche Seman- inhalt content

Natascha Ueckmann, Christoph 103 Vatter Oper und Afrika – (post-)koloniale Verstri- ckungen und interkulturelle Wechsel- wirkungen am Beispiel von Meyerbeers L’Africaine in Halle / Lübeck

119 Natascha Ueckmann, Christoph Vatter De l’opéra et de l’Afrique – enchevêtre- ments (post-)coloniaux et interactions interculturelles à l’exemple de L’Africaine de Giacomo Meyerbeer à Halle et Lübeck

Natascha Ueckmann, Christoph 137 Vatter Die „Möbelpacker der Entkolonialisie- rung“ entrümpeln und erneuern die Oper L’Africaine von Giacomo Meyerbeer. Inter- view mit Lionel Poutiaire Somé, Philipp Amelungsen und Michael von zur Mühlen (Oper Halle)

Natascha Ueckmann, Christoph 151 Vatter Les „déménageurs de la décolonisation“ dépoussièrent et renouvellent l’opéra L’Africaine de Giacomo Meyerbeer Entretien avec Lionel Poutiaire Somé, Philipp Amelungsen et Michael v. zur Mühlen (Opéra de Halle)

Louis Ndong 165 Deutsch-senegalesische Transferbeziehun- gen: Möglichkeiten einer interkulturellen Kommunikation anhand der deutschen Übersetzung von Mariama Bâs Une si longue lettre (Ein so langer Brief) 179 Annette Bühler-Dietrich Formen des Miteinanders im franko- phonen afrikanischen Theater

Hans-Jürgen Lüsebrink 199 Interkulturalität und ‚lateraler Uni- versalismus‘. Zu Souleymane Bachir Diagnes und Jean-Loup Amselles Werk aus Sicht der Interkulturellen Kommunikationsforschung

Thomas Habenicht Rezensionen 207 Thiagarajan, Sivasalam, Annette Gi- Reviews sevius, Samuel van der Bergh, Tom Kehrbaum: Interaktive Trainingsme- thoden 2 – Thiagis Aktivitäten für berufliches, interkulturelles und politi- sches Lernen in Gruppen.

211 Boris Kalbheim Marcel Bleuler, Anita Moser (Hrsg.): Ent/Grenzen. Künstlerische und kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Grenzräume, Migration und Ungleichheit. 6 interculture journal 18/32 (2019) Vorwort der Herausgeber Editorial

Christoph Vatter Interkulturelle Kommuni- Mit dem vorliegenden Themenschwer- kation in/mit Afrika: neue punkt des interculture journal soll das Dr., vertritt seit 2017 die Profes- Perspektiven subsaharische Afrika in der interkultu- sur für Romanische Kultur- und rellen Kommunikationsforschung sowie Landeswissenschaften an der Das subsaharische Afrika und ins- den damit verbundenen Praxisfeldern Martin-Luther-Universität Halle- besondere die frankophonen Länder sichtbarer werden. Im Fokus stehen Wittenberg. Außerdem lehrt und gehören zweifelsohne zu den im inter- forscht er im Bereich interkulturelle dabei insbesondere auch neue Perspek- disziplinären Forschungs- und Lehr- Kommunikation an der Univer- tiven von afrikanischen Intellektuellen, gebiet Interkulturelle Kommunikation sität des Saarlandes. Zu seinen die die kulturtheoretischen Debatten bislang stark vernachlässigten Kultur- Forschungsschwerpunkten gehören seit einigen Jahren bereichern und von räumen. Gleichzeitig dient(e) der Kon- interkulturelle Kommunikation und denen auch fruchtbare Impulse für die tinent aber auch als Projektionsfläche interkulturelles Lernen, frankopho- Interkulturelle Kommunikation ausge- und Kristallisationspunkt exotistischer ne Medien- und Kulturwissenschaft, hen. Frankophonie (insb. Québec und Faszination mit einer langen histori- frankophones Afrika), kulturelle schen Tradition, derer sich beispiels- 1. „Afrika“ in der inter- Diversität und Erinnerungskulturen. weise die Werbung bis heute häufig kulturellen Kommunikati- onsforschung Ibrahima Diagne bedient, und ist ein traditionsreiches Untersuchungsterrain in den traditio- Insbesondere in den immer noch weit Prof. Dr., ist am Département nell auf die Erforschung „kultureller verbreiteten, „klassischen“ Kulturerfas- de Langues et Civilisations Fremdheit“ spezialisierten Disziplinen sungsansätzen wird deutlich, dass die Germaniques der Universität Ethnologie und Anthropologie. Cheikh Anta (Dakar, ) Kulturen des subsaharischen Afrikas Leiter des Instituts für Aber auch eine Vielzahl von Ver- zu den blinden Flecken der interkul- Angewandte Fremdsprachen. öffentlichungen afrikanischer und turellen Kommunikationsforschung Forschungsschwerpunkte: europäischer Wissenschaftler aus den gehören. Es ist frappierend, dass gerade Literatursoziologie und Kultur- und Geisteswissenschaften, Werke wie die von Hofstede (2001), -psychologie, interkulturelle sowie auch aus der Übersetzungs- und Trompenaars (2012), Meyer (2014) Kommunikation (Beziehungen Geschichtswissenschaft haben schon oder auch die Globe Study (House et und Repräsentationsparadigmen sehr früh eine Rolle im Aufbau eines al. 2004; Chockar et al. 2007) trotz in Literatur, Historiographie interkulturellen afrikanisch-europä- ihrer internationalen Reichweite das und Medien bzw. Ausstellungen, ischen Forschungsfelds gespielt, indem Afrika südlich der Sahara kaum be- Filmen und Presse); sie mit Kategorien wie „Kulturdialog“, rücksichtigen; die 21 Länder, in denen Wissens- und Kulturtransfer, „das Eigene und das Fremde“, „Inter- Fremdwahrnehmungsmuster das Französische als offizielle Sprache und Identitätskonstruktionen; nationalität“ „Interkulturalität“ das etabliert ist, sind sogar so gut wie gar 2 afrikanische Migrationsliteratur Wechselverhältnis und den Austausch nicht repräsentiert. Trompenaars bei- in Deutschland, interkulturelle der kulturdifferenten Perspektiven spielsweise macht lediglich Angaben Autobiographik, konzeptuell und methodisch unter- zu Burkina Faso, Hofstede auch zum Erinnerungsdiskurs. sucht haben.1 Senegal; im Korpus der Globe Study

7 liche Konzepte auf Kultur und Inter- findet sich kein einziger dieser Staaten kulturalität dominieren jedoch auch in und auch Meyer nennt kein einziges diesen Diskursen weiterhin häufig die Land aus dem frankophonen Afrika etablierten Konzepte und die implizite – obwohl sie selbst im frankophonen Übernahme westlich-eurozentrischer Kulturraum tätig ist. Im Falle Hofstedes Perspektiven (Busch 2014). werden Daten zum Senegal und zu Bur- kina Faso – wie auch für weitere Länder 2. Neue Perspektiven aus Afrikas – als „geschätzte“ Werte charak- Subsahara-Afrika terisiert, die nicht aus eigenen Arbeiten Afrikanische Beiträge eröffnen in zwei- 3 stammen. erlei Hinsicht neue Perspektiven auf Als Gründe für diese Lücke in den ge- Kultur und Interkulturelle Kommuni- nannten Kulturvergleichsstudien kön- kation: Zum einen bestehen in Subsa- nen zum einen sicherlich forschungs- hara-Afrika vielfältige und historisch pragmatische Faktoren geltend gemacht weit zurückreichende Erfahrungen mit werden, wie z.B. die sprachlichen und kultureller Diversität und Interkultura- kulturellen Kompetenzen der Autoren, lität. Aufgrund der hohen Dichte inter- bestehende Forschungsnetzwerke, etc. kultureller Konstellationen haben sich Zum anderen liegt aber auch die Hypo- innerhalb der einzelnen Regionen und these nahe, dass sich hierin auch öko- Länder spezifische Strategien zum Um- nomische Faktoren widerspiegeln, v.a. gang mit Vielfalt entwickelt, wie z.B. bei Studien, die auch auf Praxisfelder in Scherzverwandtschaften (Canut / Smith der internationalen Unternehmenszu- 2006) und das Ubuntu-Prinzip4 oder sammenarbeit und im interkulturellen auch Formen des religiösen und kultu- Management abzielen. Ein gewisser rellen Synkretismus sowie der sprachli- Eurozentrismus, wie er bereits in den chen Diversität. Außerdem spielen die 1980er Jahren für Hofstedes Studie (post)kolonialen, häufig konfliktuellen geltend gemacht wurde (Chinese Cul- Verstrickungen durch den transatlanti- ture Connection, 1987), mag dabei schen Sklavenhandel und die Kolonia- ebenfalls eine Rolle spielen. Dies zeigt lisierung eine wichtige Rolle, so dass sich auch in der Globe Study, die sich – die historischen Erfahrungen und Ent- allein auf Daten aus Namibia, Nigeria, wicklungen Afrikas somit untrennbar Südafrika, Sambia und Simbabwe beru- mit denen Europas und der Amerikas hend – nicht scheut, ein gemeinsames verknüpft sind. „Kultur-Cluster“ „Sub-Saharan-Afrika“ Zum anderen werden seit einigen Jah- zu proklamieren, während andererseits ren Stimmen afrikanischer Intellektu- z.B. zwischen „Latin Europe“, „Nordic eller, v.a. auch aus dem frankophonen Europe“, „Germanic Europe“ und „Ea- Subsahara-Afrika, immer sichtbarer. stern Europe“ differenziert wird (Chho- Achille Mbembe (2013), Felwine Sarr kar et al. 2007, 13). (2016, 2017), Souleymane Bachir In der jüngeren interkulturellen For- Diagne (2017) u.a. tragen so maßgeb- schung, v.a. auch aus postkolonialer lich zur kulturtheoretischen Debatte Perspektive, finden sich zahlreiche Ver- bei. Der damit verbundene Anspruch, suche, nicht-westlichen Ansätzen in der eigene Positionen und neue Wege zur interkulturellen Kommunikation einen Gestaltung der interkulturellen Be- größeren Raum zu geben (Asante et ziehungen innerhalb Afrikas, v.a. aber al. 2013). Dabei sind neben Beiträgen auch im Nord-Süd-Dialog zu entwic- asiatischer Forscher (Miike 2010) auch keln (s.a. Diagne/Amselle 2018), findet vereinzelte afrikanische (Nwosu 2009) auch in neuen Austauschformaten Positionierungen sowie verbindende Ausdruck wie z.B. in der von dem in Stellungnahmen zu Asien- und Afrika- Südafrika lehrenden kamerunischen zentrierten Ansätzen (Asante / Miike Philosophen Achille Mbembe und 2013; Miike 2017) zu finden. Trotz z.T. dem senegalesischen Wirtschafts- und vehementer Plädoyers für nicht-west- Kulturwissenschaftler Felwine Sarr ins

8 interculture journal 18/32 (2019) Leben gerufenen Denkwerkstatt Les rer kulturtheoretischer Ansätze für eine ateliers de la pensée (vgl. Mbembe / Sarr selbstbewusste Neuperspektivierung 2017), die im Herbst 2019 zum dritten Afrikas wie z.B. bei Felwine Sarre oder Mal in der senegalesischen Hauptstadt Achille Mbembe, die – so ihre Bilanz Dakar stattgefunden hat. Diese neuar- – letztlich jedoch kaum in den Äuße- tigen Strategien der Konzeptualisierung rungen der befragten Akteure Widerhall eines künftigen Afrikas mit Diskursfor- finden. mationen wie „Afrotopia“ (Sarr) oder Die historische Dimension europäisch- „Afropeanismus“ (Miano) haben eine afrikanischer Beziehungen sowie ihre generative Funktion für Globalisie- Folgen behandelt Manja Störmer in rungsversuche und lassen so Tendenzen ihrem Aufsatz über den Umgang mit der Kongruenz bzw. Resilienz postkolo- dem Erbe der deutschen Kolonialzeit. nialer Wahrnehmungen, Transfers und Anhand der Aufarbeitung des sog. Repräsentationen erkennen. Herero-Aufstands von 1904 in der Diese Ansätze, interkulturelle Beziehun- Erinnerungskultur arbeitet sie die un- gen als Relationalitäten neu zu denken, terschiedlichen, z.T. sehr divergenten laden dazu ein, im Hinblick auf die Perspektiven in diesem interkulturellen Paradigmenverschiebungen im interkul- Dialog zwischen Deutschland und Na- turellen Diskurs der vergangenen Jahre mibia heraus. gelesen und für ein „sustainable glocal Aktuelle kulturtheoretische Diskurse relationship building“ im Kontext eines sowie die kulturelle Dimension der eu- prozessualeren Verständnisses von In- ropäisch-afrikanischen Zusammenarbeit terkulturalität (Bolten 2016) fruchtbar stehen im Fokus der weiteren Beiträge. gemacht zu werden. 3. Die Beiträge Ibrahima Diagne kontextualisiert und analysiert aktuelle Neuperspektivierun- Die Beiträge dieser Ausgabe des inter- gen und -Konzeptionalisierungen für culture journal greifen diese Impulse in den afrikanischen Kontinent und die vielfältiger Weise auf und erörtern Po- europäisch-afrikanischen Beziehungen tenziale interkultureller Kommunikati- – wie Afropolitanismus, Afropeanismus on und Verständigung in und mit Afri- oder Afrotopia – als ein interkulturelles ka, auch im Hinblick auf neue Konfi- Spannungsfeld zwischen postkolonialen gurationen und Diskursformationen, und transkulturellen Positionsbestim- die sich daraus für den afrikanischen mungen. Kontinent ergeben. Neben kulturtheo- Die von Felwine Sarr und Bénédicte Sa- retischen und historischen Aspekten voy neu belebte Debatte um den Um- rücken auch Akteursfelder wie interkul- gang mit afrikanischen Kulturgütern in turelles Management und Unterneh- europäischen Museen greift Julien Bo- menskooperationen sowie die kulturelle bineau auf und diskutiert am Beispiel Zusammenarbeit in den Fokus. der Neugestaltung des AfricaMuseums Das Potenzial afrikanischer Ansätze für im belgischen Tervuren, welche Poten- die interkulturelle Zusammenarbeit in ziale für eine postkoloniale Interkultu- Management und Unternehmen steht ralität dadurch eröffnet werden können. im Zentrum der ersten beiden Beiträge. Die Oper als Raum postkolonialer Adelheid Iken und Fidele Mutwarasibo interkultureller Aushandlungsprozesse stellen die aus dem südlichen Afrika steht im Mittelpunkt des Beitrags von stammende Ubuntu-Philosophie vor Natascha Ueckmann und Christoph und fragen nach Anwendungsperspek- Vatter, die zum einen eine Bilanz in- tiven im interkulturellen Management. terkultureller Aneignungsformen und Der Beitrag von Claude-Hélène Mayer postkolonialer Auseinandersetzungen untersucht die interkulturelle Kommu- in und mit der Kunstform Oper im nikation in chinesischen Unternehmen europäisch-afrikanischen Kontext zie- in Tansania vor dem Hintergrund neue- hen und zum anderen das experimen-

9 telle Projekt einer Dekonstruktion und Routlege, 2013. „Re-Afrikanisierung“ von Giacomo Asante, M.K. / Miike, Y. (2013): Meyerbeers Grand Opéra L’Africaine Paradigmatic Issues in Intercultural an der Oper Halle vorstellen. Weitere Communication Studies: An Afrocen- Einblicke in diese originelle europäisch- tric-Asiacentric Dialogue. China Media afrikanische Zusammenarbeit ermög- Research, 9(3), S. 1-21. licht das folgende Interview mit den Machern des Stücks. Bationo, J.-C. / Lüsebrink, H.-J. (Hrsg.) (i.E.): Interkulturelle Kom- Der literarischen Dimension der inter- munikation im afrikanischen Kontext. kulturellen Beziehungen zwischen dem Methodische Herausforderungen und Senegal und Deutschland widmet sich pädagogische Modelle / Communication der Beitrag von Louis Ndong. Dabei interculturelle en contexte africain. Défis untersucht er nicht nur die rezeptions- méthodologiques et modèles pédagogiques. ästhetischen Spannungen, sondern auch Saarbrücken: Universaar. die Äußerungen, Sinnstiftungen und -verschiebungen in kultureller Überset- Bolten, J. (Hrsg.) (2016): Interkultura- zungsprozessen am Beispiel des Werkes lität neu denken! Sonderheft Interculture Ein so langer Brief von Mariama Bâ. Journal, 15, H.26. URL: http://www. interculture-journal.com/index.php/icj/ Auch der Aufsatz von Annette Bühler- issue/view/37 [Zugriff am 28.11.2019]. Dietrich greift aktuelle theoretische Canut, C. / Smith, E. (Hrsg) (2006): Diskurse auf und analysiert am Beispiel Parentés, plaisanteries et politique. des zeitgenössischen Theaters, wie sich Cahiers d’études africaines, 186. Paris : die Suche nach neuen Formen des Mit- EHESS. einanders in und mit Afrika nicht allein auf kulturtheoretische Debatten be- Diagne, S.B. / Amselle, J.-L. (2018): En schränkt, sondern auch auf der Bühne quête d’Afrique(s). Universalisme et pen- erprobt und weiterentwickelt wird. sée décoloniale. Paris : Albin Michel. Hans-Jürgen Lüsebrink stellt schließ- Diagne, S.B. (2017): Pour une histoire lich das als Dialog konzipierte Werk postcoloniale de la philosophie. Cités En quête d‘Afrique(s). Universalisme et 2017(4), S. 81-93. pensée décoloniale (2018) des senegalesi- Busch, D. (2014): Was, wenn es die schen Phliosophen Souleymane Bachir Anderen gar nicht interessiert? Über- Diagne und des französischen Ethno- legungen zu einer Suche nach nicht- logen Jean-Loup Amselle aus Sicht der westlichen Konzepten von Interkultu- interkulturellen Kommunikationsfor- ralität und kultureller Diversität. In: schung vor. Moosmüller, A. / Möller, J. (Hrsg.): In- Der Dank der Herausgeber gilt allen terkulturalität und kulturelle Diversität. Autor*innen für die produktive Zusam- München: Waxmann, S. 61-82. menarbeit sowie den Reviewern, die die Chhokar, J. / Brodbeck, F.C. / House, Beiträge mit kritischem, aber stets kon- R. (2007) (Hrsg.): Culture and Leader- struktiven Blick begleitet haben. Ein- ship, Across the World: The GLOBE zelne Beiträge liegen zusätzlich in einer BOOK of In-depth Studies of 25 Soci- französischen Version vor, so dass der eties. Thousand Oaks: Sage. interkulturelle europäisch-afrikanische Chinese Culture Connection (1987): Dialog, der durch diesen Schwerpunkt Chinese values and the search for cul- weitergeführt werden soll, auch die ture-free dimensions of culture. Journal frankophonen Kulturen miteinschließt. of Cross-Cultural Psychology, 18, S. 143- 4. Literatur 164. Asante, M.K. / Miike, Y. / Yin, J. Deardorff, D. K. (2009) (Hrsg.):The (Hrsg.) (2013): The Global Intercultur- SAGE Handbook of Intercultural Compe- al Communication Reader. New York: tence. Thousand Oaks: London.

10 interculture journal 18/32 (2019) Hofstede, G. (2001 [1981]): Culture’s Vatter, C. / Dion, R. / Gouaffo, A. / Consequences: Comparing Values, Be- Fendler, U. (Hrsg.) (2012) : La com- haviors, Institutions and Organizations munication interculturelle dans le monde Across Nations. Thousand Oaks: Sage. francophone. Transferts culturels, littérai- House, R. J. / Hanges, P. J. / Javidan, res et médiatiques. St. Ingbert: Röhrig. M. / Dorfman, P. W. / Gupta, V. (2004) (Hrsg.): Culture, Leadership and 5. Endnotes Organizations. The GLOBE study of 62 1 Vgl. in diesem Zusammenhang societies. Thousand Oaks: Sage. die Beiträge in den Sammelbänden Mbembe, A./ Sarr, F. (Hrsg.) (2017): Interkulturelle Kommunikation in der Écrire l’Afrique-Monde. Paris/Dakar : frankophonen Welt (Vatter et al. 2012) Philippe Rey/Jimsaan. sowie Interkulturelle Kommunikation im afrikanischen Kontext (Bationo / Lüse- Mbembe, A. (2013): Critique de la rai- brink i.E.) son nègre. Paris: La Découverte. 2 Die Situation für andere – zumeist Meyer, E. (2014): The Culture Map: eher anglophone – Länder sieht ein Breaking Through the Invisible Bound- wenig besser aus. So führt Trompenaars aries of Global Business. New York: Pub- Nigeria, Äthiopien und Kenia an; licAffairs. Meyer nennt sporadisch Äthiopien und Kenia. In der Globe Study finden Miano, L. (2008): Afropean Soul: et Namibia, Nigeria, Südafrika, Sambia autres Nouvelles. Paris: Flammarion. und Simbabwe Berücksichtigung und Miike, Y. (2010): Culture as text and Hofstede legt gleich Angaben zu Sierra culture as theory: Asiacentricity and Leone, Ghana, Nigeria, Angola, Na- its raison d’être in intercultural com- mibia, Südafrika, Mozambik, Malawi, munication research. In: Rona Tamiko Tansania, Kenia und Äthiopien vor. Halualani, R.T. / Nakayama, T. (Hrsg.): 3 Während 2019 lediglich darauf ver- The Handbook of Critical Intercultural wiesen wird, dass die mit „estimated“ Communication. Malden, MA: Wil- gekennzeichneten Daten nicht in den ey-Blackwell, S. 190-215. Buchpublikationen Hofstedes zu finden Miike, Y. (2017): Non-Western theories sind, sondern z.T. in anderen For- of communication: Indigenous ideas schungsprojekten ermittelt wurden (s. and insights. In: Chen, L. (Hrsg.): Inter- https://www.hofstede-insights.com/faq/ cultural Communication. Berlin: De [Zugriff am 22.11.2019]), war zuvor Gruyter, S. 67-98. die Erklärung noch deutlich vager und verwies auch auf die – methodisch frag- Nwosu, P.O. (2009): Understanding würdige – Ableitung der Werte von de- Africans‘ Conceptualization of Inter- nen „ähnlicher Länder“ bzw. auf „Pra- cultural Competence. In: Deardorff, xiserfahrung“ als Grundlage („*Scores D.K. (Hrsg.): The SAGE Handbook of of countries marked with an asterisk (*) Intercultural Competence. Thousand are - partially or fully - not from Geert Oaks : London, S. 158-178. Hofstede but have been added through Sarr, F. (2016): Afrotopia. Paris: Phi- research projects of other researchers or lippe Rey. have been derived from data represen- ting similar countries in combination Sarr, F. (2017): Habiter le monde. Essai with our practitioner experience.”, de politique relationnelle. Montréal: Mé- www.geert-hofstede.com/burkina-faso. moire d’encrier. html [Zugriff am 30.09.2016]). Trompenaars, F. / Hampden-Turner, C. 4 Vgl. den Beitrag von Iken / Mutwa- (2012 [1998]): Riding the Waves of Cul- rasibo in diesem Heft. ture. Understanding Diversity in Global Business. Boston (MA): N. Brealey.

11 12 interculture journal 18/32 (2019) Hier ist Platz für Ihre Werbung!

Um die Betriebskosten der Erstellung des Interculture Journal weiterhin tragen zu können, bieten wir in unseren Heften ab sofort Werbeflächen an. Hierfür gelten folgende Anzeigenpreise:

1/1 Seite ½ Seite 400,00€ 200,00€

½ Seite ¼ Seite 200,00€ 100,00€

Sondergrößen auf Anfrage. Bei Interesse an einer Anzeigenschaltung wenden Sie sich bitte an anita.ackermann@uni- jena.de.

13 14 interculture journal 18/32 (2019) I am Because We Are – the Contribution of the Ubuntu Philosophy to Intercultu- ral Management Thinking

I am Because We Are – der Beitrag der Ubuntu-Philosophie für das interkulturelle Management-Denken

Fidele Mutwarasibo Abstract (English) Dr., social entrepreneur and a Intercultural management calls for a global mindset among managers and employees public academic. He is a Visiting alike and thus people who are open, ready to learn and willing to step outside their own Research Fellow at the Centre base culture. This type of mindset can provide a fertile backdrop upon which interna- for Voluntary Sector Leadership, tional actors can enlarge their repertoire of management tools and therefore their ability Faculty of Business and Law, The to act appropriately in an increasingly global and interconnected business environment. Open University. He is Founder and Principal Consultant at DI- In this paper, we argue that Ubuntu, a philosophy generally perceived as Sub-Saharan LEAS Consulting, a consultancy African, has much to offer in this context. Therefore, if intercultural management service specializing in human thinking is to consider ‘Western’ as well as ‘non-Western’ approaches to management, rights, equality, immigration, then we propose that Ubuntu should be integrated into current theories. Ubuntu is integration, diversity and social particularly relevant since it provides a counterbalance to individualistic and utilitar- cohesion, community develop- ian philosophies that tend to dominate in the ‘West’. ment, community organizing, The purpose of this paper is thus to expand the understanding of Ubuntu and discuss research, advocacy and pro- how the values related to this philosophy can be applied in management practices well gram management. His doc- beyond Sub-Saharan Africa. toral research explored among other things, the importance of Keywords: Ubuntu, Intercultural Management, Management, Leadership, Corporate migrant/refugee civic leaders’ in- Culture tercultural competences in their Abstract (Deutsch) political engagement in Ireland. Interkulturelles Management erfordert globale Denk- und Handlungsweisen. Vorausset- Adelheid Iken zung dafür sind die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich für interkulturelle Lernpro- Dr., professor of Intercultural zesse zu öffnen und auch vom Anderen zu lernen. Ein solches globales Mindset eröffnet Communication at the Hamburg Möglichkeiten, das eigene Handlungsrepertoire zu erweitern und so in einem zuneh- University of Applied Sciences mend globalisierten und weltweit vernetzten Geschäftsumfeld angemessen und erfolg- (HAW Hamburg/ Department reich zu handeln. of Business). She has been Ubuntu, eine Philosophie, deren Ursprünge im südlichen Afrika zu finden sind, kann engaged in a range of interna- in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag leisten. Ubuntu sollte daher Teil des tional assignments, including Repertoires eines interkulturellen Managements werden, das sowohl ‚westliche‘ als auch development work in both Africa ‚nicht-westliche‘ Ansätze berücksichtigt. Dies gilt insbesondere, da es eine Alternative and Asia. Her doctoral research zu den dominant individualistisch und utilitär geprägten Philosophien der ‚westlichen explored issues related to Women Welt‘ aufzeigt. headed households in Southern Namibia. Das Anliegen dieses Aufsatzes ist es daher, das Verständnis von Ubuntu zu erweitern und zu diskutieren, wie die damit verbundenen Werte in einer Managementpraxis umgesetzt werden können, die weit über das südliche Afrika hinausgeht. Schlagwörter: Ubuntu, Management, Interkulturelles Management, Führungsstil, Unternehmenskultur 15 1. Introduction predominantly reflects U.S. American MBA content. In their learning, stu- As companies are increasingly operating dents are commonly exposed to Anglo- across national borders, management American management theory and are is not just becoming international but then expected to discuss its applicability intercultural. In addition, companies in an African environment (cf. Nko- and managers are required to manage mo 2011:2f.). However, management a local workforce which is becoming seen from a cross-cultural perspective more diverse due to demographic is more concerned with the question changes and increased mobility, while of how to handle the complexity of a the workforce itself needs to be able to heterogeneous workforce and how to communicate effectively with customers benefit from cultural diversity rather and personnel across national borders. than comparing management styles or Intercultural management in this con- discussing issues of adaptation. In an text is about working within, across and intercultural environment, the task is to between cultures in an economic and find management approaches geared to- social environment characterized by wards developing a management reper- a growing global interconnectedness, toire that fits a variety of circumstances where economic and cultural complexi- and business environments regardless of ty calls for new responses. national affiliations. Such a task requires a mindset that acknowledges a multiplicity of perspec- Until now, the global academic ma- tives, harnesses the added value that nagement community has paid very can result from increased diversity, and little attention to Sub-Sahara Africa and recognizes and respects all employees’ what managers and leaders might learn views and aspirations. In essence, a from this area in the context of inter- mindset that sees cultural diversity cultural management. Following on as critical in combining and integra- from Karsten and Illa (2005), this paper ting different ways of doing things stresses that the concept of Ubuntu, a for a common good and in order to normative philosophy which has its ori- achieve complementarity and synergy. gin in Southern Africa, has a great deal Through a global mindset, corporate to offer in this respect as it provides an decision-making processes can become alternative to individualistic and utili- permeable to ideas and influences from tarian thinking that dominates in the beyond the home country. A starting Western world. It is a strong commu- point to develop a global mindset is nity and relationship based concept of a deeper understanding of different management which could help organi- approaches to management and an zations to develop deeper consideration openness towards opposing ideas as well for the people who work with them and as the readiness to consciously adopt provide a basis on which to build a cul- constructive interculturality while sear- ture of empowerment and productive ching for the best, holistic solution in teamwork in the workplace. The under- any given context. lying assumption behind Ubuntu is the understanding that promoting the good So far, management thinking has been of the community means promoting dominated by Western schools of ma- the good of all. Organizations infused nagement and in particular, U.S. Ame- with humanity, a pervasive spirit of rican management styles, which can caring and community will thus, in the be understood as a set of philosophies long run, enjoy a sustainable compe- and principles by which management titive advantage (cf. Mbigi 1995:3f.). exercises control over the workforce and This way of thinking requires the im- binds diverse operations and functions plementation of specific management together to achieve organizational goals. practices and has implications for con- Jackson (2004:64) argues that ma- flict management as well as developing nagement education throughout Africa

16 interculture journal 18/32 (2019) and maintaining harmony. All of these African, it nonetheless appears that in potentially positive aspects of Ubuntu hostile environments and the context will be explored as part of this paper. of scarcity, concern for others and the 2. The history and meaning notion of sharing in times of need is a of Ubuntu reliable mechanism of survival (Khom- ba 2011:129). Translating the term Ubuntu into one word in a Western language is difficult. Sources that mention the term Ubun- It is better expressed in the proverb ”I tu before 1980 do so with a positive am because we are” (Poovan 2005:19) connotation and according to Gade or “a person is a person because of other (2011:307), terms used to describe persons” (ibid). This focuses on the fact Ubuntu were, for example, ”Goodness that our lives are bound up with the of nature”, “Good moral disposition” lives of others as we learn from others and “Kindness”. Although there are and need other human beings to be hu- many terms expressing the notion of man. In other words, the collective We Ubuntu in different parts of Africa, it is placed before the collective I (Mbigi is in South Africa that the term was 1997:2), highlighting that Ubuntu is popularized, and it became of particular a relational philosophy. The proverbs relevance during the transitional peri- show the emphasis on the collective od from white minority rule to black human value within a community and majority rule in Zimbabwe as well as in the understanding that community is a South Africa (Gade 2011:303). As such, binding and robust network of relation- the popularization of the term is linked ships. As such, Ubuntu is a philosophy to what Bolden (2014:1) refers to as based on the knowledge that indivi- the “African Renaissance”, a philosophy duals express compassion, reciprocity, of peace prompted by Nelson Man- dignity and mutuality in the interest dela and other post-colonial and post- of building and maintaining common apartheid leaders. Gade (2011:304ff.) collectives (Mbigi 1995:2; Poovan et calls this the ”narratives of return”, a al. 2006:23-25). Accordingly, a term phrase rooted in the search for dignity often used when talking about Ubuntu and identity in postcolonial Africa. is “humanness” or being “human” (Sig- Ubuntu has several principles, inclu- ger et al. 2010). Generally speaking, ding a spirit of unconditional African Ubuntu is oriented towards communal collective contribution, solidarity, and relational principles, which, as Lutz acceptance, dignity, stewardship, com- (2009:314) maintains, is the cornersto- passion and care, hospitality and legiti- ne of African thought and life. macy (Mbigi 1997:11). Although many of the principles are embedded in the The word Ubuntu has its origin in the culture, they also have practical applica- Nguni language family that includes tions in management and leadership. Zulu, Xhosa, Swati, and Ndebele and thus four of the languages spoken It was Nelson Mandela, the first presi- in South Africa (Poovan 2005:15). dent of independent South Africa, who However, terms with the same or a si- strengthened the collectivistic notion of milar meaning can be found in many Ubuntu and its guiding principles for African languages, for example in the peace and reconciliation by asserting Ndebele language ubuthosi. Accor- that ding to Mugumbate and Nyanguru the common ground of our humanity (2013:85) in Congo, Angola, Malawi, is greater and more enduring than the Mozambique and Uganda for example, differences that divide us. It is so, and the terms bomoto, gimuntu, umunthus, it must be so because we share the same vumuntu, [muntu] and umuntu have the fateful human condition. We are creatures same or similar meaning. Although it of blood and bone, idealism and suffe- would be over-generalizing to maintain ring. Though we differ across cultures and that Ubuntu is something very or solely faiths, and though history has divided rich

17 from poor, free from unfree, powerful from (Mbigi 1995:7ff.). Also, Karsten and powerless and race from race, we are still Illa (2005:607) suggest positioning all branches on the same tree of humanity Ubuntu as a way of strengthening the (Mandela 2006: XXV). economic revitalization of Africa. They He describes Ubuntu as a universal argue in favour of a stronger role for truth, a way of life which is relevant to Ubuntu, because the concept blends all open societies. in well with African traditions and indigenous approaches to manage- Based on this thinking and worldview, ment. In such a context, the discourse Ubuntu indeed played an essential role surrounding ‘African management' in the making of modern democratic has to be seen and understood as a re- South Africa and the responses cho- sponse to South Africa's long history of sen in the light of the divisions of the apartheid's political economy. Apartheid era. The overriding goal of Ubuntu, which is to promote peace Whereas in the early days, the term through reconciliation and coexistence Ubuntu was referred to as a human was a guiding principle of the South quality, sources provide evidence that African Truth and Reconciliation towards the 1980s Ubuntu started to be Commission (TRC) led by Archbishop linked to philosophy and this thought Desmond Tutu (Akinola / Uzodike spread widely after the democratic 2018:98). The principles of Ubuntu elections in South Africa (Gade 2011: were also prevalent in the Interim Con- 316f.). This means that the usage of the stitution, intended to provide a historic term has changed in the course of histo- bridge between Apartheid South Africa, ry. Today, it is mainly considered a co- characterized by strife, conflict, untold herent management philosophy (Man- suffering and injustice, and a future galiso / Van de Bunt 2007) which holds built on reconciliation, recognition of the potential to contribute to ethical human rights and democracy (Gade thinking and management practices 2011:311). The number of times the well beyond the borders of Southern term Ubuntu was quoted in a range Africa. This is so, because, as authors of official documents, especially in the such as Jinadu (2014:186) and Khomba transitional period, provide evidence (2011:161) stress, the values related to that the Constitutional Court placed Ubuntu and thus human relationships great importance on Ubuntu. This are not culture-bound. meant that it focused on understand- Khomba (2011:154) emphasizes that ing and reparations rather than ven- multinational companies need to think geance, retaliation and victimization, globally when formulating their busi- as was mentioned in the epilogue, ness strategies and forging partnerships which gradually led to the establish- overseas. They need to understand local ment of the Truth and Reconciliation socio-cultural realities and at the same Commission (Gade 2011:312f.). time develop a mindset, which inte- It therefore comes as no surprise that in grates perspectives far beyond domestic the wake of South African transition, spheres. In other words, as Archbishop Khoza (1992:1ff.) highlighted the ne- Desmond Tutu said, Ubuntu is “the cessity of an Afrocentric management gift that Africa will give the world” to support the development of African (Tutu quoted in Bolden 2014). As, in identity and approach anchored in its essence, ‘African management’ as un- African culture. Mbigi, who according derstood by those who formulated the to Sigger et al. (2010:4) is often refer- ideas, is associated with humanity and red to as the founder of the Ubuntu humanness and thus the promotion of philosophy as management practice, harmonious social relations. It applies claims that the application of Ubun- to South Africa and its cultural, ethnic tu should serve as the foundation of and socio-economic diversity as well as Africa’s cultural business renaissance to the whole of Africa, if not the whole

18 interculture journal 18/32 (2019) world (Van den Heuvel 2008a:13). the close relationships amongst mem- Although at times claimed to be bers of the collective and the emphasis uniquely African, it was a clearly on the unit as a whole rather than the expressed vision and aspiration of peo- personal interests of the different in- ple like Khoza, Mbigi, and Broodryk dividuals. It is the status of a person to export Ubuntu to the management within his or her social environment community outside of South Africa (cf. which takes precedence, and the idea Van den Heuvel 2008a:136f.) of the ‘self' becomes entrenched in the 3. The concept of Ubuntu in community (Nussbaum 2003). Com- a management context munity belonging coupled with parti- cipation enhance the value of Ubuntu The conceptualization of Ubuntu is far beyond what outsiders would con- linked to social values such as solidarity, sider communitarianism. Furthermore, survival, compassion, dignity, respect “being in a community is not a matter and what Mbigi (1995:111) refers to as of belonging only, the truest form of the collective finger theory. According being in a community of Ubuntu is to to Mbigi (1995:110f.), the fingers can participate” (Forster 2006:310). Thus, be seen as individual persons who act the proverb “I am because we are” together to achieve a common goal, and (Poovan 2005:23) with the understan- at the same time, each finger stands for ding that the community can achieve a value which is required and vital for more than the sum of the individuals’ such collective action. As such it shows efforts. Such a feeling of solidarity can the basic Ubuntu principles of com- enhance team spirit and thus the cohe- munity and togetherness, highlighting sion of the team or collective. It could that we need cooperation in order to even be argued that this is a necessary function in an optimal way (Molose / precondition for commitment. Alterna- Goldman / Thomas, 2018:197). First tively, if we take it one step further, it and foremost, Ubuntu is therefore a means sharing the understanding that relational philosophy revolving around as a team more can be achieved than the idea that ”a person becomes a per- if everyone works for him or herself son through his/her relationship with and recognition by others” (Mangaliso / (Sigger et al. 2010:13). On an organi- Mangaliso, 2007). zational level, this also means that the organization is a body which takes on This supports the view that the strength the responsibility of “benefiting the of any community or collective depends community, as well as the larger com- on the relationship of its members munities of which it is a part” (Lutz and highlights the fundamental inter- 2009:318). dependence of humans in any social context. An example to illustrate the Acknowledging the importance of in- importance of connectedness and con- terdependence among members of a cern for others is a greeting common community and valuing one’s identity in the Shona language. Here a person through our relationship with others would greet another by asking “Mang- does not mean that we ignore the im- wani, marai sei?” meaning “Good portance of the individual and its inde- morning, did you sleep well”’ which the pendent identity (Hailey 2008:7). Also, addressed person would respond to by it does not mean that the individual is saying “Ndarara, kana mararawo” or in asked to sacrifice his or her own good other words “I slept well, if you slept to support the community. Rather, it well” (Hailey 2009:8). functions on the understanding that, A value very closely tied to the notion as Lutz (2009:314) argues, living in a of relatedness and interdependence community “the individual does not is the notion of solidarity or in other pursue this common good instead of words the ‘we‘ feeling of the commu- his or her good, but rather pursues nity or collective. The basis for this are his or her good through pursuing the

19 common good”. It is the community also relates to the quality of understan- from which individuality emerges, in- ding others and sympathizing with their stead of considering the community to concerns. It involves a deep caring, and be the sum of individuals, i.e., a group it is through compassion that a shared of “self-interested persons, each with vision can be created (Sigger et al. private sets of preferences”, who come 2010:13). Sigger et al. (2010:14) stress together because they realize that to- that compassion requires communica- gether they can accomplish things tion and the ability and willingness to better than on their own (Battle listen. They use the image of people sit- 2000:178f.). So Ubuntu acknowledges ting under a tree talking, where every- the role the community plays in one’s body is allowed to air their view until life and is linked to the understanding people have reached a consensus. Com- that self-realization can only be achie- munication in such a context is more ved through interpersonal relation- than the exchange of information, but a ships (Lutz 2009:316). This spirit of dialogue. solidarity not only increases cohesion Respect and dignity are values, which among community members, but also are closely related. For this reason, the development of a collective mindset Sigger et al. (2010:15), as well as (Sigger et al. 2010:13). Poovan (2005:25), group them to- By relying on each other, combining gether. In Mbigi’s (1997:111) five available resources and strengths and fingers theory they are deemed to be sharing what is available, people ma- central value dimensions and Poovan nage to survive. This brotherly caring (2005:26) de-scribes them as “the most and togetherness are perceived as strong central values of the Ubuntu world- values linked to the general importance view” as they specify the social position of survival (Sigger et al. 2010:12). The of a person within a society and orga- value should also be seen in the light of nization and therefore also define the the sometimes drastic weather conditi- hierarchical relationships among them. ons, geographic disparities and poverty Respect can be described as being consi- that prevail on the African continent derate and regardful to the feelings, va- (Poovan 2005:22). In addition, the lues and rights of others whereas dignity challenging socio-economic circum- focuses on valuing the worth of others. stances in South Africa in the 1990s As such, both values are rooted in the fostered the understanding that sharing connectedness of people with others. is a precondition to making things work In a business context this would mean which supported the communication management being committed to deve- of a collectivistic spirit. In a business lop and support their employees, while or management context, this value can respecting age as well as experience, and be translated as working together and being generally helpful towards each relying on each other in order to be other (Brubaker, 2013:120). effective and may be expressed by The values solidarity, compassion, sur- showing concern for the needs and vival, dignity and respect form the basis interests of others in the company or of Ubuntu world view as outlined by organization (cf. Brubaker 2013:102). Mbigi (1997). These are values con- The value compassion refers to un- sidered to be anchored and rooted in derstanding others, their problems people's lives and communities (Poovan and dilemmas and the readiness to et al. 2006: 18f.). This, however, does assist and thus reach out to them not mean that these values and the (Poovan 2005:24). According to Poo- interpretations of how they should be van (2005:24), this is a strong notion lived are mandatory, and indeed diffe- among Africans as they, from a young rent authors associate disparate values age, learn that sharing and giving is the with Ubuntu. Mokgoro (1998:17) only way one can receive. Compassion and Van den Heuvel (2008a:85), for

20 interculture journal 18/32 (2019) example, mention social values such as Despite this somewhat ambiguous group solidarity, conformity, human- conception of Ubuntu, the question is ness, optimism, equity and liberation in nonetheless how the fundamentals of association with ‘African Management’ Ubuntu can be incorporated or trans- or Ubuntu. Therefore, as Karsten and lated into management practices and Illa (2005:613) rightly emphasize, Af- manifest themselves in the workplace rican communities are social entities thus enhancing productivity, improving which are changing, just like any other decision making, conflict solving and community meaning that the way in group dynamics among others. which the values are lived and transla- ted into social action is continuously 4. Ubuntu and management contested and negotiated. Equally, the practices same principle holds for companies and As a guiding philosophy and a sour- other entities. It is through dialogue ce for supporting effectiveness and and conversation among the members productivity, Ubuntu has attracted of the collective that the practices asso- attention within South Africa as well ciated with Ubuntu are defined, imple- as internationally (see Mbigi 1995; mented and routinized. Karsten / Illa 2005; Poovan 2006). The Thus, Ubuntu, based on the values best-known company which adopted mentioned by Mbigi (1997) and the philosophy of Ubuntu is probably outlined by Poovan et al. (2006), can the open software platform which also serve as an orientation. Ubuntu as a carries the name ‘Ubuntu’. Its code management concept needs to be seen of conduct translates this as “showing in the context of a discourse, which humanity to one another” and of started in the transition phase from “being human” (Ubuntu Community apartheid to democracy and has ad- 2019). Other companies mentioned vanced and undergone considerable in the literature, which have adopted changes since then. It should therefore the principles of Ubuntu are Durban be seen from a process perspective. Metrorail, South African Airways, CS Generally speaking, how a concept and Holding, an IT company (Karsten / Illa the values accredited to it will even- 2005:615) as well as Eskom Holdings tually be put into practice in culturally Limited, which is present in more than diverse working environments, depends 30 countries and produces 50% of the very much on contextual factors and total energy used in Africa (Van den on interfaces a company has with its Heuvel 2008a:11). However, there is environment (Van den Heuvel insufficient scientific evidence of how 2008a:16f.). This is also why Van den best to transfer the concept of Ubuntu Heuvel (2008:17) considers it to be into sound business practices. difficult to say precisely what Ubuntu Given its communitarian nature and and ‘African Management’ are and focus on interdependence and harmo- mean in practice. He does not perceive nious human relationships, Ubuntu ‘African Management' to be a clear cut as a philosophical approach has, first concept nor as a „description of univer- and foremost, the potential to shape sal daily management practices” but as the habitus of managers and thus their a „management vision with a story to performative attitude when interacting be told”. Although a variety of inter- with others (Karsten / Illa 2005:616). pretations of Ubuntu exist, there is one In other words, Ubuntu can influence fundamental notion which cuts across the disposition and therefore the gene- different writings, and that is the ral outlook through which managers notion of humanness linked to a strong approach their tasks and communicate emphasis on consultation, consensus with others, thus creating new business building and participatory decision practices. Managers applying Ubuntu making (Van den Heuvel 2008a:161). would focus on understanding their

21 company as a collective and acknow- can introduce a new lens through which ledge the interdependency of all actors a company views its relations with involved in the achievement of the others. This is not to say that companies company’s goals. Such an interdepen- do not have stakes, but that Ubuntu dence not only exists in social life but provides an alternative in the sense that also in economic contexts. Woermann it is based on the companies’ moral re- and Engelbrecht (2017) stress this by sponsibilities towards different parties. saying that companies are “radically Under such a framework, companies interdependent and constituted by a do not aim to create value only for the network of relationships which includes owners of the company or shareholders employees, customers, suppliers, regula- but for the various communities related tors and communities”. A starting point to the company, whereby the critical for applying Ubuntu in a management responsibility of management is to context would thus be understanding “balance the legitimate expectations of a company not as a mere collection of these parties”. If the company considers individuals, but as a collective, which is itself to be a collective and is concerned linked to a variety of other communi- about the well-being of all its members, ties through a network of relations (cf. this does not mean that a company Lutz 2009:318). is purely a social entity which has no intention of producing profit, but it is If a company understands itself as an also „not merely to make money for the organization with the goal of benefi- owners of the firm (the shareholders). ting its members as well as the larger Instead, the firm creates value for a communities that the company is part range of parties related to the firm, and of, it would not strive for the greatest the key responsibility of the manage- amount of profit at all costs but ment is to balance the legitimate expec- work towards the benefit of all (Lutz tations of these parties” (Woermann / 2009:318). Ntibagiriwa (2009:307) Engelbrecht 2017). strengthens this point by arguing that significant development and synergies By following an ethical approach to can only take place when the various business, which focuses on a nexus of forces interact and cooperate and relationships rather than a nexus of Ubuntu is the framework within which contracts, companies would have the this can happen. Taking a holistic view moral responsibility to maintain and allows the creation of reciprocal bonds nourish these relationships by showing between all its members, whereby sub- respect, consideration, kindness and by ject and object become blurred. At the being sensitive to the needs of others, same time, it instills a sense and spirit which are values at the heart of Ubuntu of corporate identity and solidarity (Woermann / Engelbrecht 2017). among them (cf. Hailey 2008:7). A communitarian approach requires A strong relationship-oriented perspec- meeting people with mutual respect and tive necessitates moving away from an empathy, which as Mangaliso (2001:25) owner-value-maximization approach points out, is likely to enhance intrin- (Lutz, 2009:318). In other words, the sic motivation and encourage people philosophy of Ubuntu can guide a to contribute more than they would company to determine its responsibi- otherwise. In practice, this means em- lities towards all parties and collectives phasizing informal and conversational with which it engages, thereby taking communication rather than following a holistic view towards its business. strict formal procedures. Moreover, Woermann and Engelbrecht (2017) while traditional management training take this thought a step further by ar- focuses on the efficiency of information guing that companies should shift their transfer and thus the meaning of the focal points from stakes towards harmo- message, in the context of Ubuntu, the nious relationships. In doing so, they social aspect of communication and the

22 interculture journal 18/32 (2019) communication channels are impor- efficiency is the kind of thinking that tant (Mangaliso 2001:26). Support for can also be found in computer science, participative interaction between the for example. As previously mentioned, various actors, whether it be between Mark Shuttleworth has developed management and staff or between staff a software which is available free of members enhances the transfer of ideas charge, ready to be shared, used and and information as well as improving adapted and financed through a coordination (Hailey 2008:16). portfolio of services. To illustrate A communitarian approach to manage- this thinking, the well-known Linux ment also entails taking into account open source software carries the name the expectations and needs of employ- Ubuntu (Mugumbate / Nyanguru ees since they are considered to be part 2013:87f.). Focusing on the relational of the nexus of relationships in which side of business entails not striving for the company is engaged. Mangoliso the highest profit possible since this (2001:28f.) argues that the goal of a necessarily requires the exploitation of company that follows Ubuntu princi- human beings. It is the understanding ples is therefore efficiency optimisation that efficiency and competitiveness are in the long term rather than maximiz- achieved by emphasizing social well- ing efficiency in the short term. One being and embracing social responsibi- of the main reasons for this is that the lities rather than technical rationality costs of fractured relationships and (Khomba 2011:141). social disruptions is considerable. He According to Brooderyk (2006:4), the asserts that ideal person has eight virtues according “Incorporating Ubuntu principles in to Ubuntu: kindness, generosity, living management is potentially a superior in harmony with others, friendliness, approach to managing organisations. modesty, helpfulness, humility and Organisations infused with humanness, happiness. A person or a team espous- a pervasive spirit of caring and commu- ing these virtues would have a com- nity, harmony and hospitality, respect petitive advantage for several reasons. and responsiveness will enjoy a sustai- One is that these virtues support the nable advantage.” (Mangaliso 2001:32) development of an excellent working This is also why Molose et al. atmosphere. This, in turn, is a precon- (2018:198) are convinced that com- dition for creativity and innovation, panies that are run according to the which can't happen in a vacuum or an principles of Ubuntu are well prepared environment where there is animosity to promote synergy and thus create a within the team and where people are whole, which is larger than the sum of reluctant to express their views due to its parts. the team’s likely adverse reactions. A Meretz (n.d.) argues that coopera- positive working environment is also tion and competition do not have important in contexts in which com- to be opposites. Rather, companies panies need not only to come to terms need to organize collaboration within with diversity but also aim to use its their companies. Very often they also potential as a competitive advantage cooperate with others outside of their and a source of innovation. company in order to be more powerful Apart from considering Ubuntu from a on the market. Cooperation is thus the general management perspective, three pre-condition in order to be competi- interlinked areas require particular at- tive. People collaborate for a common tention: the issue of decision-making, good, and this is simultaneously both conflict management and leadership. a means and an end. Cooperation pro- The eight virtues of the Ubuntu world- duces social structures and practices as view outlined above highlight the im- well as a result. Working for the com- portance of involving all stakeholders mon good without ignoring economic in decision making. They are essential

23 ingredients in avoiding conflict and agree with Khoza in maintaining that dealing with disputes, if and when they the idea of consensus does not require arise. Where these virtues of Ubuntu complete agreement. They emphasize are present, it is likely that disputes will that the process of involving all views be dealt with a minimum of friction. and ensuring that minority thinking A further reason why Mangaliso and is taken into consideration as much as Van de Bunt (2007) consider the rela- possible. From their perspective, group tional approach to management to be discussions and forums are excellent a competitive advantage is the better opportunities to contribute, pose decision-making that strong relation- questions and be involved in decision ships allow for. People who know each making. However, Barbara Nussbaum other well have a better understanding (2003:22f.) describes the process of of varying viewpoints and subtle or un- consensus-seeking by emphasizing that spoken messages. However, what may a leader or chief needs to be a good play an even more significant role is listener and is required not only to play that Ubuntu strictly focuses on reach- a low-key role but to try to listen to all ing a consensus in decision-making viewpoints, supporting and facilitating as opposed to decision-making based a debate and finally summarizing the on demand and control (Mangaliso / points mentioned before making a Van de Bunt 2007). Instead of a linear decision reflecting the group consensus. approach to decision making which fol- She recalls an incident in which she lows the pattern of one decision setting disagreed with her colleague Mantanga. a precedent for the next one, Mangaliso After a lengthy discussion she wanted to and Van de Bunt (2007) describe deci- bring the issue to a close and recalls the sion making in the context of Ubuntu following conversation: „Matanga, can’t as a process that allows for flexibility we agree to disagree?” and received the towards the issues that emerge in each answer „No, Sisi (sister) Barbs. We have case and ensures that all voices are heard to sit and talk until we agree.” and considered. As a business practice, This anecdote not only highlights the this requires involving as many people value of cooperation and reconciliation as possible in the decision-making pro- emphasized by Nussbaum, but also the cess, thereby looking at an issue from idea that consensus is based on a shared different angles. Although this may be a understanding (Nussbaum 2003:22f.) time-consuming exercise, decisions re- and thus consent as well as a generally ached by debate, dialogue and conside- accepted opinion and decision among ration of different opinions are likely to the members of the collective. In other improve their effectiveness. Moreover, words, it must be ensured that everyone being inclusive in decision-making also is on board when implementing change strengthens relationships and the accep- and only in this way can the delivery of tance of the decisions made (Mangaliso the agreed changes be ensured. / Van de Bunt 2007). This equally ap- It is generally accepted that building plies when making strategic decisions, consensus in decision-making processes and in this case, employees would be also ensures smooth implementation expected to proactively shape the stra- of the decisions made. This is also tegy to be pursued instead of simply why the time required for protracted adhering to one’s role of implementing consultations, mass gatherings, exten- company strategy (Woermann / Engel- sive consultations and debates with brecht 2017). all stakeholders can be considered to Although there is agreement that fol- be well invested and justified (Van lowing the values of Ubuntu requires den Heuvel 2008a:164). As a partici- consensus seeking, there are diffe- patory approach to decision making rent opinions as to what this means. supports trust and mutual respect, it is Woermann and Engelbrecht (2017) also argued that in case an urgent and

24 interculture journal 18/32 (2019) immediate decision needs to be taken, and to ensure that minority views were people know what needs to be done, incorporated. It is important to keep in and a participatory approach thus does mind that such meetings were aimed not necessarily mean that quick deci- at developing consensus in the light of sion making is not possible; nor does what Karsten / Illa (2005:613) refer to it signify that there can be no firmness as the “unity of purpose”’. People unite in taking decisions (Van den Heuvel in their effort to achieve a common 2008a:165). objective and therefore cannot isolate The great quest for participatory de- themselves from each other and their cision making needs to be seen in the concerns for each other. context of post-apartheid South Africa Leaders and leadership styles play a and thus linked to the strict hierarchical significant role in implementing deci- structures, the master-servant attitude sion making and dealing with conflicts and the system of migrant workers of based on consensus. Hence the virtues the colonial and apartheid era. As Van related to Ubuntu are vital in order to den Heuvel (2008:42f.) maintains, cre- achieve this. If managers fail to provide ating a shared value system, developing their employees with the physical and trusting relations as well as breaking emotional support needed, employees up hierarchical structures were crucial will be unlikely to perform to the best issues for debate amongst business of their abilities. Apart from consen- leaders after independence. Flat sus building, leadership in the context management structures have recently of Ubuntu entails good team spirit, become popular. They espouse the meaningful participation of all stake- values embedded in Ubuntu. Flat holders, anticipation of conflicts and structures coupled with leadership their immediate resolution if and when styles that encourage the personal they arise. Leadership in this sense is development of staff are in line with shared as opposed to being hierarchical what one would expect in a community or autocratic. or a company that espouses Ubuntu. Consensus building is not natural if the Karsten & Illa (2005:613) stress the culture in the organization and the lead- point that including and listening to ership in situ is not conducive to this. the various voices in an organization Issuing instructions does not necessarily prepares the groundwork for reaching lead to buy-in from team members. and building consensus. The inspira- A leader who lives the values outlined tion for how this might be realized can above is expected to reflect these qual- be drawn from African communities ities and thus assume a high level of who practice storytelling, inclusive social responsibility. In pre-colonial decision making and participatory African societies, leaders were often community meetings. These cannot be linked to the institution of councils claimed to be entirely new practices or whose members were expected to only be found in an African context. possess wisdom and be “filled with” However, as Iwowo (2015:423) stresses, Ubuntu in order to be able to regula- storytelling is particularly pronounced te daily issues within the community in many African communities and tales (Meylahn / Musiyambiri 2017:1). which were told by moonlight are part Mbigi (1997:27) refers to them as a of a memory with a rich and robust im- council of elders, who were an inner pact on many people. Mbigi (1997:23) circle of trusted advisors to the chief or describes meetings of entire villages king. Mbigi also stresses that the chiefs and mass rallies, which helped to seek or kings ruled democratically through consensus rather than a majority vote. consensus and consultation. The Shona He stresses that these processes guided states “Ishe vanhu”‚ meaning that there decision-makers and were important in cannot be a king without community order to accommodate cultural diversity support and this strengthens the noti-

25 on that African governance, guided by leader a ‘caretaker' rather than a person Ubuntu, was democratic and inclusive whose primary role is to lead in terms (Meylahn / Musiyambiri 2017:2). This of guiding or deciding which path to also means that a community orienta- follow. It involves being pragmatic tion is required in order to ensure that about achieving organizational effec- the needs of the others are met first. tiveness and financial success (Brubaker This understanding is related to the 2013:116). The role of the leader is idea of servant leadership (Meylahn / hence to empower people, pay attention Musiyambiri 2017:2). Service here is to their concerns, empathize with them not to a master, but to the community. and nurture them. This also means that Terms used in this context are “walk- a servant leader does not perceive him ing in front” and “paving the way”, as or herself as being in any way superior. Khoza maintains (cf. Van den Heu- Typical leadership qualities include for vel 2008a:137). Winston and Ryan example listening, building community, (2008:217) see a strong correlation practicing empathy, and being commit- between Ubuntu and the concept of ted to the development of people (Mu- servant leadership. They do so by refer- tia / Muthamia, 2016:131f.). ring to the definition of servant leader- However, Brubaker cautions against ship concept as developed by Patterson perceiving such a close link between (2003) who refers to it as leadership the servant leadership style and the focusing on the well-being of the em- core values of Ubuntu. According to ployees and considering the interest of him, the difference in focus is that the the organization as well as aiming to servant leadership is first and foremost create a community of followers. This is related to a leader’s predisposition to- particularly interesting because servant wards putting employee’s needs, interest leadership models have primarily been and development, i.e. their welfare first. developed in the U.S. American context Ubuntu, in contrast, prioritizes the im- and could therefore be perceived as a portance of community, solidarity and rather Western approach (Brubaker shared humanness, which also means 2013:114). Qualitative studies relating that leaders ”affirm dignity, humanity to servant leadership, however, suggest and mutuality of all within the shared that it is a leadership approach which is community” (Brubaker 2013: 123). globally endorsed. This highlights the fact that there is Despite the fact that local cultures still a need for discussion on the precise influence how leadership is conceptu- nature of leadership linked to the core alized (Brubaker 2013:115), Winston values of Ubuntu. and Ryan (2008:216) use the findings Generally speaking, Brubaker of the GLOBE study to support the (2013:116) rightly suggests that the argument that the servant leadership research on Ubuntu has its critics. concept and its humane orientation One critique is that there has been is more global in nature than speci- very little research performed outside fic to Western countries (Winston / of Southern Africa. Additionally, the Ryan 2008:219f.) This does not mean studies that have asked to what extent that we should not also focus on how Ubuntu can be effectively integrated employees in a specific environment into managerial practices have been perceive effective leadership and its cor- predominantly qualitative. This calls responding values. into question the representative validity Servant leadership can be seen as an ex- of these studies (see also Sigger et al. tension of the transformational leader- 2010:8). Culture is obviously not static, ship theory as it is focused on the extent which means that there is not a one- to which a leader displays social respon- way causal relationship between culture sibility towards employees and places and behavior (Mangaliso 2001:31). their needs center stage. This makes the Mangaliso (2001:13) also cautions

26 interculture journal 18/32 (2019) against the assumption that culture is with the understanding of the self homogenous and refers to other cultur- through others and therefore its goal is al memberships such as age, rural or to recognize the humanness in oneself urban culture and contact with other and in others. This can be seen as a uni- cultural practices. However, this should versal value. not limit the discussions in relation to As a communitarian philosophy which the potential that Ubuntu as a philoso- supports the importance of interper- phy offers in cross-cultural management sonal relationships, Ubuntu has a clear and its rightful place in management relevance in the business field. This is textbooks. even more so at a time when multi- national companies need to develop 5. Conclusion strategies which reflect the values of the Ubuntu embodies the values of col- societies in which they are embedded laboration and cooperation and is a as well as a sense of global corporate community-based philosophy which es- social responsibility. However, it is clear pouses an ethos of care, respect and so- that more rigorous academic research lidarity. It highlights the importance of is required from within and outside interdependence and working together Africa with regard to how the values of in pursuit of a shared goal. Ubuntu, Ubuntu might best be implemented if recognized, valued and consciously in a cross-cultural environment. In the incorporated into the culture of orga- light of this, this paper should be un- nizations has the potential to influence derstood as an invitation to reflect upon business results positively, especially in the principles of Ubuntu and further an an intercultural environment. ongoing debate, which might suggest viable ways to close the gap between its Ubuntu helps to affirm values such as values and the lived experience of peo- humanness, dignity, empathy, trust and ple in organizations. respect. These values form a founda- Some of the virtues of the Ubuntu tion upon which companies can create worldview are universal and have ap- added value in their international (and plications in post-conflict societies and especially intercultural) management diverse societies where organizations practices by developing common can benefit from harnessing the skills of meaning. This is because successful in- their employees and work better with tercultural management is dependent all stakeholders. Understanding the not only on managing diversity but on dynamics of diverse communities and harnessing diversity advantage for the operating across boundaries requires the good of the company. management to look beyond the ex- The values related to Ubuntu are not isting rules of engagement and embrace unfamiliar in Western or Eastern think- ideas from different cultures. After all ing. This means that Ubuntu thinking culture is dynamic. Embracing change is not entirely new nor an entirely Sub- in all its manifestations is critical in ma- Saharan African approach. However, nagement in a changing environment. developed in a context of post-apart- Globalization calls on all actors to be heid, persistent economic inequality as open-minded and Ubuntu can help to well as challenges of reconciliation and add value to established management ideas of revitalizing the wisdom of pre- theories. colonial Africa, it offers a pronounced re-interpretation of what is genuinely perceived as African and spells out these values more profoundly while raising awareness of their relevance in today's socio-economic environment. More- over, as Ubuntu relates to relationships and bonding with others, it corresponds

27 6. Bibliography Graness, A. (2014): Ubuntu - Afri- kanischer Humanismus oder postko- Akinola, A. O. / Uzodike, U. O. loniale Ideologie? Polylog - Zeitschrift (2018): Ubuntu and the Quest for für Interkulturelles Philosophieren, pp. Conflict Resolution in Africa.Journal of 85-93. URL: http://www.polylog.net/ Black Studies 49(2), pp. 91-113. fileadmin/docs/polylog/31_rez_Gra- ness_Ubuntu.pdf [accessed 15 March Ayiotis, C. (2008): Ubuntu, the Profit 2019]. Motive and the Quest for Meaning in a Hailey, J. (2008): Ubuntu: A Literature Firm. MA Thesis. University of Witwa- Review. London: Tutu Foundation. tersrand. URL: http://wiredspace.wits. URL: http://citeseerx.ist.psu.edu/view- ac.za/bitstream/handle/10539/7432/ doc/download?doi=10.1.1.459.6489&r Ubuntu%20Profit%20Motive%20Re- ep=rep1&type=pdf [accessed 04 March search%20Report%20Final%20Draft. 2019]. pdf?sequence=1&isAllowed=y [accessed 12 March 2019]. Hunter, M. (2014): The Occidental Colonization of the Mind: The Do- Battle, M. (2000): A Theology of minance of "Western" Management Community: The Ubuntu Theo- Theories in South-East Asian Business logy of Desmond Tutu. Inter- Schools. Economics Management and pretation: A Journal of Bible and Financial Markets 9(2), pp. 95-114. Theology 54(2), pp. 173-182. URL: https://journals.sagepub.com/doi/ Iwowo, V. (2015): Leadership in Africa: pdf/10.1177/002096430005400206 rethinking development. Personnel Re- [accessed 05 March 2019]. view 44(3), pp. 408-429. Bolden, R. (2014): Ubuntu. Jackson, T. (2004): Management and URL: https://www.researchgate. Change in Africa - A cross-cultural per- net/profile/Richard_Bolden/pu- spective. London: Routledge. blication/259849297_Ubuntu/ Karsten, L. / Illa, H. (2005): Ubuntu links/0deec52e675d3a5e6b000000/ as a key African management concept: Ubuntu.pdf?origin=publication_detail contextual background and practical [accessed15 March 2019]. insights for knowledge application. Brooderyk, J. (2006): Ubuntu-African Journal of Managerial Psychology 20(7), Life Coping Skills: Theory and Practice. pp. 607-620. Paper delivered at CCEAM Conference. Kase, K. / Slocum, A. / Zhang, Z. Y. Conference the: Recreating Linkages (2011): Asian versus Western Manage- between Theory and Praxis in Educatio- ment Thinking.London: Palgrave mac- nal Leadership. 12-17 October 2006: millan. Lefkosia (Nicosia) : Cyprus. Khomba, J. K. (2011): Redesigning Brubaker, T. A. (2013): Servant Leader- the Balanced Scorecard Model: An ship, Ubuntu, and Leader Effectiveness African Perspective. Pretoria. URL: in Rwanda. Emerging Leadership Jour- https://repository.up.ac.za/bitstream/ neys 6(1), pp. 95-131. handle/2263/28706/Complete. Forster, D. A. (2006): Validation of pdf?sequence=13 [accessed 22 Individual Consciousness in Strong Arti- Decembre 2018]. ficial Intelligence: An African Theological Khoza, R. J. (1994): The need for a Afro Contribution. PhD Thesis, University of centric approach to management and South Africa. within it a South Africa-based Manage- Gade, C. B. (2011): The Historical De- ment approach. Randburg: Knowledge velopment of the Written Discourses on Resources. South African Journal of Philo- Ubuntu. Lutz, D. W. (2009): African Ubuntu sophy 30(3), pp. 303-329. Philosophy and Gobal Management.

28 interculture journal 18/32 (2019) Journal of Business Ethics 84, pp. 313- [accessed 01 April 2019]. 328. Mokgoro, Y. (1998): Ubuntu and Mandela, N. (2006): Foreword. In: the law in South Africa. P.E.R. 1(1). R. J. Khoza: Let Africa Lead: African URL: http://www.nwu.ac.za/files/ Transformational Leadership for 21st images/1998x1x_Mokgoro_art.pdf [ac- Century Business. Johannesburg: Vezu- cessed 15 March 2019]. buntu. Molose, T. / Goldman, G. / Thomas, Mangaliso, M. P. (2001): Building P. (2018): Towards a Collective-Values competitive advantage from Ubuntu: Framework of Ubuntu: Implications Management lessons from South Afri- for Workplace Commitment. Entrepre- ca. Academy of Management Executive neurial Business and Economic Review 15(3), pp. 23-33. 6(3), pp. 193-206. URL: https://doi. Mangaliso, M. P. / Mangaliso, N. A. org/10.15678/EBER.2018.060312 (2007): Unleashing the synergistic effects [accessed 05 March 2019]. of Ubuntu: Observations from South Mugumbate, J. / Nyanguru, A. (2013): Africa. URL: http://rozenbergquar- Exploring African philosophy: The terly.com/prophecies-and-protests- value of ubuntu in social work. African unleashing-the-synergistic-effects- Journal of Social Work 3(1), pp. 82-100. of-ubuntu-observations-from-south- Murithi, T. (2009): An African Per- africa/?print=pdf [accessed 04 March spective on Peace Education: Ubuntu 2019]. Lession in Reconciliation. International Mangaliso, M. / Van de Bunt, L. Review of Education 55, pp. 221-233. (2007): Contextualising Ubuntu in Mutia, P. M. / Muthamia, S. (2016): the Glocal Management Discourse. In: The Dichotomy of Servant Leadership H. Van den Heuvel, M. Mangaliso, & and Its practicability on the African L. Van de Bunt (Eds.): Prophecies and Continent. International Journal of In- Protests - Ubuntu in Glocal Management. novation Education and Research 4, pp. Amsterdam: Rozenberg Publishers. 130-145. URL: http://rozenbergquarterly.com/ prophecies-and-protests-contextualising- Nkomo, S. M. (2011): A Postcolo- ubuntu-in-the-glocal-management- nial and Anti-Colonial Reading of discourse/?print=pdf [accessed 03 'African' Leadership and Manage- March 2019]. ment in Organisations Studies: Tensi- ons, Contradictions and Possibilities. Mbigi, L. (1995). Ubuntu- The Spirit URL: https://repository.up.ac.za/ of African Transformation Management. bitstream/handle/2263/16735/ Johannesburg: Sigma. Nkomo_Postcolonial%282011%29. Mbigi, L. (1997). Ubuntu - The Afri- pdf?sequence=1&isAllowed=y [accessed can Dream in Management. Randburg: 16 March 2019]. Knowledge Resources. Ntibagiriwa, S. (2009): Caultural Meretz, S. (n.d.): Ubuntu-Philosophie Values, Economic Growth and Deve- - Die strukturelle Gemeinschaftlichkeit lopment. Journal of Business Ethics 84, der Commons. URL: http://band1. pp. 297-311. dieweltdercommons.de/essays/stefan- Nussbaum, B. (2003): Ubuntu: Reflec- meretz-ubuntu-philosophie/ [accessed tions of a South African on Our Com- 05 January 2019]. mon Humanity. Reflections4(4), pp. Meylahn, J.-A. / Musiyambiri, J. (2017, 21-26. URL: http://citeseerx.ist.psu. 10 27): Ubuntu leadership in conver- edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.46 sation with servant leadership in the 4.5175&rep=rep1&type=pdf [accessed Anglican Church: A case of Kunonga. 12 March 2019]. HTS Theologies Studies/Theological Stu- Poovan, N. (2005): The Impact of the dies 73(2), pp. 1-6. URL: https://hts. Social Values of Ubuntu on Team Effec- org.za/index.php/hts/article/view/4509 tiveness. Stellenbosch. URL: http://hdl. 29 handle.net/10019.1/2292 [accessed 20 Woermann, M. / Engelbrecht, S. December 2018]. (2017): The Ubuntu Challenge to Poovan, N. / Du Toit, M. K. / Engel- Business: From Stakeholders to Rela- brecht, A. S. (2006): The effect of the tionsholders. Journal of Business Ethics. social values of ubuntu on team effec- doi:10.1007/s10551-017-3680-6 tivness. South African Journal of Business Management 37(3), pp. 17-27. Prinsloo, E. D. (2000): The African View of Participatory Management. Journal of Business Ethics 25(4), pp. 275-286. Sigger, D. S. / Polak, B. M. / Pennink, B. J. (2010): 'Ubuntu' or 'Human- ness' as a management concept. CDS Research Report No. 29. URL: https:// www.rug.nl/research/globalisation-stu- dies-groningen/publications/researchre- ports/reports/ubuntuorhumanness.pdf [accessed 28 December 2018]. Ubuntu Community. (2019): Ubuntu Code of Conduct v2.0. URL: https:// www.ubuntu.com/community/code-of- conduc [accessed 12 March 2019]. Van den Heuvel, H. (2008): 'Hidden Messages' Emerging from Afrocentric Management Perspectives. Acta Com- mercii 8(1), pp. 41-54. Van den Heuvel, H. (2008a): Between Optimism and Opportunism-Deconstruc- ting 'African Management' Discourse in South Africa. The Netherlands. URL: ht- tps://research.vu.nl/ws/portalfiles/por- tal/42179854/complete+dissertation. pdf [accessed 01 January 2019]. Van Niekerk, J. (2013): Ubuntu and moral value. Phd thesis. Johannesburg: University of Witwatersrand. Wei, G. / Zhang, C. (2011): A Study of Collision and Fusion of Eastern and Western People-oriented Management Philosophy. Asian Social Science 7(12), pp. 239-244. Winston, B. E. / Ryan, B. (2008): Ser- vant Leadership as a Humane Orien- tation: Using the GLOBE Study Con- struct of Humane Orientation to Show that Servant Leadership is More Global than Western. International Journal of Leadership Studies 3(2), pp. 212-222.

30 interculture journal 18/32 (2019) 31 32 interculture journal 18/32 (2019) New African Discourses in Intercultural Communication in Chinese-Tanzanian Business Interactions Neue afrikanische Diskurse in interkultureller Kommunikation in chinesisch-tansanischen Business-Interaktionen

Claude-Helene Mayer Abstract (Deutsch) Dr. habil., PhD, Professor in Der Artikel präsentiert ausgewählte afrikanische Konzepte und Diskurse, so wie African Industrial and Organisational Renaissance und Pan-Afrikanismus, als auch neue Ansätze wie Afrofuturismus, Afroto- Psychology at the Department of pia und Afropeanismus. Parallel zu diesen neuen theoretisch-philosophischen Diskursen, Industrial Psychology and People sind Organisationen praktischerweise in afrikanischen Kontexten herausgefordert, mit Management at the University kultureller Diversität und globalisierten Arbeitskontexten umzugehen. Diese organisa- of Johannesburg, Adjunct Pro- tionale Situation ist zu einem neuen Forschungsfeld geworden, das interkulturelle und fessor at the Europa Universitat internationale Kollaboration und Kommunikation einschließt. Viadrina in Frankfurt (Oder), Germany and Senior Research Der Artikel zeigt empirische Ergebnisse zur interkulturellen Kommunikation zwischen Associate in the Department of chinesischen und tansanischen Arbeitnehmern. Die Ergebnisse zeigen, dass chinesische Management at Rhodes Univer- sity, Grahamstown, South Africa. und tansanische Angestellte interkulturelle Kommunikation im Blick auf vier differen- Her Venia Legendi (Europa zierte Themen hin erleben: interkulturelle Kommunikation über kulturelle und hierar- Universitat Viadrina, Germany) chische Grenzen hinweg, in der Online-Kommunikation, im Blick auf Unterstützung is in Psychology with focus on und hinsichtlich der Arbeitsbedingungen. Work, Organisational, and Cul- tural Psychology. She has pub- Schlagwörter: Interkulturelle Kommunikation, chinesisch-afrikanische Interaktion, lished numerous monographs, Organisationskontext, qualitativ-hermeneutisches Paradigma, Tansania edited text books, accredited journal article, and special issues Abstract (English) on transcultural mental health, This article presents selected African concepts and discourses, such as African Renaissance salutogenesis and sense of co- and Pan-Africanism, as well as more recently evolved concepts, such as Afrofuturism, herence, shame, transcultural Afrotopia and Afropeanism, thereby taking new theoretical approaches into account. conflict management and media- In parallel to these theoretical discourses, organisations in Africa are practically tion, women in leadership, inter- challenged by experiences of cultural diversity and globalised work spaces. This cultural business interaction and psychobiography. organisational situation is subject to new research on intercultural and interna- tional collaboration and communication.

This article focuses on intercultural communication in Chinese-Tanzanian organisa- tional contexts, using a case study approach within the hermeneutical philosophical frame. Findings show that Chinese and Tanzanian employees experience intercultural communication with regard to four topics: within and across cultural and hierarchical boundaries, in online communication, with regard to support and in terms of working conditions.

Keywords: Intercultural communication, Chinese-African Interaction, Organisational Contexts, Qualitative-Hermeneutical Paradigm, Tanzania

33 1. Introduction 2. Discourses in Sub-Saharan Africa: From African Renais- For several decades Sub-Saharan Af- sance to Afropeanism rica has discussed concepts of African Renaissance or Pan-Africanism until During the past decades and in the recently new forms of discourses such post-colonialism era, various philoso- as Afrofuturism, Afrotopia, and Afro- phies have been developed across the peanism have emerged. These more African continent which influence recent discourses take issues such as cognitive, affective and behavioural post-colonialism, globalisation, cultural approaches to life in theory and prac- pluralism, and diversity into account tice. These philosophies and discourses and aim at creating alternate identities include, for example, the concepts of which are rather independent of previ- African Renaissance, Pan-Africanism, ous (colonial or imperialistic) concepts Afrofuturism, Afrotopia and Afropean- (Miano 2008, Banda / Saayman 2010, ism and will be explained briefly in the Womack 2013, Thrasher 2015a,b, Sarr following. 2016, 2018, Anderson / Jones 2017; Gunst / Kanobana 2017). The concept of African Renaissance was During the past years, interactions primarily introduced by South Africa’s anchored in cultural diversity and president Thabo Mbeki (1999-2008) globalised work spaces have entered and was described as the cornerstone for the empirical discourses in African an “African Century” (Mbeki 1998). In organisational and research contexts July 2001, the concept was approved by (Mayer 2011). For this study, culture the OAU, the Organisation of African was defined in a broad way, following Unity. African Renaissance includes Bennett (2017): “the coordination of the vision to stabilize, reconstruct meaning and action within a bounded and redevelop the entire continent group.” Intercultural communication by collaborating with the African then refers, based on this definition leaders who commonly work towards of culture, to a communication which managing newly emerging challenges crosses the boundaries of culture in and crisis (Botha 2000). In terms of coordination of meaning and action of the values set in this concept, African a bounded group. Exemplarily, inter- Renaissance refers to restoring African cultural communication experiences of self-esteem, promoting economic Chinese employees working in African prosperity, peace and stability. Cossa contexts have been of interest (Mayer (2009) emphasizes that African et al. 2016, 2017; Mayer et al. 2016) in Renaissance needs to focus on language, intercultural communication research. education and freedom, particularly the freedom from exploitation by Business cooperation in African con- oppressors and the characterization texts requires a complex and multi- of Pan-Africanism, an “attempt to faceted knowledge and intercultural mobilize Africans to unite against the communication in this context needs to tyranny of colonialism by redefining take account of employees of different an African identity and freedom origins (Mayer et al. 2016). Due to the independent of colonial influence.” need of improvement of intercultural (Cossa 2009:5). In this regard, African interaction within Chinese organisa- Renaissance and Pan-Africanism have tions investing in African countries, common aims. Mbeki (2010), in his research in this area has increased speech at the Thabo Mbeki Foundation (Handley / Louw 2016). Selected expe- in Johannesburg on 10 October 2010, riences of Chinese-Tanzanian intercul- called for cooperation across Africa with tural communication will be presented regard to “the aspirations of the peoples in this article, focusing on themes in of Africa to rise from the ashes”. It goes intercultural communication. together with the call for “Africa for the

34 interculture journal 18/32 (2019) Africans” within the context of the Pan- integrates past, present and future and African movement (Banda 2010:50). considers mysticism, metaphysics, iden- Makgoba (1999) emphasizes that tity and liberation as major concepts of African Renaissance needs to take early philosophy and states that music and African civilisations into account and technology, tech love and Afrofuturistic therefore Africa’s contribution to form sensibilities can create new homes (such civilisations in the world. Banda and as on Mars) and contribute to heal- Saayman (2010), however, point out ing and recreating identity (Womack that African Renaissance does not only 2013). Thereby, Afrofuturism focuses need to focus on politics, economics, on technology as an important means education and time concepts, but must to live and understand the world also focus on religion and ideological through black imagination (Thrasher beliefs that have been introduced to 2015a). Black, further on, is here un- Africa and influenced self-perception, derstood as a global concept which is self-confidence, spirituality and the not limited to Africans, but rather a connection to God strongly. It also concept which unifies blacks on a global impacts on the agency, the contextual level. Afrofuturism plays with the con- understanding, reflexivity and cept and perception of race and defines strategic planning and should not be race “as a technology”, as a “perfor- underestimated in its contemporary mance” (Thrasher 2015b) which seems influence on African societies (Banda / to be similar to the former construct Saayman 2010). The authors criticize and therefore not really new within the strongly that African Renaissance, as debate on racial and racialised identi- a concept, still belongs mainly to the ties which are predominant in cultural African elites, political and ideological and racial discourses in African social, protagonists and should be popularized cultural and business contexts (e.g. in a way that it receives a sense of Mayer 2005, 2008, 2011). What, relevance for the ordinary people. however, is rather new to the debate is Besides the rather traditional politi- that Womack (2013:96) emphasizes cal and ideological concepts of African that Afrofuturism is the subconscious Renaissance and Pan-Africanism, three way of exploring present awareness and discourses have gained importance “infusing those who are receptive with within (primarily West-) African and ideas and stories from worlds and times partly European contexts: Afrofuturism, forever lost”, combined with the idea Afrotopia and Afropeanism. to create sustainability, equality and a Afrofuturism deals with the idea of rei- future imagined to reconstruct the pre- magining science and the future from a sent. Anderson and Jones (2017) invent black perspective, claiming black iden- Afrofuturism 2.0 and highlight that Af- tity as a primary expression of art, cul- rofuturism has already existed for most ture and political resistance (Thrasher of the 20th century, particularly in the 2015a). Afrofuturism focuses on poli- American African diaspora, describing tics, aesthetics and cultural aspects of analysis, criticism and cultural produc- science, science fiction and technology, tion to address the intersection of race however, at the same time, its definition and technology. The authors’ concept seems to be vague, personalized and of Afrofuturism 2.0 expands the idea of changeable. For Womack (2013), the the digital divide, music and literature concept offers a highly intersectional towards religion, architecture, commu- approach which might even include a nication, visual art and philosophy and new perspective on viewing possible describes the growth of an emerging futures, alternate realities and non-lin- global Pan African creative phenom- ear, fluid and feminist concepts from a enon. This concept refers to the rising black perspective and particularly from instrumentalisation of futurist and sci-fi a sci-fi and fantasy work perspective. It aesthetics as important cornerstones for

35 the contemporary Afrodiasporic culture Finally, the concept of Afropeanism is (Anderson / Jones 2017). described as having been developed in two waves, the first one from 1500 to The concept of Afrotopia was promoted 2017 and the second one from 2017 by the Senegalese economist, writer and onwards (Gunst / Kanobana 2017). In singer Felwine Sarr to explore new ways Afropeanism multicultural narratives of of knowledge and development for genetical and cultural realities are used Africans to rethink their future (Sarr, to reinvent African cultural presence in 2018), but has already been introduced Europe to particularly encourage the by Moses (1998). Sarr (2018) critically public to read history and future in new rethinks the idea to always strive for ways (Gunst / Kanobana 2017). Afro- the new and the future and emphasizes pean research and practice explore the that the traditions need to be explored aesthetic interplay of black and Euro- before the new can be invented. In the pean cultures and create new synergies concept of Afrotopia, according to Sarr of styles and ideas in literature, as well (2018), the “colonial library” needs to as in arts and music (Afropean 2019). be explored which consists of ideas of Afropean cultures explore the juggling cultural superiority and racial prejudice of multiple allegiances to forging new and which holds a linear idea of pro- Afro-European identities to integrate gress and atomic perception of reality. Afro-European culture (Pitts 2019). The injustice needs to be addressed Miano (2008) has written on Afropean and recognized as multifaceted and the Soul in her novels, thereby tackling sovereignty needs to be reclaimed by identity formations of individuals with creating a scientific, historical and cul- mixed cultural backgrounds and histo- tural discourse, which is liberated from ries of (im)migration. the past and decolonialised (Sarr 2018). Afrotopia focuses on constructing All of the introduced philosophical equality and using an inside (emic) Af- programmatic concepts and discourses rican perspective to understand the cul- seem to be still emerging. They aim ture and thereby create a new mode of at defining new black, African, black- understanding reality. It thrives there- American and black global and Afro- fore to developing its own strengths pean or even universal identity concepts through re-evaluating traditions. Ingrid which provide alternate views and LaFleur (2018) takes the concept fur- perspectives on past, present and future ther and defines Afrotopia as “Detroit (see Table 1 for overview). The concepts plus Afrofuturism”, synthesizing sci- are primarily promoted through litera- ence fiction, Black history, technology, ture, arts, music and creative new wave social change and imaginative power to explorations of identity and its con- move a world out of orbit. For LaFleur struction. Partly, they claim a scientific (2018), Afrotopia is based in Detroit, approach which is more or less inde- but a global outreach of Black Ameri- pendent of the history of colonialism, can radical thought and experimenta- imperialism and Western philosophies. tion. Besides the cultural and artistic side of Afrotopia, Sarr (2016) highlights that Afrotopia needs to include a po- litical agenda which aims to achieve complete intellectual independence, needs to provide original responses to universal issues (e.g. health, democracy and education) and to present new so- cial innovations. He explains that Africa should psychologically and mentally decolonialise and provide alternative solutions (Sarr 2016).

