Geschichte der Juden

im Kreis

1933 - 1945

von

Dr. Arnold M. Klein, M.A.

Grevenbrück 1990 / 1992 / 1994 2

Geschichte der Juden

im Kreis Olpe 1933 - 1945

- Zum Forschungsstand 3

- Das Landjudentum im Kreis Olpe 8

- Jüdische Mitbürger im Kreis Olpe in der Weimarer Republik 15

- Juden im Kreis Olpe zur Zeit des Nationalsozialismus 20

- Die Boykott-Aktion vom April 1933 und die allmähliche Einschränkung jüdischen Lebens bis zu den „Nürnberger Gesetzen“ 23

- Die Verschärfung der Lage nach dem Erlaß der „Nürnberger Gesetze“ 36

- Jüdische Viehhändler und Metzger zwischen 1933 - 1940 und die nationalsozialistischen „Verdrängungs“-Aktionen 42

- Die „Arisierung“ der Wirtschaft bis zum 10. November 1938 47

- Judenpogrom im Kreis Olpe 56 58 Olpe 60 Altenhundem 61

Das Schicksal der Geschwister Neheimer aus Elspe 62

- Die Täter 63

- Das endgültige „Ausgrenzen“ der jüdischen Mitbürger nach dem Novemberpogrom 64

- Der Weg zur „Endlösung“ der Judenfrage im Zweiten Weltkrieg 71

Literatur 75

Dokumente 90 Jüdische Bürger im Kreis Olpe in den Jahren 1933 – 1942 90 Zusammenstellung der zu befragenden Ämter, Institutionen, Institute etc. für den Arbeitskreis Geschichte der Juden im Kreis Olpe [1988 ff.] 94 3

„Es gibt in unserem Land .. alte erinnerungswürdige Zeichen einer tief- wirkenden fruchtbaren Begegnung unserer Religionen und Kulturen. ... Die Geschichte aller Epochen, der bösen und der guten, ist unser ge- meinsames Erbe. Es gilt, nicht einzelne Kapitel auszublenden oder ande- re absolut zu setzen. Unsere Aufgabe ist es, den Blick auf das ganze Erbe zu richten, das jede neue Generation in die Verantwortung seiner Folgen für die Zukunft nimmt.“ Richard von Weizsäcker, 6. April 1987 1

- Zum Forschungsstand Wenn man von der Geschichte deutscher Juden spricht 2, ist die Erinnerung grö- ßerer Teile der Bevölkerung zuerst einmal geprägt vom Vergessenwollen der Zeit des Nationalsozialismus. Viele Zeitzeugen 3 und nach 1945 Geborene haben das Faktum des Mordes an Millionen deutscher und europäischer Juden schlichtweg verdrängt und möchten an den NS-Rassenwahn möglichst wenig erinnert werden 4. An dieser Stelle aber soll kein Forschungsbericht jüdischen Schicksals zur NS- Zeit gegeben 5, sondern nur auf relevante Gegebenheiten hingewiesen werden, die im Zusammenhang der folgenden Analyse von Belang sein könnten. D.h., „im Mittelpunkt steht die jüdische Existenz unter den Bedingungen“ der nationalsozialistischen Zeit in einem konkreten lokalen Umfeld 6.

1. Ansprache von Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 6. April 1987 auf Schloß Augustusburg in Brühl anläßlich des ersten Besuches eines israelischen Staatspräsidenten, Chaim Herzog, in der Bundesrepublik Deutschland. Vgl. den Abdruck der Rede in: Bundeszentrale für politische Bildung, (Hg.), Staatsbesuch des Präsidenten des Staates Israel Chaim Herzog in der Bun- desrepublik Deutschland vom 6. bis 10. April 1987. Ansprachen und Gedenkworte. Bonn 1987. S.2 - 5, hier S.3. Eine ausgewogene Bewertung des Besuches in: „Versöhnen ohne zu vergessen“. In: Parlament. Nr.16-17. 18./25. April 1987. S.24. 2. Vgl. hierzu und zur jüdischen Geschichte in Europa zuerst die sehr informative, breitangelegte, anregende Studie von F. Batten- berg, Das Europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas. 2 Bde. in einem. Teilband I: Von den Anfängen bis 1650; Teilband II: Von 1650 bis 1945. Darmstadt 1990. 3. Vgl. z.B. über den - für den Einzelnen - möglichen Kenntnisstand zur „planmäßigen Judenvernichtung“ während der NS-Zeit: B. Martin, Judenverfolgung und -vernichtung unter der nationalsozialistischen Diktatur. In: ders., (Hg.), Die Juden als Minderheit in der Geschichte. München 1981. S.290 - 315, hier S.311 f.: „Doch wer wissen wollte, was geschah, der konnte es auch ... in Erfah- rung bringen. Die Deportation der Juden hatte sich in aller Öffentlichkeit unter tatkräftiger Mithilfe der lokalen Polizei und kom- munaler Behörden abgespielt, der Abtransport der Juden nach Osten war bekannt ... Hitler selbst hat in öffentlichen Proklamatio- nen, vom 1. Januar 1942 - 21. März 1943 insgesamt neun Mal die Ausrottung und Vernichtung der europäischen Juden beim Namen genannt und gerechtfertigt.“ 4. Vgl. besonders J. Wollenberg, Niemand war dabei und keiner hat’s gewußt. Zur Öffentlichkeit der Verfolgung und Vernichtung der Juden in Deutschland. In: ders., (Hg.), „Niemand war dabei und keiner hat’s gewußt“. Die deutsche Öffentlichkeit und die Judenverfolgung 1933 - 1945. München - Zürich 1989. S.9 - 17 und W. Benz, Reaktionen auf die Verfolgung der Juden und den Holocaust in Deutschland vor und nach 1945. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B-1/2. 1992. S.24 - 32. 5. Vgl. zuletzt W. Schreckenberg, Literaturbericht: Das Judentum in Geschichte und Gegenwart. 2 Teile. In: Geschichte in Wissen- schaft und Unterricht. 41. 1990. Heft 4. S.240 - 256 (I) und H.5. S.312 - 320 (II); außerdem zuerst das grundlegende Werk von U.D. Adam, Judenpolitik im Dritten Reich. Tübingen 1972; den informativen Überblick von O.D. Kulka, Die deutsche Geschichts- schreibung über den Nationalsozialismus und die „Endlösung“. Tendenzen und Entwicklungsphasen 1924 - 1984. In: Historische Zeitschrift. 240. 1985. S.599 - 640 und H.A. Strauss, Antisemitismus und Holocaust als Epochenproblem. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B-11. 1987. S.15 - 23; außerdem mit einer Auswahlbibliographie (S.497 - 502) F. Dettmer, Juden in Deutschland. Das chronische Toleranz-Defizit der Deutschen. In: Buch und Bibliothek. 35. 1983. H.6. S.481 - 502 und die Rezensionen von U. Homann „Antisemitismus: Armutszeugnis des menschlichen Geistes oder: Ist der antisemitische Bazillus unausrottbar.“ In: Parla- ment. Nr.1. 1. Januar 1989. S.12 und dies., Judenfeindschaft - unseliges Erbe abendländischer Kultur? In: Ebda. Nr.41-42. 6./13. Oktober 1989. S.17. 6. M. Richarz, (Hg.), Jüdisches Leben in Deutschland. 3 Bde. Bd.3. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte 1918 - 1945. Stuttgart 1982. S.40. 4

