Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik 36. Dresdner Wasserbaukolloquium 2013

„Technischer und organisatorischer Hochwasserschutz“

Sturmflutschutz auf den nordfriesischen

Holger Schüttrumpf Theide Wöffler Arne Arns Jürgen Jensen Sturmflut- bzw. Hochwasserschutz bedeutet vielfach, für Ereignisse mit sehr ge- ringer Eintrittswahrscheinlichkeit einen ausreichenden Schutz zu gewährleisten. Die Wahrscheinlichkeit von Überflutungen ist sehr gering und insbesondere die betroffene Bevölkerung ist im Fall des Versagens der Hochwasserschutzeinrich- tungen häufig nicht auf die Überflutung ihrer Grundstücke/Gebäude eingestellt. Dies ist anders auf den nordfriesischen Halligen. Die Halligbewohner leben mit den regelmäßigen Überflutungen der Halligflächen und sind u.U. mehrfach im Jahr von der Außenwelt abgeschnitten. Daher kann man insbesondere vom Sturm- flutschutz der Halligen viele Lehren für den Hochwasserschutz ziehen. Sturmflutschutz, Küstenschutz, Halligen, Überflutung

1 Einführung

Die Halligen (Abb.1) im nordfriesischen Wattenmeer stellen in ihrer exponierten Lage eine einzigartige Naturerscheinung dar und wurden schon von Theodor Storm als „Schwimmende Träume“ bezeichnet. Aufgrund ihrer Lage zwingen sie ihren Bewohnern besondere Lebens- und Bauweisen auf. Weiterhin leisten die Halligen durch die Reduktion der von der Nordsee einlaufenden Wellen ei-

nen zusätzlichen Beitrag für den Sturmflutschutz der Festlandsküste.

Sturmflutschutz auf den Halligen erfordert daher aufgrund ihrer besonderen C2

geographischen Situation spezielle Hochwasserschutzkonzepte sowohl hinsich- Saal4 tlich des Technischen Hochwasserschutzes und des Objektschutzes wie auch in Block Hinblick auf die Organisation und die Hochwasservorsorge. 340 Sturmflutschutz auf den nordfriesischen Halligen

Abb. 1: Lage der Halligen im Nordfriesischen Wattenmeer Aufgrund ihrer Abgeschiedenheit bei Sturmfluten und der fehlenden externen Hilfe im Extremfall sind daher auf den Halligen spezielle Hochwasserschutz- konzepte wie Warften (Abb. 2), Hochwasserschutzräume, Halligigel (Abb. 3), etc. entstanden.

Abb. 2: Warft auf Hallig Abb. 3. Halligigel auf Hallig Langeneß Infolge des steigenden Meeresspiegels sowie der vermuteten Zunahme von Sturmfluthäufigkeit und –intensität werden die Halligen in Zukunft stark vom Klimawandel betroffen sein. Aufgrund der regelmäßigen Überflutungen bei 36. Dresdner Wasserbaukolloquium 2013: „Technischer und organisatorischer Hochwasserschutz“ 341 Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 48

Sturmflutereignissen ist zwar ein Anwachsen der Halligen durch eingetragene Sedimente möglich, ob diese Sedimentationsraten den Anstieg des Meeresspie- gels ausgleichen können, ist jedoch fraglich. Im Rahmen des BMBF-Forschungsvorhabens „Zukunft Hallig“ (BMBF KFKI 03KIS093/03KIS094/03KIS095/03KIS096) werden derzeit am Institut für Was- serbau und Wasserwirtschaft der RWTH Aachen in Kooperation mit dem For- schungsinstitut für Wasser und Umwelt der Universität Siegen, dem geowissen- schaftlichen Zentrum der Universität Göttingen sowie dem Landesbetrieb für Küsten- und Naturschutz des Landes Schleswig-Holstein neue Küstenschutzstra- tegien entwickelt, um damit für die Halligen auf die Herausforderungen infolge des steigenden Meeresspiegels und der Zunahme von Sturmfluthäufigkeit und – intensität reagieren zu können.