36 interculture journal 18/32 (2019) African concept Key aspects African Renaissance - vision to stabilize, reconstruct and redevelop the entire con- tinent by collaborating amongst the African leaders - managing challenges and crisis - restoring African self-esteem, promoting economic prosper- ity, peace and stability - self-confidence, spirituality and the connection to God - elitist approach to see Africa Pan Africanism - attempt to mobilize Africans to unite against the tyranny of colonialism by redefining an African identity and freedom independent from colonial influence - Africa for the Africans Afrofuturism - reimagining science and the future from a black perspective - claiming black identity as a primary expression of art, cul- ture and political resistance - science, science fiction and technology perspective - Black is understood as a global concept which is not limited to Africans - perception of race and definition of race “as a technology”, as a “performance” - subconscious way of exploring present awareness - creating sustainability, equality and a future imagined to reconstruct the present - intersection of race and technology - global Pan African creative phenomenon Afrotopia - critical rethinking of the idea to always strive for the new and the future - overcoming cultural superiority and racial prejudice - constructing equality and using an inside (emic) African perspective - creating its own strengths through re-evaluating traditions - synthesizing science fiction, Black history, technology, social change and imaginative power - achieving complete intellectual independence - providing original responses to universal issues - psychological and mental decolonialisation and provision of alternative solutions Afropeanism - using multicultural narratives of genetical and cultural reali- ties to reinvent African cultural presence - exploring the aesthetic interplay of black and European cul- tures in research and practice - creating new synergies of styles and ideas in literature, as well as in arts and music - tackling identity formations of individuals with mixed cul- tural backgrounds Table 1: Overview on African concepts

37 3. Purpose and aims of this Woodley / Lockard 2016) within the article participating organisations. The same is valid for the enterprises which partici- Following this brief presentation of pated in the study. new perspectives and discourses on African identity and philosophical 4.1 The sample discourses, research findings from a The sample comprised 16 employees in qualitative study on intercultural com- the private organisation and 8 employ- munication in Chinese-owned organ- ees within the governmental organisa- isations in Tanzania are provided. The tion. In the three enterprises, six indi- findings of this study will be discussed viduals participated in the research (two in the light of the briefly presented, in each organisation). All interviews newly established and globalised Afri- were conducted in English, Kiswahili can discourses. and/or Mandarin and were translated The purpose of this article is to pro- where necessary. Interview questions vide new insights into the discourses ranged from “How do you work to- presented and their state-of-the-art as gether?”, “How do you define your- well as into intercultural communica- self?”, “How do you see the organisa- tion experienced by Chinese and Afri- tion?”, How do you see the roles within can employees within selected Chinese the organisation?”, “What do you think organisations. about the interaction of employees and Thereby we will establish if and, if yes, group members?”, “What kind of inter- how these new African discourses are cultural experiences do you gain on the represented in the intercultural com- job?”, “Please describe situations which munication narrations experienced by you have experienced across cultural/ Chinese and African employees work- language groups in this work context?” ing in two Chinese organisations and to the exploration of specific questions three Chinese enterprises. regarding critical incidents, communi- 4. Research methodology cation and (intercultural) cooperation. All participants agreed to participate The research study is anchored in the voluntarily in the study. phenomenological hermeneutical tra- The research team consisted of four re- dition of research (Gummerson 2000). searchers, two German, one Tanzanian It uses a research methodology which and one Chinese-Tanzanian researcher. is explorative and descriptive in nature. All researchers were fluent in English, As according to Collis and Hussey one in Mandarin and three in Kiswa- (2003), a social constructivist perspec- hili; three were male, one was female, in tive is applied which views every social the age span of 40 to 67 years. interaction as a construct. 4.2 Data collection and This study includes data collected at analysis two large scale organisations and at three small scale enterprises. One is a Data were collected through semi-struc- Chinese governmental-owned trans- tured interviews in face-to-face inter- portation management organisation view situations. All interviewees were while the second organisation studied conducted within 30 to 90 minutes ac- is a Chinese-owned private informa- cording to the interviewees’ time frame. tion technology and telecommunica- Observations made by the researchers tion organisation. Both organisations in the organisation were captured in are large scale organisations, employ- field notes and used to interpret the ing over 100 employees each in their interview data (Graham / Bell 2016, branches in Tanzania. Walsh et al. 2016). Participants of this study were re- After the interviews, data were tran- cruited via convenience and snowball scribed and where necessary translated sampling (Denzin / Lincoln 2000,

38 interculture journal 18/32 (2019) verbatim. Data were stored in accor- eralisable. However, the study can give dance with the ethical guidelines. Data guidance to future research studies in were analysed through the five-step pro- this field. cess of content analysis (Terre Blanche et al. 2006:322–326) – step 1: familiar- 5. Findings isation and immersion (reading through the interviews and discussing them Findings show reflections on commu- within the intercultural team); step 2: nication, intercultural communication, inducing themes (defining basic themes questions of identity and meaning. across all interview questions); step Interviewees are strongly aware of ex- 3: coding (coding of sub-categories); periences of miscommunication and step 4: elaboration (defining codes and difficulties to communicate effectively networks of codes); and step 5: inter- and harmoniously with the members pretation (intercultural interpretation of a different cultural and language and discourse of interpretation across background. Parts of the findings have team members) and checking (check- been published previously (Mayer et ing of findings and interpretations). al. 2016, 2017), but have not been Throughout the process, intersubjec- interpreted in the context from an in- tive validation processes were used (Yin tercultural communication perspective 2009). These processes included reflec- based on the recent African philosophi- tions, discussions about experiences cal contexts. Data will be interpreted and their interpretations to validate with regards to the presented African the perceptions and interpretations of concepts and will refer to aspects of the researchers. The data and findings intercultural communication and differ- were discussed and interpreted from the ent subthemes. researchers’ perspectives over a period Findings refer to intercultural com- of several months, which were expected munication within Chinese-Tanzanian to yield rich, complex and detailed de- business interaction with regard to four scriptions and interpretations (Chan et explicitly mentioned contexts within al. 2015, Creswell 2015). the organisations and enterprises: 4.3 Ethical considerations • Intercultural communication across and limitations and within hierarchies and cultural boundaries The study refers to defined research eth- • Intercultural communication in on- ics which include the voluntary partici- line communication pation of the participants in the study, • Intercultural communication and the provided informed consent, given support anonymity, confidentiality and the • Intercultural communication and freedom to withdraw from the research working conditions process at any point in time. Ethical The following will present the findings clearance was provided by Rhodes Uni- according to those four contexts of in- versity, Grahamstown, South Africa. tercultural communication experiences. As each and every study, this study comes with limitations. The limitations 5.1 Communication across refer to the fact that this study only and within hierarchies and takes two Chinese organisations and cultural boundaries three Chinese enterprises operating in Findings show the experiences of inter- Tanzania into account. Within these cultural communication from Chinese organisations only a small number of and Tanzanian perspectives which have employees agreed to participate in the been experienced within the organisa- study. The study therefore rather gener- tions and enterprises. (The coding for ates qualitative and in-depth content the interviews means, for example: than to produce results which are gen- 5h-e - interview number 5, e - employer

39 12h-m - interview number 12, m - place between the mother organisation manager). and the top managers. Accordingly, the communication is not supposed to be- A Tanzanian employee (5h-e) emphasis- come intercultural since there are only es that the intercultural communication Chinese managers in managerial posi- between the Chinese managers and the tions communicating with the mother Tanzanian employees is problematic. organisation, while Tanzanian employ- He comments: ees only work in lower ranks. In terms of “Sometimes the Chinese inform us about decision-making and communication, what is going on, but sometimes they do intercultural communication should not not do it and they just make their own take place from a Chinese perspective, decisions. They will just inform you and due to the fact that social and organisa- one day you find out that the decisions tional hierarchies prevent it. have already been made and so I just have However, a Tanzanian employee to obey, without being able to communi- (16h-e) states that intercultural com- cate about it.” munication does take place, describing The Tanzanian employee experiences an a communication act which refers to authoritative, top-down communica- hierarchies within the organisation and tion between Chinese (who inform or negative experiences of the Tanzanian not inform) and Tanzanian employees. employee. Decision-making is not balanced and “If a Chinese comes to you, and ask for the Tanzanian employee feels that he something and you tell that person then has to obey and that the communica- I’m not supposed to give you this … be- tion in general is preconditioned within cause you have to get an approval from the organisation. He believes that he my supervisor if you can get this thing or does not have a say in the communica- this item that you want. There are some tion. stuff that you just don’t give away. You A Chinese manager (12h-m) explains have to get an approval first and then he that the communication channels with- or she shouts at you or like, ‘who do you in the organisation is strictly defined. think you are?’ Who do you think you are Often, the mother organisation in Chi- in this organisation?’ Something like that na makes decisions and provides the in- …Yah! It happens.” formation which can then be channeled The Tanzanian employee feels mistreat- down to the other employees: ed by the Chinese employees when not “However, we have our principles and complying with their communicated some projects for maybe senior level should expectations and when acting according obey our mother organisation from China. to the hierarchical levels and structures. The Managing Director has a certain level A Chinese manager points out that of authority, but some communication is communication behaviour across hier- just for some individuals and not necessar- archies and cultures differs within the ily for the Tanzanian employees.” group of Chinese and between Chinese Here, the data show that Tanzanian em- and Tanzanian employees (12h-m): ployees would enjoy a more open inter- “We Chinese, if I didn’t do my work, the cultural communication in which they managing director can shout at me, but we were taking into the decision-making seldom shout at the local staff. For me, the processes in an equal level. However, shouting is okay, but not for the local staff. the Chinese participants highlight that Communication between the supervisor communication within their organisa- and the management, he might be using a tion follows very clear in-group-related more straight and tough way and press me principles and does usually not go below to do better, but with local staff we think the managerial and authoritative levels. more about their culture and language and The important communication takes which local staff we accept.”

40 interculture journal 18/32 (2019) According to the Chinese manager, the face communication.” Chinese employees have two communi- A Chinese employee (6h-m) explains cation strategies: one is to communicate that through online communication he within their own cultural group and the feels strongly supported, because he can other one is to communicate with local do his research and get the resources employees. The communication within he needs online while communicating the Chinese group is described as tough with his counterparts who support him and shouting, the intercultural commu- and who teach him how to do business. nication between Chinese and Tanza- nian employees is described as adjusted “Online communication is good since my to culture and language sensitivity. colleagues support me and teach me how to do business.” He (12h-m) explains further: Another Chinese employee (11h-m) “The first thing in communication is that discusses communication issues in you should obey the laws, second you need terms of using the in-house e-database to make suggestions to the local staff and which is accessible to everyone: our headquarter tells us we should make a “We have a very open e-learning plat- balance between the suggestions of the local form... and you can find any information staff and regulation of the headquarters.” you want… is related to your work. This From the perspective of the interviewee, is what we did with all the information the politics of the organisation work ac- from different countries and project expe- cording to three principles in intercul- rience or specific technology training ma- tural communication, such as: 1.) obey- terial: everything we share in one database ing the laws, 2.) taking in suggestions and one platform. Any staff can use their by locals, and 3.) balancing Chinese ID and just log in the office platform: and local views. Based on the politics of Chinese and local staff are very open in the organisation, a mix of intercultural communication and they work together perspectives should be communicated very closely.” and valued. In this case, intercultural communica- 5.2 Online communication tion is viewed as being positively medi- ated by technology and an e-learning A large amount of communication and data-sharing platform which within the organisation takes place on- contributes to, according to this par- line, particularly the communication ticipant, an open and close intercultural which is related to further education, communication, because all employees training and qualification, but also to have access worldwide and can commu- the exchange between employees. nicate across all boundaries. A Tanzanian employee (13h-e) explains that he takes part in online communi- Finally, a Chinese employee (19c-e) cation training and that he had been emphasizes that it is extremely difficult scored for his training, but that the to communicate with Tanzanians inter- qualification gaps between Chinese culturally. He highlights (19c-e): and Tanzanian employees are huge and “It is hard to work with African colleagues Tanzanian employees usually feel that (…) their language is much better than the online communication platform is ours, but the technical skills - the Chinese “helpful” in a way, but the skills and people will do better than the locals.” expertise which they gain through this communication platform are limited In terms of the English language use and that the Tanzanian employee pre- as such, the Tanzanian employees are fers face-to-face communication: viewed as more educated, but in terms of tasks and skills Chinese are more “The online communication is helpful, educated. These gaps lead to difficulties but limited. To increase skills and exper- in intercultural communication on the tise, we would need to learn in face-to- one or the other hand.

41 5.3 Intercultural communica- language barriers which he experiences tion and support in intercultural communication and which lead to panic on the one hand A Tanzanian employee (15h-m) com- and patience on the other: ments that in the communication across members of cultural groups, sup- “You need to be patient, because Chinese port is hardly given and knowledge is people, they panic. It is because sometimes, hardly shared interculturally: they have to understand English, and they understand Chinese only. So if you “You can be given a job, someone can are speaking and they don’t know what come and tell you: ‘do this’ - but I have you are speaking about, just be patient. never done it. I tell him, ‘I don’t know; no (laughter).” - just learn from others, ask your friends’. My supervisors don’t have time to teach This Tanzanian employee shows that me and they say ‘here nobody can teach the language barrier impacts on the you, you have to teach yourself. If you communication situation, since Chi- don’t know then find the one who can’. So, nese employees do not understand we find that we don’t have much support English well and then start to panic, from the Chinese.” while this is a situation in which Tan- zanian employees need to be patient. In this case, the Tanzanian employee The working conditions are very much does not feel supported in the inter- influenced by the language barrier and cultural communication processes. He define to a certain degree the quality of describes Tanzanians getting instruc- the work conditions and the intercul- tions from Chinese employees, but they tural communication situation. are not guided or supported, but are Further on, another Tanzanian em- told to find someone to help them. The ployee (16h-m) describes the intercul- communication set therefore includes tural communication as rather difficult, an instruction, but no explanations. particularly when it comes to the work According to the Chinese participants, contracts which the Chinese organisa- Tanzanians do not participate within tion hands-out in Chinese language. the organisation and they do not com- Since no translators are used, intercul- ply with the rules. However, other tural communication becomes a prob- Chinese employees state that there is a lem with regard to language: “good intercultural communication struc- “... we all understand each other. But ture” within the organisation, because sometimes (sigh) … sometimes you might information transparency, knowledge be given a document to sign, which is sharing and support is encouraged written in Chinese. So, you don’t know through weekly meetings. Chinese em- what is there but you’re just told, ‘Sign!’” ployees are convinced that they strive to help local entrepreneurs to gain experi- The working conditions are influenced ence and knowledge through exchange by the language barrier and Tanzanians of ideas and they are also highlighting are expected to sign Chinese contracts that they support the Tanzanian em- without knowing about the content. ployees within the organisation which These work conditions, which are based the Tanzanian employees do not experi- on an unbalanced and unequal relation- ence. ship in terms of power, define the inter- 5.4 Intercultural communica- cultural communication strongly. tion and working conditions Finally, a Chinese employee (2h-m) explains how he stays mainly within his A majority of participants emphasise own cultural group: that the working conditions are influ- enced by the intercultural communica- “I stay most of the time with Chinese tion situation in the organisations. A people. Work time, I spend my work time Tanzanian employee (5h-m) highlights with the locals and Chinese people. And

42 interculture journal 18/32 (2019) in my spare time, I stay with my Chinese colleagues, because we are new in this area. Most of us are single even though we are married, but our families are in China, but we stay together.” This Chinese employee describes the fact that he prefers to stay within his own cultural group during his spare time and avoid intercultural commu- nication. He feels most comfortable within his own group and experiences support by being within his Chinese ingroup whose members are new to the environment and without their families. Intercultural communication rather seems to be stressful for this employee and he therefore prefers to spend his time within his Chinese group, al- though he says that he spends his work time with both, Chinese and Tanzanian employees.

The following Table 2 provides an overview on the themes of Chinese and Tanzanian perspectives.

43 Themes Tanzanian perspective Chinese perspective 1. Intercultural - Authoritarian top-down com- - Strictly defined communication communica- munication - Channeled down from Chinese tion across - Obeying mother organisation and within - Closed and preconditioned - Obeying hierarchies intercultural communication - Exclusive communication on top and cultural - Intercultural communication levels boundaries should be open and inclusive - No intercultural communication - Act within your hierarchical in decision-making levels and have communica- - Ingroup Chinese communication tion approved is tough, harsh and pushy using - Disrespectful intercultural shouting, while intercultural com- communication (shouting) munication with Tanzanians is adjusted to culture and language (softer) - Intercultural communication is based on 3 principles: 1. Obey the laws, 2. Take in suggestions by locals, 3. Balance Chinese and local views 2. Intercultural - Online communication for - Amongst Chinese employees, on- communi- learning and exchange, but line communication is experienced cation in skills should be acquired as supportive online com- through face-to-face commu- - Difficult intercultural communi- munication nication cation through language gaps on Chinese side and technical gaps on Tanzanian side - Online-mediated intercultural communication and data exchange (worldwide) - Open and close intercultural com- munication 3. Intercultural - Intercultural communication - Tanzanians do not comply with communica- is based on instructions the given rules in the organisation tion and sup- - Information and support are port not given in intercultural communication 4. Intercultural - Intercultural communication - Spend work time with Chinese communi- is impacted by language bar- and Tanzanian employees cation and riers which makes Chinese - Spend leisure time with Chinese working con- panic and Tanzanians having ingroup only ditions to be patient - Mutual understanding through communication - Contracts in Chinese only - Instructive language “sign without understanding” Table 2: Themes and perspectives in intercultural communication

44 interculture journal 18/32 (2019) The following subchapter discusses the with regard to their decisions. While African discourses described above with Tanzanians do not feel as if they are regard to the intercultural communica- treated on the same level and rather feel tion between Chinese and Tanzanian left without support and enough infor- employees. mation, as well as impacted by language 6. Discussion barriers and a limited mutual cultural understanding, Chinese employees find All the five discourses referring to Afri- that Tanzanians get a possibility to con- can cultural and philosophical concepts tribute and have a say, although they deal with vision, explorations, new-def- do not comply with given rules and initions and reconstructions of socio- instructions. Further, Chinese employ- cultural meaning for African culture, ees feel that Tanzanians are treated in African identity and African societal a culture-specific way and with respect aspects, as described above. In the fol- and cultural sensitivity. With regard to lowing, the empirical data with regard African Renaissance and Pan African- to Chinese-Tanzanian intercultural ism, it can be highlighted that Tanza- communication will be discussed in the nians do not feel that they stabilise, context of the five African conceptual reconstruct or redevelop the African discourses to evaluate their impact in continent. The Chinese employees do the daily life intercultural communica- not see a high self-confidence and self- tion interactions with regard to hierar- esteem in Tanzanians and only see these chies and cultural boundaries, online attributes when it comes to language communication, support and working competency. conditions. Further, the concept of Pan-Africanism African Renaissance relates to a vision does hardly play a role in intercultural to stabilize, reconstruct and redevelop communication between Chinese the African continent, managing chal- and Tanzanian employees. It is only lenges and crisis, restoring self-esteem involved in so far that Chinese and promoting economic prosperity, employees usually do not refer to peace and stability, as well as self-confi- Tanzanian employees, but rather dence, spirituality and the connection to African (or local) employees and to God. The findings show that within thereby do not differentiate between the intercultural communication situ- Africans of different countries. From a ations between Chinese and Tanzanian Tanzanian perspective, the Tanzanian employees, intercultural communica- employees do not seem to attempt tion is connected to hierarchies and to mobilize against the tyranny of cultural boundary definitions, as well as colonialism by redefining their African to online communication, support and identity and become free of colonial working conditions within the organ- (or here maybe even neo-colonial or isation. Findings show that Tanzanians imperialist) powers. Since Tanzanians feel treated “top down” by Chinese in the described contexts are not managers. They are in preconditioned promoted within the organisations, communication situations which often are seen as rather unskilled and are leave them in a disrespectful situation instructed to sign contracts which in which Chinese employees shout at they cannot understand in terms of them. The Chinese employees feel that the conditions involved, it might be employees have to behave and that only highlighted that these experiences top management should be involved in might remind Tanzanians of neo- communication structures so that Tan- colonial power relations and structures. zanians do not have a say in commu- The situations seem to be far away from nication. To them it is important that the concept “Africa for the Africans” employees obey laws, take on sugges- since Chinese and Tanzanian employees tions by Tanzanians and weight them do work together, but Chinese investors

45 obviously hold the power over their this intercultural communication, but is Tanzanian employees, as expressed rather a fixed concept of classification. in the intercultural communication situations presented. Therefore, In the data, further critical thoughts Tanzanians are not redefining their are not given with regard to rethink- African identity anew, but rather seem ing the ideas for the African future, as to surrender to the Chinese employees highlighted in Afrotopia. Obviously, in and treat them with patience. While Chinese-Tanzanian intercultural com- the Chinese employees describes that munication, cultural superiority and Tanzanians are treated in a culture racial prejudices are not yet overcome as sensitive way, Tanzanians still seem to emphasised in Afrotopia; traditions are experience the Chinese employees as hardly re-evaluated while known com- instructive, using a top-down approach, munication patterns are rather taken and disrespectful. Tanzanian employees, on without deeper reflection. Although however, would expect to be treated Tanzanians aim for equality, they do equally and to be part of the decision- not manage to being treated equally, making processes. as, for example, in decision-making, hierarchies, guidance etc. None of the None of the aspects highlighted in Af- ideas of synthesizing science fiction, rofuturism (reimagining science and the Black history, technology, social change future from a black perspective, seeing and imaginative power are present in black identity as an expression of art, the intercultural communication. Fur- culture and political resistance, science ther, Tanzanians do not at all achieve fiction-based etc.), can be viewed or complete intellectual independence, experienced in the intercultural com- but rather show their dependence on munication between Chinese and Tan- the Chinese organisation, the concepts zanian employees. It rather seems that and power relations created by Chinese previous concepts of race and colonial employees. Further, the organisation powers are recreated in the intercultural also does not foster original responses to communication than new concepts be- universal issues, but is strongly focused ing introduced. However, the data show on their priority areas of the business that Tanzanians strive to have an equal than to taking more complex universal relationship with the Chinese employ- issues into account, such as sustain- ees and strive for quality and sustain- ability, peace and harmony. With regard ability. Data do not refer to any kind of to Afrotopia, the data finally show that creativity which is used by Chinese or the ideas of psychologically and men- Tanzanian employees to re-create them- tally decolonisation and the provision selves anew. An aspect that is visible alternative solutions have not found within the intercultural communication their ways into thoughts and practice is the idea that there are intersections of yet. The communication between race and technology. Chinese employees Chinese and Tanzanian employees is emphasise that Africans are not good rather based on power, hierarchies and with technical skills and technological culture (race) with the Chinese em- skills are ascribed to the Chinese em- ployees holding the power and using ployees’ abilities only - by members of a top-down communication with split both groups, Chinese and Tanzanian decision-making processes. Further, interviewees. Therefore, the data show language barriers are not overcome and an intersection of race and technol- Mandarin is used in the organisations ogy, but are not relating to Tanzanians as a means of instruction, which leads (Africans) and technology as a positive to unequal power and strict hierarchical intersection and as a positive recreation structures in which Chinese employees of African (racial) identity through are at the top and Tanzanian employees technology. Further, race is not defined are placed at the bottom of the deci- as “a technology” or “a performance” in sion-making pyramid.

46 interculture journal 18/32 (2019) tion, it can be concluded that all five The concept of Afropeanism does not discourses are hardly reflected within play a role in the data due to the fact the daily life interactions of Tanzanian that Chinese and Tanzanian employees and Chinese employees. It rather seems do not create multicultural narrations that the discourses remain in the field of genetical and cultural realities, but of African educational (artists, writers rather continue to re-present narratives and musicians) elites and stay within of cultural segregation, monocultural- theoretical concepts which are non- ism and inequality of power. Only to explored on practical levels of inter- a very small degree do Chinese and cultural daily (business) interactions. Tanzanian employees highlight the in- If, however, these concepts could be tercultural synergies and intercultural practically applied in the reconstruction potential of synergising their cultures. of intercultural business communica- None of the described intercultural tion, this could help to redefine African communication experiences refer to identities through theoretical discourses reinventing African cultural presence on a practical level and contribute to an in society or organisation and or to the increased understanding of the syner- potential of mixed African-European gies of intercultural business communi- cultures or, in this case, mixed Chinese- cation between Chinese and Tanzanian Tanzanian culture, and their synergetic employees. This article thereby agrees potential or positive impact on the or- to the criticism used in the discourse on ganisational context. African Renaissance, which highlights 7. Conclusions and recom- that the theoretical African discourses mendations usually belong to the African elites, and political and ideological protagonists. The aim of this article was to reflect They should be popularised in a way on new perspectives and discourses of that they receive a sense of relevance African identity and philosophy con- for the ordinary people, for example in struction. It further aimed at presenting intercultural business communication. findings on intercultural communica- Based on the findings and conclusions, tion between Chinese and Tanzanian the following recommendations for employees in Chinese organisations future research can be provided: investing in Tanzania. The research findings were discussed with regard Particularly the concepts of Afrofutur- to the theoretical discourses presented ism, Afrotopia and Afropeanism should to explore if and how the theoretical be researched in terms of their reflec- discourses are reflected in intercultural tion and reimagination within different communication situations. sub-cultural groups (artists, musicians, The new discourses on African concepts writers, teachers, business people etc.) of values and identities, such as in Af- across the African continent, taking rofuturism, Afrotopia and Afropeanism, samples from different countries into are seen as being in the development account. Most aspects of these concepts process. The concepts are in a theoreti- could not be found within the organ- cal phase of creation and development isation and business data presented and only provide a few aspects which with regard to Chinese and Tanzanian can be applied in the analysis of empiri- interaction. Neither Chinese nor Tan- cal data. It rather seems that concepts zanian employees seem to explore new based on colonial experiences and im- concepts of reinventing African culture perialism are re-invented and re-created, within their intercultural communica- re-invented and re-created in the orga- tion interactions. They rather seem both nisations studied. to reconstruct previous African identi- ties, based on colonial, post-colonial or Reflecting on the African cultural and imperialistic structures. Research must philosophical discourses in the context find out which conditions in cultural or of explored intercultural communica-

47 intercultural spaces lead to redefinition 8. Bibliography of identity on theoretical and practical levels. Studies should also research the Afropean (2019): Afropean. Adventures application of new philosophical con- in Black Europe. URL: http://afro- cepts and their impact on intercultural pean.com/about/ [accessed 14 January communication situations in different 2019]. cultural contexts within African coun- Anderson, R. / Jones, C.E. (2017): tries. Afrofuturism 2.0. The rise of Astro- In terms of future practice, the follow- Blackness. Minneapolis, MN: Lexington ing recommendations are given: Books. In intercultural communication be- Banda, Z. (2010): African Renaissance tween Chinese and Tanzanian employ- and missiology: a perspective from mission ees, awareness needs to be created about praxis. Unpublished D Th thesis, UNI- concepts of culture and identity and SA. Pretoria, South Africa: UNISA. philosophical discourses (past, pres- ent and futurist) to see the potentials Banda, Z. / Saayman, W. (2010): Re- which mindful, cultural and intercul- naissance and rebirth: A perspective on tural communication could hold for the African Renaissance from Christian Missionalia the communication processes. The mission praxis. 43(2): p. discourses could be actively used to 131-152. create discussions and training sessions Bennett, M. (2017): Culture. Online on intercultural communication. This, debate – has multiculturalism in the then, would not only need to include West has reached its limits? Email com- African, but also Chinese identity and munication. 30 April 2017. philosophy discourses to create a deeper Brinkmann, U. / Zee, K. van der mutual understanding of the cultural (1999): Benchmarking Intercultural background as well as on how to cre- Training. Is Experience Its Biggest ate intercultural communication in a Competitor? Language and Intercultural culture-specific, culture-sensitive way to Training 17(1), S. 9-11. minimize irritations and the repetition of previously unsuccessful and unsus- Botha, P. du T. (2000): An African Re- tainable concepts. Discourses could be naissance in the 21st Century? Strategic broken down into practical applications Review for Southern Africa, XXII(1). in intercultural communication and URL: https://www.questia.com/library/ become a point of discussion in terms journal/1G1-82011526/an-african-re- of ethical and respectful intercultural naissance-in-the-21st-century [accessed cooperation of Chinese organisations, 14 January 2019]. entrepreneurs and investors in African Brislin, R. W. / Yoshida, T. (1994): In- contexts. tercultural Communication Training. An Acknowledgements: I would like to Introduction. Thousand Oaks, CA: Sage thank the Department of Management Publications, Inc. at Rhodes University, South Africa, for Chan, N.N. / Walker, C. / Gleaves, partly sponsering the research on Chinese- A. (2015): An exploration of students’ Tanzanian cooperation and particularly lived experiences of using smartphones Professor Lynette Louw. in diverse learning contexts using a hermeneutic phenomenological ap- proach. Computers and Education 82, p. 96–106. Cifa Crossculture (2004): Rollenspiele. Infoletter, First Quarter. URL: http:// www.cifa-crossculture.de/img/doku- mente/InfoletterQ12004.pdf [accessed

48 interculture journal 18/32 (2019) 14 January 2019]. Training Know-How for Cross-Cultural Collis, J. / Hussey, R. (2003): Business and Diversity Trainers. Duncaville: research: A practical guide for under- Adult Learning System Inc., p. 3-8. graduate and postgraduate students. (2nd LaFleur, I. (2018): Afrotopia. URL: edn.). New York, NY: Palgrave Macmil- http://ingridlafleur.com/afrotopia/ lian. [accessed 14 January 2019]. Cossa, J.A. (2009): African Renaissance Makoba, M. W. (1999): African Renais- and Globalisation: A conceptual analy- sance: the new struggle. Sandton: Mafube sis. Ufahamu: A journal of African Stud- Publications. ies, 36(1). URL: https://escholarship. Mayer, C.-H. (2005): Artificial Walls. org/content/qt8k7472tg/qt8k7472tg. South African Narratives on Conflict, pdf [accessed 14 January 2019]. Difference and Identity. An Exploratory Creswell, J.W. (2015): Essential Skills Study in Post-Apartheid South Africa. for the Qualitative Researcher. New York: Stuttgart: Ibidem Verlag. Sage. Mayer, C.-H. (2008): Managing conflict Deal, T. E. (i. p.): Corporate Cultures. across cultures, values and identities. A The Rites and Rituals of Corporate Life. case study in the South African automo- Mass: Addison-Wesley. tive industry. Marburg: Tectum Verlag. Denzin, N. K. / Lincoln, Y.S. (2000): Mayer, C.-H. (2011). The meaning of Handbook of Qualitative Research (2nd Sense of Coherence in Transcultural Man- ed.). Thousand Oaks, CA: Sage Publi- agement. Internationale Hochschul- cations. schriften Series. Münster: Waxmann. Graham, C. / Bell, A. (2016): The Ca- Mayer, C.-H. / Boness, C.M. / Louw, reer Advancement Experiences of Female L. (2017): Perceptions of Chinese and Faculty of Color in Athletic Training Ed- Tanzanian employees regarding inter- ucation Programs. Kansas State Univer- cultural colloboration. South African sity Libraries. New Prairie Press. Adult Journal of Human Resource Manage- Education Research Consortium. Con- ment, 15, 11 pages. doi:10.4102/sa- ference Proceedings, Charlotte, NC. jhrm.v15i0.921. URL: http://newprairiepress.org/cgi/ viewcontent.cgi?article=1005&context= Mayer, C.-H. / Boness, C.M. / Louw, aerc. [accessed 12 January 2019]. L. (2016): Perspectives of Chinese and Tanzanian employees on intercultural Gummesson, D.E. (2000): Qualitative cooperation in a private Chinese organisa- methods in management research. (2nd tion in Tanzania. 10th China goes glob- ed.). Thousand Oaks, CA: Sage. al Conference, University of Macerata, Gunst, R. / Kanobana, R. (2017): The Italy, 26.7.-28.7.2016. reign of Afropeanism. URL: https:// Mayer, C.-H. / Boness, C.M. / Louw, www.bozar.be/en/activities/123647-the- L. / Louw, T. (2016): Intra- and reign-of-afropeanism---roland-gunst- inter-group perceptions of Chinese and sibo-kanobana [accessed 14 January Tanzanian employees in intercultural 2019]. cooperation. SAIMS conference, Univer- Handley, R. (2016): Impact of Organisa- sity of Pretoria, Pretoria, South Africa, tional Culture and Leadership Styles on 4.-7-9.2016. Proceedings of the 28th the Quality of Work Life: An Exploratory Annual Confernece of the Southern Study of Chinese Organisations in South African Institute of Management Scien- Africa. Unpublished Maters Disserta- tists. URL: http://www.up.ac.za/media/ tion. Grahamstown: Rhodes University. shared/643/ZP_Files/2016/Papers/ Kohls, L. R. (1995): Training as a hrl18_full.zp97856.pdf, S. 119-137. Twentieth Century Discipline. In: [accessed 14 January 2019]. Kohls, L. R. / Brussow, H. L (Eds.):

49 Mbeki, M. (1998): The African Re- Thrasher, S.W. (2015b): Rachel Dolezal naissance. South African Yearbook of exposes our delusional constructions International Affairs, 9. Johannesburg: and perceptions of race. The Guard- South African Institute of International ian, 12 June 2015. URL: https://www. Affairs. theguardian.com/commentisfree/2015/ Mbeki, T. (2010): Launch of Thabo jun/12/rachel-dolezal-delusional-con- Mbeki foundation gives hope. Pretoria struction-perception-of-race [accessed News, 11 October 2010, S. 2. am 14 January 2019]. Miano, L. (2008): Afropean Soul: et Terre Blanche, M. / Durrheim, K. / autres Nouvelles. Paris: Flammarion. Kelly, K. (2006): First steps in qualita- tive data analysis. In: Terre Blanche, Moses, W.J. (1998): Afrotopia. The roots M. / Durrheim, K. / Painter, D. (Eds.): of African American Popular History. Research in practice. Applied methods for Cambridge: Cambridge University the social sciences. Cape Town, SA: Uni- Press. versity of Cape Town Press, p. 321-344. Pickel, S. (1998): German and Polish Walsh, K. / Fleming, S.S. / Enz, C.A. Students in Frankfurt (Oder). Their con- (2016): Give and you shall receive: tacts, communication, attitudes. Speech Investing in the careers of women pro- during the transformation colloquiums, fessionals. Career Development Interna- working paper from 30th June 1998, tional, 21(2), p. 117-143. Frankfurt (Oder), Germany. Womack, Y.L. (2013): Afrofuturism: The Pitts, J. (2019): Afropean: Documenting World of Black Sci-Fi and Fantasy Cul- Black Europe. London, UK: Penguin. ture. Chicago: Chicago Review Press. Sarr, F. (2016): ‘Afrotopia’ – Rethink- Woodley, X. M. / Lockard, M. (2016): ing Africa. An interview with Felwine Womanism and Snowball Sampling: Saar. International Politics. Africa and Engaging Marginalized Populations in the world, 6. Rosa Luxenburg Stif- Holistic Research. The Qualitative Re- tung. URL: http://www.rosalux.sn/ port, 21(2), p. 321-329. wp-content/uploads/2016/09/Final_ International-Politics_The-world-and- Yin, R. K. (2009): Case study research: Africa-06-1.pdf [accessed 14 January Design and methods (4th ed.). London; 2019]. UK: Sage. Sarr, F. (2018): Afrotopia. Lecture by Senegalese economist and writer Fel- wine Sarr. URL: https://www.ru.nl/rad- boudreflects/terugblik/terugblik-2018/ terugblik-2018/18-05-29-afrotopia-lec- ture-by-senegalese-economist/ [accessed 14 January 2019]. Sturm, D. (1990): Visualizing textbooks for German as a foreign language. Un- published dissertation of the University of Kassel. Kassel, Germany. Thrasher, S.W. (2015a): Afrofuturism: reimagining science and the future from a black perspective. The Guardian. 7. December 2015. URL: https://www. theguardian.com/culture/2015/dec/07/ afrofuturism-black-identity-future- science-technology [accessed 14 January 2019].

50 interculture journal 18/32 (2019) 51 52 interculture journal 18/32 (2019) Der lange Weg der Versöhnung – Aspekte des deutsch-namibischen Vergangenheitsdiskurses

A long Walk to Reconciliation – Aspects of the German- Namibian Discourse on the Past

Maja Störmer Abstract (Deutsch) M.A. Interkulturelle Perso- nalentwicklung und Kom- Namibia und Deutschland verbindet eine inzwischen weit über hundertjährige Bezie- munikationsmanagement, ist hung. Als ehemalige deutsche Kolonie sind in Namibia, wie in vielen anderen afri- wissenschaftliche Mitarbeiterin kanischen Ländern auch, heute noch die Folgen der Kolonialzeit spürbar. Bilder und und Doktorandin im Bereich Erinnerungen des Herero- und Nama-Aufstandes 1904 sind heute in der namibischen der Interkulturellen Wirt- schaftskommunikation an der Gesellschaft allgegenwärtig und prägen die Identitätsbildung maßgeblich. Seit einigen Friedrich-Schiller-Universität Jahren erlebt die Völkermords- und Kontinuitätsthese eine wissenschaftliche und gesell- in Jena. Die Autorin ist in Na- schaftliche Konjunktur in Deutschland und liefert auch dem namibischen Akteursfeld mibia (in erster Generation) Diskussionspotenzial. aufgewachsen und besucht ihre Familie regelmäßig in Wind- Ziel des Aufsatzes ist, Aspekte des Dialogs über die Vergangenheit kritisch zu beleuchten. hoek. Das Verständnis von Versöhnung unterscheidet sich teils massiv zwischen den beiden Ländern. Insbesondere die Position Namibias entsteht im Spannungsfeld zwischen neuer Identitätsbildung und etablierten politischen und gesellschaftlichen Strukturen. Hierfür werden der historische Kontext und aktuelle Entwicklungen der Beziehung der beiden Länder skizziert und verschiedene Aspekte des Versöhnungsprozesses beleuchtet.

Schlagwörter: deutsch-namibische Beziehung, Herero-Aufstand, Genozid, Versöhnung Abstract (English)

Namibia and Germany share a common past of nearly one century. As a former Ger- man colony, Namibia, like many other African countries, still struggles with the long- term effects of the colonial era. Images and memories of the Nama and Herero-Uprising from 1904 still play a major role for the Namibian identity and Namibian society. Recently, not only German re-search on the Namibian genocide has come more and more into focus and offers the Namibian people opportunities for further discussion.

This article aims to give a critical overview of different perspectives on this dialogue on the past. Furthermore, the concept of reconciliation differs immensely between Namibia and Germany. Especially Namibian positions are a result of multiple areas of conflict with regards to new forms of identities and established political and social structures. To elaborate on different aspects of the reconciliation process, the article deals with histori- cal and recent developments of the German-Namibian relationship.

Keywords: German-Namibian relationship, Herero War, Genocide, Reconciliation

53 1. Einleitung1 seit ihrem Beginn prägen“ und hier die Herausforderung stellen, dass historio- „The relationship of our country with Na- grafisches Wissen stets auch als relativ mibia rests on a long and varied, in the anzusehen ist. Historiografische Ausei- beginning certainly also painful, but nev- nandersetzungen mit dem kolonialen ertheless shared history, during the course Namibia sind in der Forschung eher of which a tightly-knit net of cultural, wenig vertreten, insbesondere auch aus economic, political and personal relations dem wissenschaftlichen Akteursfeld in has been forged“ (Zitat des deutschen Namibia (Silvester 2015:2)4. Botschafters Christian-Matthias Schlaga in Namibia) Entwicklungen im südlichen Afrika wa- ren historisch stark geprägt durch sich Seit einigen Jahren lässt sich beobach- ständig und gewaltreich verändernde ten, dass die deutsche Kolonialgeschich- Grenzen. Unter deutscher Verwaltung te Konjunktur hat (Walther 2010:46) erfolgte ein genozidaler Krieg gegen die und vermehrt auch im öffentlichen Herero und Nama mit Tausenden von Raum der deutschen Medienlandschaft Opfern unter der afrikanischen Bevöl- und Politik verhandelt wird (Krü- kerung und den sich daraus ergebenden ger 2003:124). Dieser Trend hängt Veränderungen der Machtverhältnisse. maßgeblich mit der Geschichte des Hierbei wurde jegliche Rücksicht fallen kolonialen Namibias und den Gewalt- gelassen, um eine direkte Herrschaft verbrechen zusammen, die sich in den „über die Afrikaner zu entwickeln5“ Jahren 1904 bis 1908 in dem damali- (Zimmerer 2002:2). gen Deutsch-Südwestafrika2 ereigneten (Bürger 2017:9). Als ehemalige deutsche Kolonie sind Die Konjunktur des Themas lässt sich in Namibia, wie in vielen anderen af- auch im namibischen Akteursfeld rikanischen Ländern auch, heute noch beobachten. Unlängst sorgte eine in die Folgen der Kolonialzeit spürbar: New York eingereichte Klage gegen die „Die Herrschaft von Europäern über Bundesrepublik auf Entschädigungszah- Afrikaner ist ein zentrales Thema in lungen für Nachfahren der Opfer kolo- der Geschichte der (…) Kolonialherr- nialer Gewaltverbrechen in Namibia im schaft“ (Zimmerer 2002:1). In der Jahr 2017 für öffentliche Diskussionen: Vergangenheit sorgten u.a. auch po- litische Affronts für neue Impulse im [T]he country stands out among the Diskurs über die deutsch-namibische former colonies by virtue of the fact that Vergangenheit (vgl. Habermalz 2018). some groups very energetically raise and Hierbei wird die scheinbar mangelnde voice their claims for appropriate recog- Selbstwahrnehmung Deutschlands als nition of past crimes as well as for legi- ehemalige Kolonialmacht von Namibia timate reparation for injustice. (Kössler kritisiert. 2015:262) Bilder und Erinnerungen des Nama- 3 Der Völkermord an den Herero und und Herero-Aufstandes 1904 sind Nama scheint zunächst ein Thema zu heute in der namibischen Gesellschaft sein, das sowohl akademisch als auch allgegenwärtig und prägen die nami- gesellschaftspolitisch erst seit rund ei- bische Identitätsbildung entscheidend ner Dekade in Deutschland diskutiert (vgl. Zimmerer 2016). An dieser Stelle wird und präsent ist (Bürger 2017:10). stellt sich auch die Frage der Konsti- Wesentliche Impulse zur Neuverortung tuierung der namibischen Nation im der deutschen Kolonialzeit stammen postkolonialen Kontext nach Erlangung auch aus akademischen Debatten in der Unabhängigkeit von Südafrika. den USA (Krüger 2003:124). Bürger (2017:11) geht davon aus, dass „Re- Die Verarbeitung einer gewaltreichen formulierungen und Umdeutungen, Vergangenheit – wie etwa aus dem ko- die die Historiografie der Ereignisse lonialen Kontext – wirft stets Fragen

54 interculture journal 18/32 (2019) der Aufarbeitung auf. kulturelles Leben zu reorganisieren. Auf den Tod zehntausender durch Verhungern Die Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Verdursten folgte die Gefangenschaft (…) für die Opfer und der Kampf gegen ganzer Stämme in so bezeichneten Kon- Straflosigkeit stehen dabei im Vordergrund zentrationslagern, deren Insassen der der Debatte. Dies verstellt zumindest Vernichtung teils durch Vernachlässigung, teilweise den Blick für wirkliche oder teils durch Arbeit ausgesetzt wurden (...). scheinbare Alternativen, wie das Vergessen (Kößler 2011:78) beziehungsweise Beschweigen von Gewalt- taten. (Kößler 2011:73) Die deutsche Beziehung zu Namibia Ziel des Aufsatzes ist, Aspekte des reicht bis in das Jahr 1806 zurück, als Diskurses über die Vergangenheit kri- die ersten deutschen Missionare im tisch zu beleuchten. Hierfür werden heutigen Namibia eintrafen (Kaulich der historische Kontext und aktuelle 2001). Der Grundstein für die ehemals Entwicklungen der Beziehung der deutsche Kolonie wurde von Franz beiden Länder skizziert und anschlie- A. E. Lüderitz 1883 an der heutigen ßend verschiedene Perspektiven auf (nach ihm benannten) Lüderitzbucht den Versöhnungsprozess entwickelt. gelegt (Brenke 1989:8). Nachdem das Perspektivenvielfalt spielt hier eine Konzept der lediglich an „Spekulations- wesentliche Rolle, wenn man die Lang- gewinnen interessierten Politik“ schei- zeitwirkungen von Kolonialismus und terte, übernahm das Deutsche Reich postkoloniale Bewegungen beurteilen 1893 die gesamte Verwaltung Deutsch- will, da verschiedene Deutungen und Südwestafrikas einhergehend mit der Wirkungen sowohl in Deutschland als militärischen Eroberung zur Siche- auch in Namibia existieren. rung territorialer Herrschaft (Walther 2010:49 f.). „Die Entmachtung und Das Verständnis von Versöhnung6 un- Enteignung der Bevölkerung Namibias terscheidet sich teils massiv zwischen hatte ihren Anfang unter der Kolonial- den beiden Ländern. Insbesondere die herrschaft des deutschen Kaiserreiches Position Namibias entsteht im Span- (…) genommen“ (Hunter 2009:235). nungsfeld zwischen neuer Identitätsbil- Major Theodor von Leutwein versuchte dung und etablierten politischen und durch friedliche Verhandlungen anfäng- gesellschaftlichen Strukturen. Der deut- lich, existierende Herrschaftsstrukturen schen Bundesregierung wird in diesem bzw. verschiedene Stammesführer in Zusammenhang oftmals vorgeworfen, den Machtappart zu integrieren. Die ein mangelndes Bewusstsein für ihre Herrschaftsansprüche des deutschen Rolle als ehemalige Kolonialmacht ent- Reiches wurden durch den Ausbau der wickelt zu haben. Besiedlungspolitik ausgeweitet und 2. Historischer Überblick führten zu Interessenkonflikten mit der über die deutsch-namibische einheimischen Bevölkerung (Brenke Beziehung 1989:8). Die soziale und politische Diskriminierung einheimischer Be- Heute ist die Faktenlage der histori- völkerungsgruppen führte schließlich schen Dimension der deutsch-namibi- 1904 zu einem Aufstand. Die Ablö- schen-Beziehung weitgehend unstrittig: sung Leutweins durch Generalleutnant Die Vernichtungsstrategie der Schutztrup- Lothar von Trotha führte zu einem pe im Verlauf der kolonialen Widerstands- Vernichtungsfeldzug gegen Herero und kriege gegen […][H]erero und Nama Nama und zum ersten Genozid des 20. 1903-1908 führte nicht allein zur zah- Jahrhunderts7 (Cooper 2007:113). lenmäßigen Dezimierung ihrer Gegner; Strukturelle, politische und sozioöko- durch Landenteignung, Deportation und nomische Bedingungen kolonialer Un- Umsiedlung [wurden] […] Herero und terdrückung existierten somit bereits, Nama auch zielstrebig jeglicher Vorausset- als die Union von Südafrika nach dem zung beraubt, ihr politisches, soziales und Ersten Weltkrieg als Mandatsträger

55 über das Territorium eingesetzt wurde 3. Aktuellere Entwicklungen (Hunter 2009:235). Unter südafrikani- scher Herrschaft wurde die sogenannte Vermehrte Forderungen nach Wieder- ‚Rassentrennung‘ systematisiert und gutmachungen für koloniale Verbre- institutionalisiert. Sie gipfelte in der chen haben ebenfalls seit den 1990er Implementierung der Apartheitspolitik Jahren eine Renaissance erfahren. Lange auch in Namibia als Provinz (Verwal- galt die westliche Entwicklungshilfe als tungseinheit) Südafrikas (vgl. Mafeje „uneingestandene Wiedergutmachungs- 1978). Die Generalversammlung der leistung“ (Krüger 2007:45). Finanziel- Vereinten Nationen beschloss erst 1966 len Forderungen Namibias wurde daher neben der generellen Verurteilung des lange mit Verweisen auf Entwicklungs- Apartheidsystems auch die Beendigung hilfeleistungen begegnet. des südafrikanischen Mandats über Jahrelang verweigerte die deutsche Namibia. Die Vereinten Nationen un- Bundesregierung die Anerkennung des 8 terstützten hierbei die SWAPO-Partei Genozids sowie eine Diskussion über in Namibia (Hunter 2009:231). Am potenzielle Entschädigungen und re- 21. März 1990 wurde im Windhoe- agierte nur zögerlich auf politische und ker Stadion unter großem Beifall die zivilgesellschaftliche Kritik. Auf eine südafrikanische Flagge eingeholt und offizielle Entschuldigung der deutschen die Flagge des unabhängigen Namibia Bundesregierung warteten Betroffene in gehisst: Namibia lange vergeblich: „Damit ist Independence in Namibia (…) occurred zugleich die Ebene der Amnesie9 ange- at a time of apparent universal triumph sprochen, die vor allem auf der anderen for the ideas of neo-liberalism and li- Seite der postkolonialen Beziehung, beral democracy. These ideas have been nämlich Deutschland, anzutreffen ist“ embraced in government documents and (Kößler 2011:79). official utterances in Namibia.(Bauer Erst im Gedenkjahr 2004 erfolgte eine 2001:53) offizielle Anerkennung der historischen Der Friedensprozess in Namibia wurde Schuld durch die damalige Entwick- von der internationalen Staatengemein- lungsministerin Heidemarie Wieczorek- schaft als Schlüssel zur Befreiung und Zeul (Krüger 2007:46). Ihre Rede demokratischen Transformation im erwies sich als folgenreich, da das bis südlichen Afrika betrachtet (Hunter dahin geltende amtliche Benennungs- 2009:235). verbot durchbrochen war. Allerdings handelte es sich auch hier nicht um eine Die Erlangung der Unabhängigkeit regierungsamtliche Aussage und die auf bedeute für die Republik Namibia nicht das Schuldeingeständnis folgende Ent- nur die Beendigung des Apartheidsys- schädigungsfrage blieb unbeantwortet tems, sondern auch einen generellen (Kößler 2011:82). Der darauf bezug- Impuls, sich mit der kolonialen Ver- nehmende öffentliche Diskurs einerseits gangenheit auseinanderzusetzen (Van sowie die fehlende Auseinandersetzung Rooyen 2000:9): mit dem Thema andererseits sind Namibian independence created fresh bezeichnend für den Umgang der be- opportunities for Namibians to address a troffenen Regierungen und zivilgesell- past that to some extent had been silenced, schaftlichen Akteure mit der kolonialen but certainly not overcome or forgotten. Vergangenheit. Ereignisse der Kolonial- (…). (…) [I]ndependence also brought zeit haben auch nach zwei Jahrzehnten new avenues of engaging Germany Unabhängigkeit eine Bedeutung für about the colonial past and the genocide. betroffene Gruppen in Namibia und (Kößler 2015:233) werden in öffentlichen Diskursen und Debatten in formeller und informeller Politik thematisiert (Kößler 2011:76).

56 interculture journal 18/32 (2019) Durch die zunehmende und offensiv of the Herero community inside Nami- vertretene Forderung von Vertretern bia. (Cooper 2007:115) der Herero und Nama nach einem Die Zurückhaltung der namibischen adäquaten Umgang Deutschlands mit Regierung wurde auch damit begrün- den Kolonialverbrechen erhielt auch die det, dass alle NamibianerInnen unter öffentliche Diskussion ein schärferes der Kolonialzeit gelitten hätten. Profil. Im Jahr 2001 etwa wurden die deutsche Bundesregierung als Rechts- Erst 2015 wurden die in Namibia nachfolgerin des Deutschen Reiches begangenen Verbrechen offiziell als und mehrere deutsche Firmen mit einer Völkermord11 von der Bundesregie- Klage von Vertretern der Herero und rung anerkannt (Bürger 2017:10). Der Nama konfrontiert (Cooper 2007:113), Straftatbestand Völkermord ermöglicht die eine Entschädigung für die im Ko- zumindest theoretisch Schadensersatz- lonialkrieg von 1904-1907 verübten und Wiedergutmachungsforderungen Verbrechen forderten: seitens der betroffenen Nachkommen in Namibia. Daran wird auch deut- The decision of a specially formed body, lich, welche politische und juristische (…), to go ahead with a court case (…), Relevanz der historiografischen Kate- can be understood as a consequence of gorisierung der Gewaltverbrechen als frustrating and discriminatory treatment, Genozid zukommt. most conspicuously that meted out by two of the highest representatives of the Ger- Moralische sowie erinnerungs- und iden- man state. (Kößler 2015:238) titätspolitische Konflikte, die wesentlich an die Kategorie des Genozids und die Die eingereichte Klage der Herero damit verbundenen Zuschreibungen 10 People’s Reparations Corporation auf geknüpft sind, schließen sich daran an. Reparationen in Höhe von insgesamt (Bürger 2017:10) vier Milliarden US-Dollar wurde aufgrund der Besonderheiten des US- Geführte Debatten und Konflikte Rechtssystems zunächst in Washington betreffen nicht nur die Definition erhoben, dort abgewiesen und 2003 des Geschehens als Völkermord und dann an ein Gericht in New York wei- schwere Menschenrechtsverletzungen. tergeleitet (Krüger 2007:45). Sie betreffen vielmehr auch die Art und Weise, wie damit umzugehen ist bzw. Die jüngste Klage in diesem Zusam- wie der Zustand der Versöhnung zu menhang wurde 2017 erneut in New erreichen ist (Kößler 2011:79). York eingereicht und im März 2019 Eine offizielle Entschuldigung abgewiesen (Stempel 2019). Aus ju- Deutschlands, die von Betroffenen in ristischer Perspektive haben derartige Namibia akzeptiert wurde, hat es bis Sammelklagen kaum Aussicht auf Er- heute nicht gegeben. folg, auch wenn nach den Statuten des Internationalen Strafgerichtshof (Art. 4. Perspektiven des Versöh- 5 Abs. 1) Verbrechen wie Völkermord, nungsprozesses Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nicht verjähren Die Überzeugung, dass ein ange- (Krüger 2007:46). messener Umgang mit vergangenen Verbrechen und schweren Menschen- Das Vorgehen von Vertretern der Here- rechtsverletzungen notwendig ist, hat ro und Nama reiht sich hierbei nicht in sich inzwischen nahezu global verfes- den üblichen juristischen Umgang mit tigt und ist zur Grundlage vielfältiger Anklagen wegen Genozids ein, da es Bewegungen, Wahrheitskommissionen von privater Seite ausgeht: und auch juristischer Klagen geworden (Krüger 2007:38). Laut Bley (2007:26) [T]he complaint issued is not by the Na- ist es hierbei nicht einfach, den Wir- mibian government but by a private cor- kungen des Kolonialismus ein ange- poration established by leading members

57 messenes Gewicht zu verleihen. kampf in eine Gleichstellung zwischen Eine der größten Herausforderungen in Regierungspartei und Staat übertragen diesem Zusammenhang ist, zu diskutie- (ebd.). Nach wie vor aber stellen die ren, „wie weit zurück in der Geschichte Kriege und der Völkermord des frühen Unrecht überhaupt geahndet werden 20. Jahrhunderts das historische Zent- kann und wer in der Gegenwart kon- ralereignis in Namibia dar. kret zur Verantwortung zu ziehen ist“ (Krüger 2007:43). Die Diskussion um 4.1.1. Reparationsklagen und die Einordnung und Benennung der Versöhnungsdiskurs Ereignisse im kolonialen Namibia fällt „Wir Deutschen bekennen uns zu unserer deshalb heute auch noch kontrovers historisch-politischen, moralisch-ethischen aus. In der gegenwärtigen geschichts- Verantwortung und zu der Schuld, die wissenschaftlichen Literatur lässt sich Deutsche damals auf sich geladen haben. jedoch ein weittestgehender Konsens Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen feststellen (Bürger 2017:45). Vaterunser um Vergebung unserer Schuld Klappert (2004:509) etwa appelliert an (…).“ (Auszug aus der Rede von Bun- ein gesamteuropäisches Gewissen; „in- desministerin Heidemarie Wieczorek- nerhalb Europas müssen wir Deutschen Zeul bei den Gedenkfeierlichkeiten als Verfassungspatrioten uns dringend der Aufstände am 14. August 2004 in auf die Suche nach (…) einer gesamt- Okakarara) europäischen Kultur des Gedenkens machen“. Die folgenreiche Rede der damaligen Ministerin für wirtschaftliche Zu- Im Folgenden sollen die Grundzü- sammenarbeit und Entwicklung H. ge der Perspektiven Namibias und Wieczorek-Zeul, die 2004 in Namibia Deutschlands im Vergangenheitsdiskurs gehalten wurde, stieß nicht nur auf po- skizziert werden. Hierbei kann kein litischer Ebene beider Länder auf Kri- Anspruch auf Vollständigkeit erhoben tik. Nach der öffentlichen Verlesung der werden. Dennoch lassen sich wesentli- Rede gab es vom Publikum Forderun- che Haltungen und Konfliktpotenziale gen nach einer tatsächlichen Entschul- identifizieren. digung: „Only when the Minister had 4.1. Namibia come back and had stated emphatically that she thought she had in fact given Das unabhängige Namibia hat in- an apology, did the audience seem to be zwischen eine über hundertjährige satisfied” (Kößler 2015:254). Der Vor- Geschichte der Entwürdigung und fall unterstreicht die teilweise gravieren- Entrechtung der Bevölkerungsmehrheit den Unterschiede im Umgang mit Er- zu verzeichnen (Hunter 2009:241 f.). innerungskultur und Sprachsensibilität. Auch der über zwanzig Jahre andauern- „[It] also speaks to the importance of de Befreiungskampf hat Spuren hin- ritual wording adequately dealing with terlassen. Heute befindet sich Namibia the past in this context”, wie Kößler in einem friedlichen Prozess demokra- unterstreicht (ebd.). tischer Konsolidierung und ehemalige Kriegsschauplätze erweisen sich als Für Vertreter der Herero und Nama bevölkerungsreiche Wahlhochburgen stellte die Rede zwar eine Art Schuld- der ehemaligen Befreiungsbewegung eingeständnis dar, blieb aber ohne (Hunter 2009:241). Die Monopol- materielle Anerkennung weitgehend stellung der Regierungspartei SWAPO gegenstandslos. in der Parteienlandschaft Namibias Shelving a more sternly worded speech ist auch als logische Konsequenz ihres or even suspending the law suit therefore (einstigen) Sonderstatus zu verstehen. was seen only in the sense of giving the In der unabhängigen Republik Namibia German counterparts a chance to come wird diese Übereinstimmung zwischen forward with meaningful action, which Befreiungsorganisation und Befreiungs- was seen as a prerequisite and possibly

58 interculture journal 18/32 (2019) impending. (Kößler 2015:256) Ebene eine Stimme zu erheben“ (Krü- ger 2007:47). Neuere Entwicklungen Es folgte (erneut) die offizielle Ver- stellen diese Vermutung allerdings in klagung Deutschlands auf Reparati- Frage (vgl. The Economist 2019:9). onszahlungen, die hierbei auch eine innenpolitische Funktion erfüllen 4.1.2. Zur Konstruktion ei- sollten. Im Kontext der nationalen Ge- ner gesamtgeschichtlichen schichtsschreibung Namibias fordern Identität insbesondere die Herero einen besonde- In Namibia ist die Vergangenheit im ren Platz und wehren sich dagegen, dass Wesentlichen von zwei gegensätzlichen „die Geschichte ihrer Unterwerfung Polen bestimmt: auf der einen Seite und Ausbeutung als Gruppe in einer steht das mit der Politik der nationa- Nationalgeschichte aufgeht, deren Hö- len Versöhnung verknüpfte Leitmotiv hepunkt die von allen Namibierinnen des Vergebens und Vergessens und auf und Namibiern erfochtene Unabhän- der anderen Seite die kontinuierliche gigkeit ist“ (Kürger 2007:47). Anwälte Pflege des militärischen Images des der Herero und Nama argumentierten Befreiungskampfes (Hunter 2009:239). in ihrer Klage u.a. damit, dass es zahl- Die Gewaltverbrechen der Kolonial- reiche, aus ihrer Sicht erfolgreiche, zeit waren insbesondere für Süd- und Beispiele für Wiedergutmachung gäbe. Zentralnamibia eine historische Wei- Genannt wurden hierbei insbesondere chenstellung, die auch heute noch das Opfer des Nationalsozialismus und die Geschichtsbild und die Identifikations- Schlussfolgerung, dass individuelle Re- muster der dort lebenden Menschen parationszahlungen auch den Opfern nachdrücklich bestimmt. Viele sehen des Kolonialismus zuständen (Krüger sich im heutigen Namibia gegenüber 2007:46). Bemerkenswert hierbei ist, den Oshiwambosprachigen12 aus den dass die Klagebegründung den He- Nordregionen in einer Minderheitsposi- rero- und Nama-Krieg nicht in eine tion (Kößler 2011:78). Reihe mit anderen Kolonialkriegen stellt, sondern mit der Vernichtung der Das regionale Erinnerungsrepertoire europäischen Juden gleichsetzt (ebd.). unterscheidet sich somit laut Kössler Ähnliche Verbindungen wurden auch (2007) deutlich von der im Norden im Zusammenhang mit der Aufarbei- Namibias vorherrschenden Präsenz tung des Apartheidregimes verwendet des Befreiungskrieges der 1970er und (vgl. Gilbert 2010). 1980er Jahre, was Auswirkungen auf die Konstruktion eines kohärenten na- Laut Klappert (2004:509) gehöre zur tionalen Geschichtsbildes hat: „In ex- Versöhnung hier auch Wahrheitsfin- colonies, the difficulties of nationalism dung. Klagen auf materielle Entschä- are exacerbated“ (Brown 2001:760). digungen würden in diesem Sinne die Kößler (2011:79) sieht hierin die Arti- Wahrheit unterstreichen und Opfer in kulation innernamibischer Gegensätze ihrer Konstruktion der Vergangenheit gegeben. Politische Prozesse zeigen bestätigen. eine Verbindung zwischen einer spezi- Krüger vermutet zudem, dass der Kon- fischen Version internationaler Politik tinent Afrika kein geostrategisches und der Versöhnung und einer an diese wirtschaftliches Gewicht mehr besitzt anschließenden Legitimationsstrategie und als stellvertretender Kriegsschau- mit der Erinnerung an den Schrecken platz im Ost-West-Konflikt ausgedient des Krieges; letzteres vor allem im Nor- hat. „Auch das Entwicklungsverspre- den des Landes während der 1970er chen ist gescheitert. Die ‚Sprache der und 1980er Jahre. In entscheidenden Moral‘, die in den Wiedergutma- Situationen wird dies regelmäßig insbe- chungsforderungen an die ehemaligen sondere durch den ersten Präsidenten13 Kolonialmächte [erklingt], ist vielleicht des Landes beschworen. Die SWAPO- ein letzter Versuch, auf weltpolitischer Partei stellt sich hierbei immer wieder

59 als alleiniger Garant für Frieden dar. gob, der sich als Damara identifiziert, „Die Infragestellung ihrer Position waren alle Präsidenten Namibias os- als übermächtige Regierungspartei hivambostämmig. Die Repräsentation erscheint gelichbedeutend mit der Ge- einer anderen Sprachgruppe im Amt fahr, die Gespenster der Vergangenheit des Präsidenten der SWAPO-Partei wieder heraufzubeschwören.“ (Kößler ist somit ein Novum in Namibia (vgl. 2011:92) Mbenzi 2015) und stieß in der Bevöl- kerung auf gemischte Reaktionen. So Somit lässt sich festhalten, dass die di- sehen einige Hereros beispielsweise in rekten Auswirkungen der Kolonialzeit den Verbrechen der Kolonialzeit auch sich in Namibia auch regional zum die Ursache für ihre zahlenmäßige Un- Teil massiv unterscheiden und nicht terlegenheit und damit einhergehend alle Sprachgruppen gleichermaßen ihren geringen politischen Einfluss im stark davon betroffen waren. Gerade in heutigen Namibia. Vor diesem Hinter- nördlichen Regionen Namibias ist die grund kann somit angenommen wer- Erinnerung an den Befreiungskampf den, dass sich in Namibia das Problem zur Unabhängigkeit von Südafrika und der gesellschaftlichen Kohäsion und zur Beendung der Apartheid sehr prä- damit auch der nationalen Identität sent und tief im kollektiven Gedächtnis stellt (Kößler 2011:93). verankert (vgl. Likuwa 2015). Diese Entwicklungen erschweren die Kons- Die Auseinandersetzung mit der Ko- truktion einer gesamtgeschichtlichen lonialzeit in Namibia erfuhr 2006 eine Identität Namibias und eine kohärente deutliche Dynamisierung, nicht zuletzt Positionierung im Vergangenheitsdialog aufgrund der folgenreichen Rede Wie- mit Deutschland. „[T]he political pres- czorek-Zeuls. Im Oktober 2006 ver- sure for securing reparations from the abschiedete die Nationalversammlung Germans for the Herero genocide is not Namibias eine von Paramount Chief strong; in fact, not even the Namibian Riruako eingebrachte Resolution, in der government [fully] supports the claim“ die Regierung aufgefordert wurde, in (Cooper 2007:123). der Reparationsfrage aktiv zu werden. Zur Koordination von Interessen wurde 4.1.3. Soziale Strukturen in erstmals eine inter-ethnische Koalition Namibia bestehend aus Vertretern der Herero, Nama, Damara, San und Rehobother Nicht nur regionale historische Ereig- geschaffen. Allerdings erschwert eine nisse erschweren eine gesamtgeschicht- immer noch bestehende Fraktionierung liche Identität in Namibia. Eine klare die Zusammenarbeit (Kößler 2011:82). Unterscheidung von Opfern und Tä- tern der Kolonialzeit ist nach wie vor Durch die Einreichung von Kla- schwierig. Die Taten der Kolonialmäch- gen gegen Deutschland geht Kößler te reichen von Vernichtungskriegen bis (2015:241) von mehreren bedeutenden hin zu subtilen Herrschaftsstrategien, Effekten aus. Einerseits wird dem Fall bei denen bestimmte Gruppen auf Kos- durch die Höhe der Klagesumme eine ten von anderen bevorzugt worden sind starke Gewichtung beigemessen, die (Krüger 2007:47). potenziell als Präzedenzfall gewertet Bis heute ist Namibia stark von katego- werden könnte. Hierbei geht es nicht risierendem Gruppendenken bzw. Tri- nur um Reparationszahlungen im balismus14 geprägt (vgl. Katuuo 2017). postkolonialen Kontext, sondern auch So ist die bevölkerungsreichste Sprach- um mögliche Reparationen gegenüber gruppe der Oshivambos (Ovambos) in ostmitteleuropäischen und südosteuro- Namibia auch traditionell verhältnismä- päischen Ländern. Andererseits lösten ßig stark in der politischen Landschaft Ansprüche von Opfergruppen, wie den repräsentiert. Bis zur Wahl des heute Herero, eine gewisse Wettbewerbssitu- amtierenden Präsidenten Hage Gein- ation unter anderen ethnischen Opfer-

60 interculture journal 18/32 (2019) gruppen aus: „There was no mention or der deutschen Kolonialzeit mehr gibt even notion that suffering and damages und Nachfahren Entschädigungsan- went beyond this ethnic group. (…) sprüche erheben. Juristisch gesehen [T]his exclusivism (…) set into motion stellen sich hier Fragen der belegbaren a process of victim competition” (ebd.). Nachvollziehbarkeit von Verwandt- schaft und Betroffenheit. Dieser Wettbewerb unter Opfergrup- pen15 der Kolonialzeit führt auch Krüger (2007:46) betont, dass Ge- dazu, dass Entwicklungshilfeleistungen schichte nicht einfach vorbeigeht. Der Deutschlands nicht als Wiedergutma- größte Teil insbesondere der Herero- chung angesehen werden können, da sie Bevölkerung ist dem Krieg und der der gesamten Bevölkerung Namibias zu Nachkriegspolitik zum Opfer gefallen. Gute kommen (sollen) und ein Groß- Das Argument der längst vergangenen teil der Bevölkerung sich nicht primär, Geschichte ignoriere auch das lebendi- wie insbesondere die Hereros, als Opfer ge Gedächtnis Namibias, da seit 1923 der Kolonialzeit identifiziert und dar- jedes Jahr Gedenkfeiern stattfinden, bei stellt. Dennoch waren alle ethnischen denen der Geschichte, der Ahnen und Gruppen Namibias in unterschiedli- des Krieges gedacht wird (ebd.). chem Ausmaß von der Kolonialzeit Zudem resultiert die traditionell star- betroffen. ke Kohäsion und Solidarität in einer All other ethnic groups in Namibia also namibischen Gemeinschaft (Familie experienced some form of genocide as well oder auch Sprachgruppe) nicht selten during the colonial era. Even though most darin, dass bspw. Arbeitnehmer ihr historians argue that German officials Gehalt mit der gesamten Familie oder exempted the Ovambo, Namibia’s largest Gemeinschaft teilen (müssen). Dieses ethnic group, from their colonial adminis- Phänomen wird insbesondere in Süd- tration, wie Cooper (2007:119) betont. afrika als Black Tax bezeichnet (vgl. Keletso 1993). Umgekehrt ist die Ent- Forderungen nach direkten bzw. in- stehung der Forderung nach materieller dividuellen Reparationszahlungen an Entschädigung vergangener Verluste Nachfahren der Herero und Nama durch verstorbene Familien- oder Ge- resultieren somit nicht nur aus positiv meinschaftsmitglieder nur logisch (vgl. bewerteten Beispielen, wie der Entschä- Signer 2014) und Teil einer eher ver- digung von Holocaust-Überlebenden, gangenheitsbezogenen Perspektive. sondern sind auch als Produkt und logische Konsequenz des Tribalismus 4.1.4. Politische Beziehungs- in Namibia zu verstehen. Dennoch strukturen lassen sich auch gesamtgesellschaftliche Eine weitere Perspektive ergibt sich Entwicklungen in Namibia feststellen, aus der Beleuchtung anderer historisch wie etwa der öffentliche Diskurs zum geprägter politischer Beziehungen Na- Umgang mit Relikten der Kolonialzeit mibias. Die politischen Beziehungen zeigt16. Namibias sind auch heute noch stark [B]ei der Rekonstruktion der Vergangen- von ihrer Vergangenheit geprägt und heit des kolonialen Namibias zeigt sich konstituiert. Ein gutes Beispiel hierfür besonders deutlich, dass Geschichtsschrei- bildet die Beziehung zu China: bung und das von ihr produzierte Wissen Internationally, the bipolarity of the Cold keine Tätigkeit ist, die sich lediglich auf War accorded an additional attraction to die Vergangenheit bezieht. Vielmehr wird China, as that country offered an alterna- sie durch gegenwärtige Fragestellungen tive development model for Africa to that provoziert, zu deren Klärung sie zugleich of the West. By the late 1980s, the focus beiträgt. (Bürger 2017:10) shifted more strongly to economic coopera- Deutlich wird dies auch durch die Tat- tion in areas of common concern – with sache, dass es heute keine Überlebenden China emerging as an active economic

61 and development partner, as well as a bleiben und zu ihrer Identitätskonst- political ally on major international is- ruktion beitragen werden. Es geht dem- sues such as trade, finance, development nach weniger darum, die Vergangenheit assistance, and the reform of the United als bewältigt anzusehen. Fraglich ist, Nations (UN). (Du Pisani 2012:112) ob der Zustand der Versöhnung mit Deutschland als Rechtsnachfolgerin Namibias Unabhängigkeitsbestrebun- des Deutschen Reichs aus namibischer gen von Südafrika wurden finanziell Perspektive überhaupt erreicht werden und militärisch in großem Umfang von kann. China unterstützt und verhalfen der 17 SWAPO-Partei dazu als einzige Partei 4.2. Deutschland wahrgenommen zu werden, die das Im Zuge der globalisierten Erinne- namibische Volk authentisch zu reprä- rungskultur gehört die Apartheid zu sentieren schien (ebd.), was sich auch den großen moralischen Katastrophen heute noch in den Wahlergebnissen des 20. Jahrhunderts. Die kritische niederschlägt. Die Beziehung ist stark Auseinandersetzung mit der südafri- von vergangenheitsbezogener Solidari- kanischen Apartheid erzielte globale tät geprägt, wenngleich aktuelle Ent- Reichweite und löste eine der größten wicklungen der Beziehung z.B. durch transnationalen Solidaritätsbewegun- mutmaßliche Ressourcenausnutzung gen des 20. Jahrhunderts aus (Siegfried und Spionage durch die Volksrepublik 2016:1). „Der Kolonialismus ist dabei (vgl. Odada/ Kakujaha-Matundu 2008) aber eher ein Stiefkind der Diskussi- auch kritisch anzusehen sind. „Not sur- on geblieben“ (Krüger 2003:133). In prisingly, China’s pre-eminent focus on Deutschland stand einer Reihe meist commercial relations and economic de- zivilgesellschaftlicher Gedenkaktivitäten velopment in Africa has been met with auch eine gewisse Verweigerungshal- some concern by other states, notably tung der offiziellen Politik gegenüber, the US and the European Union (EU)” die Taten in Namibia als Völkermord (Du Pisani 2012:114). anzuerkennen (Kößler 2011:81). Zu- Ein weiteres Beispiel stellt Namibias dem besteht aus deutscher Perspektive Beziehung zu Nordkorea dar. Die his- nach wie vor eine kritische Haltung ge- torische Loyalität der beiden Länder genüber einer Bevorzugung spezifischer wurde auch durch die nordkoreanische ethnischer Gruppen. Unterstützung des Befreiungskampfes Krüger (2003:121) sieht den Umgang der SWAPO geprägt und schlägt sich mit der Kolonialzeit in der Bundes- heute (neben Enthaltungen seitens republik Deutschland zwischen zwei Namibias zu UN-Abstimmungen nord- wesentlichen Polen. Einer Praxis des koreanischer Menschenrechtsverletzun- Vergessens bzw. einer Nichtbeachtung gen), auch in der Vergabe großer und angesichts ‚großer‘ und wichtigerer bedeutender Bauprojekte an nordko- Themen stünde eine fast unauffällige, reanische Firmen nieder. Insbesondere gleichwohl sehr lebendige Traditions- im Bereich der Vergangenheitspolitik pflege gegenüber. Zugleich erfahren engagierte sich Nordkorea, als Dank für Thematisierungen des Kolonialismus die wirtschaftliche Zusammenarbeit, und der Kolonialkriege auch immer nicht zuletzt durch die Finanzierung wieder eine gewisse publizistische, po- und Konzeption des Independence Mu- litische und akademische Aufmerksam- seums in Windhoek für eine bestimmte keit. Darstellung der Kolonialzeit und Apart- heid (vgl. Weylandt 2016). 4.2.1. Deutsche Amnesie im Umgang mit der Kolonialzeit Eine daraus resultierende Frage könnte in Namibia? demnach sein, ob historische Dimen- sionen politischer Beziehungen nicht Insbesondere das letzte Jahrzehnt des auch immer ein Teil der Reziprozität 20. Jahrhunderts war durch eine Viel-

62 interculture journal 18/32 (2019) zahl von Versuchen und Forderungen die nicht sehr glücklich war. Für Deutsch- gekennzeichnet, historisch-politischem land war diese Periode mit dem Ende des Unrecht mit historischen Erkennt- ersten Weltkrieges abgeschlossen. (Krüger nismöglichkeiten und rechtlichen 2003:124) Sanktionsmitteln zu begegnen. Viele Forderungen gegen die Bundesregie- Friedensverträge und Neuanfänge nach rung im Jahr 2001 wurden als pub- dem Zweiten Weltkrieg beruhten bis lizistisches Druckmittel und eher als dahin auf dem ausdrücklichen Willen politische, denn rechtliche Angelegen- zu Vergessen (Krüger 2007:38). In der heit angesehen. Vertreter der Herero Bundesrepublik konnte die Kolonial- und Nama erhoben die Klage auch geschichte Namibias seit den 1960er in den USA, um eine für koloniales Jahren ebenfalls in Kontinuität zum Unrecht sensibilisierte Öffentlichkeit Nationalsozialismus verortet und pfad- zu erreichen, die in Deutschland ihrer abhängig erzählt werden. Wesentliche Meinung nach nicht vorzufinden war. Impulse zur Überdenkung gingen von Deutschland wird hierbei immer wieder der kritischen Sozialgeschichte aus, die vorgeworfen, ein fehlendes Bewusstsein mit der These des deutschen Sonder- für seine Rolle als ehemalige Koloni- wegs ein „wichtiges Metanarrativ schuf, almacht zu haben und für den Stel- das auch für die Geschichte des kolo- lenwert der kolonialen Vergangenheit nialen Namibias als Rahmenerzählung in Namibia kaum sensibilisiert zu sein fungiert“ (Bürger 2017:273). (Krüger 2003:136). Die deutsche Bunderegierung war da- Das historische Gedächtnis (Deutsch- mals laut Krüger (2007:46) regelrecht lands) verändert sich stetig und führt „verblüfft“ über die Klage der Herero laut Krüger (2003:121) u.a. dazu, dass und Nama, hatte sich Deutschland die Kolonialkriege immer wieder er- doch aufgrund des ‚frühen‘ Verlus- neut in Vergessenheit geraten: „Wellen tes der Kolonien nach dem ersten der Erinnerung und des Vergessens, oder Weltkrieg lange Zeit kaum mehr als sogar der Verdrängung, wechseln sich mit- ehemalige Kolonialmacht begriffen. einander ab. So sind die Kolonialkriege Zudem war Namibia nach der Unab- zwar nicht in nationale deutsche Grün- hängigkeit 1990 ein Schwerpunktland dungsmythen eingegangen, wohl aber in für die deutsche Entwicklungshilfe, Erinnerung geblieben und als Teil kon- und der Kolonialkrieg erschien als kurrierender Gedächtnisbilder durchaus abgeschlossenes Kapitel der Vergangen- präsent“ (ebd.). heit. Die deutsche Kolonialgeschichte Krüger (2003:120) vermutet, dass vor war vor diesem Hintergrund ein eher dem Hintergrund der beiden Welt- randständiges Thema. Offen bleibt, ob kriege die Kolonialkriege als periphere sich tatsächlich von einer umfassenden und vergleichsweise unwichtige Kriege Verdrängung der Kolonialvergangen- betitelt und als abgeschlossen in der heit in den Nachkriegsjahrzehnten Vergangenheit verortet wurden. sprechen lässt (Bürger 2017:48). Bürger (2017:49) begründet diese 4.2.2. Entwicklungshilfe These u.a. damit, dass die Ergebnisse als symbolische Wiedergut- der Forschungsbemühungen bis zum machung Ende der 1960er Jahre öffentlich kaum sichtbar wurden. Die Frage nach Entschuldigung und Entschädigung im Hinblick auf Na- Der damalige Bundespräsident Roman mibia ordnet sich in die Verlaufslinie Herzog bekräftigte in einer Rede, die (west-)deutscher Vergangenheitspolitik er 1998 anlässlich seines Staatsbesuchs ein. Laut Kößler (2011:84) bewegte in Namibia hielt, diese Perspektive mit sich diese nämlich stets in einem inter- folgenden Worten: Wir haben auch eine nationalen Kontext, da es überwiegend kurze Periode gemeinsamer Geschichte, um Verbrechen außerhalb der deut-

63 schen Landesgrenzen ging und Opfer gen die namibische Identitätsbildung mehrheitlich nicht deutsche Staatsan- maßgeblich. Reparationsforderungen gehörige waren. Die Frage der Versöh- an die deutsche Bundesregierung blei- nung stelle sich hierbei anders als etwa ben bislang erfolglos, und noch heute nach einem Bürgerkrieg. kann von einem abgeschlossenen Ver- Deutschland ist heute einer der größten söhnungsprozess der beiden Länder Geldgeber Namibias und gibt jährlich nicht die Rede sein. Fraglich ist auch, auch die meisten Entwicklungsaus- ob man in diesen Rahmen überhaupt gaben für Namibia aus (BMZ 2018). von einem Versöhnungsprozess spre- Hieraus resultieren auch asymmetrische chen kann, da die Aufarbeitung der Machtverhältnisse. gemeinsamen Geschichte maßgeblich The idea of a reconciliation process initi- von großen Perspektivenunterschieden ated by the German side was floated, in geprägt ist. bits and pieces one could say. The ways Die Rezeption der Kolonialepoche und which this happened were largely defined ihrer Kriege stößt in der Öffentlichkeit by conjunctures arising from German auf Resonanz und hat in den letzten politics. (Kößler 2015:261) Jahrzehnten auch wissenschaftlich eine Anzunehmen ist auch, dass einer der Konjunktur erfahren. Hauptgründe der Bundesregierung Eine einheitliche gesamtgeschichtliche individuelle Entschädigungszahlungen Identität in Namibia wird auch durch an Nachfahren der Opfer von Koloni- soziale Strukturen wie Tribalismus er- alverbrechen in Namibia zu verweigern, schwert. Die Ablehnung individueller die Auslösung eines Präzedenzfalls wäre, Reparationszahlungen an Nachfahren der weitere Aufarbeitungsfälle nach sich der Opfer kolonialer Verbrechen wur- ziehen könnte. Entwicklungshilfe ist de von der Bundesregierung u.a. mit hierbei eine wahrscheinlich günstigere den Argumenten der Bekämpfung von und zugleich auch zukunftsgerichtetere Tribalismus im Land und dem Verweis Lösung. auf Entwicklungshilfe begründet. Die Die Reduktion von Wiedergutma- Vermeidung eines Präzedenzfalls ist chungsforderungen seitens Namibias hierbei allerdings immanent. auf die Frage von Geld und juristi- Krüger (2003:137) appelliert hier an scher Durchsetzbarkeit verfehlt daher die Durchbrechung der Fixierung einen entscheidenden Punkt (Krüger auf die Nationalgeschichte durch 2007:46), da es in erster Linie nicht um die Besinnung auf die koloniale Ver- die Einklagung finanzieller Leistungen gangenheit und somit auch auf eine geht, sondern vielmehr um eine offi- gemeinsame europäische Geschichte. zielle Anerkennung von Schuld und Dies wäre auch ein erster Schritt auf Unrecht. Entwicklungszusammenarbeit dem Weg zur gemeinsamen deutsch- wird hierbei von Nachfahren betroffe- namibischen Geschichte „jenseits von ner Herero und Nama nicht als Versöh- Farmhaus und Kulturmission, jen- nungsgeste verstanden. seits von Bibel und Gewehr“ (Krüger 5. Fazit und Ausblick 2003:137). Laut Hunter (2009:243) Namibia und Deutschland verbindet sollten zudem Bedingungen für Na- eine inzwischen weit über hundertjähri- mibia geschaffen werden, welche dem ge Beziehung zueinander. Als ehemalige Recht der Opfer auf Wahrheitsfindung deutsche Kolonie sind in Namibia, wie und Rechenschaftspflicht der Verant- in vielen anderen afrikanischen Ländern wortlichen gerecht werden können, auch, heute noch die Folgen und Ver- aber auch gleichzeitig der Befreiungs- brechen der Kolonialzeit spürbar. Bilder bewegung keine Macht für ihre histo- und Erinnerungen des Aufstandes von rische Leistung absprechen würden. 1904 sind heute in der namibischen Fraglich ist auch, ob politische Bezie- Gesellschaft allgegenwärtig und prä- hungen ohne eine historische Dimen- sion in diesem Zusammenhang

64 interculture journal 18/32 (2019) bestehen können und eine Versöhnung Wegbegleitung könnte zukünftige Af- überhaupt ein erreichbarer Zustand ist. fronts in der Beziehung vermeiden. In Deutschlands Bestrebungen der Wie- Namibia wäre eine konsistente Identi- dergutmachung in Form hoher Ent- tätsbildung im Umgang mit der Kolo- wicklungshilfeausgaben für Namibia, nialzeit ein wichtiger Schritt – auch um können von Nachfahren der Opfer der Problemen innerhalb der namibischen Kolonialverbrechen nicht als Versöh- Gesellschaft zu begegnen. nungsgeste angesehen werden, da sie nicht ihnen speziell, sondern der ge- 6. Literatur samten Bevölkerung zu Gute kommen Bauer, G. (2001): Namibia in the First sollen. Deutschlands Verhalten gegen- Decade of Independence: How Demo- über Namibia im Vergangenheitsdiskurs cratic? Journal of Southern African Stu- ist auch durch eine mangelnde Identi- dies 27 (1), S. 33-55. fikation als ehemalige Kolonialmacht geprägt. Bley, H. (2007): Afrika im welt- und Offenkundig wird, dass eine gemeinsa- zeitgeschichtlichen Kontext der Gegen- me Bewältigung der Geschichte bislang wart. In: Bearth, T./ Becker, B./ Kappel, noch fehlt und Perspektivenunterschie- R./ Krüger, G./ Pfister, R. (Hrsg.):Af - de in der Vergangenheit für Konfliktpo- rika im Wandel. Zürich: vdf Hochsch.- tenzial gesorgt haben und wahrschein- Verl. an der ETH (Reihe Zürcher lich auch in Zukunft dafür sorgen Hochschulforum, 40), S.15-28. werden. Krüger spricht hier von einer Bloomfield, D. (2006):On good terms. Einreihung in den weit verbreiteten Clarifying reconciliation. Berlin: Berg- „Afro-Pessimismus“, der immer wieder hof Research Center for Constructive Fragen nach „Erfolgsstorys“ aufwirft Conflict Management (Berghof-Report, (Krüger 2007:40). 14).