Die wissenschaftliche Bearbeitung der nationalsozialistischen Judenverfolgung war lange Zeit wenig - von Ausnahmen in einigen Regionen einmal abgesehen - vom lokalen oder provinziellen Forschungszugriff geprägt, sondern von der überaus detail- lierten Erforschung des Geschehens auf Reichsebene. Über die NS-Verfolgungspolitik und deren menschenverachtende Auswirkungen entstand nach 1945 eine erdrückende Zahl von Veröffentlichungen, denen nur wenige über die alltägliche Geschichte der Ju- den nach 1933 entsprachen 7. In den Jubiläumsschriften von (Groß-) Städten und Ge- meinden findet sich - früher nie oder kaum berücksichtigt - erst in den letzten zehn Jah- ren, mittlerweile eher obligatorisch und kursorisch, ein Abschnitt zur Geschichte der Juden, meist auf die NS-Zeit begrenzt. Oft wurde dabei nur die Geschichte der antijüdi- schen Maßnahmen dokumentiert. Das alltägliche Leben der Juden berücksichtigte man kaum. Bedingt war dies durch die vorhandenen Quellen, die fast immer nur den Blick der Verfolgungsbehörden oder der NS-Gliederungen spiegelten. Meist wurde eher die Geschichte eines menschenvernichtenden, antisemitisch-ideologisch verbrämten Ras- senwahns geschildert. Weniger traten Aspekte aus dem kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Leben der von den Nationalsozialisten und ihren Handlangern drangsalierten jüdischen Bürger in den Vordergrund. Doch gerade im kleinräumlichen Bereich läßt sich erst die ganze Komplexität der schikanösen staatlichen und NS-Maßnahmen in al- len die jüdischen Bürger betreffenden Lebensbereichen, nicht unbedingt nur aus amtli- chen Quellen rekonstruiert, analysieren und wird es möglich, deutlichere Reaktionen bei Opfern, Tätern und Neugierigen herauszuarbeiten. In vielen Regionen aber wird selbst noch heute die Erforschung der jüdischen Geschichte „vor Ort“ im Mittelalter, im Kaiserreich oder in der Weimarer Republik mit entsprechend verengtem Blickwinkel bearbeitet 8.

7. Zu den aktuellen Problemen bei der Erforschung jüdischer Geschichte in Deutschland: A. Herzig, Juden und Judentum in der sozialgeschichtlichen Forschung. In: W. Schieder, V. Sellin, (Hgg.), Sozialgeschichte in Deutschland. Bd.IV. Soziale Gruppen in der Geschichte. Göttingen 1986/1987. S.108 - 132 und ders., Die Schwierigkeiten mit der jüdischen Geschichte. In: F. Niess, (Hg.), Interesse an der Geschichte. Frankfurt - New York 1989. S.112 - 123. 8. Vgl. zur ersten Information über jüdische Geschichte, Traditionen und Kultur in Deutschland: W. Kampmann, Deutsche und Juden. Die Geschichte der Juden in Deutschland vom Mittelalter bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Frankfurt/M. 1979; R. Bernstein, Geschichte des jüdischen Volkes. Bonn 3. veränderte Aufl. 1981; M. Richarz, (Hg.), Jüdisches Leben in Deutschland. 3 Bde. Stuttgart 1976, 1979, 1982; dies., Bürger auf Widerruf. Lebenszeugnisse deutscher Juden 1780 - 1945. München 1989 (=lesenswerter Extrakt aus den drei Bänden); H.A. Strauss, N. Kampe, (Hgg.), Antisemitismus. Von der Judenfeindschaft zum Holocaust. Bonn 1985 und F. Stern, Der Traum vom Frieden und die Versuchung der Macht. Deutsche Geschichte im 20. Jahrhun- dert. 1988. Vgl. zuerst für Kaiserreich und Weimarer Republik: J. Toury, Soziale und politische Geschichte der Juden in Deutsch- land 1847 - 1871. Zwischen Revolution, Reaktion und Emanzipation. Düsseldorf 1977; H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. 3 Bde. Bd.I. Antisemitismus. Frankfurt/M. u.a. 1951/1975; W. Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870 - 1945. Hamburg 1988; M.P. Birnbaum, Staat und Synagoge 1918 - 1938. Eine Geschichte des Preußischen 5

Über soziale Mobilität und sozialen Aufstieg, Veränderungen der Berufsstruktur unter dem Einfluß der Emanzipationsgesetzgebung und Industrialisierung im 19. Jahr- hundert, Urbanisierung und Emigration, Wandlungen der Sozialstruktur in jüdischen Stadt- und Landgemeinden wurde bisher eher am Rande geforscht. Selbst über innerjü- dische Konflikte zwischen Orthodoxen und Reformern fließen nur spärliche Infor- mationen. Zwar wird man heute mittlerweile über das jüdische Großstadtleben ausrei- chend informiert. Doch im letzten Jahrhundert lebte noch der Großteil der Juden auf dem Lande. Wie sich hier jüdische Werte- und Verhaltensstandards änderten, und ob und wie der Emanzipationsprozeß eher zögerlich voranging; - darüber ist äußerst wenig bekannt 9. In den größeren Abhandlungen und Gemeindestudien, die vor 1933 (fast) aus- schließlich von jüdischen Rabbinern und Wissenschaftlern verfaßt wurden 10 , waren Landjuden meist immer - wenn überhaupt - nur am Rande berücksichtigt worden, ob- wohl sie sich bis zur Reichsgründung noch eindeutig in der Majorität befanden und zu- mindest bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein substantieller Teil der deutsch-jüdischen Bevölkerung waren. Die zwischen 1933 und 1945 verfaßten Studien und Nachdrucke älterer antijüdi- scher Pamphlete dienten mehr der Ausgrenzung der Juden aus dem öffentlichen Leben und ihrer restlosen Erfassung durch die Nationalsozialisten, als dass sie wissenschaftli- chen Kriterien auch nur annähernd genügen konnten 11 . Wer sich in den Nachkriegsjahren - bis heute - jüdischer Geschichte in Deutsch- land „vor Ort“ näherte, war kaum an Studien jüdischen Lebens interessiert. Dazu fehlten auch meist die qualitativen Voraussetzungen. Fast alle Bearbeiter hatten keine tieferge-