2 Die Halligen im Nordfriesischen Wattenmeer

Die insgesamt nur 20,8 km2 großen Halligen sind Relikte des Festlandes. Die Halligen entstanden vereinzelt aus den Resten ehemaliger Küstenmarschen, der größte Teil resultiert jedoch weitestgehend aus Neuauflandungen durch Schlick- ablagerungen (Quedens 1992). Die Halligen stellen in Ihrer exponierten Lage eine einzigartige Naturerschei- nung dar und zwingen ihren Bewohnern besondere Sturmflutschutzmaßnahmen auf. Die Häuser auf den Halligen sind auf Warften erbaut und besitzen zusätzli- che Schutzräume für den Extremfall. Einige Halligen haben Sommerdeiche, an- dere höher gezogene Deckwerke. Nachfolgend sind die sechs bewohnten Halli- gen aufgelistet:

Langeneß

Nordstrandischmoor

Gröde C2 Saal4

Oland Block Hooge

Nicht bewohnt bzw. nicht ganzjährig bewohnt sind: Habel Südfall Süderoog 342 Sturmflutschutz auf den nordfriesischen Halligen

Insgesamt leben auf den 38 Warften der zehn bewohnten Halligen derzeit etwa 350 Einwohner. Diese bestreiten ihren Lebensunterhalt im Wesentlichen im Küstenschutz, durch den Tourismus und die Landwirtschaft. Das Wattenmeer im Bereich der Halligen ist stark durch die Gezeiten geprägt und weist eine sehr flache Neigung auf, wodurch bei Tideniedrigwasser große Teile trocken fallen. Ein weiteres Merkmal des Wattenmeeres sind ausgedehnte Prielsysteme und die Inseln bzw. Halligen (Abb. 4).

Abb. 4: Morphologie des Nordfriesischen Wattenmeers (Quelle: Bathymetrie vom LKN-SH und Topographie vom LVermGeo SH) Das Wattenmeer mit seinen Halligen hat neben der ökologisch und kulturhisto- risch wichtigen Bedeutung auch großen Einfluss auf die Küstenschutzstrategien an der Festlandküste. Zum einen kann der Wind das Wasser aufgrund der gerin- gen Wassertiefen stärker aufstauen als an Küsten mit großen Wassertiefen, zum anderen jedoch wird die Seegangsbelastung der Festlandküste während der Sturmfluten bereits im Wattenmeer durch die geringen Wassertiefen stark redu- ziert. Aufgrund ihrer exponierten Lage im schleswig-holsteinischen Wattenmeer wer- den die Halligen zuerst von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein. Der Anstieg des mittleren Meeresspiegels für die Station Wyk zwischen 1971 und 2008 beträgt 0,46 cm/Jahr (Jensen et al., 2012). Die Halligen selber können mit diesem Anstieg nicht mithalten, da die Sedimentationsraten mit bis zu 0,38 cm/Jahr niedriger sind als der Anstieg des Meeresspiegels (Karius et al., 2009). Dadurch bedingt kommt es zu häufigeren Überflutungen der niedrig ge- legenen Halligbereiche. 36. Dresdner Wasserbaukolloquium 2013: „Technischer und organisatorischer Hochwasserschutz“ 343 Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 48