Nicht nur in Namibia zeichnen sich BMZ (2018): Namibia -Partnerland gesellschaftliche Entwicklungen und mit historischer Beziehung. URL: neue Thematisierungen zum Umgang http://www.bmz.de/de/laender_re- mit kolonialer Vergangenheit ab (vgl. gionen/subsahara/namibia/index. Sarr 2019, Mbembe 2016). So ist die jsp#section-29652054 [Zugriff am Rekontextualisierung von Relikten 25.05.2019]. der Kolonialzeit Gegenstand öffent- Brenke, G. (1989): Die Bundesrepublik licher Diskurse und lässt auf eine Deutschland und der Namibia-Konflikt. namibische Lösung hoffen. Politische München: Oldenburg Verlag. Verantwortungsübernahme einerseits Brown, D. (2001): National Belonging und auch Maßnahmen gegen Tribalis- and Cultural Difference: South Africa mus (vgl. Katuuo 2017) andererseits and the Global Imaginary. Journal of sollten ergriffen werden, um zu einer Southern African Studies 27 (4), S. 757- gemeinsamen Vergangenheitsbewälti- 769. gung zu gelangen. Auch eine verstärkte Aufklärung über historische Kontexte Bürger, C. (2017): Deutsche sollte gerade in namibischen Schulen Kolonialgeschichte(n). Der Genozid in angestrebt werden (vgl. Likando 2015, Namibia und die Geschichtsschreibung Katjavivi 2018) und könnte zu einer ge- der DDR und BRD. Bielefeld: Transcipt samtgeschichtlichen Identität im Land Verlag. verhelfen. Cooper, A.,D. (2007): Reparations for the Herero Genocide: Defining the Wünschenswert wäre eine gemeinsame Limits of International Litigation. Afri- Zielorientierung im Versöhnungspro- can Affairs 106 (422), S. 113-126. zess beider Länder. Eine glaubwürdige Verpflichtung Deutschlands gegenüber Du Pisani, A. (2012): Namibia and Namibia zur kritisch-solidarischen China: Profile and appraisal of a relation-

65 ship . Windhoek: University of Namibia. Kössler, R. (2007): Facing a Fragmental Gilbert, S. (2010): Jews and the Racial Past. Memory, Culture and Politics in State: Legacies of the Holocaust in Namibia. Journal of Southern African Apartheid South Africa, 1945–60. Je- Studies 33 (2), S. 362-382. wish Social Studies 16 (3), S. 32-64. Kößler, R. (2011): Zweierlei Amnesie Habermalz, C. (2018): Geraubte und die komplexe postkoloniale Lage Gebeine aus Namibia – Ärger im Namibias. Die Friedens-Warte. Journal , Vorfeld der Rückgabe-Zeremonie of International Peace and Organization Deutschlandfunk. URL: https://www. 86 (1/2), S. 73-99. deutschlandfunk.de/geraubte-gebeine- aus-namibia-aerger-im-vorfeld-der.862. Kößler, R. (2015): Namibia and Ger- de.html?dram:article_id=426332 [Zu- many: negotiating the past. Münster: griff am 25.05.19]. Westfälisches Dampfboot. Hunter, J. (2009): „Wenn zu viel Wahr- Kößler, R. (2015): Solidarity with Lib- heit entzweit, wie viel Wahrheit ist wohl eration in Namibia: An Analytical Eye- genug?“ Umgang mit der jüngsten Ver- witness Account from a West German gangenheit in Namibia. In: Schmidt, Perspective. In: Silvester, J. (Hrsg.): S./ Pickel, G./ Pickel, S. (Hrsg.): Am- Re-Viewing Resistance in Namibian His- nesie, Amnestie oder Aufarbeitung? Zum tory. Windhoek: University of Namibia Umgang mit autoritären Vergangenheiten Press, S.252-265. und Menschenrechtsverletzungen. 1. Aufl. Krüger, G. (2003): Vergessene Krie- Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen- ge- Warum gingen die deutschen Ko- schaften, S.229-243. lonialkriege nicht in das historische Katjavivi, J. (2018): Books, Words and Gedächtnis der Deutschen ein? In: Truth in Namibia: The Contribution of Buschmann, N./ Langewiesche, D. New Namibia Books (1990-2005). In: (Hrsg.): Der Krieg in den Gründungs- Krishnamurthy, S./ Vale, H. (Hrsg.): mythen europäischer Nationen und der Writing Namibia. Literature in Transi- USA. Kolloquium. Frankfurt am Main: tion. Windhoek: Unam Press. Univer- Campus-Verlag, S. 120-137. sity of Namibia, S. 347-368. Krüger, G. (2007): Vergangenheitsbe- Katuuo, M: (2017): The Practice of Trib- wältigung? Zum Umgang mit Koloni- alism is the Evil. The Namibian. URL: alismus, Sklaverei und Apartheid. In: https://www.namibian.com.na/161146/ Bearth, T./ Becker, B./ Kappel, R./ Krü- archive-read/The-Practice-of-Tribalism- ger, G./ Pfister, R. (Hrsg.):Afrika im is-the-Evil [Zugriff am 25.05.19]. Wandel. Zürich: vdf Hochsch.-Verlag an der ETH (Reihe Zürcher Hoch- Kaulich, U. (2001): Die Geschichte der schulforum, 40), S. 37-48. ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestaf- rika (1884 - 1914). Eine Gesamtdarstel- Likando, G. (2015): Heritage Educa- lung. Zugl.: Mainz, Univ., Diss., 2000. tion in the School Curriculum: A Criti- Frankfurt am Main: Lang. cal Reflection. In: Silvester, J. (Hrsg.): Re-Viewing Resistance in Namibian His- Keletso, E., A. (1993): The Moon is tory. Windhoek: University of Namibia Dead! Give Us Our Money!: The Cultural Press, S. 298-306. Origins of an African Work Ethic, Natal, South Africa; 1843-1900 (Social His- Likuwa, K., M. (2015): Colonialism tory of Africa). North America: Heine- and the Development of the Contract mann. Labour System in Kavango. In: Silves- ter, J. (Hrsg.): Re-Viewing Resistance in Klappert, B. (2004): Was wir den Men- Namibian History. Windhoek: Univer- schen in Deutschland und Namibia sity of Namibia Press, S. 105-126. schuldig sind. Ökumenische Rundschau: eine Vierteljahreszeitschrift 53, S. 505- Mafeje, A. (1978): Soweto and its Af- 513. termath. Review of Political Economy

66 interculture journal 18/32 (2019) (11), S. 17-30. Hexerei. Oder warum es in Afrika keine Mbembe, A. (2016): Ausgang aus der Wolkenkratzer gibt. Wuppertal: Peter langen Nacht: Versuch über ein entko- Hammer Verlag. lonisiertes Afrika. Unter Mitarbeit von Silvester, J. (2015): Re-Viewing Resis- Christine Pries. Berlin: Suhrkamp. tance, Liberating History. In: Silvester, Mbenzi, P. A. (2015): Revolutionary J. (Hrsg.): Re-Viewing Resistance in Na- Songs as a Response to Colonialism mibian History. Windhoek: University in Namibia. In: Silvester, J. (Hrsg.): of Namibia Press, S.1-21. Re-Viewing Resistance in Namibian His- Starzmann, P. (2018): Staatsministerin tory. Windhoek: University of Namibia Müntefering bittet Herero und Nama Press, S. 71-88. um Verzeihung. URL: https://www. Namhila, E. N. (2015): Transform- tagesspiegel.de/politik/schaedel-ueber- ing the Traumatic Life Experiences of gabe-in-berlin-staatsministerin-mu- Woman in Post-Apartheid Namibian entefering-bittet-herero-und-nama-um- History. In: Silvester, J. (Hrsg.): Re- verzeihung/22973088.html [Zugriff am Viewing Resistance in Namibian His- 25.05.19]. tory. Windhoek: University of Namibia Stempel, J. (2019): Lawsuit against Press, S. 22-37. Germany over Namibian geno- Namibia Statistics Agency (2016): Na- cide is dismissed in New York. mibia Inter-Censal Demographic Survey URL: https://www.reuters.com/ar- Report. URL: https://cms.my.na/assets/ ticle/us-namibia-genocide-germany/ documents/NIDS_2016.pdf [Zugriff lawsuit-against-germany-over-na- am 25.05.19]. mibian-genocide-is-dismissed-in-new- york-idUSKCN1QN2SQ [Zugriff am Odada, J., E. / Kakujaha-Matundu, O. 25.05.19]. (2008): China-Africa Economic Rela- tions. The case of Namibia. University of The Economist (2019): The Scramble Namibia, Department of Economics. for Africa. This Time, the winners could be Africans themselves. The Economist Radhakrishnan, S. (2015): African März 9-15., S. 9. Dream: The Imaginary of Nation, Race, and Gender in South African Intercul- Thran, M. (2012): Affirmative Action tural Dance. Women in Democratic und Rassenkonstruktionen in der post- South Africa. Feminist Studies 29 (3), S. kolonialen Landreform in Namibia. 529-537. Stichproben. Wiener Zeitschrift für kriti- sche Afrikastudien 22 (12), S. 35-59. Sarr, F. (2019): Afrotopia. Unter Mitar- beit von Max Henninger. Berlin: Mat- Van Rooyen, J. W. F. (2000): Implemen- thes & Seitz. ting Affirmative Action in Namibia. Na- mibia Institute for Democracy. 3. Aufl. Schlaga, C.-M. (2019): Zitat zur deutsch-namibischen Beziehung. Walther, D.,J. (2010): Sex, Race and Deutsche Botschaft Windhuk. URL: Empire: White Male Sexuality and the https://windhuk.diplo.de/ [Zugriff am “Other” in Germany’s Colonies, 1894- 25.05.19]. 1914. German Studies Review 33 (1), S. 45-71. Siegfried, D. (2016): Internationale Reaktionen auf Südafrikas Apartheid. Weylandt, M. (2016): Is it all over Neuere Literatur zu einem globalen between Namibia and North Ko- Konflikt in der zweiten Hälfte des 20. rea? URL: https://africanarguments. Jahrhunderts. Sozial. Geschichte On- org/2016/07/13/is-it-all-over-between- line (8), S. 47–64. URL: http://www. namibia-and-north-korea/ [Zugriff am stiftung-sozialgeschichte.de [Zugriff am 25.05.19]. 25.05.19]. Wieczorek-Zeul, H. (2004): Auszug der Signer, D. (2014): Die Ökonomie der Rede bei den Gedenkfeierlichkeiten der

67 keit eine rassistische Haltung erkennen Herero-Aufstände am 14. August 2004 lassen. Zur Thematik der deutschen in Okakarara, Rede-Manuskript auf der Website der Deutschen Botschaft in Wind- Kolonialverwaltung in Namibia kann allerdings nicht gänzlich auf derartige huk. URL: http://www.windhuk.diplo. Quellen verzichtet werden. Die rassis- de/Vertretung/win huk/de/03/Gedenk- tische Sprache und Wortgebrauch war jahre__2004__2005/Seite__Rede__ authentischer Teil des kolonialen Dis- BMZ__2004-08-14.htm [Zugriff am kurses (vgl. Zimmerer 2016) und ist im 25.03.19]. Rahmen des Artikels aus einer wissen- Zimmerer, J. (2002): Deutsche Herr- schaftlichen Perspektive zu verstehen. schaft über Afrikaner. Staatlicher Macht- Des Weiteren sind kategorisierende anspruch und Wirklichkeit im kolonialen Bezeichnungen, wie Herero oder Nama Namibia. Zugl.: Freiburg (Breisgau), auch heute noch in der namibischen Univ., Diss., 2000. 2. Aufl. Hamburg: Gesellschaft im alltäglichen Sprachge- Lit (Europa - Übersee, 10). brauch gängig und sollten zwar nicht Zimmerer, J. (2016): Völkermord in unhinterfragt bleiben, aber sind aktuell Deutsch-Südwestafrika. Der Koloni- als authentisch für das Akteursfeld ein- alkrieg (1904-1908) in Namibia und zustufen. seine Folgen. 3. Aufl. Berlin: Ch. Links 6 Der Begriff der Versöhnung wird in Verlag. der Literatur vielfältig definiert. Bloom- 7. Endnoten flied (2006) bezeichnet mit ‚Versöh- nung‘ sowohl einen Prozess als auch ein Ergebnis friedensstiftender Maßnah- 1 Die Verwendung der deutschen men nach Gewaltverbrechen. Dies um- Sprache für den Artikel soll keine Pers- fasst Maßnahmen zur Beziehungspflege pektive implizieren, sondern ist hier als und Vergebung, die politischer, juristi- neutrales Sprachmittel zu verstehen. scher und sozialer Natur sein können. 2 Die Bezeichnung Deutsch-Südwest- afrika wurde mit der Unabhängigkeit 7 Afrikanische Ressourcen wurden des Landes zu Namibia umbenannt. hierbei u.a. für beide Weltkriege instru- Auch heute ist die alte Bezeichnung mentalisiert. Insbesondere afrikanische teilweise noch gegenwärtig. So nennt Kolonien dienten als Devisenquelle für sich die regierende Partei South West die Mutterländer (Bley 2007:23). Bis People’s Organization (SWAPO). heute lassen sich bspw. noch Gebeine von Opfern der Kolonialverbrechen 3 Die Auseinandersetzung mit Kolo- in Namibia in der Berliner Charité nialismus stellt den/die BetrachterIn (ursprünglich als Objekte rassistischer u.a. auch vor sprachliche Herausforde- Forschung) finden, die erst in den letz- rungen. Wertvolle Denkanstöße hierzu ten Jahren teilweise an Nachfahren in können in Veröffentlichungen des Glo- Namibia zurückgegeben worden sind kal e.V. gefunden werden (Mit kolonia- (Starzmann 2018). len Grüßen - Berichte und Erzählungen von Auslandsaufenthalten, abrufbar un- 8 Die SWAPO ist seit der Unabhän- ter: https://www.glokal.org/wp-content/ gigkeit Namibias die nahezu unange- uploads/2013/09/BroschuereMitkolo- fochtene regierende Partei und erfährt nialenGruessen2013.pdf). als damaliger Hauptakteur des Befrei- ungskampfes eine hohe Solidarität aus 4 Dies lässt sich u.a. damit begründen, der Bevölkerung (vgl. Silvester 2015). dass bezüglich Namibia schriftliche Re- likte der Kolonialzeit fast ausschließlich aus deutscher Perspektive vorzufinden 9 „Öffentliche Amnesie schließt sind (vgl. Namhila 2015). (…) die Praxis der stillschweigenden Thematisierung auch in Form der 5 Der Artikel nutzt zum Teil (Origi- expliziten Nicht-Thematisierung, nal-)Quellen und Zitate, die in ihrer nicht aber Anerkennung ein“ (Kößler Ausdrucksweise und ihrer Begrifflich-

68 interculture journal 18/32 (2019) 2011:75). Amnesie ist im Kontext von sich auch bei einer der aktuellsten Transitionsprozessen keine ganz seltene, Fragen der Aufarbeitung in Namibia wenn auch nicht explizite Strategie des – der Umverteilung von Land – Umgangs mit der Vergangenheit. „Es feststellen. In Namibia ist das meiste geht dann nicht um ein Auswischen des kommerziell nutzbare Farmland in Gedächtnisses, Amnesie, sondern viel- Besitz europäischer Nachfahren. Viele mehr um den Verzicht auf Vergeltung heutige Besitzverhältnisse wer-den mit für öffentlich gemachtes und eingestan- Kolonialverbrechen in Verbindung denes Unrecht und Verbrechen“ (ebd.). gebracht (Van Rooyen 2000:9f.). Erst im September 2018 führte die Land- 10 In Südafrika brachte bspw. die konferenz in Windhoek zur Umver- Truth and Reconciliation Commission teilung von Farmland – nicht zuletzt (TRC) eine Möglichkeit, sich mit der aufgrund der Situation des Nachbarlan- Vergangenheit auseinanderzusetzen: des Simbabwe in dem gewaltsame Far- „We, the people of South Africa, recog- menteignungen durch Robert Mugabe nise the injustice of our past“, und war zum wirtschaftlichen Kollaps führten auch ein schmerzhafter Prozess für die – landesweit zu hitzigen Diskussionen. Gesellschaft (Krüger 2007:40). Die sog. Affirmative Action ist nicht nur 11 Anstöße lieferten hierfür in jüngs- positiv zu bewerten, sondern führt laut ter Zeit auch zahlreiche Parlamente in Thran (2012:51) auch zu einer Auf- Europa, die den Völkermord an den rechterhaltung der „Rassenkonstruk- Armeniern durch Beschluss als histori- tion“ und einer „Naturalisierung von sche Wahrheit anerkannt haben. Loyalität, die der Rassenkonstruktion immanent ist“ und verstärkt Tendenzen 12 Namibias Bevölkerung ist hete- des Tribalismus. rogen und geprägt von verschiedenen Sprach- und Identitätsgruppen. Laut 16 Im südlichen Afrika ist seit ein dem Namibia Inter-Censal Demographic einigen Jahren der Trend des African Survey Report (Namibia Statistics Agen- Dream (Radhakrishnan 2015), bzw. cy 2016:15), sprechen etwa 50 % der einer Rückbesinnung weg von europä- Bevölkerung Oshivambo als Hauptspra- isierten Werten und Standards hin zu che Zuhause, 11 % Nama oder Damara einer Afrikanisierung zu beobachten. und 9% Otjiherero. Auch der öffentliche Diskurs zum Um- 13 Der ‚Gründungsvater der Nation‘ gang mit Relikten aus der Kolonialzeit Samuel Nujoma spielt auch heute noch, zählt dazu. In Namibia wurde 2013 das ohne Amtsträger zu sein, eine wichtige sog. Reiterdenkmal, welches einen deut- Rolle in der aktuellen Politik und ge- schen General auf seinem Pferd verkör- nießt als ehemaliger Freiheitskämpfer pert, von einer präsenten Platzierung in hohes Ansehen in der Bevölkerung der Hauptstadt Windhoek in ein Muse- (Bürger 2017). um verlagert und so rekontextualisiert. Auch in Südafrika sorgten öffentliche 14 Der Begriff des ‚Tribalismus‘ ist Diskussionen und Proteste 2016 u.a. durch seinen expliziten Gebrauch für die Entfernung einer Statue des während der Kolonialzeit historisch britischen Kolonialisten Cecil Rhodes konnotiert und kritisch zu betrachten. vom Campus der Universität Kapstadt. Dennoch ist der Begriff als authentisch für das gesellschaftliche und politische 17 Auch in Deutschland ist die An- Akteursfeld in Namibia einzustufen. nahme einer gesamtgeschichtlichen Identifikationen mit bestimmten Grup- Identität fragwürdig. So verzeichnet pen, insbesondere Sprachgruppen und Bürger (2017) große Unterschiede im werden auch im öffentlichen Diskurs historischen Kontext Namibias zwi- als Tribalismus bezeichnet und sind hier schen West- und Ostdeutschland, de- eher weniger historisch konnotiert. nen gerecht zu werden im Rahmen des 15 Ähnliche Tendenzen lassen Artikels allerdings nicht möglich ist.

69 70 interculture journal 18/32 (2019) Verweigerte Identitätsgeographien, entgrenzte Universalismen und produktive Diskursformationen im Spannungsfeld postkolonialer Kontroversen in den afrikanisch-europäischen Beziehungen

Denied Identity Geographies, Unbounded Universalism and Productive Discourse Formations in the Tension-Field of Post- Colonial Controversies in African-European Relationships

Ibrahima Diagne Abstract (Deutsch)

Prof. Dr., ist am Département Die gegenwärtigen afrikanisch-europäischen Kultur- und Literaturbeziehungen sind durchaus reich an de Langues et Civilisations essayistischen Reflexionen, in denen versucht wird, die Komplexität interkultureller Begegnungen, Er- Germaniques der Universität fahrungen und Repräsentationsparadigmen neu zu deuten und zu reflektieren. Die in den Werken von Cheikh Anta (Dakar, Senegal) Taiye Selasi (2005), Léonora Miano (2008), Achille Mbembe (2014), Felwine Sarr (2016), Souleymane Leiter des Instituts für Bachir Diagne (2018) usw. ausgetragene Diskussion über Afrika und dessen Zukunft in der Welt erfährt Angewandte Fremdsprachen. in philosophischer bzw. diskursästhetischer Hinsicht besonders überlappende und konkurrierende Neuper- Forschungsschwerpunkte: spektivierungen, die gleichsam ihren Niederschlag in den literarischen Stimmen transkultureller Autoren Literatursoziologie und und Autorinnen wie Fatou Diome, Alain Mabanckou, Marie Ndiaye, Teju Cole usw. finden. Ausgehend -psychologie, interkulturelle von den früheren Versuchen der Négritude, die zur Bildung eigener Position aufforderte, werden derzeitige Kommunikation (Beziehungen Theoriekonzepte wie Afropolitanismus, Afropeanismus, Afrotopia usw. hermeneutisch untersucht und zu- und Repräsentationsparadigmen einander in Beziehung gesetzt. Dabei liegt, unter Einbezug zeithistorischer bzw. aktueller Konstellationen in Literatur, Historiographie und Re(konstruktionen), ein besonderes Augenmerk auf unterschiedlichen Formen, Strategien und Heraus- und Medien bzw. Ausstellungen, forderungen der Selbstsuche und Selbstdefinition, der Grenzüberschreitung und globalen Verankerung. Ziel Filmen und Presse); dieses komparatistisch konzipierten Beitrags ist es, sich mit diesem interkulturellen Spannungsfeld postkolo- Wissens- und Kulturtransfer, nialer und transkultureller Prägung auseinanderzusetzen. Fremdwahrnehmungsmuster Schlagwörter: Négritude, Afroplitanismus, Afropeanismus, Afrotopia, Eurozentrismus und Identitätskonstruktionen; afrikanische Migrationsliteratur Abstract (English) in Deutschland, interkulturelle Autobiographik, The current African-European cultural and literary relationships are quite rich in essayistic propositions Erinnerungsdiskurs. to reinterpret and reflect on the complexity of intercultural encounters, experiences and paradigms of representation. The discussion in the works of Taiye Selasi (2005), Léonora Miano (2008), Achille Mbembe (2014), Felwine Sarr (2016), Souleymane Bachir Diagne (2018) etc. about Africa and its future in the world reveals overlapping and competing new perspectives on the philosophical, discursive and aesthetic level, which are reflected in the literary voices of transcultural authors such as Fatou Diome, Alain Mabanckou, Marie Ndiaye, Teju Cole, etc. Starting from the earlier attempts of the Négritude, that invited Africans to develop their own point of view, this article proposes a hermeneutical examination and a comparison of current theoretical concepts like Afropolitanism, Afropeanism, Afrotopia, etc. With the inclusion of historical and current constellations and re(constructions), special attention is paid to different forms, strategies and challenges of perception, definition and representation of selfness, crossing boundaries and global anchoring. The aim of this comparative approach is to deal with this intercultural tension-field of postcolonial and transcultural encounters. Keywords: Négritude, Afropolitanism, Afropeanism, Afrotopia, Eurocentrism

71 1. Einleitung Afrika und Europa in unterschiedlichen Zusammenhängen? Wie wirken solche Aktuelle kulturtheoretische Verortungs- Diskurse auf kulturelle, ästhetische und Identitätskonzepte rücken im und literarische Produktionen Kontext der afrikanisch-europäischen afrikanischer bzw. afrodiasporischer interkulturellen Kommunikation Menschen? Eine Neuvermessung zunehmend in den Vordergrund der afrikanisch-europäischen und verweisen in besonderem Maße Kommunikationsbeziehungen auf die komplexen Beziehungen unter Berücksichtigung der jeweils zwischen Afrika und Europa. Dabei spezifischen historischen und äußern sich fremd- wie eigenkulturelle kulturellen Bedingungen erweist Fantasien, Mythen, Artefakte, sich daher als unabdingbar, um die Obsessionen und Bedürfnisse ihnen zugrundeliegenden Diskurse, postkolonialer Subjektkonstitutionen. Repräsentationen und Projektionen In der Kritik gegen die okzidentale herauszuarbeiten und interkulturelle Dominanz und Repräsentation von Potentiale aufzuzeigen. afrikanischen Kulturen, Gesellschaften und Bevölkerungen lassen sich 2. Komplexe Eingrenzungen unterschiedliche Auffassungen und und erkämpfte Gedankenstränge verzeichnen, Identitätsdiskurse die eine gewisse Entwicklung Die Betonung des kulturell- aufweisen. Von der Opferperspektive sprachlichen Identitätsfokus als des Panafrikanismus der frühen dauerhafte und nachhaltige Einheit 1960er Jahre und dem radikalen von Staatsvolk, anthropologischen afrozentrischen Diskurs der 1970er Merkmalen, Nationalterritorium, Jahre über die afropessimistischen Nationalkultur und Sprache, die Wortergreifungen der 1980er bis hin für das normative Verständnis des zu den dekolonisierten postkolonialen Identitätsbegriffs genutzt wird, liegen (1990er) und später afropolitanischen, ideologischen, gesellschaftlichen afrotopischen oder afropeanischen und nationalpolitischen Positionen (2000er) konstituieren Identifikationsstrategien zu Grunde. sich diskursive Kontinuitäten und Diesen strategischen Essentialismus Diskontinuitäten, die in einem zu überwinden, bedeutet zum kausalen Zusammenhang stehen. einen, stereotypisierende oder Welche kulturanthropologischen und dichotomisierende Diskurse sowie akute identitätsstiftenden Positionierungen Formen von Rassismus zu bewältigen, liegen diesen Theoriebildungen wie und zum anderen bewährte Praktiken Afropolitanismus (Taiye Selasi, Achille des kulturellen Zusammenlebens zu Mbembe), Afrotopia (Felwine Sarr), verstärken. In ihrer Auseinandersetzung Afropeanismus (Léonora Miano) mit dem Kolonialismus hatten Léopold usw. zu Grunde? Handelt es sich Sédar Senghor (1906-2001), Léon- dabei um praktisch umsetzbare Gontran Damas (1912-1978), Aimé oder eher denktheoretische, Césaire (1913-2008), Frantz Fanon utopische Anpassungsversuche an (1925-1961) usw. die kulturelle die Zwangsglobalisierung? Welche Selbstbehauptung des Afrikaners im Differenzen oder Kongruenzen Motiv der Négritude hervorgehoben. Sie weisen sie auf? Inwieweit bilden sie wehrten sich gegen die Trivialisierungen neuartige Strategien und Entwürfe der schwarzen Identität. An diesem eines künftigen Afrikas? Wie stehen sie Kampf um kulturelles Selbstbewusstsein zu vorhergegangenen Diskursen wie beteiligten sich auch Politiker wie Négritude, Kreolität, Métissage, Mélange, Kwame Nkrumah (1909-1972), Sékou Panafrikanismus und Universalismus? Touré (1922-1984), Julius Nyerere Wie reflektieren sie interkulturelle (1922-1999) usw. Bereits vor ihnen Kommunikationsprozesse zwischen legte der afroamerikanische Denker

72 interculture journal 18/32 (2019) W. E. B. Du Bois dafür einen ersten den Machtdiskurs des europäischen Meilenstein. In seinem Buch The Imperialismus reagierte, indem sie das Souls of Black Folk (1903) betont Schwarze zu rehabilitieren versucht. er das Streben nach eigenständiger b) Die ästhetische Négritude der 1950er schwarzamerikanischer Kultur. Jahre, die als eine humanistische und Während Frantz Fanon die Hegemonie kulturelle Weltanschauung gedeutet einer weißen Kultur, der sich die werden kann. Dadurch werden Schwarzen nicht widersetzen könnten Grenzen ständig relativiert und neu (Schwarze Haut, weiße Masken, 1952; gezogen. Erkennbar wird vor allem Die Verdammten dieser Erde, 1961), in diese Auffassung in der Art und Weise den Vordergrund stellt, sprachen sich wie Senghor sie gestiftet hat: kulturell Senghor und Césaire für die kulturelle („Négritude ist eine Kultur, es ist was Anerkennung der schwarzen Völker in der schwarze Mensch bringt“, 1939) der Moderne aus. Die Négritude stellte und ästhetisch („Was die Négritude nicht nur einen Widerstand gegen eines Gedichts ausmacht, liegt weniger die gängige eurozentrische Sichtweise im Thema als im Stil“). DieseNégritude dar, sondern sie war zugleich eine preist Afrika und seinen Humanismus. Ablehnung der identitätsstiftenden Sie reflektiert sich in diesem Sinne als Nachrangigkeit afrikanischer das Ergebnis kultureller Überlappungs- Menschen. Das dichterische Opus von und Übersetzungsprozesse gegen die Césaire und Senghor (Diagne 2006: hartnäckige koloniale Dominanz. 1-21) sowie das essayistische Werk von Fanon und Mudimbe (1988), c) Die philosophische Négritude, als Vorläufer eines interkulturellen deren Ziel ist es, die Kontingenz und afrikanisch-europäischen Dialogs, kulturelle Dynamik des Weltgeschehens stellen deutliche Versuche dar, sich in den Blick zu nehmen. Diese vom europäischen Diskursmonopol prospektive Konzeption bezieht zu lösen. Als Form der Selbstfindung sich grundsätzlich auf vielfältige stellte die Négritude eine erste Reaktion Minderheiten, die zwangsläufig auf die Krise der kulturellen und im Dialog mit Mehrheiten (seien politischen Repräsentation dar. Daher sie politisch, wirtschaftlich, sozial, stellt sich die Grundfrage nach den kulturell, religiös, ethnisch, sprachlich Zusammenhängen zwischen der usw.) stehen. Diese Négritude der Négritude und den gegenwärtigen 1960er Jahre, die allmählich von Debatten um Afropolitanismus, der Afrikanität zur Transkulturalität Afrotopia und Afropeanismus. Diese übergeht, integriert die Beziehung Frage zu beantworten, bedeutet zum Anderen, vermeidet bewusst zunächst eine ontologische und die Abgrenzung und legt einen kritische Reflexion über die dreifache besonderen Wert auf die Notwendigkeit Funktion und Wirkung der Négritude der gegenseitigen interkulturellen anzustellen, indem man auf ihren Bereicherung als Beitrag zur historischen Verlauf im Allgemeinen Herausbildung des Universalen. zurückgreift: Gerade diese dritte Dimension der a) Die politisch-intellektuelle Négritude, senghorschen Négritude weicht die als aktivistisch und nativistisch von der politischen Négritude ab, (das heißt eine reaktive Bewegung geht über die Ästhetik hinaus und gegen den Einfluss der Kolonisation) verleiht dem Konzept damit eine begriffen werden kann. Sie war mit besondere Dimension. Denn die der patriotischen Kampfsituation so konzipierte Négritude ist kein der Kolonisierten in den 1930er Selbstzweck mehr, sondern wird zum und 1940er Jahren eng verbunden. Inbegriff des universalisierenden Es handelt sich hierbei um eine Humanismus bzw. eines fortwährenden antikoloniale Négritude, die auf Entgrenzungsprozesses. Sie ist kein

73 abwehrender Demarkationsbegriff Vernichtung von Kulturen. Europas mehr, der in einer Zeit, in einem Sprachen, sein Blick auf Geschichte Raum gefangen ist, sondern sie muss und Gegenwart beeinflussen bis heute immer wieder neu erfunden werden noch das afrikanische Selbstverständnis. bzw. ständig mit Zeit und Raum Die Pflege afrikanischer Sprachen im Einklang stehen. Dies entspricht und Kulturen stellt für ihn daher ein einem andauernden Prozess der wesentliches Mittel zur Befreiung Selbsterneuerung bzw. der Renaissance. von kolonialen Herrschafts- und Es handelt sich dabei um die Denkstrukturen dar. Dafür setzen Wiederentdeckung und Erneuerung sich ebenfalls die Vertreter der aus den einer afrikanischen Identität. Die Cultural Studies hervorgegangenen Widerlegung nationalistischer bzw. postkolonialen Theoriebildungen ein, nativistischer Denkweisen liegt die sich gegen die Zuschreibung von u.a. der afrikanischen Renaissance festen Eigenschaften des Anderssein zugrunde: „Er springt Phoenix! Er („Othering“) vehement wehren und singt mit ausgebreiteten Flügeln über die Konstruktion einer nachhaltigen das Gemetzel der Worte“ / „Il monte und wirkungsmächtigen westlichen Phénix! Il chante les ailes déployées, Identität als Gegenbild ablehnen. sur le carnage des paroles.“ („Elégies Sie vertreten die Grundaussage, dass des Circoncis“, Nocturnes, 1961, 202). herrschaftsbezogene Diskurse und Die dialektische Bewegung, die sich Repräsentationssysteme zwischen selbst im hegelschen Sinne überschreitet ehemaligen kolonisierten und und zu einer universellen, aktiven kolonisierenden Subjekten auf einer Synthese singulärer Widersprüche konstitutiven Macht-Wissens-Struktur führt, findet sich sowohl in Senghors und einem Zentrum-Peripherie- Chants d’ombre (1945), Hosties noires Verhältnis beruhen, die kulturellen (1948), Ethiopiques (1956), in der Universalisierungsprozessen (wie Essay-Reihe Liberté I (1961), Liberté II z.B. Komplementaritätsprinzip, (1971), Liberté III (1977), Liberté IV Relativismus, Weltoffenheit) (1983) und Liberté V (1993) als auch in entgegenstehen. Die relationale Aimé Cesaires Und die Hunde schwiegen Bedingtheit von Eigenem und (1956) und Die Tragödie von König Fremdem ist den asymmetrischen Christoph (1964). Kategorien geschuldet, die sich in Ähnlich reflektiert das politische der Konstitution von kultureller Handeln von Kwame Nkrumah (1909- Identität als Semantisierungs- und 1972) und dessen Panafrikanismus Konstruktionsformen herausbilden: dieselben Positionsbestimmungen. Das […] the real issue is whether indeed kosmopolitische Bewusstsein bildet there can be true representation of ebenfalls die Grundlage von Edouard anything, or whether any and all Glissants Begriffsordnung in der representation, because they are Poetik der Relation. Diese Denk- und representations, are embedded first Handlungsmuster suchen Antworten in the language and then in the auf Fragen wie: Wie geht der Afrikaner culture, institutions, and political mit dem Anderen um? Wie bekämpft ambience of the representer. If the er die Mechanismen der Assimilation? latter alternative is the correct one Wie positioniert er sich in der globalen (as I believe it is), then we must be Moderne? Der kenianische Schriftsteller prepared to accept the fact that a Ngugi wa Thiong’o analysiert in representation is eo ipso implicated, Dekolonisierung des Denkens: Essays intertwined, embedded, interwoven über afrikanische Sprachen in der with a great many other things Literatur (1986) die geistigen Folgen beside the ‘truth’, which is itself a des europäischen Kolonialismus, representation. (Said 1978:5) der Unterdrückung der Sprachen Afrikas und die damit einhergehende

74 In Anlehnung an Foucault und Mbembe, Léonora Miano und Felwine Mudimbe zeigt Said in seinem Sarr. Aus ihren Positionen ergibt sich Werk Orientalism, wie weiße also ein inklusives Weltbewusstsein, Wissensformen als vermeintlich welches afrikanische Erfahrungen überlegen konstruiert worden und Erkenntnisse mitberücksichtigt waren und wie eine eurozentrische und neue zu erschließen vermag. Perspektive jedwede Beschäftigung Wie kann Afrika zu sich selbst mit dem „Orient“ bestimmte. Die zurückfinden? Wie kann es sich wieder Neukonfiguration und Transformation zurechtfinden, seine Eigenschaften dieser Identitätsbildungskategorien und Fähigkeiten zurückbekommen, und Wissenssysteme, die sich in die eigenen Wissensquellen, die eigene einen „dritten Raum“ („Hybridität“, Zukunft wiedererlangen? Um die Kluft „Kreolität“, „Métissage“, zwischen Erlebtem und Gedachtem, „Universalität“ bzw. „Widerstand gegen die Ausprägungen der „gewaltsamen Essentialismen“, „Transkulturalität“ Gehirnerschütterung“ („la violente usw.) artikulieren, bilden die Grundlage commotion“, Labouret 1929: 4), die es für die postkoloniale Dekonstruktion. durch Enteignung sowie die Folgen von Sie finden – v.a. innerhalb der Sklavenhandel und Kolonialherrschaft Literatur- und Kulturwissenschaften erlebt hat, zu überwinden bzw. zu − ihre Anwendung in der Aufdeckung verarbeiten und sich der Zukunft kolonialistischer Merkmale in zuzuwenden, muss Afrika seine eigenen europäischen Mentalitäten, kulturellen Kategorien abermals in Diskursen und Literaturen über Besitz ergreifen. Gemeinsam die Welt außereuropäische Länder und Völker zu erleben und Zukunft zu stiften, (Afrika, Orient, Asien, Südamerika). ist deshalb entscheidend für die Post- Welche erkenntnistheoretischen und Négritude und die neohumanistischen programmatischen Beziehungen Ansätze von Souleymane Bachir haben solche Auffassungen zu den Diagne (2016). Er plädiert für die Afro-Konzepten der gegenwärtigen Förderung des auf interkultureller sogenannten „Kinder der Postkolonie“ und interreligiöser Anerkennung und (Waberi 1998: 8-15). Die Postkolonie Akzeptanz beruhenden Weltethos: markiert einerseits den Willen zur Unsere Zeit ist jene Epoche, die, Dekolonisierung und verweist nach einem Universalismus, der dem andererseits darüber hinaus auf Eurozentrismus gleichgesetzt wird, einen einen Zusammenhang zum heutigen wirklich universellen Universalismus Globalisierungsschub, indem sie erfinden muss, um mit Immanuel auf das veränderte Fortwirken von Wallerstein zu sprechen: ein Universum Machtverhältnissen, Hierarchien, der Dezentrierung. / Notre époque est celle kolonialen Diskursen und qui doit inventer, après un universalisme Gesellschaftszuständen aufmerksam se confondant avec l’eurocentrisme, un macht. universel véritablement universel, pour 3. Grenzfälle, Wanderstraßen parler comme Immanuel Wallerstein. und diverse Souveränitäten Un universel de décentrement. (Diagne 2018:109) Das Fortleben des eurozentrischen Rassismus (Drews-Sylla / Makarska Es geht dabei um die Fähigkeit, sich 2015: 7-8), der in einer sich aufgeklärt zwischen Kontinenten und Kulturen vorkommenden und globalisierend bewegen zu können und auf Basis dynamischen Welt immer wieder transnationaler Erfahrungen die aufscheint, bildet der Ausgangspunkt Zukunft Afrikas, die Zukunft der für die kritischen bzw. selbstkritischen Welt neu zu denken. Um an den und introspektiven Überlegungen konzentrischen Weltbewegungen afrikanischer Intellektueller wie teilzuhaben und einen eigenen Beitrag Souleymane Bachir Diagne, Achille in der geteilten Weltgeschichte zu

75 leisten, bedarf es aber einer anderen schwarzen Vernunft (2013) und Der Sicht- und Ausdrucksweise für das Ausgang aus der langen Nacht (2016) Geistesleben in Afrika, insbesondere versucht er eine neue Perspektive auf in Kunst, Philosophie und Ästhetik. die Weltgeschichte zu etablieren. In Diesen Weg zu einer dynamischen seiner Reflexion stellt sich Mbembe Teilhabe findet Achille Mbembe im zudem der Frage, wie der Afropolitaner Afropolitanismus. auf Minderwertigkeit, Exklusion, Entwürdigung und Verdinglichung Zwischen Afrikabezug, transnationaler angemessen reagieren kann, ohne in Kultur und Selbstverortung verweist Fragen von Identitätskonstruktion, auf der Afropolitanismus auf das kreative problematische Differenzierungen und und produktive Ineinandergreifen Konzepte zurückzugreifen. der Welterfahrungen, -geschichten, -gedächtnisse und -werdegänge. Im Als Afropolitanerin gilt auch Taiye Gegensatz zu einer nativistischen Selasi, deren Eltern teils aus Ghana, Auffassung der Afrikanität bzw. teils aus Nigeria stammen. Mit ihrem der Négritude versteht sich der Roman Diese Dinge geschehen nicht Afropolitanismus als ästhetische, einfach so (Ghana must go, 2013) paradigmatische Matrize für die und vor allem mit ihrem Essay „Bye- Afrikanisierung der Weltteile Bye Babar“ (2005) reiht sie sich in bzw. als eine Weise des In-der- denselben Prozess der Selbstfindung Welt-Seins. Er ist eine kollektive, und der Infragestellung Afrikas als kulturelle Denk- und Existenzweise greifbare referentielle Realität ein. Als des zeitgenössischen afrikanischen Beziehungs- und Identitätshaltung Menschen, der sich als kulturell will der Afropolitanismus mit Afrika und politisch handlungsbewusster verbunden sein, ohne sich darauf zu Mensch behauptet und dazu fähig beschränken. Die Afropolitanisten ist, an der Weltgesellschaft aktiv und stellen Afrika in den Mittelpunkt des effizient teilzunehmen. Mbembe Kosmopolitismus, des Weltbürgertums, verortet den Afropolitanismus um es aus der Peripherie und insbesondere im kosmopolitischen der Indigenität herauszubringen. Gedankengut. Er wendet sich gegen Damit wird eine Übertragung auf Négritude, Nativismus, Indigenismus einen anderen kulturellen Kontext (als Aufwertung des Erbes), vorgenommen, die sich offensichtlich Panafrikanismus und steht stattdessen in Form und Inhalt von der Negritude für Transkulturalität und Mobilität. unterscheidet. Die Begründung ihrer Dabei folgt er Appadurais Konzeption Erkenntnis lautet, sowohl Senghors der „Cosmopolitanization“. Die Négritude als auch der Afrozentrismus Überwindung des Ausgeschlossen- von Cheikh Anta Diop verfolgten Seins, der herkömmlichen Stereotype beide die Bestätigung einer singulären und der Opferidentität sowie afrikanischen Identität und Kultur, die Wiedereingliederung in die während der Afropolitanismus hingegen Weltwertschöpfungskette verleiht das Gemeinsame, die Ähnlichkeit ihm den Status des Weltbürgers. unterstreiche und sein Ausgangspunkt Afropolitanismus verweist die Zirkulation der Welten ist. Der weiterhin auf den afrikanischen Afropolitanismus versucht also, sich Kosmopolitismus bzw. auf einen von jeglicher Verführung rassistischen territorialisierten Universalismus. Denkens fernzuhalten und eine von Laut Mbembe ist Europa nicht Afrika aus betrachtete Weltanschauung mehr das Gravitationszentrum anzubieten. In vielerlei Hinsicht der Welt, denn es müssen neue steht allerdings die argumentative Sichtweisen entwickelt bzw. ein neues Matrix des Afropolitanismus in seiner Zusammenlebenswissen erlernt werden. Herangehensweise und Konzeption Bereits in seinen Essays Kritik der nicht im Widerspruch zum Projekt

76 interculture journal 18/32 (2019) der Négritude, der man vorwirft, Der Afropolitanismus ist also eine patriarchalisch und kulturkontrastiv Stilistik, eine Ästhetik und eine gewisse gewesen zu sein und die Verantwortung Poetik der Welt: ein In-der-Welt-sein, der Schwarzen für ihr eigenes das grundsätzlich jegliche Form der Unglück zu übersehen. Die von Opferidentität ablehnt – auch wenn die Senghor gepredigte „Zivilisation historischen Ungerechtigkeiten und die des Universalen“ und „Versöhnung“ koloniale Gewalt, die der afrikanische zielen darauf ab, Spaltungen, Kontinent und seine Menschen erlitten Verwerfungen und die Verschärfung haben, durchaus nicht ignoriert werden von Unterschieden zu beseitigen, müssen. Der Afropolitanismus ist indem sie den Humanismus und außerdem eine politische und kulturelle die globalisierten bzw. universellen Haltung zu Fragen der Nation, der Strukturen und Netzwerke fördern. Rasse und der Differenz überhaupt. Denn in der Zirkularität der Welten Trotz des Appels zur Überwindung der formuliert er nicht nur sein Konzept Opfermentalität, um die authentische des Universalen, sondern auch Perspektive eines Entkolonialisierten die fruchtbare Métissage in Form zu übernehmen und eine dezidiert einer transkulturellen Hybridität. selbstbewusste Renaissance in die Er entwickelt sogar das Konzept Wege zu leiten, stellt man doch fest, rhizomatischer Begegnungsräume wie dass die afropolitanische Position nicht „Eurafrika, Euramerika, Eurasien“ usw., ohne Bezug zu Europa denkbar ist. die er als konzentrische Weltkreise Denn die Nacht, in der Afrika durch neu konfiguriert (Diagne 2012: 189- eurozentrische Diskurse gleichsam 208). Somit ist klar, dass sowohl verfangen ist, weist auf Prozesse eines Afropolitanismus als auch Négritude Begehrens, welches auf afrikanischer symbolische Strategien im Kampf Seite eine Gegenwehr, Kontrastfolie um die abwertende Repräsentation bzw. einen Aufstieg auf universale von Unterschieden aller Art (z. B. humanistische Menschlichkeit verlangt Rassismus, Ethnizismus, Populismus, (Mbembe 2016). Der Afropolitanismus Sexismus, Indigenismus usw.) versucht, afrikanische Erfahrungen darstellen. In ihrem Essay beschreibt neu zu fassen – ein inklusives Taiye Selasi die Afropolitanisten wie Konzept, das nicht primär auf folgt: schwarzafrikanischer Solidarität beruht. Mbembes afropolitanische Lebens- We are Afropolitans: not citizens, but und Identitätsauffassung profitiert Africans of the world. […] Perhaps von den gescheiterten Anstrengungen what most typifies the Afropolitan der klassischen Négritude und versteht consciousness is the refusal to oversimplify; sich als vorwiegend transkontinentale the effort to understand what is ailing Zirkulation der Welten. Taiye Selasi in Africa alongside the desire to honor führt dazu aus: what is wonderful, unique. Rather than essentialising the geographical entity, That is, this is what it means for me – we seek to comprehend the cultural and that is the Afropolitan privilege. complexity; to honor the intellectual The acceptance of complexity common and spiritual legacy; and to sustain our to most African cultures is not lost on parents’ cultures. […] Ultimately, the her prodigals. Without that intrinsically Afropolitan must form an identity along multidimensional thinking, we could not at least three dimensions: national, racial, make sense of ourselves. (Ebenda) cultural – with subtle tensions in between. […] The acceptance of complexity Das Fortbestehen neuer Formen common to most African cultures is kolonialer Prägung, die sich heute not lost on her prodigals. Without that hinter alternativen Formulierungen intrinsically multi-dimensional thinking, verstcken, führt zur Suche nach we could not make sense of ourselves. epistemologischen Diskurssträngen, (Selasi 2005)

77 die dem afrikanisch-europäischen Gesellschaften ermöglichen. Auch interkulturellen Beziehungsverhältnis Achille Mbembe unterstreicht den und den wechselseitigen Interaktionen Gemeinschaftssinn in Afrika, den multiperspektivisch Rechnung tragen. er als Wille zur Gemeinschaft und Das Hybride, Kreolische, im Sinne von Wille zum Leben bezeichnet. Sarr rhizomatischen Identitätsentwürfen und Membe stiften beide einen und -verortungen zu betonen, ist zukunftsweisenden afrikanischen auch für Léonora Miano zentral. Sie Diskurs, dessen Ausgangsfrage darauf eignet sich den Begriff „Afropean“ an beruht, zu wissen, wie der afrikanische und bezeichnet damit den Europäer Mensch zu seiner eigenen Identität afrikanischen Ursprungs, der, wie kommen und sich von der Herrschaft sie selbst ausführt, seit den 1990er des Westens bzw. des globalen Jahren in der afrikanisch-europäischen Nordens befreien kann. Während Community zirkuliert. Mianos Felwine Sarr in seinem Essay Afrotopia Afropeanismus versteht sich daher als (2016) eine Rückbesinnung auf „immaterieller Ort, Innenraum, in Afrika als Territorium vorschlägt, dem sich Traditionen, Erinnerungen, um das spezifisch Afrikanische Kulturen [...] mischen“ (Miano wiederzuentdecken, steht der 2008: 53-68). Er bezeichnet einen afrikanische Mensch inmitten mentalen Ort für diejenigen, die den urbaner Welten im Schwerpunt von französischen Ursprung nicht geltend Achille Mbembes Werk Ausgang machen können. So haben das afro- aus der langen Nacht, in dem er der europäische Identitätsprojekt und Frage nachgeht, was afrikanisch sein das panafrikanische Denken den heute bedeutet. Die theoretischen Transnationalismus gemeinsam. In Einsichten und praktischen Beispiele ihrer Arbeit schlägt Miano jedoch eine beider Autoren gehen von einem kritische Reflexion des Afrozentrismus Verständnis der Herkunft und Ankunft vor, indem sie die Gefahren einer von Afrikas Zukunft als Prozess von Identitätsdialektik anprangert, die verarbeiteten Ereignissen aus. Damit eine Ausgrenzung durch eine andere Afrika wie in vorkolonialer Zeit die ersetzt. Mit der Rückbesinnung gespaltenen Gedächtnisse wieder auf ihre eigenen Werte können versöhnen und die gesamte Zukunft afrikanische Gesellschaften bewusste der Menschheit prägen kann, soll sich und verantwortliche Lebensformen der Verarbeitungsprozess auf kulturelle entwickeln. Gerade hier lassen sich Einsicht, Gemeinschaftssinn – ohne Überschneidungen zum Afrotopia- Individualität zu leugnen – und Begriff von Felwine Sarr feststellen. zwischenmenschliche Beziehungen gründen, die miteinander im Das Afrotopia-Konzept geht davon interkulturellen Austausch stehen. aus, dass der Afrikaner seine eigene Die Konstruktionsweisen solcher sich Zukunft wiedererlangen kann, wenn er teils ergänzender teils überlappender das, was er verlernt hat, das heißt sein Identitätsdiskurse und -verortungen, Gleichgewicht, seine Wissensquellen die sich aus dem dialogischen wiederfindet. Dieses Wissen betrifft Zusammenspiel zwischen Wissen, sowohl das indigene als auch das über Macht und Gedächtnis ergeben, Afrika hinaus erworbene, exogene deuten auf einen Prozess der Wissen. Das Be- und Hinterfragen kulturellen, sprachlichen, ethnischen der eigenen Kultur erweist sich so als und geographischen Entgrenzung. notwendig für die Gestaltung von Konzepte wie Afropolitanismus, Afrikas Zukunft. Denn dieses Wissen Afropeanismus, Afrotopia usw. findet sich in unterschiedlichen bilden auf diese Weise eine durchaus kulturellen Ausdrucksformen, die die neue afrikanische Phänomenologie Renaissance, die Entwicklung und vor im Versuch der Selbstdarstellung. allem die Nachhaltigkeit afrikanischer

78 interculture journal 18/32 (2019) In Abgrenzung zu den klassischen 4. Die afrikanische Moderne Konzepten wie Négritude, und der Zukunftsdiskurs Panafrikanismus und Afrozentrismus, Die aktuellen Diskurse über die die eine gegendiskursive Funktion afrikanische Zukunft sind vor allem zu und Rechtfertigung aufwiesen, einem Zeitpunkt entstanden, in dem beruhen sie im Grunde genommen die Frage der afrikanischen Migration auf der Erkenntnis, dass die nach Afrika bzw. des außereuropäischen postmigrantische und postkoloniale Zugriffs auf europäische Gesellschaften, Grundkonstellation der Gegenwart Kulturen und Bevölkerung als eine alternative Positionierungen und potentielle Gefahr betrachtet wird, Selbstdeutungsmuster verlangt. Das rechtspopulistische Bewegungen Ziel dieser Begriffsfindungen besteht immer Raum gewinnen und die ebenfalls darin, Afrikas Position in Weltgeopolitik neue Konstellationen der Welt zu reflektieren, Alternativen und Asymmetrien entstehen lässt. im Kontext der Modernität zu Postkoloniale Reaktionen auf entwickeln (z. B. Felwine Sarrs Les gesellschaftliche Veränderungen durch Ateliers de la Pensée) oder Afrika als theoriepolitische Verschiebungen Realität zu hinterfragen (Léonora und Diskurskorrekturen Miano). Sowohl Mbembe als auch strukturieren die afrikanisch- Sarr beanstanden die europäische europäischen Machtbeziehungen materialistische und kapitalistische vor dem Hintergrund des kolonialen Normierung der Welt, die im Diskurses und bieten auf diese Weise Gegensatz zu einem verantwortlichen emanzipatorische Perspektiven an. Moralbewusstsein steht. Die hierauf Michel Foucaults (1925-1984) konstituierten Hierarchien und Macht-Wissens-Komplex zufolge Abweichungen bedürfen deshalb eines gibt es „keine Machtbeziehung, Prozesses der Afrikanisierung, um das ohne dass sich ein entsprechendes kulturästhetische Eigenverständnis Wissensfeld konstituiert“ (Foucault unter dem Primat des Relationalen 1977: 114). Die Dekonstruktion bzw. der Poetik der Relation im Sinne tradierter Grenzziehungen und Edouard Glissants zu subsumieren. Trennwände sowie das Streben nach Afrika als kosmopolitische Welt im einer Zukunft, die nicht von vornherein Zuge kultureller, wirtschaftlicher feststeht, sondern übernommene oder und medialer Globalisierung zu ererbte und erlebte Traditionen und betrachten, bedeutet überdies eine Kulturen, Neuinterpretationen und Auseinandersetzung sowohl mit Neuschöpfungen mitberücksichtigen europäischen Wahrnehmungen soll, verlangt eine Hinterfragung und Repräsentationen als auch mit westlicher Lebensmodelle, Denkmuster Prozessen der Selektion, Adaptation und Ausdrucksformen. Denn jede und des Transfers von Wissen. In diesen Gesellschaft sucht nach eigenen identitätspolitischen Formulierungen Wegen und Ausdrucksweisen zur von afrikanischen Intellektuellen wird Gestaltung ihrer Zukunft. Der aktuelle der Kampf um Dekolonisation zu einer Zukunftsdiskurs in Afrika schreibt sich vornehmlich literarischen, kulturellen in diesen Rahmen ein und versucht oder philosophischen Angelegenheit. diskursive Machtergreifungen und Diese Ansätze entkommen dem Widerstandspraktiken kultureller vorherrschenden Opferdiskurs der Repräsentationen (in Literatur, Musik, Vergangenheit und schreiben sich in die Film, Kunst, Philosophie usw.) zu Zukunft Afrikas ein, die sich wiederum überwinden. Wie erfindet Afrika seine in universelle Diskurse einbettet. Zivilisation neu? Wie strukturiert es seine Beziehung zum Wirtschaftlichen, Sozialen, Politischen usw.? Die aktive Gestaltung der Zukunft ist ein neues

79 Paradigma der Überwindung der zu entlarven. Ihr interkultureller Abhängigkeit und Unterwerfung. Mehrwert beruht eben darauf, dass sie Mit dem Begriff „schwarze Vernunft“ nicht nur Wissen als distinkte Formen umreißt Mbembe eine erforderliche des Habitus, der Erfahrung oder der neue Perspektive auf die Weltgeschichte. Ästhetisierung vermitteln, sondern auch Die Notwendigkeit für Europa, die eine bedeutende Funktion im Prozess Mitbestimmung seiner Geschichte und des gegenseitigen interkulturellen Gegenwart – und nicht zuletzt seiner Lernens erfüllen (Götze / Pommerin Zukunft – durch den interkulturellen 197: 43-48). Die Alternative, die Kontakt zu Afrika anzuerkennen und durch diese Begriffsbildungen erreicht somit neue Sichtweisen zu gewinnen, werden soll, ist eine Antwort auf die hört sich wie eine selbsterfahrene interkulturellen Repräsentations- und Aufklärung an. Auch der Gedanke, Kommunikationsbeziehungen mit Afrikas Zukunft spiele sich nicht der westlichen Welt. Postmigrantische nur in Afrika ab, erschließt neue und postethnische Gesellschaften Sichtachsen. Für Felwine Sarr verfügt und Kulturen bilden das Substrat der afrikanische Kontinent heute über des transkulturellen Symbolsystems, alle Mittel, um ein Laboratorium auf das Léonora Miano und der Ideen und einer neuen Ordnung Taiye Selasi zugrückgreifen, um zu sein. Afrika erzeugt seine eigenen ihr Selbstverständnis wider Wissensobjekte, um Grundbedürfnisse Fundamentalismen und Essentialismen zu befriedigen. Es bedient sich jeglicher Art zu behaupten. Beide seiner eigenen Vorstellungskraft und rekurrieren auf literaturästhetische Regenerationsfähigkeit, um sich neu zu Inszenierungen, in deren Mittelpunkt erfinden und den Herausforderungen rhizomatische Verknüpfungen der Gegenwart zu begegnen. und globalisierende transkulturelle Dies erfordert einen Diskurs von Artikulationen stehen. Die binäre und zivilisatorischer Bedeutung, der die Art schwarzmalerische Opposition des der Gesellschaft, die aufgebaut werden kolonialen Diskurses ( „der Westen“ soll, sowie deren Werte reflektiert. Bei und „der Rest“), dessen Wissensformen all diesen Theoretikern besteht ein und -normen zielen – wenn auch in breiter Konsens, dass die afrikanische unterschiedlichem Ausmaß und mit Modernität keine Nachahmung diversen Argumentationsgängen – auf europäischer oder westlicher Modelle die Betonung von Essentialismen sein soll. In ihren verschiedenen und Differenzen ab. Es geht um Ansätzen drückt sich die Konfrontation die Auseinandersetzung mit dem mit einer besonders normalisierten Kolonialismus auf der symbolischen Wahrnehmung und der wechselseitige und diskursiven Ebene. Neben den – oft gemeinsame – Prozess der offenkundigen materiellen Seiten Resilienz gegenüber Traumata des 20. kolonialer Herrschaft wird die Jahrhunderts sowie die Infragestellung gewaltvolle Macht und Krise der und Umsetzung der kanonischen Repräsentation im foucaultschen Moderne aus (Boatca / Spohn Sinne ständig in Frage gestellt. 2010). Westliche Identitätsdiskurse Die Zuspitzung von religiösen zeichnen sich eben dadurch aus, Zugehörigkeiten, Glaubenspraxen und dass sie über diese Kanonisierung Erinnerungskulturen, die Kampagnen hinausgehen und offen legen, dass für die Umbenennung von Straßen Kultur, Literatur, Wissenschaft und (beispielsweise im Afrikanischen Wissen selbst provinziell sind. Diese Viertel in Berlin), die Forderungen verschiedenen Ansätze lassen sich an westlichen Museen nach Rückgabe daher als Selbstentwürfe verstehen des seit der Kolonialepoche in Europa und mit der Aufgabe verbinden, die befindlichen Kulturerbes afrikanischer essentialisierenden, totalisierenden und Länder und weiterhin stattfindende eurozentristischen Diskurse des Westens Kontroversen über Spuren und

80 interculture journal 18/32 (2019) Effekte kolonialer Machtinteressen Daraus entstehen kulturelle verweisen gleichermaßen auf einen Aushandlungen, die vornehmlich neuen vergleichbaren Umgang auf Modalitäten und Prozessen des mit hegemonialen, subalternen Kultur- und Wissenstransferansatzes und eurozentrischen Diskursen beruhen. Gemeint sind hier und Verortungen. Die Suche nach unterschiedliche Interaktionen Möglichkeiten von Widerstand und Repräsentationsbilder, die markiert jeden historischen Moment positiv (Versöhnung, Annäherung, der interkulturellen Kommunikation Verständigung) oder negativ (Abwehr, zwischen Afrika und Europa. Die Grenzziehungen, oppositionelle Werke von Fatou Diome (Le ventre de Dualismen) bewertet werden können. l’Atlantique, 2003), Marie Ndiaye (Trois Jenseits von Konfrontationen femmes puissantes, 2009), Teju Cole und Konflikten können damit (Open City, 2011), Alain Mabanckou kulturelle Neuorientierungen sowie (Le sanglot de l´Homme noir, 2012), Konstruktionsformen hybrider Taiye Selasi (Ghana must go, 2013) Kulturmuster und Modelle usw. lassen sich beispielsweise diesem von inter- bzw. transkultureller transkulturellen Literaturfeld des Identitätskonstruktion und Kosmopolitismus zuordnen; denn im Lebensführung produziert werden. Fall dieser Romane handelt es sich um In diesem Sinne bilden solche gekreuzte Migrantenbiographien, die Diskurse und Epistemologien eine zwischen den zwei Welten (Afrika und zentrale Entstehungsbedingung von Europa) stehen. Interkulturalität und schaffen Formen 5. Schlussbetrachtung der transkulturellen Produktivität. 6. Literatur Abschließend lässt sich anmerken, dass die politischen Interessen und Albrecht, M. (2008): „Europa ist Herausforderungen der Begriffe nicht die Welt“. (Post)Kolonialismus Afropolitanismus, Afropeanismus usw. in Literatur und Geschichte. Bielefeld: sowie die ihnen zugrunde liegenden Aisthesis. Paradigmen (Kosmopolitismus, Amselle, J.-L. (2015): Branchements. Zirkularität oder Rekonfiguration Anthropologie de l´universalité des usw.) zur vergleichbaren Potentialität cultures. Paris: Flammarion. und Aktualität der Negritude zurückführen, die in ihrer letzten Amselle, J.-L. (2011): L´Occident Phase als transkulturelle Positionierung décroché. Enquête sur les verstanden werden kann. Mit der postcoloniaslismes. Paris: Fayard/Pluriel. Dekolonisierung verband sich ein Amselle, J.-L. (1990): Logiques métisses. tiefgreifender kultureller Wandel Anthropologie de l´identité en Afrique et nicht nur in den afrikanischen, ailleurs. Paris: Payot. sondern auch in den westeuropäischen Gesellschaften, der noch längst nicht Appiah, K.A. (2008): Pour un nouveau abgeschlossen ist. Die Neuaneignung, cosmopolitanisme. Paris: Odile Jacob. Adaptation und Übertragung von Appiah, K. A. (2006): Cosmopolitanism: fremdkulturellem Wissen (Praktiken, Ethics in a World of Strangers. New York: Texten, Diskursen, Werten und W.W. Norton & Company. Symbolen), die auf „Verlaufsformen Boatca, M. / Spohn, W. (2010): und Konsequenzen“ (Hans-Jürgen Globale, multiple und postkoloniale Lüsebrink 2004: 32) unmittelbarer Modernen. Zentrum und Peripherie. Kulturkontakte und -austausche München: Rainer Hampp. hinweisen, kennzeichnen insofern den kulturanthropologischen Wissens- und Cole, T. (2011): Open City. New York: Erfahrungskontext im Bereich der Random House. afrikanisch-europäischen Beziehungen.

81 Diagne, I. (2012): Eurafrique et Glissant, E. (1990) : Poétique de la Euramérique. Deux topolectes de Relation. Paris: Gallimard. la spatialité interculturelle chez Senghor. In: Vatter, C. / Dion, R. / Glissant, E. / Chamoiseau, P. (2009): Gouaffo, A. / Fendler, U. (Hrsg.):La Manifeste pour les „produits“ de haute communication interculturelle dans le nécessité. Paris: Galaade, Institut du monde francophone. Transferts culturels, Tout-monde. littéraires et médiatiques. (Festschrift für Hans-Jürgen Lüsebrink zu seinem Götze, L. / Pommerin, G. (1987): 60. Geburtstag). St. Ingbert: Röhrig Migrantenliteratur und ihre Bedeutung Universitäts-Verlag, S. 189-208. für interkulturelles Lernen. Zielsprache Deutsch 4, S. 43-48. Diagne, I. (2006): Genèse poétique et anthropologie interculturelle : Senghor Jeremiah, M.W. (1998): Afrotopia, ou les jalons de la communication The Roots of African American Popular interculturelle. Ethiopiques. Revue History. Cambridge: Cambridge Négro-africaine de Littérature et de University Press. Philosophie 76 (Centième Anniversaire Labouret, H. (1929): Outre-mer : revue de Léopold Sédar Senghor. Cent ans générale de colonisation, Nr.1 (3), S. 4-8. de littérature, de pensée africaine et de réflexion sur les arts africains), S. 1-21. Lüsebrink, H.-J. (2004): Französische Kultur- und Medienwissenschaft: Diagne, S.B. / Amselle, J.-L. (2018): systematische und historische En quête d´Afrique(s). Universalisme et Dimensionen. In: Ders. / Walter, K.- pensée décoloniale. Paris: Albin Michel. P. / Fendler, U. / Stefanie-Meyer, G. Diagne, S.B. / Kisukidi, N.Y. (2013): / Vatter, C.: Französische Kultur- und Senghor et la question qui se pose Medienwissenschaft. Tübingen: Gunter toujours. Entretien avec Souleymane Narr, S. 9-49. Bachir Diagne. ThéoRèmes 2013(4). Mabanckou, A. (2017): Penser et écrire URL: https://journals.openedition. l´Afrique aujourd’hui. Paris: Seuil. org/theoremes/430 [Zugriff am 28.11.2019]. Mabanckou, A. (2012): Le sanglot de l´Homme noir. Paris: Fayard. Diagne, S.B. (2016): Faire humanité ensemble et ensemble habiter la terre. Mangeon, A. (2010): La pensée noire et Présence Africaine 193, S. 11-19. URL: l´Occident. Cabris: Sulliver. https://doi.org/10.3917/presa.193.0011 [Zugriff am 28.11.2019]. Mangeon, A. (2012): Postures postcoloniales, domaines africains et Drews-Sylla, G. / Makarska, R. antillais. Paris: Karthala. (2015): Neue alte Rassismen? Differenz und Exklusion in Europa nach 1989. Mbembe, A. / Sarr, F. (2017): Ecrire Bielefeld: Transcript. l´Afrique-Monde. Paris / Dakar: Philipe Rey / Jimsaan. Foucault, M. (1977): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I. Mbembe, A. (2005): Afropolitanisme. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Africultures, 26.12.2005. URL: http://www.africultures.com/ Gehrmann, S. (2016): php/?nav=article&no=4248 [Zugriff am Cosmopolitanism with African Roots: 28.11.2019]. Afropolitanism’s Ambivalent Mobilities. Journal of African Cultural Studies, 28/1 S. 61-72.

82 interculture journal 18/32 (2019) Mbembe, A. (2014): Kritik der Riesz, J. (2006): Léopold Sédar Senghor Schwarzen Vernunft. Aus dem und der afrikanische Aufbruch im 20. Französischen von Michael Bischoff. Jahrhundert. Wuppertal: Peter Hammer. Berlin: Suhrkamp. (französische Ausgabe: Critique de la raison nègre. Sarr, F. / Savoy, B. (2018): Rapport Paris: La Découverte, 2013). sur la restitution du patrimoine culturel africain. Vers une nouvelle Mbembe, A. (2016): Ausgang aus étique relationnelle. URL: http:// der Langen Nacht. Versuch über ein restitutionreport2018.com/sarr_savoy_ entkolonialisiertes Afrika. Berlin: fr.pdf [Zugriff am 28.11.2019]. Suhrkamp. Sarr, F. (2017): Habiter le monde. Essai Mbembe, A. (2000): De la postcolonie. de politique relationnelle. Montréal: Essai sur l‘imagination politique dans Mémoire d’encrier. l‘Afrique contemporaine. Paris: Karthala. Sarr, F. (2016): Afrotopia. Paris: Miano, L. (2008): Afropean Soul. In: Philippe Rey. Dies.: Afropean Soul et autres nouvelles. Paris: Flammarion, S. 53-68. Sarr, F. / Savoy, B. (2018): Restituer le patrimoine africain. Paris: Seuil/Philippe Miano, L. (2010): Il faut formuler Rey. le concept d’afropéanisme. Le Magazine Littéraire, 22.12.2010. Selasi, T. (2013): Diese Dinge geschehen URL: http://www.magazine- nicht einfach so. Übersetzt aus dem littéraire.com/actualité/leonora- Englischen von Adelheid Zöfel. miano-il-faut-formuler-concept- Frankfurt/M.: S. Fischer. afropeanisme-22-10-2010-33069 [Zugriff am 16.12.2014]. Selasi, T. (2005): Bye-Bye Babar. The Lip Magazine, 03.03.2005. URL: Miano, L. (2012): Lire enfin les http://thelip.robertsharp.co.uk/?p=76 écrivains subsahariens. In: Dies.: [Zugriff am 28.11.2019]. Habiter la frontière (conferences). Paris: L’Arche, S. 33-57. Spivak, G.C. (2012): An Aesthetic Education in the Era of Globalization. Mudimbe, V.-Y. (1988): The Invention Cambridge: Harvard University Press. of Africa. Gnosis, Philosophy and the Order of Knowledge. Bloomington: Suter, M. (2016): Aufwachen aus Indiana University Press. der großen Nacht [Rezension von: Achille Mbembe, Kritik der schwarzen Ndiaye, P. (2008): La condition noire. Vernunft, Berlin 2014]. WOZ Die Essai sur une minorité française. Paris: Wochenzeitung, 29.01.2015, S. 23. Calmann-Lévy. URL: https://www.woz.ch/1505/ rassismus-und-kapitalismus/aufwachen- Ngugi Wa Thiong´o (2017): Pour une aus-der-grossen-nacht [Zugriff am Afrique libre. Paris: Philippe Rey. 28.11.2019].

Rommelspacher, B. (1998): Ueckmann, N. / Febel, G. (Hrsg.) Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und (2018): Pluraler Humanismus. Négritude Macht. Berlin, Orlanda Frauenverlag. und Negrismo weitergedacht. Wiesbaden. Springer VS. Riesz, J. (2013): Südlich der Sahara. Afrikanische Literaturen in französischer Sprache. Tübingen: Stauffenburg.

83 Waberi, A. (1998): Les Enfants de la postcolonie. Esquisse d’une nouvelle génération d’écrivains francophones d’Afrique noire. Notre Librairie. Revue des littératures du Sud 135, S. 8-15.

Wawrzinek, J. / Makhokha, J.K.S. (2011): Negotiating Afropolitanism: Essays on Borders and Spaces in Contemporary African Literature and Folklore. Amsterdam: Radopi.