Landesverbandes jüdischer Gemeinden (1918 - 1938). Tübingen 1981; W. Grab, J.H. Schoeps, (Hgg.), Juden in der Weimarer Republik. Stuttgart - Bonn 1986 und H. Jost, H.E. Schallenberger, Kleine Siege - Große Niederlage. Juden in der Weimarer Repu- blik. In: Tribüne. 92. 1984. S.26 - 30. Vgl. zuerst für die Zeit nach 1945: M. Brumlik, u.a., (Hgg.), Jüdisches Leben in Deutschland seit 1945. Frankfurt/M. 1986; E. Hemker, Sabbat und Sonntag in Israel. In: Diakonia. 21. 1990. H.1. S.57 - 61; I.M. Lau, Wie Juden leben. Glaube, Alltag, Feste. Gütersloh 1988; H. Noll, Früchte des Schweigens. Jüdische Selbstverleugnung und Antisemitismus in der DDR. In: Deutsch- land-Archiv. 22. 1989. S.769 - 778; Ch. Schatzker, Die Juden in den deutschen Geschichtsbüchern. Schulbuchanalyse zur Darstel- lung der Juden, des Judentums und des Staates Israel. Bonn 1981 und K.W. Wippermann, Zwanzig Jahre Zeitschrift „Tribüne“. In: Parlament. Nr.9. 6. März 1982. S.15. 9. Vgl. kurz einführend zum unterschiedlichen Ablauf der Judenemanzipation in Dörfern und Kleinstädten gegenüber Großstädten: M. Richarz, (Hg.), Jüdisches Leben in Deutschland. Bd.1. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte 1780 - 1871. Stuttgart 1976. S.56. 10 . Vgl. M. Richarz, Tödliche Heimat. Zur neueren Ortsgeschichte der Juden. In: Geschichte im Westen. 3. 1988. H.2. S.198 - 202, hier S.198: „Keinem Nichtjuden wäre es vor 1933 in den Sinn gekommen, die Geschichte einer jüdischen Gemeinde zu verfassen.“ 11 . Vgl. hierzu die regionalen Bibliographien. Die Studie von M. Holthausen, Die Juden im kurkölnischen Herzogtum Westfalen. In: Westfälische Zeitschrift. 96. 1940. S.48 - 152, schien auf den ersten Blick dem nationalsozialistischen Strickmuster weniger zu entsprechen. Doch bei näherem Hinsehen entpuppte sich in Sprache und Argumentation ihre Zeitverhaftetheit. Vgl. außerdem z.B. die auf das kleine Bändchen von J.J. Esser, Über den Zustand der Israeliten insbesondere im Regierungs-Bezirk . Bonn 1820, rekurrierende Miszelle von H. Schmalenbach, Die Juden in Südwestfalen vor 120 Jahren. Ein Beitrag zur Judenfrage. In: Sauerländer Heimatkalender. 1940. S.82 - 84. 6

henden oder nur unzureichenden Kenntnisse jüdischen Glaubens, der Traditionen und der Lebenswelt. Diese mangelnden wissenschaftlichen Kenntnisse bei der Aufbereitung und Bewertung des lokal gehobenen Materials wurden bei vielen Publikationen bei wei- tem wettgemacht durch das Verdienst, sonst wissenschaftlich kaum zugängliche Doku- mente einer breiteren Öffentlichkeit bekanntgemacht und - nicht zuletzt - der Wissen- schaft für weitere Forschungen bereitgestellt zu haben 12 . Dem Großteil der Forschenden ging es zuerst einmal um die „Auseinandersetzung mit der Judenpolitik des Nationalso- zialismus am lokalen Beispiel“. M. Richarz sah fünf sich oft verschränkende, z.T. wech- selseitig verstärkende Untersuchungsmotive, die die anhaltende „Konjunktur der jüdi- schen Lokalgeschichte in den letzten 25 Jahren“ immer wieder belebten 13 : • fortbestehendes politisches Interesse am Nationalsozialismus, • das Gefühl der Verantwortung gegenüber seinen Opfern, • das in den letzten zehn Jahren neuerwachte lokalhistorische Engagement, • die Entdeckung der Alltagsgeschichte und • ein neues Interesse am Judentum. In manchen Bundesländern (Bayern/Hessen) engagierten sich schon früh die staatlichen Archive, z.T. auf Anregung und in Zusammenarbeit mit der Jerusalemer Ge- denkstätte Yad Vashem (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland), bei der Erforschung und Dokumentation jüdischer (Gemeinde-) Geschichte in Deutschland, besonders auch zur NS-Zeit 14 . In Nordrhein-Westfalen begann erst recht spät eine flächendeckende Erfassung regional- und lokalhistorischer, aber auch übergreifender Studien 15 und Quellen(editio-

12 . Vgl. z.B. G. Rehme, K. Haase, „... mit Rumpf und Stumpf ausrotten ...“. Zur Geschichte der Juden in Marburg und Umgebung nach 1933. Marburg 1982. Andererseits ist besonders positiv hervorzuheben die neuere, unter anderen Vorzeichen („Darstellung, Dokumente, didaktische Hinweise“) an das Thema herangehende Studie von W. Wippermann, Das Leben in Frankfurt zur NS-Zeit. Bd.I. Die nationalsozialistische Judenverfolgung. Frankfurt/M. 1986. 13 . Vgl. M. Richarz, 1988, S.199. 14 . Vgl. M. Richarz, 1988, S.201 f. Vgl. z.B. E. Noam, u.a., (Hgg.), Justiz und Judenverfolgung. 2 Bde. Wiesbaden 1975 / 1978 oder B.Z. Ophir, F. Wiesemann, (Hgg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung. München - Wien 1979. 15 . Einen ersten bibliographischen Überblick ermöglichte B. Brilling, Westfälisch-jüdische Bibliographie. In: H.Chr. Meyer, (Hg.), Aus Geschichte und Leben der Juden in Westfalen. Frankfurt 1962. S.241 - 257. Vgl. bes. zur Einordnung in die noch unzureichend erforschte jüdische Geschichte Westfalens: D. Aschoff, Kölnische Juden in Westfalen. In: Köln - Westfalen 1180 - 1980. Bd.1. Münster 1980. 276 - 280; ders., Das Pestjahr 1350 und die Juden in Westfalen. In: Westfälische Zeitschrift. 129. 1979. S.57 - 67; ders., Zum jüdischen Vereinswesen in Westfalen. In: Westfälische Forschungen. 39. 1989. S.127 - 157 (Wohltätigkeitsvereine: S.136 - 139, Hilfsverein der Deutschen Juden: S.139 - 142, Vereine für jüdische Geschichte und Literatur: S.143 - 146, „CV“: S.146 - 150, „Die Zionisten“: S.150 - 153); B. Brilling, Die Familiennamen der Juden in Westfalen. In: Rheinisch-Westfälische Zeitschrift für Volkskunde. V. 1958. S.133 - 162; ders., Das jüdische Schulwe- sen in Westfalen im 19. Jahrhundert. Ein Kapitel aus dem Kampf um die Gleichberechtigung der jüdischen Religion. In: Udim. V. 1974/75. S.11 - 45; ders., Das Judentum in der Provinz Westfalen 1815 - 1945. In: Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Provinz Westfalen. Münster i.W. 1978. S.105 - 143 (bes.: Der Kampf der Juden um Gleichberechtigung , Zur Statis- tik und Berufsschichtung der Juden in Westfalen mit Tabelle ); ders., Mittelalterliche Judenfriedhöfe in Westfalen. In: Auf Roter Erde. Monatsblätter für Landeskunde und Volkstum Westfalens. 19.Jg. N.F. Nr.60. Februar 1964. Bl.1; A. Herzig, Alexander Haindorfs Bedeutung für die Pädagogik in Westfalen. In: Westfälische Forschungen. 23. 1971. S.57 - 74; ders., Judentum und Emanzipation in Westfalen. Münster 1973; B. Hey, Die nationalsozialistische Zeit. Die Juden. In: W. Kohl, (Hg.), 7