3 Überflutungshäufigkeiten und -intensitäten

Die Häuser auf den Halligen sind auf Warften erbaut. Einige Halligen haben Sommerdeiche, andere höher gezogene Deckwerke. Hierdurch werden die ein- zelnen Halligen unterschiedlich häufig überflutet. Im stürmischen Frühjahr und Herbst heißt es z.B. auf der Hallig Hooge etwa fünf Mal und auf der Hallig etwa 30 Mal "Land unter". Während viele Folgen und Konsequenzen des projizierten anthropogenen Kli- mawandels noch nicht wissenschaftlich abgesichert sind, gilt eine Beschleuni- gung des Meeresspiegelanstiegs als gesichert. Unklar ist nur noch die Höhe des Meeresspiegelanstiegs in diesem Jahrhundert. Die aktuellen Klimaszenarien sprechen global von einem Anstieg zwischen 0,18 m/Jahrhundert und 0,59 m/Jahrhundert (IPCC, 2007). Unter anderem aufgrund neuerer Erkenntnisse über die Entwicklung des grönländischen Inlandeises wird sogar mit deutlich höheren Werten für den Meeresspiegelanstieg gerechnet (Rahmstorf, 2006; Schnellnhuber, 2008, Grinsted et al., 2009). Im Bereich der Halligen zeigen Untersuchungen der Universität Siegen für die Station Wittdün zwischen 1935 und 2009 einen Anstieg des Mittleren Tide- hochwassers MThw von ca. 0,42 cm/Jahr, des Mitteleren Tideniedrigwassers MTnw von ca. -0,018 cm/Jahr und des Mittleren Tidehubs MThb von 0,44 cm/Jahr. Dies resultiert in einer Zunahme der Überflutungshäufigkeiten und der Überflutungsintensitäten. Dadurch ist insgesamt mit häufigeren und län- ger andauernden „Land unter“ Ereignissen zu rechnen. Es zeigt sich, dass der Sedimentaufwachs der Halligen grundsätzlich in der Grö- ßenordnung des Meeresspiegelanstiegs liegt. Allerdings können lokale Verhält- nisse deutlich von den Mittelwerten abweichen. Für die größeren Halligen Hoo-

ge und Langeneß liegen die Sedimentzuwachsraten unterhalb des säkularen

MThw-Anstiegs. Für Nordstrandischmoor liegen die Sedimentaufwachsraten C2

oberhalb des MThw-Anstiegs. Um das Aufwachsen der Halligen zweifelsfrei zu Saal4 klären, finden derzeit entsprechende Untersuchungen in Zusammenarbeit der Block Universität Göttingen und der RWTH Aachen auf den Halligen statt. Diese Feldmessungen werden durch umfassende hydro-numerische Untersuchungen ergänzt, um die Überflutungen der Halligen beschreiben und ggf. Anpassungs- maßnahmen entwickeln zu können. Ein Ergebnis der Überflutungssimulationen ist beispielhaft in Abb. 5 dargestellt. 344 Sturmflutschutz auf den nordfriesischen Halligen

Abb. 5: Überflutungssimulation der Hallig Nordstrandischmoor für die Sturm- flut vom 03.01.1976 (Simulation mit PROMAIDES (Bachmann, 2012))

4 Sturmflutschutz auf den Halligen

Der Sturmflutschutz auf den Halligen setzt sich aus verschiedenen Komponen- ten zusammen und ist beispielhaft für Hallig Hooge in Abb. 6 im Profil darges- tellt. 36. Dresdner Wasserbaukolloquium 2013: „Technischer und organisatorischer Hochwasserschutz“ 345 Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 48

Im Bereich des Wattenmeeres und der Vorländer werden die Strömungs- geschwindigkeiten sowie der bei Sturmflut einlaufende Seegang ge- dämpft. Die Halligkante mit dem sogenannten Halligigel (Abb. 3) stellt einen Überflutungsschutz dar und reduziert einerseits die Häufigkeit des „Land unters“, andererseits werden hohe Wellen am Halligigel gebrochen. Sommerdeiche auf der Hallig vermindern ebenfalls die Anzahl der Über- flutungen bzw. reduzieren bei Sturmfluten die Energie des einlaufenden Seegangs. Warften (Abb. 2) haben die Aufgabe, die Hallighäuser gegen hohe Was- serstände und hohe Wellen zu schützen. Sie bilden während der Sturm- flutsaison die hochwassersicheren Bereiche auf den Halligen. Hochgelegene Hochwasserschutzräume stellen im Extremfall eine weitere Schutzmöglichkeit für die Halligbewohner dar.

Abb. 6: Querprofil Hallig Hooge

C2

Die Beschreibung der einzelnen Komponenten des Sturmflutschutzes der Saal4 Halligen zeigt, dass lediglich mit einer Aufwarftung die Hallighäuser bei Block steigendem Meeresspiegel hochwasserfrei gehalten werden können. So wurden die 32 bewohnten Warften in den letzten Jahrzehnten mit Kosten in Höhe von etwa 18 Mio. € verstärkt und den derzeitigen Randbedingungen angepasst. Neben der Aufwarftung und damit verbunden der Anpassung der Warfthöhe an die maßgebenden Sturmflutwasserstände kommt insbesondere der Seegangsdämpfung eine hohe Bedeutung zu. Eine Sensitivitätsanalyse in Abb. 7 für die Rixwarft auf Hallig Langeneß für Sturmflutwasserstände zwischen 346 Sturmflutschutz auf den nordfriesischen Halligen

3,0 mNN und 5,0 mNN zeigt, dass der Halligigel und die Warft unabhängig vom Sturmflutwasserstand eine starke seegangsreduzierende Wirkung haben.