84 interculture journal 18/32 (2019) 85 86 interculture journal 18/32 (2019) Koloniale Diskurse, afrikanische Epistemolo- gien und das AfricaMuseum in Belgien. Zum Potential einer postkolonialen Interkulturali- tät bei Felwine Sarr und Bénédicte Savoy

Colonial Discourses, African Epistemologies and the AfricaMuseum in Belgium. The Restitution Debate (Sarr / Savoy) as an Intercultural and Postcolonial Dialogue

Julien Bobineau Abstract (Deutsch) Dr., hat von 2007 bis 2012 Der Beitrag setzt das im Jahre 2018 wiedereröffnete AfricaMuseum in Tervuren Galloromanische Philologie, (Belgien) mit der von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy angestoßenen Debatte um die Öffentliches Recht und Phi- Restitution von Kulturgütern aus Afrika in Verbindung. Nach einem Überblick über losophie an der Julius-Maxi- die europäische Geistesgeschichte mit einem Fokus auf der diskursiven Verdrängung milians-Universität Würzburg afrikanischer Wissenssysteme steht eine Bearbeitung von Sarrs und Savoys Rapport sur studiert. Im Jahre 2017 wurde la restitution du patrimoine culturel africain (2018) mit einem theoretischen Ausblick der Literatur- und Kulturwis- auf die Decolonial Aesthetics im Mittelpunkt der Ausführungen. Im anschließenden senschaftler mit einer Arbeit Analyseteil werden die Erkenntnisse einer ‚nouvelle éthique rélationelle‘ (Sarr / Savoy) unter dem Titel „Koloniale auf das belgische AfricaMuseum übertragen, um das Museum in Bezug auf die Restitu- Diskurse im Vergleich. Die tionsdebatte, die Beteiligung afrikanischer Stakeholder an der musealen Konzeption, der Repräsentation von Patrice Lu- Organisation und der Leitung des Mu-seums sowie die internationale Zusammenarbeit mumba in der kongolesischen zu evaluieren. Ziel des Beitrages ist, das Potential einer postkolonialen, eurafrikanischen Lyrik und im belgischen Dra- Dialogizität vor dem Hintergrund kolonialer Diskurse am Beispiel des AfricaMuseum ma“ in Würzburg promoviert. sichtbar zu machen. Derzeit ist Bobineau als Wis- senschaftlicher Mitarbeiter am Schlagwörter: Postkoloniale Theorie, Belgien, Kolonialismus, Restitution, Provenienz Lehrstuhl für Französische und Italienische Literaturwissen- schaft am Neuphilologischen Abstract (English) Institut/Romanistik der Julius- This article analyses the permanent exhibition of the AfricaMuseum in Tervuren (Bel- Maximilians-Universität Würz- gium) considering the current debate on the restitution of cultural objects from Africa. burg tätig. Initiated by Felwine Sarr and Bénédicte Savoy in 2018, the restitution debate is chang- ing the perception of African epistemologies within European Museums. The aim of the article is to make visible the potential of an intercultural and postcolonial dialogue between Africa and Europe through a ‘nouvelle éthique rélationelle’ (Sarr / Savoy). Keywords: Postcolonial theory, Belgium, colonialism, restitution, provenance

87 1. Einführung vorstellbarer Zahl ‚gesammelt‘ und nach Europa gebracht. Heute befindet Im Kontext der Interkulturalität ließe sich ein Großteil dieser Objekte teils in sich die weitumfassende Kolonialzeit als Privatbesitz, teils in ethnographischen negierte Form der Interaktion zwischen Museen wie dem Musée du quai Branly verschiedenen Kulturen werten, von in Paris, dem Grassi-Museum in Leipzig denen sich eine Kultur als höherwertig oder dem AfricaMuseum im Brüsseler erachtet und diese Höherwertigkeit in Vorort Tervuren. Der senegalesische einem rassistisch festgelegten Über-/ Ökonom Felwine Sarr und die französi- Unterordnungsverhältnis manifestiert. sche Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy Innerhalb dieses asymmetrischen wurden im Jahr 2017 von Frankreichs Verhältnisses werden entsprechende Staatspräsident Emmanuel Macron Praktiken, Kommunikationsweisen damit beauftragt, die Herkunft afrika- und habituelle Paradigmen der als hö- nischer Kulturgüter in französischen herwertig verstandenen Kultur zumeist Museen zu prüfen. Der 132-seitige mit Gewalt durchgesetzt. Auch wenn Bericht attestiert Frankreichs Museums- das Koloniale nicht in allen Fällen der landschaft, während der Kolonialzeit zurückliegenden Menschheitsgeschich- weitestgehend rechtswidrig in Besitz des te den europäischen Politikverbänden Großteils der musealen Sammlungen vorbehalten war – hier ist der Blick gekommen zu sein. Sarr und Savoy ebenso auf kontinentale Auseinander- fordern weiterführend eine Restitution setzung im kolonialen Sinne in Asien der afrikanischen Kulturgüter im Sin- und in den Amerikas zu richten –, so ne einer Rückgabe des unrechtmäßig ist Europa bis heute als politische und ‚erworbenen‘ Eigentums an seine/n ideologische Wurzel des Kolonialen zu rechtmäßige/n Besitzer/in. bezeichnen. Während bereits seit der griechischen und römischen Antike Die Empfehlung zur kritischen Be- verschiedene Formen der kolonialen schäftigung mit der Provenienz der Landnahme bei meist parallel statt- eigenen Sammlungen und der gleichzei- findender ökonomischer (Zwangs-) tigen Verhandlungen über den Umgang Wertschöpfung und Oktroyierung mit den Kulturgütern ließe sich laut kultureller Normen zu beobachten wa- Sarr und Savoy – mitsamt eines in der ren, begann die beinahe mechanische Debatte liegenden, interkulturellen Ausbeutung außereuropäischer Länder Potentials – dabei auch auf andere euro- im späten 15. Jahrhundert. Die ökono- päische Länder übertragen (Sarr / Savoy mischen Ausbeutungspraktiken zielten 2018:10). Aus diesem Grund analysiert zunächst auf Edelmetalle, Gewürze und dieser Beitrag interkulturelle Ansätze im menschliches Kapital in Form von Skla- Hinblick auf die Restitutionsdebatte am ven ab. Später rückten auch ‚exotische‘ Beispiel des belgischen AfricaMuseum Pflanzen, tierische Erzeugnisse und Kul- und nimmt eine kritische Bewertung turgüter (Masken, Instrumente, Klei- der offiziellen Haltung des Museums dung, etc.) in den Fokus der kolonialen vor dem Hintergrund aktuell anhalten- Aneignung – mit weitreichenden Fol- der Debatten um die Restitution von gen: Während immaterielle Wissenssy- Kulturgütern aus Afrika vor. Nach einer steme und -praktiken seit dem Beginn überblicksartigen Genese eurozentri- der Kolonialzeit durch eurozentrische scher Kolonialepistemologien und der Weltanschauungen verdrängt wurden, aktuellen Restitutionsdebatte werden verließen nun auch vermehrt materi- diskursive Äußerungen, die Einbezie- elle Wissensträger den Kontinent. Im hung afrikanischer AkteurInnen sowie Rahmen von militärischen Beutezügen, die Folgen auf eine genuin afrikanische pseudowissenschaftlichen Expeditionen Epistemologie untersucht. Ziel dieses und christlichen Missionen wurden Beitrags ist die Nachzeichnung euro- derartige Kulturgüter insbesondere im zentrischer Kolonialdiskurse über die Verlauf des 19. Jahrhunderts in kaum angebliche Nicht-Existenz afrikanischer

88 interculture journal 18/32 (2019) Wissenssysteme, eine kritische Refle- der zu Beginn der Kolonialzeit freilich xion der von Sarr und Savoy angesto- vorwiegend in den Küstenregionen von ßenen Restitutionsdebatten sowie die Portugal, Spanien, den Niederlanden, Verortung des AfricaMuseum vor dem England und später auch von Frank- Hintergrund dieser Debatten um Auf- reich und Deutschland kontrolliert arbeitung, Versöhnung und Rückgabe. wurde: Während Europa die afrika- In der abschließenden Schlussfolgerung nischen Wissenssysteme sukzessive soll das museale Potential des AfricaMu- absorbierte, prägten einflussreiche und seum hinsichtlich einer interkulturellen, vorwiegend rationalistische Intellektu- eurafrikanischen Dialogizität sichtbar elle wie Voltaire (1664-1778), Georges- gemacht werden. Louis Leclerc de Buffon (1707-1788), 2. Koloniale Vergangenhei- Immanuel Kant (1724-1804), Georg ten, postkoloniale Kontinui- Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) täten: Diskurse über Afrika oder später auch Joseph Arthur Comte von 1480 bis heute de Gobineau (1816-1882) das Bild der kolonialen BewohnerInnen als In der europäischen Geschichtsschrei- Teil einer – sowohl aus biologischer bung wird der Beginn der Kolonialzeit als auch aus kultureller Perspektive zumeist mit der Landung von Chris- betrachtet – ‚niederen Menschenrasse‘. toph Kolumbus auf der mittelameri- Diese Diskurse ebneten damit den Weg kanischen Insel Hispaniola und der einer rassistischen Afrika-Perzeption, ‚Entdeckung‘ der ‚Neuen Welt‘ im Jahre die über die pseudowissenschaftliche 1492 begründet. Doch bereits zehn Rassentheorie im 19. Jahrhundert einen Jahre zuvor wurde mit der Festsetzung Höhepunkt erlebte und in Teilen auch des Handelsstützpunktes Elmina im bis heute nachwirkt. In seinem Werk heutigen Ghana und der Landung des Histoire naturelle (1749) begründete portugiesischen Seefahrers Diogo Çao der französische Botaniker Buffon im Bereich der Kongo-Mündung an der die Einteilung der Menschen in ver- Küste Subsahara-Afrikas der Grundstein schiedene ‚Rassen‘ als naturalistische für die knapp 500 Jahre langanhaltende ‚Systematik‘ zur Kategorisierung der Kolonialära gelegt. Es folgte die Besied- menschlichen ‚Verschiedenheiten‘ (Ho- lung der ‚Neuen Welt‘ in den Amerikas, quet 2014:25-42). Die Beobachtung weitere ‚Entdeckungsreisen‘ europä- menschlicher Differenz basierte in der ischer Seefahrer nach Asien, Afrika und europäischen Ideengeschichte zunächst Australien sowie die Errichtung des grundsätzlich auf der Basis biologischer transatlantischen Dreieckshandels – mit Merkmale wie Hautfarbe, Köpergröße, weitreichenden Folgen für die Bewoh- etc. Besonders problematisch erscheint nerInnen des afrikanischen Kontinents, diese Denktradition bei gleichzeitiger nicht nur in physischer, sondern auch Hinzunahme einer hierarchisierenden in epistemologischer Sicht: Im Zuge des Wertung, die sich mit den biologischen gewaltvollen Auslöschens indigener For- Merkmalsunterscheidungen vermengt men des Lehrens und Lernens in den und Menschen aufgrund der Bewertung afrikanischen Küstenregionen durch eben dieser äußerlichen Merkmale in Mord, Verschleppung und Versklavung eine vorgeblich ‚natürliche Rangord- wurden vorhandene Kulturen des Wis- nung der Menschenrassen‘ einteilt, sens und der Wissensproduktion von wie dies Voltaire – Befürworter der den europäischen Kolonisatoren direkt Sklaverei und des transatlantischen und indirekt verdrängt. Sklavenhandels – im Jahre 1756 im Europäische Gelehrte sorgten in die Essai sur les mœurs et l’esprit des nations Folge mit einem epistemologischen tat: „La race des Nègres est une es- Eurozentrismus für den ideologischen pèce d’hommes différente de la nôtre Unterbau – mit einem zweifachen comme la race des épagneuls l’est des Nachteil für den Kontinent Afrika, lévriers [...]. On peut dire que si leur

89 intelligence n’est pas d’une autre espèce lonisation und nach der formalen que notre entendement, elle est très Beendigung der europäischen Koloni- inférieure“ (Voltaire 1878 [1756]:357). alherrschaft freilich nicht beschlossen, Auch Kant argumentierte in Beobach- sondern hatte sich auf andere, weniger tungen über das Gefühl des Schönen und gewaltvolle und dadurch noch subtiler Erhabenen (1764) mit einer Verknüp- wirkende Bereiche verschoben. Die fung biologischer Merkmale und der Oktroyierung europäischer Demokra- intellektuellen Fähigkeiten: „Die Negers tiekonzepte und Wirtschaftssysteme von Afrika haben von der Natur kein auf die jungen afrikanischen Staaten, Gefühl, welches über das Läppische die Hegemonie europäischer Staaten stiege“ (Kant 1764:253). Knapp 70 in internationalen Organisationen Jahre später schloss sich Hegel den mit Budgetgewalt oder die Dominanz Überlegungen Voltaires und Kants an, ‚westlicher‘ Standards in Kunst und setzte Afrika im Rahmen seiner Vorle- Kultur sind nur einige wenige Beispiele sungen über die Philosophie der Geschich- dieser neokolonialen Entwicklung, die te (1833) mit dem „Geschichtslose[n] eine nahezu ebenso große Gefahr für und Unaufgeschlossene[n]“ (Hegel afrikanische Epistemologien und die 1949:145) gleich und sprach dem ge- wissensbasierte Selbstbehauptung dar- samten afrikanischen Kontinent die stellt wie der gewaltförmige Kulturkon- Existenz einer inhärenten, historio- takt während der Kolonialherrschaft. graphischen Epistemologie mit Nach- Die Herangehensweise der Schule der druck ab. Die dargelegten Ansichten Decolonial Aesthetics ist in diesem Kon- aller genannten Vordenker mündeten text als epistemologische Verschiebung 1853/55 in Gobineaus Schrift mit von künstlerischen und kulturellen dem programmatischen Titel Essai sur Praktiken zu verstehen, die sich dem l’inégalité des races humaines, welche die Kolonialen/der Kolonialität in vielfäl- pseudowissenschaftliche Theorie der tiger Weise gegenüberstellt (Lockward ‚arischen Herrenrasse‘ begründet, die 2014:132). Alex Schlenker zufolge for- wiederum als Grundlage der völkischen dern die Decolonial Aesthetics eben jene NS-Ideologie und der White Supremacy oben genannten ‚modernen‘ Konzepte dient. Kolonialistische Herrschafts- und der europäischen und zugleich eurozen- Verdrängungsstrukturen, die letztlich trischen Denktraditionen heraus. Das nicht einzig auf kulturellen Ebenen Denkkonzept der Decolonial Aesthetics wirkten, sondern insbesondere als Sys- lässt sich dabei als Kritik am ‚rationa- tem der wirtschaftlichen Ausbeutung len‘, epistemologischen Eurozentrismus interpretiert wurden, basieren folglich zu werten, der sich während der Kolo- auf der eben dargelegten rational- nialzeit – wie oben beschrieben – dop- naturwissenschaftlichen Systematisie- pelt negativ auf afrikanische Wissenssy- rung von Menschen. Innerhalb der steme und die Generierung von Wissen europäischen Moderne schuf diese sys- aus genuin afrikanischer Perspektive tematische Einordnung in Verbindung ausgewirkt hat. Laut Schlenker ist die mit der generalisierten Annahme einer Vernunft in diesem Kontext ‚afrikanischen Geschichtslosigkeit‘, ei- [...] nicht die einzige Form, die Welt zu ner ‚läppischen Primitivität‘ und einer verstehen und zu beschreiben; es gibt angeblichen intellektuellen Unterlegen- keine Trennung zwischen Mensch und heit schwierige Startbedingungen für Natur – Geist und Materie; Fortschritt die neuen afrikanischen Staaten, die darf nicht erzwungen und niemandem sich nach ihren Unabhängigkeiten von aufgezwungen werden; Sinn des Lebens knapp 500 Jahren Kolonialherrschaft ist nicht Profitstreben; das Geistige muss mitten einer globalisierten Weltwirt- nicht vom Politischen/Sozialen getrennt schaft wiederfanden. Die Verdrängung erlebt werden; die (westliche) Demokratie afrikanischer Wissensbestände und ist nicht die einzige, auch nicht die am -diskurse war auch nach der Deko- wenigsten schlechte und schon gar nicht

90 interculture journal 18/32 (2019) die beste politische Organisationsform. nialismus auseinandersetzte, bedeutete (2012) dies auch, die Rolle der wenigen afrika- nischen Beteiligten zu hinterfragen, die Eine Reihe an afrikanischen Intellek- direkt oder indirekt vom Kolonialismus tuellen hat sich kurz vor der Dekolo- profitiert hatten. Andererseits wussten nisation und vor allem nach der Unab- auch die ehemaligen Kolonialmächte hängigkeit der meisten afrikanischen aus Europa, kritische Auseinanderset- Staaten mit der Fragestellung einer zungen mit der Kolonialzeit in den ‚Renaissance‘ afrikanischer Denkformen Ex-Kolonien mit den Mitteln der und der postkolonialen Wiederherstel- ökonomischen und politischen Kondi- lung indigenen Wissens beschäftigt: tionalität zu verhindern: Die Vergabe Léopold Sédar Senghor (1906-2001) von ‚westlichen‘ Entwicklungskrediten, postulierte als ‚Dichterpräsident‘ des anderen finanziellen Zuwendungen und Senegals gemeinsam mit seinen ka- das Verteilen von politischer Gunst der ribischen Mitstreitern Aimé Césaire mächtigen Ökonomen, Politiker und (1913-2008) und Léon-Gontran Unternehmer in Europa hing v.a. in Damas (1912-1978) die kulturelle der Ära des Kalten Krieges maßgeblich Selbstbehauptung der AfrikanerInnen vom ‚Westeuropa-treuen‘ Verhalten der sowie der afrokaribischen und afro- afrikanischen Staatschef ab. Eine breit- amerikanischen Diaspora in Form der gestreute und differenzierte Reflexion Négritude. Sekou Touré (1922-1984), der Kolonialvergangenheit hat zwischen Kwame Nkrumah (1909-1972), Juli- afrikanischen und europäischen Akteu- us Nyerere (1922-1999) und Thomas ren – mit einigen wenigen beachtens- Sankara (1949-1987) riefen in Guinea, werten Ausnahmen bspw. in Literatur Ghana, Tansania und Burkina Faso den (Chinua Achebe), Musik (Angélique ‚afrikanischen Sozialismus‘ aus, der auf Kidjo) und Philosophie (Yves-Valentin die Gemeinschaft (Swahili ‚ujamaa‘) Mudimbe) – bis zur Jahrtausendwende als Träger einer sozial und ökonomisch kaum stattgefunden. Viele Aspekte blie- verträglichen Gesellschaft setzte. Jose- ben damit im Sinne der interkulturellen ph-Désiré Mobutu (1930-1997) erhob Dialogizität unausgesprochen, obwohl die ‚authentische Afrikanität‘ und den die Notwendigkeit einer eurafrikani- Rückgriff auf ‚afrikanische Traditionen‘ schen Debatte aus gesellschaftspoliti- zum kulturpolitischen Staatsprogramm scher Sicht laut Sam Kobia maßgeblich in Zaïre. erscheint: History binds the two peoples [Europa Gemeinsam haben alle Konzepte, die und Afrika] together. [...] What happens sich mit Ausnahme der Négritude- to the colonizer, the oppressor after colo- Bewegung aus afrikanischer und afro- nization? Liberation ist not only for the karibischer Sicht sicher kaum als Er- oppressed, but the oppressor, too, should be folgsgeschichten bezeichnen lassen, den set free. How does Europe come to terms Umstand, dass die jahrhundertelange with the violence they have perpetrated Kolonialvergangenheit innerhalb der on others? They must face the past with politisch-philosophischen Ideologien honesty and dignity and not trivialize the kaum reflektiert wurde. Dies mag einer- guilt. Oppression creates bondage for both seits mit der Entstehungsgeschichte der the perpetrator and the victim. As the neuen Denksysteme zusammenhängen, basis for dialogue therefore Europe must die – mit Ausnahme der Négritude – al- be prepared to accept and discuss publicly lesamt unmittelbar nach dem Ende der what Europeans lost by colonizing, ex- Kolonialzeit während der 1960er- und ploiting and oppressing Africa. (2003:69) 1970er-Jahre entstanden. Die gewalt- volle Ära des Kolonialen wurde von Doch mit dem Ende des Kalten Krie- den neuen Machthabern vielerorts zum ges, der ideologischen Neuausrichtung diskursiven Tabu erhoben, denn sobald der Welt und dem ‚Ende der Geschich- man sich mit dem europäischen Kolo- te‘ (Francis Fukuyama) ist hinsichtlich

91 kolonialer Diskurse im Sinne einer Auf- dialogischen Verhandlung der koloni- arbeitung der Kolonialvergangenheit alen Vergangenheiten, postkolonialen sowohl in Afrika als auch in Europa Gegenwarten und post-postkolonialer eine Kehrtwende in Form einer zuneh- Zukünften zwischen Europa und Afri- menden Dialogisierung des eurafrikani- ka, darunter u.a. Wole Soyinka, Chi- schen Geschichte und Beziehungen zu mamanda Adichie (beide aus Nigeria), beobachten (Sarr / Savoy 2018:18-20): Alain Mabanckou (Republik Kongo), Aktivistische Teile der afrikanischen Achille Mbembe (Kamerun) und Diaspora in Europa erheben verstärkt Felwine Sarr (Senegal). seit der Mitte der 1990er-Jahre vieler- orts ihre Stimme und organisieren sich 3. ‚Vers une nouvelle éthique in zivilgesellschaftlichen Vereinigungen rélationelle.‘ Restitution als wie der Initiative Schwarzer Menschen in Teil einer neuen interkultu- Deutschland, der französischen Brigade rellen Dialogizität Anti Négrophobie oder dem Comité pour l’abolition des dettes illégitimes in Bel- Letzterer geriet in den letzten beiden gien, die sich der kritischen Reflexion Jahren vermehrt in die Schlagzeilen europäischer Kolonialgeschichte(n), der europäischer Medien, nachdem der Bekämpfung von Rassismus, der För- Ökonom im Herbst 2018 gemeinsam derung afrikanischer Akteure in Kunst, mit der französischen Kunsthistorikern Politik und Gesellschaft sowie weiteren Bénédicte Savoy einen von Frankreichs antikolonialen Themen widmen. Staatspräsident Emmanuel Macron in Auftrag gegebenes Gutachten veröffent- In den Wissenschaften entwickelten lichte, das die Restitution und damit sich parallel zu diesen zivilgesellschaft- die Rückgabe von einst geraubten Kul- lichen Initiativen die Ansätze der turgütern aus französischen Museen an Postcolonial Studies und der Critical die Rechtsnachfolger der ehemaligen Whiteness, die als kolonialkritische Her- Kolonien empfiehlt. In seinem Werk angehensweisen grundsätzlich von einer Afrotopia (2016) fordert Sarr zudem Nachwirkung der Kolonialvergangen- den Aufbruch in Richtung eines neuen, heit auf die Gegenwart ausgehen, die holistischen Afrozentrismus’ mit genuin dichotome Einteilung der Welt in ‚weiß afrikanischen Ideen, Konzepten und = zivilisiert vs. schwarz = unzivilisiert‘ Wissenssystemen in Ökonomie, Politik zu dekonstruieren versuchen und auf und Kultur. Dies sei ohne einen Rück- eine rassifizierte Machtdifferenz in allen bezug auf das eigene afrikanische (Ko- Lebensbereichen aufmerksam machen. lonial-)Erbe allerdings nicht möglich Gleichzeitig sind auch in der afrikani- (Sarr 2016:89). Das eigene Erbe dürfe schen Politik, der Philosophie und der dabei nicht vollständig negiert, sondern Kunst seit dem Beginn der 1990er-Jah- müsse so entstaubt werden, „[...] pour re kolonialkritische Äußerungen, Kon- n’en conserver que le fondamental, le zepte und Ideologien zu beobachten, vital, le fécond [...]“ (Sarr 2016:44). mit steigender Tendenz: Nachdem der Sarr betrachtet das Konzept der ‚Ent- Aktivist Nelson Mandela (1918-2013) wicklung‘ in diesem Kontext als episte- im Jahre 1994 als erster schwarzer Po- mologisch bremsendes, neokoloniales litiker in das Amt des südafrikanischen Instrument zur Verbreitung ‚westlicher Präsidenten gewählt wurde und mit Werte‘ (2016:21ff.) und sieht in der seiner Politik der gegenseitigen – d.h. Folge die Notwendigkeit einer afrikani- dialogischen – Vergebung und Versöh- schen Selbstbefreiung unter der Voraus- nung den Übergang vom rassistischen setzung einer ‚immateriellen und spi- Apartheid-System hin zu einer gleich- rituellen Restitution‘: Der afrikanische heitsorientierten Demokratie ermög- Kontinent müsse die Rückgabe von lichte, folgen mit der Jahrtausendwende Macht, Wissen und (Selbst-)Bewusst- einflussreiche afrikanische Meinungs- sein mit dem ‚Westen‘ verhandeln, um führerInnen mit Ansätzen einer neuen Afrikas günstige Potentiale innerhalb

92 interculture journal 18/32 (2019) der durchaus realisierbaren Utopie, der Herkunftsnachweis auszustellen oder auf Afrotopia, auszuschöpfen. andere Weise zu nutzen. Sie müssen sich bewusst sein, dass dies als Duldung und Als Anstoß zur Weiterentwicklung Förderung des illegalen Handels mit Kul- dieser von Sarr angedeuteten Debatte turgütern aufgefasst werden kann. um die Restitution von Wissen und [...] Wissensträgern wird eine vielbeachtete 6.1 Zusammenarbeit Rede von Macron in der Hauptstadt [...] Die Möglichkeit des Aufbaus von Burkina Fasos am 28. November 2017 Partnerschaften mit Museen in Ländern betrachtet. Hier hatte Macron unter oder Gebieten, die einen bedeutenden Teil Beifall der anwesenden Burkinabé ihres Erbes verloren haben, ist zu prüfen. verkündet: „Je veux que d’ici cinq ans 6.2 Rückgabe von Kulturgütern les conditions soient réunies pour des Museen sollten bereit sein, in einen Dia- restitutions temporaires ou définitives log bezüglich der Rückgabe von Kulturgü- du patrimoine africain en Afrique“ tern an ihre Herkunftsländer oder -völker (Elysée 2018). Nur knapp ein Jahr nach zu treten. Der Dialog sollte unparteiisch Macrons Rede erschien schließlich der [...] geführt werden. Bericht von Sarr und Savoy, der sich [...] explizit kritisch mit der Situation der afrikanischen Kulturgüter in französi- 6.7 Nutzung von Sammlungen aus beste- schen Museen auseinandersetzten sollte. henden Gemeinschaften In ihren Ausführungen gehen Sarr und Die museale Nutzung von Sammlungen Savoy zunächst von der Grundannahme aus bestehenden Gemeinschaften erfordert aus, dass sich „la quasi-totalité du patri- Respekt vor der Würde des Menschen so- moine matériel des pays d’Afrique situés wie vor den Traditionen und Kulturen, au sud du Sahara“ (2018:3) außerhalb in denen die enthaltenen Gegenstände des afrikanischen Kontinents befinde. Verwendung finden. Derartige Sammlung In der Folge hätten die allermeisten sollen genutzt werden, um durch das Ein- AfrikanerInnen aus sozioökonomischen treten für soziale, kulturelle und sprach- Gründen keinen Zugang zu ‚ihren‘ Kul- liche Vielfalt das Wohlergehen der Men- turgütern (Sarr / Savoy 2018:3), weil schen, soziale Entwicklung, Toleranz und sich nur sehr wenige Bewohner Afrikas Respekt zu fördern. (ICOM 2006:19-23) den Weg nach Europa in die Museen Die Richtlinien des ICOM erscheinen leisten können, obgleich alle Menschen, einerseits als konstruktive Ansätze eines eben auch AfrikanerInnen, ein „droit ethisch verträglichen Umgangs mit au patrimoine“ (Sarr / Savoy 2018:3) Kulturgütern ohne Herkunftsnachweis, besäßen. beschränken sich aber als Empfeh- lungen ohne verbindlichen Charakter Dieses droit au patrimoine berücksich- weitestgehend auf eben jene Objekte tigt der weltweit größte Museumsver- ohne gesicherte Provenienz. Sarr und band International Council of Museums Savoy gehen in ihrer Studie jedoch (ICOM) in seinen Ethik-Richtlinien, einen Schritt weiter: Im Kern der Ar- die 1986 erstmals verabschiedet und gumentation sprechen die beiden Au- 2004 überarbeitet wurden, zur Her- torInnen die Forderung aus, diejenigen kunft von Sammlungen und zum Res- Kulturobjekte aktiv an die Regierungen pekt vor Gemeinschaften, denen die der Rechtsnachfolger in den ehemaligen Museen dienen. In Bezug auf die Resti- afrikanischen Kolonien zurückzuge- tution von Kulturgütern verpflichten ben, die während der Kolonialzeit im sich die ICOM-Mitglieder zur Einhal- Rahmen von Militäroperationen, wis- tung folgender Richtlinien: senschaftlichen Expeditionen, durch 4.5 Ausstellung von Objekten ohne Her- Angehörige der Kolonialverwaltungen kunftsnachweis oder nach 1960 in anderweitig rechts- Museen sollten vermeiden, Gegenstände widriger Form angeeignet wurden fragwürdigen Ursprungs oder solche ohne (Sarr / Savoy 2018:43-53). Im vorge-

93 schlagenen Kriterienkatalog sind alle sociétés actuelles et à leurs contemporainé- Objekte, die vor 1960 unten den oben tés. C’est à ces communautés qu’il revient genannten Bedingungen in Afrika de définir leur vision du patrimoine, les gesammelt wurden, schnellstmöglich dispositifs épistémologiques et les écologies, zu restituieren (Sarr / Savoy 2018:53). nécessairement pluriels, dans lesquels elles Diese Forderung hat in der Folge eine souhaitent insérer ces objets. (2018:27) z.T. emotional aufgeladene Debatte Sarr und Savoy berufen sich auf den initiiert, die insbesondere in der franzö- französischen Anthropologen Benoît de sischen Wissenschaft und im Feuilleton L’Estoile, wenn sie dem Akt der Rück- der Tageszeitungen, kurze Zeit später gabe der Kulturobjekte bereits per se ein auch verstärkt in Deutschland geführt interkulturelles Potential zuschreiben wurde (vgl. bspw. Fleischhauer 2019). (Sarr / Savoy 2018: 33) und die Ansicht Das wesentliche Argument der Kritike- vertreten, dass eine materielle Mobili- rInnen, die eine Restitution vollständig tät dieser Objekte historisch gezogene oder in Teilen ablehnen, sind der an- Grenzen zwischen Europa und Afrika geblich schlechte Zustand afrikanischer zu überwinden versucht (Sarr / Savoy Museen, fehlende finanzielle Mittel und 2018: 32). Dabei dienen die Restituti- nicht vorhandene personelle Ressour- on sowie bereits die reine Beschäftigung cen, um die Konservierung der zurück- mit den Fragen der Provenienz und geführten Objekte zu gewährleisten. der möglichen Rückgabe geraubter Dabei wird oftmals argumentiert, dass Kulturobjekte als Teil einer diskursiven das tropische und subtropische Klima ‚Machtergreifung‘ der genuin afrikani- in Afrika dazu beitragen würde, die scher Wissenssysteme sowie Bevölke- Umstände der objektgerechten Konser- rungen Afrikas und somit als Chance vierung zu erschweren. Dem entgegnen für afrozentrische Ansätze und die Re- Sarr und Savoy, dass die einzelnen Etablierung jener marginalisierten Wis- afrikanischen Staaten bei einer Rück- senssysteme: „Les refléxions sur les re- gabe geraubter Kulturgüter dynamisch stitutions exigent aussi de démystifierles kompetent mit der Situation umgehen conceptions occidentales du patrimoine könnten, denn et de la conversation“ (Sarr / Savoy 2018: 28). Die von Sarr und Savoy vor- [...] la situation des musées en Afrique geschlagene restitutive Vorgehensweise est loin d’être aussi désastreuse qu’on la ist demnach eine klare Absage an den présente. Elle varie considérablement kulturimperialistischen Eurozentrismus d’un pays à l’autre [...]. L’histoire des res- mit seinen ebenso eurozentrischen Epi- titutions montre que, lorsque les œuvres stemologien. Die geforderte Rückgabe reviennent, les États s’organisent pour les afrikanischer Kulturgüter ist in die- accueillir convenablement et mettent en sem Kontext nicht als reine materielle œuvre les politiques infrastructurelles adé- ‚Enteignung‘ europäischer Museen zu quates [...]. (2018:28f.) betrachten, sondern soll als Instrument Laut Sarr und Savoy sei Restitution in des Austausches einen diskursiven der Folge mehr als nur ein materieller ‚Dritten Raum‘ für eine interkulturelle Akt der Rückgabe; die beiden Autoren Dialogizität zwischen Europa und Afri- sehen die Restitution vielmehr als Teil ka konstituieren. einer interkulturellen Erinnerungsar- 4. Das renovierte AfricaMuse- beit: um – Provenienz, afrozentri- sche Perspektiven und Resti- Il s’agit donc, pour les pays africains, tution? d’accomplir une double tâche de recon- struction de leur mémoire et de réin- Das AfricaMuseum im belgischen Tervu- vention de soi, par une re-sémantisation ren besitzt als ehemaliges afrikanisches et une resocialisation des objets de leur Kolonialmuseum grundsätzlich eben patrimoine, en reconnectant ceux-ci aux jenes Potential, den diskursiven ‚Dritten

94 interculture journal 18/32 (2019) Raum‘ für die beschriebene interkul- critical perspective on the colonial past. turelle Dialogizität zwischen Belgien (Gryseels 2018a:23) und der ehemaligen Kolonie Congo Weiter heißt es bei Gryseels: „Nowa- belge (heute: Demokratische Republik days, the museum has distanced itself from Kongo) herzustellen. Die museale In- colonialism as a form of government and stitution wurde im Jahre 1897/98 von accepts responsibility for the part it played Leopold II. (1835-1909), König der in the past in disseminating stereotypes Belgier und von 1885 bis 1908 Privat- about Africa“ (Gryseels 2018b:9). An- besitzer des Etat indépendant du Congo, spruch und Wirklichkeit liegen jedoch als Forschungseinrichtung gegründet, weit auseinander, wie eine kritische um in einer Zeit der anhaltenden Ab- Analyse der neukonzipierten Ausstel- lehnung gegenüber jedweder koloni- lung im Hinblick auf die Provenienz alen Unternehmung in der belgischen der Objekte und die Beteiligung afrika- Bevölkerung pro-koloniale Propaganda nischer Wissensträger deutlich macht. zu betreiben. Die Akzentuierung der öffentlichen Ausstellung lag dement- Das AfricaMuseum verfügt heute über sprechend von Beginn an auf einer po- eine Sammlung mit über 125.000 sitiven Inszenierung der ‚philanthropi- ethnographischen Objekten, 9.000 schen Zivilisierungsmission‘ der Belgier Musikinstrumenten und knapp zehn bei gleichzeitiger Betonung der angeb- Millionen biologischen Exponate aus lichen ‚afrikanischen Geschichtslosig- den ehemaligen Kolonialgebieten in keit‘ und Inferiorisierung afrikanischer Zentralafrika (Verbergt 2018:43). Vor Wissenssysteme. Die systematische mu- dem Hintergrund der belgischen Ko- seale Präsentation der angeblichen eu- lonialherrschaft im Kongo verstört der ropäischen Überlegenheit wurde in den unkritische Verweis auf die ‚erfolgrei- Forschungsdisziplinen Ethnologie und che‘ Gründungsgeschichte des Muse- Genetik explizit pseudowissenschaftlich ums und den beispiellosen Umfang des begründet und bis zum Beginn des 21. Museumsbesitzes von Seiten des Public- Jahrhunderts beibehalten (Bobineau Relations-Direktor im AfricaMuseum, 2018:217-226). Jean Muteba Rahier Bruno Verbergt: spricht hierbei von einem „[...] typical It was such an overwhelming success that European narrative of national history Leopold decided to turn the colonial exhi- and national/imperial identity in terms bition into a permanent one [in 1897]. of white supremacy, and scientific ra- So the Musée du Congo was founded a cism“ (Rahier 2003:74). Im Jahre 2013 year later, in 1898. In other words, we’ve wurde das Museum für umfassende been amassing the collection and welcom- Renovierungsarbeiten mit einem Bud- ing visitors here for 120 years. That collec- get in Höhe von 66 Millionen Euro tion is now the largest in the world on the geschlossen, um im Dezember 2018 subject of Central Africa. (2018:43) wiedereröffnet zu werden (vgl. die Re- Die Herkunft dieser musealen Objekte zension der Dauerausstellung in Bobi- ist größtenteils bis heute ungeklärt, wie neau 2019). In der offiziellen Rhetorik Verbergt betont: „Nobody attached des Museums dominiert im Anschluss much importance to the way in which an die Wiedereröffnung das Leitmotiv these things [die Vielzahl der musealen des (selbst)kritischen Neuanfangs, wie Objekte] were acquired“ (2018:43). Es von Guido Gryseels, Museumsdirektor ist davon auszugehen, dass der Groß- seit 2001, propagiert: teil der Sammlung des AfricaMuseum It felt it was important for these working während der Kolonialzeit rechtswidrig groups to include an African perspec- angeeignet wurde. Ein Beispiel stellt tive too, from members of the African die Piroge mit einer Länge von 23 diaspora and from African institutions. Metern dar, die sich im unterirdischen [...] We wanted to become a museum Tunnel zu Beginn der Dauerausstel- about contemporary Africa with a new lung befindet. Der Einbaum wurde

95 dem belgischen Ex-König Leopold Sarr-Savoy-Berichtes, so liegt die Be- III. (1901-1983), der 1951 im Zuge weispflicht für den lückenlosen Prove- der Kontroverse um die belgische Ka- nienznachweis und den rechtmäßigen pitulation 1940 als König abgedankt Erwerb bei den ausstellenden Institu- hatte, laut Museumsarchiv im Jahre tionen. 1957 von BewohnerInnen im Kongo vorgeblich geschenkt. Zweifel an dieser Die Teilhabe von afrikanischen Stake- Darstellung mit konkretem Bezug zur holdern an Konzeption, Organisation kolonialen Erwerbspraxis sind bis heute und musealem Alltag ist neben der Ob- angebracht, weil die Provenienz der jektprovenienz ein weiterer wichtiger Piroge laut Verbergt nicht zweifelsfrei Anknüpfungspunkt bei der Frage nach nachgewiesen werden konnte: den Potentialen des AfricaMuseum zur Entwicklung einer interkulturellen Dia- But had the inhabitants really given it as logizität. Bereits in der Vergangenheit a ‚gift‘? Or were they required to do so by wurde das Museum für die fehlende their white superiors? Had they really felt kulturelle Diversität insbesondere auf grateful to the ex-king of Belgium? And, if den Ebenen des Managements kritisiert so, what for? This is phraseology that had (vgl. Technopolis Group 2015:5). Im crept into our stories on the back of our Zuge der Umgestaltung hat die Leitung Western perceptions, but for which there des AfricaMuseum in Ansätzen auf die was actually no evidence whatsoever – Kritik reagiert und die Beteiligung der nor, indeed, any evidence for the reverse kongolesischen Diaspora in Belgien in point of view, that the Congolese people Aussicht gestellt, die von deren Ver- might have been forced to donate this ca- treter Billy Kalonji im Vorfeld zudem noe. (2018:44) vehement eingefordert wurde: „We [the African diaspora] felt the truth that the Die Argumentation Verbergts wirft an museum was proclaiming had to be dieser Stelle eine entscheidende Frage replaced with the truth being experi- auf: Ist es museumsethisch vertretbar, enced in Africa, which is little known“ Objekte auszustellen, deren ordnungs- (2018:52). Im Zuge der Eröffnung gemäße Herkunft nach heutigen recht- erhob Didier Reynders, Außen- und lichen und moralischen Maßstäben Vizepremierminister Belgiens, diese nicht eindeutig geklärt werden kann? Denkweise zu einer dem Museum inhä- Letztlich beantwortet ein fundierter renten Programmatik: Blick in die oben bereits zitierten An AfricaMuseum must be there to repre- Richtlinien des internationalen Muse- sent Africa and thus must work together umsverbandes ICOM die gestellte Fra- with Africans. The institution’s new name ge, denn „Museen sollten vermeiden, – the AfricaMuseum – symbolises that Gegenstände fragwürdigen Ursprungs vision. [...] It also means that the people oder solche ohne Herkunftsnachweis associated with this history, first and auszustellen oder auf andere Weise zu foremost the people of Africa themselves, nutzen“ (ICOM 2006:19). Als Mitglied must be granted access to their heritage im ICOM-Nationalkomitee Belgium and that the diaspora also be involved. Flanders hat sich im Übrigen auch das (2018:18) AfricaMuseum verpflichtet, die ICOM- Richtlinien einzuhalten (vgl. ICOM In der Folge hat das Diaspora-Ver- Belgium Flanders 2019). Gleichzeitig einigung Comité MRAC-Associations rechtfertigt Verbergt den Besitz und die africaines (COMRAF) den Umbau Ausstellung musealer Objekte mit der beratend begleitet. Überdies steuerte Erklärung, dass weder der rechtmäßige Aimé Mpané, kongolesischer Diaspora- noch der unrechtmäßige Erwerb be- Künstler mit Hauptwohnsitz in Brüssel, wiesen werden könne. Doch folgt man die antikoloniale Skulptur Nouveau der Argumentation der ICOM-Richt- souffle ou Le Congo Bourgeonnant in linien und auch der Forderungen des der Rotunde, dem ehemaligen Haupt-

96 interculture journal 18/32 (2019) eingang, bei und bildet damit einen offensichtlich als Alibi-Referenz. Eine Kontrast zu den kolonialrassistischen, tatsächliche, inhaltsstiftende Beteili- doch denkmalgeschützten Statuen des gung auf der Ebene der wissensprodu- belgischen Bildhauers Arsène Matton. zierenden MeinungsführerInnen scheint Allerdings berichtet Kalonji als Reprä- auf Seiten der Museumsleitung offenbar sentant der afrikanischen Diaspora von nicht erwünscht. einer mangelnden Wertschätzung und Positiv bewerten ließen sich allenfalls Integration afrikanischer Wissenssyste- die zahlreichen Partnerschaften des me im Rahmen der Neukonzeption des AfricaMuseum mit afrikanischen Insti- Museums: tutionen im Rahmen der kulturellen We’ve been recognized by the museum as Entwicklungszusammenarbeit, die ‚stakeholders‘ who ‚also have a say‘ and maßgeblich von der staatlichen Coopé- are ‚allowed‘ to put forward their own ration belge au Développement (DGD) vision. This is not enough, of course, and getragen werden. Laut Jahresbericht these limitations might even undermine 2017 realisierte das AfricaMuseum „[...] real change. But if we want change, we de nombreux projets de recherche conjoin- have to be part of it. (2018:53) tement à des institutions africaines, Auf eine entsprechend limitierte Teilha- soutient la participation africaine à des be und den hohen, epistemologischen conférences scientifiques, mène des activi- Wert einer stärkeren Inklusion afrikani- tés de sensibilisation, organise des stages scher MitarbeiterInnen weist auch der pour des étudiants africains et favorise Wachmann des AfricaMuseum, Lazare l’accès à l’information“ (AfricaMuseum Jéris Bungu di Mbonga Labo, hin: 2018:83). Als Beispiele für das Jahr 2017 werden weiterführend ein Projekt I was one of the few black people work- zur Erforschung von historischen Geo- ing as security at the museum. Now and Daten in der Kivu-Region, ein Vorha- then, a trainee from the Congo would pass ben zum Kampf gegen Fruchtfliegen by me. But that was it. It would be bet- auf Obst- und Gemüseplantagen sowie ter if there were a few more black people die Förderung von 78 Einzelpersonen working in the museum, including visitor aus Afrika zu Fortbildungszwecken guides. They’re the ones who know the sowohl in Tervuren als auch an afrika- Congo and Africa the best. (2018:137) nischen Partnerinstitutionen genannt (AfricaMuseum 2018:83f.). Die Finan- Kalonji betont in diesem Kontext wei- zierung erfolgte in allen Fällen über das terführend, dass die Integration afri- Budget der belgischen Entwicklungshil- kanischer Epistemologien in das (Wis- fe-Agentur DGD. sens-)Konzept des AfricaMuseum nicht mit dem Abschluss der Renovierungsar- 5. Schlussbetrachtung beiten beendet werden könne: Im Rahmen der Nord-Süd-Koopera- tionen im Speziellen und der wissen- I’d like to know how many Africans will spraktischen Ausrichtung des Africa- be working here as visitor guides. Not Museum im Allgemeinen stellen sich many, judging by what I see at the mo- jedoch folgende essentielle und genuin ment. How many African employees are epistemologische Fragen, die zugleich there? How many Africans are work- eine ökonomische Dimension haben ing for this scholarly institution? How und sich nicht nur auf die Beurteilung many books by African authors do you der internationalen Zusammenarbeit, see in the museum shop? It is really only sondern ebenso auf die Bewertung der white people who are experts in the field? Neukonzeption des AfricaMuseum in (2018:52f.) Tervuren anwenden lassen: Wer domi- Vor dem Hintergrund von Kalonjis und niert bei der Wissensproduktion? Wer Mbonga Labos Aussagen wirkt die Ein- gibt das produzierte Wissen an wen beziehung der afrikanischen Diaspora weiter? Wer finanziert die Kooperation?

97 Wer legt die Ausschreibungskriterien Afrotopia identifiziert: für die Projektförderung fest? Wer wählt Les enjeux culturels, économiques, dé- die zu fördernden Projekte final aus? mographiques et politiques auxquels font Wer definiert Entwicklungsstandards? face les nations africaines sont tels qu’ils Überträgt man diese Fragen auf das appellent une révolution des paradigmes AfricaMuseum, wird deutlich, dass et des pratiques. [...] La contribution du Wissensproduktion und Diskurshoheit capital immatériel dans la richesse des in allen Fällen belgischen Meinungs- nations contemporaines est devenue si im- führerInnen obliegt und afrikanische portante, que l’on parle désormais d’éco- Wissenssysteme eine untergeordnete nomies fondées sur le savoir. (2016:99) Rolle spielen. Durch diese nach wie vor Insbesondere im Sinne der Re-Etablie- eurozentrische Dominanz entsteht ein rung einer neuen, genuin afrikanischen epistemologisches Gefälle, welches eng und nicht-eurozentrischen Epistemo- an ökonomische Prinzipien der Bud- logie in Afrika ist die Restitution der gethoheit, der Entwicklungszusammen- Kulturgüter, die im erweiterten Sinne arbeit und des Projektmanagements als Wissensträger und -systeme funktio- gebunden ist. nieren, von außerordentlich großer Be- Es bleibt demnach festzuhalten, dass deutung, auch ökonomisch. Verweigert das AfricaMuseum über das Potential man Afrika nun die Rückgabe afrikani- zum eurafrikanischen Dialog und damit scher Kulturgüter oder ignoriert gar die zur postkolonialen Interkulturalität Debatte um eine mögliche Restitution, nach Sarr und Savoy verfügt, dieses Po- so ergäbe sich aus epistemologischer tential aufgrund einer nach wie vor feh- Sicht ein zweifach-negative Konse- lenden kritischen Selbstreflexion kaum quenz: einerseits würde eine bornierte oder nicht ausreichend ausschöpft. Die Debattenverweigerung die Kontinuität schwache Einbindung afrikanischer und der kolonialen Oppression und Bevor- speziell kongolesischer Wissenssysteme mundung bedeuten, während man die in Form von entsprechenden Wissen- unabhängigen afrikanischen Länder strägern im Management, in der wis- andererseits um die Chance brächte, senschaftlichen Hintergrundarbeit und ihre ureigenen Wissenssysteme und im musealen Alltag begünstigt dabei -bestände neu zu ordnen und afrozen- die einseitig-eurozentrische Perspektive trisch zu re-etablieren. auf die gemeinsame Kolonialgeschichte. 6. Literatur Die unausgesprochene Weigerung, Ob- jekte aus der während der Kolonialzeit AfricaMuseum (2018): Rapport annuel größtenteils geraubten Sammlung über- 2017. Tervuren: RMCA. haupt als Raubgut anzuerkennen und Bobineau, J. (2018): Koloniale Dicho- zu restituieren, erscheint dabei als läh- tomien und museale Praxis. Das Musée mender Faktor auf dem Weg zu einer royal de l’Afrique Centrale in Tervuren postkolonialen Versöhnung zwischen zwischen Vergangenheit und Neuan- ehemaliger Kolonialmacht und der ehe- fang. In: Bischoff, S. u.a. (Hrsg.): Bel- maligen Kolonie. Vor dem Hintergrund gium is a beautiful city? Resultate und der kolonialen Unterdrückung indi- Perspektiven der Historischen Belgienfor- gener Epistemologien und der gleich- schung. Münster: Waxmann, S. 217- zeitigen Negierung deren Existenz u.a. 226. durch Voltaire, Buffon, Kant und Hegel Bobineau, J. (2019): Rezension zu: scheint sich die eurozentrische Hege- AfricaMuseum, 09.12.2018 Tervuren monie von der Ebene der gewaltvollen (Belgien). URL: www.hsozkult.de/exhi- Oppression während der Kolonialzeit bitionreview/id/rezausstellungen-328 hin zu einer diskursiv-ökonomischen [Zugriff am 24.06.2019]. Vorherrschaft europäischer Ideen im postkolonialen Zeitalter entwickelt zu Elysée (2018): Un an après le discours de haben, die auch Sarr in seinem Werk Ouagadougou. URL: https://www.ely-

98 interculture journal 18/32 (2019) see.fr/emmanuel-macron/2018/11/28/ Kant, I. (1764): Beobachtungen über un-an-apres-le-discours-de-ouaga- das Gefühl des Schönen und Erhabe- dougou [Zugriff am 12.06.2019]. nen. In: ders.: Vorkritische Schriften. Bd. II, Akademieausgabe, S. 205-225. Fleischhauer, J. (2019): Erbe des Kolonialismus. Warum afrikanische Kobia, S. (2003): What should Ger- Kunst in Europa bestens aufgehoben ist. mans and/or Europeans know about URL: https://www.spiegel.de/politik/ African problems/issues that inform ausland/raubkunst-museen-koennen- and direct public discourse in Africa fremde-kunst-und-kultur-bewahren- today?“ In: Imunde, L. (Hrsg.): Sensibel kolumne-a-1247390.html [Zugriff am für Afrika. Wahrnehmung afrikanischer 12.06.2019]. Transformationsvorgänge. Rehburg-Loc- cum: Evangelische Akademie Loccum, Gryseels, G. (2018A): This will fire S. 69-77. your enthusiasm for Africa. In: Africa- Museum (Hrsg.): The Making of. The Lockward, A. (2014): Black Europe Renovation of the Royal Museum for Cen- Body Politics: Towards an Afropean tral Africa. Tervuren: BAI, S. 23-27. Decolonial Aesthetics. In: Thomas, D. (Hrsg.): Afropean cartographies. New- Gryseels, G. (2018B): From the Mu- castle upon Tyne: Cambrigde Scholars sée du Congo to the AfricaMuseum: Publishing, S. 132-146. a metamorphosis. In: AfricaMuseum (Hrsg.): The Making of. The Renovation Mbonga Labo, L. J. B. (2018): ,When of the Royal Museum for Central Africa. I closed the museum doors, the tears Tervuren: BAI, S.9. were running down my face‘. In: Afri- caMuseum (Hrsg.): The Making of. The Hegel, G. W. F. (31949 [1833]): Vor- Renovation of the Royal Museum for Cen- lesungen über die Philosophie der tral Africa. Tervuren: BAI, S. 136-137. Geschichte. In: ders. Sämtliche Werke, Hrsg. von Hermann Glockner. Mit Rahier, J. M. (2003): The Ghost of einem Vorwort von Eduard Gans und Leopold II: The Belgian Royal Museum Karl Hegel. Bd.11. Stuttgart: From- of Central Africa and Its Dusty Colo- mans Verlag. nialist Exhibition. Research in African Literatures 31(1), S. 58-84. Hoquet, T. (2014): Biologisation de la race et racialisation de l’humain: Reynders, D. (2018): United and free Bernier, Buffon, Linné. In: Bancel, N. of taboos. In: AfricaMuseum (Hrsg.): / David, T. / Thomas, D. (Hrsg.):L’in - The Making of. The Renovation of the vention de la race. Des représentations Royal Museum for Central Africa. Tervu- scientifiques aux exhibitions populaires, ren: BAI, S. 17. Paris: La Découverte, S. 25-42. Sarr, F. (2016): Afrotopia. Paris: Phi- ICOM (2006): Ethische Richtlinien für lippe Rey. Museen von ICOM. 2. überarbeitete Sarr, F. / Savoy, B. (2018): Rapport Auflage der deutschen Version. Paris: sur la restitution du partimoine cultu- ICOM. rel africain. Vers une nouvelle éthique ICOM Belgium Flanders (2019): relationelle. URL: http://restitutionre- Musea. URL: http://www.icom-bel- port2018.com/sarr_savoy_fr.pdf gium-flanders.be/musea/ [Zugriff am [Zugriff am 12.06.2019]. 16.05.2019]. Schlenker, A. (2012): Kolonialität, Kalonji, B. (2018): Ridding the mu- Dekolonilität und Decolonial Aesthe- seum of colonialism is unfinished busi- tics. URL: https://heimatkunde.boell. ness. In: AfricaMuseum (Hrsg.): The de/2012/12/18/kolonialitaet-dekolonia- Making of. The Renovation of the Royal litaet-und-decolonial-aesthetics [Zugriff Museum for Central Africa. Tervuren: am 16.05.2019]. BAI, S. 51-53.

99 Technopolis Group (2015): Evaluation of the Royal Museum for Central Africa. URL: https://www.africamuseum.be/ sites/default/files/media/about-us/peer- review/Peer_Review_Research.pdf [Zu- griff am 19.06.2019]. Verbergt, B. (2018): Not only a physi- cal renovation but also a mental one. In: AfricaMuseum (Hrsg.): The Making of. The Renovation of the Royal Museum for Central Africa. Tervuren: BAI, S. 43-47. Voltaire (1878 [1756]): Essai sur les mœurs et l’esprit des nations. In: ders.: Œuvres complètes de Voltaires. Bd. 11- 13. Paris: Garnier.

100 interculture journal 18/32 (2019) 101 102 interculture journal 18/32 (2019) Oper und Afrika – (post-)koloniale Verstrickungen und interkulturelle Wechselwirkungen am Beispiel von Meyerbeers L’Africaine in Halle / Lübeck

Opera and Africa – (Post-)Colonial Entanglements and Intercul- tural Interactions at the Example of Meyerbeer’s L’Africaine in Halle and Lübeck

Natascha Ueckmann Abstract (Deutsch) 2018/19 wurde an der Oper Halle Giacomo Meyerbeers Grand opéra L’Africaine radi- PD Dr., Wissenschaftliche kal neu inszeniert. In europäisch-afrikanischer Zusammenarbeit gilt es den kolonialen Mitarbeiterin am Institut für Ro- Blick des Werks zu dekonstruieren und als Ausgangspunkt für eine Neubewertung der manistik im Bereich Kulturwis- europäisch-afrikanischen Beziehungen und eine Re-Afrikanisierung des Stücks in vier senschaft an der Martin-Luther- Etappen zu nutzen. Ausgehend von einer Betrachtung der (post-)kolonialen Bezüge und Universität Halle-Wittenberg seit Verstrickungen (in) der Oper seit dem späten 18. Jahrhundert analysiert der Beitrag die 2018. Im Jahr 2000 Promotion Hallenser Inszenierung, auch in Bezug auf andere aktuelle Bearbeitungen von Meyer- an der Universität Osnabrück, beers Werk, und diskutiert sie im Kontext der aktuellen Afrika-Renaissance und neu zu 2011 Habilitation an der Univer- denkender Kulturbeziehungen zwischen Afrika und Europa. sität Bremen. Ihre Forschungs- schwerpunkte sind: Karibik- und Schlagwörter: Oper, postkolonial, Afrika, kulturelle Zusammenarbeit, interkulturelle Diasporaforschung, Postkolonia- Interaktion, kulturelles Gedächtnis le Literatur- und Kulturtheorien; Gender Studies, Rezeption der Abstract (English) Aufklärung im transatlantischen L‘Africaine, Grand opéra by Giacomo Meyerbeer’s (1865), was radically restaged at the Raum, Transkulturelles Gegen- opera of Halle (Germany) in 2018/19. Through a close European-African cooperation, wartstheater. the project aimed at deconstructing the colonial gaze to work on new perspectives on Christoph Vatter the relationalities between Europe and Africa. This process was organized around an attempt to “re-africanize” Meyerbeer’s L’Africaine in four steps. In this contribution, we Dr., vertritt seit 2017 die Profes- illustrate the (post-)colonial entanglements of and in operas since the late 18th century sur für Romanische Kultur- und as well as the ongoing interest in Africa and current theoretical propositions of re-think- Landeswissenschaften an der ing the cultural relations between Europe and Africa to analyze the production at the Martin-Luther-Universität Halle- opera of Halle in the light of other recent representations of Meyerbeer’s Grand opéra in Wittenberg. Außerdem lehrt und Germany. forscht er im Bereich interkul- turelle Kommunikation an der Keywords: Opera, postcolonial, Africa, cultural cooperation, intercultural interaction, Universität des Saarlandes. Zu cultural memory seinen Forschungsschwerpunk- ten gehören interkulturelle Kommunikation und interkul- turelles Lernen, frankophone Medien- und Kulturwissenschaft, Frankophonie (insb. Québec und frankophones Afrika), kulturelle Diversität und Erinnerungskul- turen.

103 1. Einleitung mit den Regie- und Dramaturgie-Ver- antwortlichen Lionel Poutiaire Somé, Die interkulturellen Beziehungen Michael von zur Mühlen und Philipp zwischen Ländern des subsaharischen Amelungsen ausführlich in einem In- Afrikas und dem globalen Norden, ins- terview gesprochen, das im Anschluss besondere auch Europa, befinden sich an diesen Beitrag abgedruckt. Zunächst in einem intensiven Aushandlungspro- soll jedoch ein Blick auf den aktuellen zess. Neben politisch-ökonomischen Kontext der europäisch-afrikanischen und humanitären Feldern, bei denen Kulturbeziehungen sowie die Rolle der vor allem die Frage der Migration den Oper geworfen werden. Dabei sollen öffentlichen Diskurs beherrscht, rückt exemplarisch Formen der interkulturel- auch die Kultur als wesentlicher Bereich len Aneignung und der postkolonialen der afrikanisch-europäischen interkultu- Auseinandersetzung mit der Gattung rellen Zusammenarbeit zunehmend ins Oper aufgezeigt werden, die die be- Zentrum der Debatte, in der die fran- trachtete Inszenierung aufgreift und kophonen Kulturen aus Subsahara-Afri- weiterführt. Schließlich wird das Pro- ka sehr präsent sind. Hierfür erscheinen jekt der Oper Halle im Zusammenhang vor allem zwei aktuelle Entwicklungen mit anderen zeitgenössischen Inszenie- als relevante Faktoren: Zum einen rungen der L’Africaine näher betrachtet. rücken die ästhetisch-künstlerischen Produktionen aus frankophonen afrika- 2. Oper und/in Afrika nischen Ländern verstärkt ins Interesse der transnationalen Medien- und Pop- Africa rising (Ernst / Ntivyihabwa kultur, was auf der kulturtheoretischen 2019) – die so betitelte Fernsehdoku- Ebene durch viel beachtete Wortergrei- mentation des Kultursenders arte steht fungen frankophoner Intellektueller symptomatisch für ein gesteigertes In- begleitet wurde; zum anderen wurde die teresse an Afrika, vor allem in der trans- Debatte maßgeblich durch das Thema nationalen Popkultur. Die Stimmen des Umgangs mit Artefakten aus den Schwarzer Künstler*innen verschiede- ehemaligen Kolonien in europäischen ner Disziplinen finden zunehmend Ge- Museen befeuert. hör und bringen ihre Perspektiven aktiv ein, so dass sie weit über eine eventuelle In diesen Zusammenhang schreibt sich exotistische Faszination hinaus Teil die Neuinszenierung von Giacomo kultureller Diskurse werden. Auch die Meyerbeers Grand Opéra L’Africaine regelmäßige Afropop-Kolumne in der an der Oper Halle ein, die sich in post- Süddeutschen Zeitung kann als Beispiel kolonialer Perspektive mit dem Werk für diese Konjunktur im deutschen auseinandersetzt und es mit einem Sprachraum angeführt werden. Be- europäisch-afrikanischen Team in vier merkenswert ist, dass in den letzten Etappen hinterfragt, kommentiert und Jahren vor allem auch Künstler*innen schließlich dekonstruiert und sozusa- aus dem subsaharischen frankophonen gen ‚re-afrikanisiert‘. Das Projekt zielt Afrika international Beachtung finden. so auf eine kritische Aufarbeitung der Diese verbinden häufig europäische Kolonialgeschichte und der Rolle der (z.T. auch nordamerikanische) und afri- kulturellen Medien und Institutionen kanische Einflüsse und sind auch auf ab; gleichzeitig erprobt die Inszenierung beiden Kontinenten präsent, wie z.B. neue Formen europäisch-afrikanischer die Musiker Maître Gims oder Disiz. Kooperation im Kultursektor und wirft Dies unterstreicht auch das Konzept des sowohl Fragen der Form und Ästhetik „Afropéanisme“ (Miano 2008, Gunst / als auch der interkulturellen Interak- Kanobana 2017), das die engen afrika- tion und Zusammenarbeit zwischen nisch-europäischen Verflechtungen in Künstler*innen aus beiden Kontinenten den Vordergrund rückt und beispiels- auf. Über die Hallenser Inszenierungen weise für in Frankreich aufgewachsene von Meyerbeers L’Africaine haben wir afrodeszentende Autor*innen Anwen- dung findet.

104 interculture journal 18/32 (2019) Diese neue Dynamik im künstlerischen / Savoy 2018), stellt sich die Frage des Bereich wird in der post- und dekolo- Umgangs mit dem kolonialen Erbe in nialen Kulturtheorie in der jüngeren Europas Museen in besonders virulenter Vergangenheit durch viel beachtete Pu- Art und Weise. Denn Sarr und Savoy blikationen frankophoner afrikanischer kommen zu dem Schluss, dass nur eine Intellektueller wie Felwine Sarr, Achille bedingungslose Rückgabe die Basis für Mbembe oder Souleymane Bachir eine Neubestimmung der europäisch- Diagne begleitet, die für eine neue Sicht afrikanischen Beziehungen sein kann. auf (und aus) Afrika und eine Neube- Dazu zählt auch die Frage des Umgangs stimmung der europäisch-afrikanischen mit den fraglichen kulturellen Objek- Beziehungen plädieren.1 In Erweiterung ten, in die die europäisch-afrikanischen der historischen Dimension afrikani- Verflechtungen inhärent eingeschrieben schen intellektuellen Engagements im sind. kolonialen Raum (Lüsebrink 2002) erreichen diese Positionen auch inter- 2.1. Die Oper als Agentin nationale Beachtung – sicherlich auch kultureller Kolonialisierung aufgrund von Übersetzungen in andere Sprachen2 – und werden als Modelle Während diese Herausforderungen für für ein transkulturelles Miteinander die europäischen Museen – in Deutsch- diskutiert. Bei aller Unterschiedlichkeit land v.a. im Zusammenhang mit dem der verschiedenen Ansätze erscheint Berliner Humboldt-Forum – die ak- eine grundsätzliche Anerkennung der tuelle Debatte dominieren, scheinen wechselseitigen Verstrickungen in den andere Kulturbereiche wie Literatur, Nord-Süd-Beziehungen, die nicht nur Film oder Theater weniger im Vor- als einseitige Abhängigkeiten gedacht dergrund zu stehen. Der Bereich der werden können, die Voraussetzung zu klassischen Musik und der Oper spielt sein für eine Neubestimmung und rela- dabei kaum eine Rolle. Dabei handelt tional-reziproke Weiterentwicklung der es sich zwar um Gattungen, die im europäisch-afrikanischen Beziehungen. subsaharischen Afrika kaum Fuß fassen konnten, die aber dennoch maßgeblich Neben transnationalen Tendenzen in am europäischen Projekt der kulturellen der Populärkultur, die sich bspw. mit Kolonisierung beteiligt waren, sowohl einem wachsenden Bewusstsein für die als „Exportartikel“ und Vehikel für die Teilhabe und Partizipation Schwarzer internationale Verbreitung des kulturel- Akteur*innen in der Filmbranche ma- len Überlegenheitsanspruchs Europas nifestieren – Black Panther (2018) sowie als auch als Projektionsfläche für exo- die Oscar-Prämiierung von Moonlight tistische Fantasien und Imaginationen (2016) zählen zu den prominente- kolonialer Beziehungen. Opernhäuser sten Beispielen –, ist die europäische wie das Teatro Amazonas in Manaus Debatte im kulturellen Feld vor allem (Brasilien, 1896) und in Kairo (1869) von der Frage des Umgangs mit afri- fungierten so beispielsweise als Agenten kanischen Artefakten (und z.T. auch der Kolonialisierung und Distinktion in menschlicher Überreste) in europä- der Kolonialgesellschaft – ein Prozess, ischen Museen und Sammlungen sowie der in Werner Herzogs Film Fitzcar- ihrer Restitution geprägt. Ausgehend raldo (1982), in dem der von Klaus von dem Bericht, den der senegalesische Kinski verkörperte Protagonist Sweeney Wirtschafts- und Kulturwissenschaftler Fitzgerald/Fitzcarraldo wie besessen für Felwine Sarr und die in Deutschland die Verwirklichung seines Traums eines und Frankreich lehrende Kunsthistori- Opernhauses im peruanischen Urwald kerin Bénédicte Savoy im Auftrag des kämpft, filmisch bearbeitet wurde. französischen Präsidenten Emmanuel Macron verfasst haben und der mittler- Seit dem 18. Jahrhundert setzte die weile in französischer, englischer und Oper auch immer wieder koloniale deutscher Sprache verfügbar ist (Sarr und exotistische Vorstellungswelten

105 in Szene (Bara 2010)3: So beruhte der Eine Ausnahme stellt v.a. Südafrika da, Erfolg von Élisca ou l’amour maternel dessen Kulturinstitutionen sich nach (Favières / Grétry 1799) maßgeblich Ende des Apartheid-Systems öffneten, auf einer opulenten exotischen Kulis- so dass nun mehr und mehr Schwarze se; weitere Beispiele sind die Opern- Opernsänger*innen, wie z.B. Pretty adaption von Paul et Virginie (Favières Yende oder Pumeza Matshikiza, die / Kreutzer 1791) nach dem Roman von internationalen Bühnen erobern (Fleury Bernardin de Saint-Pierre, Les Créoles 2018; Hillériteau 2016). Aus dem fran- (Lacour / Berton 1826) oder auch kophonen Afrika finden sich dagegen Le Code noir (1842), die der Libret- nur wenige Beispiele wie der kongolesi- tist Eugène Scribe auf Grundlage der sche Countertenor Serge Kakudji.5 Anti-Sklaverei-Novelle Les épaves4 von Fanny Reybaud (1838) konzipierte. Dass das Genre der Oper historisch Dem Zeitgeist verpflichtet, greift die tendenziell eher als „weiß“ markiert komische Oper des 19. Jahrhunderts ist, mag auch dazu beigetragen haben, immer wieder auf die Attraktivität dass sich trotz einer fehlenden kultu- exotistischer Szenarien zurück, die rellen Tradition zahlreiche Spuren der sich aus kolonialen Erfahrungen und postkolonialen Auseinandersetzung mit Imaginationen speisen und diese in dem europäischen Musiktheater finden kreativ-freier Art und Weise weiterent- lassen. Ein herausragendes Beispiel ist wickeln. So inszeniert beispielsweise die réécriture von Brechts Dreigroschen- die Oper Lakmé (Délibes / Gondinet / oper bzw. John Gays The Beggar’s Opera Gille 1883), die auf Pierre Lotis Tahiti- durch den nigerianischen Literaturno- Roman Rarahu ou le Mariage de Loti belpreisträger Wole Soyinka. In seiner (1880) beruht, ein romantisch-exoti- Opera Wonyosi (1977) setzt er sich mit stisches Indienbild. Während Verdis dem Thema Macht und den afrikani- Aida (1871) sicherlich das bekannteste schen Präsidenten-Potentaten auseinan- Beispiel dieses Genres darstellt, han- der und zeichnet ein satirisches Bild des delt es sich bei Giacomo Meyerbeers zentralafrikanischen Diktators Bokassa. Grand Opéra in fünf Akten L’Africaine, Der südafrikanische Komponist Mzi- die – wie zuvor schon die dreiakti- likazi Khumalo präsentierte 2001 mit ge Opéra Comique Le Code noir – Princess Magogo die erste Oper auf Zulu auf einem Libretto von Eugène Scribe – ein Stück über das Leben der gleich- basiert und die 1865 in der Pariser namigen Komponistin und Interpretin Oper Premiere hatte, wohl um das für traditioneller Zulu-Musik. Das Projekt die europäisch-afrikanischen Beziehun- der Überführung westafrikanischer 6 gen prägnanteste und spektakulärste Traditionen ins Musiktheater steht im Werk. Zentrum von Bintou Wéré – un opéra du Sahel, die 2007 zuerst in Bamako, dann 2.2. Oper in Subsahara- im Théâtre du Châtelet in Paris unter Afrika I – postkoloniale der künstlerischen und musikalischen Aneignungen Leitung des senegalesischen Sängers Wasis Diop uraufgeführt wurde. Bintou Während die Oper in Europa sich Wéré entstand in Folge des Vorschlags also in thematischer und ästhetischer Prinz Claus der Niederlande, der 1996 Hinsicht immer wieder auf die Kolo- ein internationales Opernprojekt auf nialbeziehungen und damit auch auf Basis der reichen künstlerischen Tradi- Afrika bezog und als Institution an der tion der Länder der Sahelzone anregte. kulturellen Kolonialisierung teilhatte, Die Oper mit der von Zé Manel Fortes spielt sie als Genre in Subsahara-Afrika (Guinea-Bissau) komponierten Musik bis heute praktisch keine Rolle, v.a. auf- und einem Libretto von Koulsy Lamko grund vielfach fehlender institutioneller (Tschad) entstand als internationales Voraussetzungen (Ausbildungsstätten, Kollektivprojekt, das in interdiszipli- Ensembles, Aufführungsorte etc.). nären Workshops von Künstler*innen

106 interculture journal 18/32 (2019) aus sechs Ländern entwickelt wurde. hel-Landes verknüpft. Das Operndorf Thematisch verbindet das Werk die Afrika versteht sich als „Plattform für kulturellen Traditionen der Region mit interkulturelle Austauschprogramme zeitgenössischen Themen. So ist die Ti- und relevante postkoloniale Diskurse, telheldin eine Kindersoldatin, die sich die ein neues und differenziertes Bild aus ihrem Dorf auf den Weg macht, um von Afrika sichtbar macht“ (Operndorf die spanische Enklave Melilla zu errei- Afrika). Schlingensief (2009) postuliert chen und ihr Kind auf europäischem einen „erweiterten Opernbegriff“, der Boden zu gebären – um es schließlich sich vom westlichen Opernverständ- doch nicht über den Grenzzaun, son- nis löst und eher ein interkulturelles dern zurück in die Obhut Afrikas zu Theater aus der produktiven Interak- geben. Ein weiteres Opernprojekt mit tion europäischer und afrikanischer westafrikanischem Hintergrund ist Ki- Akteur*innen bezeichnet: rina, das 2018 in Marseille uraufgeführt Jedenfalls toben wir alle gemeinsam rum und dann sowohl auf verschiedenen eu- und stemmen alles auf die Bühne. Das ropäischen Bühnen als auch in Ouaga- wäre dann eine Art Transformationskas- dougou zu sehen war. Diese zeitgenös- ten. Und ich erhoffe mir, dass diese Über- sische Oper der malischen Musikerin blendungen von Bildern und Texten ver- Rokia Traoré wurde in Burkina Faso, schiedener Kulturen neue Währungen im Mali und Belgien entwickelt und ist von der Geschichte des mittelalterlichen System erzeugen. Dann präsentieren wir Malireichs inspiriert. das Ergebnis hier in Deutschland, topfen die Sache gleichsam um. Dadurch, dass 2.3. Oper in Subsahara- sich jemand anmaßt, etwas aus Afrika Afrika II – Abgrenzungen hier zu präsentieren, entstehen vielleicht und postkoloniale Neu- diese Überblendungswährungen. Da bestimmungen muss ich noch mehr drüber nachdenken. (Schlingensief 2009: 40) Neben diesen Formen der interkulturel- len Aneignung des Genres Oper durch Schlingensiefs Operndorf soll so einen afrikanische Kunstschaffende sind kri- Raum eröffnen für „interkulturelle Aus- tische Auseinandersetzungen mit und handlungsprozesse“ (Lehmann 2015) Abgrenzungen von der kolonialen Di- und die Entwicklung neuer Bilder von mension der Oper zu verzeichnen, von und über Afrika bzw. aus Afrika, die denen das von Christoph Schlingensief althergebrachte Repräsentationsstra- in Burkina Faso initiierte „Operndorf“ tegien und ihnen zu Grunde liegende das bekannteste Beispiel darstellt. Das Machtstrukturen durchbrechen. Eine sich seit der Grundsteinlegung 2010 wichtige Rolle dabei spielen für Schlin- stets in Weiterentwicklung befindliche gensief spirituelle Übergangsrituale (van Projekt, das seit dem Tod des Künstlers der Horst 2013: 130f.), wie sie auch in 2010 von einer gemeinnützigen GmbH der Hallenser L’Africaine eingesetzt wer- unter Leitung von Schlingensiefs Wit- den.7 Zu den weiteren künstlerischen we Aino Laberenz weitergeführt wird, Strategien gehört die Umkehrung des grenzt sich von der Transplantation eu- europäisch-afrikanischen Verhältnisses, ropäischer Opernhäuser in (ehemalige) um gleichsam durch eine Exotisierung Kolonien ab und verfolgt vielmehr das Europas postkoloniale Kontinuitäten Ziel, traditionell hochkulturelle Vorstel- offenzulegen (Bleuler 2018).8 lungen gegen den Strich zu bürsten und das Projekt Oper im gesellschaftlichen Das Projekt um Meyerbeers L’Africaine, Alltag neu zu verankern, wie auch der das im Zentrum dieses Beitrags steht, zunächst paradox anmutende Name knüpft an diese postkolonialen Aneig- „Operndorf“ suggeriert, der ein Medi- nungs- und Abgrenzungsprozesse um um der (städtischen) Hochkultur mit das Genre Oper und seine koloniale dem Dorfleben eines afrikanischen Sa- Tradition an.

107 3. L’Africaine (1865) von madagassische Sklav*innen. Sie dienen Giacomo Meyerbeer ihm als Beweis, dass er in Ostafrika bzw. Indien war. Dennoch wird Vasco Seit 2011 erlebt Giacomo Meyerbeers da Gama eine weitere Entdeckungsreise Grand Opéra L’Africaine (1865) in vom Klerus verweigert, woraufhin er Deutschland eine bemerkenswerte Re- so ausfallend wird, dass er als Ketzer naissance. Den 1791 als Jakob Meyer hingerichtet werden soll. Er wird zu- Beer in Berlin geborenen jüdischen sammen mit den beiden vermeintli- Komponisten, der vor allem in Frank- chen Sklav*innen in die Kerker der reich große Erfolge feierte, suchte Inquisition geworfen. Inès kann eine man bis dahin meist vergebens in den Begnadigung erwirken, indem sie sich Spielplänen deutscher Opernhäuser. auf eine von ihrem Vater eingefädelte Im Schatten von Richard Wagner und Heirat mit Vasco da Gamas Kontrahen- durch die Nationalsozialist*innen ten Don Pedro einlässt. Vasco startet nachhaltig verunglimpft und verdrängt, im Anschluss, zusammen mit Sélika gelangt nun insbesondere seine letzte und Nélusko, eine erneute Expedition Oper L’Africaine wieder auf die deut- nach Afrika. Während eines Sturmes schen Bühnen (Jungheinrich 2018). Für läuft das Schiff – durch das Eingreifen Giacomo Meyerbeer, der ebenso wie von Nélusko – auf Klippen. Es kommt sein Librettist Eugène Scribe die Urauf- durch die dortige lokale Bevölkerung zu führung von L’Africaine in Paris nicht einer Befreiungsaktion von Sélika und mehr erleben konnte, wäre diese späte Nélusko; die portugiesischen Seeleute Rehabilitierung eine Genugtuung. Um kommen in Gefangenschaft. Indem Sé- das hier im Mittelpunkt stehende ex- lika vorgibt Vasco sei ihr Gatte, kann sie perimentelle Opernprojekt in Halle zu ihn und Inès retten. Denn Sélika, be- würdigen, ist ein erster Blick auf andere reits entpuppt als afrikanische Königin aktuelle Inszenierungen von L’Africaine (von Madagascar?), liebt heimlich ihren in Deutschland aufschlussreich. ‚Besitzer‘ Vasco. Aus diesem Grund rettet sie ihn vor dem Tod, aber Vasco Die Handlung von L‘Africaine soll hier- liebt Inès, seine portugiesische Verlobte. für kurz skizziert werden. Hintergrund Sélika gibt die beiden Liebenden bzw. der Opernhandlung ist eine Fünfecks- Conquistador*innen frei, damit sie geschichte zwischen drei Männern und nach Portugal zurückkehren können. zwei Frauen in wechselnden Liebesver- In der Schlussszene, welche in Sélikas strickungen: dem Seefahrer Vasco da Königreich spielt, nimmt sich die afri- Gama, seinem Widersacher Don Pedro, kanische Titelfigur aus Liebeskummer der portugiesischen adligen Admirals- das Leben. „In der imaginierten Fremde tochter und Vascos Verlobter Inès, der aus Indien bzw. Afrika kommenden Kö- findet man doch nur wieder das bürger- nigin Sélika und ihrem Diener Nélusko. liche Beziehungsdreieck, mehr ist nicht Die Oper spielt in Lissabon, auf dem vorstellbar“, so resümiert Chefdrama- Meer und im Königreich der Titelfigur turg Michael von zur Mühlen. Wieder- in den Jahren 1497-1498. L’Africaine holt sind es bezeichnenderweise die bei- bezieht sich auf die historischen Reisen den Frauenfiguren, die Vasco da Gama des portugiesischen Seefahrers Vasco da das Leben retten. Durch das ‚Happy Gama (ca. 1469-1524), der als erster End‘ für die weißen Protogonist*innen Europäer auf dem Seeweg um das Kap ist auch die Gefahr der ‚Rassenmi- der Guten Hoffnung in Indien ankam. schung‘ gebannt. Die Oper illustriert Dies markiert auch den Beginn des so ungewollt bzw. unbewusst die transatlantischen Sklavenhandels und Konsequenzen eines internalisierten der Kolonisierung. In der Oper bringt Rassismus und die Unmöglichkeit einer Vasco da Gama von seiner Expedition interracial relationship in einer kolonial die beiden Afrikaner*innen Sélika und und patriarchal organisierten Gesell- Nélusko mit nach Europa, scheinbar schaft, denn Rassismus – wie Françoise

108 interculture journal 18/32 (2019) Massardier-Kenney zur Verbindung von aktuellen Flüchtlingsdebatte und mit Gender und ‚Race‘ analysiert – ist auf- religiösem Fanatismus, bewahrt aber auf grund der Reproduktion ökonomischer der Inszenierungsebene ein exotistisches Interessen durch Heirat aufs engste mit Setting. In Frankfurt am Main wurde patriarchalen Werten verknüpft (vgl. 2018 die Oper unter dem Doppeltitel Massardier-Kennedy 1994: 191). L’Africaine/Vasco da Gama unter der Leitung von Tobias Kratzer aufgeführt. 3.1. Zeitgenössische Insze- Es ist nach Les Huguenots in Nürnberg nierungen von L’Africaine / und Le Prophète in Karlsruhe seine Vasca da Gama in Deutsch- dritte große Meyerbeer-Inszenierung. land (Würzburg 2011, Kratzer entfernt sich konsequent von Chemnitz 2013, Berlin 2015, der historischen Darstellung: Während Frankfurt/M. 2018) die Original-Oper rund 350 Jahre vor ihrer Entstehungszeit spielt, findet die Im Rahmen der Wiederentdeckung Handlung in der Frankfurter Insze- des bis dahin gerade in Deutschland nierung – praktisch auf der Zeitachse wenig bekannten Bühnenwerks fei- gespiegelt – 350 Jahre danach in der erte L’Africaine zunächst 2011 in der Zukunft, also im 22. Jahrhundert statt. Regie von Gregor Horres Premiere in Die portugiesischen Seefahrer steuern Würzburg. Dieter Stoll hält dazu fest, hier Raumschiffe und erobern fremde dass das Mainfranken Theater sich Sonnensysteme und die afrikanische „fast vierstündig im Grenzbereich der Titelheldin ist ein blaugefärbter Alien eigene[n] Ressourcen [bewegt]. Großes – angelehnt an den Film Avatar; Star Orchester, großer Chor, große Stimmen Trek, Star Wars, 2001: A Space Odyssey für übergroße Gefühle“ (Stoll 2011). und Gravity lassen ebenfalls grüßen. 2013 eröffnete dann Chemnitz das „Große Oper und großes Kino in ideal- ‚Wagnerjahr‘ (Richard Wagners 200. typischer Liaison.“ (Jungheinrich 2018) Geburtstag) mit der Oper von Meyer- Das Meer wird als endloses All interpre- beer (Regie: Jakob Peters-Messer) unter tiert. Begründet wird dieser Futurismus dem ursprünglich vom Komponisten auch im Zusammenhang mit Jules vorgesehenen Titel Vasco da Gama und Vernes Roman De la terre à la lune, der verweist damit maßgeblich auf die im selben Jahr wie die Uraufführung historisch belegte Figur des europä- 1865 erschienen war und der schon ischen Seefahrers – und eben nicht auf damals die europäische Kolonialisie- eine fiktive Figur wie die imaginierte rung als nahezu komplett abgeschlossen ‚Afrikanerin‘ Sélika. Es ist die mutige diagnostizierte. Der einstige Bootsfahrer Erstaufführung der kritischen Neuaus- Vasco da Gama steuert nun rücksichtlos gabe von Jürgen Schläder, der eine Art sein Raumschiff durch ferne Galaxien, 9 Version letzter Hand rekonstruierte. In die ihm letztlich fremd bleiben. Re- den Kritiken zur fünfstündigen Insze- gisseur Kratzer lässt Geschichts- und nierung werden lobend die gelungenen, Zukunfts-pessimismus zusammenfal- ausgedehnten Ballett- und Gesangsein- len; das Gegeneinander der Kulturen lagen hervorgehoben. Die Grand Opéra scheint sich fortzusetzen. als Blockbuster avant la lettre werde auf diese Weise eindrucksvoll umgesetzt. 3.2. L’Africaine postkolo- 2015 inszenierte die Deutsche Oper nial an der Oper Halle und Berlin ebenfalls in der revidierten Fas- Lübeck (2018-2020) sung von Jürgen Schläder unter dem Titel Vasco da Gama die Oper als Auf- Ein europäisch-afrikanisches Produk- takt eines Meyerbeer-Zyklus (Amling tionsteam10 hat in mehreren Etappen 2015, Pullinger 2015). Die Regisseu- Meyerbeers Oper L’Africaine radikal rin Vera Nemirova unterstreicht die überarbeitet: von September 2018 bis politischen und religiösen Konflikte Juni 2019 erlebte die Oper Halle vier des Werkes und verbindet sie mit der verschiedene Aufführungen. Zur Spiel-

109 Abb. 1: Kolonialgeschichtlicher Dialog: Verweis auf Sarah Bartmann (L’AFRICAINE IV: NISALB LIÈFO - Verwandlung), Bühnen Halle / L'Africaine / Foto: Falk Wenzel

Abb. 2: Europäische Opernbilder unter (afrikanischer) Beobachtung (L’AFRICAINE I: FOTOUONA DJAMI YÉLÉ - Auseinandersetzung mit den Ahnen), Bühnen Halle / L'Africaine / Foto: Falk Wenzel

110 interculture journal 14/25 (2015) Abb.3: Performer*innen auf der Opernbühne (L’AFRICAINE I: FOTOUONA DJAMI YÉLÉ - Auseinandersetzung mit den Ahnen), Bühnen Halle / L'Africaine / Foto: Falk Wenzel

Abb. 4: L’Africaine ‚afrikanisieren‘?: Lionel Poutiaire Somé in L’AFRICAINE IV: NISALB LIÈFO (Verwandlung), Bühnen Halle / L'Africaine / Foto: Falk Wenzel

111 zeit 2019/2020 wanderte das Projekt Mitteln entgegenzuwirken. Entgegen nach Lübeck, wo zeitgleich eine neue der dominierenden Geschichtsschrei- Filmoper mit dem Titel L’Européenne bung, das Deutsche Reich sei nur ein entsteht.11 Diese Umkehrung der Per- ‚später‘ oder ‚marginaler‘ kolonialer spektive kommt schließlich 2020/21 Akteur gewesen, gibt es eine lange, erneut nach Halle. Entwickelt wurde aber weniger bekannte Geschichte das Opernprojekt im Rahmen von I like der Teilhabe deutschen Kapitals und Africa and Africa likes me – I like Europe deutschen Wissens an Kolonialismus and Europe likes me.12 Das in vielfacher und Versklavung.14 Zum anderen ist Hinsicht ausgezeichnete und grenz- das Opernprojekt eine Auseinander- überschreitende vom Fonds Doppelpass setzung mit Reinigungsritualen eines der Kulturstiftung des Bundes geför- anderen Kulturkreises, denn die vier derte Projekt entspricht genau dem Aufführungen basieren auf vier Etap- experimentellen, multiperformativen pen eines Transformationsrituals aus Zugang des nur noch bis 2021 verant- Westafrika, konkret des Volkes der Da- wortlichen Opernintendanten Florian gara: L‘AFRICAINE I: FOTOUONA Lutz – die Bühnen Halle haben Anfang DJAMI YÉLÉ (Auseinandersetzung mit 2019 beschlossen, seinen Vertrag nicht den Ahnen), L‘AFRICAINE II: BOO zu verlängern (Petraschewsky 2019).13 A SAN PKAMINÉ (Versöhnung), Lutz hinterfragt in origineller Weise L‘AFRICAINE III: PIIR A SIÈN (Rei- die Grenzen der Kunstgattung Oper, nigung), L‘AFRICAINE IV: NISALB ihrer Repräsentationsformen und ihre LIÈFO (Verwandlung). Diese spiri- heutige Relevanz. Die Inszenierung von tuellen und transzendentalen Bezüge L’Africaine an der Oper Halle verbin- westafrikanischer Kultur ernst zu neh- det auf interkontinentale Weise nicht men, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, nur Theaterformen wie Oper, Perfor- zumal für Europäer*innen, die Religion mance und Reenactment, sondern auch häufig durch Rationalität ersetzt und Protagonist*innen, kulturelle Räume sich aus christlichen Bezügen weitge- und historische Ereignisse. Statt einer hend gelöst haben. Ziel des Prozesses ist einzigen Meistererzählung kommen es, an der Entkolonialisierung Europas plurale Geschichten, künstlerische Stile mitzuwirken und dieses künstlerische und divergente Erinnerungskulturen und lyrische Werk als ‘Dokument’ der zum Vorschein. Durch die kreative europäischen Kolonialgeschichte zu Mobilisierung einer Vielzahl von Re- analysieren. präsentationsformen verlebendigt dieses Theaterprojekt eine beeindruckende Jenseits der bestimmenden konven- Multiperspektivität. Es verbindet politi- tionellen Dreiecksgeschichte um sche Botschaften mit ästhetischen Inter- Vasco, Inès und Sélika erweitert das ventionen. Guido Müller schreibt dazu: Produktionsteam sein postkoloni- „Der Besucher stelle sich einfach vor, er ales Inszenierungsprojekt um zwei sei noch nie mit Wagner in Berührung historische Schlüsselfiguren des 19. gekommen und treffe auf eine um mehr Jahrhunderts: dem in Paris gefeierten als die Hälfte zerstückelte Götterdäm- deutsch-jüdischen Komponisten Giaco- merung, die von Isländern in Hinblick mo Meyerbeer setzen sie Saartjie/Sarah auf Wagners nordische Mythen seziert Baartman an die Seite – eine Frau aus würde.“ (Müller 2018) Südafrika aus dem Volk der Khoikhoi, ausgestellt in Europa aufgrund ihrer Das Hallenser Opernprojekt ist zum anatomischen Besonderheiten; sie war einen eine fordernde Auseinanderset- auch bekannt unter dem pejorativen zung mit der in Deutschland noch Beinamen Hottentotten-Venus. Diese immer verdrängten und unterdrückten beiden Figuren – Repräsentant*innen eigenen Kolonialgeschichte. Erklärtes für Oper und ‘Menschenzoo’ – nehmen Ziel der Macher*innen ist es, der ko- als Ahn*innen aktiv teil, um Zeugnis lonialen Amnesie mit künstlerischen über Operngeschichte und Kolonialge-

112 interculture journal 18/32 (2019) schichte und deren Interdependenzen (post-)kolonialen Auseinandersetzung und Verflechtungen abzulegen. der europäischen Oper mit Afrika in produktiver und innovativer Art und Die Oper, mittels Guckkastenbühne Weise fort. Sie regt dazu an, die europä- oder Illusionstheater inszeniert, wird isch-afrikanische kulturelle Zusammen- selbst zum Objekt eines Perspektiv- arbeit für die Erprobung neuer ästheti- wechsels (Häußner 2019). So zielt die scher und formaler Wege zu nutzen und erste Aufführungsetappe auf eine weit- gemeinsam eine Neubestimmung der gehend ‚werktreue’ Inszenierung der wechselseitigen Beziehungen aus der Grand Opéra von Meyerbeer, eine In- Geschichte und ihrer Aufarbeitung – szenierung, die über große Bildschirme auch die Rolle der Kunst im kolonialen von einer Gruppe von Afrikaner*innen Projekt – zu entwickeln. Dieser Prozess angeschaut wird. Afrika blickt gewisser- beschränkt sich nicht nur auf die Kom- maßen auf eine exotische Vorstellung munikation zwischen Kunstschaffenden von Afrika. Die übliche Blickhierarchie und Publikum bzw. Gesellschaft, son- wird so auf den Kopf gestellt. dern bezieht auch die interkulturelle Am Ende von L’AFRICAINE I ver- Dimension der Zusammenarbeit zwi- lässt die Gruppe der afrikanischen schen Künstler*innen aus Afrika und Performer*innen die Position des Be- Europa mit ein. obachtens, um von der Bühne Besitz zu 4. Literatur ergreifen und um die gesamte Inszenie- rung in Frage zu stellen. Sie installieren Amling, U. (2015): Irrweg nach Indien: ein „Akephalisch reguliertes anarchisti- Vasco da Gama an der Deutschen Oper sches Komitee zur Entkolonisierung des Berlin. Der Tagesspiegel, 06.10.2015. Geistes“, dieses Komitee ist inspiriert URL: https://www.tagesspiegel. von den „Wahrheits- und Versöhnungs- de/kultur/vasco-da-gama-an-der- kommissionen“, mit denen Südafrika deutschen-oper-berlin-irrweg-nach- unter Nelson Mandela versucht hat die indien/12409654.html [Zugriff am Verbrechen der Apartheid aufzuarbei- 19.07.2019]. ten. In den ersten Teilen von L’Africaine sind es die Weißen, die singen und die Bara, O. (2010): Figures d’esclaves à Schwarzen, die als Störende interve- l’opéra. Du ”Code noir” à ”L’Africaine” nieren, dabei ausschließlich mit der d’Eugène Scribe (1842- 1865), les gesprochenen Sprache ausgestattet. Die contradictions de l’imaginaire libéral. Oper befindet sich so in Konfrontation In: Moussa, S. (Hrsg.): Littérature et mit dem Sprechtheater. In der vierten esclavage, XVIIIe-XIXe siècles. Paris: Des- Inszenierungsetappe im Juni/Juli 2019 jonquères, S. 110-123. erscheinen die Performer*innen auf der Bühne und hinterfragen den gesamten Bleuler, M. (2018): Raum der un- Prozess, nämlich die Oper ‚afrikanisie- überwindbaren Differenz? Christoph ren‘ zu wollen. Das Ganze müsse be- Schlingensiefs Arbeit in Afrika und das endet werden; Afrika lasse sich so nicht Operndorf-Residency 2016. In: Bleuler, erfahren, dafür müsse man dorthin. M. / Moser, A. (Hrsg.): ent/grenzen. Und wenn Vasco da Gama – immer Künstlerische und kulturwissenschaftliche einen Globus in der Hand haltend – Perspektiven auf Grenzräume, Migration seine große Arie „Pays merveilleux“ und und Ungleichheit. Bielefeld: transcript, die Königin Sélika „O temple magni- S. 171–193. fique!“ singen, sei der kolonialistische Unsinn für ein paar Momente egal, Brahm, F. / Rosenhaft, E. (Hrsg.) wahrscheinlich weil die Musik so schön (2016): Slavery Hinterland: Transatlan- sei (o.A. 2019). tic Slavery and Continental Europe, Die Hallenser Inszenierung von 1680-1850, Woodbridge-Rochester, L’Africaine schreibt die Tradition der NY: Boydell Press.