nen) 16 , obwohl schon 1969 B. Brilling 17 forderte, daß „man es auch in Nordrhein-West- falen als eine Ehrenpflicht betrachten (sollte), eine Kommission zur Geschichte der Ju- den zu gründen“ 18 . Nochmals konstatierte 1973 A. Herzig: „Nach wie vor fehlt eine ein- gehende Untersuchung zur Geschichte der Juden in der Provinz Westfalen“ 19 . Auch die Universitätshistorie in Nordrhein-Westfalen bekam erst wieder nach dem Tode des Köl- ner Ordinarius H. Greive durch die Eröffnung des Salomon-Steinheim-Instituts in Duis- burg, eng verknüpft mit dem dortigen Lehrstuhl für Judaistik, neue Impulse zur Erfor- schung jüdischen Lebens in der Region 20 . Eine umfassende Wirtschafts- und Sozialgeschichte der deutschen Juden steht - trotz einiger hervorragender sozialstatistisch-demographischer Vorarbeiten bis 1933 21 - immer noch aus. Die Berücksichtigung jüdischer Geschichte in der reichhaltig vorhandenen Hei- matliteratur des Kreises Olpe war bis 1980 mehr als dürftig und auch danach eher ge- ring. Dem zweiteiligen Aufsatz des langjährigen Schriftleiters der „Heimatstimmen für den Kreis Olpe“, N. Scheele, aus dem Jahre 1973 über die „Juden im Kreis Olpe“ konn- te man als erstem Versuch, sich mit der jüdischen Vergangenheit auseinanderzusetzen, den guten Willen nicht absprechen. Das Ergebnis aber war teilweise eine Aneinander-

Westfälische Geschichte. Bd.2. Kultur und Politik. Düsseldorf 1983, S.247 - 252 und Beiträge zur Geschichte der westfälischen Juden. In: Westfälische Forschungen. 38. 1988. S.212 - 265. 16 . Vgl. für Westfalen: B. Brilling, Archivgut und Dokumentation der Judenverfolgung unter besonderer Berücksichtigung von Nordrhein-Westfalen. In: Archivar. 22. 1969. Sp.157 - 168; U. Schnorbus, Quellen zur Geschichte der Juden in Westfalen. Spezial- inventar zu den Akten des Nordrhein-Westfälischen Staatsarchivs Münster. Münster 1983; H. Conrad, Quellen zur Geschichte der Juden im 19. und 20. Jahrhundert in westfälischen Kommunalarchiven. In: Westfälische Forschungen. 39. 1989. S.351 - 358 (S.352: Attendorn -> Beschwerde der Anwohner wegen Lärmbelästigung durch den lauten jüdischen Kultus in der Synagoge; S.353: Lenhausen -> Zum Kehraus der Karfreitagsliturgie Mitte des 19. Jh. zog der Pfarrer mit seiner Gemeinde drohend vor die kleine jüdische Synagoge, wo es zu Sachbeschädigungen kam.) und W. Reininghaus, Quellen zur Geschichte der Juden im Westfä- lischen Wirtschaftsarchiv Dortmund. In: Westfälische Forschungen. 39. 1989. S.359 - 366 (für den Kreis Olpe unergiebig). Ergän- zend aus dem angrenzenden Rheinland und Paderborn: K. Düwell, Die Rheingebiete in der Judenpolitik des Nationalsozialismus vor 1942. Beitrag zu einer vergleichenden zeitgeschichtlichen Landeskunde. Bonn 1968 und M. Naarmann, Die Paderborner Juden 1802 bis 1945. Emanzipation, Integration und Vernichtung. Paderborn 1988. 17 . Vgl. den zum Andenken an den Nestor westfälischer Judengeschichtsforschung herausgegebenen Sammelband von P. Freimark, H. Richtering, (Hgg.), Gedenkschrift für Bernhard Brilling. Hamburg 1988. 18 . Vgl. B. Brilling, 1969, Sp.167 f. und ähnlich: H.C. Meyer, 1962, S.10: „Es ist an der Zeit, daß unsere zentralen Instanzen einer zu bildenden Geschichtskommission die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, damit diese Aufgabe im nächsten Jahrzehnt gelöst wird. Später wird es noch schwieriger sein.“ 19 . Vgl. A. Herzig, 1973, S.XIV: „Die historische Forschung Westfalens hat nach 1945 das Thema überraschenderweise nicht wieder aufgegriffen, obwohl es doch für die Geschichte Westfalens höchst wichtig ist. Die Quellenlage ist in bezug auf die Akten in den Staats- und städtischen Archiven recht günstig.“; ähnlich: H.C. Meyer, 1962, S.9. Auf das notwendige Erfassen der Quellen zum jüdischen Vereinswesen und die schwierige Archivlage verwies nochmals 1989 D. Aschoff (ders., 1989, S.127 f.). 20 . Im Auftrag des Steinheim-Instituts geben M. Brocke, J.H. Schoeps und F. Wiesemann im K.G. Saur Verlag seit 1989 die Reihe „Bibliographien zur deutsch-jüdischen Geschichte“ heraus. Der erste Band von F. Wiesemann „Bibliographie zur Geschichte der Juden in Bayern“ ist kürzlich veröffentlicht worden. Außerdem erschien 1991/92 in Zusammenarbeit von Bertelsmann-Lexikon- Verlag und Steinheim-Institut ein „Neues Lexikon des Judentums“ (Herausgeber: J.H. Schoeps). Über die fortlaufende Arbeit des Steinheim-Instituts berichtet vierteljährlich das Informationsblatt „Dialog“. 21 . Vgl. bes. die Analyse von J. Lestschinsky, Das wirtschaftliche Schicksal des deutschen Judentums. Aufstieg - Wandlung - Krise - Ausblick. Berlin 1932 und die dort angegebenen Quellen. J.L. hatte vor 1932 lange in Deutschland gelebt und galt als einer der besten Kenner der wirtschaftlichen Entwicklung des deutschen Judentums (A. Barkai, Vom Boykott zur „Entjudung“. Der wirt- schaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich 1933 - 1943. Frankfurt/M. 1987/88. S.120). 8

