Ausland

Stasi-General Wolf dauernden Trauer über den zerstobenen Verlockende CIA-Offerten sozialistischen Traum auch das am wenigs- ten larmoyante. Was nicht heißt, dass der schon die 80 ansteuert. Sonja Lüneburg war erfolgreichste -General insgeheim die gleichsam der Prototyp des Agenten,von politischen Fronten gewechselt hätte. Er denen der Spähtrupp Ost viele besaß, sein hat für sich „die Freiheit bewahrt, weiter- westlicher Gegenspieler eher wenige: Ge- hin nach unseren Wertvorstellungen zu sinnungstäter, die aus einem Gefühl inne- leben“. rer Überlegenheit an der Kundschafterfront So wie Sonja Lüneburg. Die war in ihrer im Ost-West-Konflikt agierten. Kindheit geprägt worden von ihren Erleb- 16 Jahre lang spionierte Sonja Lüneburg nissen der Hitler-Herrschaft, des Krieges, – ihr richtiger Name lautete Johanna dem Todesmarsch von Auschwitz-Häftlin- Olbrich – für Ost- in und Brüs- gen. Deshalb wurde sie überzeugte Anti- sel, zuletzt als Chefsekretärin des FDP- faschistin, Marxistin, Friedenskämpferin. Bundeswirtschaftsministers Martin Ban- In schlichten Worten trug Sonja Lüneburg gemann. Wolfs Spitzenquelle lieferte bri- ihre Glaubensgrundsätze, die sie zur Arbeit sante Interna über die Vorbereitung der für den Nachrichtendienst der DDR brach- Ostverträge, zum Transitabkommen und ten, den Düsseldorfer Richtern vor. Das Grundlagenvertrag. löste Betroffenheit im Gerichtssaal aus, Dass sie dabei Freundschaften erschlich und der Bundesanwalt verlor die Beherr- und Vertrauen missbrauchte, gehörte zum schung. „Sie konnten meine Motive ein- Kundschafteralltag. Es hat sie in dem einen fach nicht begreifen, denn sie waren Ge- oder anderen Fall bedrückt, indes nie in fangene ihrer Vorurteile“, erinnert sich die der Überzeugung beirrt, dem besseren Top-Spionin. deutschen Staat zu dienen: „Mir half das Wolf prahlt nicht mit seinen konspirati- Bewusstsein, etwas Richtiges und Wichti- ven Juwelen, präsentiert eine nachgerade ges getan zu haben“, räsoniert die nach bescheiden anmutende Erfolgsbilanz der BÜCHER der Wiedervereinigung vom Düsseldorfer von ihm dirigierten Kundschafter: „Von Oberlandesgericht zu einer Bewährungs- hundert ins Rennen Geschickten bleiben strafe von einem Jahr und neun Monaten viele auf der Strecke, und nur einer oder Kosmos verurteilte Agentin im Rückblick. eine geht als Sieger durchs Ziel.“ Sonja Markus Wolf, das ist Teil seiner Legende Lüneburg übrigens wurde abgezogen und und seines professionellen Ruhms, hat nie- nicht verheizt, als 1985 das Risiko ihrer der Konspiration mals einen seiner Agenten ans Messer Enttarnung drohte. Erst im Juni 1991 stö- geliefert, obwohl es verlockende CIA- berten westdeutsche Fahnder Wolfs Favo- Ost- einstiger Chefaufklärer Offerten gab. So wurde dem „roten Mischa“ ritin bei Berlin auf. Markus Wolf setzt nach dem Zusammenbruch der DDR „eine Geschickt verstand es Ost-Berlins Chef- amerikanische Option“ angeboten, wie er aufklärer, Partner zu gewinnen, indem er seinen Top-Kundschaftern ein der im vereinigten Deutschland drohenden virtuos die Klaviatur gemeinsamer politi- literarisches Denkmal. Verhaftung entgehen könne. scher Überzeugungen bediente. Solch eine „ungewöhnliche Freundschaft“ pflegte er mit „Sir William“, dem FDP-Bundesvorstandsmit- glied und Berliner Ehrenvorsit- zenden William Borm. Beide trafen sich seit den sech- ziger Jahren unter konspirativen Umständen zum Meinungsaus- tausch – als „Gleichgestellte“, wie Wolf betont, „es war ein Geben und Nehmen und nicht einfach eine simple nachrichtendienstli- che Abhängigkeit seinerseits“. Borm war Informant über die Bonner Ostpolitik, aber gewiss