113 Brandenburg, D. (2019): Applaus! Die liche-auf-spurensuche-in-bremen?p=all wichtigsten Ergebnisse der DdB-Au- [Zugriff am 20.08.2019]. torenumfrage zur Saison 2018/19. Die deutsche Bühne (8), S. 62-67. Gunst, R. / Kanobana, R. (2017): The reign of Afropeanism. URL: https:// Chalaye, S. (2002): Du Noir au nègre : www.bozar.be/en/activities/123647- l’image du Noir au théâtre (1550-1960). the-reign-of-afropeanism---roland- Paris : L’Harmattan. gunst-sibo-kanobana [Zugriff am 20.08.2019]. Conrad, S. (2012): Deutsche Kolonialge- schichte. München: C.H. Beck. Häußner, W. (2019): Halle: L’Africaine – Vierteiliges Opernprojekt nach der Degn, C. (2003) [1984]: Die Schimmel- Grand Opéra von Giacomo Meyerbeer manns im atlantischen Dreieckshandel. – Premiere von Teil III. Online Merker. Gewinn und Gewissen. Neumünster: Die internationale Kulturplattform 29. Wachholtz. März 2019. URL: https://onlinemer- ker.com/halle-lafricaine-vierteiliges- Diagne, S.B. / Amselle, J.-L. (2018): En opernprojekt-nach-der-grand-opera- quête d’Afrique(s). Universalisme et pen- von-giacomo-meyerbeer-premiere-von- sée décoloniale. Paris : Albin Michel. teil-iii/ [Zugriff am 19.07.2019].

Ernst, M. (2013): Ein Drama auf hoher Hillériteau, T. (2016): L’Afrique à See mitten in Sachsen – Chemnitz wagt la conquête de l’opéra. Le Figaro sich an Meyerbeers ‚Afrikanerin‘. nmz 19.09.2016. URL: http://www.lefi- online 04.02.2013. URL: https://www. garo.fr/musique/2016/09/19/03006- nmz.de/online/ein-drama-auf-hoher- 20160919ARTFIG00209-l-afrique-a- see-mitten-in-sachsen-chemnitz-wagt- la-conquete-de-l-opera.php [Zugriff am sich-an-meyerbeers-afrikanerin [Zugriff 20.08.2019]. am 19.07.2019]. Jungheinrich, H.-K. (2018): „Die schö- Ernst, T. / Ntivyihabwa, J.-A. (2019): ne Wilde stirbt himmlisch“. Frankfurter Africa rising. Fernsehdokumen- Rundschau 27.02.2018. URL: https:// tation, ARTE. URL: https://pro- www.fr.de/kultur/theater/schoene- gramm.ard.de/TV/arte/africa-rising/ wilde-stirbt-himmlisch-10994647.html eid_287241584216743 [Zugriff am (Zugriff am 25.07.2019). 03.09.2019]. Lehmann, F. (2015): Schlingensiefs Fleury, C. (2018): Afrique du Sud : les Operndorf in Burkina Faso. Missver- chanteurs noirs, nouvelles stars mon- ständnisse als Potential für interkul- diales de l’opéra. L’Obs 26.08.2018. turelle Aushandlungsprozesse. polylog, URL: https://www.nouvelobs.com/ (33), S 107-122. monde/afrique/20180821.OBS1121/ afrique-du-sud-les-chanteurs-noirs-nou- Lüsebrink, H.-J. (2002): La conquete de velles-stars-mondiales-de-l-opera.html l’espace public colonial. Prises de parole [Zugriff am 24.08.2019]. et formes de participation d’écrivains et d’intellectuels africains dans la presse à Gleich, P. von / Spatzek, S. (2015): l’époque coloniale (1900-1960). Frank- Meine Stadt und Versklavung? Ju- furt : IKO. gendliche auf Spurensuche in Bremen. APuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte: Massardier-Kenney, F. (1994): Duras, Beilage zur Wochenzeitung ‚Das Parla- Racism, and Class. In: Kadish, D. ment‘, Vol. 65, 50-51, S. 41-46. URL: Y. / Massardier-Kenney, F. (Hrsg.): http://www.bpb.de/apuz/216487/ Translating Slavery. Gender and Race in meine-stadt-und-versklavung-jugend- French Women‘s Writing, 1783-1823.

114 interculture journal 18/32 (2019) Kent (Ohio): The Kent State University schen Sklavenhandel. APuZ. Aus Politik Press, S. 185-193. und Zeitgeschichte: Beilage zur Wochen- zeitung ‚Das Parlament‘, Vol. 65, 50-51, Mbembe, A./ Sarr, F. (Hrsg.) (2017): S. 35-40. URL: http://www.bpb.de/ Écrire l’Afrique-Monde. Paris/Dakar : shop/zeitschriften/apuz/216490/sklave- Philippe Rey/Jimsaan. rei [Zugriff am 20.08.2019].

Mbembe, A. (2013): Critique de la rai- Raphael-Hernández, H. / Wiegmink, P. son nègre. Paris: La Découverte. (Hrsg.) (2017): German Entanglements in Transatlantic Slavery. Atlantic Studies Mbeng, A. (2010) : La pratique de l’opé- Journal, Special Issue, (14.4). ra en Afrique. Paris, L’Harmattan. Roth, J. (2017): Sugar and Slaves: Miano, L. (2008): Afropean Soul: et The Augsburg Welser Company, the autres Nouvelles. Paris: Flammarion. Conquest of America, and German Colonial Foundational Myths. In: Müller, G. (2018): Oper Halle: Raphael-Hernández, H. / Wiegmink, Blicke aus Afrika sezieren Grand Opé- P. (Hrsg.): German Entanglements in ra. Klassik begeistert. Der Klassik-Blog Transatlantic Slavery. Atlantic Studies 5.10.2018. URL: https://klassik-begei- Journal, Special Issue, 2017(14.4), S. stert.de/giacomo-meyerbeer-lafricaine- 436-456. fotouona-djami-yele-oper-halle/ [Zu- griff am 19.07.2019]. Sarr, F. (2016): Afrotopia. Paris: Phi- o.A. (2019): L’Africaine nach der lippe Rey. Grand Opéra von Giacomo Meyer- beer am Theater Halle.WDR Kultur Sarr, F. (2017): Habiter le monde. Essai 30.06.2019. URL: https://www1.wdr. de politique relationnelle. Montréal: Mé- de/radio/wdr3/musik/opernblog/mey- moire d’encrier. erbeer-africaine-halle-100.html [Zugriff Savoy, B. / Sarr, F. (2018): Rapport am 22.07.2019]. sur la restitution du patrimoine culturel Operndorf Afrika (o.J.): Vision. URL: africain. Vers une nouvelle éthique re- http://www.operndorf-afrika.com/ lationnelle. URL: http://restitutionre- vision/#schlingensief [Zugriff am port2018.com/sarr_savoy_fr.pdf (auch 20.08.2019]. in englischer Version online verfügbar; deutsch (2019): Zurückgeben. Über die Petraschewsky, S. (2019): Der Krieg Restitution afrikanischer Kulturgüter. ist vorbei, gekämpft wird weiter. MDR Berlin: Matthes & Seitz) Kultur, 22.02.2019. URL: https://www. mdr.de/kultur/kommentar-nichtverla- Schlingensief, C. (2009): Förderungs- engerung-florian-lutz-100.html [Zugriff antrag. In: Burgtheater (Hg.): Christoph am 19.07.2019]. Schlingensief. MEA CULPA. Wien, S. 34-35. Pullinger, M. (2015): Das wiederge- wonnene Paradies: Vasco da Gama Schlingensief, C. (2009): So schön wie setzt die Segel an der Deutschen Oper. hier kann’s im Himmel gar nicht sein! bachtrack 05.10.2015. URL: https:// Köln: Kiepenheuer & Wietsch. bachtrack.com/de_DE/review-vasco- da-gama-alagna-koch-deutsche-oper- Schönhuth, M. / Eckstein, K. (2011): berlin-october-2015 [Zugriff am „Wenn es nichts mit uns zu tun hat, 24.07.2019]. geht es uns auch nichts an“. Webfehler in Schlingensiefs Operndorf Afrika. Raphael-Hernández, H. (2015): Deut- Universität Trier. URL: http://www. sche Verwicklungen in den transatlanti- uni-trier.de/fileadmin/fb4/ETH/Auf-

115 saetze/ArtikelEcksteinSchoenhuth.pdf Chalaye (2002). [Zugriff am 24.07.2019]. 4 Der Titel „épaves“ verweist auf die Bezeichnung für Sklaven, deren Besitzer Simmer, G. (2000): Gold und Sklaven: nicht bekannt ist. Die Provinz Venezuela während der Welser-Verwaltung (1528-1556), Berlin: 5 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wissenschaft und Technik Verlag. die Einrichtung neuer Spielstätten wie das Opernhaus in Alger (2016) oder die Soyinka, W. (1981) : Opera Wonyosi. Ankündigung des Vivendi-Konzerns Bloomington: Indiana University Press. 2017, ein panafrikanisches Netzwerk von Kino- und Konzertsälen zu errich- Stoll, D. (2011): Zeitlose Meyerbeer- ten. Annäherung. Giacomo Meyerbeer: L’Africaine. Die deutsche Bühne, 6 Vgl. dazu auch grundsätzlich Mbeng 29.09.2011. URL https://www.die- (2010), der in der Transformation lo- deutsche-buehne.de/kritiken/zeitlose- kaler musikalischer Genres in die Oper meyerbeer-annaeherung [Zugriff am ein kulturelles Entwicklungspotenzial 19.07.2019]. sieht. 7 Die zahlreichen Bezüge zwischen van der Horst, J. (2013): Also was war Schlingensiefs Ansätzen im Rahmen des denn nun die Wahrheit? Wie ging das Operndorfs in Burkina Faso und der alles zusammen? In: Biesenbach, K. / L’Africaine-Inszenierung an der Oper Gebbers, A.-C. / Laberenz, A. / Pfeffer, Halle 2018/19 werden außerdem durch S. (Hrsg.): Christoph Schlingensief. Lon- personale Kontinuitäten – Regisseur don: Koenig Books, S. 128–136. Lionel Pouiaire Somé arbeitete bereits mit Schlingensief zusammen – gestützt. Weber, K. (2009): Deutschland, der atlantische Sklavenhandel und die Plan- 8 Vgl. aber die kritischen Einschät- tagenwirtschaft der Neuen Welt. Jour- zungen bei Schönhuth und Eckstein nal of Modern European History, Vol. 7, (2011), die – auf Basis von Feldfor- No. 1, S. 37–67. schung vor Ort – aus dem ambiva- lenten Afrikabild Schlingensiefs für Zimmerer, J. (Hrsg.) (2013): Kein Platz das Operndorf neben einem Willen an der Sonne: Erinnerungsorte der deut- zur Umkehrung der Verhältnisse auch schen Kolonialgeschichte. Frankfurt/M.: eine Fortdauer des problematischen Campus Verlag. „Hilfediskurses“ der Entwicklungshilfe ableiten. 5. Endnoten 9 Die Uraufführung vonL’Africaine im Jahr 1865, ein Jahr nach dem Tod 1 Vgl. auch die im Sammelband Ecrire von Meyerbeer, wurde in der verfälsch- l’Afrique-Monde (Mbembe / Sarr 2017) ten Fassung von François-Joseph Fétis versammelten Beiträge. inszeniert, wie der Musikwissenschaftler 2 So ist bspw. Felwine Sarrs Afrotopia Jürgen Schläder herausfand; Schläder (2016) in französischer, englischer, rekonstruierte die Originalfassung (vgl. deutscher und spanischer Sprache ver- Ernst 2013). fügbar; Mbembes Critique de la raison 10 Inszenierung: Lionel Poutiaire nègre (2013) ist in fünf Sprachen er- Somé, Thomas Goerge und Nina schienen und auch Souleymane Bachir Gühlstorff; Dramaturgie: Michael von Diagnes Werk En quête d’Afrique(s). zur Mühlen und Philipp Amelungsen; Universalisme et pensée décoloniale (ge- musikalische Leitung: Michael Wen- meinsam mit Jean-Loup Amselle 2018) deberg; Komposition: Richard van wird ins Englische übersetzt. Schoor; Sound Design: Abdoul Kader 3 Für das Theater allgemein vgl. auch Traoré; Bühnenbild und Kostüme:

116 interculture journal 18/32 (2019) Daniel Angermayr; Performer: Lionel www.schifffahrtsmuseum-flensburg. Poutiaire Somé, Rosina Kaleab, Telma de/files/PDF/Downloads/Flensbur- Bouabeng, Serge Fouha. ger_Schifffahrtsmuseum_DMB_ Muku_218_05%20Grigull.pdf (Zugriff 11 Drehbuchautor ist der Regis- am 20.08.2019). Verwiesen sei auch seur und Performer Lionel Poutaire auf die wichtige Ausstellung Deutscher Somé, der in Halle zum Produkti- Kolonialismus. Fragmente seiner Ge- onsteam gehört. Die Uraufführung von schichte und Gegenwart 2016 am Deut- L’Européenne ist für Mai 2020 geplant. schen Historischen Museum in Berlin: 12 Der Titel bezeichnet eine Reihe https://www.dhm.de/ausstellungen/ von hybriden Veranstaltungen aus archiv/2016/deutscher-kolonialismus. Oper, Film, Installation, Symposium, html (Zugriff am 20.08.2019) oder Reenactment und Performance, vgl. auf die didaktisierten Bildungsmate- https://www.kulturstiftung-des-bundes. rialien zur Ausstellung Verflechtungen. de/de/projekte/buehne_und_bewe- Koloniales und rassistisches Denken und gung/detail/i_like_africa_and_af- Handeln im Nationalsozialismus (2018) rica_likes_me_i_like_europe_and_eu- in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme: rope_likes_me.html (Zugriff am http://www.verflechtungen-kolonialis- 20.07.2019). mus-nationalsozialismus.de/start.html (Zugriff am 20.08.2019). Die Univer- 13 Zum „Störfeuer“, „Getriebescha- sität Bremen realisierte u.a. das Schul- den“ durch die Theater, Oper und projekt Das Gewebe der Sklaverei. Auf Orchester Halle GmbH (TOOH) und den Spuren transatlantischer Versklavung den damit zusammenhängenden „de- in Bremen (vgl. Gleich / Spatzek 2015) saströsen Rahmenbedingungen, unter sowie das Forschungsprojekt zu German denen Florian Lutz und sein Team Slavery unter der Leitung der Histo- ihre Spitzenleistung in der Oper Halle rikerin Rebekka von Mallinckrodt: erbracht haben“ (vgl. Brandenburg https://www.frueheneuzeit.uni-bremen. 2019). de/index.php/de/forschung/german- slavery (Zugriff am 20.08.2019). Zu 14 Z.B. die Augsburger Fugger und Deutschland als Hinterland der Sklave- Welser im 16. Jahrhunderts in den rei vgl. insb.: Brahm / Rosenhaft 2016; Amerikas oder später die kurbranden- Raphael-Hernández 2015; Raphael- burgische Kolonie Groß-Friedrichsburg Hernández / Wiegmink 2017; Conrad in Westafrika. Im künstlerischen, mu- 2012; Degn 2003 [1984]; Roth 2017; sealen und wissenschaftlichen Bereich Simmer 2000; Weber 2009; Zimmerer kommt aber zunehmend Bewegung in 2013. die Debatte: So blickt das historische Freilichtspiel Das Brandmal (2018) auf den Emder Sklavenhandel im 17. Jahr- hundert. Die Hansestadt Hamburg hat 2014 die Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe / Hamburg und die frühe Globalisierung eingerichtet: https://www.geschichte.uni-hamburg. de/arbeitsbereiche/globalgeschichte/ forschung/forschungsstelle-hamburgs- postkoloniales-erbe.html (Zugriff am 20.08.2019). Das Flensburger Schiff- fahrtsmuseum organisierte 2017/18 unter der Leitung der jamaikanischen Gastkuratorin Imani Tafari-Ama die Ausstellung Rum, Schweiß & Tränen. Flensburgs koloniales Erbe: https://

117 118 interculture journal 18/32 (2019) De l’opéra et de l’Afrique – enchevêtrements (post-)coloniaux et interactions intercultu- relles à l’exemple de L’Africaine de Giacomo Meyerbeer à Halle et Lübeck Opera and Africa – (post-)colonial entanglements and intercultural interactions at the example of Giacomo Meyerbeer’s L’Africaine in Halle and Lübeck

Natascha Ueckmann Résumé (French)

PD Dr., depuis 2018 maîtresse de À l’Opéra de Halle (Allemagne), L‘Africaine (1865), grand opéra de Giacomo conférences HDR à l’Université Meyerbeer, a été revisité par une équipe euro-africaine de manière radicalement inno- Martin-Luther de Halle-Wittenberg. vante pour la saison 2018/19. L’objectif de leur mise-en-scène interculturelle était de Thèse portant sur les récits de déconstruire la perspective coloniale et exotisante de l’œuvre pour ré-évaluer les relations voyage au féminin au XIXe siècle à euro-africaines et proposer une « ré-africanisation » en quatre étapes. À partir d’une l'Université d'Osnabrück (2000), analyse des relations et imbrications (post-)coloniales dans l’opéra et son répertoire de- thèse d'Etat sur les littératures puis le 18e siècle, la contribution analyse la réinterprétation de L’Africaine à Halle à contemporaines des Caraïbes à la lumière d’autres mises-en-scène contemporaines. L’œuvre de Meyerbeer s’inscrit ainsi l'Université de Brême (2011). Actu- dans le contexte de l’actuelle renaissance africaine et des propositions récentes pour re- ellement elle co-dirige avec Romana penser les relations interculturelles entre l’Afrique et l’Europe. Weiershausen le groupe de recherche junior "Migration und Flucht. Thea- Mots-clés: Opéra, études post-coloniales, Afrique subsaharienne, coopération culturelle, ter als Verhandlungs- und Partizipa- interaction interculturelle, mémoire culturelle tionsraum im deutsch-französischen Vergleich (1990 bis heute)", subventionné par la fondation Hans Abstract (English) Böckler. Giacomo Meyerbeer’s Grand opéra L‘Africaine was radically restaged by the opera of Christoph Vatter Halle (Germany) in 2018/19. Based on a close European-African cooperation, the professeur d’études culturelles et project aimed at deconstructing the colonial gaze to work on a new perspective on the civilisations romanes à l’Université relationalities between Europe and Africa. This process was organized through the at- Martin-Luther de Halle-Wittenberg tempt of “re-africanizing” Meyerbeer’s L’Africaine in four steps. In this contribution, et enseignant-chercheur en commu- we expose the (post-)colonial entanglements and relationalities of the opera since the late th nication interculturelle à l’Université 18 century as well as the context of the ongoing interest in Africa and current theoreti- de la Sarre. Il fait partie de l’école cal propositions of re-thinking the cultural relations between both continents to analyze doctorale transatlantique IRTG the Halle opera’s approach in the light of other recent productions of Meyerbeers Grand Diversity : Mediating difference in opéra in Germany. transcultural spaces. Ses travaux de recherche portent sur la commu- Keywords: Opera, Postcolonial Studies, Sub-Saharan Africa, cultural cooperation, inter- nication et la compétence intercul- cultural interaction, cultural memory turelles, l’étude interculturelle des médias, la francophonie (Québec, Afrique sub-saharienne), la diver- sité culturelle ainsi que la mémoire et les relations culturelles franco- allemandes. 119 1. Introduction1 L’interprétation de L’Africaine de Meyerbeer par l’opéra de Halle a été Les relations interculturelles entre les l’objet d’un interview détaillé avec les pays de l’Afrique subsaharienne et ceux réalisateurs et dramaturges responsables de l’hémisphère nord, en particulier en – Lionel Poutiaire Somé, Michael von Europe, se caractérisent aujourd’hui zur Mühlen et Philipp Amelungsen – par un intense processus de (re-)négo- qui suivra cette contribution. Mais il est ciations. En plus des champs politique, pertinent de mettre d’abord en lumière économique et humanitaire qui, dans le le contexte actuel des relations cultu- domaine public, sont, avant tout mar- relles euro-africaines ainsi que le rôle qués par la question de la migration, le de l’opéra dans l’histoire coloniale. Par domaine culturel occupe une place stra- la suite, nous aborderons de manière tégique toujours plus importante dans exemplaire les formes d’appropriation la coopération interculturelle euro-afri- interculturelle et des questionnements caine, notamment grâce à une forte postcoloniaux liés au genre de l’opé- présence d’acteurs provenant des pays ra. La version de L’Africaine analysé africains francophones. Deux facteurs ici s’inscrit dans cette tradition et s’en nous paraissent essentiels pour cette inspire, mais elle doit aussi être mise évolution : d’un côté, les productions en perspective avec d’autres mise-en- esthétiques et artistiques de créateurs scènes contemporaines de l’œuvre de africains francophones bénéficient de Meyerbeer qui seront également esquis- plus en plus d’une réception très favo- sées. rable dans la culture de masse média- 2. L’opéra et l’Afrique, l‘opéra tique transnationale ; ce développement en Afrique est accompagné par la prise de parole d’intellectuels francophones dont la Africa rising (Ernst / Ntivyihabwa réflexion théorique enrichit le discours 2019), la montée de l’Afrique – ce postcolonial. De l’autre côté, le débat film documentaire diffusé sur la chaîne actuel est fortement nourri par l’enjeu de télévision culturelle Arte peut être des objets d’origine africaine détenus considéré comme symptôme de l’intérêt dans les collections des musées euro- grandissant pour l’Afrique, notamment péens. dans la culture de masse transnationale. Les voix d’artistes noirs de différentes La récente mise-en-scène du grand opé- disciplines sont de plus en plus écou- ra L’Africaine de Giacomo Meyerbeer à tées ; ils contribuent ainsi activement l’opéra de Halle (Saale) en Allemagne aux discours culturels tout en allant s’inscrit dans ce contexte. Dans une au-delà d’une éventuelle fascination démarche postcoloniale, l‘équipe eu- exotique. Dans le contexte allemand, la ro-africaine aborde cette œuvre majeure tribune « Afropop » du quotidien Süd- pour la mettre en question et la com- deutsche Zeitung est un autre exemple menter jusqu’à finalement la décon- pour cette conjoncture récente qui im- struire et proposer une réappropriation pacte la production culturelle africaine. en la « ré-africanisant ». Le projet Il est remarquable que, depuis quelques poursuit ainsi un questionnement années, ce sont aussi de nombreux critique de l’histoire et de la mémoire artistes de l’Afrique subsaharienne coloniales ainsi que du rôle des médias francophone qui sont présents sur la et des institutions culturels. En même scène internationale. Ils s’inspirent sou- temps, la mise-en-scène met à l’épreuve vent à la fois d’influences européennes de nouvelles formes de coopération (souvent aussi nord-américaines) et euro-africaines dans le secteur cultu- africaines et se produisent sur les deux rel, notamment par l’expérimentation continents, comme par exemple les mu- formelle et esthétique ainsi que par les siciens Maître Gims ou Disiz. Le terme défis interculturels dans la collaboration « afropéanisme » (Miano 2008, Gunst entre artistes des deux continents. / Kanobana 2017) qui est souvent at-

120 interculture journal 18/32 (2019) tribué aux écrivains d’origine africaine mandaté par le président français Em- ayant grandi en Europe, souligne ces manuel Macron et publié en français, croisements et entremêlements eu- en anglais ainsi qu’en allemand (Sarr / ro-africains. Savoy 2018) ; en effet, l’économiste et Cette dynamique récente dans le do- artiste sénégalais et l’historienne de l’art maine culturel et artistique est accom- franco-allemande concluent que seule pagnée par une production théorique une restitution inconditionnelle peut importante. Ainsi, des intellectuels constituer une base pour une redéfini- africains francophones comme Felwine tion des relations euro-africaines. Sarr, Achille Mbembe ou Souleymane 2.1. L’opéra, agent de la colo- Bachir Diagne ont plaidé pour une nisation culturelle nouvelle perspective sur l’Afrique et une refondation des relations euro-africaines Tandis que les défis liés à la restitution dans leurs contributions très remarquées des artefacts présents dans les musées aux débats post- et décoloniaux.2 Allant européens dominent le débat actuel – au-delà de la dimension historique de en Allemagne notamment en rapport l‘engagement intellectuel africain dans avec le nouveau Forum Humboldt à l’espace colonial (Lüsebrink 2002), ces Berlin –, d’autres secteurs culturels prises de position ont fortement attiré comme la littérature, le cinéma ou le l’attention internationale – certaine- théâtre semblent être moins pris en ment aussi à cause de leur traduction compte ; les domaines de la musique dans d’autres langues3 – et nourrissent classique et de l‘opéra n’y jouent pra- les débats autour de la recherche de tiquement aucun rôle. Il s’agit, certes, nouveaux modèles pour un vivre en- de genres qui n’ont guère pris pied semble transculturel.4 Malgré les parti- en Afrique subsaharienne. Ils ont ce- cularités des différentes approches, une pendant largement participé au projet reconnaissance inconditionnelle des in- européen de colonisation culturelle en terdépendances et transferts réciproques tant qu’‘article d’exportation’ et véhi- dans les relations entre le « Nord » et le cule pour la diffusion internationale « Sud » – qui ne peuvent pas être pensés de la prétention à la supériorité cultu- en termes de dépendances unidirec- relle de la ‘civilisation’ européenne. La tionnelles – semble être la condition musique et l’opéra ont ainsi souvent indispensable pour une redéfinition des servi d’écran de projection pour les fan- rapports entre l’Europe et l’Afrique et tasmes exotiques et contribué à créer un leur futur développement. imaginaire des relations coloniales. Des Dans le champ culturel, l’on peut ob- opéras comme le Théâtre Amazonas à server des tendances transnationales Manaus au Brésil inauguré en 1896 et dans la culture médiatique de masse, l’opéra khédival du Caire, premier opé- par exemple la prise de conscience gran- ra d’Afrique (1869), étaient ainsi établis dissante pour la participation d’acteurs en tant qu’agents de la colonisation et noirs dans le secteur cinématographique de la distinction au sein de la société dont la sortie de Black Panther (2018) coloniale. Le filmFitzcarraldo (1982) ainsi que la distinction de Moonlight de Werner Herzog, dans lequel le pro- (2016) aux Oscars sont des exemples tagoniste Sweeney Fitzgerald, surnom- éminents. Mais le débat européen est mé Fitzcarraldo, interprété par Klaus avant tout marqué par la question des Kinski, lutte de manière obsessionnelle objets (et aussi dépouilles) africains pour réaliser son rêve d’un opéra dans détenus dans les collections des musées la jungle péruvienne, illustre pertinem- et collections scientifiques ainsi que de ment ce processus. e leur restitution. Le problème de l’héri- Depuis le 18 siècle, l’opéra a toujours tage colonial dans les musées européens misé sur des imaginaires exotiques et 5 se pose de manière particulièrement coloniaux (Bara 2010). Ainsi, le succès virulente et urgente depuis le rapport d’Élisca ou l’amour maternel (Favières de Felwine Sarr et de Bénédicte Savoy / Grétry 1799) est surtout dû à son

121 opulent décor exotique ; l’adaptation l’apartheid, ses institutions culturelles à l’opéra de Paul et Virginie (Favières se sont ouvertes de sorte que de plus en / Kreutzer 1791) d’après le roman de plus de chanteurs d’opéra noirs comme Bernardin de Saint-Pierre, Les Créoles Pretty Yende ou Pumeza Matshikiza (Lacour / Berton 1826) ou bien Le ont pu conquérir les scènes internatio- Code noir (1842), écrit par le librettiste nales (Fleury 2018 ; Hillériteau 2016). Eugène Scribe sur la base de la nouvelle Pour l’Afrique francophone, par contre, anti-esclavagiste Les épaves6 de Fan- on ne trouve que très peu d’exemples ny Reybaud (1838), en sont d’autres comme le contreténor congolais Serge exemples. Parfaitement dans l’esprit du Kakudji.7 temps, l’opéra-comique du 19e siècle Le fait que, historiquement, l’opéra a souvent recours à l’attractivité de est plutôt marqué comme un genre scénarios exotistes et puise dans l’expé- « blanc », a peut-être contribué à ce que rience et l’imaginaire coloniaux qui sont de nombreuses traces du débat postco- interprétés de manière très libre et créa- lonial avec le théâtre musical européen trice. Ainsi, l’opéra Lakmé (Délibes / soient visibles– malgré l’absence d’une Gondinet / Gille 1883) qui est basé sur tradition culturelle propre dans ce do- le roman Rarahu ou le Mariage de Loti maine. L’Opera Wonyosi (1977), la réé- de Pierre Loti (1880) et dont la trame criture de L’Opéra de quat’sous de Bertolt se déroule à Tahiti, présente une image Brecht et Kurt Weill (1928) – ou bien exotique et romantique de l’Inde. Tan- de The Beggar’s Opera de John Gay dis que l‘Aida (1871) de Giuseppe Ver- (1728) – par Wole Soyinka en est un di constitue certainement l‘exemple le très bon exemple. L’écrivain nigérian, plus éminent de ce genre, L’Africaine, le lauréat du prix Nobel de littérature en grand opéra en cinq actes de Giacomo 1986, y aborde les thèmes du pouvoir Meyerbeer, est certainement l’œuvre la et des présidents-dictateurs africains et plus significative et la plus spectaculaire développe une image satirique du dic- dans le contexte des relations euro-afri- tateur centrafricain Bokassa. En 2001, caines. Tout comme l’opéra-comique le compositeur sudafricain Mzilikazi en trois actes Le Code noir, L’Africaine Khumalo a présenté le premier opéra est basé sur un livret d’Eugène Scribe. en langue zoulou, Princess Magogo, une La première représentation de cette pièce sur la vie de la compositrice et dernière œuvre de Meyerbeer, le plus interprète de musique traditionnelle célèbre créateur d’opéras de son temps zoulou homonyme, reliant ainsi les qui ne verra jamais son Africaine sur deux traditions artistiques. scène, a eu lieu à l’Opéra de Paris le 28 Le transfert de traditions artistiques avril 1865. ouest-africaines dans le genre de l’opé- 2.2. L’opéra en Afrique sub- ra8 est également au cœur du projet de saharienne I – réappropria- Bintou Wéré – un opéra du Sahel, dont tions postcoloniales la première a eu lieu en 2007, d’abord à Bamako et, par la suite, au Théâtre En Europe, l’opéra a toujours pris en du Châtelet à Paris. Cet opéra créé sous compte les relations coloniales (et par là la direction artistique et musicale du aussi l’Afrique) sur le plan thématique chanteur sénégalais Wasis Diop a vu le et esthétique. En tant qu’institution, il jour à l’initiative du prince Claus des a activement pris part dans la coloni- Pays-Bas qui, en 1996, a suggéré un sation culturelle. Jusqu’à nos jours, le projet d’opéra international inspiré des genre ne joue cependant pratiquement riches traditions artistiques des pays aucun rôle en Afrique subsaharienne, du Sahel. Bintou Wéré a été conçu dans notamment à cause de l’absence des une démarche collective internationale. institutions indispensables (lieux de for- Basée sur une musique composée par mation et de représentation, orchestres Zé Manel Fortes (Guinée-Bissau) et etc.). Seule l’Afrique du Sud y fait un livret de Koulsy Lamko (Tschad), exception : après la fin du système de l’opéra est développé dans des ateliers

122 interculture journal 18/32 (2019) interdisciplinaires réunissant des artistes Afrika se veut ainsi une « plateforme de six pays différents. L’œuvre établit un d‘échange interculturel pour accueillir lien entre les traditions culturelles de la les discours postcoloniaux pertinents région avec des thèmes contemporains. qui donnent à voir une nouvelle image Ainsi, Bintou Wéré, l’héroïne de la différenciée de l’Afrique » (Operndorf pièce, est une enfant soldate qui quitte Afrika, trad. CV)9. Schlingensief (2009) son village vers l’enclave espagnole Me- postule donc une notion élargie de lilla pour donner naissance à son enfant l’opéra qui se détacherait de la compré- sur le sol européen – mais qui décidera hension occidentale pour désigner plu- finalement de ne pas franchir les clô- tôt un théâtre interculturel émergeant tures-frontières et de laisser son bébé au de l’interaction créatrice entre acteurs bercail africain. Finalement, on peut en- européens et africains : core mentionner Kirina, un autre projet De toute manière, nous cavalcadons tous d’opéra en Afrique de l’Ouest, qui a ensemble et mettons tout sur scène. Ce célébré sa première à Marseille en 2018. serait ainsi une sorte de boîte à transfor- La pièce a été jouée sur plusieurs scènes mation. Et j’espère que ces superpositions en Europe ainsi qu’à Ouagadougou au d’images et de textes de cultures différentes Burkina Faso. Cet opéra contemporain créeront de nouvelles monnaies dans le de la musicienne malienne Rokia Traoré système. Par la suite, nous présenterons le conçu au Burkina Faso, au Mali et en résultat ici en Allemagne, nous rempotons Belgique, s’inspire de l’histoire de l’Em- la chose en quelque sorte. Et à partir de ème ème pire du Mali du 13 et 14 siècle. la prétention de présenter ici quelque 2.3. L’opéra en Afrique sub- chose venant d’Afrique, ces monnaies saharienne II – prises de dis- superposées pourraient peut-être prendre tance et repositionnements vie. Mais je dois encore réfléchir davan- postcoloniaux tage là-dessus. (Schlingensief 2009: 40, 10 En plus de ces formes d’appropriation trad. CV) culturelle du genre de l’opéra, l’on peut L’Operndorf Afrika de Christoph également relever des mises en question Schlingensief veut ainsi ouvrir un nou- critiques et des délimitations de la di- vel espace pour des processus de négo- mension coloniale de l’opéra. L’Opern- ciation interculturels (Lehmann 2015) dorf Afrika, initié par l’artiste allemand et l’émergence de nouvelles représenta- Christoph Schlingensief au Burkina tions de et sur l’Afrique, rompant ainsi Faso comme un lieu de rencontre et de avec des stratégies de représentations création, en est l’exemple le plus connu. révolues et avec les structures de pou- Depuis la pose de la première pierre en voir sous-jacentes. Dans ce processus, 2010, ce projet mené depuis la mort de Schlingensief accorde une grande im- Schlingensief en 2010 par une ASBL portance à des rituels de passage (van sous la direction de sa veuve Aino Labe- der Horst 2013 : 130sq.) tels qu’ils renz, se démarque très nettement de la sont aussi déployés dans la mise-en- transplantation d’opéras à l’européenne scène de L’Africaine à Halle, analysée dans les (anciennes) colonies – au par la suite.11 D’autres stratégies artis- contraire du sens que son appellation tiques explorées par l’artiste allemand « village d’opéra » semble au premier concernent, entre autres, l’inversion de abord suggérer. L’intitulé paradoxal relie la relation entre l’Europe et l’Afrique une forme d’expression artistique de la pour dévoiler une exotisation des conti- culture d’élite (urbaine et européenne) nuités postcoloniales en Europe (Bleuler avec la vie d’un village dans le Sahel 2018).12 et renvoie ainsi à l’objectif du projet La démarche de la mise-en-scène de d’aller à rebours des idées reçues tradi- L’Africaine de Meyerbeer présenté dans tionnelles sur l’opéra pour réinventer cette contribution s’inscrit dans ces le projet opéra et l’enraciner à nouveau processus d’appropriation et de démar- dans la vie quotidienne. Operndorf cation postcoloniaux autour de l’opéra et de ses traditions coloniales. 123 3. L’Africaine (1865) de Gia- son voyage en Afrique de l’Est, respecti- como Meyerbeer vement aux Indes. Néanmoins, le clergé refuse au navigateur un autre voyage Le grand opéra L’Africaine (1865) de d’exploration. Vasco entre alors dans Giacomo Meyerbeer connaît depuis une telle colère que l’on veut l’exécuter 2011 une renaissance remarquable en comme hérétique. Il est condamné, Allemagne. Jusqu’à présent, ce compo- avec ses esclaves indigènes, aux cachots siteur juif, né à Berlin en 1791 sous le de l’Inquisition. Inès, sa fiancée, peut nom de Jakob Meyer Beer, avait connu obtenir une grâce, tout en consentant un grand succès surtout en France et au mariage arrangé par son père avec ne figurait guère dans les répertoires Don Pédro, la contrepartie de Vasco da des opéras allemands. Dans l’ombre de Gama. Au fil de l’action, Vasco se met Richard Wagner, durablement dénigré de nouveau en route vers l’Afrique en et réprimé par le national-socialisme, emmenant Sélika et Nélusko. Suite à c’est surtout son dernier opéra L’Afri- une manœuvre de Nélusko pendant une caine (aussi connu comme Vasco da tempête qui fait échouer le vaisseau, Gama) qui est de nouveau présenté sur la population locale libère Sélika et les scènes allemandes (cf. Jungheinrich Nélusko. Vasco et Inès seront sauvés 2018). Pour Giacomo Meyerbeer ainsi grâce à Sélika, que les indigènes recon- que pour son librettiste Eugène Scribe, naissent comme leur souveraine. Séli- tous les deux morts avant la première ka, révélée reine d’une île de l’Afrique de leur œuvre à l’Opéra de Paris, cette (Madagascar ?), est clandestinement réhabilitation tardive serait une satis- amoureuse de son ‘propriétaire’ Vasco. faction. Pour mieux cerner le projet Pour cette raison, elle le sauve de la d’opéra expérimental autour de L’Afri- mort, mais Vasco est amoureux d’Inès, caine à Halle, qui est au centre de nos sa fiancée portugaise. Profondément préoccupations, un regard sur d’autres touchée par cet amour, Sélika permet mises en scène actuelles de cet opéra en aux deux amants – en fin de compte Allemagne est révélateur. aux deux conquérants – de repartir au Tout d’abord, l‘intrigue de L’Africaine Portugal. Dans la scène finale, qui se sera brièvement esquissée. L’arrière-plan situe dans le royaume de Sélika, la pro- de l‘opéra est une histoire entre trois tagoniste africaine se suicide par chagrin hommes et deux femmes et leurs rela- d’amour. « Dans l’étranger imaginé, on tions amoureuses changeantes : le marin ne retrouve finalement que le triangle Vasco da Gama, son adversaire Don relationnel bourgeois, d’autres relations Pédro, la noble Inès, fille d’un amiral ne sont pas imaginables », constate le portugais et fiancée de Vasco, la reine dramaturge Michael von zur Mühlen. Il Sélika venant d’Inde ou d’Afrique et est significatif que ce sont toujours les son domestique Nélusko. L’action de personnages féminins qui sauvent la vie l’opéra se déroule à Lisbonne, sur la de de Gama. Le dénouement de la pièce mer et dans le royaume de Sélika en et la réalisation du couple « blanc » 1497-1498. L’Africaine se réfère con- banissent égalemement le danger du crètement aux voyages du navigateur métissage. L’opéra illustre ainsi involon- portugais Vasco da Gama (env. 1469- tairement ou bien inconsciemment les 1524), considéré comme le premier conséquences d’un racisme intériorisé Européen à atteindre les Indes par la et l’impossibilité d’une relation interra- voie maritime en contournant le cap de ciale (interracial relationship) dans une Bonne-Espérance. L’histoire se déroule société profondément marquée par le donc au début de la période de la traite colonialisme et le patriarcat. Françoise transatlantique et de la colonisation. Massardier-Kenney analyse ce rapport Dans l’opéra, Vasco da Gama ramène entre ‘race’ et genre de la manière sui- de son expédition deux africains, appa- vante : « white racism is intimately remment des esclaves malgaches, Sélika connected with patriarchal values : the et Nélusko. Ils lui servent de preuve de reproduction of economic interests

124 interculture journal 18/32 (2019) through marriage » (Massardier-Kenney Huguenots à Nuremberg et Le Prophète 1994:191). à Karlsruhe, c’était sa troisième grande 3.1. Les mises en scène production de Meyerbeer. Kratzer contemporaines de L’Afri- s’éloigne rigoureusement d‘une repré- caine / Vasco da Gama en sentation historique : Alors que l’opéra Allemagne (Würzburg 2011, original se déroule environ 350 ans Chemnitz 2013, Berlin 2015, avant l’époque de sa création, l’intrigue Francfort-sur-le-Main 2018) de la production de Francfort – reflé- tée quasiment en miroir sur l’axe du Dans le cadre de la redécouverte de temps – se déroule 350 ans plus tard l’œuvre de Meyerbeer peu connue en dans le futur, c’est-à-dire au 22ème siècle. Allemagne, L’Africaine fêtait sa première Les marins portugais contrôlent ici des en 2011 sous la direction de Gregor vaisseaux spatiaux et conquièrent des Horres à Würzburg. Dieter Stoll note systèmes solaires étrangers. L’héroïne à cette occasion que « le Théâtre Main- africaine est une extraterrestre de cou- franken agit pendant quatre heures aux leur bleue – rappelant le filmAvatar. Ce limites de ses propres ressources. Grand scénario fait immédiatement penser à orchestre, grand chœur, grandes voix d’autres films de science-fiction comme pour des sentiments surdimension- Star Trek, Star Wars, 2001 : A Space nés » (Stoll 2011, trad. NU). En 2013, Odyssey ou bien Gravity. « Il s’agit d’une Chemnitz a ouvert l’année Wagner liaison idéale entre grand opéra et grand e (200 anniversaire de Richard Wagner) cinéma. » (Jungheinrich 2018, trad. avec le grand opéra de Meyerbeer (mise NU) La mer est interprétée comme un en scène : Jakob Peters-Messer) sous espace sans fin. Ce futurisme se justifie le titre originairement prévu par le également par la publication du roman compositeur, Vasco da Gama se référant De la terre à la lune de Jules Verne en ainsi de manière décisive au personnage 1865, la même année que la première historiquement documenté – et non à de l’opéra. Le roman diagnostiquait un personnage fictif comme l’Africaine déjà à l’époque une colonisation euro- imaginée Sélika. C’est la première mise péenne presque achevée. Dans ce futur en scène courageuse de la nouvelle imaginé, l’ancien navigateur Vasco da édition critique de l’œuvre par Jürgen Gama dirige de manière impitoyable Schläder, qui a reconstruit une sorte de son vaisseau spatial à travers des galaxies 13 version de dernière main. Les critiques lointaines, des espaces qui lui restent de cette mise en scène de cinq heures finalement étrangers. Le metteur en font l’éloge des scènes de ballet et des scène, Tobias Kratzer, laisse donc coïn- intermèdes chantés. On aurait ainsi cider un pessimisme historique et un réalisé de manière impressionnante le pessimisme d’avenir, l’opposition des grand opéra en tant que blockbuster cultures semble se prolonger. avant la lettre. En 2015, l’Opéra alle- mand de Berlin a aussi adapté la version 3.2. L’Africaine postcoloniale révisée de Jürgen Schläder – également à l’Opéra de Halle et de Lü- sous le titre Vasco da Gama ; cet opéra beck (2018-2020) a inauguré tout un cycle de Meyerbeer Une équipe de production euro-afri- (cf. Amling 2015). La metteuse en caine14 a radicalement retravaillé l’opéra scène Vera Nemirova y souligne les L’Africaine de Meyerbeer, donnant conflits politiques et religieux dans ainsi naissance à un spectacle en quatre l’œuvre en les reliant au débat actuel étapes successives de septembre 2018 sur les réfugiés et le fanatisme religieux, à juin 2019 à l’Opéra de Halle (Alle- tout en conservant un décor exotique magne). Pour la saison 2019/2020, le pour la mise en scène. En 2018, l’opéra projet passe à Lübeck, où on crée en a été joué à Francfort-sur-le-Main en même temps un nouvel opéra cinéma- tant que L’Africaine/Vasco da Gama sous tographique intitulé L’Européenne.15 la direction de Tobias Kratzer. Après Les Ce renversement de la perspective

125 reviendra enfin à Halle en 2020/21. teur colonial ‘tardif’ ou ‘marginal’, il Le projet théâtral a été développé existe une histoire longue, mais peu dans le cadre de la coopération I like connue, de la participation des acteurs Africa and Africa likes me – I like Eu- allemands, du capital allemand et du rope and Europe likes me.16 Ce projet savoir allemand au colonialisme et international – financé par le « Fonds à l’esclavage trans- atlantique d‘une Doppelpass » de la Fondation cultu- part.18 D’autre part, le projet est une relle fédérale– transgresse des frontières confrontation avec des rituels de puri- culturelles et artistiques et a remporté fication d’autres cultures, car les quatre de nombreux prix. Le projet s’inscrit mises en scène s’appuient sur quatre de manière idéale dans l’approche étapes d’un rituel de transformation expérimentale et multi-performative de l’Afrique de l’Ouest, concrètement de l’intendant Florian Lutz, dont le des Dagari, dans le sud du Burkina contrat ne sera malheureusement pas Faso : L‘AFRICAINE I : FOTOUONA prolongé par les Bühnen Halle au-delà DJAMI YÉLÉ (La Confrontation avec de 2021 (Petraschewsky 2019).17 De les Ancêtres), L‘AFRICAINE II : BOO manière originale, Lutz remet en ques- A SAN PKAMINÉ (La Rédemption), tion les limites du genre artistique de L‘AFRICAINE III : PIIR A SIÈN (La l’opéra, ses formes de représentation et Purification)et L‘AFRICAINE IV : sa pertinence actuelle. La mise en scène NISALB LIÈFO (La Métamorphose). de L’Africaine à l’Opéra de Halle relie D’un point de vue européen, prendre de façon intercontinentale différents au sérieux ces références spirituelles genres théâtraux comme l’opéra, la per- et transcendantales de la culture formance et le reenactment, mais aussi ouest-africaine est une tâche exigeante, les protagonistes, les espaces culturels notamment parce que les Européens et les événements historiques différents. ont souvent remplacé la religion par la Au lieu d’une seule histoire, émergent rationalité et se sont largement déta- une polyphonie des histoires, des styles chés des références chrétiennes. Le but artistiques et des mémoires pluriels. Par de ce processus est de contribuer à la une telle mobilisation créative d’une décolonisation de l’Europe et d’analyser multitude de formes de représentations, cette œuvre artistique et lyrique comme L’Africaine de Halle réalise donc une un ‘document’ de l’histoire coloniale multiperspectivité impressionnante, européenne, un processus dont nous tout en reliant messages politiques et témoignons dans cet article et dans interventions esthétiques. Guido Müller l’entretien avec les réalisateurs et dra- commente ainsi : maturges du spectacle Lionel Poutiaire « En tant que spectateur, il faut s’ima- Somé, Michael von zur Mühlen et Phi- giner que l’on n’était jamais en contact lipp Amelungsen. auparavant avec Wagner et que, tout d’un Au-delà du triangle amoureux convenu coup, on assiste au Crépuscule des Dieux, (Vasco, Inès, Sélika) dans L’Africaine de morcelé et coupé à plus de la moitié et Meyerbeer, ce projet postcolonial élargit disséqué par les Islandais dans la perspec- les protagonistes de la pièce avec deux ème tive des mythes nordiques de Wagner. » personnages-clés historiques du 19 (Müller 2018, trad. NU) siècle : le compositeur juif allemand Giacomo Meyerbeer, célébré à Paris, Le projet théâtral de Halle est une et Saartjie Baartman (aussi prénommé confrontation exigeante avec l’histoire Sarah) – une femme d’Afrique du Sud coloniale, qui est toujours réprimée et (du peuple des Khoi-Khoi), exhibée refoulée en Allemagne. L’objectif dé- en Europe pour ses particularités ana- claré des créateurs est de lutter contre tomiques ; elle était connue sous le l’amnésie coloniale avec des moyens surnom de Vénus hottentote. Ces deux artistiques. Contrairement à l’histo- personnages – des représentants pour riographie dominante selon laquelle l’opéra et pour le ‘zoo humain’– parti- l’Empire allemand n’était qu’un ac- cipent aux spectacles en tant qu’ancêtres

126 interculture journal 18/32 (2019) historiques témoignant ainsi de l’his- innovatrice la tradition des confronta- toire de l’opéra et de la violente histoire tions (post-)coloniales de l’opéra euro- coloniale tout en mettant en lumière péen avec l’Afrique. Le projet propose leurs interdépendances et entrelace- l’exploration de nouvelles démarches ments. esthétiques et formelles dans la coopé- Au départ, l’opéra n’est pas fidèle à la ration culturelle euro-africaine et incite tradition d’une salle à l’italienne ou de cette manière à développer une d’un théâtre d’illusions, mais il devient redéfinition des relations réciproques lui-même l’objet d’une nouvelle pers- à partir de l’histoire et de la mémoire pective (Häußner 2019). La première – tout en incluant le rôle des arts dans étape du projet vise ainsi à une repré- le projet colonial. Ce processus ne se sentation largement fidèle à l’œuvre limite pas à la communication entre les de Meyerbeer. Mais le spectacle est artistes et leur public, mais inclut égale- observé par des Africains par le biais ment la dimension interculturelle de la de grands écrans. L’Afrique regarde en coopération entre artistes d’Afrique et quelque sorte une imagination exotique d’Europe. de l’Afrique. La hiérarchie convention- nelle des regards est ainsi inversée. À un moment donné, les artistes perfor- meurs quittent cette position d’obser- vateurs pour s’emparer de la scène et pour mettre en question le spectacle. Ils instaurent un « Comité anarchiste acéphaliquement régulé pour décolo- niser l’esprit » – s’inspirant des « com- missions de vérité et de réconciliation » avec lesquelles Nelson Mandela a tenté de surmonter les crimes de l’apartheid. Dans les premières parties de L’Afri- caine, ce sont les Blancs qui chantent et ce sont les Noirs qui interviennent en tant que perturbateurs, armés unique- ment de la parole parlée. L’opéra est alors en confrontation avec le théâtre parlé. Lors de la quatrième étape de la mise en scène, les artistes performeurs apparaissent sur scène et remettent en question le processus entier, à savoir l’objectif d’africaniser l’opéra. Il fallait mettre un terme à tout cela ; l’Afrique ne peut pas être vécue de cette façon, il faut se rendre sur place. Enfin, quand Vasco da Gama – tenant toujours le globe dans la main – chante son grand air « Pays merveilleux » et la reine Sélika chante « O temple magnifique », pen- dant quelques instants, l’absurdité co- lonialiste n’a presque pas d’importance, probablement parce que la musique est si belle (s.a. 2019).

La mise en scène de L’Africaine à Halle poursuit ainsi de manière productive et

127 Fig. 1 : Dialogue interculturel colonial historique : référence à Sarah Bartmann (L’AFRICAINE IV : NISALB LIÈFO – La Métamorphose), Bühnen Halle / L’Africaine / Foto: Falk Wenzel

Fig. 2 : L’opéra européen sous observation (africaine) (L’AFRICAINE I : FOTOUONA DJAMI YÉLÉ – La Confrontation avec les Ancêtres), Bühnen Halle / L’Africaine / Foto: Falk Wenzel Fig. 3 : Artistes performeurs sur la scène d’opéra (L’AFRICAINE I : FOTOUONA DJAMI YÉLÉ – La Confrontation avec les Ancêtres), Bühnen Halle / L‘Africaine / Foto: Falk Wenzel

Fig. 4 : « Africaniser » L’Africaine ? Lionel Poutiaire Somé dans L’AFRICAINE IV : NISALBLIÈFO – La Métamorphose, Bühnen Halle / L‘Africaine / Foto: Falk Wenzel 4. Bibliographie www.nmz.de/online/ein-drama-auf- hoher-see-mitten-in-sachsen-chemnitz- Amling, U. (2015) : Irrweg nach wagt-sich-an-meyerbeers-afrikanerin Indien: Vasco da Gama an der Deut- (consulté le 19/07/2019) schen Oper Berlin. Der Tagesspiegel, 06.10.2015. URL : https://www. Ernst, T. / Ntivyihabwa, J.-A. tagesspiegel.de/kultur/vasco-da-gama- (2019) : Africa rising. Fernsehdoku- an-der-deutschen-oper-berlin-irrweg- mentation, ARTE, https://pro- nach-indien/12409654.html (consulté gramm.ard.de/TV/arte/africa-rising/ le 19/07/2019). eid_287241584216743 (consulté le 03/09/2019) Bara, O. (2010) : Figures d’esclaves à l’opéra. Du ”Code noir” à ”L’Africaine” Fleury, C. (2018) : Afrique du Sud : les d’Eugène Scribe (1842-1865), les chanteurs noirs, nouvelles stars mon- contradictions de l’imaginaire libéral. diales de l’opéra. L’Obs 26/08/2018. Dans : Moussa, S. (éds.) : Littérature URL : https://www.nouvelobs.com/ et esclavage, XVIIIe-XIXe siècles. Paris : monde/afrique/20180821.OBS1121/ Desjonquères, p. 110-123. afrique-du-sud-les-chanteurs-noirs-nou- velles-stars-mondiales-de-l-opera.html Bleuler, M. (2018) : Raum der un- (consulté le 24/08/2019) überwindbaren Differenz? Christoph Schlingensiefs Arbeit in Afrika und das Gleich, P. von / Spatzek, S. (2015) : Operndorf-Residency 2016. Dans : Meine Stadt und Versklavung? Ju- Bleuler, M. / Moser, A. (éds.): ent/ gendliche auf Spurensuche in Bremen. grenzen. Künstlerische und kulturwissen- APuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte: schaftliche Perspektiven auf Grenzräume, Beilage zur Wochenzeitung ‚Das Parla- Migration und Ungleichheit. Bielefeld: ment‘, vol. 65, 50-51, p. 41-46. URL : transcript, p. 171–193. http://www.bpb.de/apuz/216487/ meine-stadt-und-versklavung-jugend- Brahm, F. / Rosenhaft, E. (éds.) liche-auf-spurensuche-in-bremen?p=all (2016) : Slavery Hinterland: Transat- (consulté le 20/08/2019) lantic Slavery and Continental Europe, 1680-1850, Woodbridge-Rochester, Gunst, R. / Kanobana, R. (2017) : NY: Boydell Press. The reign of Afropeanism. URL : https://www.bozar.be/en/activi- Brandenburg, D. (2019) : Applaus! ties/123647-the-reign-of-afropea- Die wichtigsten Ergebnisse der DdB- nism---roland-gunst-sibo-kanobana Autorenumfrage zur Saison 2018/19. (consulté le 20/08/2019) Die deutsche Bühne (8), p. 62-67. Häußner, W. (2019) : Halle: L’Africaine Chalaye, S. (2002) : Du Noir au nègre : – Vierteiliges Opernprojekt nach der l’image du Noir au théâtre (1550-1960). Grand Opéra von Giacomo Meyer- Paris : L’Harmattan. beer – Premiere von Teil III. Online Conrad, S. (2012) : Deutsche Kolonial- Merker. Die internationale Kultur- geschichte. München : C.H. Beck. plattform 29/03/2019. URL : https:// Degn, C. (2003) [1984] : Die Schim- onlinemerker.com/halle-lafricaine-vier- melmanns im atlantischen Dreieckshan- teiliges-opernprojekt-nach-der-grand- del. Gewinn und Gewissen. Neumüns- opera-von-giacomo-meyerbeer-premie- ter : Wachholtz. re-von-teil-iii/ (consulté le 19/07/2019) Diagne, S.B. / Amselle, J.-L. (2018) : Hillériteau, T. (2016) : L’Afrique En quête d’Afrique(s). Universalisme et à la conquête de l’opéra. Le Figaro pensée décoloniale. Paris : Albin Michel. 19/09/2016. URL : http://www.lefi- garo.fr/musique/2016/09/19/03006- Ernst, M. (2013) : Ein Drama auf ho- 20160919ARTFIG00209-l-afrique-a- her See mitten in Sachsen – Chemnitz la-conquete-de-l-opera.php (consulté le wagt sich an Meyerbeers ‚Afrikanerin‘. 20/08/2019) nmz online 04.02.2013. URL : https://

130 interculture journal 18/32 (2019) Jungheinrich, H.-K. (2018) : Die schö- Pullinger, M. (2015) : Das wieder- ne Wilde stirbt himmlisch. Frankfurter gewonnene Paradies: Vasco da Gama Rundschau 27/02/2018. URL : https:// setzt die Segel an der Deutschen Oper. www.fr.de/kultur/theater/schoene- bachtrack 05/10/2015. URL : https:// wilde-stirbt-himmlisch-10994647.html bachtrack.com/de_DE/review-vasco- (consulté le 25/07/2019) da-gama-alagna-koch-deutsche-oper- Lehmann, F. (2015) : Schlingensiefs berlin-october-2015 (consulté le Operndorf in Burkina Faso. Missver- 24/07/2019). ständnisse als Potential für interkul- Raphael-Hernández, H. (2015) : Deut- turelle Aushandlungsprozesse. polylog sche Verwicklungen in den transatlanti- (33), p. 107-122. schen Sklavenhandel. APuZ. Aus Politik Lüsebrink, H.-J. (2002) : La Conquete und Zeitgeschichte: Beilage zur Wochen- de l’espace public colonial. Prises de parole zeitung ‚Das Parlament‘, vol. 65, 50-51, et formes de participation d’écrivains et p. 35-40. URL : http://www.bpb.de/ d’intellectuels africains dans la presse à shop/zeitschriften/apuz/216490/sklave- l’époque coloniale (1900-1960). Frank- rei (consulté le 20/08/2019) furt : IKO. Raphael-Hernández, H. / Wiegmink, P. Massardier-Kenney, F. (1994) : Duras, (éds.) (2017) : German Entanglements Racism, and Class. Dans : Kadish, in Transatlantic Slavery. Atlantic Studies D. Y. / Massardier-Kenney, F. (éds.) : Journal, Special Issue, (14.4). Translating Slavery. Gender and Race in Rössler, Horst (2011) : Vom Zucker- French Women‘s Writing, 1783-1823. rohr zum Zuckerhut. Die Familie Böse Kent (Ohio) : The Kent State Univer- und die Bremer Zuckerindustrie. Dans sity Press, p. 185-193. : Bremer Staatsarchiv Mbembe, A. / Sarr, F. (éds.) (2017) : (Hg.) : Bremisches Jahrbuch, Bremen: Écrire l’Afrique-Monde. Paris/Dakar : Selbstverlag des Staatsarchivs Bre- Philippe Rey / Jimsaan. men, p. 63–94. Mbembe, A. (2013) : Critique de la Roth, J. (2017) : Sugar and Slaves: The raison nègre. Paris : La Découverte. Augsburg Welser Company, the Con- quest of America, and German Colonial Mbeng, A. (2010) : La pratique de l’opé- Foundational Myths. Dans : Raphael- ra en Afrique. Paris : L’Harmattan. Hernández, H. / Wiegmink, P. (éds.) : Miano, L. (2008) : Afropean Soul: et German Entanglements in Transatlantic autres Nouvelles. Paris : Flammarion. Slavery. Atlantic Studies Journal, Special Issue, (14.4), p. 436-456. Müller, G. (2018) : Oper Halle: Bli- cke aus Afrika sezieren Grand Opéra. s.a. (2019) : L’Africaine nach der Grand Klassik begeistert. Der Klassik-Blog opéra von Giacomo Meyerbeer am The- 5/10/2018. URL : https://klassik- ater Halle. WDR Kultur 30/06/2019. begeistert.de/giacomo-meyerbeer-lafri- URL : https://www1.wdr.de/radio/ caine-fotouona-djami-yele-oper-halle/ wdr3/musik/opernblog/meyerbeer- (consulté le 19/07/2019) africaine-halle-100.html (consulté le 22/07/2019) Operndorf Afrika (s.d.) : Vision. URL : http://www.operndorf-afrika. Sarr, F. (2016) : Afrotopia. Paris : com/vision/#schlingensief (consulté le Philippe Rey. 20/08/2019) Sarr, F. (2017) : Habiter le monde. Essai Petraschewsky, S. (2019) : Der Krieg de politique relationnelle. Montréal : ist vorbei, gekämpft wird weiter. MDR Mémoire d’encrier. Kultur, 22/02/2019. URL : https:// Savoy, B. / Sarr, F. (2018) : Rapport www.mdr.de/kultur/kommentar-nich- sur la restitution du patrimoine cultu- tverlaengerung-florian-lutz-100.html rel africain. Vers une nouvelle éthique (consulté le 19/07/2019) relationnelle. URL : http://restitu- tionreport2018.com/sarr_savoy_fr.pdf (consulté le 30/09/2019). 131 Schlingensief, C. (2009) : Förderungs- 5. Endnotes antrag. Dans : Burgtheater (dir.) : 1 Les auteurs tiennent à remercier Christoph Schlingensief. MEA CULPA. Bernadette Guesnard-Meisser pour sa Wien, p. 34-35. relecture minutieuse des versions fran- Schlingensief, C. (2009) : So schön wie çaises de ce texte et de l’entretien avec hier kann’s im Himmel gar nicht sein! l’équipe de l’opéra de Halle. Köln : Kiepenheuer & Wietsch. 2 Cf. les différentes contributions Schönhuth, M. / Eckstein, K. (2011) : réunies dans Ecrire l’Afrique-Monde „Wenn es nichts mit uns zu tun hat, (Mbembe / Sarr 2017). geht es uns auch nichts an“. Webfehler 3 Afrotopia de Felwine Sarr (2016) in Schlingensiefs Operndorf Afrika. est ainsi disponible en français, anglais, Universität Trier. URL : http://www. allemand et espagnol ; Critique de la uni-trier.de/fileadmin/fb4/ETH/Auf- raison nègre d’Achille Mbembe (2013) saetze/ArtikelEcksteinSchoenhuth.pdf est paru en cinq langues et aussi En (consulté le 24/07/2019) quête d’Afrique(s). Universalisme et pen- Simmer, G. (2000) : Gold und Sklaven: sée décoloniale par Souleymane Bachir Die Provinz Venezuela während der Diagne et Jean-Loup Amselle (2018) Welser-Verwaltung (1528-1556). Berlin : paraîtra en anglais sous le titre In Search Wissenschaft und Technik. of Africa(s) en 2020. Soyinka, W. (1981) : Opera Wonyosi. 4 Voir la contribution d’Annette Bloomington : Indiana University Press. Bühler-Dietrich dans ce numéro. Stoll, D. (2011) : Zeitlose Meyerbeer- 5 Cf. également Chalaye (2002) qui Annäherung. Giacomo Meyerbeer: analyse cette tradition pour le théâtre L’Africaine. Die deutsche Bühne, en général. 29.09.2011. URL : https://www. 6 Le titre « épaves » renvoie à la dé- die-deutsche-buehne.de/kritiken/zeit- signation pour un esclave dont le pro- lose-meyerbeer-annaeherung (consulté priétaire est inconnu. le 19/07/2019) 7 Dans ce contexte, voir aussi l’établis- van der Horst, J. (2013) : Also was war sement de nouvelles salles de spectacle denn nun die Wahrheit? Wie ging das comme l’Opéra d’Alger en 2016 (finan- alles zusammen? Dans : Biesenbach, K. cé et réalisé par la Chine, tout comme / Gebbers, A.-C. / Laberenz, A. / Pfef- d’autres institutions culturelles comme fer, S. (éds.) : Christoph Schlingensief. le Musée des civilisations noires à Da- London : Koenig Books, p. 128–136. kar, p.ex.) ou bien le projet de Vivendi Weber, K. (2009) : Deutschland, der qui installe depuis 2017 un réseau de atlantische Sklavenhandel und die Plan- salles de spectacle « CanalOlympia » tagenwirtschaft der Neuen Welt. Jour- dans différentes grandes villes africaines. nal of Modern European History, vol. 7, 8 Voir aussi Mbeng (2010) qui voit no. 1, p. 37–67. dans le transfert et l´adaptation de Zimmerer, J. (éd.) (2013) : Kein Platz genres musicaux locaux à l’opéra un an der Sonne: Erinnerungsorte der deut- potentiel de développement culturel schen Kolonialgeschichte. Frankfurt/M. : pour l’Afrique. Campus. 9 „Plattform für interkulturelle Aus- Zimmerer, J. / Perraudin, M. (éds.) tauschprogramme und relevante post- (2011) : German Colonialism and Na- koloniale Diskurse, die ein neues und tional Identity, New York : Routledge. differenziertes Bild von Afrika sichtbar macht.“ (Operndorf Afrika) 10 „Jedenfalls toben wir alle gemein- sam rum und stemmen alles auf die Bühne. Das wäre dann eine Art Trans-

132 interculture journal 18/32 (2019) formationskasten. Und ich erhoffe mir, 16 Le titre fait référence à une série dass diese Überblendungen von Bildern d’événements hybrides entre opéra, und Texten verschiedener Kulturen film, installation, symposium,reen- neue Währungen im System erzeugen. actment et performance (cf. https:// Dann präsentieren wir das Ergebnis www.kulturstiftung-des-bundes.de/ hier in Deutschland, topfen die Sache de/projekte/buehne_und_bewegung/ gleichsam um. Dadurch, dass sich je- detail/i_like_africa_and_africa_likes_ mand anmaßt, etwas aus Afrika hier zu me_i_like_europe_and_europe_likes_ präsentieren, entstehen vielleicht diese me.html). Überblendungswährungen. Da muss ich noch mehr drüber nachdenken.“ 17 Par rapport aux perturbations (Schlingensief 2009: 40) causées par la société à responsabilité limitée Theater, Oper und Orchester 11 Les nombreuses relations entre Halle (TOOH) et „les conditions désas- l’approche de Schlingensief dans treuses“ qui en résultaient à l’Opéra de Operndorf Afrika au Burkina Faso et la Halle et dans lesquelles Florian Lutz et mise en scène de L’Africaine à l’Opéra son équipe étaient obligés de travailler de Halle en 2018/19 comportent éga- (cf. Brandenburg 2019). lement des continuités personnelles, notamment par le metteur en scène, 18 Comme les Fugger et Welser à le scénariste et artiste performeur Lio- Augsbourg au 16 siècle dans les Amé- nel Poutiaire Somé qui a travaillé avec riques ou, plus tard, la colonie brande- Schlingensief auparavant. bourgeoise Gross-Friedrichsburg en Afrique de l’Ouest. Dans les domaines 12 Voir aussi l’analyse critique de artistiques, muséaux et scientifiques, Schönhuth et Eckstein (2011). Basé les choses bougent de plus en plus : par sur des recherches de terrain sur place, exemple le spectacle historique en plein ils dégagent le reflet de l’image ambi- air Das Brandmal (2018) se penche valente de l’Afrique chez Schlingensief sur la traite négrière à Emden au 17ème dans l’Operndorf où ils ont observé une siècle. La ville de Hambourg a créé en volonté à inverser les rapports de force 2014 le centre de recherche Hamburgs établis, mais aussi une continuité d’un (post-)koloniales Erbe / Hamburg und discours problématique dans le sens die frühe Globalisierung, https://www. d’une « aide » au développement. geschichte.uni-hamburg.de/arbeits- 13 La première représentation de bereiche/globalgeschichte/forschung/ L’Africaine en 1865, un an après la mort forschungsstelle-hamburgs-postko- de Meyerbeer, a été réalisée dans la ver- loniales-erbe.html (20.08.2019). sion falsifiée de François-Joseph Fétis, En 2017/18, le musée maritime de comme le musicologue Jürgen Schläder Flensbourg a organisé sous la direc- a découvert ; Schläder a reconstruit la tion de la curatrice jamaïcaine Imani version originale (cf. Ernst 2013). Tafari-Ama l’exposition Rum, Schweiß 14 Mise en scène : Lionel Poutiaire & Tränen. Flensburgs koloniales Erbe, Somé, Thomas Goerge et Nina Gühl- https://www.schifffahrtsmuseum- storff ; Dramaturgie : Michael von zur flensburg.de/files/PDF/Downloads/ Mühlen et Philipp Amelungsen ; Di- Flensburger_Schifffahrtsmuseum_ rection musicale : Michael Wendeberg ; DMB_Muku_218_05%20Grigull. Composition : Richard van Schoor ; pdf (25.08.2019). Il faut également Sound Design : Abdoul Kader Traoré; rappeler l‘exposition importante Deut- Créateur de décors et de costumes: Da- scher Kolonialismus. Fragmente seiner niel Angermayr ; Artistes performeurs: Geschichte und Gegenwart en 2016 Lionel Poutiaire Somé, Rosina Kaleab, du Deutsches Historisches Muse- Telma Bouabeng et Serge Fouha. um de Berlin: https://www.dhm.de/ ausstellungen/archiv/2016/deutscher- 15 La première de L‘Européenne est kolonialismus.html (20.08.2019) prévue pour mai 2020. et les documents éducatifs quant à

133 l’exposition Verflechtungen. Koloniales und rassistisches Denken und Handeln im Nationalsozialismus (2018) dans le site commémoratif du camp de concen- tration de Neuengamme : http://www. verflechtungen-kolonialismus-national- sozialismus.de/start.html (20.08.2019). L’Université de Brême a réalisé entre autres le projet scolaire Das Gewebe der Sklaverei. Auf den Spuren transatlan- tischer Versklavung in Bremen (cf. Gleich / Spatzek 2015) et, en plus, le projet de recherche brêmois s’intitulant German Slavery sous la direction de l’historienne Rebekka von Mallinckrodt, https:// www.frueheneuzeit.uni-bremen.de/ index.php/de/forschung/german-slave- ry (20.08.2019). Pour l’Allemagne en tant que Slavery Hinterland voir en particulier : Brahm / Rosenhaft 2016 ; Raphael-Hernández 2015 ; Raphael-Hernández / Wiegmink 2017 ; Conrad 2012 ; Degn 2003 ; Rössler 2011 ; Roth 2017 ; Simmer 2000 ; Weber 2009 ; Zimmerer 2013; Zimmerer / Perraudin 2011.

134 interculture journal 18/32 (2019) 135 136 interculture journal 18/32 (2019) Die „Möbelpacker der Entkolonialisierung“ entrümpeln und erneuern die Oper L’Africaine von Giacomo Meyerbeer Interview mit Lionel Poutiaire Somé, Philipp Amelungsen und Michael von zur Mühlen (Oper Halle) von Natascha Ueckmann und Christoph Vatter (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)

Abstract (Deutsch)

Giacomo Meyerbeers Grand opéra L’Africaine (1865) wurde in der Spielzeit 2018/19 von einem europäisch-afrikanischem Team neu bearbeitet und von September 2018 bis Juni 2019 an der Oper Halle in vier Etappen gezeigt. Ziel dieses Prozesses war, das koloniale Erbe der Oper zu hinterfragen und an einer „Afrikanisierung“ des Werks zu arbeiten. Im hier dokumentier- ten Gespräch vermitteln Regisseur und Performer Lionel Poutiaire Somé sowie die Dramaturgen Michael von zur Mühlen und Philipp Amelungsen (Oper Halle) Einblicke in diesen Prozess und die damit verknüpften interkulturellen Herausforderungen. Das Interview wurde von Natascha Ueckmann und Christoph Vatter (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) im März 2019 im Opernhaus Halle (Saale) geführt.

Schlagwörter: Oper, postkolonial, Afrika, kulturelle Zusammenarbeit, interkulturelle Interaktion, kulturelles Gedächtnis

Abstract (English)

Giacomo Meyerbeer’s Grand opéra L‘Africaine (1865) was radically restaged at the opera of Halle (Germany) in 2018/19. The European-African team aimed at questioning the opera’s colonial heritage, attempting an “africanization” of the play. The re- sults of this process were presented to the public in four stages from September 2018 to June 2019. In this interview, the director and performer Lionel Poutiaire Somé and the dramatic advisors Michael von zur Mühlen and Philipp Amelungsen (Halle Op- era) give insights in the production process and talk about the intercultural challenges linked to it. The interview was conducted by Natascha Ueckmann and Christoph Vatter (Martin Luther University of Halle-Wittenberg) at the Halle Opera House in March 2019.