reihung von zufällig in den Akten gefundenen Gegebenheiten, die manchmal im zweiten Teil noch weniger strukturiert sind 22 . Darüber hinaus gab es verstreute Hinweise, kleine- re Miszellen und Aufsätze 23 . In angrenzenden Gebieten Südwestfalens war die For- schungslage kaum besser und wurde oft von historisch interessierten Laien, Lehrern und Journalisten bestimmt 24 . Erst zwei Aufsätze von D. Aschoff 25 und der Abdruck des Vor- trages des Olper Kreisarchivars zur fünfzigsten Wiederkehr der Pogromnacht von 1938 bedeuteten einen qualitativen Schritt nach vorn 26 . Ein sich 1989 konstituierender Ar- beitskreis zur „Geschichte der Juden im Kreis Olpe“ nahm mittlerweile seine Arbeit auf. Doch noch 1990 „ist jüdische Gemeindegeschichte ein Forschungsbereich geblieben, der fast ganz außeruniversitären Forschern überlassen wurde ... Ihnen allen ging es um mehr als um Wissenschaft. Sie waren politisch und ethisch motiviert, sie wollten aufklären, Verantwortung zeigen und Erinnerung stiften. Ihre Arbeit hat nicht nur für sie selbst und für ihre örtlichen Mitbürger entscheidenden Wert; vielmehr hat sie durch die starke Bereitschaft zur Sammlung und Erschließung der Quellen Bleibendes auf dem Gebiet der Zeitgeschichte geleistet.“ 27 - Das Landjudentum im Kreis Olpe 28 Vermutlich im Mittelalter kamen die ersten Juden aus dem Rheinland, wo sie schon seit der Römerzeit als Händler und Kaufleute ansässig waren, und ihr Gewerbe

22 . Vgl. N. Scheele, Geschichte der Juden im Kreis Olpe. (Teil I und II). In: HSO. 92. 1973. Nr.3. S.132 - 135 und Nr.4. S.168 - 179. 23 . Vgl. Arbeitsgemeinschaft für örtliche Belange, (Hg.), Elspe. Bilder, Erzählungen und Geschichte aus einem Dorf im . Fredeburg 1983 (Juden: S.103); Th. Bergmann, Die Salomons in der Ortschaft Rhode. Geschichtliche Erinnerungen an das „Juden- haus“ und den Judenfriedhof. In: G. Becker, u.a., (Hgg.), Rhode - Dorf und Kirchspiel. Olpe 1982. S.34 - 36; J. Brunabend, Atten- dorn - Schnellenberg - Waldenburg und Ewig. Münster 21958 (Juden in der NS-Zeit: S.162); A. Diamant, Jüdische Friedhöfe in Deutschland. - Eine Bestandsaufnahme. Frankfurt/M. 1982 (Attendorn: S.9, Olpe: S.144); J. Hesse, Geschichte des Kirchspiels und Klosters . Drolshagen 1971 (Juden: S.479); H. Hundt, Der Attendorner Judenfriedhof. In: Verein für Orts- und Heimat- kunde Attendorn e.V. Nr.4. 1980. S.39 - 48; G. Kemper, Olpe - ein Heimatbuch. Olpe 1987 (Juden: S.49 - 52); N. Scheele, Ge- schichte des Kirchspiels Kleusheim. Olpe 1948 (Juden in Neuenkleusheim im 18. und 19. Jh.: S.13); P. Tigges, Die Juden im Kreis Olpe 1933 - 1945. In: A. Bruns, M. Senger, (Hgg.), Das Hakenkreuz im Sauerland. - Holthausen 1988. S.165 - 168. 24 . Vgl. z.B. M. Brand, Die jüdische Gemeinde in Hamm. In: Märker. 24. 1975. H.4. S.79 - 81 / 25. 1976. H.1. S.8 - 11, H.2. S.37 - 39, H.3. S.55 - 57 und H.4. S.83 - 85; K. Dietermann, u.a., (Hgg.), Die Juden im Siegerland zur Zeit des Nationalsozialismus. Eine Handreichung für Geschichts- und Deutschlehrer. 1981; U. Ribbert, Juden in Westfalen. (3 Teile). 1. Mit der Pest kam die erste Verfolgung. 2. 1.000 Taler für den Fürstbischof. 3. Rechte auf dem Papier. In: Westfalenspiegel. 30. 1981. Nr.1-3. S.37 - 40, S.35 - 38 und S.37 - 40; F. Schumacher, Das Traurige unter den Teppich kehren? Aus der Geschichte der Juden im kurkölnischen Sauerland. In: Westfalenspiegel. 1970. H.2. S.23 - 25. 25 . Vgl. zur Frühgeschichte der Juden im Kreis Olpe: D. Aschoff, Die Attendorner Juden im Rahmen der mittelalterlichen Geschich- te des Sauerlandes. In: HSO. 145. Nr.4. 1986. S.202 - 219; ders., Der 9. Januar 1578: Ein schlimmer Tag im Leben des Juden Samuel von Attendorn. In: HSO. 146. Nr.1. 1987. S.2 - 15. 26 . Vgl. den das bis 1988 bekannte Material zur Geschichte der Juden im Kreisgebiet zusammenfassenden, in seinem Hauptteil die NS-Zeit behandelnden Aufsatz von D. Tröps, Das Schicksal der Juden im Kreis Olpe. Vortrag des Kreisarchivars, gehalten am 9. November 1988 in der Gedenkveranstaltung des Kreises Olpe aus Anlaß des 50. Jahrestages der Novemberpogrome von 1938. In: HSO. 153. 1988. H.4. S.227 - 270. Zur Resonanz in der Presse: M. Blumentrath, Kreisarchivar Dieter Tröps: „Geschichte der Juden für den Kreis Olpe kein Ruhmesblatt“. Vortrag zur 50. Wiederkehr der Novemberpogrome 1938 - Zuvor ökumenischer Gottes- dienst. In: Siegener Zeitung. 10. November 1988. Bl.4. S.3 und „November 1938: Terror gegen Juden auch im Kreis Olpe - Die Mehrheit sah bei Verfolgungen und Festnahmen zu.“ In: Sauerland-Kurier. 9. November 1988. 27 . M. Richarz, 1988, S.202. 9