R. SCHULZE-VORBERG (M.); FRANK DARCHINGER / DER SPIEGEL (R.) DARCHINGER R. SCHULZE-VORBERG (M.); FRANK kein klassischer Agent oder gar Wolf-Freunde Wischnewski, Lüneburg*, Borm: „Es war ein Geben und Nehmen“ Verräter. Wolf beschreibt ihn als „Mann, der stets allein aus eine liebste Agentin, zumal eine der Auch das in dieser Woche erscheinende innerer Überzeugung handelte“, sehr erfolgreichsten, umsorgt heute seine Wolf-Buch „Freunde sterben nicht“ verrät starrsinnig sein konnte und ihn laufend SKatzen, geht der frühere DDR-Spio- keine Geheimnisse**. Aber die neun mit Vorträgen über die Notwendigkeit des nagechef auf Reisen. Das kommt noch im- Porträts von Weggefährten, politischen „Meinungspluralismus“ im Sozialismus mer recht häufig vor, obwohl Markus Wolf, Gesprächspartnern, deutschen, russischen traktierte. „William beriet mit mir sein po- Chefaufklärer des untergegangenen sozia- und amerikanischen Agenten vermitteln litisches Agieren“, notiert Wolf nicht ohne listischen deutschen Staates, nun auch streckenweise einen faszinierenden Ein- Selbstgefälligkeit, doch richtig steuern ver- blick in den Kosmos nachrichtendienst- mochte er Borm eben nicht: Nach dem licher Konspiration zu Zeiten Hitlers, Sta- Bruch der sozial-iberalen Koalition kehr- * Mit Bundeswirtschaftsminister Bangemann 1985. ** Markus Wolf: „Freunde sterben nicht“. Verlagsgesell- lins und des Kalten Krieges. Dies ist wohl te Sir William seiner Partei den Rücken, schaft Das Neue Berlin, Berlin; 260 Seiten; 17,50 Euro. Wolfs persönlichstes Buch und in der fort- und Schluss war es mit dieser schönen

120 der spiegel 33/2002 Quelle in Bonns kleinerer Regierungs- partei. Viele von Wolfs Freunden und Agenten waren Juden. Er bewundert die „Unbe- dingtheit“, die Unbeirrbarkeit des Han- delns ihm bekannter Menschen jüdischer Herkunft, „ich kannte diesen Charakterzug bei meinem Vater“ (dem Schriftsteller Friedrich Wolf). Ein Jude war auch „der kleine Mischa“, auf den Wolf eine Eloge anstimmt: Michael Wischnewski, gebürtiger Pole und Auschwitz-Überlebender, nach dem Krieg Chef der Schmugglerbande „Die Starken“ und mit Stasi-Protektion schließlich auf- gestiegen zum Ost-West-Händler und sozialistischen Multi- millionär. Seine Handelsfirma F. C. Gerlach stand im Zentrum von Schalck- Golodkowskis KoKo- Imperium, und nach der Wende suchte die bundesdeutsche Justiz Wischnewski das Ver- schieben von 100 Mil- lionen Mark aus dem SED- und Stasi-Ver- mögen nachzuweisen. Der kleine Mischa setzte sich nach Israel ab und wurde dortiger Staatsbürger. Das schützte ihn vor Auslie- ferung. Wolf rühmt, wie sich der kleine Mischa als „privater Unternehmer“ durchlavierte im erstarrten Apparat des DDR-Systems, in dem „alle Entscheidungen einer kleinen Runde starrsinniger Ignoranten vorbehal- ten blieben“. Da retuschiert der Chef- aufklärer nun freilich gehörig, denn dieser Privatunternehmer unterstand der Treu- handschaft des Stasi-Staatsunternehmens. Kurz vor seinem Krebstod wurde der kleine Mischa 1996 in Tel Aviv vom großen Mischa besucht. Während die Amerikaner dem einstigen Agentenchef die Einreise verweigerten, bereiteten ihm die Israelis trotz der bekannten Stasi-Kontakte zu Arafats PLO einen Empfang „mit großem Respekt“, wie Wolf mit Genugtuung regi- striert. Ex-Premier Jizchak Schamir hatte Zeit für ihn, ebenso die Generäle des Ge- heimdienstes Mossad. Klar doch, Mossads wie Wolfs Spione galten mit als die Besten ihres Genres. Ein wenig findet der Altkommunist bei dieser Reise zurück zu seinen jüdischen Wurzeln. Der Gang zur Klagemauer ist „bewegend“. Doch die Frage eines ortho- doxen Begleiters, ob sich in seinem Innern Gefühle der jüdischen Herkunft regten, lässt Wolf ohne Antwort: „Mein Israel müsste ich erst suchen, wenn die Wurzeln der Zwietracht und des schrecklichen Has- ses in Palästina beseitigt sind.“ Diese Suche dürfte Markus Wolf, bei al- ler Vitalität, dann wohl doch nicht mehr ge- lingen. Olaf Ihlau der spiegel 33/2002 121