Keywords: Opera, postcolonial, Africa, cultural cooperation, intercultural interaction, cultural memory

137 Natascha Ueckmann / Christoph gedacht, ein Festival in diesem Hotel zu Vatter: Ihre transkulturelle Version der veranstalten; in diesem Zusammenhang Oper L’Africaine (1865) von Giaco- ist die Idee zu L’Africaine entstanden. mo Meyerbeer spielt 2018/19 in vier Im zur Flüchtlingsunterkunft um- Etappen an der Oper Halle und dann gewandelten Hotel Maritim wollten in Lübeck. Könnten Sie uns Ihren Aus- wir mit Künstlern arbeiten, die nicht- gangspunkt schildern: Warum haben europäischer Herkunft sind. Und wa- Sie sich genau für diese Oper entschie- rum L’Africaine? Hat die Grand Opéra den? Inwiefern ist das Genre Oper mit etwas mit der Kolonialgeschichte zu postkolonialen Fragen verbunden? Ist tun? Ich würde sagen ja; denn man Meyerbeers L’Africaine ein typisches könnte sagen, dass man in fast allen Zeugnis der europäischen Kolonialge- Kolonien, zu einer bestimmten Zeit, schichte? versucht hat Opernhäuser zu bauen, in Manaus im Nordwesten Brasiliens Lionel Poutiaire Somé: Für mich oder in Kairo in Ägypten zum Beispiel. liegt der Ausgangspunkt hier in Halle. Die Oper im 19. Jahrhundert war Es gab ein Treffen unseres Kollektivs1 die komplexeste Kunstform, die das mit Michael v. zur Mühlen zu einem Potenzial Europas zeigte. Auf kultu- experimentellen Projekt namens „You reller Ebene war dies etwas, das es zu can change yourself into gold“, einer exportieren galt, und somit integraler Mischform aus Oper, Slam, Video- und Bestandteil der kulturellen Koloniali- Soundinstallation. Was ihn interes- sierung. Die Handlung von L’Africaine siert hat, war zum einen, dass wir mit bezieht sich auf die Reisen des portu- Stereotypen spielen − den Repräsenta- giesischen Seefahrers Vasco da Gama, tionen von Afrika aus Sicht der Euro- der als erster Europäer auf dem Seeweg päer und Europabildern aus Sicht der Indien erreichte, durch Umschiffung Afrikaner − und zum anderen, dass wir des Kaps der Guten Hoffnung. Dies in unserer künstlerischen Arbeit einen gehört zum Beginn der Epoche des postkolonialen Diskurs entwickelten. transatlantischen Sklavenhandels. Der Westen beginnt, den Rest der Welt zu Michael v. zur Mühlen: Es war in der unterwerfen. Bei dieser Geschichte, Tat ein Interesse an der Gruppe. Ich die auf sehr exotisierende Weise erzählt kannte die Arbeit von Thomas Goerge wird, handelt es sich also um eine Oper, und ich habe auch eine Inszenierung aus der man interessante postkoloniale gesehen, die er mit Lionel Somé und Problemstellungen entwickeln und die Kader Traoré als Performancekünstler Perspektive geraderücken kann. an der Staatsoper Berlin gemacht hat, und ich kannte auch ihre Verbindung Natascha Ueckmann: Meyerbeers zur Arbeit von Christoph Schlingensief. Oper ist Ausgangspunkt Ihrer Reflexi- Für uns als Oper war es interessant on, aber Sie lassen sich auch von ande- etwas im Bereich der Transkulturalität ren Genres und Materialien inspirieren. zu machen. Also haben wir hier ein Sie bringen den europäischen Kompo- gemeinsames Projekt begonnen. Daraus nisten Giacomo Meyerbeer an der Seite entstand die Idee, vielleicht eine Oper der Afrikanerin Sarah Baartman auf die über den burkinischen Panafrikanisten Bühne – eine Frau, die gewaltsam von und anti-imperialistischen Staatsmann Südafrika nach Europa verschleppt, Thomas Sankara, den „afrikanischen versklavt und in Europa wegen ihres Che Guevara“, zu machen. Aber in großen Gesäßes ausgestellt wurde, wo Halle gab es damals die Situation, dass sie den Spitznamen „Hottentotten-Ve- das ehemalige Hotel Maritim in eine nus“ erhielt. Könnten Sie uns erklären, Erstaufnahmestelle für Geflüchtete warum diese zwei historischen Persön- umgewandelt wurde. Und das war lichkeiten als Zeugen (oder Zuschauer dann der eigentliche Ausgangspunkt oder Vorfahren) der kolonialen Vergan- für L’Africaine. Zuerst hatten wir daran genheit und der Operngeschichte an der Aufführung teilnehmen? 138 Lionel Poutiaire Somé: Unsere Insze- deren Ursprung in der Barbarei der ko- nierung ist eine Collage aus mehreren lonialistischen Ideologie liegt. Das Ri- künstlerischen Ausdrucksformen. Aus- tual ist eigentlich ein Plädoyer, das sich gangspunkt ist die Oper als Genre mit an die psychisch kranke Gesellschaft dem Chor, den Solisten, der Musik, richtet, in der wir leben: die sich trotz die wir mit der Performance in Dialog des Scheiterns verschiedener westlicher bringen, mit Schauspielern, die mit Therapien weigert, nicht-westliche Lö- dem Ensemble interagieren. Beim Büh- sungen oder Heilmittel auszuprobieren. nenbild arbeiten wir auch mit Videoele- Wir haben Parallelen zwischen Meyer- menten und all den verschiedenen Ebe- beers und Baartmanns Geschichte gezo- nen der Narration und Ausdrucksstilen, gen, die zur gleichen Zeit spielen; und die sich aneinanderreihen, um ein neues natürlich erlauben wir uns in unserer Genre zu schaffen. Giacomo Meyerbeer künstlerischen Arbeit, die Geschichte und Sarah Baartmann, die wir auf der zu manipulieren, in die Irre zu führen, Bühne zum Leben erwecken, repräsen- neu zu erfinden, um die Aufmerksam- tieren für uns sowohl den europäischen keit auf die Existenz verschiedener Pa- Vorfahren, als „Superstar“ seiner Zeit, radigmen zu lenken, die die Geschichte und selbstverständlich den afrikani- selbst definieren, um beim Publikum schen Vorfahren, auch ein „Superstar“ einen persönlichen Reflexionsprozess möchte ich sagen, der sich aber eher anzustoßen. Was ist die Wahrheit? Wer einer traurigen Berühmtheit erfreute. hat das Monopol darauf? Die Geschich- Wir haben versucht zwei Erzählebenen te in den USA, wie der Rapper KRS zu entwickeln: die erste geht von einem One in seiner philosophischen Refle- Reinigungsritual aus; über vier Stufen xion „Black Oustory“ sagt: „History is gelangt man zu einer Metamorphose, not my story, it’s literally his story. The die lang erwartete Entkolonialisierung white man colonialist story, the story of des Geistes. Die erste Stufe ist die the world through his eyes. So we have Auseinandersetzung mit den Ahnen to write ourselves our story.“ Michael (Fotouona djami yélé), die zweite die von zur Mühlen hat uns dramaturgisch Versöhnung (Boo a san pkaminé), die geholfen, gerade auf der Ebene der ver- dritte dann die Reinigung (Piir a sién), schiedenen Repräsentationen des Ande- um schließlich zur Verwandlung (Nisalb ren, des Fremden, des Exotischen, wel- liéfo) zu gelangen. Wir wurden von che es im Theater und der europäischen einem Ritual meines Landes inspiriert. Oper im 19. Jahrhundert gab. Das Ziel Ich komme aus der Ethnie der Dagara unseres Projektes ist es also, eine bereits aus dem Südwesten von Burkina Faso. bekannte Geschichte aus einer neuen Wir haben immer noch sehr enge Be- Perspektive zu erzählen. Denn die Ge- ziehungen zur Natur. Wir praktizieren schichte wurde zu lange vom Kolonisa- immer noch den Ahnenkult, wir haben tor erzählt und geschrieben. Der Kolo- den gleichen Gott wie alle anderen, nisierte hat keine Geschichte. Aber ich aber der Vermittler zwischen uns ist denke, jetzt ist es an der Zeit, dass man nicht Jesus, Mohammed oder Buddha, auch die Geschichte aus der Perspektive sondern es sind unsere Ahnen. Das des Kolonisierten hört. könnte mein Großvater sein, der vor einigen Jahren gestorben ist, dem ich Christoph Vatter: Inwiefern stellt die mich näher fühle als irgendeinem Pro- Oper bzw. das Theater einen prädes- pheten zum Beispiel. Wenn es in der tinierten Ort für diese postkolonialen Gemeinschaft zu schweren Ereignissen Verhandlungen dar? kommt, die Traumata hinterlassen, ist ein Ritual nötig, um das Gleichgewicht Michael von zur Mühlen: Was am wiederherzustellen und beiden Seiten Theater interessant ist, ist die Idee der eine Heilung zu ermöglichen. Europa Repräsentation, denn die Oper ist ein und Afrika leiden unter einer PTBS Genre der Repräsentation, insbesondere (Posttraumatischen Belastungsstörung), der Repräsentation von Macht. Das

139 Theater eröffnet eine gewisse Mög- Herausforderungen wir stehen. Ein lichkeit, ein Spiel mit den Repräsenta- Beispiel ist, dass eine Inspiration für tionen. Eine Oper zu nehmen und sie die ersten beiden Teile von L’Africaine in zwei Teile zu schneiden und andere – und im Prinzip auch für die Gesamt- Materialien einzufügen, zielt auf eine dramaturgie über die vier Etappen Dekonstruktion und eine Rekonstruk- hinweg – aus der Praxis des Rituals tion der Geschichte ab. aus Burkina Faso kommt. Wir haben schnell gemerkt, dass dieses Ritual sehr Natascha Ueckmann: Welche Rolle schwierig auf einer deutschen Theater- sollte die Oper, als Ort des Austausches, bühne zu vermitteln ist, denn es gibt ja der Partizipation und der Repräsenta- kein Vorwissen um Rituale aus Burkina tion in der aktuellen Debatte bezüglich Faso. Und sobald so eine Ritualhand- der asymmetrischen postkolonialen lung auf der Bühne vollzogen wird, Beziehung zwischen Europa und Afrika kann das mit einer Exotisierung ein- spielen? Welche Rolle – in Hinblick auf hergehen. Wir können uns auf keinen den Zusammenhang zwischen Ethik gemeinsamen kulturellen Referenzraum und Ästhetik – bei der aktuellen Frage beziehen. Jetzt kann man natürlich von Migration und Asyl spielen? fragen, gibt es denn überhaupt diese festen kulturellen Referenzräume oder Christoph Vatter: Wir sitzen hier im ist in transkulturellen Konzepten nicht Opernhaus Halle, in einem sehr reprä- sowieso alles fließend? Aber, wenn hier sentativen Gebäude. Inwieweit können eine mehrheitlich weiße Stadtbevölke- derartige Institutionen hegemoniale rung in ein Opernhaus ‚pilgert‘, mit Repräsentationen überhaupt stören und einem konventionellen Anspruch an vielleicht sogar durch solche perfor- Oper, dann merkt man schnell, wie eng mativen Ansätze ein anderes Publikum kulturelle Räume sind und wie schwer gewinnen – und gleichzeitig auch dem die Vermittlung anderer kultureller ästhetischen Anspruch und der Opern- Perspektiven oder Praktiken ist. Wenn tradition gerecht werden? der Bezug zum Ritual beim Publikum nicht da ist, läuft die Inszenierung Ge- Philipp Amelungsen: Ich habe den fahr zu einer Art Dokumentation über Eindruck, dass durch die gemeinsame Afrika zu avancieren, einhergehend mit Arbeit an L’Africaine sowohl künstle- der Bestätigung exotistischer Klischee- rische als auch kulturelle Welten hier bilder. Die Inszenierung eines Rituals, am Haus zusammentreffen. Zum ei- die eigentlich gut gemeint ist, kann so nen gibt es Performende, die keinen mitunter zur Bestätigung der eigenen Stadttheater-Hintergrund mitbringen regressiven Vorstellung werden. und zusätzlich noch eine andere Mig- rationsgeschichte haben als die meisten Natascha Ueckmann: Wodurch wird unserer Sänger und Sängerinnen. Diese das Ritual denn auf der Bühne kon- Menschen treffen zusammen und lassen kret aufgerufen? Woran erkennt der es zu einer Begegnung von Oper und Zuschauer, dass es um eine Reinigung, Performance kommen, die dann wiede- eine Dekonstruktion, eine Rekonstruk- rum auf ein vielfältiges Publikum stößt. tion und am Ende um eine Transforma- Das wirft viel mehr Fragen auf als Ant- tion geht? worten auf kulturelle und soziale Kon- flikte. Genau das versuchen wir trans- Lionel Poutiaire Somé: Der erste parent zu machen. Dabei stolpern wir Schritt war zunächst die Inszenierung auch selber manchmal, und kommen der dramatischen Geschichte von darüber auch jenseits der Bühne ins L’Africaine, dieser schönen Oper des 19. Gespräch, sei es in Dialogformaten oder Jahrhunderts, Meyerbeers Grand opéra, in persönlichen Begegnungen. In diesen die wir auf unsere Art und Weise inter- verschiedenen Vermittlungsleistungen pretiert haben. In dieser Interpretation merken wir sehr stark, vor welchen inszenierten wir eine Schauspielergrup-

140 interculture journal 18/32 (2019) pe afrikanischer Herkunft, Performende Frau zu engagieren, um einen europäi- – wir sind zu sechst auf der Bühne, ich schen Klassiker zu spielen. bin Sié Sankoumine, der Schamane. Ich habe eine Weissagung meiner Ahnen Michael v. zur Mühlen: Das Theater erhalten, die von mir verlangt ganz be- hat einen sehr großen Anteil daran, stimmte Personen zu suchen, mit ganz wie Subjektivität und Wahrnehmung speziellen Fähigkeiten und sie zusam- konstruiert werden. Ohne bestimmte menzubringen, um ein Heilungsritual Frauenrollen hätte sich zum Beispiel zu vollführen. Jede dieser Personen manche Vorstellung von Psychologie repräsentiert eines der fünf Elemente und Hysterie nie herausbilden können. der Kosmologie der Dagara: das Wasser, Das ist das Schöne am Theatermachen: das Feuer, die Erde, die Mineralien, auf der Ebene der Repräsentation kann die Natur; und der „Hase mit dem man solche Verschiebungen sehr direkt Schluckauf“, eine mystische Kreatur, ist stattfinden lassen. Für uns ist es in meh- der Wächter des Übergangs zwischen rerlei Hinsicht sehr wichtig gewesen, Leben und Tod, dessen Anwesenheit dieses Projekt zu machen: Zum einen es bedarf, um das Ritual auszuführen. haben wir es mit zunehmenden Anfor- Während der Ouvertüre knien sich die derungen durch bestimmte politische fünf Elemente in Begleitung des Hasen Kräfte zu tun. Da gibt es die Forde- vor die Puppen von Meyerbeer und rung an das Theater, es müsse wieder Baartmann, transportieren sie auf zere- europäischer, gar deutscher werden. monielle Weise, um sie jeweils auf einen Zum anderen wollen wir provozieren, Hochstuhl (mit Stelzen) in der Höhe zu explizit eine andere Form von kultu- platzieren und ihr Leben zu feiern: die- rellem Verständnis dagegensetzen. Das ser Abend ist also ein Abschiedsfest. So ist vielleicht auch eine Besonderheit wird das bei uns, den Dagara, gemacht. dieses Projekts. Es gibt viele Theater, Wenn jemand stirbt, stellt man ihn in die mit Migrantinnen und Migranten seinen schönsten Gewändern aus, man Theater machen, allerdings verbleiben feiert ihn 10 oder 15 Tage lang, bevor die Darsteller oft in der Position des man ihn begräbt. Ein Teil der Inszenie- Migranten oder der Migrantin. Wir rung des ersten Blocks von L‘Africaine dagegen wollen Autorinnen und Auto- ist von diesem Ritual inspiriert. Wir ren haben, die eben nicht aus der Posi- haben versucht eine neue Repräsen- tion des Schwächeren heraus erzählen, tation zu schaffen, ausgehend von der sondern, im Gegenteil, die Perspektive Erfahrung jeder/s Einzelnen unserer umdrehen. Und da gehört es dazu, dass transkulturellen Gruppe, und so einen die Oper selbst, am Anfang der Insze- neuen Diskurs in die Oper und das eu- nierung, auch so eine Art Ahnin ist, die ropäische Theater im Allgemeinen ein- man sich genau anschaut – aber diesmal zubringen. Jede Etappe dieses Rituals mit dem umgekehrten ethnologischen repräsentiert einen Zustand, eine Probe, Blick. Da kommen die „Möbelpacker die es zu bestehen gilt, um zur nächs- der Entkolonialisierung“, wie wir die ten Etappe zu gelangen. Eigentlich bin Performer genannt haben, schauen sich ich Filmregisseur, kein Theater- oder dieses Objekt L’Africaine an, lassen es Opernregisseur, aber ich hatte die Gele- fremd werden. Im zweiten Teil führen genheit mit einigen zusammenzuarbei- sie dann eine Diskussion darüber und ten, mit denen ich diese Welt aus einem rütteln an diesen Herkunftsmythen, anderen Blickwinkel entdeckte, und ob das gute europäische Theater, die fing an, über dieses künstlerische Uni- europäische Oper, nicht vielleicht auch versum nachzudenken. Die Frage, die aus Afrika kommt, was sein oder auch mich in unserer aktuellen Inszenierung nicht sein kann. Es macht auf jeden Fall beschäftigt, ist die Stellung eines Afri- Spaß an diesen kulturell vorgeprägten kaners hier in Deutschland im Theater Dingen zu rütteln. Eine Stadt wie Halle oder in der Oper. Viele Theater können kann so eine gewisse Vorreiterrolle mit sich nicht vorstellen, eine Schwarze Blick auf die Frage einnehmen, wie eine

141 Gesellschaft sich selbst über eine Re- präsentationsform wie die Oper erleben und spiegeln kann.

Abb. 1: Die Möbelpacker der Entko- lonialisierung greifen ins Operngeschehen ein (L’AFRICAINE II: BOO A SAN PKAMINÉ - Versöhnung), Bühnen Halle / L'Africaine / Foto: Falk Wenzel Der dritte Teil entfernt sich von der musikalischen Form der Oper. Brachte Natascha Ueckmann: In den ersten der erste Teil von L’Africaine noch his- Teilen der L‘Africaine sind es die Wei- torische, große symbolische Gesten der ßen, die singen, und die Schwarzen, Oper auf die Bühne, so setzen wir dem die als Störer auftreten, nur mit dem jetzt eher Rap und Popkultur entge- gesprochenen Wort ausgestattet. Die gen. Es handelt sich also auch um eine Oper steht in Konfrontation mit dem Suche nach neuen Formsprachen und Sprechtheater. Was sind die Perspek- Positionen, die von einem postkolonia- tiven für die dritte und vierte Insze- len Bewusstsein geprägt sind. Vielleicht nierung? Gibt es Veränderungen in gibt es auch noch stärkere Ausdrucks- Hinblick auf die Frage, wer singt und formen als die Oper, vielleicht ist die wer spricht? Oper auch ein problematisches Kul- turgedächtnis, was uns erst bewusst Philipp Amelungsen: Im vierten Teil wird, wenn wir uns produktiv mit ihr gibt es neu komponierte Musik von auseinandersetzen. Vielleicht sind an- Richard van Schoor. Er hält Meyerbeers dere Kunstformen wie in der Popkultur musikalischen Welten des 19. Jahrhun- schon viel stärker, wenn man sich zum derts Zeitgenössisches entgegen; und Beispiel ansieht, wie Beyoncé als wich- auch die Performenden übernehmen tige emanzipatorische Schwarze Stim- einen musikalischen Part. Aber das ist me aus Amerika mit ihren Bildwelten letztlich auch eine technische Frage: und ihrer Musik Ikonen schafft, z.B. Die Performenden sind keine ausgebil- mit dem Video zu „Apeshit“ mit Jay- deten Sänger und Sängerinnen, so dass Z, bei dem es diese große Aneignung man die Rollen nicht einfach tauschen weißer Kunst durch die Aufnahmen 2 kann. Ein Opernsänger kann nicht im Louvre gibt. Dies schafft viel stär- ohne Weiteres zum Sprechtheater und kere und heute auch viel verstehbarere ein ausgebildeter Schauspieler kann Bilder für ein großes Publikum als die nicht einfach zur Oper wechseln, d.h. Meyerbeer-Oper. Uns geht es darum, die Akteure bleiben zum Teil in ihren diese Ausdruckswelten miteinander in jeweiligen Welten verhaftet. Uns geht es Beziehung zu setzen. Die Herausforde- um bestimmte Randgebiete: Wo kann rung ist zu prüfen, ob sich Popkultur man sich gegenseitig spiegeln? Wo kann und Opernwelt nicht doch etwas zu man sich auf einen Moment der Begeg- sagen haben. Im 19. Jahrhundert war ja nung einlassen? die Oper die Popkultur ihrer Zeit, aber

142 interculture journal 18/32 (2019) heute gibt es andere Bilder und neue große Aufgabe des dritten Teils, sehr Formsprachen. Gemeinsam ist beiden unmittelbar auf die Leute zuzugehen Ausdrucksformen, dass sie auf Größe, und die Auseinandersetzung mit dem auf Überzeugung, gar Überwältigung Publikum zu suchen, zum einen auf zielen und letztlich durch Bilder auch der Ebene von Erfahrung und zum Politik machen. Da treffen sich die bei- anderen auf der Ebene von Interakti- den Ästhetiken und das versuchen wir on. Wir stellen immer wieder fest, wie zu thematisieren. wenig die deutsche Kolonialgeschichte im Kulturgedächtnis verankert ist; es Natascha Ueckmann: Sie spielen gibt dazu kaum eine tragfähige Erinne- L’Africaine im Rahmen der „Raumbüh- rungskultur. Aber wie vermittelt man ne Babylon“, welche die Opernbühne Entkolonialisierung, wenn es kaum in Halle in einen neuen Theaterraum Erinnerung an den Kolonialismus gibt? umwandelt. Der Zuschauerraum und Wie können wir auf der Bühne von der die Bühne verschmelzen zu einem de- deutschen Kolonialgeschichte erzählen? mokratischen Bühnenraum. Was be- Wir wollten nicht unser Vorgehen aus deutet das für Ihre Arbeit? der zweiten Etappe wiederholen, was in Teilen als zu dozentenartig oder di- Lionel Poutiare Somé: Im ersten Block daktisch daherkam. Wir brauchten ein hat es szenisch sehr gut funktioniert, neues Format, das Wissen vermittelt, musikalisch aber überhaupt nicht. aber gleichzeitig auch verführerisches, Szenisch schuf es eine Nähe zum Publi- wenn auch brüchiges oder ironisches kum, was ihm, meiner Meinung nach, Entertainment darstellt. Wir haben uns ein neues Theatererlebnis ermöglichte. für eine Quizshow entschieden. Es gibt Aber auf technischer Ebene gab es ein also eine Kolonialismus-Quizshow, in Problem, zum Beispiel, weil der Chor der auf eine sehr verführerische, hoch- und die Solisten Blickkontakt mit dem energetische Art Dinge gefragt werden, Dirigenten brauchen und sie zudem, über die man stolpert, weil man sie wegen der Akustik, in eine bestimmte wahrscheinlich nicht weiß, und dann Richtung singen müssen, zu Ungunsten überrascht oder verblüfft ist. Das Pub- einiger Zuschauer, die deshalb keine likum ist dann gefragt, sich ein Stück gute Akustik erlebten. Aus diesen tech- weit zu offenbaren und zuzugeben: nischen Gründen wurde gemeinschaft- „Oh, das weiß ich jetzt nicht, ich rate lich entschieden bei den kommenden trotzdem mal.“ Aufführungen wieder klassisch zu spie- len.

Philipp Amelungsen: Ich würde das gerne ergänzen: Die Raumbühne Ba- bylon hat technische Gegebenheiten, die es erlauben nach allen Seiten hin zu spielen. Warum wir letztlich doch nach vorne und nicht zu allen Seiten spie- len, liegt an den genannten Gründen. Aber Performance ist natürlich etwas, was als Kunstform oder als Genre dem Publikum direkt und unmittelbar be- gegnet. Es gibt keine ‚vierte Wand‘, sie wird eingerissen. Unser Eindruck war, dass die Performenden bisher immer noch die ‚Fremden‘ waren; sie haben es in den ersten beiden Teilen noch nicht geschafft, sich das Publikum zum Komplizen zu machen. Darum ist die

143 Abb. 2: Postkoloniale Quiz-Show (L’AFRICAINE III : PIIR A SIÈN - Reinigung), Bühnen Halle / L'Africaine / Foto: Falk Wenzel Es gilt nicht in Klamauk zu verfallen und eine Ernsthaftigkeit beizubehalten, Michael v. zur Mühlen: Darüber hi- gleichzeitig darf man auch nicht zu the- naus gibt es auch Momente, in denen oretisch werden. Ich glaube, das ist eine das Publikum entscheiden kann. Diese ganz besondere Herausforderung. Intervention zielt darauf ab, ob das Publikum bereit ist Verantwortung zu Philipp Amelungsen: Das ist in der übernehmen. Denn der Schluss der Tat schwierig. In jedem Teil probieren Oper ist eigentlich ‚unsäglich‘: Wäh- wir etwas Neues aus, ohne zu wissen, rend die Weißen wieder glücklich nach ob es klappt oder nicht. Für uns alle ist Europa zurücksegeln dürfen, kommt es eine völlig neue Situation. Im ersten es zum Schwarzen Frauenopfer. Selika Teil hatten wir vor allem die konventi- stirbt, sie tötet sich selbst, indem sie aus onelle Oper auf der Bühne. Dennoch Liebeskummer den giftigen Duft des wirkte sie schräg, weil sie nicht na- Manchinelbaums einatmet, was einer turalistisch, sondern auf einer hohen äußerst kruden Exotisierung gleich- Symbolebene gezeigt wurde. Der zweite kommt. Will das Publikum dieses Ende Teil war eher konfrontativ: Performance sehen? Es gibt wundervolle Musik, die gegen Oper, Schwarz gegen Weiß, viel schönste Musik der ganzen Oper, aber Wissen in einer hochpoetischen Spra- zu welchem Preis sieht und hört man che und die Ästhetik der Oper. Es ging das? Bei uns muss das Publikum ent- um Konkurrenzverhältnisse, was eine scheiden, ob es die schöne Musik hören interessante Spannung aufgemacht, möchte und dafür das Ende in Kauf aber nichts aufgelöst hat. Wir werden nimmt, oder ob es ein alternatives Ende auch weiter Probleme aufdecken und ohne diese Musik annimmt. Diskursangebote machen, wir probie- ren ganz verschiedene Ansätze aus, um Natascha Ueckmann: Das ist eine zen- der Frage auf den Grund zu gehen: trale Frage: Wie hält man die Balance Wie kommen wir eigentlich in einen zwischen dem verführerischen Charme Dialog? Wie kann man so festgefahrene des Theaters und der Gewalt, die es kulturelle Behauptungen oder Kons- zeigt? Hier ist die Oper durch den kolo- truktionen auflösen? nialen Hintergrund hochgradig belastet.

144 interculture journal 18/32 (2019) Natascha Ueckmann: Inwiefern sollen schon mit der Selbstbezeichnung an. rassistische Diskurse aufgenommen Sagen die Kollegen, ich bin Schwarz − werden? Spielen Sie – wie schon Jean oder person of color? Dazu gibt es sehr Genet in Les Nègres (1959) – mit ver- kontroverse Meinungen, die wir als schiedenen Diskursen über Schwarze Erfahrungen miteinfließen lassen. Wir Menschen? Prangert Ihre Inszenierung haben beispielsweise Interviews mit die rassistischen Diskurse, die der den Performenden gemacht, welche Entwertung, wie auch die der Idealisie- Erfahrungen sie mit Alltagsrassismus rung und der Viktimisierung, an? Sie machen; daraus haben wir kleine Mo- machen nicht das gleiche wie Genet, nologe gebaut und so wiederkehrende das ist klar, aber es ist auch ein theoreti- Erfahrungsmomente destilliert, z.B. scher Zugang, ein Zugang, in den man dass Menschen oft das Afrohaar anfas- die bestehenden Diskurse einbeziehen sen möchten und dass damit eine Über- muss, um sie zu dekonstruieren. griffigkeit einhergeht, weil das überall passieren kann, im Supermarkt oder in Lionel Poutiare Somé: Absolut. Für der U-Bahn. Die eigene Haut, der ei- uns war klar, dass dieses Projekt nicht gene Körper ist eigentlich nie geschützt darauf abzielt die Schuld auf den und immer ausgestellt. Wir versuchen anderen zu schieben, nämlich dass diese Erfahrung an das Publikum zu- Europa uns alles genommen hat. Wir rückzuspiegeln, indem die Performer versuchen alle möglichen bestehenden ins Publikum gehen und das Haar oder Diskurse im größtmöglichen Umfang die Haut einiger Zuschauer berühren. darzustellen, und die Dringlichkeit zu Gleichzeitig wird diese Rassismus- verdeutlichen, etwas gegen diese Re- erfahrung auf der Bühne inszeniert. alität zu unternehmen, gegen den oft Schilderung der Erfahrung, die ich subtilen Alltagsrassismus, gegen den auf der Bühne höre, und dem, was ich strukturellen Rassismus, der auf einer selber gerade an meinem Leib erfahre kolonialistischen Ideologie gründet, – so entsteht entlang einer geschützten die behauptet, Afrika oder der Rest der Grenzüberschreitung im Theater eine Welt tragen nichts, oder schlimmer, eigene Reflexion über Rassismus. hätten nie etwas Konstruktives zur Ent- wicklung der Menschheit beigetragen. Christoph Vatter: Wir sind jetzt schon Unser Konzept hat sich den Gegeben- mitten im letzten Teil des Gesprächs, heiten unseres Projekts angepasst, um in dem wir über konkrete Erfahrungen es als Material für unsere Inszenierung in der interkulturellen Kommunika- zu nutzen: die direkt erlebten Alltags- tion und Zusammenarbeit sprechen erfahrungen, die Frustrationen durch möchten. Diese funktioniert häufig bewussten oder strukturellen Rassismus wie ein Spiel, weil ein offener, kreativer und die während der Entwicklung des Kommunikationsraum entsteht, in Projekts aufgetretene Diskriminierung dem die Beteiligten Bedeutungen und – all das haben wir wieder in unseren Regeln aushandeln – und das häufig in künstlerischen Diskurs eingebracht. einem Spielmodus. Man tut so als ob, probiert sich aus und kann verschiedene Philipp Amelungsen: Die Frage zielt Rollen einnehmen – ähnlich wie auf auch auf Vielstimmigkeit ab. Wir haben der Bühne. Wie verhält es sich denn schon in den Diskussionen unter uns bei L’Africaine? Wer spielt hier eigent- gemerkt, dass es sehr viele verschiedene lich zusammen? Sind es Afrikaner und Haltungen zu Rassismus gibt. Emp- Europäer, sind es Deutsche und Burki- findet sich eine Performerin oder ein nabé, sind das Performer und Opern- Performer, der schon lange in Deutsch- leute, sind das Hallenser und in West- land lebt und Alltagsrassismus erfährt, deutschland lebende Afrikaner? Welche immer noch als Opfer? Entgegne ich kulturellen Unterscheidungen kommen dem jetzt etwas oder mache ich einfach in der Zusammenarbeit auf und welche weiter, weil ich müde bin? Es fängt Konfliktlinien zeichnen sich ab?

145 Lionel Poutiaire Somé: Was kann ich und das hat Konsequenzen. Ein gutes sagen? Ich denke, dass wir, die Perfor- Beispiel für Konflikte ist die Regie- mance-Künstler, vor allem als „die Afri- anweisung, dass dem Publikum die kaner“ betrachtet wurden. Verantwortung übergeben wird zu ent- scheiden, ob die Sängerin der Selika am Michael v. zur Mühlen: Was ja auch Ende ihre Arie singen darf oder nicht. schon eine Fiktionalisierung ist, nicht Als Sängerin ist sie natürlich totun- wahr? glücklich über diesen Eingriff, denn sie brennt dafür, die Arie zu singen. Sie übt Lionel Poutiaire Somé: Natürlich, ihren Beruf mit einer großen Professio- eigentlich müsste das sehr multikultu- nalität und Leidenschaft aus. In ihrem rell sein. Wir haben mit einem hetero- Selbstverständnis als Sängerin handelt genen Ensemble zu tun, das sich aus es sich also um einen massiven Ein- unterschiedlichen Nationalitäten zu- griff in das Werk und ihres Könnens, sammensetzt. Leider hatten wir auf der Teile nicht zu spielen aus Gründen, einen Seite die Afrikaner, die mit ihrem die innerhalb der Logik der Oper über- postkolonialen Diskurs die Oper um haupt nicht legitim sind. Dieses An- jeden Preis „zerstören“ wollten, auf der erkennen der eigenen Kunstform und anderen Seite die Oper, die eigentlich einer anderen Kunstform mit anderen gar nicht mehr ausschließlich europä- Gesetzmäßigkeiten stellt die eigenen isch ist (wir haben Chorsänger, Solisten Konventionen infrage bzw. tritt dazu und Musiker, die z.B. asiatisch, russisch in Konkurrenz. Das ist ein sehr kom- usw. sind), die „sich unter gleichem plexer Verhandlungsprozess, bei dem Banner verteidigen“. Es handelt sich immer wieder die Frage aufkommt, was also um mehrere Mikrokosmen, die oder wer hat jetzt eigentlich Vorfahrt? auf den ersten Blick nichts miteinander Wir finden es letztlich interessant, dass zu tun haben, sich aber durch dieses das Publikum aufgefordert ist, auch Projekt treffen und eine gemeinsame eine moralische Entscheidung zu tref- Arbeitsweise finden müssen. In diesem fen: Frauenopfer mit schöner Musik Fall war es bisher sehr konfliktvoll und oder eben kein Frauenopfer und keine ich habe nicht den Eindruck, dass unser Musik. künstlerischer Ansatz verstanden wurde oder dass das Denken sich geöffnet hat, Michael v. zur Mühlen: So lassen sich um zu versuchen unseren Diskurs zu die Spielformen und die inhaltlichen verstehen. Konflikte auf einer Ebene spiegeln. Für Opernsängerinnen und -sänger könnte Philipp Amelungsen: Mein Eindruck es immer so weitergehen; sie sind sicher, ist, dass wir uns zunächst auf einer ganz in dem was sie tun – und genauso ist grundsätzlichen Ebene als Menschen man sich als weißer Mensch auch meis- begegnen, die durch einen Arbeitskon- tens sicher, dass es immer so weiterge- text zusammengekommen sind. Theater hen könnte. Die Performance ist quasi ist eine sehr hierarchisch strukturierte die Ausnahme, die Unterbrechung von Institution, weil alles eine Funktion den Dingen. Insofern wird auf der Ebe- und eine Bezeichnung hat. Lionel ist ne der Form der Konflikt nochmal ver- nicht nur Mensch, er ist auch Regisseur handelt und affirmativ potenziert. Die und nimmt damit eine sehr wichtige Performer sind sozusagen die „afrikani- Funktion innerhalb dieser Institution schen Möbelpacker de Entkolonialisie- ein. Von ihm wird erwartet, dass er rung“ und werden so zu Repräsentan- Ansagen macht, Regie führt, die Dinge ten erhoben, ebenso wie die Oper etwas zusammenführt. Und diese Funktion Bestimmtes repräsentieren soll. innerhalb des Theatermachens spielt auch in der zwischenmenschlichen Philipp Amelungsen: Es ist ein Ringen Begegnung eine Rolle. Zusätzlich trifft um Privilegien. Durch das Zusammen- die Oper auf eine andere Kunstform treffen dieser Welten wird auch an be-

146 interculture journal 18/32 (2019) stimmten Privilegien gekratzt und das sondern eine Bemerkung gewesen, die ist nicht immer ein einfacher Prozess. rassistisch ist. Plötzlich ist man in sehr komplexen Debatten und es ist nicht Christoph Vatter: Gibt es in diesem immer leicht dafür eine angemessene Prozess der Aushandlung Vermittlerfi- Sprache zu finden. Ich kann nicht da- guren? Man spricht in der Forschung von ausgehen, dass alle an dem Projekt häufig vonintercultural interfaces oder Beteiligten mit postkolonialen Theorien médiateurs interculturels, die für eine oder mit Critical Whiteness etwas anfan- gelungene interkulturelle Kommuni- gen können. Das Opernhaus als Institu- kation einen entscheidenden Beitrag tion ist ein Betrieb von Handwerkern, leisten können. von Leuten, die ganz unterschiedlichen Berufen nachgehen. Für viele ist es ein Philipp Amelungsen: Klassischerweise ganz neues Thema, das jetzt plötzlich ist das die Position des Dramaturgen, alle Beteiligten betrifft. Verfahrenswei- der zwischen allen Ebenen, Werken, sen für die Kommunikation darüber zu Ausdrucksformen und Beteiligten in finden, ist schon eine Herausforderung. diesem Prozess moderieren und kom- munizieren muss. Das ist in diesem Christoph Vatter: Was wären denn die Projekt eine besondere Herausforde- Verfahrensweisen, die man in diesem rung, denn wir haben dafür erstmal Zusammenhang anwenden kann? Wel- keine Ausbildung. Wir können nur auf che Tipps würden Sie für vergleichbare unseren Erfahrungsschatz zurückgrei- Projekte geben? fen. Bei L‘Africaine musste auf vielen Ebenen vermittelt werden. Das ist Lionel Poutiare Somé: Es ist sehr auch für mich nicht einfach gewesen. schwierig. Sehr unterschiedliche Men- Manchmal war das Problem: wie sagt schen kommen in einem Projekt zu- man etwas? Ich gebe mal ein Beispiel: sammen, um ein wichtiges Thema zu Nehmen wir an, Kollegen treffen aus analysieren, ein Thema, das uns alle einer interkulturellen Perspektive pro- betrifft. Wir sind nicht hier, um je- blematische Aussagen, z.B. „Ich erkenne manden zu überzeugen, wir sind keine Flüchtlinge auf der Straße.“ Wenn so Politiker oder Wissenschaftler. Was ich ein Satz in einer Probensituation fällt, tue, ist ein künstlerischer Akt. Während dann intervenieren die Kollegen, die des Projekts kamen wir an einen Punkt, tatsächlich einen Migrationshinter- an dem sich die Beziehungen zum En- grund haben und nicht zu den weißen semble (Chor und Solisten), die anfangs privilegierten Europäern gehören: „Du noch nicht sehr offen waren, zu verän- kannst doch nicht sagen, dass du Ge- dern begannen. Sie brauchten Zeit, um flüchtete erkennst, wenn du hier durch zu verstehen, auf welches Abenteuer die Straße läufst, das ist doch rassis- sie sich eingelassen hatten, und um zu tisch.“ Dann kommt natürlich eine verstehen, wie sich der Diskurs entwi- Reaktion wie: „Ich bin kein Rassist, ich ckelte. Am Ende der vier Phasen von mag Ausländer, ich kenne auch Auslän- L’Africaine schlagen wir eine Hybridkul- der und wie könnt ihr mir das jetzt un- tur vor. Diese hybride, multikulturelle terstellen? Das verletzt mich.“ Es geht Kultur existiert bereits, man muss nur in solchen Fällen um Fragen der Gene- mit dem Finger auf sie zeigen. Wir ralisierung und Stereotypisierung. Über wollen diese Idee fördern; ich sehe mich was für einen Begriff von Rassismus bereits als hybrid. Ich bin mit diesen oder Diskriminierung sprechen wir hier beiden Kulturen aufgewachsen. Ich bin eigentlich? Warum reagierst du da so in Afrika aufgewachsen, aber ich wurde angespitzt? Wahrscheinlich haben wir genau wie jeder andere kleine Westler alle erstmal Rassismen in uns, mit de- ausgebildet. Wir mögen Unterschiede nen wir uns auseinandersetzen müssen. in Kultur und Lebensumständen haben, Das ist jetzt vielleicht gar nicht als Be- aber am Ende haben wir viel mehr ge- schimpfung „Du bist Rassist.“ gemeint, meinsam, als wir denken. Nach all den

147 Fortschritten bei diesem Projekt bin Schwierigkeit sein kann, aber wenn ich überzeugt, dass diese hybride Kul- ich das als Begrenzung wahrgenom- tur keine Utopie ist, sie ist bereits vor men hätte, hätte ich das Projekt nie langer Zeit entstanden, als der Globale begonnen. Wir haben uns schließlich Süden und der Okzident beschlossen entschieden die Oper auf Französisch haben, ihr Schicksal durch Willen oder zu führen, auch damit diese Sprache als durch Gewalt zu verbinden. Wir müs- Verfremdungselement auf der Bühne sen nun die Aufmerksamkeit unserer thematisiert wird. Gesellschaft auf diese Alternative len- ken, die es – jenseits von Nationalismen Michael v. zur Mühlen: Es kommt und Essentialismen – bereits gibt. auch auf den institutionellen Kontext an, z.B. im Festival-Bereich und im frei- Christoph Vatter: Es geht also eher en Theater gibt es relativ viele interna- darum das Unsichtbare sichtbar zu ma- tionale Produktionen und Austausche, chen? sogar mehr mit dem französischsprachi- gen Afrika als beispielsweise mit dem Lionel Poutiare Somé: Genau. asiatischen Raum. Aber für das normale Stadttheater trifft das weniger zu. Es Christoph Vatter: Ich habe noch eine ist oft international in den Opern- Frage, die über unseren bisherigen Kon- ensembles, dadurch dass man eben text hinausgeht. Ich habe den Eindruck, Sängerinnen und Sänger hat, die aus dass solche Kooperationen im Kunstbe- sehr unterschiedlichen Kulturen kom- reich v.a. mit dem frankophonen sub- men. Ich mache da einen Unterschied saharischen Afrika sehr selten sind und zwischen international und divers: die dass das v.a. auch an Sprachkompeten- Ensembles sind international, aber sie zen liegt, die auf beiden Seiten fehlen. sind nicht unbedingt divers. Können Sie das für Ihren Bereich be- stätigen? Häufig fällt das frankophone Natascha Ueckmann / Christoph Afrika aus Programmen raus, weil viele Vatter: Wir danken Ihnen für das In- Menschen vor Ort Französisch und terview. diverse afrikanische Sprachen sprechen, und im deutschen Kontext Französisch Ein großer Dank an Lisa Bireche für die aber eine eher marginale Rolle spielt. Unterstüzung bei der Transkription des Dass wir das Interview auf Deutsch und deutsch-französischen Interviews. Französisch führen können, ist eine Seltenheit. Endnoten 1 Das Kollektiv Angermayr/Goerge/ Lionel Poutiaire Somé: Ich weiß nicht Somé/Traoré/van Schoor besteht aus ei- was da los ist, Frankreich und Deutsch- nem internationalen Team: Daniel An- land sind Nachbarn. Es gibt so viele germayr (Österreich), Thomas Goerge Ebenen, auf denen man direkt mit (Deutschland), Lionel Poutiaire Somé Frankreich oder französischsprechenden (Burkina Faso), Abdoul Kader Traoré afrikanischen Ländern zusammenar- (Burkina Faso), Richard van Schoor beiten kann. Es war erstmal eine Über- (Südafrika). raschung, als ich hier in Deutschland ankam und bemerkte, dass nur ganz 2 Im Sommer 2018 veröffentlichten wenige Deutsche Französisch und Beyoncé und Jay-Z das Video zum wenige Franzosen Deutsch sprechen Song „Apeshit“, das im Pariser Louvre können. Ich glaube, Sprache sollte ei- gedreht wurde und eine intensive öf- gentlich keine Grenze darstellen. Wenn fentliche Debatte über die Beziehung man wirklich kommunizieren möchte, zwischen Hoch- und Popkultur im findet man immer eine Lösung. Bei dekolonialen Kontext auslöste, v.a. in L‘Africaine war mir zum Beispiel schon Frankreich. In dem Musikclip mit aus- klar, dass die deutsche Sprache eine schließlich nicht-weißen Protagonisten

148 interculture journal 18/32 (2019) setzt sich das afro-amerikanische Mu- siker-Paar als popkulturelle Ikonen in Szene und beansprucht mit Herrscher- Posen symbolische Macht über den Louvre als Ort der Demonstration von europäischem Herrschaftsanspruch und hegemonialer weißer Männlichkeit.

149 150 interculture journal 18/32 (2019) Les „déménageurs de la décolonisation“ dépoussièrent et renouvellent l’opéra L’Africaine de Giacomo Meyerbeer Entretien avec Lionel Poutiaire Somé, Philipp Amelungsen et Michael v. zur Mühlen (Opéra de Halle) Propos recueillis par Natascha Ueckmann et Christoph Vatter (Université Martin-Luther de Halle-Wittenberg)

Résumé (French)

À l’Opéra de Halle (Allemagne), L‘Africaine (1865), grand opéra de Giacomo Meyerbeer, a été revisité par une équipe euro- africaine pour la saison 2018/19. L’objectif de la mise-en-scéne interculturelle était de remettre en question l’héritage colonial de l’opéra et de tenter une « africanisation » de l’œuvre. Le résultat de cette réinterprétation a été présenté au public en quatre étapes de septembre 2018 à juin 2019. Dans l’échange présenté ici, le metteur en scène et artiste performeur Lionel Poutiaire Somé ainsi que les conseillers dramatiques Michael von zur Mühlen et Philipp Amelungsen (Opéra de Halle) mettent en lu- mière ce processus de création et ses défis interculturels. Les propos étaient recueillis par Natascha Ueckmann et Christoph Vatter (Université Martin-Luther de Halle-Wittenberg) en mars 2019.

Mots-clés: Opéra, postcolonial, coopération culturelle, interaction interculturelle, mémoire culturelle

Abstract (English)

Giacomo Meyerbeer’s Grand opéra L‘Africaine was radically restaged at the opera of Halle (Germany) in 2018/19. The European-African team aimed at questioning the opera’s colonial heritage, attempting an “africanization” of the play. The results of this process were presented to the public in four stages from September 2018 to June 2019. In this interview, the director and performer Lionel Poutiaire Somé and the dramatic advisors Michael von zur Mühlen and Philipp Amelungsen (Halle Opera) give insights in the production process and talk about the intercultural challenges linked to it. The interview was conducted by Natascha Ueckmann and Christoph Vatter (Martin Luther University of Halle-Wittenberg) at the Halle Opera House in March 2019.

Keywords: Opera, postcolonial, Africa, cultural cooperation, intercultural interaction, cultural memory

151 Natascha Ueckmann / Christoph niser un festival dans cet hôtel et dans Vatter : Votre version transculturelle ce contexte est née l’idée pour L’Afri- de l’opéra L’Africaine (1865) de Gia- caine. Dans l’hôtel Maritim transformé como Meyerbeer joue actuellement en hébergement pour réfugiés, on a à l’Opéra de Halle en quatre étapes. commencé à travailler avec des artistes Pourriez-vous nous illustrer votre point qui ne sont pas d’origine européenne. de départ : Pourquoi vous avez choisi Et, pourquoi L’Africaine ? Est-ce que précisément cet opéra ? Dans quelle ce grand opéra a quelque chose à voir mesure l’opéra est un genre lié aux pro- avec l’histoire du colonialisme ? Moi, je blématiques postcoloniales ? L’Africaine dirais que oui, parce que l’on pourrait de Meyerbeer est-elle un document dire que dans presque toutes les colo- typique de l’histoire coloniale euro- nies, on a, à un certain moment, essayé péenne ? de construire des opéras, à Manaos dans le Nord-Ouest du Brésil ou au Caire Lionel Poutiaire Somé : Pour moi, en Egypte, par exemple. L’opéra au le point de départ est ici, à Halle. Il y XIXe siècle était la forme artistique la avait une rencontre de notre collectif1 plus complexe qui montrait la poten- avec Michael v. zur Mühlen sur un tialité de l’Europe. Au niveau culturel, projet expérimental « You can change c’était quelque chose à exporter et cela yourself into gold », une forme mixte faisait ainsi partie intégrante du projet entre l’opéra, le Slam, une installation du colonialisme culturel. La trame de vidéo et son. Ce qui l’a intéressé à L’Africaine se réfère aux voyages du mon avis, c’est que l’on jouait d’une navigateur portugais Vasco de Gama, part avec les stéréotypes, les représen- considéré comme le premier Européen tations de l’Afrique dans la perspective à arriver aux Indes par voie maritime des Européens et celles de l’Europe, en contournant le cap de Bonne-Espé- mais de la perspective des Africains. Et rance. Cela fait partie du début de la d’autre part, on développait un discours période de la « traite transatlantique ». postcolonial dans notre démarche artis- L’Occident commence à soumettre le tique. reste du monde. Avec cette histoire qui est racontée d’une manière très Michael v. zur Mühlen : C’était en exotique, il s’agit donc d’un opéra très effet un intérêt pour le groupe. Je intéressant pour développer une telle connaissais le travail de Thomas Goerge problématique et aussi pour rectifier la et j’avais aussi vu une mise en scène perspective. qu’il avait faite avec Lionel Somé et Kader Traoré en tant qu’artistes per- Natascha Ueckmann : L’opéra de formeurs au Staatsoper de Berlin et je Meyerbeer est le point de départ de connaissais aussi leur lien avec le travail votre réflexion, mais vous vous inspirez de Christoph Schlingensief. Pour nous, aussi d’autres genres et matériaux. Vous en tant qu’opéra, c’est intéressant de faites intervenir sur scène le compo- faire quelque chose dans le domaine de siteur européen Giacomo Meyerbeer la transculturalité. On a donc commen- aux côtés de l’Africaine Sarah Baart- cé avec un petit projet commun ici. De man – une femme entraînée de force là est née l’idée de faire peut-être un d’Afrique du Sud en Europe, réduite en opéra sur le panafricaniste burkinabé et esclavage et exhibée en Europe pour son homme d’État anti-impérialiste Thomas large postérieur, où elle était connue Sankara, le « Che Guevara africain». sous le surnom de Vénus hottentote. Mais à Halle, il y avait la situation Pourriez-vous nous expliquer pourquoi suivante : l’ancien hôtel Maritim était ces deux personnages historiques parti- transformé en un centre d’accueil pour cipent au spectacle en tant que témoins des réfugiés, et c’était cela, le véritable (ou spectateurs ou ancêtres) du passé point de départ pour L’Africaine. Tout colonial et de l’histoire de l’opéra ? d’abord, nous avons envisagé d’orga-

152 interculture journal 18/32 (2019) Lionel Poutiaire Somé : Effectivement, dans laquelle on vit, malade dans sa notre mise en scène est un collage de psyché et qui malgré les échecs de mul- plusieurs expressions artistiques. On tiples thérapies à l’occidentale, se refuse part de l’opéra en tant que genre avec d’essayer des solutions ou remèdes non- le chœur, les solistes, la musique, qu’on occidentaux. On a créé des parallèles fait dialoguer avec de la performance, entre l’histoire de Meyerbeer et celle avec des comédiens qui interagissent de Baartmann qui se déroule à la avec l’ensemble. Dans le décor, on tra- même époque, et bien sûr, dans notre vaille aussi avec des éléments vidéo et démarche artistique, on s’est autori- tous ces différents niveaux de narration sé à manipuler, déformer, réinventer et de styles d’expression se juxtaposent l’Histoire pour attirer l’attention sur pour créer un genre nouveau. Giaco- l’existence de différents paradigmes qui mo Meyerbeer et Sarah Baartmann définissent cette même Histoire, afin que nous avons ressuscités sur scène, de pousser le public à une réflexion représentent pour nous respectivement personnelle. Qu’est-ce que la vérité ? l’ancêtre européen, « superstar » de Qui en a le monopole ? L’Histoire aux son époque d’un côté, et bien entendu USA – comme le dit le rappeur KRS l’ancêtre africain aussi « superstar » si je One dans sa réflexion philosophique puis me permettre, mais bien tristement « Black Oustory » : « History is not my célèbre. Nous avons essayé de déve- story, it’s literally his story. The white lopper deux niveaux de narration : le man colonialist story, the story of the premier se développe suivant le concept world through his eyes. So we have to d’un rituel d’épuration, à travers quatre write ourselves our story. » Michael étapes qui conduiraient à une Métamor- v. zur Mühlen nous a aidés dans l’ap- phose, la tant attendue Décolonisation des proche dramatique, justement en ce que esprits. La première étape est la Confron- concerne les différentes représentations tation avec les Ancêtres ; la deuxième de l’Autre, de l’étranger, l’exotique la Rédemption ; la troisième c’est la présent au niveau de la narration dans Purification pour pouvoir enfin accéder le théâtre et l’opéra européen du XIXe à la Métamorphose. Nous nous sommes siècle. L’objectif de notre projet est donc inspirés d’un rituel de mon terroir : je de raconter une histoire déjà connue viens de l’ethnie des Dagaras au Sud- mais dans une perspective nouvelle. Ouest du Burkina Faso. Nous entrete- Parce que l’Histoire a été trop long- nons toujours des relations très étroites temps racontée et écrite par le colonisa- avec la nature. On pratique toujours le teur. Le colonisé n’a pas d’histoire. Mais culte des ancêtres : on a le même Dieu à présent je pense qu’il est temps qu’on comme tout le monde, mais l’inter- entende aussi l’Histoire à partir de la médiaire n’est pas Jésus, Mohamed ou perspective du colonisé. Bouddha, ce sont mes ancêtres. Cela pourrait être mon grand-père qui est Christoph Vatter : Dans quelle mesure décédé il y a quelques années, de qui l’opéra ou le théâtre représentent-ils un je me sens plus proche que n’importe endroit prédestiné pour ces négocia- quel autre prophète par exemple. Alors, tions postcoloniales ? lorsque se passent des évènements dif- ficiles au sein de la communauté, qui Michael v. zur Mühlen : Ce qui ont laissé des traumatismes, un rituel est intéressant pour le théâtre c’est est nécessaire pour rétablir l’équilibre toujours l’idée de la représentation et et permettre aux uns et aux autres spécialement l’opéra, c’est un genre de de cicatriser. L’Europe et l’Afrique représentation, de représentation de souffrent de TSPT (trouble de stress pouvoir en particulier. Le théâtre ouvre post-traumatique) et l’origine de ce une certaine opportunité, un jeu avec mal tire son essence de la barbarie de ces représentations. Le fait de prendre l’idéologie colonialiste. Ce rituel est un opéra et de le couper en deux et en fait un plaidoyer adressé à la société d’ajouter d’autres matériaux vise à une

153 déconstruction et une reconstruction de vite qu’il est très difficile de transmettre l’histoire. un tel rituel sur une scène de théâtre allemande parce qu’il n’y a pas de Natascha Ueckmann : Quel rôle connaissances préalables sur des rituels doit jouer l’opéra en tant qu’espace au Burkina. Et dès que l’on pratique un d’échange, de participation et de repré- tel rituel sur scène, cela pourrait aller sentation dans le débat actuel au regard de pair avec une exotisation. On ne de la relation postcoloniale asymétrique peut pas se rapporter au même cadre entre l’Europe et l’Afrique ? Quel rôle de référence culturel. Maintenant on doit jouer l’opéra – axé sur le lien entre pourrait se demander si un tel cadre de esthétique et éthique – sur la question référence culturel figé existe vraiment de la migration et de l’asile ? ou si, dans ces concepts transculturels, nous n’avons pas toujours affaire avec Christoph Vatter : On est assis dans du fluide. Mais, quand une population l’Opéra de Halle, un bâtiment très re- urbaine, majoritairement blanche, avec présentatif. Dans quelle mesure de telles des prétentions plutôt conventionnelles institutions peuvent-elles vraiment à l’opéra, vient « en pélérinage » à l’opé- perturber des représentations hégémo- ra, on constate que les espaces culturels niques et peut-être même gagner un pu- sont très étroits et qu’il est difficile de blic différent par des approches perfor- transmettre d’autres perspectives ou matives – et, en même temps, respecter pratiques culturelles. Si la référence au les exigences esthétiques et la tradition rituel n’est pas là chez le spectateur, la de l’opéra ? mise en scène risque de devenir un do- cumentaire sur l’Afrique en confirmant Philipp Amelungsen : J’ai l’impression des clichés exotiques. La mise en scène que dans notre travail commun sur bien intentionnée d’un rituel pourrait L’Africaine se croisent les mondes artis- ainsi se transformer en confirmation de tiques et les mondes culturels de cette la propre imagination régressive. maison. D’un côté, il y a des artistes performeurs qui n’ont pas l’expérience Natascha Ueckmann : Comment le d’un théâtre municipal en Allemagne rituel est présenté concrètement sur et qui ont, de plus, une autre histoire scène ? Comment le spectateur recon- migratoire que la plupart de nos chan- naît-il qu’il s’agit d’une purification, teurs et chanteuses. Ces gens se ren- d’une déconstruction, d’une reconstruc- contrent pour provoquer une rencontre tion et finalement d’une transforma- entre opéra et performance qui est par tion ? la suite accessible par un public diver- sifié. Cela soulève plus de questions Lionel Poutiaire Somé : La première que de réponses aux conflits culturels étape était d’abord de mettre en scène et sociaux. C’est exactement cela que la trame dramatique de l’Africaine, ce nous essayons de rendre transparent. bel opéra du XIXe siècle, le grand opéra En faisant cela, nous aussi, nous trébu- de Meyerbeer que l’on a interprété à chons parfois et nous parlons de cela notre façon. A l’intérieur de cette inter- en dehors de la scène, que ce soit sous prétation, on a mis en scène un groupe forme de dialogues ou dans des conver- de comédiens d’origine africaine, des sations personnelles. Dans le cadre de artistes performeurs – on est six sur ces différents services de médiation, la scène, je suis Sié Sankoumine, le on se rend compte des défis que l’on chamane. J’ai reçu une prémonition doit affronter. Par exemple, une inspi- venant des ancêtres qui m’a demandé ration pour les deux premières parties de chercher des personnes bien définies, de L’Africaine – et en principe pour la avec des aptitudes bien précises, de les dramaturgie générale au long des quatre rassembler pour exécuter un rituel de étapes – vient de la pratique de ce rituel guérison. Chacune de ces personnes au Burkina Faso. On a remarqué très représente un des cinq éléments de la

154 interculture journal 18/32 (2019) cosmologie Dagara : l’Eau, le Feu, la niveau de la représentation. Pour nous, Terre, les Minerais, la Nature ; et le il était très important de réaliser ce pro- Lapin avec le hoquet, créature mys- jet à plusieurs niveaux : tout d’abord, tique, le gardien du passage entre la vie on a affaire à des exigences croissantes et mort, dont la présence est nécessaire de certaines forces politiques. Il y a, pour effectuer ce rituel. Pendant l’Ou- d’un côté, l’exigence que le théâtre verture, ces cinq éléments accompagnés devrait redevenir plus européen, plus du lapin se prosternent devant les pou- allemand même. De l’autre côté, on pées de Meyerbeer et Baartmann, les veut provoquer et opposer à cela de transportent de manière cérémonielle façon explicite une autre forme de pour les asseoir chacun dans une haute conception culturelle. C’est peut-être chaise (avec des échasses) exposées en là que réside la particularité de notre hauteur et l’on célèbre leur vie : cette projet. Il y a beaucoup de théâtres qui soirée est donc une fête d’adieu. C’est font du théâtre avec des migrants, mais comme cela que ça se passe chez nous, ces acteurs restent souvent dans la po- les Dagaras. Quand quelqu’un dé- sition d’un migrant. Nous, par contre, cède, on l’expose dans ses plus beaux nous voulons des auteurs qui ne parlent atours, on fait la fête pendant 10 ou justement pas de la position du plus 15 jours avant de l’enterrer. Une partie faible, mais, au contraire, qui renversent de la mise en scène du premier bloc de la perspective. Et cela implique aussi L’Africaine s’inspire donc de ce ri- que, au début de la mise en scène, on tuel. On a donc essayé de créer une analyse aussi l’opéra même comme une représentation nouvelle à partir de sorte d’ancêtre – mais cette fois-ci avec l’expérience de chacun dans notre un regard ethnologique inversé. Les groupe transculturel et de proposer un « déménageurs de la décolonisation » nouveau discours dans l’opéra ou dans – c ’est ainsi que nous avons appelé le théâtre en général en Europe. Cha- les artistes performeurs − arrivent, ils cune des étapes de ce rituel représente regardent cet objet ‘l’opéra L’Africaine’ une situation, l’épreuve à surmonter et le transforment en quelque chose pour atteindre l’étape suivante. Je suis d’étranger. Dans la deuxième étape, ils en réalité réalisateur de film, pas met- discutent et remettent en question les teur en scène de théâtre ou d’opéra, mythes d’origine, si le bon vieux théâtre mais j’ai eu la chance de travailler avec européen, l’opéra européen ne pour- quelques réalisateurs, avec lesquels j’ai raient pas venir d’Afrique, ce qui pour- découvert ce monde sous un autre angle rait peut-être bien être le cas ou pas. De et commencé à mener des réflexions toute manière, cela fait plaisir de re- sur cet univers artistique. La question mettre en question ces choses culturelles qui me préoccupe dans notre mise en présupposées. Ainsi, une ville comme scène actuelle, c’est justement la place Halle peut jouer un rôle de précurseur d’un Africain ici en Allemagne dans le pour réfléchir sur la question de savoir théâtre ou l’opéra. Beaucoup de théâtres comment une société peut se connaître ne peuvent pas s’imaginer engager et se penser à travers une forme de re- une Noire pour jouer un classique du présentation comme l’opéra. répertoire européen.

Michael v. zur Mühlen : Le théâtre participe grandement à la manière dont la subjectivité et la perception sont construites. Sans certains rôles de femmes, par exemple, on n’aurait jamais eu certaines idées sur la psychologie et sur l’hystérie. C’est ce qui est bien au théâtre c’est que l’on peut réaliser de tels décalages de manière très directe au

155 Fig. 1: Intervention des „déménageurs de la décolonisation“ (L’AFRICAINE II: BOO A SAN PKAMINÉ – La Réonciliation), Bühnen Halle / L'Africaine / photo: Falk Wenzel mutuellement ? Où est-ce que l’on peut risquer un tel moment de rencontre ? Natascha Ueckmann : Dans les pre- La troisième partie s’éloigne de la forme mières parties de L’Africaine, ce sont musicale de l’opéra. Si la première les Blancs qui chantent et les Noirs qui partie de L’Africaine a encore mis en interviennent en tant que perturba- scène de grands gestes historiques et teurs, munis uniquement avec la parole symboliques de l’opéra, on y oppose parlée. L’opéra est en confrontation avec maintenant plutôt la culture populaire le théâtre parlé. Quelles sont les per- et le rap. Il s’agit donc là aussi d’une spectives pour la troisième et quatrième recherche de nouvelles formes d’ex- étape de L’Africaine ? Est-ce qu’il y a des pression et de positions marquées par changements par rapport à la question une conscience postcoloniale. Il existe qui chante et qui parle ? peut-être aussi des formes d’expression encore plus fortes que l’opéra, peut- Philipp Amelungsen : Dans la qua- être que l’opéra même fait partie d’une trième partie, il y a la nouvelle musique mémoire culturelle problématique composée par Richard van Schoor. Il dont on ne prend conscience que par oppose de la musique contemporaine une réflexion productive. D’autres ex- à l’univers musical de Meyerbeer du pressions artistiques, comme la culture XIXe siècle, et les artistes performeurs pop, vont peut-être déjà beaucoup plus prendront aussi en charge une partie loin, quand l’on prend par exemple musicale. Mais c’est aussi une question Beyoncé, une importante voix éman- technique en fait : les artistes perfor- cipatrice noire des États-Unis qui crée, meurs ne sont pas des chanteurs pro- avec ses imaginaires musicaux et vi- fessionnels, de sorte que l’on ne peut suels, des icônes, comme par exemple pas inverser tout bonnement les rôles. avec la vidéo de « Apeshit » avec Un chanteur d’opéra ne peut pas passer Jay-Z, dans laquelle il y a cette grande au théâtre parlé juste comme ça, et un appropriation d’art blanc par les prises acteur professionnel ne peut pas passer au Louvre2. Cela crée des images plus simplement à l’opéra ; c’est-à-dire que fortes et plus compréhensibles pour un les chanteurs et les acteurs-performeurs large public que l’opéra de Meyerbeer. restent, en partie, rattachés à leurs Pour nous, il s’agit de mettre en relation mondes respectifs. Nous nous sommes ces univers d’expression. Le défi est intéressés à certaines zones de contact : de voir dans quelle mesure le monde où est-ce que l’on peut se refléter du pop et de l’opéra ont quand-même

156 interculture journal 18/32 (2019) quelque chose à se dire. Au XIXe siècle, qui confronte le public d’une manière l’opéra faisait partie de la culture popu- directe et immédiate. Il n’y a pas de laire de son époque, mais aujourd’hui « quatrième paroi », elle est éliminée. il y a d’autres images et de nouveaux On avait l’impression que les artistes langages artistiques. Ce que les deux performeurs restaient toujours des formes d’expression ont en commun ‘étrangers’. Dans les deux premières c’est qu’elles visent la grandeur, la per- parties, ils n’ont pas encore réussi à suasion, même le sublime pour faire créer une complicité avec le public. finalement aussi de la politique par Pour cette raison, le grand enjeu de la l’image. C’est là que ces deux esthé- troisième partie est d’aller à la rencontre tiques se croisent et c’est cela qu’on des gens et de chercher la confrontation essaie de thématiser. avec le public, d’un côté au niveau de la connaissance et au niveau de l’in- Natascha Ueckmann : Vous jouez teraction, de l’autre côté. Nous nous L’Africaine dans le décor de la rendons toujours compte que l’histoire « Raumbühne Babylon » qui transforme coloniale allemande n’est guère ancrée la scène de l’opéra de Halle dans un dans la mémoire culturelle, de plus, il y nouvel espace théâtral. L’auditorium et a à peine de culture commémorative vi- la scène s’interpénètrent pour former un vante. Mais, comment faire comprendre espace scénique démocratique. Qu’est- la décolonisation s’il n’y a guère de ce que cela veut dire pour votre travail ? souvenir du colonialisme ? Comment parler de l’histoire coloniale allemande Lionel Poutiaire Somé : Pendant le sur scène ? On ne voulait pas répéter premier bloc des représentations, cela notre approche de la deuxième étape a très bien fonctionné au niveau de la de L’Africaine, qui paraissait en partie mise en scène, mais musicalement pas trop didactique et académique. Nous du tout. Scéniquement, cela a permis devions trouver un nouveau format d’établir une proximité avec l’auditoire pour transmettre du savoir et, en même ce qui, à mon avis, leur a donné l’occa- temps, présenter un divertissement sion de vivre une nouvelle expérience qui se veut séduisant, mais aussi fragile théâtrale. Mais au niveau technique, il ou ironique. On s’est décidé pour un y a eu par exemple un problème parce quiz sur le colonialisme, dans lequel que le chœur et les solistes ont besoin on pose des questions d’une manière d’avoir un contact visuel avec le chef attrayante et hautement énergétique d’orchestre. De plus, à cause de l’acous- avec des thèmes qui accrochent parce tique de la salle, ils doivent chanter que, probablement, on ne les connait dans une certaine direction et ceci est pas, et puis on finit par être étonné ou au détriment de certains spectateurs surpris. C’est donc au public de s’ouvrir dont les places ne permettent pas une et d’avouer « Oh, ça je ne le sais pas, bonne expérience acoustique. Pour ces mais je vais quand-même essayer de le raisons techniques, nous nous sommes deviner ». mis d’accord pour jouer à nouveau d’une façon plus classique pour les re- présentations suivantes.

Philipp Amelungsen : J’aimerais ajou- ter quelque chose : La « Raumbühne Babylon » est un dispositif technique qui permet d’orienter le jeu vers tous les côtés. C’est pour les raisons déjà mentionnées que finalement nous jouons « à l’italienne » et pas vers tous les côtés. Mais la performance est, bien sûr, une forme artistique ou un genre

157 Fig. 2 : Jeu de questions postcolonial (L’AFRICAINE III : PIIR A SIÈN − La Purifi- cation), Bühnen Halle / L'Africaine / photo: Falk Wenzel Philipp Amelungsen : C’est difficile, en effet. Dans chaque partie, on essaie Michael v. zur Mühlen : Nous avons quelque chose de nouveau sans savoir si aussi prévu des moments où le public cela va fonctionner ou non. Pour nous doit décider. Cette intervention a pour tous c’est une situation complètement but de voir si le public est prêt à assu- nouvelle. Dans la première partie, on a mer sa responsabilité. Car, en fait, la fin montré surtout l’opéra conventionnel. de l’opéra est ‘insupportable’ : alors que Néanmoins, il paraissait étrange parce les Blancs peuvent rentrer joyeusement qu’il n’était pas mis en scène d’une en Europe, il y a sacrifice de la femme façon naturaliste, mais d’une manière noire. Sélika meurt, suicidée à cause hautement symbolique. La deuxième de son chagrin d’amour en inhalant partie était plutôt conflictuelle : la per- l’odeur toxique du mancenillier – ce qui formance contre l’opéra, le noir contre revient à une exotisation très brutale. le blanc, beaucoup de savoir dans un Est-ce que le public veut voir une telle langage très poétique, et l’esthétique fin ? La musique est magnifique, la plus de l’opéra. Il s’agissait de relations belle de tout l’opéra, mais à quel prix concurrentielles qui ont produit une on l’écoute ? Chez nous, c’est le public tension intéressante, mais qui n’ont qui doit décider s’il veut écouter cette rien résolu. On va continuer à dévoiler belle musique au prix d’accepter cette d’autres problèmes et proposer des posi- fin ou bien s’il est prêt à accepter une tionnements, on explore des approches fin alternative sans cette musique. diverses pour aller au fond de la ques- tion : comment commencer un véri- Natascha Ueckmann : C’est une table dialogue ? Comment dénouer des question centrale : comment on garde affirmations ou constructions culturelles l’équilibre entre le charme séduisant si figées ? du théâtre et la violence qu’il montre ? Dans ce cas, l’opéra est fortement Natascha Ueckmann : Dans quelle contaminé par l’histoire coloniale. Il mesure cela implique aussi des discours ne faut pas faire de conneries et il faut racistes ? Vous jouez – comme jadis garder le sérieux sans devenir trop théo- Les Nègres (1959) de Jean Genet – avec rique. Je crois que c’est vraiment un défi différents discours sur les hommes et les très particulier. femmes noir.e.s ? Votre mise en scène dénonce-t-elle les discours racistes, ceux

158 interculture journal 18/32 (2019) de la dévalorisation, comme ceux de gens veulent très souvent toucher des l’idéalisation ou de la victimisation ? cheveux afro, par exemple. Cela est Vous ne faites pas la même chose que vécu comme acte transgressif, parce que Genet, c’est clair, mais c’est aussi une ça peut arriver partout, au supermarché approche théorique dans laquelle il faut ou dans le métro. La propre peau, le aborder les discours existants pour les propre corps ne sont en fait jamais pro- déconstruire. tégés et toujours exposés. On essaie de renvoyer ces expériences au public : les Lionel Poutiaire Somé : Absolument. artistes performeurs vont dans le public Pour nous, il était clair que notre projet et touchent les cheveux ou la peau de ne vise pas à rejeter la faute sur l’Autre, certains spectateurs. Parallèlement, cette à savoir que l’Europe nous a tout pris. expérience du racisme est représentée On essaye de représenter tous les dis- sur la scène. Le sujet n’est pas seulement cours qui existent dans toute leur diver- abordé au niveau théorique, mais aussi sité et d’insister sur l’urgence de faire aux niveaux de l’expérience racontée face à cette réalité-là, au racisme quoti- sur scène et de l’expérience que je vis dien souvent subtil, au racisme structu- moi-même – ainsi une propre réflexion rel se fondant sur l’idéologie colonialiste sur le racisme peut-elle naître à partir qui affirme que l’Afrique ou le reste du d’une transgression des frontières dans monde n’apporte rien, ou pire n’a rien le cadre protégé du théâtre. apporté de constructif à l’humanité. Notre approche s’est adaptée aux réali- Christoph Vatter : On est déjà au plein tés du projet, c’est-à-dire que nous nous milieu de la dernière partie de notre en servons d’inspiration pour la mise en échange, dans laquelle nous aime- scène : les expériences vécues au quo- rions parler des expériences concrètes tidien, les frustrations dues au racisme de communication et collaboration conscient ou structurel et à la discrimi- interculturelle, qui fonctionnent sou- nation survenues pendant l’avancement vent comme un jeu parce qu’il se crée de ce projet – nous avons intégré tout un espace de communication ouvert cela dans notre discours artistique. et créatif, dans lequel les participants négocient les significations et les Philipp Amelungsen : La question règles – et cela souvent sur un mode concerne également la polyphonie. ludique. On fait semblant, on essaye Déjà dans les discussions parmi nous, des choses nouvelles et on joue des rôles nous avons pu constater beaucoup de différents – comme sur scène. De quoi perspectives différentes par rapport au s’agit-il dans L’Africaine ? Qui joue avec racisme. Est-ce qu’un artiste performeur qui ici ? S’agit-il des Africains et des qui vit depuis longtemps en Allemagne Européens, des Allemands et des Bur- et qui est confronté au racisme quoti- kinabés, des artistes performeurs et des dien, se sent toujours comme victime ? artistes d’opéra, des citoyens de Halle, Est-ce que je réponds à cela ou est-ce en Allemagne de l’Est, et des Africains que je continue simplement parce que provenant de l’Allemagne de l’Ouest ? je suis fatigué ? Cela commence déjà Quelles sont les différences culturelles avec l’autodésignation. Les collègues, qui se manifestent dans la collaboration disent-t-ils « Je suis Noir » ou « une et quelles sont les lignes de conflit qui personne de couleur » ? Il y a des opi- émergent ? nions très controverses à ce sujet, qu’on a intégrées comme expériences dans le Lionel Poutiaire Somé : Qu’est-ce projet. Nous avons fait des interviews que je peux dire ? Je pense que nous, avec des artistes performeurs sur leurs les artistes performeurs, nous avons été expériences de racisme quotidien, par considérés avant tout comme « les Afri- exemple. A partir de cela, nous avons cains ». créé de petits monologues avec des expériences récurrentes, le fait que les

159 Micheal v. zur Mühlen : Ce qui est grande professionnalité et beaucoup de déjà une fictionnalisation, n’est-ce pas ? passion. A partir de sa compréhension professionnelle en tant que chanteuse, il Lionel Poutiaire Somé : Bien sûr, en s’agit donc d’une intervention massive réalité cela devrait être très multicultu- dans l’œuvre et dans son art si l’on sup- rel. Nous avons à faire à un ensemble prime certaines parties pour des raisons hétérogène avec plusieurs nationalités qui sont, dans la logique de l’opéra, représentées. Malheureusement, nous illégitimes. Cette reconnaissance de sa avons eu d’un côté les Africains qui, propre forme d’art ainsi que d’une autre avec leur discours postcolonial, veulent forme d’art qui obéit à d’autres règles, à tout prix « détruire l’opéra », et l’opé- remet en question les propres conven- ra, de l’autre côté, qui en fait n’est plus tions. On a affaire à un processus de du tout exclusivement européen (nous négociation très complexe, dans lequel avons des choristes, solistes et musiciens la question se pose sans cesse de savoir qui sont asiatiques, russes, etc..), qui à qui ou quoi on donne finalement la « se défend sous la même bannière ». Il priorité. Enfin, nous trouvons intéres- s’agit donc de plusieurs microcosmes, sant que le public soit exhorté à prendre qui, à première vue, n’ont rien à voir une décision morale : le sacrifice de la l’un avec l’autre. Mais ils se rencontrent femme avec de la belle musique ou bien à travers ce projet et doivent trouver un pas de sacrifice et pas de musique. moyen de travailler ensemble. Dans ce cas, cela a été jusqu’ici très conflictuel Michael v. zur Mühlen : Ainsi, les et je n’ai pas l’impression que notre dé- formes de jeu et les conflits thématiques marche artistique a été comprise ou que se rejoignent au même niveau. Pour les les esprits se sont ouverts pour essayer chanteurs d’opéra, cela pourrait tou- de comprendre notre discours. jours continuer de la même façon ; ils sont sûrs dans ce qu’ils font — et de Philipp Amelungsen: J’ai l’impression la même manière en tant que Blanc, que nous nous rencontrons à un ni- on est sûr que cela pourrait toujours veau très fondamental en tant qu’êtres continuer sans changement (au moins humains qui se sont réunis dans un la plupart du temps). La performance contexte de travail. Le théâtre est une constitue l’exception, une interruption institution très hiérarchique parce que du courant habituel de la vie. Ainsi, le tout a une fonction et une signification conflit est aussi négocié au niveau de spécifiques. Lionel n’est pas seulement la forme et ainsi potentialisé affirmati- un être humain, mais aussi le metteur vement. Les artistes performeurs sont, en scène qui occupe une fonction très pour ainsi dire, les « déménageurs de la importante au sein de cette institution. décolonisation africains ». Ils sont ainsi On attend de lui qu’il donne des indi- élevés au rang de représentants, tout cations, qu’il dirige et qu’il synthétise comme l’opéra est censé de représenter les différents éléments. Et cette fonc- quelque chose de spécifique. tion dans le théâtre intervient aussi au niveau de la relation interpersonnelle. Philipp Amelungsen : C’est une lutte De plus, l’opéra est confronté avec pour des privilèges. La rencontre de ces une autre forme artistique et cela a des mondes met en question certains privi- conséquences. Un bon exemple pour lèges et ce n’est pas toujours un proces- ces conflits est la décision du metteur sus facile. en scène de donner au public la respon- sabilité de décider si Sélika doit chanter Christoph Vatter : Y a-t-il des média- son aria finale ou non. En tant que teurs dans ce processus de négociation ? chanteuse, elle est naturellement infini- Dans la recherche interculturelle, on ment triste de cette intervention, parce parle souvent d’interfaces intercultu- qu’elle brûle d’envie de chanter cette relles ou de médiateurs interculturels qui aria. Elle exerce son métier avec une peuvent contribuer de manière décisive

160 interculture journal 18/32 (2019) à la réussite de la communication inter- s’agit d’un sujet complètement nouveau culturelle. qui concerne, tout d’un coup, tout le monde. Trouver des approches pour Philipp Amelungsen : Traditionnelle- parler de ce sujet constitue un véritable ment, c’est la position du dramaturge, défi. qui doit modérer et communiquer entre tous les niveaux, œuvres, formes Christoph Vatter : Pourriez-vous d’expression et participants de ce pro- nous dire quelles sont les techniques cessus. Dans ce projet, cela pose un défi qui pourraient être appliquées dans particulier, car on n’est pas forcément ce contexte ? Quels conseils donne- formé à cela. Nous pouvons seulement riez-vous à des projets similaires ? nous appuyer sur nos expériences an- térieures. Dans L’Africaine, il y avait Lionel Poutiaire Somé : C’est très dif- beaucoup de niveaux de médiation. ficile. Des personnes très différentes se Cela n’a pas été facile pour moi non retrouvent sur un projet pour examiner plus. Parfois, le problème était : com- une question cruciale, une question ment dire quelque chose ? Je vais vous qui nous touche tous. On n’est pas ici donner un exemple : supposons que des pour essayer de convaincre qui que ce collègues fassent des remarques qui sont soit, nous ne sommes pas des politiciens d’un point de vue interculturel problé- ou des chercheurs. Ce que je fais, c’est matiques, comme par exemple : « Je une démarche artistique. Au cours du reconnais des réfugiés dans la rue. » Si projet, on est arrivé à un moment où une telle phrase tombe dans une situa- les relations avec l’ensemble (le chœur tion de répétition, les collègues issus de et les solistes) qui était très peu ouverts l’immigration et qui ne font pas partie au départ, ont commencé à se trans- des Européens blancs privilégiés inter- former. Ils avaient besoin de temps viennent : « Tu ne peux pas dire que pour comprendre dans quelle aventure tu reconnais des réfugiés dans la rue ; ils s’étaient lancés et comment le dis- c’est raciste. » Cela provoque naturelle- cours a évolué. Nous proposons à la ment une réaction comme : « Je ne suis fin des quatre étapes deL’Africaine une pas raciste, j’aime bien les étrangers, je culture hybride. Cette culture hybride connais aussi des étrangers. Comment et multiculturelle existe déjà, il faut pouvez-vous me reprocher du racisme ? juste la pointer du doigt. Nous voulons Ça me fait mal ! » Il s’agit ici de ques- promouvoir cette idée ; je me consi- tions de généralisation et de stéréotypi- dère déjà comme hybride. J’ai grandi sation. De quel type de racisme ou de avec ces deux cultures. J’ai grandi en discrimination parle-t-on ici ? Pourquoi Afrique, mais j’ai été éduqué exacte- réagis-tu si violemment ? Nous por- ment comme n’importe quel petit oc- tons probablement tous en nous des cidental. On a peut-être des différences racismes que nous devons affronter. Le de culture et différentes façons de vivre, fait de dire « Tu es raciste » n’était peut- mais au final nous avons beaucoup plus être pas du tout pensé comme insulte, , en commun que nous croyons. Après mais visait plutôt une remarque raciste. tout le chemin parcouru avec ce projet, Soudainement, on se retrouve dans des je suis convaincu que cette culture hy- débats très complexes, et il n’est pas bride n’est pas une utopie ; elle a pris toujours facile de trouver un langage vie il y a longtemps, au moment où le approprié. Je ne peux pas présupposer Sud et l’Occident ont décidé de lier leur que toutes les personnes impliquées destin par volonté ou par violence. Il dans le projet se soient familiarisées s’agit maintenant d’attirer l’attention avec les théories postcoloniales ou l’ap- de notre société sur cette alternative qui proche de Critical Whiteness. En tant existe déjà – au-delà des nationalismes, qu’institution, l’opéra est une entreprise des essentialismes. d’artisans avec des gens de métiers très différents. Pour beaucoup parmi eux, il

161 Christoph Vatter : Il s’agirait donc plu- avec l’Afrique francophone qu’avec les tôt de rendre visible l’invisible ? pays asiatiques. Mais ce n’est pas le cas pour le théâtre municipal habituel. Les Lionel Poutiaire Somé : Exactement. troupes d’opéra sont souvent interna- tionales, parce qu’il y a des chanteurs Christoph Vatter : J’ai encore une qui viennent de cultures très différentes. question qui va au-delà de ce que nous Mais je fais une distinction entre inter- avons discuté auparavant. J’ai l’impres- national et divers : les troupes sont sou- sion que de telles coopérations dans le vent internationales, mais elles ne sont domaine de l’art, en particulier avec pas nécessairement diverses. l’Afrique subsaharienne francophone, sont très rares, dû au manque de com- Natascha Ueckmann / Christoph Vat- pétences linguistiques des deux côtés. ter : Merci pour cet entretien. Pouvez-vous le confirmer pour votre domaine ? L’Afrique francophone est Un grand merci à Lisa Bireche pour son souvent exclue des programmes parce soutien à la transcription de cet entretien que sur place beaucoup de gens parlent ainsi qu'à Bernadette Guesnard-Meisser français et diverses langues africaines, pour sa relecture minutieuse de ce texte. mais le français joue un rôle plutôt mar- ginal dans le contexte allemand. Le fait Endnotes que nous pouvons mener cet interview 1 Le collectif Angermayr/Goerge/ en allemand et en français, est plutôt Somé/Traoré/van Schoor comprend rare. une équipe internationale : Daniel An- gemeyer (Autriche), Thomas Goerge Lionel Poutiare Somé : Je ne sais pas (Allemagne), Lionel Poutiaire Somé ce qui se passe, la France et l’Allemagne (Burkina Faso), Abdoul Kader Traoré sont des voisins. Il y a tellement de pos- (Burkina Faso), Richard van Schoor sibilités pour collaborer avec la France (Afrique du Sud). ou les pays africains francophones. En arrivant ici en Allemagne, j’étais 2 En été 2018, Beyoncé et Jay-Z d’abord très surpris que seulement peu publient la vidéo de la chanson d’Allemands savent parler français et « Apeshit », tournée à Paris au Louvre, que très peu de Français parlent alle- ce qui déclenche un vif débat public sur mand. Je pense que la langue ne devrait la relation entre haute culture et culture pas constituer une frontière. Si l’on populaire dans un contexte décolonial, veut vraiment communiquer, on trouve notamment en France. Dans le clip toujours une solution. Dans le cas de avec des protagonistes exclusivement L’Africaine, par exemple, il était déjà non blancs, le couple de musiciens clair pour moi que la langue allemande afro-américains se présente comme des pourrait être une difficulté, mais si je icônes de la culture pop et revendique l’avais perçue comme une limitation, je le pouvoir symbolique sur le Louvre ne me serais jamais lancé dans le pro- comme lieu de démonstration du jet. Nous avons finalement décidé de pouvoir européen et de la masculinité diriger l’opéra en français, entre autres, blanche hégémonique. pour que cette langue soit aussi théma- tisée comme élément d’aliénation sur scène.