gut florierte, nach Westfalen. Nach der großen Pest im Jahre 1350, in deren Gefolge die erste große Judenverfolgung Westfalens ausbrach 29 , dauerte es lange, bis Juden im Westfälischen wieder Fuß faßten. Erst 1424 nach der Vertreibung einer großen Kölner Judengemeinde nahmen sie notgedrungen wieder Wohnsitze im gesamten Erzstift Köln an 30 . Die erste urkundlich nachweisbare jüdische Bürgerin im Kreis Olpe lebte 1451 in Attendorn. Ansonsten war das kurkölnische Sauerland im 15. Jahrhundert wenig von Juden besiedelt 31 . Der angesprochene Judenhaß im Mittelalter ließ sich auf wenige, deutliche Wur- zeln zurückführen: • religiöse Motive (Juden = Christusmörder), • Aberglaube (Juden als „Auslöser“ von Seuchen, Hungersnöten, geheimnis- vollen Krankheiten, Morden etc.), • wirtschaftliche Motive („Wucherjude“, „Hofjude“, „Kapitalneid“ etc.). • Seit dem Mittelalter war „der“ Jude „Fremder“. Daraus ergab sich oft genug seine „Isolierung“ in Judenhäusern, -vierteln und - Ghettos. Die Kontakte zwischen Juden und ihrer nichtjüdischen Umgebung beschränk- ten sich nur auf den wirtschaftlichen Sektor. Der Minderheitscharakter war religiös, räumlich und ökonomisch für jeden augenfällig 32 . Die Bewahrung der jüdischen Identi- tät - als klar erkennbare Sozialgruppe über Jahrhunderte hinweg - beruhte nach R. Bern- stein auf fünf grundlegenden Faktoren 33 : • die Gemeinsamkeit der Überlieferung, an der sie festhielten und die sie wei- terentwickelten; • der Sozialverband der Gemeinde; • die Zerstreuung ihrer Wohngebiete, die bei Verfolgungen auch die Funktion von Auffangbecken bot; • die Anfeindungen, die von den Juden als kollektives Schicksal erlebt wurden und nach innen festigend wirkten; • das Christentum, das die Bindung an die hebräische Bibel um seiner selbst willen nicht beiseite schieben konnte, auch wenn es sie anders deutete. Im Kreis Olpe müßte als Ausnahme gesellschaftlichen, jüdischen Anerkannt- seins Ende des 18. Jahrhunderts der Attendorner Jude Adolf Salomon gelten. Er wirkte

28 . Vgl. allgemein einführend zum Landjudentum: St.M. Lowenstein, The Rural Community and the Urbanization of German Jewry. In: Central European History. XIII. 1980. S.218 - 236. 29 . Vgl. D. Aschoff, Die Juden in Westfalen. In: Westfälische Forschungen. 130. 1980. S.78 f. 30 . Vgl. H. Hundt, 1980, S.39 f. 31 . Vgl. D. Aschoff, 1986, S.211 f. Zusammenfassend mit weiteren Literaturangaben zur jüdischen Siedlung im Kreis Olpe bis zum 19. Jahrhundert: D. Tröps, 1988, S.228 - 232; außerdem noch D. Aschoff, 1986, S.202 - 219 und ders., 1987, S.2 - 15. 32 . Vgl. R. Rürup, Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfrage“ der bürgerlichen Gesellschaft. Göttingen 1975. (=Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd.15). Göttingen 1975. S.75f. 33 . R. Bernstein, 31981, S.2. 10

von 1792 - 1794 als Gerichtsschreiber und wurde 1809 als Schultheiß genannt. 1829 in seinem Todesjahr fungierte er gar als Attendorner Bürgermeister 34 . Aber noch Ende des 18. Jahrhundert lebten die Juden meist außerhalb der allge- meinen deutschen Sozialordnung und galten als „geduldete Fremde“, die meist einer eigens für sie in den einzelnen Territorien geschaffenen „Juden-Ordnung“ (-Gesetzen) unterstanden. Sie wurden zwar im 18., z.T. noch im 19. Jahrhundert oftmals von den Landesfürsten - so auch in Westfalen - toleriert, jedoch (fast) ausschließlich aus wirt- schaftlichen und fiskalischen Interessen 35 . Im öffentlichen Leben in Deutschland fand in der Regel immer eine strikte soziale Trennung von der jüdischen Bevölkerung statt, die sich sowohl aus der gesellschaftlichen Diskriminierung als auch durch auffallende jüdi- sche Merkmale in Kleidung, Sprache, Religion und Kultur ergab. Hinzu kam meist noch die räumliche Trennung der Sozialgruppen. Für Juden gab es eigens zugewiesene, abge- sonderte Wohnplätze. Auf dem Lande war das nicht ganz so ausschließlich durchführ- bar. Doch wohnten auch hier nur Juden bei Juden und gingen meist alle denselben Be- schäftigungen als Trödel-, Gelegenheits-, Kleinsthändler, Hausierer und - oft damit ver- quickt - Geldverleiher nach. Nur sehr wenige brachten es schon in dieser Zeit zu einem eigenen Geschäft als Metzger oder Manufakturwarenhändler 36 . Die kulturelle Abgeschlossenheit der Juden gegenüber der Außenwelt war noch im 19. Jahrhundert extrem: Wie A. Haindorf in seinen „Jugenderinnerungen“ berichtet, durften deutsche Bücher nicht gelesen werden. Allein Talmud und Thora hatten dem jüdischen Schüler zur Erbauung zu dienen. Das Schreiben lernte er nur in hebräischen Schriftzeichen 37 . Wie auch in anderen Regionen bestehen im Kreis Olpe große Schwierigkeiten, Akkulturation und jüdische Tradition, alte und neue Formen jüdischer Religiosität, Ver- änderungen in Sozialisation und Familienstruktur, soziale Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden oder die politische Haltung der Juden anhand von originären Quellen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu dokumentieren und zu analysieren. D.h.,