Abb. 7: Seegangsentwicklung am Beispiel der Rixwarft für die Hallig Langeneß Um den Sturmflutschutz der Halligen zu verbessern und an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen, sollten sich zukünftige Küstenschutzstrategien somit im Wesentlichen auf den Halligigel und die Warft selber konzentrieren. Deren Beitrag zur Seegangsdämpfung sowie zur Sicherstellung hochwasser- freier Bereiche ist am Größten.

5 Schlussfolgerungen

Die Halligen im Nordfriesischen Wattenmeer stellen eine einzigartige Natur- und Kulturlandschaft in Deutschland dar. Aufgrund der Exposition gegenüber Sturmfluten und der häufigen Überflutungen hat sich in der Vergangenheit ein spezieller Hochwasserschutz entwickelt. Aufgrund des Meeresspiegelanstiegs und vergleichsweise niedriger Sedimentationsraten ist ein Aufwachsen der Hal- ligen nur bedingt möglich. Daher ist es notwendig, im Rahmen des BMBF- Projektes „Zukunft Hallig“ zukünftige Küstenschutz- und Bewirtschaftungsstra- tegien zu untersuchen. Es konnte gezeigt werden, dass sich diese Maßnahmen auf den Halligigel einerseits zur Reduktion der Seegangsbelastung und auf die Warften andererseits zur Anpassung an steigende Wasserstände konzentrieren müssen.

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6 Literatur

Bachmann, D. (2012) Beitrag zur Entwicklung eines Entscheidungsunterstützungssystems zur Bewertung und Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen. Dissertation. Aachen. Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft, RWTH Aachen http://darwin.bth.rwth-aachen.de/opus3/volltexte/2012/4043/ Grinsted, A.; Moore, J. C.; Jevrejeva, S. (2009): Reconstructing sea level from paleo and projected temperatures 200 to 2100 AD. Clim. Dyn. doi: 10.1007/s00382-008- 0507-2. IPCC (2007): Intergovernmental Panel on Climate Change 2007: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. In: Solomon, S.; Quin, D.; Manning, M.; Chen, Z.; Marquis, M.; Averyt K. B.; Tignor, M.; Miller, H. L. (eds.). Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York. Jensen, J., Frank, T., Wahl, T. (im Druck): Analyse von hochaufgelösten Tidewasserständen und Ermittlung des MSL an der deutschen Nordseeküste (AMSeL), Die Küste, Heft 78. Karius V., Deicke M., von Eynatten H. (2009): Über das Oberflächenwachstum der Nordfriesischen Halligen. In: Ratter, B.M.W. (Hrsg.) Hamburger Symposium Geographie, Band 1: Küste und Klima, S. 35-38, (ISBN: 978-3-9806865- 8-7). Quedens, G. (1992) Die Halligen. Breklumer Verlag Rahmstorf, S. (2006): Fact Sheet zum Klimawandel. Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Schellnhuber, H. J. (2008): Global warming: Stop worrying, start panicking? - Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. PNAS 105, 38. Wöffler, T.; Schüttrumpf, H.; Arns, A.; von Eynatten, H.; Häußling, R.; Jensen, J.; Schindler, M. (2012) Development of Coastal Protection Measures for small Islands in the using a risk-based approach. Proceedings 33rd International Conference on Coastal Engineering. Santander. Spain

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Block

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Autoren:

Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf Prof. Dr.-Ing. Jürgen Jensen Dipl.-Geogr. Theide Wöffler Dipl.-Ing. Arne Arns Institut für Wasserbau und Wasserwirt- Institut für Wasser und Umwelt schaft RWTH Aachen University Universität Siegen Mies-van-der-Rohe-Str. 1 Paul-Bonatz-Str. 9-11 52056 Aachen 57076 Siegen,

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