Michael v. zur Mühlen : Cela dépend aussi du contexte institutionnel, par exemple dans le secteur des festivals et dans le théâtre indépendant il y a rela- tivement beaucoup de productions et d’échanges internationaux, encore plus

162 interculture journal 18/32 (2019) 163 164 interculture journal 18/32 (2019) Deutsch-senegalesische Transferbeziehungen: Möglichkeiten einer interkulturellen Kommunika- tion anhand der deutschen Übersetzung von Maria- ma Bâs Une si longue lettre (Ein so langer Brief)

German-Senegalese Transfer Relations: Potentials for Intercultural Communication Based on the German Translation of Mariama Bâ´s Une si longue lettre (So Long a Letter)

Louis Ndong Abstract (Deutsch) Der Beitrag fokussiert auf die interkulturelle Kommunikation aus Sicht des deutsch- Dr., studierte Germanistik und senegalesischen Kulturtransfers anhand von Literatur und Übersetzung. In dieser Hin- später Lehramt (Deutsch als sicht wird die Bedeutung der Übersetzer senegalesischer Literatur sowie deren Rezeption Fremdsprache) an der Universität im deutschsprachigen Kontext herausgestellt. Der Dichterpräsident Léopold Sédar Cheikh Anta Diop Dakar (Se- Senghor spielt dabei eine besondere Rolle sowohl hinsichtlich seiner Beschäftigung mit negal) . Er promovierte 2012 an der deutschen Sprache, Kultur und Landeskunde als auch im Hinblick auf vorliegende der sprach- und literaturwissen- deutsche Übersetzungen seines literarischen Schaffens. Hiervon ausgehend und gerade schaftlichen Fakultät der Uni- im Hinblick auf theoretische Ansätze zu interkulturellen Fragestellungen im Zusam- versität Bayreuth (Deutschland) menhang mit Übersetzung wird am Beispiel der deutschen Übersetzung von Mariama und ist seitdem in der Germa- Bâs Roman Une si longue lettre unter dem Titel Ein so langer Brief. Ein afrika- nistikabteilung der Universität nisches Frauenschicksal die Vermittlung kultureller Inhalte (im Hinblick auf Ort, Cheikh Anta Diop Dakar tätig. Geschichte, Gesellschaft, Religion, Interaktion etc.) im deutsch-senegalesischen Kontext Seine Forschungsschwerpunkte betrachtet. sind Übersetzung von Literatur und Film, Literaturverfilmung, Schlagwörter: Deutsch-senegalesisch, interkulturelle Kommunikation, Literatur- interkulturelle Kommunikation, übersetzung Kurzgeschichten, Märchen und Sprichwörter im interkulturellen Vergleich. Abstract (English) This contribution deals with intercultural communication in the frame of German- Senegalese cultural transfer through literature and translation. In this sense, I point out the importance of the translators of Senegalese literature as well as its reception in the German speaking area. The poet president Léopold Sédar Senghor played an important role in this context. He was much interested in German language, culture and civiliza- tion, and his literary works were translated into German as well. Basing my analysis on theoretical approaches related to intercultural issues linked to translation, I examine the transmission of cultural information (in relation with place, history, society, religion, interaction etc.) in the translation of Mariama Bâ´s novel Une si longue lettre (Ein so langer Brief. Ein afrikanisches Frauenschicksal) in the German-Senegalese context.

Keywords: German-Senegalese, intercultural communication, translation of literature

165 1. Einleitung tert werden. Es geht konkret darum, die verschiedenen Kulturtransferprozesse, Der senegalesischen Literatur kommt in die sich in der deutschen Übersetzung der Rezeption frankophoner Literatur verzeichnen lassen, kritisch zu hinter- Afrikas südlich der Sahara in Deutsch- fragen und rezeptionsästhetisch in den land bzw. im deutschsprachigen Raum Blick zu nehmen. Im Hinblick darauf eine wichtige Rolle zu. So nimmt ist die Erforschung von Möglichkeiten sie als Pionierin einen privilegierten einer vermeintlich literarisch- inter- Stellenwert im schwarzafrikanischen kulturellen Kommunikation zwischen frankophonen Raum ein. In seinem Senegal und dem deutschsprachigen Beitrag mit dem Titel: „Lamine Sen- Raum anhand der Übersetzung von ghor (1889-1927), précurseur de la Mariama Bâs Une si longue lettre ein prose nationaliste négro-africaine“ weiteres Anliegen dieses Beitrags. stellt Guy Ossito Midiohouan diese In einem ersten Schritt wird ein Über- besondere Rolle, die Senegal in der blick über das Verhältnis der literari- Herausbildung schwarzafrikanischer schen Übersetzung zur interkulturellen frankophoner Literatur gespielt hat, he- Kommunikation am Beispiel deutsch- raus : „La critique a depuis longtemps, senegalesischer Literaturbeziehungen établi le rôle de pionniers joué par les präsentiert werden, bevor abschließend Sénégalais dans l´émergence de la lit- die deutsche Übersetzung von Mariama térature négro-africaine d´expression Bâs Une si longue lettre genauer beleuch- française.“ (Midiohouan 1995:153). tet und analysiert werden kann. Die Übersetzungen von afrikanischen literarischen Texten durch Janheinz 2. Übersetzung und interkul- Jahn in den 1960 Jahren ebneten den turelle Kommunikation im Weg zu einer interkulturell ausgerich- Kontext deutsch-senegalesi- teten Kommunikation zwischen Afrika scher Literaturbeziehungen und Deutschland (Ndong 2014: 23). Sowohl in der Literatur als auch in Eine zu dem Zeitpunkt bedeutende anderen Medien lässt sich die ganze Publikation hierzu ist Jahns Anthologie Brandbreite von Kulturtransferprozessen Schwarzer Orpheus. Moderne Dichtung beobachten. Übersetzungen spielen im afrikanischer Völker beider Hemisphären literarischen Bereich eine wichtige Rolle. (1954), die über 150 Übersetzungen (Lüsebrink 2008: 143) von Gedichten aus Afrika, den Antil- len, Süd- und Nordamerika beinhaltet, Die Literatur erweist sich als eine Form darunter zahlreiche von senegalesischen der interkulturellen Kommunikation. Autoren wie Léopold Sédar Senghor, Der Begriff „Kulturtransfer“, der von Birago Diop, David Diop, Ousmane Michel Espagne und Michael Werner Sembène etc. Im Laufe der Geschichte entwickelt wurde, bezieht sich im lite- der literarischen Kommunikation zwi- raturwissenschaftlichen Diskurs auf die schen Senegal und Deutschland hat die Rezeption fremdsprachiger Literatur. Verleihung des Noma-Literaturpreises Er reflektiert deutsch-frankophone und an die senegalesische Autorin Mariama allgemein alle interkulturellen Litera- Bâ auf der Frankfurter Buchmesse 1980 turbeziehungen. den deutsch-senegalesischen Literatur- Im Bereich der Übersetzung spielt beziehungen neue Impulse gegeben. der Kulturtransfer eine zunehmend Im Rahmen des vorliegenden Beitrags wichtigere Rolle. Jahrelang war die wird auf die Übersetzung von Mariam Übersetzungswissenschaft vorwiegend Bâs Briefroman Une si longue lettre ein- linguistisch orientiert. Der Akzent gegangen. Dabei sollen die im Zuge der wurde auf den Transfer zwischen ver- deutschen Übersetzung transportierten schiedenen Sprachen gelegt. Beim kulturellen Inhalte vor dem Hinter- Übersetzungsvorgang stand dabei ein grund der zielsprachlichen Rezeption kommunikationswissenschaftliches des ausgewählten Werkes näher erläu- Modell im Vordergrund, das die Multi-

166 interculture journal 18/32 (2019) dimensionalität des Phasenmodells Medicks bekannt gemacht hat. Ange- (Kade) bei der Botschaftsvermittlung sichts der kulturellen Verankerung fikti- im Wechsel zwischen den Sprachen onaler Texte lassen sich in literarischen miteinbezieht. Dabei entstanden vor- Texten eine Reihe kultureller Inhalte wiegend sprachenpaarspezifische Pro- transportieren, die durch Figuren, Orte, bleme beim Sprachtransfer, so wie sie Handlungen und Motive usw. zur Dar- sich beispielsweise anhand des Sprach- stellung kommen. In diesem Zusam- vergleichs und der „stylistique compa- menhang hebt Hans Joachim Vermeer rée“ verdeutlichen ließen. für das literarische Medium hervor: Wenn man die Entwicklung der Über- „Ein Text ist verknüpft mit dem Ge- setzung und Übersetzungswissenschaft samtverhalten seines Produzenten und genauer in Betracht zieht, merkt man, dessen Kulturen“ (Vermeer 1986: 33). wie sie sich als junges Fachgebiet insbe- Die kulturelle Verankerung von Medien sondere seit Mitte des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen und von literarischen allmählich aus der Linguistik und Lite- Texten im Besonderen bietet verschie- raturwissenschaft herauslöste, um sich dene Möglichkeiten der kulturellen zu einer eigenständigen Disziplin zu Wahrnehmung und der interkulturellen entwickeln (Siever 2015: 8). Rezeption: In der römischen Antike galt das Über- Literatur, Texte, Filme, Medien sind setzen als rhetorische Übung, um die Träger kultureller Darstellung und Ko- eigene literarische Ausdruckskraft zu dierung, wie sie für Prozesse des Kultu- verbessern (ebenda: 12). Von der mehr rentransfers entscheidend sind. Durch sie oder weniger auf den Übersetzer bezo- werden Traditionen und Überzeugungs- genen Ausrichtung ausgehend, kam es systeme, Schüsselsymbole und -praktiken im Mittelalter und in der Renaissance sowie Fremd- und Selbstbilder ausgebildet zum Bedürfnis, durch die literarische und für die praktische interkulturelle Aus- Übersetzung „die auf Lateinisch oder einandersetzung geradezu aufbereitet bzw. Griechisch verfassten Werke auch auf hierfür strategisch einsetzbar gemacht. Italienisch, Französisch, Spanisch, Eng- (Bachmann-Medick 1996: 8) lisch oder Deutsch verfügbar zu haben“ (ebenda: 14). Eine der wichtigsten Bei der Übersetzung literarischer Texte theoretischen Arbeiten zur Übersetzung kommt es im Wechsel zwischen den bzw. zur Übersetzungswissenschaft im Sprachen zum Transport kultureller In- deutschen Sprachraum entstand mit halte. Der Übersetzungsprozess versteht Schleiermachers Abhandlung Über die sich als Prozess (fremd-) kultureller verschiedenen Methoden des Übersetzens Wahrnehmung. Daher kann bezüglich (1813). des Übertragungsvorgangs nicht ledig- Mit dem „cultural turn“ zeichnete sich lich von Ausgangs- und Zielsprache seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine gesprochen werden, ohne dass damit Wende in den Übersetzungswissen- implizierte Begriffe der Ausgangs- und schaften ab. Im Zentrum des Interesses Zielkultur mitherangezogen werden. stehen nicht mehr die Verschiedenheit Nicht nur Wörter und damit verbun- der Sprachen, die Adressatenbezogen- dene Inhalte im semiotischen Sinne heit oder der internationale Austausch (Saussure) werden im Wechsel zwischen auf literarischer Ebene; vielmehr rückt den Sprachen in den neuen Text der nun der Kulturbegriff in den Mittel- Zielsprache unter Erfüllung bestimmter punkt des Übersetzungsprozesses. Diese Äquivalenzkriterien transferiert, son- Schwerpunktverschiebung beruht auf dern es werden vor allem auch kulturel- einer verstärkt interkulturell ausgerich- le Informationen in einen neuen kultu- teten Literaturwissenschaft und auf der rellen Kontext transportiert und somit Konzeption von „Kultur als Text“, die dem vermeintlich fremdkulturellen als gleichnamiger Titel (Bachmann- Leser (des zielsprachlichen Textes) ver- Medick 1996) und als vielsagende mittelt. Mit anderen Worten werden im Metapher das Werk Doris Bachmann- Zuge der Übersetzung literarischer Tex-

167 te über die unmittelbare Wiedergabe verdanken. (Lüsebrink 2008: 144) von Wörtern und Begriffen fremdkultu- Entscheidend für die interkulturellen relle Inhalte (Wertsysteme, Lebens- und Beziehungen zwischen Senegal und Verhaltensmuster) einem anderssprachi- Deutschland war dann die Verleihung gen Publikum zugänglich gemacht. Die des Friedenspreises des Deutschen literarische Übersetzung versteht sich in Buchhandels 1968 an Senghor. Auf die dieser Hinsicht als Kulturtransfer bzw. Arbeiten Jahns folgte seither eine Reihe als Form der „Repräsentation fremder ins Deutsche übersetzter literarischer Kulturen“ (Bachmann-Medick 1996): Texte senegalesischer Autoren, z. B. Die Sprache besteht nicht für sich allein, von Ousmane Sembène, Birago Diop, sondern wird als Teil einer Kultur angese- Aminata Sow Fall, Fatou Diome, Ken hen, und auch der Text ist immer in eine Bugul etc. Einerseits tragen literarische außersprachliche Situation eingebettet, die Übersetzer zu einer besseren Wahrneh- selbst Teil einer Kultur ist. Translation ist mung der senegalesischen Literatur im folglich nicht nur sprachliche Um- bzw. deutschsprachigen Raum bei, anderer- Transkodierung, sondern kultureller seits sind Arbeiten von senegalesischen Transfer. (Snell-Hornby 2002: 145-146) Germanisten nicht zu unterschätzen. Die Autorin und Germanistin Khadi Die Fokussierung auf die Kultur basiert Fall übersetzte z.B. selbstgeschriebene auf der Interdependenz zwischen Spra- Wolof-Gedichte. Die Besonderheit che und Kultur, die sich in den Ansät- ihrer Publikation liegt in den im Über- zen von Katharina Reiß und Hans Jo- setzungsprozess beteiligten Sprachen, achim Vermeer, insbesondere in ihrem nämlich Wolof und Deutsch. Es sei in Werk Grundlegung einer allgemeinen diesem Zusammenhang daran erin- Translationstheorie (1984) widerspie- nert, dass senegalesische Schriftliteratur geln. im Wolof im Gegensatz zu mündlich Vor diesem Hintergrund wird die Kul- überlieferter oraler Literatur in den turkompetenz des Übersetzers bzw. des einheimischen Sprachen im Vergleich Translators (Witte 2000) als Grundvo- zur französischsprachigen Literatur des raussetzung für die Übersetzung litera- Senegal eher sporadisch in Erschei- rischer Texte postuliert. Auf diese Weise nung tritt, ganz zu schweigen von der kann die literarische Übersetzung zu Übersetzung jener Literatur. In diesem einer fruchtbaren interkulturellen Kom- Zusammenhang ist Tamsir Annes Über- munikation beitragen. setzung deutscher Gedichte ins Wolof Abgesehen von der bedeutenden Rolle, von Bedeutung. Denn selten werden die Senghors Rezeption deutscher Lite- Übersetzungen deutscher literarischer ratur und seine Ehrung als Dichter und Texte ins Wolof, der meistverbreite- Politiker in den deutsch-senegalesischen ten Sprache Senegals, vorgenommen interkulturellen Transferbeziehungen (Ndong 2017). In Bezug auf die Ge- gespielt hat, kommt der Übersetzung dichte berühmter deutscher Dichter, als Fremdheitsvermittlung eine nicht deren Übersetzungen ins Wolof er un- geringe Rolle im Brückenbau zwischen ternahm, schreibt Anne folgendes: Senegal und Deutschland zu. Hierbei hat Janheinz Jahn als personaler Mitt- Ihre Werke wurden zudem in nahezu alle ler, im Sinne einer Vermittlungsfigur lebendigen Sprachen der Welt übersetzt. bei interkulturellen Transferprozessen Insofern ist es angebracht, dass dieses brei- (Lüsebrink 2008: 133), eine Pionier- te und vielfältige Schaffen ebenfalls in den arbeit geleistet: Hauptsprachen Afrikas zugänglich wird. (Anne 2011: 6) Vor allem ist Janheinz Jahn die ‚Entde- ckung’ der afrikanischen Literatur im Eine bedeutende Rolle in Bezug auf deutschen Sprachraum und die Vermitt- die Vermittlung senegalesischer Li- lung von Autoren wie Léopold Sédar teratur im deutschsprachigen Raum Senghor auch an ein breites Publikum zu spielt Mariama Bâs literarisches Werk,

168 interculture journal 18/32 (2019) insbesondere der Roman Une si longue Freundin Aissatou sind beide mit Män- lettre, der 1980 mit dem Noma-Preis nern verheiratet, Modou Fall und Mao- ausgezeichnet wurde. Ab 1980 kam do Bâ, die im Laufe ihrer Ehen noch es, so Riemenschneider, zu verstärkten eine zweite Frau heiraten. Während Vermittlungsversuchen, durch die u. a. Ramatoulaye sich mit ihrer Situation durch die Frankfurter Buchmesse und als Zweitehefrau abfindet, entscheidet Verlagsgründungen geförderte auslän- Aissatou, die Scheidung einzureichen. dische Literatur (Mayanja 2014: 64). Nach dem Tod von Modou Fall, Rama- Diese Entwicklung stand im Kontext toulayes Mann, bietet sich für Modous der Entstehung der „Gesellschaft der Bruder, Tamsir, und für den Imam der Förderung der Literatur aus Afrika, Moschee die Gelegenheit, um Rama- Asiens und Lateinamerika“, die auf Ini- toulayes Hand anzuhalten. Die Heirats- tiative von engagierten Einzelpersonen anträge beider Männer werden jedoch einen Strukturrahmen entwarf, der das von Ramatoulaye ablehnt. deutsche Verlagswesen und den deut- schen Buchhandel umfasst (Gouaffo 4. Die Übersetzung von Ma- 1998: 59). Im Folgenden wird Mariama riama Bâs Une si longue lettre Bâs preisgekrönter Roman zusam- (Ein so langer Brief) mengefasst, bevor dessen Übersetzung unter dem Titel: Ein so langer Brief. Ein 4.1. Geografisch-historische afrikanisches Frauenschicksal unter in- Aspekte des Kulturtransfers terkulturellen Gesichtspunkten kritisch Geografische Eigennamen spielen als hinterfragt wird. realistisches Stilmittel (Rühling 1992: 3. Mariama Bâs Ein so langer 152) eine wichtige Rolle in der Ver- Brief – Inhaltsangabe mittlung kulturellen Wissens. In der fiktionalen Geschichte werden reale In Mariama Bâs Erstlingswerk Une si Orte im Zusammenhang mit den in longue lettre werden Lebensereignisse der Handlung erzählten Ereignissen der Ich-Erzählerin Ramatoulaye in dargestellt. Dabei ist eine Reihe geo- Briefform dargestellt. Mit einem langen grafischer Orte zu verzeichnen, die es Brief, der sich über 135 Seiten erstreckt dem Leser ermöglichen, die Erzählung und somit die ganze Erzählung ein- räumlich einzuordnen – vgl. hierzu die nimmt, informiert die Erzählerin ihre Erwähnung der „Route de Rufisque“ Freundin Aissatou über den Tod ihres (Bâ 2002: 43) bzw. der „Route de Mannes und kommt dabei auf einzelne Ouakam“ (Bâ ebenda: 67), die auf Details, die dem unglücklichen Ereignis Vororte der senegalesischen Hauptstadt vorausgegangen sind, zu sprechen. Im Dakar verweisen. Für die Interpretation Rahmen der erzählten Geschehnisse des Textes scheint vor allem die Frage, werden traditionsgebundene, gesell- welche historisch-kulturellen Inhalte schaftsbezogene wie auch kulturspezifi- durch die erwähnten Orte vermittelt sche Inhalte vermittelt. Auch wenn der werden, relevant zu sein. Zudem spielt Brief an eine Romanfigur adressiert ist, das Motiv der Reise eine wichtige Rolle die sich in Senegal sehr gut auskennt, bei der Vermittlung geografischer Anga- wird dieser doch auch von der Autorin ben. Als reisende Figur wird dem Leser als erzähltechnisches Mittel benutzt, Tante Nabou vorgestellt sowie die Mut- um der Leserschaft (Fremd)kulturelles ter von Mawdo Bâ, die nach Diakhao über den Senegal, den Handlungsort, fährt, um ihren Bruder Farba Diouf zu zu vermitteln. Dies zeigt sich am deut- besuchen (Bâ 2002: 43). Diese Orts- lichsten in den Worten der Erzählerin wechsel dienen als Anlass, um über die selbst: “Aissatou, meine Freundin, ich ausgewählte Route einige Regionen im langweile dich vielleicht, indem ich dir Senegal, die eine besondere historische erzähle, was du schon weißt“ (Bâ 2002: Prägung haben, vorzustellen, wie fol- 19). Hauptthematik der Erzählung ist gende Textbeispiele veranschaulichen: die Polygamie. Ramatoulaye und ihre

169 1. Die Straße von Rufisque gabelt sich Marie Gresillon Recht zu sagen, dass heutzutage an der Kreuzung von Diam- der implizite Leser jedoch der eigentli- niadio: die Nationalstraße I zur Rechten che Adressat ist. (Gresillon 1986 :60). führt über Mbour ins Sine-, wäh- Schließlich werden in den Beispielen rend die Nationalstraße 2 durch Thiès Informationen wiederholt, die der ex- und Tivaouane, der Wiege des Tidianis- pliziten Empfängerin des Briefs bereits mus, hinauf nach Saint-Louis, der frü- bekannt sind. Die oben zitierten Orts- heren Hauptstadt des Senegal. (Ebenda: beschreibungen nehmen viel Raum in 43-44) der Erzählung ein, obwohl sie für die Handlung (Diegese) keine vordergrün- 2. Das schwindelerregende Tempo des dig wichtige Rolle spielen. Die ausführ- Fahrzeugs, das sie zu den Stätten ihrer lichen Beschreibungen der Reiseroute Kindheit brachte, hinderte sie nicht da- werden folglich als Mittel zur Insze- ran, die vertraute Landschaft wiederzu- nierung geografisch bedingter Inhalte erkennen. Hier war Sindia, dann – zur eingesetzt, was die Vermittlung von Linken – Popenguine, wo die Katholiken Fremdheitsbildern in der Übersetzung Pfingsten mit einem ordentlichen Fest- ermöglicht. Daher kann behauptet schmaus feierten. (Ebenda: 44) werden, dass über die im Rahmen der 3. Die Baobabs streckten das gewaltige Übersetzung transportierten geografi- Gewirr ihrer Äste zum Himmel; Kühe schen und historischen Beschreibungen überquerten langsam den Weg und boten ein kultureller Transfer erfolgt, der dem mit ihrem stumpfen Blick den Fahrzeugen deutschsprachigen Leser Senegal als die Stirn; Hirten mit Pluderhosen, mit Handlungsort vertraut macht. Der Kul- einem Stock über der Schulter oder in der turtransfer zeichnet sich hier außerdem Hand, führten die Tiere. (Ebenda: 44) durch einen Ortsbezug aus, der es nicht 4. Die schöne Moschee ‚Medinatou-Mi- nur ermöglicht, die Erzählung räumlich naouara’ war noch nicht zum Ruhme des und kulturell einzuordnen, sondern Islam gebaut worden; aber mit demselben darüber hinaus auch die Landschaften, frommen Eifer beteten Männer und Frau- die Fauna und Flora mit ihren Baobabs, en entlang der Straße. ‚Um sich zu über- Wäldern und Affen auf der Route zwi- zeugen, daß die Traditionen weiterleben, schen Dakar und Diakhao für den Leser muß man nur Dakar verlassen’, murmelte sinnlich erfahrbar werden lässt. Allein Tante Nabou. Linker Hand begrenzten „die Zugehörigkeit der Sprachgemein- Dornenbüsche den Wald von Ndiassane; schaft zu einem geographischen Raum Affen sprangen hervor, um sich am Licht mit allen seinen – klimatischen, ethni- zu berauschen. (Ebenda: 44-45) schen, ökonomischen und kulturellen – Implikationen“ (Reiß 1976: 60) spielt 5. Jetzt war man in Thiadiaye, in Tata- eine wichtige Rolle beim Transfer kultu- guine, in Diouroupe und schließlich in rellen Wissens. Die kulturelle Tragweite , der Hauptstadt des Sine. Atemlos der Erzählung zeigt sich dann auch und qualmend bog der Bus nach links. insbesondere dadurch, dass manche Geschüttel und Gerüttel. Endlich Diak- der dargestellten Orte einen eindeutig hao, das königliche Diakhao, Wiege und historisch geprägten Bezug aufweisen. Grab der Bour-Sine, das Diakhao ihrer Paradigmatisch ist hier der Hinweis auf Vorfahren, das so sehr geliebte Diakhao Saint-Louis, frühere Hauptstadt Sene- mit dem riesigen Grundstück eines alten gals, die an die kolonial-historischen Palastes. (Ebenda: 45) Beziehungen zwischen Senegal und Es kann davon ausgegangen werden, Frankreich erinnert. Ebenso wird auf dass die Romanfigur Aissatou, an die Sehenswürdigkeiten wie etwa auf die Ramatoulaye sich mit dem langen Brief schöne Moschee „Medinatou-Minaou- der Erzählung wendet, nur scheinbar als ara“, die von Traditionsgebundenheit Adressatin der vermittelten Nachrichten der Regionen außerhalb Dakars zeugt, fungiert. In diesem Zusammenhang hat hingewiesen. Die Gegenüberstellung zwischen Christentum (symbolisiert

170 interculture journal 18/32 (2019) hier durch Popenguine, Pilgerort der In dieser Hinsicht wird durch die Er- Katholiken) und Islam (symbolisiert zählung religiös gebundener Todesri- durch die Stadt Tivaouane, Wiege des tuale sowie durch deren Übersetzung Tidianismus) unterstreicht den hohen Ausgangskulturspezifisches ausführlich Stellenwert, den die beiden Religions- behandelt und vermittelt. Während gemeinschaften (der Islam vor allem der Beerdigung Modou Falls, berichtet und das Christentum) bzw. die Religion Ramatoulaye: allgemein im Senegal hat. Damit ver- Sieben Meter weißer Perkal, die einzige bunden ist der alltägliche Umgang mit für einen toten Moslem zulässige Beklei- Religion, insbesondere mit dem Islam dung, werden sorgfältig in einen Korb als Mehrheitsreligion in der dargestell- gelegt. Das ‚Zem-Zem’, das Wunderwasser ten Gesellschaft, auf den im Folgenden von den heiligen Stätten des Islam, das in eingegangen wird. jeder Familie pietätvoll aufbewahrt wird, 4.2. Die Vermittlung tradi- wird nicht vergessen. (Ebenda: 10-11) tionsbezogener Aspekte in Dem Handlungsverlauf folgt am dritten Bezug auf den Islam Tag nach Modous Tod die Inszenierung eines in der islamischen Gesellschaft Abgesehen von den oben skizzierten wichtigen Ereignisses: Orten des Islams wie der Moschee Der ‚Mirasse’, vom Koran auferlegt, „Medinatou-Minaouara“ und der Stadt erfordert die Bloßlegung der intimsten Tivaouane sind im Werk weitere Be- Geheimnisse eines Verstorbenen. Er führt züge zum Islam zu vermerken. Allein so den anderen vor Augen, was man sorg- schon an der Figurenkonstellation zeigt fältig vertuscht hatte. (Ebenda: 19-20) sich die Bedeutung dieser Religion in der vermittelten Ausgangskultur. Dieses Ereignis ist eine Gelegenheit, Neben den zahlreichen als Moslems erzähltechnisch durch Rückblenden auf dargestellten Figuren evoziert die Per- wichtige Ereignisse im Leben des Ver- sönlichkeit des Imams als Wegweiser storbenen zurückzukommen: in der Gemeinschaft die islamische Ich ermesse mit Entsetzen die Tragweite Prägung der dargestellten Gesellschaft. von Modous Verrat. Das Verlassen seiner Dass der Imam jedoch nach dem Tod ersten Familie (meiner Kinder und mir) von Modou Fall neben anderen Figu- war gleichbedeutend mit der Wahl eines ren wie Tamsir, Modous Bruder, um neuen Lebens […]. Der Höhepunkt der Ramatoulayes Hand anhält, deutet auf ‚Bloßlegung’: die Quelle für den Kauf der eine implizite Gesellschaftskritik hin Villa SICAP, Luxusklasse, vier Schlafzim- bzw. kann als Kritik der Autorin an der mer, zwei Bäder in rosa und blau, großer engen Verbindung zwischen Religion Wohnraum; außerdem eine Dreizimmer- und gesellschaftlicher Macht gedeutet wohnung für Frau Schwiegermutter, auf werden. Dadurch, dass Ramatoulaye seine Kosten am Ende des zweiten Hofes den Heiratsantrag des Imams ablehnt, angebaut. (Ebenda: 20) wird die sozial- und religiös bedingte Rangordnung kritisch hinterfragt. In Ein weiteres mit dem Tod von Modou diesem Zusammenhang stellt sich die verbundenes Beispiel für die Vermitt- Frage der Frauenemanzipation in einer lung spezifisch ausgangskultureller In- islamisch geprägten Gesellschaft. Weite- formationen ist das folgende: re Hinweise auf die zentrale Bedeutung Die ununterbrochenen ‚Siguil ndigalé’ des Islams sind die im Alltagsgesche- gehen zu Herzen, und gleichzeitig werden hen wahrnehmbaren, über die reine von gewandten Händen Kekse, Bon- Vermittlung einer Zeitangabe hinaus bons, Kolanüsse – alles schön gemischt. gehenden Aufforderungen des Muezzins (Ebenda: 13) zum Gebet des „timis“ (ebenda: 95). Anhand verschiedener Situationen der Die Erzählzeit steht im Rhythmus der Narration lässt sich dies verdeutlichen. Trauer. So gelangt der Leser vom Tag

171 der Beerdigung zum dritten Tag nach Hauptprotagonistin wird gesellschafts- dem Tod von Modou Fall. Dabei wird kritisch der Einfluss von Religion auf auf den Empfang verschiedener Besu- den Alltag der Menschen unterstrichen cher im Haus von Ramatoulaye fokus- und gleichzeitig die enge Verbindung siert. Parallel hierzu werden Situationen von Religion und Kultur verdeutlicht. dargestellt, in denen bei den Frauen schallendes Gelächter, laute Reden, 4.3. Fremdkulturvermittlung Händeklatschen, schrille Schreie wahr- in den Fließtexten zunehmen sind. Die Frauen sprechen vom neuesten Stoff auf dem Markt und Der Transfer kulturspezifischer Inhalte von anderen ähnlichen Alltagsthemen, über die Erzählung spiegelt die Kon- und trauern vermeintlich wenig um zeption einer Übersetzung, bei der die den Verstorbenen, was wiederum als „Funktion eines möglichst bruchlosen Gesellschaftskritik lesbar ist; religiös linguistischen ‚Transfers’ kultureller betrachtet erweist sich die Lesung des Inhalte“ (Krohn et al. 2007: Vorwort) Korans für die trauernde Figur als trost- zum Tragen kommt. Beispielsweise er- spendend (ebenda:14). Der dritte Tag, fährt der Leser anhand der Figurenkon- wie der Leser zu verstehen bekommt, stellation, dass die Ich-Erzählerin zwölf dient der „Zeremonie für die Erlösung Kinder hat. Aus der zielkulturellen einer Seele“ (ebenda: 15). Während der Perspektive stellt ein solcher Hinweis Erzählung der Ereignisse des dritten Ta- auf eine ausgeprägt kinderreiche Fami- ges nach dem Tod Modous kommt die lie einen kulturellen Transfer dar. Für Erzählerin mittels Rückblenden erneut zielkulturelle Verhältnisse mag diese auf das Leben des Verstorbenen und Familienkonstellation insofern als über- auf das frühere Leben von den befreun- betont wirken, als die Ich-Erzählerin deten Ehepaaren zurück. Erst dann selbst als eine in einer polygamen Ehe springt die Erzählung zum vierzigsten lebende Frau dargestellt wird. Tag nach dem Tod: Zu den Nebenfiguren gehört außer dem Imam, der in der islamisch darge- Gestern habe ich, so wie es sich gehört, stellten Gesellschaft eine wichtige Rolle den vierzigsten Todestag von Modou be- als Wegweiser spielt, noch die Griote gangen. Ich habe ihm verziehen. Möge Farma. Die Darstellung und der häufige Gott die Gebete erhören, die ich täglich Auftritt dieser Protagonistin vermittelt für ihn spreche. Ich habe den vierzigsten in zielkultureller Hinsicht eine gewis- Tag andachtsvoll begangen. Eingeweihte se Fremdheit und verschafft einem haben den Koran gelesen. (Ebenda: 87) fremden Leser Einblicke in sozialgesell- Durch diese Darstellungen wird die schaftliche Aspekte der Ausgangskultur. Spiritualität der Hauptfigur deutlich. Die Kulturvermittlung bezieht sich Dies nimmt der Leser wahr, wenn sie sowohl auf die kulturelle Entwurzelung z. B. solche Äußerungen formuliert wie von Mariama Bâs Text und die damit die folgenden: verbundene Fremdsprachlichkeit wie auch auf die Fremdkulturalität im Wir haben Freitag. Ich habe ein reini- Kontext der Übersetzung. So tauchen gendes Bad genommen. Ich spüre dessen im deutschsprachigen Text Wörter wie lebende, durch meine befreiten Poren „Mitgift“ (Bâ 2002: 29 und 11),“Mit- wohltuende Wirkung. (Ebenda: 96) Ehefrau“ (ebenda: 11), „Marabu“ Heute habe ich das Abendgebet nicht auf (ebenda: 75), „Babuschen“ (ebenda: meine Weise beenden können. (Ebenda: 58), „Bubu“ (ebenda: 123), etc. auf. 118) Die Autorin verwendet im Fließtext ihres Romans bewusst Wörter aus dem Durch die Hervorhebung des besonde- Wolof, die sie auch direkt auf Fran- ren Stellenwerts der Religion im Allge- zösisch, in ihrer Schriftsprache, hätte meinen und des Islams im Besonderen, formulieren können. Ein Beispiel ist der sowie der religiösen Einstellung der Ausdruck „Siguil ndigalé“, der äquiva-

172 interculture journal 18/32 (2019) lentgemäß so viel bedeutet wie „herzli- lich, wie die Traditionen in bestimmten ches Beileid“ und der in der deutschen Regionen gelebt werden und welche Version als solcher („Siguil ndigalé“, Rolle dabei das soziale Leben spielt. ebenda: 13) übernommen wird. All diese Wörter („Griote“, „Mit-Ehefrau“, 4.4. Paratexte in der Über- „Bubu“, „Siguil-ndigalé“, etc.) vermit- setzung teln Facetten der ausgangskulturellen Gesellschaft, die sich in Themen wie Werktitel werden oft nicht wort- und Heirat, Tod, Religion, Kleidungskultur, sinngetreu übersetzt. Dabei spielen viele Sozialschichten etc. niederschlagen. Faktoren eine Rolle. Hierzu äußert sich Sie werden im Prozess der literarischen die literarische Übersetzerin Cornelia Übersetzung in den zielkulturellen Panzacchi folgendermaßen: Kontext transportiert und tragen zur Bei Übersetzungen geht es ja darum, den Vermittlung fremdkultureller Kenntnis- Leser zu interessieren und zum Lesen und se bei. Parallel hierzu werden zahlreiche Kaufen anzuregen. Vor dem Leser muss Hinweise auf ethnische Gruppen im der Verlagsvertreter und der Buchhändler Senegal und auf ihre Lokalisierung im für das Buch gewonnen werden. Land und auch in Nachbarländern wie Im Allgemeinen haben Übersetzer und Mali gegeben: oftmals auch weniger bekannte Autoren Man nannte die Casamance oder die wenig Einfluss auf die Wahl des Titels. Diolas und Madjagos, erstklassig in ma- Der wird von Lektoren, Programmleitung gischen Liebestränken. Man wies nach und Verlagsvertretern bei der Vertreter- Linguère, dem Land der Peul, die schnell konferenz ausgesucht. Bei der Titelaus- mit der Rache bei der Hand waren, so- wahl geht es in erster Linie um Werbe- wohl durch den Marabu als durch die wirksamkeit. (Ndong 2014: 65). Waffe. Man sprach auch von Mali, dem In diesem Sinne ist folgende Aussage Land der Bambara mit tief eingeschnitten Lüsebrinks zutreffend: Gesichtern. (Ebenda: 75-76) Kulturelle Adaptionsforen sind in erster Diese Passage weist auf die ethnische Linie in den Paratexten (Titelübersetzun- Vielfalt im Senegal hin. Zugleich wer- gen, Vor- und Nachworten, Werbeplaka- den im Text klischeehafte Vorstellungen ten, Interviews etc.) zu finden und spielen vermittelt, die die Beziehungen und das eine zentrale Rolle für die Rezeption und Zusammenleben zwischen Landsleuten Interpretation fremdkultureller Literatur (verschiedener ethnischer Zugehörigkei- und Medien. (Lüsebrink 2008: 143- ten) aus verschiedenen Teilen bzw. Re- 144). gionen charakterisieren. Dies wird u.a. Durch die Hinzufügung des Untertitels anhand des Beispiels der Linguère und Ein afrikanisches Frauenschicksal zum der Peul veranschaulicht. Am Beispiel Titel von Mariama Bâs Roman Ein so des Verhältnisses zwischen Aissatou und langer Brief wird das Schicksal der afri- Mawdo Bâ werden Beziehungsproble- kanischen Frau im afrikanischen Kon- me thematisiert, die durch die Verschie- text überbetont. denheit der Kasten entstehen. Diese Ähnlich verhält es sich im Nachwort Problematik stößt auf Unverständnis von Rolf Italiaander. Bereits der Titel seitens Mawdos Mutter, weil Aissatou „Muslimfrauen fordern ihre Rechte“ der sogenannten Kaste der Goldschmie- verweist auf die Frauenemanzipation de angehört, während Mawdo Bâ ein und das damit verbundene Schicksal „Toucouleur“, d. h. ein Angehöriger afrikanischer Frauen aus der zielkultu- der herrschenden Schicht (ebenda: rellen Perspektive. 29), ist. Dies ist der Grund für den Besuch der Mutter bei ihrem jüngeren Wer in Dakar, der Hauptstadt des Sene- Bruder, Farba Diouf, in Diakhao, gal, am Sonnabendabend eine Familie um dort ihrem Sohn eine zweite Frau aufsucht, trifft meistens nur die Ehefrau auszusuchen. Auch hier wird ersicht- mit ihren Kindern zu Hause an. Wenn

173 der Ehemann, was ihm nach islamischem tigt wird: Recht zusteht, mehrere Ehefrauen hat Mein Buch ist keine Autobiographie, (bis zu vier sind erlaubt), sind vielleicht wenn ich auch viel Selbsterlebtes verar- alle vier Frauen beieinander, dazu ihre beitet habe. Es geht mir schlechthin um Kinder. Meistens langweilen sich die die notwendige Aufklärung über die un- Frauen am Sonnabendabend und sitzen erträgliche Situation vieler Ehefrauen im verdrossen vor dem Fernsehgerät, während Senegal und damit überhaupt von Frauen sich die Kinder nicht weniger verdrossen in den islamischen Ländern. Wenn ich tummeln. allerdings gleichzeitig Frauen anderer Wo sind die Ehemänner, die Väter? Sie Kulturbereiche nützlich sein kann, würde sind ausgegangen, ins Kino oder zum mich das sehr freuen. Ich weiß, daß es Tanzen, oder sie vergnügen sich mit einer überall in der Welt bezüglich der Ehen ihrer Geliebten. (Bâ 2002: 136) und Familien heute viel mehr Krisen gibt Diese Informationen, die nicht in die als früher. Ich bin konservativ und glaube Fiktion der erzählten Geschichte einge- an die einträchtige Familie als Funda- flossen sind, sondern im Nachwort als ment der Nation. (Bâ 2002: 140) beobachtete Fakten zur Bekräftigung All diese Aussagen bestärken die Be- bzw. Leseorientierung zu verstehen tonung der Frauenproblematik als sind, vermitteln Inhalte durch den Grundmotiv des Werks. Über das Inte- Filter zielkultureller Wahrnehmungen resse des anvisierten Frauenpublikums und Wertvorstellungen. Dabei wird ein im Allgemeinen hinaus kommt mit der Bild vermittelt, das gerade die historisch deutschen Übersetzung die kulturver- geprägten Frauenemanzipationsbewe- mittlungsrelevante Eigenschaft literari- gungen hervorrufen und das auf gesell- scher Texte hinzu, die, übersetzt, dem schaftskritische Rangordnungen hin- zielkulturellen Leser manche Inhalte deutet, die bis heute relevant sind. Das aus der Erfahrungswelt der dargestellten Werk greift nämlich ein Thema auf, das Figuren und ihrer damit verbundenen zur Entstehungszeit des Romans sehr gesellschaftlich kulturellen Zugehhörig- brisant war: keit vermitteln. Im Juli 1980 fand in Kopenhagen eine Zu den Paratexten gehören auch die internationale Frauenkonferenz der Fußnoten als Anmerkungen der Über- UNO statt. Hier profilierten sich auch setzerin, die gesellschaftshistorische die islamischen Frauen erneut. Zu ihren und -relevante Inhalte vermitteln. Dies Themen gehörte die völlige Abschaffung ist es der Fall im folgenden Beispiel, in der Diskriminierung der Frau, ihre dem das bereits in einem anderen Zu- Gleichstellung und Ausbildung und nicht sammenhang angeführte Wort „Griot“, zuletzt ihr Einsatz für die Friedensarbeit. welches sich auf eine der Romanfiguren (Bâ 2002: 137) bezieht, erläutert wird: In der Art, wie sich die Figurenkonstel- Anmerkung des Übersetzers: Der Griot lation im Roman gestaltet, liegt eine war früher ein hochangesehener Musiker, gewisse Tendenz, Frauen als anvisierte Dichter und vor allem Geschichts-Erzäh- Zielleserschaft zu betrachten: „Le ler bei den ‚großen’ Familien, Bewahrer choix de se livrer à une amie manifeste der mündlichen Tradition, heute sind es l´intention d´adresser un message es- Männer bzw. Frauen (Griote), die sich sentiellement aux femmes qui peuvent von den reichen Familien dafür bezahlen comprendre, partager, voire prolonger lassen, ihr Lob zu singen. (Bâ 2002: 43) le récit de ces expériences“ (Gresillon Über die Anmerkungen der Übersetze- 1986: 60). Es sei in diesem Zusammen- rin erfolgt somit ein kultureller Trans- hang darauf hingewiesen, dass sich auch fer, der es ermöglicht, die transportierte referenzielle Bezüge zur „Autorenvita“ Fremdheit aus zielkultureller Perspek- herstellen lassen, was durch die folgen- tive wahrnehmen zu lassen. de Erklärung der Schriftstellerin bekräf-

174 interculture journal 18/32 (2019) 5. Schlussbetrachtung 6. Literatur

Kennzeichnend für die deutsch- Anne, T. (2011): Teere-Woy yi - Das senegalesischen Literaturbeziehungen Buch der Lieder. Jukkib-tànneefu woy yu sind Übersetzungen von Literatur ñutekke ci Almaa: Goethe, Heine, Brecht senegalesischer Autoren wie Léopold ak ñeneen ak ñeneen. Eine Auswahl klas- Sédar Senghor, Ousmane Sembène, sischer deutscher Dichter; Goethe, Heine, Aminata Sow Fall etc. Auf der Ebene Brecht und andere. Wolof-Almaa/Wolof- der Rezeption spielt die Verleihung des Deutsch. Fredersdorf: Kulturbild Verlag Noma-Preises an Mariama Bâ für den Markus Hoeft. Roman Une si longue lettre eine bedeu- Bâ, M. (2002): Ein so langer Brief. Ein tende Rolle. Anhand der Analyse der afrikanisches Frauenschicksal. Aus dem deutschen Übersetzung dieses Romans Französischen von Imgard Rathke. Ber- unter dem Titel Ein so langer Brief. Ein lin: List Taschenbuch. afrikanisches Frauenschicksal konnten bestimmte Aspekte des kulturellen Bachmann-Medick, D. (1996): Kultur Transfers festgestellt werden, die einem als Text. Die anthropologische Wende deutschsprachigen Leser landeskund- der Literaturwissenschaft. Frankfurt am liche Informationen zu Senegal (Flora, Main: Fischer Taschenbuchverlag. Landschaft, Geographie etc.) aber auch Gierczynski-Bocandé, U. (2004): Bilder zum Stellenwert des Islams, zur Frankfurt am Main 1968: Verleihung Rolle der Frau in der Gesellschaft, zur des Friedenpreises des des Frieden- kulturellen Vielfalt im Senegal usw. preises des deutschen Buchhandels an vermitteln. Parallel zur Verwendung Präsident Senghor. Anerkennung und von Einsprengseln des Wolof, die sich Missverständnis. In: Etudes Germano- in der deutschen Übersetzung als Praxis Africaines 20-21/2002-2003. Colloque interkultureller Literaturvermittlung de Dakar. Senghor et la culture de transportieren lassen, kommen auch l´éspace germanophone. Dakar: Presses durch die Informationen in den Fuß- des Nouvelles Imprimeries du Sénégal, noten nochmals gesellschaftsrelevante S.138-157. Aspekte zutage. Nicht zuletzt wird durch die Thematisierung der Frauen- Gießgen, M.-D. (2000): Französisch in emanzipation die Wahrnehmung der der maghrebinischen Literatur – Driss Frau in der ausgangskulturellen Gesell- Chraï: Une enquête au pays. In: Dah- schaft vermittelt. men, W. et al. (Hrsg): Schreiben in einer In den Paratexten werden kulturelle anderen Sprache. Zur Internationalität Informationen zu kultursoziologischen romanischer Sprache und Literaturen. Elementen, die die Texte transportieren, Romanisches Kolloquium XIII. Tübin- übertragen. Es wird jedoch zugleich aus gen: Gunter Narr, S. 221-258 der zielsprachlichen Perspektive eine Gouaffo, A. (1998):Fremdheitserfah - Wahrnehmung vermittelt, die den Text rung und literarischer Rezeptionsprozess; verfremdend wirken lässt. Somit ist die zur Rezeption der frankophonen Literatur deutsche Übersetzung von Mariama Bâs des subsaharischen Afrika im deutschen Une si longue lettre durch verschiedene Sprach- und Kulturraum (unter besonde- Aspekte des kulturellen Transfers in den rer Berücksichtigung der Bundesrepublik Bereichen Sozialleben, Religion, Wohn- Deutschland und der DDR 1949-1990). sitten, Interaktionen etc. gekennzeich- Frankfurt/M.: IKO. net, die sich für die Transferbeziehun- Gresillon, M. (1986): Une si longue gen zwischen Senegal und Deutschland lettre. Approche de l´œuvre complète. Ver- auf der literarischen Ebene als fruchtbar sailles: Editions Saint-Paul. erweisen. Krohn, C.-D. / Rotermund, E. / Winckler, L. / Koepke, L. (Hrsg.) (2007): Übersetzung als transkultureller

175 Prozess. München: text+kritik. Touré, M. (1995): Le Sénégal dans les encyclopédies allemandes. In: Diop, Lüsebrink, H.-J. (2008): Interkulturelle P.S. (Hrsg.): Sénégal-Forum, littérature Kommunikation. Interaktion. Fremd- et histoire: Werner Glinga. In Memoriam wahrnehmung. Kulturtransfer. Stuttgart: (1945-1990). Frankfurt/Main: IKO, S. Metzler. 209-224. Mayanja, S. (2014): Afrikanische Über- Vermeer H.J. (1986): Übersetzen als setzungsgermanistik? Überlegungen zu kultureller Transfer. In: Snell-Hornby, einem Verständnis von Übersetzungs- M. (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft. wissenschaft und interkultureller Ger- Eine Neuorientierung. Tübingen: Fran- manistik an afrikanischen Hochschulen. cke, S. 30-53. In: Mayanja, S. / Hamann, E. (Hrsg.): Schwerpunkte der DaF-Studiengänge und Witte, H. (2000): Die Kulturkompetenz Germanistik im östlichen Afrika. Göttin- des Translators. Begriffliche Grundlegung gen: Universitätsdrucke, S. 61-73. und Didaktisierung. Tübingen: Stauf- fenburg. Midiohouan, G. O. (1995): Lamine Senghor (1889-1927), précurseur de la prose nationaliste négro-africaine. In: Diop, P.S. (Hrsg.): Sénégal-Forum, littérature et histoire: Werner Glinga. In Memoriam (1945-1990). Frankfurt/ Main: IKO, S. 153-167. Ndong, L. (2014): Kulturtransfer in der Übersetzung von Literatur und Film. Sembène Ousmanes Novelle „Niiwam“ und deren Verfilmung „Niiwam. Der lange Weg“. Göttingen: Cuvillier. Ndong, L. (2017): German Poetry in African Languages. An analysis of Se- lected German Poems from an Intercul- tural Perspective. Journal of Literature and Art Studies 3, S. 255- 263. Reiß, K. (1976): Texttyp und Überset- zungsmethode. Der operative Text. Kron- berg/Taunus: Scriptor. Rühling, L. (1992): Fremde Land- schaft. Zum Problem der geografischen Eigennamen in den Übersetzungen von Strindbergs naturalistischen Roma- nen Röda Rummet, Hemsöborna und I Havsbandet. In: Lönker, F. (Hrsg.): Die Literarische Übersetzung als Medium der Fremderfahrung. Berlin: Erich Schmidt, S. 144-172. Senghor, L. S. (1975): Le message de Goethe aux nègres nouveaux. In: Le Sénégal écrit. Anthologie de la littérature sénégalaise contemporaine − une copro- duction germano-sénégalaise. Tübingen/ Dakar: Horst Erdmann / Les Nouvelles Editions Africaines, S. 91-95.

176 interculture journal 14/25 (2015) 177 178 interculture journal 18/32 (2019) Formen des Miteinanders im frankophonen afrikanischen Theater

Ways of Living Together in Francophone African Theatre

Annette Bühler-Dietrich Abstract (Deutsch) apl. Professorin für Neuere deut- Im Theater wie in theoretischen Schriften setzen sich frankophone afrikanische sche Literatur an der Universität Autor*innen mit neuen Formen des Zusammenlebens auseinander. Sie betref- Stuttgart. Von 2014 bis 2018 fen das Miteinander lokaler Bevölkerungen, aber auch die Kommunikation war sie DAAD-Lektorin an der zwischen globalem Norden und globalem Süden. Was in den theoretischen Université Ouaga I Joseph Ki- Schriften als Neubestimmung Afrikas erscheint und als Befreiung vom Entwick- Zerbo, Burkina Faso. Ihre thea- lungsparadigma des globalen Nordens, findet sich im Theatertext als Hinterfra- terwissenschaftliche Forschung gung der Bedingungen von Kommunikation und Veränderung wieder. Anhand befasst sich mit dem deutsch- der Schriften von u.a. Achille Mbembe und Felwine Sarr wird ein Diskurs sprachigen Drama und Theater skizziert, der sich in zeitgenössischen Theatertexten fortsetzt, die Ausbeutung seit dem 19. Jahrhundert sowie und Missachtung anklagen, gleichzeitig aber Visionen anderer Formen des dem frankophonen afrikanischen Miteinanders inszenieren. Theater wird, mit Dieudonné Niangouna, als Ort des Theater der Gegenwart. Publika- Widerstands sichtbar, der dazu aufruft, das „inter“ der Kommunikation neu zu tionen (Auswahl): Bühler-Diet- denken. rich/Noufou Badou: Le CITO – un maillon fort du théâtre au Schlagwörter: Kultur, Koltan, Kongo, Miteinander, Widerstand Burkina Faso. 20 ans de créativité et de résistance (Ouagadougou Abstract (English) 2017), Drama, Theater und Psychiatrie im 19. Jahrhundert (Tübingen 2012). In theatre texts and theoretical writings, francophone African authors discuss new forms of living together in respect of local cohabitation but also in respect of forms of communication between the global North and the global South. While theoretical writings focus on new definitions of Africa and question the devel- opmental paradigm of the global North, theatre plays question the conditions of communication and change. Drawing on writings by Achille Mbembe and Felwine Sarr, to name but a few, I will outline a discourse which interacts with contemporary theatre. There, exploitation and disregard are being highlighted next to visions of different forms of living together. Theatre, with Dieudonné Niangouna, can be regarded as a space of resistance which asks us to think the „inter“ of communication differently.

Keywords: culture, Coltan, Kongo, living together, resistance

179 1. Einleitung es neu erlernen, „réapprendre“, wie man zusammen sein kann. Angesichts Das burkinische Theaterfestival der zahlreichen Terroranschläge, unter Récréâtrales, das alle zwei Jahre in der denen Burkina Faso seit 2016 leidet, Hauptstadt Ouagadougou stattfindet, ist die Kunst des Zusammenlebens ein stand 2018 unter dem Motto „Tresser le hohes Gut, das derzeit auch von durch courage“. In seinem programmatischen den Terrorismus geschürten inter- Text „Être ensemble“ schrieb der Leiter ethnischen Konflikten beeinträchtigt des Festivals, Dramatiker, Schauspie- wird. „Désormais nous vivons la peur ler und Regisseur Aristide Tarnagda et la méfiance au ventre“, konstatiert Folgendes: Tarnagda zu Beginn seines Textes. Das Et si nous pensions à l’art du courage ? Motto „tresser le courage“ steht so Le courage tressé. Le courage dressé. […] in direktem Zusammenhang mit der Le courage de dire que nous ne voulons ständigen terroristischen Bedrohung. plus être à la périphérie. Le courage de Neben dem Kampf gegen den Terror dire que les seules croissances qui vaillent gibt es aber auch die Gegenvision einer la peine ce sont celles du rire et du cœur anderen Gesellschaft, die sich gegen de l’Homme. Le courage de dire que nous das Entwicklungskonzept des globalen sommes venus sur la terre pour être et pas Nordens wendet. An die Stelle des öko- qu’avoir, avoir et avoir. Le courage de nomischen Wachstums setzt Tarnagda miser sur l’Homme, sur l’utopie, le rêve, la das Lachen, die Schönheit, die Utopie. beauté, l’émerveillement. Etre ensemble. Damit führt der Dramatiker auf poeti- Jours et nuits. Faut donc réapprendre à sche und programmatische Weise fort, l’être humain l’art d’être ensemble. Re- was in aktuellen Publikationen von mettre la beauté, le rêve, l’émerveillement Felwine Sarr, Achille Mbembe, Léo- au cœur de toute politique. Ici il n’y a pas nora Miano und Françoise Vergès, um d’autre entêtement que celui d’être en- nur einige zu nennen, diskutiert wird. semble ; se dépasser pour accepter l’autre; Interkulturelle Kommunikation spielt le porter. Etre avec lui. Ensemencer le sens in dieser Hinsicht sowohl als intereth- 1 ensemble. (Tarnagda 2018) nische Kommunikation eine Rolle, wo Tarnagdas Text eignet sich für es um ethnische Konflikte geht, aber die Frage nach der Reflexion von auch als interkulturelle Kommunika- Formen des Miteinanders in be- tion zwischen Akteuren des globalen sonderem Maße, denn er bringt Nordens und des globalen Südens, die aktuelle Tendenzen in den Schrif- seit Beginn der Kolonisierung an klare ten frankophoner Autor*innen epistemologische, politische und öko- – seien es Philosoph*innen, nomische Machtpositionen gekoppelt Sozialwissenschaftler*innen, ist. In der Vision eines anderen Zusam- Schriftsteller*innen – auf den Punkt. menlebens ist die Überwindung dieser Er äußert zunächst Widerstand – ge- Machtverteilung integraler Bestandteil. genüber einer Randposition Afrikas Im Folgenden werde ich die Frage der sowie gegenüber dem ökonomischen Kommunikation und des Zusammenle- Wachstum als einzigem Parameter für bens zunächst mit Blick auf die Schrif- Entwicklung – und er postuliert eine ten der genannten Autor*innen unter- Gegenvision, die Kunst des Zusammen- suchen, um dann, im zweiten Schritt, seins. Darin enthalten ist, so führt er ausgewählte Theaterstücke von Sèdjro schließlich aus, ein Überschreiten der Giovanni Houansou, Sinzo Aanza, Aris- eigenen Grenzen – „se dépasser pour tide Tarnagda und David-Minor Ilunga accepter l’autre; le porter“ – um den in diesem Diskurs zu verorten. Alle Au- anderen anzunehmen, ihn zu tragen, toren waren mit ihren Stücken bei den zu stützen. Dass dies keine selbst- Récréâtrales präsent, sei es 2016 oder verständliche Fähigkeit ist, wird in 2018. Am Ende werde ich schließlich Tarnagdas Aussage deutlich, man müsse Reflexionen zur Stellung des Theaters

180 interculture journal 18/32 (2019) einbeziehen, die Dieudonné Niangouna der Beziehungsverhältnisse, „une pro- unlängst vorbrachte, auch er, wie Felwi- fonde crise de la relationalité“ (2017a: ne Sarr, ein regelmäßiger Gast des Festi- 12), und denkt über neue Formen des vals. So ist meine Kenntnis der Autoren Zusammenlebens nach: und ihrer Texte letztlich auch eine Folge Habiter le monde c’est se concevoir comme des Begegnungsraums, den das Festival appartenant à un espace plus large que schafft, sowie des durch das Festival son groupe ethnique, sa nation, le conti- 2 gebildeten Wissensdispositifs. nent qui vous a vu naître […] Ne plus 2. Neuverortungen être d’une culture particulière, mais partir de celle-ci pour habiter les imaginaires Betrachtet man 2016 und 2017 erschie- multiples, riches et féconds des langues nene frankophone theoretische Publika- du monde, de ses mythes, des déclinaisons tionen, so zeigt sich, dass die Reflexion multiples des opérations de mise en sens über Afrika und die Neubestimmung que ces imaginaires permettent. (Sarr und Neuverortung Afrikas eine zentrale 2017a : 33f.)4 Position im aktuellen Denken einneh- Diese Arbeit an Vorstellungswelten men. Nicht mehr werden (nur), wie sieht Sarr bereits in Afrotopia (2016) als 2007, dem Jahr des Manifests „Pour elementar für die Entwicklung neuer une ‚littérature-monde‘ en français“, Ansätze für die Zukunft; sind die Über- die Zuschreibungen gegenüber afrika- legungen dort auf Afrika bezogen, so nischen Schriftsteller*innen diskutiert, hat er in Habiter le monde (2017a), wie sondern die Neudefinition dessen, was der Titel andeutet, die Welt im Blick. „Afrika“ bedeutet, steht an. „De quoi Der Gedanke der Ent-Zugehörigkeit, Afrique est-il le nom?“ (2017), fragt die der „désappartenance“ als Ziel findet Schriftstellerin Léonora Miano ; und sich auch am Ende von Mbembes Cri- die Philosophin Hourya Bentouhami tique de la raison nègre (2013). Dass wundert sich : „Comment peut-on être die Hinterfragung von Zugehörigkeit africain.e?“ (2017). Man ist auf dem und von Formen des Miteinanders Weg zu etwas Neuem, „L’Afrique qui gerade von Philosophen afrikanischer vient“ heißt ein Artikel von Mbembe Herkunft gestellt wird, liegt daran, so (2017a), „Penser un nouveau sièc- macht eine andere Aussage Mbem- le“ überschreiben Mbembe und Sarr bes deutlich, dass eben gerade Afrika ihre Einleitung zur Anthologie Écrire bislang nicht in den globalen Dialog l’Afrique-Monde (2017). Offensichtlich einbezogen wurde, weil in den Augen gibt es einen Widerstand gegen her- vieler kömmliche neokoloniale Denkmuster, werden neue Selbstbestimmungen la vie en Afrique n’est jamais une vie diskutiert und ausprobiert. Selbst der humaine tout court. Elle apparaît très Name „Afrika“ wird als Träger kolonia- souvent comme la vie d’autres gens ler Konnotationen zum Problem.3 dans quelque autre lieu, ailleurs. En tant que telle, elle suscite de temps à Zentral ist dabei die Frage nach neuen autre de la pitié et des gestes de chari- Formen des Zusammenlebens, inner- té – la politique du Bon Samaritain. halb Afrikas, aber auch in globaler (Mbembe 2017b : 382)5 Dimension – ein Zusammenleben von Menschen wie auch von Mensch Afrika als „monde à part“ (ebd.) ist und Umwelt. Ein Gegeneinander von (bislang) nicht Teil eines gemeinsamen Feindschaft und Ausbeutung wird als Imaginären. historisch gewachsener Ist-Zustand in Die Diagnose der fehlenden Beziehung Mbembes Politiques de l’inimitié (2016) zwischen Afrika und den anderen Kon- konstatiert; Afrika ist dabei als Kon- tinenten, wie sie hier sichtbar wird, hat tinent von „cheap labor“ und „cheap auch Konsequenzen für die Frage der nature“ (Vergès 2017) besonders betrof- Interkulturalität als Modell für die In- fen. Sarr diagnostiziert eine tiefe Krise teraktion mit Afrika, weil dieses „inter“

181 einerseits als hierarchisch und gewalt- tialisierende Dimension, die für Hier- sam zwischen zwei Polen, andererseits archisierungen und Diskriminierungen als offener Raum zwischen vielen ver- sorgt, beseitigt. Gerade gegen diese schiedenen gleichrangigen Positionen Form der Ausgrenzung wenden sich die verstanden wird. Darüber hinaus äußert genannten Theoretiker*innen. Nicht sich in den Schriften auch eine Skepsis die Transkulturalität als Modell der am Kulturbegriff selbst. So konstatiert „Vernetzung und Verflechtung vieler Bentouhami, dass ein essentialisierendes Kulturen der Gegenwart“ (Lüsebrink Denken von Kultur nur eine verschobe- 2012: 19) wäre jedoch die Lösung. ne Form des biologischen Rassismus sei Nicht die Kultur, sondern der Mensch und sich darüber hinaus gut mit bio- würde polykulturell, durchlässig für logischen Strategien koppeln lasse (vgl. verschiedene Kulturen, die sich nicht Bentouhami 2015: 152-155). notwendigerweise ineinander überset- Sarr schlägt vor, die Kulturen wie Klei- zen lassen, wie das Bachmann-Medick der in einem großen Kleiderschrank zu konzipiert (2011). bewohnen – „Habiter les cultures du Dass hinsichtlich der interkulturellen monde comme on se promène dans une Kommunikation auch andere Modelle garderobe riche de différents vêtements von Kommunikation einbezogen wer- pour toutes les saisons“ (Sarr 2017: den müssen, machen der Artikel von 34).6 Dieses Bild deessentialisiert Kul- Miike (2017) sowie die Artikel von tur, indem zwar ihre Textur und Form Karenga (2014) und Asante (2014) zu anerkannt wird, auch ihr Gemacht- Konzepten afrikanischer Kommuni- und Gewordensein, indem aber die kation deutlich. Dass sich die Artikel Beziehung zwischen Träger und Kultur im Global Intercultural Communication eine der freien Wahl ist, und zwar einer Reader (2014) befinden und statt der Wahl, die jeden Tag anders aussehen vom globalen Norden ausgehenden kann. Kultur als Kleidungsstück könnte Theoriebildung nun diachrone und eine gewisse Gruppenlogik erzeugen synchrone Modelle von Kommu- – man denke an die Dresscodes der nikation verschiedener Kontinente Jugendkultur oder des Managements versammeln, könnte die Frage der – müsste es aber nicht. Sarrs Kulturbe- interkulturellen Kommunikation auf griff, der Kultur durchaus als zunächst die Ebene des Dialogs verschiedener regional geformt versteht – macht diese Kommunikationskonzepte verlagern.7 Regionalität verfügbar auch für dieje- Diese Erweiterung der Untersuchung nigen, die ihr nicht entstammen, und interkultureller Kommunikation hin zu denkt somit Zugehörigkeit fluid. Dazu verschiedenen Modellen von Kommu- müsste das Denken dahin verändert nikation trifft sich mitÜberlegungen zu werden, dass die Welt als geteilter und einer veränderten Epistemologie in den gemeinsamer Raum gesehen würde – Sozialwissenschaften (Sarr 2017b), aber eben im Unterschied zu den Politiken auch mit Walter Mignolos Konzept des der Feindschaft und Ausbeutung. dekolonialen Denkens:

Für die Frage der Interkulturalität hieße Consequently, decolonial thinking and das, dass dieses „Inter“ eine neue Form doing focus on the enunciation, engaging annehmen müsste, weil es nicht mehr in epistemic disobedience, and delink- als Kommunikation zwischen Sub- ing from the colonial matrix in order to stanzen, sondern als Kommunikation open up decolonial options – a vision of zwischen Positionen gedacht würde, life and society that requires decolonial und weil nicht eine binäre, sondern subjects, decolonial knowledges and deco- eine vielgliedrige Opposition ins Spiel lonial institutions. (Mignolo 2011: 9) käme – selten organisiert sich ein Klei- derschrank binär. Grundannahmen zur Mignolo will das Denken von der Verfasstheit von Kultur könnten beibe- kolonialen Matrix loslösen und damit halten werden, doch würde die essen- dekolonialer Pluralität Raum schaffen.

182 interculture journal 18/32 (2019) Ein Raum, der sich als dekolonialer terschiedliche Formen des Widerstands Denkraum versteht, ist das Theater. und der Selbstbestimmung.

3. Theater als Denkraum La Rue bleue Das Stück La Rue bleue des beninischen Wie Aristide Tarnagdas programma- Autors Sèdjro Giovanni Houansou tische Bemerkungen deutlich ma- (*1987), Träger des Prix RFI 2018 chen, teilen Dramatiker*innen und für sein Stück Les Inamovibles (2019), Theoretiker*innen einen gemeinsamen führt vier Personen unterschiedlichen Diskurs, in dem sich Gedanken auf Alters und unterschiedlicher Herkunft unterschiedliche Weise äußern. Auf- zusammen. Der Titel verweist auf einen grund von Kontaktzonen wie Festivals Ort, ein vernachlässigtes Stadtviertel, oder durch Grenzüberschreiter*innen durch das der zentrale Abwasserkanal wie Léonora Miano und Felwine fließt und das früher von einer Güter- Sarr, die als Theoretiker*innen und zuglinie durchquert wurde. Jetzt ist der Dramatiker*innen aktiv sind, kommt Kanal mit instabilen Platten bedeckt. es zu Intertextualität und Gattungs- Das Viertel wird von Banden be- differenzierung, aber auch zur Organi- herrscht und sein Zugang engmaschig sation eines gemeinsamen Diskurses. kontrolliert. Die Grenze zwischen der Die Weigerung, herkömmliche Un- Rue bleue und dem anderen Teil der terscheidungsraster weiterhin gelten Stadt trennt auch zwei unterschiedliche zu lassen einerseits, die Suche nach Lebenswelten: Visionen anderer Formen des Zusam- menlebens andererseits bestimmen D’un côté se joue le paradis qui rêve de gleichermaßen Theorie und Theater, gloire et d’extension, ohne dass einem der Vorrang gebührte. Et à côté, se joue autre chose qui rêve de Als Kunst des Zusammenspiels – von liberté et qui refuse l’extinction (3)8 Schauspieler*innen, Techniker*innen, Regisseur*innen, Autor*innen und Pu- Vor 17 Jahren hat ein Güterzug die blikum – stellt das Theater ein beson- Kinder – vermutlich vielmehr die En- ders geeignetes Dispositiv dar, um For- kel – der achtzigjährigen blinden Rama men der Interaktion auszustellen und überfahren. Gemeinsam haben die An- zu erproben. Theater ist ebenso Abbild wohner damals den Zug zum Entglei- wie Modell der Wirklichkeit; Bertolt sen gebracht, so dass das Wrack immer Brecht hört nicht auf, auf Letzterem zu noch vor Ort liegt. Heute wohnt die insistieren. alte Frau im oder neben dem Führer- haus der Lokomotive, das die Regiean- Den im Folgenden näher betrachteten weisung im zweiten Bild auf der Bühne TheaterstückenLa Rue bleue (2016) von platziert. Sèdjro Giovanni Houansou, Que ta vo- Roland, ein junger Mann, versucht lonté soit Kin (2018) von Sinzo Aanza, nachts mit seinem Auto durch die Rue Musika (2014) von Aristide Tarnagda bleue zu fahren, doch bleibt er wegen und Délestage (2016) von David-Minor einer Reifenpanne liegen – später er- Ilunga ist gemein, dass sie sich mit ver- fährt man, dass die Anwohner das Vier- schiedenen Formen des Miteinanders tel nachts vor Eindringlingen schützen, von Menschen sowie von Mensch und indem sie reifenzerstörende Fallen auf- Umwelt befassen. Sie alle spielen, mit stellen. Sein Versuch, den Besitzer der Ausnahme von Musika, in der Stadt örtlichen Werkstatt dazu zu bringen, und zwar in ihren weniger begünstig- ihm noch in der Nacht den Reifen zu ten Vierteln. Die Begegnung zwischen reparieren, scheitert. Der Mann, Koïgo, Figuren verschiedener Herkunft wird steht zwar auf, doch besteht er dar- in allen Stücken auf unterschiedliche auf, Roland bis 8:00 Uhr lediglich im Weise handlungsrelevant. Ausbeutung Gespräch Gesellschaft zu leisten, egal, von außen trifft in den Werken auf un- wieviel Roland zu zahlen bereit ist. Die

183 angebotenen 25 000 CFA sind für die incapable de voir la vie qui s’y développe, Dienstleistung, die für gewöhnlich etwa pourquoi on… (Grand Malaise… toux) 300 CFA kostet, zwar exorbitant hoch (19)9 – dennoch bleibt Koïgo stur. Indem er Rama erkennt im Handeln der Regie- Roland zum Gespräch zwingt, setzt er rung eine Vorgehensweise, die gerade ihn der Geschichte der Rue bleue aus. an den Betroffenen vorbei geht, nicht Da er weiß, dass es ganz und gar unüb- das Leben wahrnimmt und wertschätzt, lich ist, sich nachts in diese Gegend zu sondern lediglich die eigenen Vorstel- verirren, ist seine Geschichte auch von lungen von Fortschritt – ein Vorwurf, der Suche nach Rolands Motivation der sich in ähnlicher Weise auch in geprägt, welche das analytische Drama Sarrs Afrotopia findet (Sarr 2016: 17). nach und nach entfaltet. Während die Geräusche und Da Roland festsitzt, muss er dem Mann Informationen von außen immer zuhören und erfährt so, wer in der bedrohlicher werden, wird die Position Rue bleue lebt und wie die Lebensbe- Rolands immer mehr in Frage gestellt. dingungen der Bewohner in diesem Obwohl er nicht sagt, wer er ist und Elendsviertel sind, das dennoch auch was ihn in die Rue bleue geführt hat, ein Ort des Widerstands und der Frei- erkennt das Viertel, wer er eigentlich heit ist – solange es nicht den Investo- ist – nämlich derjenige, der hinter dem ren von außen anheimfällt. Während Großprojekt Rue bleue steckt. Trotz der Roland die vorgesehenen baulichen gefährlichen Situation kann er nicht Veränderungen wie Deich und geplante aus dem Viertel gebracht werden, weil Trockenlegung des Abwasserbeckens er nicht unerkannt als Einheimischer verteidigt, erkennt Koïgo in seinen durchgeht: Worten nur Unkenntnis und Presse- meinungen. Doch Roland lehnt Koïgos Koïgo : Tu sais que ce n’est pas sa couleur Kritik ab: „J’en ai rien à […] ‚foutre‘ qui passe, c’est ce qu’il représente qui ne de votre histoire“ (14). Während Koïgo passe pas. das geplante Großprojekt Rue bleue als Roland : Mais de quoi vous parlez à la Bedrohung seines Lebensraums erkennt fin ? und erklärt, hört Roland ihm zwar Koïgo : Toi, tu ne te vois pas. Nous, on te zu, beharrt aber dennoch auf seinen voit. (27)10 vorgefassten Ansichten. Koïgo betont: Nicht seine Hautfarbe macht ihn auffäl- „Ecouter est une chose qui s’apprend lig – er ist Métisse – sondern seine Hal- avec douleur. Avec un peu de temps, on tung. Während Roland weder sich noch pourra briser ce miroir“ (9). Das Zer- seine Umgebung wirklich erkennt, sieht brechen des Spiegelbildes, das Roland man ihn dagegen deutlich. Rama gibt von sich entworfen hat, wird zum Ziel die Rede der Aufständischen wieder, die des folgenden Gesprächs. bei den Machthabern eine „cécité spi- Da die Rue bleue erwacht, bringt Koïgo rituelle“, eine spirituelle Blindheit (24) in Bild 2 Roland zu seiner Sicherheit feststellen, die die Probleme des Viertels weg von der Straße zur blinden Rama. nicht wahrnehmen und trotzdem Lö- Dort erfährt man weiter, dass sich das sungen anbieten (ebd.). An ihr leidet Stadtviertel bereits zum Protest orga- auch Roland. nisiert, weil sich die Regierung in den In einem mehrseitigen Monolog, zur Kopf gesetzt hat, das Viertel zu reno- Seite gesprochen, entwickelt Roland vieren: schließlich den Grund seines Aufent- Pourquoi ce gouvernement se lave les halts in der Rue bleue, hörbar für das mains de toutes nos existences pendant Publikum, aber nicht für Rama und plus de trente ans et qu’un matin il décide Koïgo. Was sie nicht erahnen, ist, dass de tout flamber pour reprendre. Pourquoi Roland selbst ursprünglich aus der Rue il promène une caméra pour voir la saleté bleue kommt, dass seine ihm unbe- de ce quartier, alors qu’à l’œil nu il est kannte Mutter hier gewohnt hat und

184 interculture journal 18/32 (2019) dass er den Ort vernichten will, um ma. Wenn am Ende Ramas Vorschlag nicht von dort zu stammen (31). Dass steht, die Bevölkerung möge selbst In- der Ort eigentlich Zongo-Park heißt itiativen zur Verbesserung der Hygiene und der Name Rue bleue der Name des unternehmen, gibt das den Ansässigen Projekts ist – Koïgo Roland also sofort ihre Handlungshoheit zurück. dem Projekt zuordnen kann, als er ihm Houansous geschickt gebautes Kam- begegnet, erfährt man erst jetzt. „La merspiel stellt Dialog und Fürsorge ins Rue bleue. Peinture de mon ressenti- Zentrum. Koïgo kümmert sich um die ment, ma rage personnelle“ (32), sagt blinde Rama, beide schützen Roland, Roland, als er schließlich den beiden statt ihn den Banden auszuliefern. gesteht, dass er das Projekt ersonnen Beide schildern ihr Leben und ihre hat. Im abschließenden Bild geht er Position, während sie gleichzeitig nach draußen, stellt sich der Menge Rolands Reaktionen beobachten und und ruft bewusst nicht die Polizei her- deuten. Er dagegen trifft erst am Ende bei. Koïgos Mission, Rolands falsches die richtige Entscheidung, nicht die Spiegelbild zu zerbrechen, scheint am Polizei zu seiner Rettung zu rufen, und Ende erfolgreich. Ob damit auch das zeigt darin, dass er seine Verantwortung Viertel vor einer Veränderung gerettet annimmt und sich dieser in der Art werden kann, die zu neuen Ausschluss- eines Tragödienhelden stellt. Kom- praktiken führt, bleibt offen. munikation gelingt in La Rue bleue so letztlich doch, weil Roland sich der Rue Houansous Drama baut auf dem Dia- bleue aussetzen muss. Houansous Stück log auf. Er wählt eine kritische Situati- lässt sich damit durchaus auch als Alle- on – Rolands unfreiwilligen Aufenthalt gorie für die interkulturelle Kommuni- in der Rue bleue, einer ‚no-go area‘, der kation zwischen dem globalen Norden auf unterschiedliche Weise enden kann und dem globalen Süden lesen, die – und entwickelt allmählich die Posi- geprägt wird von Blindheit, fixen Ideen tionen der Bewohner auf der einen, die und Ressentiment auf der einen, Beob- des Fremden auf der anderen Seite. Der achtung und Kenntnis des Gegners auf Konflikt ist einer des Status und der der anderen Seite. Wahrnehmung. Roland ist ahnungslos Während La Rue bleue in keinem spe- gegenüber den Bewohnern der Rue zifischen westafrikanischen Land loka- bleue, während diese eigene Kategorien lisiert ist, spielen die Stücke von Sinzo und Bezeichnungen für die Welt jen- Aanza und Aristide Tarnagda in der seits des Viertels entwickelt haben. Ihr Demokratischen Republik Kongo, Da- Überleben hängt von den Strategien ge- vid-Minor Ilungas Déléstage entwickelt genüber der anderen Seite ab, während sich zwischen dem Kongo und Belgien. sie umgekehrt von den Wohlhabenden Damit stellen sie ein Land, das in be- nur als billige Arbeitskräfte ausgenutzt sonderem Maße von Ausbeutung und werden. Koïgo bezeichnet so die Men- Gewalt betroffen ist, ins Zentrum. schen der Rue bleue, die in die Fabri- ken gehen, als Tote und ihre Fabriken Que ta volonté soit Kin als Friedhöfe (vgl. Houansou 2016: 7). Wie Rolands Argumente zeigen, gehört Das Stück des kongolesischen Autors er dagegen zu denen, die meinen zu Sinzo Aanza (*1990), Que ta volonté soit wissen, was gut für das Viertel ist, ohne Kin, 2018 ausgezeichnet mit dem Preis dieses überhaupt zu kennen. Dass er am der Gabrielle von Brochowski Stiftung, Ende zugibt, seinen Sanierungsplan als spielt auf der Avenue de la Libération Zerstörungsplan entwickelt zu haben, in Kinshasa, kurz Kin. Ursprünglich geboren aus Ressentiment gegenüber wollte Sinzo Aanza das Stück sogar seiner Herkunft, verkompliziert einer- auf der Avenue de la Libération selbst seits die Frage der Zugehörigkeit, macht aufführen. Diese hat die Besonderheit, aber andererseits das Verhältnis von so erfährt man im Internet, dass sie seit Sanierung und Ressentiment zum The- 2012 nicht beleuchtet ist. Verkehrsun-

185 fälle und ein mehrdeutiges Nachtleben den anonymen Stimmen der Kneipen finden daher dort ihren Ort. und Straßen, die den Alltag in Kinshasa In seinem Stück stoßen auf dieser kommentieren – wo Stromausfälle in Straße Kneipenbesucher, evangelikale der Tat ein großes Problem sind, was Christen, zwei Frauen und ein Mann auch in Ilungas Délestage zum Thema aufeinander. Während die Gruppen im wird – und den Stimmen Lilys und So- Stück nur als verschiedene Stimmen phies. Sophies Fantasie von Michel, ihre hörbar werden, treten die beiden Frau- Imagination der großen Liebe, entfernt en Lily und Sophie sowie der Polizist sie von den sie umgebenden Personen Pilate als Einzelfiguren auf. Gegliedert und der Gefahr des Alltags. In der In- wird das Stück durch wiederkehrende szenierung Aristide Tarnagdas 2018 in Stromausfälle, die z.B. die Fußball- Ouagadougou klettert Sophie auf einen übertragung stören, aber auch durch großen, etwas sechs Meter hohen Baum die wiederkehrende Stimme eines und sitzt die letzten zwanzig Minuten Busfahrers. Die beiden Frauen, Lily auf einem Ast ganz oben, weit entfernt und Sophie, leben obdachlos auf dieser von dem Raum, den alle übrigen Figu- Straße. Ihrem trostlosen Alltag entge- ren einnehmen. hen sie, indem sie Geschichten und Alltagsthemen – über Stromausfälle, Träume entwerfen. So erzählt Lily die Fußball, Familie, Patrice Lumumba, Geschichte von Sophie − „Il était une die politische Situation – machen die fois une fille“ (15) – und Sophie selbst Gespräche der anonymen Kneipenbesu- träumt von einem Mann namens Mi- cher aus. Lily und Sophie setzen ihrem chel, der vielleicht existiert hat, den sie Leben auf der Straße ihre Fantasie ent- als Wunschbild geliebt hat. Lily gelingt gegen, die dazu dient, neue Legenden es, den Polizeihauptmann Pilate davon zu stiften. Dennoch sind sie sich der zu überzeugen, in Sophies Tagtraum politischen Situation wohl bewusst: einzusteigen, als er eigentlich die beiden Lily : Supposons un instant, juste pour Frauen aus der Straße vertreiben will. passer la nuit, que cette avenue est un Indem er sich auf die Fantasie Sophies nuage perdu, einlässt, verändert er sich; als sie das Que nous sommes des naufragés, Spiel schließlich abbricht, bleibt er ver- Que nous avons raté notre épopée. zweifelt zurück. Doch Lily tröstet ihn, Florence qui savait façonner les histoires, indem sie ihn auf die Macht der Imagi- paix à son âme, disait que l’épopée, c’est ce nation hinweist: qui manque quand l’avenue sent le purin Maintenant, tu peux devenir quelqu’un d’une étable et coule comme un fleuve. d’autre encore. Si les gens sont tués à la machette, au Tu peux devenir un chant, par exemple. coupe-coupe, au couteau de table, à C’est ça, un chant! la lame de rasoir ou même en rafales La légende est une histoire qui finit en d’éjaculations guerrières, c’est parce que chanson. nous n’avons pas inventé notre épopée. Par conséquent, nous ne l’avons pas ratée, […] notre épopée. J’ai mis le monde entier à commencer par Elle n’a jamais vécu. cette avenue dans la rêverie de Sophie. Aussi, cette avenue est-elle l’histoire d’un Toi, ex-Capitaine Pilate de la Gendar- naufrage, de plusieurs naufrages. merie nationale, ex-Michel, tu as cuisiné Nous nous tenons sur un nuage perdu, la musique. Maintenant, nous pouvons affolée par sa perte. devenir une nation, nous tenons le récit Peut-être folle tout court. fondateur. Et nous décidons de façonner une histoire Et la musique qui veille sur les mots du et de la raconter. récit ! (73)11 L’histoire officielle n’est pas assez éblouis- Die Poetik von Que ta volonté soit Kin sante. speist sich aus dem Kontrast zwischen Je n’ai pas le droit d’affirmer à haute voix

186 interculture journal 18/32 (2019) qu’elle est misérable. un texte que j’ai écrit pour prendre la Personne n’en a le droit. parole en Afrique sur des sujets dont la Je parle de l’histoire de cette avenue. nécessité ne se pose pas avec la même (45-46)12 acuité pour un public européen“ (Aanza, 2019). Wie Lily Pilate über- Lily als Erzählerin spricht hier zum zeugen möchte, der als Polizist für die Publikum. Sie stellt einer Wirklichkeit staatliche Ordnung verantwortlich ist, der Gewalt und der Vernichtung die so setzt das Stück der Rationalität die Möglichkeit einer anderen Erzählung Fantasie entgegen. gegenüber, eines Epos, das eine neue Wirklichkeit stiftet. Sophies Traum von der reinen Liebe, in den Lily den Poli- Musika zisten Pilate drängt, macht diese Gegen- Die direkte Ansprache des Publikums, wirklichkeit möglich, wenn auch nur die bei Aanza Lily übernimmt, ist in für den Verlauf einer Nacht. In ihr gilt: Aristide Tarnagdas Musika auf den „Nous sommes tous en train de naître Chorführer relegiert. Dass Tarnagda Ce qu’il faudra raconter est encore vierge (*1983) diesen Begriff, „coryphée“, de suicide, vierge de perfidie ! für die Figur verwendet, die durch Personne n’a encore tué personne, […] das Stück führt, dieses wiederholt L’avenue est sûre, elle a de l’avenir ! kommentierend unterbricht und die (53f.)13 sich direkt an die Zuschauer wendet, entspricht nicht dem antiken Chor- Lilys Erzählung insistiert auf der führer, der handlungsimmanent bleibt. Möglichkeit. Als Pilate den Traum in Dennoch lässt sich Musika als moderne die Wirklichkeit überführen möchte, Tragödie lesen. Substantielle Konflikte lehnt ihn Sophie jedoch ab. Damit der gibt es darin zu Genüge. Traum wirkt, muss er als möglich er- Musika, geschrieben als Auftrags- scheinen, darf aber nicht verwirklicht arbeit für das Festival Africologne, werden. Als Möglichkeit eröffnet er uraufgeführt in Köln und Kinshasa andere Handlungsoptionen, die nicht 2015, neu inszeniert in Ouagadougou von der gewalttätigen Wirklichkeit be- 2018, thematisiert den Koltan-Abbau stimmt werden. Gegenüber der Flucht im Ost-Kongo. Bei seiner Premiere in Religion, Unterhaltung und Alkohol wurde das Stück von Tarnagda selbst steht das Potenzial für eine Neuerfin- mit überwiegend kongolesischen dung der Wirklichkeit. Sinzo Aanzas Schauspieler*innen inszeniert. Es ursprüngliche Idee, das Stück in der gliedert sich in sechs Bilder der Bin- Straße selbst zu spielen, hätte meta- nenhandlung und drei Ansprachen des leptisch die Situation des Stücks in die Chorführers ans Publikum. Dabei ist Wirklichkeit transferiert. In der Vermi- die Reihenfolge der Bilder im gedruck- schung von realen Tönen und Sound- ten Text nicht chronologisch. installation wären Lily, Sophie und Musika ist der Name einer jungen Pilate als die Gegenstimmen und Figu- Frau. Weil sie ihre Großmutter nicht ren wahrzunehmen, die sich dem Fluss allein und vor der Miliz ungeschützt der Straße, der, so Lily, zur Vernichtung zurücklassen will, weigert sie sich, mit führt, entgegenstellen. ihrem Freund Simba vor der Gefahr Aanza verbindet die Diagnose einer zu fliehen. Tarnagda greift darin eine elenden Wirklichkeit mit dem Entwurf anhaltend katastrophale Lage der Be- einer anderen Form des Miteinanders. völkerung im Ostkongo auf, an der der So schreibt er am bereits skizzierten Norden als Abnehmer der Mineralien Diskurs der Neuerfindung Afrikas mit. mit Schuld trägt. Simba wird entführt Interessanterweise richtet sich sein und zum Abbau von Koltan gezwun- Stück jedoch vielmehr an ein afrikani- gen, sein Peiniger ist ein Amerikaner, sches Publikum als an ein Publikum des der, vermutlich aus finanziellen Nöten, Nordens. „Que ta volonté soit Kin est hier arbeitet und unablässig trinkt.