34 . Vgl. N. Scheele, 1973, S.134f. 35 . Vgl. allgemein für Westfalen: H.-J. Behr, Judenschaft, Landstände und Fürsten in den geistlichen Staaten Westfalens im 18. Jahrhundert (S.121 - 135) und A. Herzig, Berührungspunkte und Konfliktzonen von jüdischer Minderheit und christlicher Gesell- schaft im 18. Jahrhundert am Beispiel der beiden westfälischen Kleinstaaten Paderborn und Limburg (S.150 - 189). Beide in: P. Freimark, H. Richtering, (Hgg.), 1988. 36 . Vgl. für Westfalen ausführlicher: R. Rürup, Emanzipation und Antisemitismus: Historische Verbindungslinien. In: H.A. Strauss, N. Kampe, (Hgg.), 1985, S. 88 - 98, hier bes. S.89 f. und 93 f.; zur „Judenfrage“ seit Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland: ders., 1975, S.78 - 80 und S.84. 37 . Vgl. die Jugenderinnerungen von A. Haindorf in: A. Herzig, 1971, S.57 f. 11

es lassen sich nach dem heutigen Wissensstand, z.T. auf Grund fehlender Quellenfor- schung, kaum tiefergehend das politische, soziale und kulturelle Milieu einer jüdischen Familie im Kreis Olpe, ihr Bildungshorizont, ihre Religiosität und ihr Selbstverständnis als Juden gegenüber dem katholischen Milieu ergründen. Wenig kann man auch über die vorhandenen Sozialkontakte zwischen Juden und Christen aussagen. Als weiteres Problem tritt hinzu, daß die Anzahl der Juden im Kreis Olpe nie - an einem Ort - über- mäßig groß war. Schon dadurch konnte ein regeres Gemeindeleben kaum entstehen. Nach den vorhandenen Quellen zeigte sich im 19. Jahrhundert ein eindeutige Zunahme jüdischer Bürger im Kreis Olpe, die sich auf viele Orte im Kreisgebiet verteil- ten und anfangs unter preußischer Herrschaft noch keine vollen Staatsbürgerrechte ge- nossen 38 . Eine lückenhafte statistische Aufstellung in der 1819 publizierten „Beschreibung des Regierungs-Bezirks Arnsberg“ wies für das Jahr 1817 in Attendorn zwölf, in Dün- schede acht und in Langenei vier Juden nach 39 . Über den damaligen Kreis Bilstein (kur- ze Zeit später: Kreis Olpe) berichtete 1820 J.J. Esser 40 : „Von den hier weniger zahlreichen Israeliten treibt nur einer, und zwar in der Stadt Attendorn wohnend, einen bedeutenden Handel in seinem Hause, und dabey den Ackerbau. Die übrigen besitzen sämtlich weniges Vermögen; vier- zehn haben eigene Häuser, mit Hausierhandel sich beschäftigend; Handwerk, Kunst und Wissenschaft bleiben von ihnen unberührt. Nur eine Synagoge giebts im Kreise und zwar in Lenhausen. Der Kreis Bilstein hat 23.500 Einwohner und 99 Juden 41 , davon ein Händler und vierzehn Hausierer.“

Die hier angesprochene Synagoge Lenhausen (Gemeinde , seit 1969 zum Kreis Olpe gehörig) war Sitz einer der ältesten Judengemeinden Westfalens, zu der die Juden der Bürgermeistereien Serkenrode, Schmallenberg, , Fredeburg im da- maligen Kreis Meschede und der gesamte Kreis Olpe gehörten 42 . Die Gemeinde war um 1760 gegründet worden und existierte bis um 1900 43 . Nach dem Wegzug der Juden An- fang des 20. Jahrhunderts verfiel die Synagoge und wurde 1915 abgerissen. Die Familie Cohn in Attendorn stellte daraufhin Räumlichkeiten in der „Breiten Techt“ als Gebets-

38 . Vgl. N. Scheele, 1973, S.171 ff. 39 . Zitiert nach: H. Schmalenbach, 1940, S.82 f. 40 . Vgl. J.J. Esser, 1820, S.23 (und Anlage). 41 . Andere Zahlenangaben stellte A. Herzig (1973, S.62) für den Kreis Olpe zusammen. Er berichtete von 33 Juden, was 0.1 Prozent der Kreisbevölkerung von 24.010 Einwohnern entsprach. Die gleiche Prozentzahl gab er für den Kreis Siegen an, während sonst im Arnsberg die jüdischen Bevölkerungsanteile zwischen 0.3 - 2.2 Prozent schwankten. 42 . Vgl. zur Bedeutung jüdischer Synagogen und Friedhöfe als Kennzeichen jüdischer Gemeinden seit dem Mittelalter: B. Brilling, 1964, Bl.1. Sp.1. 43 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand Kreis Meschede. Landratsamt Nr.1148 (Zitiert nach: D. Tröps, 1988, S.231). 12

haus bereit 44 . Das Gebäude wurde 1986 unverständlicherweise - nach Bekunden der At- tendorner Verwaltung mit Einwilligung des jüdischen Besitzers 45 - abgerissen 46 . Mitte des 19. Jahrhunderts lebten in Lenhausen ca. fünfzig Juden 47 . Bekanntester Sproß der Judengemeinde war der später in Münster ansässige Arzt, Pädagoge, Schrift- steller und Kunstmaler A. Haindorf 48 . Die von ihm mitbegründete „Marks-Haindorf- Stiftung zur Bildung von Elementarlehrern (Volksschullehrern) und Beförderung von Handwerken und Künsten unter den Juden“ 49 entfaltete für die Juden in Westfalen jahr- zehntelang eine segensreiche, rege Tätigkeit 50 . Eine sorgfältige Erforschung des alltägli- chen Lebens in der Lenhauser Judengemeinde im 18. und 19. Jahrhundert wäre wün- schenswert. Doch wird sie nach dem jetzigen Sachstand auf absehbare Zeit kaum erfol- gen. Für das Jahr 1836 verzeichnete das „Adreßbuch für die Provinz Westfalen“ 46 jüdische Bürger und 43 für 1846 im Kreis Olpe. Ihre Zahl erhöhte sich bis 1858 um ca. 25 Prozent. So waren es 1852 60 und 1858 58 Juden 51 . Im Jahre 1846 ließ die Königliche Regierung Preußens durch eine Bekanntma- chung im Beiblatt zum 41. Stück des Amtsblattes der Königlichen Regierung zu Arns- berg vom 1. Oktober 1846 die „Annahme fester Familiennamen Seitens der Juden“ ver-