187 Auch Musika wird mit ihrer Freundin detischen Rede. Während John, Simbas Muhinda entführt, in ein Erdloch ge- Peiniger, diesen dazu zwingt, nach Kol- sperrt und wiederholt vergewaltigt, bis tan zu graben und gleichzeitig deutlich sie fliehen kann und von Wamba ge- macht, dass auch er nur ein kleines Rad funden wird. Alle vier Kinder Wambas im Getriebe ist, antwortet Simba zu- wurden von der Miliz mitgenommen. nächst mit seiner eigenen Beschwörung Nun will sie, dass die schwangere Mu- der Natur „Ecoute le ciel / Ecoute le sika ihr Kind abtreibt. Doch Musika fleuve […]“ (15), dann aber auch mit glaubt daran, dass es das Kind Simbas einer Liste der großen Firmen, die vom ist. Koltanabbau profitieren, worauf John Im Unterschied zu Lynn Nottages Er- nicht die Firmen, sondern die Verbrau- folgsstück Ruined (2009), das auch von cher als Ursache nennt. Im ungleichen der Situation im Ostkongo ausgeht, Schlagabtausch zwischen beiden wird bricht Tarnagda seine in Episoden ge- deutlich, dass beide Figuren Positionen gliederte Handlung wiederholt. Der in einem Ausbeutungssystem inne- Chorführer – allerdings ohne Chor – haben, das strukturell ihren eigenen tritt auf und sagt, wir seien im „théâtre Handlungsspielraum überlagert. réalité“. Er spricht zu den Zuschauern, Auch die Gewalt, die Musika erfährt, ist fordert sie auf, ihre Telefone angeschal- durch den Mineralstoff-abbau bedingt. tet zu lassen, nennt die großen Mobilte- Sie dient einerseits zum Zeitvertreib der lefonfirmen als Sponsoren und verweist Miliz und wird andererseits durch den auf verschiedene Krisenherde: Aberglauben genährt, Gold und Kol- tan zeigten sich, wenn man ihnen Blut Le théâtre réalité n’est pas là pour vous opfere (29). Um dieses System zu Fall faire avaler coûte que coûte que c’est parce zu bringen, will Wamba Nachwuchs que les cathos n’aiment pas les musulmans verhindern. Wie Lady Macbeth bittet en Centrafrique que le sang inonde les sie dazu die Mächte, ihr zur Seite zu rues de Bangui. Ni que Kidal et Tom- stehen: bouctou et Gao ne sont que des histoires de fanatisme, et pas de gaz et de pétrole et Mais moi je suis Wamba d’or et d’énergie solaire, et de démocratie J’ai compris leur politique là mon cul, et de on les emmerde ! (9)14 Et j’ai décidé de com- battre leur politique là. Er kritisiert die Unfähigkeit der Verein- Alors je me tourne vers vous ten Nationen und der Union Africaine, Âmes errantes de la forêt der Gewalt im Ostkongo Einhalt zu Je me tourne vers vous gebieten, aber auch die Konsumenten Corps mutilés als Mitschuldige. Einerseits unter- Je me tourne vers vous bricht so der Sprecher die Handlung Corps exsangues und verhindert, dass die Zuschauer in […] sentimentales Mitgefühl verfallen, an- Remplissez-moi de force, remplissez-moi dererseits macht er sie auf ihre eigene de force et de serre, afin que ma main Implikation ins Geschehen aufmerk- ne tremble pas, que mon coeur jamais sam. Die Verantwortung dafür, dass ne cède aux yeux suppliants d’une futur Afrika zum Ort von „cheap nature“ und mère. (12-13)15 „cheap labor“ gemacht wird, wird auf diese Weise indirekt den Zuschauern als Auch Wamba nennt alle Bodenschätze Konsumenten zugeschrieben, aber auch des Kongos, die zu gewaltvollen Kon- den versagenden wie komplizenhaften flikten geführt haben – das Stück kehrt politischen Institutionen. so wiederholt zur Ausgangsproblematik Die diskursive, aufdringlich-fröhliche des verantwortungslosen Umgangs mit Rede des Chorführers kontrastiert mit Bodenschätzen zurück. Ihre Entschei- der düsteren Handlung und der dafür dung, weitere Nachkommen zu verhin- verwendeten poetischen, häufig asyn- dern, trifft jedoch auf Musikas Gelöbnis

188 interculture journal 18/32 (2019) gegenüber ihrer sterbenden Freundin Anliegen die Darstellung des Lebens Muhinda, weiterzuleben und das Kind in Kinshasa (Ilunga 2017).18 Nicht das zu bekommen. Muhinda erkennt, dass Leben und Leiden des illegalen namen- die Resignation gegenüber Gewalt und losen Migranten in Belgien, sondern Ausbeutung deren Fortbestehen un- die Gründe, die ihn zur Migration terstützt. Im Unterschied zu Wamba gezwungen haben, stehen im Vorder- schlägt sie einen nicht-autodestruktiven grund. Da der Protagonist sich jedoch Weg vor: gegenüber zwei Polizisten sowie seiner Pflichtverteidigerin behaupten muss, Si nos vies sont laides et coincées dans des inszeniert gerade dieses Stück in beson- trous sans fond Musika, c’est parce que derem Maße Dynamiken interkulturel- depuis des siècles nous refusons de faire un ler Kommunikation. choix clair et net : le choix des couilles. Le choix du sacrifice. Le choix de notre Ilungas Délestage zeigt, wie vorgefasste propre chemin. C’est par là qu’ils nous Urteile und Stereotype Verständigung tiennent Musika, je t’assure que c’est par verhindern, wie Politiken der Feind- là qu’ils nous ont. Ils ont réussi à nous en- schaft Möglichkeiten zur Verständigung foncer dans les tronches que nous n’avons blockieren. Mohamed Amjahids Buch pas le choix, que nous sommes condamnés Unter Weißen hat das unlängst auch für d’avance, que nous n’avons pas de choix, Deutschland herausgearbeitet. Er zeigt, que c’est comme ça, que ce n’est pas la wie „behauptete Realität“ (Amjahid peine d’essayer même une seconde de sortir 2017: 24) entsteht: „Ausschließlich nos têtes des trous, d’ouvrir nos gueules aus unserer äußeren Erscheinung – als pour vider nos tripes de nos colères, que unverkennbar aus Nordafrika stammen- nous sommes ceux qui doivent fermer les de Männer – hatten die Wachmänner yeux et suivre le chemin qu’ils nous ont Rückschlüsse auf unser Verhalten, tracé, sinon pourquoi crois-tu qu’on meurt unsere Persönlichkeit und Intentionen dans ce pays de faim avec tous les fruits et gezogen“ (Amjahid 2017: 24). Nur weil les bêtes qu’il y a ? (28)16 die Hauptfigur inDélestage ein Auto von Nahem angeschaut hat, haben die Muhinda artikuliert so, was die aktuel- beiden Polizisten ihn als potentiellen len Schriften afrikanischer Intellektuel- Autodieb festgenommen und halten ihn ler ausführlicher analysieren: Die Not- seit fünf Tagen ohne Prozess fest. Da für wendigkeit, vorgefertigte Denkmuster sie jeder Araber oder Afrikaner ein po- zu verlassen, um einen eigenen Weg zu tentieller Terrorist ist, erwarten sie, dass gehen, der Stärke und Opfer verlangt. auch der Protagonist zu dieser Gruppe Bei Aanza wie bei Tarnagda sind es gehört. Obwohl er sich während des weibliche Figuren, die Visionen des Wi- gemeinsam verfolgten Fußball-WM- derstands äußern; auch die blinde alte Viertelfinales als Belgien-Fan entpuppt, Rama bei Houansou sieht eine bessere halten die Polizisten an der Idee des Zukunft voraus. Gerade weil sie Opfer feindlichen Terroristen fest und erwei- eines Systems sind, an dessen Rand sie sen sich als immer aggressiver gegen- 17 stehen, suchen sie nach neuen Wegen. über dem Häftling. Als man schließlich Dass sie am Rand stehen, nutzen sie, erkennt, dass er nur ein illegaler Mig- um einen Blick von außen auf die Ge- rant ist, wird er der Pflichtverteidigerin sellschaft zu werfen. übergeben. Ihr gegenüber versucht er, die Gründe seines Aufenthalts in Belgi- Délestage en zu erklären, indem er ihr vermittelt, David-Minor Ilungas erfolgreiches wie die Zustände im Kongo sind. Solostück Délestage macht ebenfalls Während die Polizisten das zirkulieren- die Kommunikation zwischen Nord de Feindbild wahllos applizieren, was und Süd zum Thema. Obwohl Ilun- Kommunikation unmöglich macht, ga (*1986) ein Stück über Migration weil sie dem Protagonisten nicht zuhö- geschrieben hat, ist sein eigentliches ren, kann die Verteidigerin den Ausfüh-

189 rungen des Protagonisten nicht folgen, dagegen zu einem Dialog zwischen dem weil sie ihre eigenen Wahrnehmungs- jungen Mann und der Verteidigerin, raster über seine Lebenswelt legt. Da er weiterhin von einer einzelnen Person aber davon ausgeht, dass ihm eine Dar- gespielt, aber nun im Text klar vonei- stellung der Realitäten des Kongo eine nander abgesetzt. Das Chaos der Situ- Aufenthaltserlaubnis gewähren könnte, ation auf dem Polizeirevier wird nun stellt er diese für die Anwältin und, auf durch das geordnete Gespräch abgelöst. der extradiegetischen Ebene, für das Da seine Hoffnung, einfach freigelassen Publikum dar. zu werden, sich nicht erfüllt hat, muss Während die geteilte Fußballbegeiste- der Protagonist jetzt für seinen Aufent- rung im ersten Teil des Stücks die Mög- haltsstatus argumentieren. Dabei treffen lichkeit zum Austausch bieten könnte, anscheinend unvereinbare Welten auf- verschärft das verlorene Spiel die Be- einander: handlung des Festgenommenen, so dass – […] Tout ce que je veux c’est trouver du die zwei Polizisten darüber in Streit travail. geraten. Je länger das Verhör dauert, – De toute façon, même si la police vous desto selbstbewusster wird der Gefange- avait relâché, vous n’aurez rien pu trouver ne jedoch und ergreift das Wort: „Faut sans permis de séjour. vraiment que vous ayez la trouille de ces – Ben j’aurais improvisé, m’dame. fous furieux pour vous acharner à croire – C’est une maladie chez vous, improvi- que je suis des leurs. Ouvre les yeux pu- ser ? Vous n’avez jamais de plan ? Pour- tain, je les connais pas tes fous furieux. quoi j’y vais, comment j’y vais, avec quoi Je rêve ou c’est à moi qu’il parle ?“ (9).19 j’y vais, qu’est-ce que je vais y trouver, Während er bislang die Form gewahrt comment je vais y vivre, où, quand, com- hat, duzt er nun den Polizisten, der ihn bien de temps ? zuvor auch geduzt hat. Über mehrere – Comment ça pas de plan ? On a tou- Minuten nimmt er sich die Freiheit, die jours un plan, m’dame. Seulement c’est Polizisten über die Zustände im Kongo pas des plans de cinquante ans comme zu belehren und dabei gleichzeitig die vous autres. Ça se résume à l’instant : Mitverantwortung der UNO an dieser survie-survie et survie. C’est comme ça Situation sowie die Ausbeutung der quand on vit dans une société de déles- Bodenschätze zu benennen. Das Un- tage, m’dame. gleichgewicht zwischen den abgewehr- ten Migranten, die nach Europa wollen, – C’est quoi ça délestage ? und den multinationalen Konzernen, – Ça veut dire que tout est discontinu. die im Kongo agieren, wird in seinen Qu'on n'a pas le luxe de concevoir des Ausführungen deutlich. Trotz der Situa- projets de vie cohérents qui résistent au tion besteht er gegenüber den Polizisten temps. auf seiner Sicht, auch wenn dies nicht – En beaucoup plus clair s’il vous plaît. 20 zur Diskussion, sondern schlicht zur (12) Bestätigung führt, „C’est juste un clan- Offensichtlich hat die Verteidigerin destin“ (10). die Aussage, man werde eben Da der Protagonist im ersten Teil der improvisieren, schon zu oft gehört, Pflichtverteidigerin sein Gespräch mit und die aufgezählten Planungsfragen den Polizisten schildert, wechseln die schon zu oft gestellt. Die Antwort auf Rede des Protagonisten und die Aus- ihren Vorwurf ist jedoch klar: Eine sagen der Polizisten unvermittelt; An- Gesellschaft, in der man damit rechnen redeformen wie „Madame“ deuten an, muss, dass alles zu jedem Zeitpunkt welche Ausführungen er für die Anwäl- abgeschaltet werden kann, lässt keine tin neu einfügt. Auf der Bühne macht langfristigen Pläne zu. Ihre Nachfrage Ilunga den Wechsel der Figuren in sei- führt zu den Ausführungen über die nem Solostück gestisch und stimmlich soziale, mentale und ökonomische deutlich. Im zweiten Teil kommt es Situation im Kongo; der Paragraph §15

190 interculture journal 18/32 (2019) der populären Verfassung, „Débrouillez- dieser Dimension des Lebens wieder vous!“, „Kommt irgendwie klar!“ zurück. erklärt, warum es die einzige 4. Kommunikation im Möglichkeit fürs Überleben ist zu Theater improvisieren. Doch die Verteidigerin konfrontiert die Geschichten mit der Die diskutierten Theaterstücke juristischen Realität. sind auf unterschiedliche Weise Als deutlich ist, dass der Fall verloren Formen einer mise en abyme der ist, erzählt der Protagonist auf die Kommunikationssituation im Theater. rhetorische Frage der Anwältin nach Bei Houansou und Ilunga nehmen weiteren „histoires“, Geschichten, eine die intradiegetischen interkulturellen letzte vom Tod der jungen Nadège, Gesprächssituationen die potentielle die stirbt, weil sie sich an einem extradiegetische Struktur vorweg; bei abgerissenen Kabel festhält, das an Tarnagda und Aanza bleibt es offen, wo diesem Tag zufällig unter Strom steht. sich die Zuschauer befinden und ob die Da sich der Staat nicht um seine zu überschreitende Differenz Herkunft Infrastruktur kümmert, sind solche oder Status meint. Alle Autoren finden Ereignisse nicht ungewöhnlich. „Chez eigene Formen, um ihre Anliegen zu moi au pays, la mort est un état civil kommunizieren, ohne auf die Vorgaben qui nous colle à la peau et on s’en der klassischen Dramaturgie oder des moque“ (15).21 Am Ende willigt der postdramatischen Theaters mehr als Protagonist selbst in seine Rückkehr nötig zu achten. ein, obwohl er sich zu Anfang des „Jouer l’Afrique. Résistance théâtrale“ Gesprächs keine schlimmere Schande ist der Titel von Dieudonné vorstellen kann. Dass er in der Lage ist, Niangounas Beitrag in Mabanckous zu improvisieren und mit gescheiterten Penser et écrire l’Afrique aujourd’hui Plänen umzugehen, zeigt er hier. (2017). Darin verwendet er die Metapher des Boxens und stellt in fünf Ilungas Protagonist klagt nicht, er Runden dar, was Theater in Afrika stellt dar und stellt dabei die grotesken bedeutet. „Comment le théâtre peut-il Seiten der Realität heraus. Allein être dans un corps africain un art qui ne Nadèges Tod zeigt, dass auch „se soit pas emprunté ?“ (Niangouna 2017 : debrouiller“ Grenzen hat, dass diese 188),23 fragt der Autor und Regisseur grotesken Zustände auch zum Tod angesichts der Kolonialgeschichte des führen können. Ob die Anwältin Theaters. Theater als rigoroses Labor jetzt verstanden hat, was „Délestage“ auf der Suche nach der eigenen Form bedeutet, bleibt am Ende offen, in trifft auf Publikumserwartungen, jedem Fall wäre es ohne juristische die an herkömmlichen kolonialen Konsequenz. In diesem Sinne ist die Formen geschult sind, so dass erst eine Rede des Protagonisten gegenüber gemeinsame Sprache gefunden werden der Polizei und der Verteidigerin muss. Doch dieses andere Theater von Anfang an fast folgenlos, denn begegnet auch dem Widerstand der die Abschiebung ist ihm bei seinem Politik, die das Theater als Sprachrohr abgelaufenen Visum sicher. Ziel des vereinnahmen möchte, und den Sprechakts ist es dann, das Gegenüber kulturellen Institutionen, die ebenso mit den Zuständen vertraut zu machen, normierend vorgehen. Schließlich um beides, Stärke und Bedürfnis sind es die Geldgeber, die ihre Vision nach Veränderung der Bedingungen, von Theater durchzusetzen suchen zu zeigen. „La vie ne se mesure pas à und anderen Visionen schlicht das l’écuelle, elle est une expérience et non Geld verweigern. Deswegen ist für une performance“, schreibt Felwine Niangouna Theater Widerstand: Sarr (2016, 19).22 Wenn Ilungas Protagonist am Ende in den Kongo Faire du théâtre en Afrique est un zurückkehrt, dann will er auch wegen acte de résistance contre toute forme

191 d’injonction à flot rapide, contre toute international gehört zu werden, forme de dictature, contre toute sorte de wenn man von Afrika spricht, ist den léthargie […] contre toute forme de sous- Autor*innen, Choreograph*innen und développement mental. (194)24 Performer*innen gemein. „Faut donc réapprendre à l’être humain Die daraus resultierenden Formen l’art d’être ensemble. Remettre la sind neu, wie man auch an den hier beauté, le rêve, l’émerveillement au behandelten Theaterstücken sieht. cœur de toute politique“, schreibt, Niangouna spricht von Ästhetiken wie eingangs zitiert, Aristide Tarnagda der Prekarität und dies entspricht (2018). Dieses Miteinander hat, so tatsächlich der Exploration der zeigen die Stücke, eine affektive, eine sprachlichen, strukturellen und ästhetische/aisthetische und eine spielerischen Möglichkeiten in den kognitive Dimension, auf der Ebene diskutierten Stücken, die alle auf des Textes wie auch auf der Bühne. aufwändige Technologie verzichten. „Ce „[L]a beauté, le rêve, l’émerveillement“ sont des manières d’écrire l’Afrique en werden über die Mittel des Theaters assumant un langage qui donne rendez- erprobt. Während die Stücke vous ailleurs“ (196);25 als solches reicht untersuchen, wie Kommunikation das Theater über den Kontinent hinaus. unter verschiedenen, zumal prekären Das Theater schlägt somit dieselbe Bedingungen, funktioniert, entwerfen Schlacht – wiederholt verwendet sie zugleich Gegenvisionen eines Niangouna dieses Bild – wie die Miteinanders, das Schönheit, Theorie, allerdings mit seinen eigenen Traum und Wunder auch auf der ästhetischen Mitteln. intradiegetischen Ebene der Handlung Après la chute de tous les systèmes, il erfahrbar macht, wenn Lilys Geschichte nous est plus qu’urgent d’inventer son Pilate verwandelt, wenn Muhimba propre théâtre et qu’il faut sans cesse Musika die Kraft gibt zu überleben, armer d’une farouche impétuosité afin an ihren Gesang appellierend, und de décoloniser les esprits, dépigmenter les Tarnagda gerade diese nach vorne gestes, ‘démélaniser’ les expressions, et en gerichtete Kraft ans Ende seines Stückes avant pour ce théâtre qui n’a jamais été ! stellt. Als solches partizipieren die (192) 26 Stücke an „L’Afrique qui vient“, einem Afrika, das im Kommen ist, sie nehmen Indem dieses Theater sich neu die Herausforderung an, dass es die erfindet, ohne an bestimmte Orte und Kunst sei, die einen neuen Ort Afrika Herkünfte gebunden zu sein, erweitert hervorbringe, der Neues und Altes sich sein Wirkungskreis. Darin zeigt verknüpft. sich eine Kontinuität zum Theater frankophoner afrikanischer Autoren der 5. Literatur Diaspora ab den 1990er Jahren. Neu Aanza, S. (2018): Que ta volonté soit ist, dass die jetzige Generation Afrika Kin. Kinshasa: Éditions Nzoi. offensiv zum Thema macht, jedoch ein Afrika, das Teil der globalisierten Welt Aanza, S. (2019): E-Mail an A. Bühler- ist, in der es sein Wort mitzureden Dietrich, 13.4. hat. Weder ist es länger notwendig, Amjahid, M.(2017): Unter Weißen. Was traditionelle afrikanische Instrumente, es heißt, privilegiert zu sein. München: Erzählweisen und Tänze zu integrieren, Hanser. wie dies das Theater der 1980er Jahre Asante, M.F. (2014): Afrocentricity. To- praktizierte, noch braucht es Stoffe, wards a New Understanding of African die außerhalb Afrikas angesiedelt Thought in the World. In: Asante, M. sind, auch wenn diese weiterhin und K./ Miike, Y./ Yin J. (Hrsg.): The Global selbstverständlich zur Verfügung Intercultural Communication Reader. stehen.27 Das Selbstbewusstsein, dass New York: Routledge, S. 101-110. man etwas zu sagen hat, das verdient,

192 interculture journal 18/32 (2019) Bachmann-Medick, D. (2011): Über- Mbembe, A. (2016): Politiques de l’ini- setzung als Medium interkultureller mitié. Paris: Éditions la Découverte. Kommunikation und Auseinanderset- Mbembe, A. (2017a): L’Afrique qui zung. In Jaeger F. /Straub, J. (Hrsg.): vient. In: Mabanckou, A. (Hrsg): Penser Handbuch der Kulturwissenschaften. et écrire l’Afrique aujourd’ hui. Paris: Bd. 2. Paradigmen und Disziplinen. Seuil, S.17-31. Stuttgart: Metzler, S. 449-465. Mbembe, A. (2017b): Penser le monde Bentouhami-Molino, H. (2015): Race, à partir de l’Afrique. In: Mbembe, A./ cultures, identités. Une approche féministe Sarr, F. (Hrsg): Écrire l’Afrique-Monde. et postcoloniale. Paris: Presses universi- Paris/Dakar: Philippe Rey/Jimsaan, S. taires de France. 379-393. Bentouhami, H. (2017): Comment Médéhouégnon, P. (2010): Le théâtre peut-on être africain.e ? In: Mbembe, francophone de l’Afrique de l’Ouest des A./ Sarr, F. (Hrsg.): Écrire l’Afrique- origines à nos jours. Historique et analyse Monde. Paris/Dakar: Philippe Rey/Jim- de la dramaturgie en Côte d’Ivoire, au saan, S. 177-198. Burkina Faso, au Togo et au Bénin. Jéri- Bühler-Dietrich, A. (2019): Von Mig- cho-Cotonou: CAAREC Editions. rierten und Daheimgebliebenen – fran- Miano, L. (2016): Crépuscule du tour- kophone afrikanische Theaterstücke im ment I. Paris: Grasset. transnationalen Produktionskontext. Miano, L. (2017): De quoi Afrique In: Heinicke, J./Nonoa, K.G. (Hrsg.): est-il le nom ? In: Mbembe, A./ Sarr, F. Transkultureller Theaterschauplatz. Gren- (Hrsg.): Écrire l’Afrique-Monde. Paris/ zen und die Odyssee Fliehender. Berlin: Dakar: Philippe Rey/Jimsaan, S. 99- de Gruyter (im Erscheinen). 115. Chalaye, S. (2004): Afrique noire et Mignolo, W. (2011): The Darker Side of dramaturgies contemporaine: Le syndrome Western Modernity: Global Futures, De- Frankenstein. Paris: Éditions théâtrales. colonial Options. Durham, NC: Duke. Houansou, S.G. (2016): La Rue bleue. Miike, Y. (2017): Non-Western Theo- Unveröffentlichtes Manuskript (ge- ries of Communication. Indigenous druckte Ausgabe: Cotonou: Les éditions Ideas and Insights. In: Schulz, P. du flamboyant, 2019). (Hrsg.): Handbook of Communication Ilunga, D.-M. (2016): Délestage. Unver- Science. Berlin: de Gruyter, S. 67-97. öffentlichtes Manuskript. Niangouna, D. (2017): Jouer l’Afrique. Ilunga, D.-M. (2017). Interview. Drug- Résistance théâtrale. In: Mabanckou, store Digital 12/2017. https://www. A. (Hrsg.): Penser et écrire l’Afrique youtube.com/watch?v=3DB86KuV68o aujourd’ hui. Paris: Seuil, S. 188-196. [Zugriff am 8. Januar 2019] Pour une ‘littérature-monde’ en Fran- Karenga, M. (2014): Nommo, kawalda, çais. Le Monde, 16.03.2007. and communicative practice. Bringing Sarr, F. (2016): Afrotopia. Paris: Phi- good into the world. In: Asante, M. K./ lippe Rey. Miike, Y./ Yin J. (Hrsg.): The Global In- Sarr, F. (2017a) : Habiter le monde. Essai tercultural Communication Reader. New de politique relationelle. Montréal : Mé- York: Routledge. S. 211-225. moire d’encrier. Lüsebrink, H.-J. (2012): Interkulturelle Sarr, F. (2017b) : Écrire les humanités Kommunikation. Interaktion, Fremd- à partir de l’Afrique. In: Mbembe, A./ wahrnehmung, Kulturtransfer. 3. A. Sarr, F. (Hrsg.): Écrire l’Afrique-Monde. Stuttgart: Metzler. Paris/Dakar : Philippe Rey/Jimsaan, S. Mbembe, A. (2013): Critique de la rai- 369-377. son nègre. Paris: Éditions la Découverte.

193 Shuter, Robert (2014) : The Centrality kanischen Wissens zurück. Siehe dazu of Cultures in the 20th and 21st Centu- Karenga (2014). ries. In: Asante, M. K./ Miike, Y./ Yin J. 4 Die Welt zu bewohnen bedeutet, (Hrsg.): The Global Intercultural Com- sich als zugehörig zu einem Raum zu munication Reader. New York: Rout- denken, der größer ist als seine eigene ledge, S. 48-57. ethnische Gruppe, seine Nation, der Tarnagda, A. (2014): Musika. Un- Kontinent, auf dem ihr geboren seid veröffentlichtes Manuskript. […] Nicht mehr einer besonderen Tarnagda, A. (2018): Être ensemble. In: Kultur zuzugehören, sondern von die- Récréâtrales: Tresser le Courage. Plate- ser auszugehen, um mehrere Vorstel- forme festival 26.10.-3.11.2018. Cata- lungswelten zu bewohnen, reich und logue, S. 5. befruchtet von den Sprachen der Welt, ihrer Mythen, ihrer zahlreichen Dekli- Vergès, F. (2017) : Utopies émancipa- nationen der Operationen von Sinn- trices. In: Mbembe, A./ Sarr, F. (Hrsg.): gebung, den diese Vorstellungwelten Écrire l’Afrique-Monde. Paris/Dakar : zulassen. Philippe Rey/Jimsaan, S. 243-260. 5 Das Leben in Afrika ist niemals 6. Endnoten einfach ein menschliches Leben. Oft 1 Und wenn wir an die Kunst des Mu- erscheint es wie das Leben von anderen tes dächten? Der zusammengeflochtene Leuten, an einem anderen Ort, woan- Mut. Der aufgerichtete Mut. […] Der ders. Als solches ruft es von Zeit zu Zeit Mut zu sagen, dass wir nicht mehr am Mitleid und Gesten der Wohltätigkeit Rand sein wollen. Der Mut zu sagen, hervor – die Politik des Guten Samari- dass das einzige Wachstum, das die ters. Mühe lohnt, das des Lachens und des 6 Die Kulturen der Welt zu bewohnen Herzens des Menschen ist. Der Mut wie man sich in einem an verschiede- zu sagen, dass wir auf die Welt gekom- nen Kleidungsstücken für jede Jahres- men sind, um zu sein, und nicht um zeit reichen Kleiderzimmer bewegt. zu haben, zu haben und zu haben. Der Mut auf den Menschen zu setzen, auf 7 Zur Geschichte des Untersuchungs- die Utopie, den Traum, die Schönheit, feldes Interkulturelle Kommunikation die Begeisterung. Zusammen sein. Tage siehe den Artikel von Robert Shuter und Nächte lang. Man muss also dem (2014). Menschen die Kunst des Miteinanders 8 Auf der einen Seite spielt das Para- wieder beibringen. Die Schönheit, den dies, das von Ruhm und Ausdehnung Traum, die Begeisterung wieder ins träumt. Auf der anderen Seite spielt Zentrum jeder Politik stellen. Hier gibt etwas Anderes, das von Freiheit träumt es keinen anderen Eigensinn als den, und die Äuslöschung zurückweist. zusammen zu sein; über sich hinauszu- 9 Warum macht sich die Regierung gehen um den anderen anzunehmen, dreißig Jahre lang die Hände nicht ihn zu tragen. Bei ihm zu sein. Gemein- schmutzig mit unserer Existenz und sam den Sinn zu besähen. nur, damit sie eines Morgens entschei- 2 Mein Dank gilt den Autoren der det, alles niederzubrennen um neu an- Theaterstücke, die mir ihre zum Teil zufangen. Warum schickt sie eine Ka- noch unveröffentlichten Texte zur Ver- mera, um den Schmutz dieses Viertels fügung gestellt haben. zu sehen, wo sie doch mit bloßem Auge 3 In Mianos Roman Crépuscule du unfähig ist, das Leben zu sehen, das sich tourment ersetzt Amandla die Bezeich- dort entwickelt, warum (Großes Un- nung Afrika durch „Kemet“ (Miano wohlsein … Husten). 2016: 82) und greift damit auf die 10 Koïgo: Du weißt, es ist nicht seine ursprüngliche Bezeichnung des alten Hautfarbe, sie ginge durch, was er re- Ägyptens als Ort traditionellen afri- präsentiert, geht nicht durch.

194 interculture journal 18/32 (2019) Roland: Aber wovon reden Sie schließ- ist sicher, sie hat eine Zukunft. lich? 14 Das Realitätstheater ist nicht dazu Koïgo: Du, du siehst dich nicht. Wir, da, Sie um jeden Preis schlucken zu wir sehen dich. lassen, dass, weil die Katholen die 11 Jetzt kannst du noch jemand An- Muslime in der Zentralafrikanischen deres werden. / Du kannst z.B. ein Republik nicht mögen, Blut die Straßen Lied werden. / Das ist es, ein Lied! / von Bangui überflutet. Noch dass Kidal Die Legende ist eine Geschichte, die und Timbuktu und Gao nur Fälle von als Lied endet. […] Ich habe die gan- Fanatismus sind und nicht von Gas ze Welt mit dieser Avenue beginnen und Öl und Gold und Solarenergie und lassen in der Träumerei Sophies. / Du, Demokratie – so ein Scheiß – und von ex-Hauptmann Pilate der Gendarmerie wir gehen Ihnen auf die Nerven. nationale, ex-Michel, du hast die Musik dazu zubereitet. Jetzt können wir eine 15 Aber ich, ich bin Wamba / Ich Nation werden, wir haben die Grün- habe ihre Politik durchschaut / Und dungserzählung. / Und die Musik, die ich habe beschlossen gegen ihre Politik über die Worte der Erzählung wacht. zu kämpfen / Also wende ich mich an euch / irrende Seelen des Waldes / Ich 12 Lily: Nehmen wir einen Moment wende mich an euch / verstümmelte lang, nur um die Nacht zu verbringen, Körper / Ich wende mich an euch / an, dass diese Avenue eine verlorene ausgeblutete Körper […] Füllt mich Wolke ist. / Dass wir Schiffbrüchige mit Kraft, füllt mich mit ganzer Kraft, sind. / Dass unser Epos misslungen ist. damit meine Hand nicht zittert, dass / Florence, die Geschichten zu formen mein Herz niemals den bittenden Bli- wusste, sie ruhe in Frieden, sagte, dass cken einer werdenden Mutter nachgibt. das Epos das ist, was fehlt, wenn die 16 Wenn unsere Leben häßlich und Avenue nach der Jauche eines Stalls zwangerfüllt sind, in bodenlosen Lö- stinkt und wie ein Fluss fließt. / Wenn chern, Musika, dann geschieht das, weil die Leute durch Macheten, Klappmes- wir uns seit Jahrhunderten weigern, ser, Schneidemesser, Rasierklingen oder eine klare Wahl zu treffen: die Wahl, selbst durch Salven kriegerischer Ejaku- Eier [Mut] zu haben. Die Wahl des Op- lationen getötet werden, dann geschieht fers. Die Wahl unseres eigenen Weges. das, weil wir unser Epos nicht erfunden Dadurch halten sie uns fest, Musika, haben. / Folglich ist es uns nicht miss- ich versichere dir, dadurch haben sie lungen, unser Epos. / Es hat niemals uns. Es ist ihnen gelungen uns einzu- gelebt. / Auch ist diese Avenue die bläuen, dass wir keine Wahl haben, dass Geschichte eines Untergangs, mehrerer wir von vornherein verdammt sind, dass Untergänge. / Wir halten uns auf einer wir keine Wahl haben, dass es so ist, verlorenen Wolke, zu Tode erschrocken dass es sich nicht lohnt, zu versuchen, durch ihren Verlust. / Vielleicht ganz wenigstens eine Sekunde den Kopf aus einfach verrückt. / Und wir beschlie- dem Loch zu heben, unsere Schnauze ßen, eine Geschichte zu formen und sie zu öffnen um unsere Eingeweide von zu erzählen. / Die offizielle Geschichte unserer Wut zu leeren, dass wir die ist nicht glänzend genug. / Ich habe sind, die die Augen schließen müssen nicht das Recht mit lauter Stimme zu und dem Weg folgen, den sie für uns bestätigen, dass sie elend ist. / Dazu hat gebahnt haben, warum, glaubst du, niemand das Recht. / Ich rede von der stirbt man sonst in diesem Land vor Geschichte dieser Avenue. Hunger bei all den Früchten und Tie- ren, die es gibt? 13 Wir sind alle dabei, geboren zu werden / Was man erzählen müsste, 17 Mianos erwähnter Roman führt kennt den Selbstmord, kennt die Per- eben diesen Aspekt einer am Rand der fidie noch nicht. / Noch hat niemand Gesellschaft verorteten Gegenwirklich- einen anderen getötet [...] Die Avenue keit aus, wo die überwiegend weibli-

195 chen Bewohnerinnen von „Le vieux 24 In Afrika Theater zu machen ist ein pays“, einem Armenviertel am Rand Akt des Widerstands gegen jede Form der Stadt, Hüterinnen eines überlie- von Weisung, gegen jede Form von ferten weiblichen und kontinentalen Diktatur, gegen jede Art Lethargie […] Wissens sind. gegen jede Form geistiger Unterent- 18 Für eine Diskussion von Migrati- wicklung. on in frankophonen Stücken in Afrika 25 Es sind Weisen, Afrika zu schrei- lebender Autoren siehe Bühler-Dietrich ben, indem sie zu einer Sprache stehen, 2019. die sich anderswo verabredet. 19 Ihr müsst wirklich die Hosen vor 26 Nach dem Sturz aller Systeme, ist diesen wütenden Verrückten voll haben, es für uns mehr als dringlich, sein [Afri- wenn ihr darauf besteht zu glauben, ich kas] eigenes Theater zu entwickeln und gehöre zu ihnen. Mach deine scheiß das man unaufhörlich mit einer erbit- Augen auf, ich kenn sie nicht, deine terten Frechheit bewaffnen muss um wütenden Verrückten. Träume ich, oder den Geist zu dekolonisieren, die Gesten redet er mit mir? zu depigmentieren, die Ausdrücke zu 20 Alles, was ich will ist, Arbeit zu demelanisieren, und vorwärts mit dem finden. / In jedem Fall hätten Sie, selbst Theater, das noch niemals war! wenn die Polizei Sie freigelassen hätte, 27 Zum Theater der 1990er Jahre nichts ohne Aufenthaltstitel finden siehe Chalaye 2004, zum Theater der können. / Oh, ich hätte improvisiert, 1980 Jahre im frankophonen Westafri- M’dame. / Ist das eine Krankheit bei ka siehe Médéhouégnon 2010. euch, improvisieren? Haben Sie nie ei- nen Plan? Warum geh ich dorthin, wie geh ich dorthin, womit geh ich dorthin, was werde ich dort finden, wie werde ich dort leben, wo, wann und wie lan- ge? / Was soll das heißen, kein Plan? Wir haben immer einen Plan, M’dame. Es ist nur kein Plan für 50 Jahre, wie ihr anderen ihn habt. Er fasst sich so- fort zusammen: Überleben-Überleben und Überleben. So ist es, wenn man in einer Gesellschaft der Abschaltung lebt, M’dame. / Was soll das sein, Abschal- tung? / Das will sagen, dass alles unter- brochen ist. Dass man nicht den Luxus hat, kohärente Lebensprojekte zu ent- werfen, die der Zeit widerstehen. / Und nochmals viel, viel deutlicher, bitte. 21 Bei mir im Land ist der Tod ein Personenstand, der uns auf der Haut klebt, und wir machen uns darüber lustig. 22 Das Leben misst sich nicht mit dem Messbecher, es ist eine Erfahrung, keine Leistung. 23 Wie kann das Theater in einem afrikanischen Körper eine Kunst sein, die nicht geliehen ist?

196 interculture journal 18/32 (2019) 197 198 interculture journal 18/32 (2019) Souleymane Bachir Diagne, Jean-Loup Amselle En quête d’Afrique(s). Universalisme et pensée décoloniale. Interkulturalität und ‚lateraler Universalismus‘. Zu Souley- mane Bachir Diagnes und Jean-Loup Amselles Werk aus Sicht der Interkulturellen Kommunikationsforschung

Hans-Jürgen Lüsebrink Abstract (Deutsch)

Prof. Dr., Studium der Romanis- Der Beitrag untersucht das dialogisch angelegte Buch En quête d’Afrique(s). Universa- tik und Geschichtswissenschaft lisme et pensée décoloniale (2018) des senegalesischen Philosophen S.B. Diagne und des an den Universitäten Mainz, französischen Ethnologen J.-L. Amselle aus der Perspektive der interkulturellen Kommuni- Paris und Tours, 1993-2018 In- kationsforschung. Hierbei stehen drei Gesichtspunkte im Zentrum: zum einen die Bezüge haber des Lehrstuhls für Roma- von Kulturrelativismus und Universalismus, deren Aktualität sich unter anderem in der po- nische Kulturwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation, litischen Instrumentalisierung kulturrelativistischer Positionen durch autokratische Regimes seit 1.4.2018 Seniorprofessor an zeigt; zum anderen die Rolle des Übersetzens, die B.S. Diagne mit dem schillernden Begriff der Universität des Saarlandes in der ‚Universalität des Übersetzens‘ charakterisiert; und schließlich die Dynamik interkul- Saarbrücken. Forschungsschwer- tureller Aushandlungs- und Adaptationsprozesse, die sich in der Rezeption, aber auch der punkte: Theorie der Interkultu- zunehmenden Kritik an als universell postulierten westlichen Werten zeigt. rellen Kommunikation, Deutsch- französische Kulturbeziehungen, Schlagwörter: Universalismus, Dekoloniales Denken, Interkulturalität, afrikanische Werke, Europäisch-außereuropäischer Menschenrechte Kulturtransfer, transkulturelle Dimensionen des Enzyklopädis- Abstract (English) mus im 18. Jahrhundert, franko- phone Literaturen und Medien außerhalb Europas (insbesondere This contribution analyzes the bookEn quête d’Afrique(s). Universalisme et pensée déco- in Afrika und Québec). loniale (In search of Africa. Universalism and decolonial thought, 2018) − which has a dialogical structure – written by the Senegalese philosopher B.S. Diagne and the French eth- nologist J.-L. Amselle in the perspective of research on intercultural communication. Three main perspectives are in the centre of the contribution: on the one hand the relationship between cultural relativism and universalism whose topicality is illustrated by the instru- mentalization, by autocratic regimes, of positions defending cultural relativism; on the other hand the role of translation which B.S. Diagne characterizes by the somewhat ambiguous concept of the ‘universality of translation’; and finally the dynamics of intercultural processes of translation and adaptation which are reflected in the reception, but also in the increasing criticism concerning western values considered as universal.

Keywords: universalism, decolonial thought, interculturality, African values, human rights

199 Das 2018 erschienene Buch En quête der Feststellung von Konsens, Überein- d’Afrique(s). Universalisme et pensée stimmung und Konvergenz auf. décoloniale („Auf der Suche nach Afri- ka: Universalismus und dekoloniales Originell ist zweifellos auch das sehr Denken“) des senegalesischen und in differente Profil der beiden Dialog- den USA lehrenden Philosophen S.B. partner, die aus sehr unterschiedlichen Diagne und des französischen Anthro- kulturellen und wissenschaftlichen Ho- pologen J.-L. Amselle ist zweifellos zu rizonten kommen. Souleymane Bachir den wichtigsten Werken der letzten Diagne (geb. 1955) ist einer führenden Jahrzehnte zur Problematik der inter- Philosophen Afrikas, der nach seinem kulturellen Beziehungen zwischen dem Studium an der renommierten École subsaharischen Afrika und Europa zu Normale Supérieure in Paris, als Schüler rechnen – obwohl es bisher noch nicht u.a. von Jacques Derrida, Louis Althus- in einer (in Vorbereitung befindlichen) ser und Jean-Toussaint Desanti, zu- englischen Übersetzung vorliegt. Das nächst als Philosophieprofessor an der Werk ist durchaus in eine Reihe zu Université Cheikh Anta Diop in Dakar stellen mit grundlegenden Werken des (Senegal) tätig war, bevor er in die postkolonialen Denkens wie The Inven- USA an die Northwestern University tion of Africa (1988) des aus Zaire stam- in Evanston (2002-2007) und dann an menden Schriftstellers V.Y. Mudimbe, die Columbia University in New York In Other Words (1987) der indischen ging. Seine Forschungsbereiche liegen Literaturwissenschaftlerin Gayatri Spi- in drei Bereichen: der Geschichte von vak und The Empire Writes Back (1989) Mathematik und Logik; der islamischen der australischen und britischen Litera- Philosophie; und der afrikanischen turwissenschaftlerInnen Bill Ashcroft, Philosophie, die er als ‚Philosophie in Gareth Griffiths und Helen Tiffin. Afrika‘ („Philosophie en Afrique“) defi- niert und in ihren vielfältigen interkul- Die Originalität des vorliegenden turellen Vernetzungen begreift. Zu den Bandes liegt zunächst in seiner Dia- beiden letztgenannten Forschungsbe- logstruktur, die selbst eine interkultu- reichen hat S.B. Diagne in den letzten relle Dimension aufweist, und im wis- Jahren mehrere Werke vorgelegt, die in senschaftlichen Profil und Œuvre der der wissenschaftlichen Öffentlichkeit beiden Dialogpartner. Es besteht in der und zum Teil weit darüber hinaus rezi- Tat neben einem kurzen, gemeinsamen piert worden sind: vor allem Comment Vorwort und einer umfangreicheren philosopher en Islam? (2013), Bergson Einleitung („Préface“) des französischen postcolonial. L’élan vital dans la pensée Literaturwissenschaftlers Anthony de Léopold Sédar Senghor (2011) und Mangeon (Universität Strasbourg), Philosopher en Islam et en Christianisme eines ausgewiesenen Spezialisten für (2016, mit Philippe Capelle-Dumont). postkoloniale afrikanische Literaturen und afrikanisch-westliche Literaturbe- Jean-Loup Amselle war bis zu seiner ziehungen, aus insgesamt 18 Einzelka- Emeritierung (2007) als Anthropologe piteln, in denen Diagne und Amselle an der École des Hautes Études en Sci- im Wechsel zu den grundlegenden ences Sociales (Paris) tätig und ist durch Themen des Bandes Stellung nehmen. seine ethnologische Forschungsarbeit Dieser Dialog wurde, wie die beiden vor allem in Mali und durch wegwei- Autoren in ihrem Vorwort erwähnen, sende Veröffentlichungen zur Kultur- per E-Mail-Korrespondenz geführt und theorie und zur Anthropologie hervor- weist, trotz der grundlegenden Struk- getreten. Seine Werke Logiques métisses : tur aufeinanderfolgender Statements, anthropologie de l’identité en Afrique et zahlreiche Elemente der Replik und des ailleurs (1990), Branchements. Anthropo- Widerspruchs, des Gegendiskurses, aber logie de l’universalité des cultures (2001), auch der variierenden Wiederaufnahme L’occident décroché : enquête sur les post- von Argumenten und gelegentlich auch colonialismes (2008) und L’Ethnicisation

200 interculture journal 18/32 (2019) de la France (2011) zeichnen sich durch afrikanischen Diaspora in Europa ihren dezidiert dekonstruktivistischen und Nordamerika dar. Es beziehe sich Ansatz aus, der vermeintliche sozio-kul- jedoch auf gewisse Gemeinsamkeiten turelle Gegebenheiten wie ‚Ethnie‘ und von Lebens- und Kunstformen („Art ‚Kulturgemeinschaft‘ historisiert und als africain“), die ihrerseits auf vielfältigen Resultat politischer Machtstrukturen Austauschbeziehungen beruhen, wie und Interessen sowie sozialer Wahrneh- Diagne selbst in seinem Werk über L.S. mungsmuster versteht. Hierbei greift Senghor und die afrikanische Kunst er systematisch auf ethnographisches (Léopold Sédar Senghor. L’art africain sowie historisches Dokumentationsma- comme philosophie, 2007) sowie zu terial zurück und verbindet somit in den komplexen Transferbeziehungen durchaus singulärer Weise provokative zwischen europäischer Philosophie theoretische Ansätze mit sehr differen- und afrikanischer Philosophie ziertem, empirischem Quellenmaterial. herausgearbeitet hat. Afrikanische Philosophie bediene sich auch, so Die Dekonstruktion von Essentialismen Diagne, mit Literatur, Kunst und oralen stellt einen ersten zentralen Erzählformen schwerpunktmäßig Themenkomplex der Diskussionen anderer Diskursformen als die zwischen S.B. Diagne und J.-L. Amselle europäische Philosophie. Auch wenn dar. Beide sind sich einig, dass ‚Ethno- Amselle radikaler die grundlegende Nationalismen‘ (oder „Populismen“, Konstruktivität von Identitäten und 102) ebenso wie Ethnien, Nationen geopolitischen Einheiten (wie ‚Afrika‘ und auch Kulturräume wie ‚Afrika‘ und ‚Europa‘) betont und Diagne sozio-politische Konstruktionen sind, historisch gewachsene Faktizität von die von Machtinteressen beherrscht Kulturräumen – die jedoch offen, und historischen Wandlungen dynamisch und plural gedacht werden unterworfen sind. Der Begriff ‚Afrika‘, müssten2 -, so besteht in diesem Bereich der – in potentiell auch pluraler Form kein entscheidender Dissens zwischen („Afrique(s)“) – im Titel des Bandes den Dialogpartnern. erscheint, wird jedoch durchaus different wahrgenommen. S.B. Diagne Hinsichtlich der Einstellung zu den begreift Afrika keineswegs, wie sein Problemfeldern ‚Universalismus‘ und Dialogpartner Amselle ihm anfangs ‚Universalität‘ bestehen hingegen zu unterstellen versucht, als einen – grundlegende Unterschiede der Auffas- relativ – homogenen oder zumindest sung und der Herangehensweise. Wäh- distinkten Kulturraum, sondern als rend Amselle einen ‚Universalismus der einen „Austauschraum, der schon Menschenrechte‘ vertritt und hiermit immer von Personen, Gütern und Ideen an westliche Positionen anschließt, die durchquert worden ist“1 – das heißt auf die Aufklärungsbewegung und die als einen grundlegend interkulturell Französische Revolution zurückzufüh- geprägten Kommunikations- und ren sind, vertritt Diagne weitgehend Austauschraum. Zugleich warnt er – kulturrelativistische Positionen, die im Gegensatz zu Amselle – vor einem er mit dem Begriff des ‚Universalisme übertriebenen Dekonstruktivismus latéral‘ bezeichnet. Hierunter versteht („furie de la déconstruction“, 207), er einen Universalismus, der nicht der Identitätskonstruktionen im auf universellen Werten, sondern auf afrikanischen Kontext ausschließlich auf faktisch partikularen, sich aber als uni- die Logik kolonialer Machtinteressen versell verstehenden Wertesystemen be- und hierauf reagierender postkolonialer ruhen. Diese seien kultur- und sprach- Diskurse (wie ‚Négritude‘) raumspezifisch und nicht vorgegeben, zurückzuführen sucht. Das moderne sondern Resultate von (inter)kulturellen Konzept ‚Afrika‘, das plural und Aushandlungs- und Übersetzungsvor- offen zu denken sei, stelle, so S.B. gängen. Die einzige universelle Sprache Diagne, eine Erfindung vor allem der sei die der Mathematik, die kein Werte-

201 system impliziere; alle anderen Sprach- könnten, wie er selbst am Beispiel des und damit Symbolsysteme seien kultur- Wolof, seiner Muttersprache, aufzeigt. spezifisch und zugleich – als Folge der Die ‚Universalität des Übersetzens‘ im- Dynamik von Kultur- und Sprachkon- pliziert jedoch auch Transfer und inter- takten – in einem steten, dynamischen kulturelle Aneignung fremdsprachlichen Wandel begriffen. Der Behauptung, (und fremdkulturellen) Wissens, seine die Menschrechte seien eine westliche Transposition und seine Hybridisierung Erfindung des 18. Jahrhunderts, setzt in anderen Kontexten und Symbolsys- Diagne, wie auch andere afrikanische temen. Die afrikanische Philosophie Forscher, die Existenz afrikanischer etwa sei, so Diagne, aus einer Vielfalt Menschenrechte mit kulturspezifischer von Diskursformen unterschiedlichster Ausprägung seit dem beginnenden 13. kultureller und sprachlicher Provenienz Jahrhundert, der ‚Charta der Mandinga‘ entstanden; sie sei jedoch auch – ebenso („Charte du Mandé“)3, entgegen. Nach wie die westliche Philosophie – Resul- Jahrhunderten der Verdrängung und tat einer komplexen, interkulturellen 5 der Dominanz westlicher Werte – zu ‚translatio studiorum‘ , deren Filiatio- denen auch die ‚universellen Menschen- nen vom antiken Griechenland über rechte‘ zählen – sei durch die Charte Jerusalem, die islamische Welt des africaine des droits de l’homme et des Mittelalters bis in die subsaharische Ge- peuples, die 1981 von der Organisation lehrtenstadt Timbuktu reichten, in der für Afrikanische Einheit als ein afrika- seit dem 13. Jahrhundert eine hybride, nischer Gegenentwurf zur universalen ebenso von griechischen Denkern wie Menschenrechtserklärung der UNO von islamischen Konzepten und afri- verbschiedet und 1986 von 25 afrika- kanischen Werten und Denkmustern nischen Staaten ratifiziert wurde und geprägte Philosophie entstanden sei. auf der Definition afrikanischer Werte Erst die grundlegende Infragestellung basierte, eine völlig neue, ‚dekoloniale‘ des westlichen Universalismus und die Konstellation entstanden. Während Konzeption einer ‚Universalität des Amselle hierin eine „ökologische und Übersetzens‘ ermögliche es perspekti- hyperrelativistische Position“ sieht, visch, die Werte- und Wissenshegemo- betont Diagne die Notwendigkeit, die nie des Okzidents zu durchbrechen und Vielfalt („diversité“) der Sprachen und ‚Epistemologien des globalen Südens‘ („épistémologies du Sud, ou des Suds“, Kulturen des Globus ebenso anzuer- S. 300) zu entwickeln. kennen wie zu respektieren. Abgesehen von einem grundlegenden Humanis- Die Begriffe‚Interkulturalität‘ und mus („humanisme“) und einem ebenso ‚interkulturelle Kommunikation‘ grundlegenden Respekt vor der Natur, spielen in den Debatten zwischen die in gewisser Hinsicht anthropologi- S.B. Diagne und J.-L. Amselle nur sche Konstanten darstellen, sieht Dia- eine sehr marginale Rolle, obwohl gne lediglich das Phänomen der Über- zahlreiche Überlegungen und setzung als ein universelles Phänomen Konzepte ihres Buchs an sich zentral an, das er konsequenterweise als „Uni- um interkulturelle Problembereiche versel de traduction“ (das Universelle kreisen. Der Begriff „interculturel“ der Übersetzung) bezeichnet.4 ‚Über- wird lediglich im Vorwort von setzung‘ („traduction“) impliziert die Anthony Mangeon im Zusammenhang sprachliche Dimension des Übersetzens, mit Machtverhältnissen erwähnt die, so Diagne, aufzeige, dass die kom- („rapport de force interculturel“6); plexesten philosophischen und wissen- J.-L. Amselle verwendet in einer seiner schaftlichen Begriffe und Zusammen- ersten Stellungnahmen den Begriff hänge nicht nur in den zivilisatorischen „Interculturalisme“, um das Spezifikum Schriftsprachen des ‚globalen Nordens‘ der kulturellen Übersetzung zu existieren, sondern in alle Sprachen bezeichnen.7 Das Fehlen interkultureller des Globus hinein übersetzt werden Begrifflichkeit – die vielleicht auch auf

202 interculture journal 18/32 (2019) die in Frankreich nur sehr marginal zum Teil unmöglich, sowohl im vertretene Disziplin der Interkulturellen Alltagsleben und im Bereich der Kommunikation verweist – impliziert Kunst und des Theaters als auch auf keineswegs, das interkulturelle dem Gebiet der wissenschaftlichen Fragestellungen nicht mit anderen Forschung. Die radikale Ablehnung Begrifflichkeiten konzeptualisiert des TheaterstücksSlav (2018) des werden. S.B. Diagnes und J.-L. kanadischen Theaterregisseurs Robert Amselles dialogisches Werk ist ein Buch Lepage und Kanata (2018), einer Ko- über die philosophische, intellektuelle Produktion von Robert Lepage und und politische Konstruktion Afrikas, der französischen Regisseurin Ariane über Universalismus und dekoloniales Mnouchkine, ist hierfür – neben den Denken, aber zugleich auch eine von J.-L. Amselle erwähnten Fällen Studie über interkulturelle Prozesse: – ein eindrucksvolles zeitgenössisches über Formen des Kulturtransfers Beispiel. In beiden Fällen wurden und der interkulturellen Aneignung; Lepage und Mnouchkine von Teilen und über die zentrale Stellung von der in den Theaterstücken dargestellten Sprachen und Übersetzung im Gruppen (First Nations, farbige Sprach- und Kulturkontakt. Hierbei Kanadier) das Recht abgesprochen, wird von beiden Dialogpartnern ein ihr Schicksal, ihre Geschichte und ihr Kulturbegriff verwendet, der auch die Leiden dramatisch darzustellen, ohne Theoriediskussion der Interkulturellen die betroffenen Minderheiten selbst Kommunikation seit vielen Jahren in herausragender Weise zu beteiligen beherrscht: ein offener, dynamischer, (als SchauspielerInnen, AutorInnen, pluraler Kulturbegriff, der ‚Kultur‘ als DramaturgInnen, ChoreographInnen). grundlegend synkretistisch, hybrid Die interkulturellen, aber auch und im Fluss begriffen versteht. politischen Herausforderungen, die Beide lehnen Essentialismen ab und die Infragestellung der Universalität privilegieren ‚Konnektionen, Transfers, westlicher Menschenrechte mit sich Analogien und gegenseitige Einfluss- bringt, werden hingegen in dem und Austauschprozesse zwischen vorliegenden Dialogband nur eher sehr entfernten kulturellen Orten implizit und am Rande behandelt. Es und intellektuellen Feldern‘8, um die geht hier sowohl um die manipulative Dynamik von Kulturen zu denken und ‚Übersetzung‘ und politische zu beschreiben. An zahlreichen Stellen Instrumentalisierung von Konzepten des Werkes werden auch konfliktuelle der Menschenrechtserklärung von Dimensionen von Interkulturalität 1789 durch Regierungsverantwortliche in den Gegenwartskulturen in den nicht-westlicher Staaten und Blick gerückt: so etwa, wenn die Gesellschaften; oder die Verdrängung beiden Dialogpartner die Renaissance und kulturrelativistische Infragestellung ethnischer Nationalismen – in universeller westlicher Werte im Namen Form populistischer Strömungen kulturspezifischer Werte, die der – diagnostizieren; oder wenn eigenen Identität eher entsprächen. J.-L. Amselle den umgekehrten ‚Essentialismus‘ der postkolonialen Die Debatte zwischen S.B. Diagne und Bewegung und die hiermit J.-L. Amselle zeigt zugleich die Not- einhergehende „Ethnisierung wendigkeit auf, dem vor allem von S.B. des Sozialen und Politischen“9 Diagne verwendeten Übersetzungsbe- grundlegend in Frage stellt. Diese griff eine deutlich stärkere politische mache die interkulturelle Erfahrung Dimension zu geben und ihn systema- des Rollenwechsels, des empathischen tisch in Verbindung mit Machtinteres- Sich-Hineinversetzens in die Gefühle, sen und Machtkämpfen zu denken. Die die Situation und auch in das Leiden ‚Universalität des Übersetzens‘ vollzieht des Andern schwieriger, wenn nicht sich ebenso wenig wie die von Jürgen

203 Habermas analysierte – und normativ in den USA geht. Hier zeigen idealisierte – demokratische Diskussion sich die Problemfelder und die und Konsensbildung nicht in einem Herausforderungen eines postmodernen herrschaftsfernen oder gar herrschafts- und ‚dekolonialen‘ Kulturrelativismus, freien Raum. Der interkulturelle Akt der – zweifellos idealisierend – auf des Übersetzens und der hiermit ein- die konfliktlösende Dynamik hergehende Prozess der interkulturellen interkultureller Aushandlungs- und Aushandlung („negotiation“) sind im- Übersetzungsprozesse setzt, wie sie vor mer Machtinteressen und potentiellen allem S.B. Diagne unter dem recht Interessenkonflikten unterworfen. Dies schillernden Begriff des ‚Universellen wurde etwa bei der Konzeption und der des Übersetzens‘ („L’universel de Rezeption der Ausstellung „Kunst der traduction“) als Alternative zum Aufklärung“ 2011/12 im Chinesischen tradierten Universalitätsbegriff Nationalmuseum in Beijing schlag- entwickelt und konzeptualisiert hat. lichtartig deutlich, die vom deutschen Literatur Außenministerium gefördert und von deutsch-chinesischen Diskussionsforen Diagne, S.B. / Amselle, J.-L. (2018): En der Mercator-Stiftung begleitet wurde. quête d’Afrique(s). Universalisme et pen- Mit Begriffen wie ‚Aufklärung‘, ‚Gleich- sée décoloniale. Paris: Albin Michel. heit‘ und ‚Freiheit‘ verbanden die deut- Diagne, S.B. (2017): Pour une histoire schen und die chinesischen Veranstalter postcoloniale de la philosophie. Cités und Kooperationspartner zum großen 2017(4), S. 81-93. Teil völlig andere Bedeutungen, mit Mangeon, A. (2018): Préface. A la differenten historischen Bezügen und loupe; lectures croisées de Souleymane geradezu antagonistischen Folgerungen Bachir Diagne et Jean-Loup Amselle. für politisches Denken und Handeln.10 In: Diagne, S.B. / Amselle, J.-L.: En Die Proklamation ‚afrikanischer Werte‘, quête d’Afrique(s). Universalisme et pen- etwa durch die ehemaligen Staatsprä- sée décoloniale. Paris: Albin Michel, S. sidenten Mobuto (Zaire) und Mugabe 7-32. (Zimbabwe), impliziert, ebenso wie die politische Forderung nach der Aner- Stiftung Mercator (2013): Aufklärung kennung islamischer Werte (etwa im im Dialog. Eine deutsch-chinesische An- Kontext der Islamischen Revolution im näherung. Essen: Stiftung Mercator. Iran 1978/79), eine radikale Infragestel- Lepenies, W. (2011): Kant kam nicht lung des westlichen Universalismus, die bis China. Die Welt, 19.12.2011. URL: zumindest anfangs auch von westlichen https://www.welt.de/print/die_welt/ Imperialismus- und Kulturkritikern wie politik/article13822533/Kant-kam- Michel Foucault äußerst positiv gesehen nicht-bis-China.html [Zugriff am wurde. 25.09.2019] Die erwähnten Beispiele rücken jedoch zugleich auch die Möglichkeiten Endnoten und Verlaufsformen der politischen 1 „un espace d’échanges qui a tou- Instrumentalisierung kultureller jours été parcouru par les personnes, les Schlüsselbegriffe in den Blick, bis biens et les idées.” (Diagne / Amselle hin zur Legitimation der Zensur und 2018:205) der gewalttätigen Unterdrückung Andersdenkender. Diese werden in den 2 „l’Afrique comme une réalité plu- Debatten zwischen S.B. Diagne und rielle, ouverte et dynamique.“ (Diagne / J.-L. Amselle allenfalls gelegentlich Amselle 2018:210) kurz gestreift, etwa wenn es um die 3 Diagne / Amselle 2018:241-260 Islamische Revolution im Iran oder (J.-L. Amselle: „Les Droits de l’homme um rassistische Ausschreitungen sont-ils nés en Afrique?”); 261-267 (S.B. Diagne: “Sur les chartes du Man-

204 interculture journal 18/32 (2019) Abstract [deutsch]

Abstract [english]

dé”). 4 Vgl. hierzu auch Diagne 2017:91f.: „La pensée d’un universel de traduc- tion, d’un universel qui serait ainsi visé à partir du pluriel des langues, est évoquée par Emmanuel Levinas, mais il s’agit pour lui de se gausser de cet oxymore que serait un universel ,ho- rizontal’ ou ,latéral’ qui voudrait tenir compte du pluriel innombrable de langues et cultures tenues pour équiva- lentes.“ 5 „la ‚philosophie africaine‘ est en grande partie une continuation, dans l’Ouest africain, de cette translation.” (Diagne 2017:161) 6 Mangeon 2018:30. Zu übersetzen mit „interkultureller Machtkampf“. 7 „la traduction, ou l’interculturalisme” (Diagne/Amselle 2018: 48) 8 „privilégier les connexions, les trans- ferts, les analogies et les influences réci- proques entre lieux culturels et champs intellectuels plus distants” (Diagne/ Amselle 2018:32) 9 „ethnisation du social et du poli- tique“ (Diagne/Amselle 2018:36) 10 Vgl. hierzu Stiftung Mercator 2013; Lepenies 2011.

Souleymane Bachir Diagne, Jean-Loup Amselle (2018): En quête d’Afrique(s). Uni- versalisme et pensée décolo- niale. Paris: Albin Michel. 320 Seiten. Preis 22,00 EUR ISBN: 978-3-14-162172-3.

205 206 interculture journal 18/32 (2019) Rezension Review

Thiagarajan, Sivasalam / Annette Gisevius / Samuel van der Bergh / Tom Kehrbaum Interaktive Trainingsmethoden 2 – Thiagis Aktivitäten für be- rufliches, interkulturelles und politisches Lernen in Gruppen.

Thomas Habenicht Ähnlich dem 1. Band ist in 12 Kapiteln gefallen: Sieben-Satz-Formel, Sechs- mit jeweils 4-7 Methodenvorschlägen Phasen-Modell der Nachbesprechung, Mitarbeiter im Ressort Bildungs- quasi alles drin für Anregungen, die Modell des multiplen Intelligenzen, und Qualifizierungspolitik nächste Bildungseinheit interaktiver zu David Kolbs Lernzyklen, das SSI- beim Vorstand der IG Metall in gestalten. Die Sammlung führt wieder Modell, um nur einige zu nennen. Sie Frankfurt. Seit etwa einem Jahr durch unterschiedlichste Phasen eines gefallen als Hintergrund zur Methode, arbeitet er zu den Themen der Seminarprozesses vom „Einstieg“ bis wirken klärend und erläuternd bei der digital vernetzten Arbeitswelt hin zum „Seminarabschluss“ und wird Entscheidung über den Einsatz einer und Berufsbildung. Zuvor war er ergänzt um Vorschläge wie mensch Methode. Es fällt mir schwer, einzelne 10 Jahre im IG Metall Bildungs- methodisch den „Umgang mit Vielfalt, Methoden besonders hervorzuheben – zentrum Lohr – Bad Orb als Innovationen und Kreativität, oder soviel Methodik wird vielfältigst und pädagogischer Mitarbeiter in der interaktivem Online-Lernen“ gestalten unterschiedlichen Situationen entspre- Weiterbildung von Betriebsräten kann. Dabei ist als Reaktion auf aktu- chend eingesetzt werden. und Vertrauensleuten der IG elle Bedürfnisse in der Bildungsarbeit Eine neue Arbeitsmethode z.B. in der Metall tätig. das „Mehr an Kontur beim interaktiven gewerkschaftlichen Bildungsarbeit ein- Geschichtenerzählen, Vorträgen gestal- zusetzen ist stets ein herausforderndes ten und Online-Lernen“ im Band 2 Anliegen, bei dem der „Lehrende“ im- nachvollziehbar. Auch das neue Kapitel mer wieder ähnlich viel lernt, wie der „Innovation und Kreativität“ empfinde „Lernende“. Zum weiteren Verständnis ich als eine wichtige Bereicherung. der Lehr-Lernmethode an sich bzw. Die einzelnen Beispiele sind wieder so ihrem Einsatz im Seminar tragen nicht dargestellt, dass eine kurze Übersicht zuletzt noch die einleitenden Bemer- der Methode klärt, worum es geht, kungen in den jeweiligen Kapiteln, son- was für den Einsatz an Material und dern auch die vorweg gestellten „Sieben Zeit gebraucht wird und für welche Gesetze des Lernens für Erwachsene“ Gruppengröße es geeignet ist. Die aus- oder die „Abschlussreflexion“ von Tom führliche, detaillierte Darstellung zum Kehrbaum wesentlich bei. Somit fällt es Verlauf der Methode, die Vorschläge leichter, zu entscheiden, eine Methode zur Reflexion bzw. Nachbesprechung, einzusetzen oder eben nicht. möglicher Varianten, Handouts oder Insgesamt hatte ich beim Lesen das Ge- Schlussfolgerungen sind in Umfang fühl, dass dieser 2. Band eine wirklich und Qualität fundiert und absolut für gelungene Ergänzung zum 1. Band ist. den Bildungsarbeitsalltag brauchbar. Er setzt diese tolle Methodensammlung Besonders haben mir die ausführlichen nicht nur fort, sondern ruft auch den Info zu Theorien und Erkenntnissen 1. Band zurück in das Gedächtnis, lässt zum didaktisch-methodischen Kontext mich so aus den beiden Methoden- 207 sammlungen frischen Nektar für meine Bildungsveranstaltungen ziehen. Mit „Thiagis Interaktive Trainngsme- thoden 2“ wird nicht nur Gutes fort gesetzt, sondern erfährt auch eine Weiterentwicklung – ergo: Qualitäts- merkmal: absolut empfehlenswert.

Sivasalam, T. / Gisevius, A. / van der Bergh, S. / Kehr- baum, T. (2019): Interaktive Trainingsmethod- en 2 – Thiagis Aktivitäten für berufliches, interkulturel- les und politisches Lernen in Gruppen. Wochenschau Verlag 304 Seiten. Preis 29,95 EUR. ISBN: 978-3-89974989-2.

208 interculture journal 18/32 (2019) 209 210 interculture journal 18/32 (2019) Rezension (Review)

Bleuler, Marcel / Moser, Anita (Hrsg.):

Ent/Grenzen. Künstlerische und kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Grenzräume, Migration und Ungleichheit.

Boris Kalbheim Grenzen sind überall, Grenzen verbin- grenzen: „Vor der Grenze sind nicht alle den, Grenzen können töten; das hat gleich.“ (18) Doch Grenzen verlaufen Dr. theol, akademischer Oberrat die Migrationsbewegung in der Mitte nicht nur über den Erdboden, son- und Privatdozent am Lehrstuhl dieses Jahrzehnts grausam offenbart. dern ebenso durch Menschen, teilen für Religionspädagogik, Julius- Wie mit Grenzen umgehen? Dieser sie in „Wir“ und „die Anderen“. Diese Maximilians-Universität Würz- Frage haben sich im vorliegenden Band menschliche Grenze unterscheidet Po- burg. Studierte in Bonn und Künstler_innen und Kulturwissen- pulist_innen und Pluralist_innen: Die Toulouse, Promotion in Nijme- schaftler_innen von ihren eigenen Per- Trennung von „Wir“ und „die Ande- gen. Wissenschaftliche Anstel- spektiven her angenähert. ren“ nehmen sowohl die Retter_innen lungen in Nijmegen, Utrecht des Abendlandes vor wie die Islamist_ Grundlegende Orientierung der Beiträ- und Würzburg, daneben innen; die Pluralist_innen versuchen, ge ist die Dekonstruktion von Grenzen Lehrerausbildung in Unterfran- diese Grenze aufzubrechen und geraten sowie die Dekonstruktion der Annah- ken. dadurch ins Visier von Terror, islamisti- me, Grenzen seien etwas Natürliches. In schem wie rechtem Terror. allen Bereichen des menschlichen Le- bens werden Grenzen entwickelt, und M. Castro Varela referiert den postkolo- sie verschieben sich ständig. So ent- nialen Diskurs zum Thema „Grenzen“ wickelt sich ein Raum, in dem Grenzen und zeigt: Das Grenzregime der Kolo- ausgehandelt, bewegt und überwunden nialisten hat epistemische Gewalt ent- werden; doch diese Prozesse beruhen fesselt, die sich gegen das Wissen und auf asymmetrischen Voraussetzungen, die Lebensorganisation der Koloniali- etwa dem unterschiedlichen Zugang zu sierten richtete. Dieses kulturelle Wis- Ressourcen oder dem unterschiedlichen sen wurde ausgelöscht, und die Koloni- sozialen Kapital. Es ist eine Aufgabe der sierten dadurch entwurzelt. Ihnen blieb Kunst, diese Grenzen und Grenzräume keine Wahl als sich der epistemischen zu entdecken und durch eine Inszenie- Gewalt der Kolonialmächte zu beugen. rung so zu reflektieren, dass diese Refle- Um dieser Gewalt etwas entgegen zu xion ins öffentliche Bewusstsein gelan- setzen, bedarf es einer Veränderung des gen kann. Die ersten beiden Artikel des Denkens, gegen das Denken der Hege- Bandes reflektieren kulturwissenschaft- monie. lich die Bedeutung von Grenzen, daran Als Beispiel für eine subtile Form der schließen sich zehn Beiträge über diese Entgrenzung stellt I. Mertens den künstlerische Inszenierung von Grenz- Künstler J. Koller aus der Slowakei räumen an. vor: Indem dieser die Kunstfigur des I. Charim reflektiert die Bedeutung, U.F.O.-nauten J.K. lebt, hat er sich aus die Grenzen haben, vor allem Staats- der Enge der realsozialistischen Gesell-

211 schaft erhoben in eine extraterrestrische Mensch und Tieren wird verschoben. Ebene; dort imaginiert er eine kosmo- Das Kunstprojekt will spielerisch diese humanistische Kultur, einen anderen Grenzverschiebungen aufzeigen und Blick auf die eigene Welt, der nur mög- wechselt dafür die Perspektive: Ein lich ist durch das Überschreiten von Wolf, der twittert, ein Mischwesen aus Grenzen. Mensch und Reh, dass den Straßenver- kehr betrachtet, und eine Firma kana- Vom Austausch zwischen westlichen dische Flusskrebse, die wie ein globaler und georgischen Kunstschaffenden Konzern das Image einer negativen einerseits und Bewohnern eines Dorfes Expansionspolitik überwinden will. Das in prekärer Lage in Südossetien ande- Kunstprojekt ist in einem Naturschutz- rerseits berichtet M. Bleuler. Er zeigt, park angelegt worden, sodass Besucher welche komplexen Grenzen in einem unverhofft auf die Darstellungen stoßen solchen Projekt immer wieder erkenn- und so ihnen offen begegnen können. bar werden, und wie daraus Span- nungsfelder entstehen, in denen sich Ebenfalls als eine natürliche Grenze gilt Kunstschaffende positionieren müssen, oft die Grenze zwischen privatem und vor allem zwischen ihrer eigenen, pri- öffentlichem Raum. Romana Hagyo vilegierten Situation und der Situation zeigt zunächst theoretisch, dann anhand der Gastgeber. von zwei Kunstperformances auf, wie diese Grenze konstruiert ist und wie sie A. Moser stellt die theatralische Um- verschoben wird. Die Grenze zwischen setzung des Textes Die Schutzbefohlenen Privatem und Öffentlichem ist abhän- von Elfriede Jelinek durch eine Gruppe gig vom gesellschaftlichen Status: Das von Künstler_innen und Geflüchteten Recht auf Privatraum ist ein Privileg, es dar und zeigt daran Möglichkeiten auf, wird mit gesellschaftlichem Status ver- wie die Konzeption der Grenze zwi- dient, daher haben Migrant_innen kein schen „Wir“ und „die Anderen“ perfor- Recht auf Privatsphäre. Durch Krieg mativ erschüttert werden kann: Durch und Vertreibung werden private Räume das Unterlaufen von Erwartungen sowie zerstört, Geflüchtete müssen versu- von Repräsentanz- und Stellvertreterdis- chen, solche Räume provisorisch neu kursen. zu erschaffen, gleichzeitig bleiben diese S. Prlić und andere resümieren die Ent- Räume gestört durch den Gewaltakt wicklung von Computerapplikationen, der Vertreibung. Die Künstlerin Maja mit denen die Begegnung mit Grenzen Bajević hat eine eigene Vertreibungsge- sowie die Folgen von Flucht persönlich schichte, in zwei Kunstperformances re- erfahrbar werden sollen. Die Ergebnisse flektiert sie die Folgen einer Zerstörung heißen „Frontiers“ und „From Dar- der Privatsphäre, sinnenfällig erkennbar kness“, Programme im Grenzbereich und gleichzeitig künstlerisch überhöht. von Dokumentation und komplexen Der Kulturaktivist Can Gülül wird von Computerspiel. Diese dokumentari- Anita Moser über seine Kulturarbeit be- schen Spiele beruhen auf Recherchen fragt. Nach seinen Erfahrungen steht er an originalen Schauplätzen und ermög- der öffentlichen Kulturförderung skep- lichen es, moralische Entscheidungen tisch gegenüber, da sie zwar Margina- zu testen; Entscheidungen, die so auch lisierten zwar Sichtbarkeit ermöglicht, in der Realität notwendig sind. aber gleichzeitig politische Veränderung Das Projekt „Wild“ beschäftigt sich verhindert. Zentral ist seine Reflexion mit den Grenzen von Mensch und der eigenen Grenzen: Veränderungen Nichtmensch am Beispiel der Wande- sind nur möglich, indem der Mensch rungsbewegung dreier Tierarten: Wolf, seine eigenen Grenzen überwindet – Damwild, Flusskrebs. Diese Tierarten was immer auch persönlich schmerzhaft und ihre Bewegungsräume sind durch ist. die menschlichen Eingriffe in die Na- tur bedroht, die Grenzen zwischen

212 interculture journal 18/32 (2019) S. Peyer reflektiert äußerst kritisch die als Dystopie, wenn die Überwindung Arbeit des Kunstprojektes Institute of der Grenzen zu einer Perpetuierung ko- Human Activities im Kongo: Einerseits lonialistischer Übergriffigkeit mutiert. versucht der Künstler R. Martens mit Daher zeigen die vorgestellten Kunst- diesem Projekt, Kunst im Kongo als projekte, dass es nicht einfach darum wirtschaftliche Ressource zu entwic- gehen kann, Grenzen niederzureißen, keln und auf die Kolonialgeschichte sondern dass es darum gehen muss, des Kongo aufmerksam zu machen, die bestehenden Grenzen zu erkennen andererseits nimmt er teil am interna- und zu dekonstruieren, sodass deren tionalen Kunstmarkt und bringt dessen versteckte Bedeutungen verständlich Regeln in den Kongo, wie ein erneuter werden. Schritt der Kolonisierung. Die unterschiedlichen Formen der M. Bleuler reflektiert ebenfalls ein Beiträge – Interview, Selbstdarstellung, Kunstprojekt in Afrika: Die künstleri- Werkstattbericht und Sprachreflexion – sche Arbeit von C. Schlingensief sowie bereichern die Perspektiven, mit denen die Kritik daran. Er erkennt ein grund- existierende Grenzen reflektiert werden, legend unterschiedliches Verständnis gleichzeitig werden dadurch auch Er- von der Tätigkeit Kunstschaffender in wartungen geweckt, die nicht immer Afrika und in Europa. Anstatt gegen- erfüllt werden. So kommen positive seitige Verständigung zu suchen und Alternativen zum Konzept der Grenze gegebenenfalls aus einer Machtposition nur selten zur Sprache, etwa wenn Ca- heraus zu forcieren eröffnet Schlingen- stro Valera die Möglichkeit eines Den- sief mit seinem Projekt des Operndorfes kens gegen das Denken der Mehrheit Räume für eine Begegnung der Diffe- diskutiert. Auch könnte man sich eine renz. Bestehende Ungleichheiten ent- vertiefte Selbstreflexion der Kultur- wickeln dadurch einen Raum zwischen schaffenden zu ihren eigenen Grenzen dem „wir“ und „den Anderen“, in dem wünschen, Grenzen, die ebenso na- Handlungen leer laufen, aber Begeg- türlich erscheinen wie die kritisierten, nung möglich wird. und die ebenso dekonstruiert werden können und sollen. Can Gülül zeigt in B. Egger schließlich berichtet von sei- seinen Antworten die Komplexität die- nen Erfahrungen zur Kommunikation ser Herausforderung, manch einer wird zwischen Mensch und Tier. An der wohl davor zurückschrecken. Vielleicht Grenze zwischen den Spezies verändert auch eine notwendige Grenze im Um- sich das Verhältnis von Gefühl und gang mit Grenzen. Ziel, von Interesse und Deutung; eine Begegnung mit der anderen Spezies verlangt und ermöglicht es dem Men- Bleuler, Marcel / Moser, schen, diese Veränderungen kennenzu- Anita (Hrsg.) (2018): lernen und das eigene Verhältnis von Emotion und Ratio zu reflektieren. Darüber hinaus bedeutet die Begeg- Ent/Grenzen. Künstlerische nung mit einem Tier auch, dass Klas- und kulturwissenschaftliche sifikationen in Frage gestellt werden Perspektiven auf Grenzräu- und das Tier als Individuum erkennbar me, Migration und Un- wird. gleichheit

Alle Beiträge sind sich darin einig, dass transcript Grenzen vor allem negative Auswir- kungen haben: Sie schließen aus, sie trennen, sie behindern Menschen im 218 Seiten. Zugang zu teils lebensnotwendigen Ressourcen. Doch die Utopie einer Preis 29,99 EUR. grenzenlosen Welt erweist sich leicht ISBN: 978-3-8376-4126-4.

213 Hier ist Platz für Ihre Werbung! :-)