44 . Vgl. Adreßbuch des Kreises Olpe. Ausgabe 1938. Feudingen 1938. S.4 und Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238 - Schreiben des Bürgermeisters vom 13. Dezember 1934 (Zitiert nach: D. Tröps, 1988, S.231). 45 . Vgl. --Kurier. Nr.4. 25. Januar 1989. S.4. 46 . Vgl. ausführlicher die Presseartikel: „‘Man kann doch nicht die ganze Stadt abreißen!’ Attendorner Heimatverein sauer über Tempo-Abriß der alten Synagoge. Historischer Brunnen zerstört.“ In: Westfalenpost. Nr.250. 27. Oktober 1986. S.OE 4 (Bildunter- schriften: „Nach dem großen Stadtbrand im 18. Jahrhundert wurde das Bruchsteinhaus gebaut, das bis zur Plünderung in der Reichskristallnacht als Synagoge diente ... jetzt klafft mitten in Attendorn erst einmal ein großes Loch. Die Synagoge wurde abge- rissen, demnächst soll hier ein Geschäftshaus entstehen.“); „Spuren vom Stadtbrand in Attendorn bei der abgerissenen Synagoge. Heimatforscher durften doch graben. Brunnen freigelegt.“ In: Westfalenpost. Nr.258. 5. November 1986; „Geschichtspflege in Attendorn.“ In: Sauerland. Nr.4. Dezember 1986. S.136 und „CDU-Schulte: ‘Wir sollten uns schämen.’ Gedenkplatte an Synago- ge.“ In: Westfalenpost. Nr.214. 13. September 1988. S.OE 1. In dem Artikel über die Attendorner Brunnen (HSO. 151. 1988. S.93 - 102) fehlte jeglicher Hinweis auf die für die Juden seit altersher bedeutungsvolle Wasserstelle im ehemaligen Bethaus. 47 . Vgl. zum ländlichem Antisemitismus, zur Rolle und zum Sozialmilieu der ländlichen Juden und ihrem Verhältnis zu den Chris- ten vom Ende des 18. bis Ende des 19. Jahrhunderts: M. Richarz, Jüdisches Leben in Deutschland. Bd.2. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte im Kaiserreich 1870 - 1918. Stuttgart 1979. S.26f. und 52f.; A. Herzig, 1973, S.11 (Verweis auf A.v. Droste- Hülshoffs „Judenbuche“ als Milieuschilderung eines westfälischen Dorfes um 1800) und S.137 f. (Gründe für Antisemitismus im 19. Jahrhundert in Westfalen, bes. 1870 - 1914; nach 1900 kam dem Antisemitismus nur noch in Siegen lokale Bedeutung zu ); D. Aschoff, 1989, S.135 f. (Jüdische Bevölkerung in Westfalen 1850 - 1910). 48 . Vgl. A. Herzig, 1971, S.57 - 74 und B. Brilling, Alexander Haindorf - seine Bemühungen um Anstellung als Universitätsprofes- sor (1812 - 1815) und seine Tätigkeit als Dozent in Münster (1816 - 1818 und 1825 - 1847). In: Westfälische Zeitschrift. Bd. 131/132. 1981/1982. S.69ff. 49 . Vgl. zu jüdischen Förderern der Stiftung: Kreisarchiv Olpe, Bestand A 2919. Darin: „Fünf und dreißigster Bericht über die Marks-Haindorfsche Stiftung zur Bildung von Elementarlehrern und Beförderung von Handwerken und Künsten unter den Juden“. Münster 1890. S.24. Es wurden genannt die Familien: A.A. Ursell (Attendorn) 3,00 M, Rafael Lenneberg (Attendorn) 1,50 M, Jos. Cohn (Attendorn) 1,00 M, A. Böheimer (Attendorn) 1,00 M, Mos. Gutmann (Attendorn) 0,75 M, Isaak Lenneberg (Olpe) 1,50 M, Levy Emanuel (Olpe) 1,00 M. 50 . Vgl. z.B. die „Rechnungslegung der Marks-Haindorfschen Stiftung zur Bildung von Elementarlehrern und Beförderung von Handwerken und Künsten unter den Juden für das Jahr 1902“. In: -Blatt der Königlichen Regierung zu Arnsberg. 43. Stück. 24. Oktober 1903. S.603 f. Nr.1901. 51 . Vgl. Adreßbuch für die Provinz Westfalen. Münster 1836 (S.48), 1846 (S.148), 1852 (S.135) und 1858 (S.145). 13

künden 52 , was ein weiterer Schritt zur Integration der Juden in die Gesellschaft sein soll- te und sie im Gemeindebürgerrecht allen anderen Einwohnern gleichstellte. Bis dahin waren die Juden nur sog. „Schutzverwandte“ und hatten eine eigene Korporation mit einem besoldeten Vorsteher und einem Rabbiner gebildet. Sie brauchten keine Fami- liennamen zu führen sowie keine Geburten, Sterbefälle und Heiraten anzumelden 53 . Aus dem Kreis Olpe waren in der Aufstellung der Königlichen Regierung genannt: Attendorn: Eva, Sotig, Jeremias, Bernhardine, Esther und Hannelore Mai, Kaufmann Abraham Aron und Aron Ursell Dünschede: Josef Klein Helden: Raphael Lenneberg Kleusheim: Handelsmann Jacob Emanuel, Handelsmann Moses Fischbach, Berta und Caroline Oppenheim, Handelsmann Jacob Oppenheim, Liebmann Stein Langenei: Neuhaus Olpe: Dienstknecht Samuel Goldschmidt, Metzger Abraham Stierstadt Lenhausen: Salomon Böheimer, Abraham und Herz Frank, Levi Klein, Marcus und Noah Lenneberg, Moses Löwenthal, Heimon und Salomon Neheimer, Handlungsgehülfen Abraham, Isaac und Wolf Böheimer, Knecht Isaac und Handlungsgehülfe Heinemann Klein, Handelsmann Samuel Frank, Jacob Meier (gewerbslos). Die Verfassung von 1871 vollzog die endgültige rechtliche Gleichstellung der Juden 54 . Die Integration der jüdischen Bevölkerung und die oft propagierte deutsch- jüdische Verschmelzung schien in der Kaiserzeit zum Greifen nahe 55 . Die Auswirkun- gen des „Berliner Antisemitismusstreites“ 56 oder die Stöcker’schen antisemitischen Ver- balinjurien beeinflußten aber wiederum weite Teile der städtischen Bevölkerung, beson- ders das Bürgertum, mit antijüdischem Denken 57 . In der Folge verweigerten viele den sozial aufgestiegenen Juden ihre soziale öffentliche Anerkennung 58 . Fast immer wurden

52 . Vgl. ebda. S.1 - 50 und „Ergänzungen und Berichtigungen“. In: ebda. 45. Stück vom 6. November 1847. S.460 f. 53 . Vgl. ausführlich zur Annahme, Wahl und Bedeutung der Familiennamen westfälischer Juden und zum verwaltungstechnischen Ablauf: B. Brilling, 1958, S.133 - 162, bes. S.133, 138, 141 f., 146, 148 f. und S.158. 54 . Vgl. kurz und prägnant: M. Richarz, 1976, Bd.1, S.19. 55 . Vgl. R. Rürup, 1985, S.88; außerdem noch St.M. Lowenstein, The Pace of Modernisation of German Jewry in the Nineteenth Century. In: Year Book of the Leo Baeck Institute. XXI. 1976. S.41 - 54. 56 . Vgl. mit Literaturverweisen: W. Boehlich, (Hg.), Der Berliner Antisemitismusstreit. Frankfurt/M. 1988. 57 . Vgl. z.B. R. Lill, Die Ambivalenz der Katholischen Haltung zu den Juden - Religiöse und soziale Antijudaismen im 19. Jahr- hundert - Abwehr von Antisemitismus und rechtlichen Diskriminierungen. In: Thomas-Morus-Akademie Bensberg, (Hg.), Katholi- sche Kirche und Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945. Bensberg 1980. S.99 - 128. 58 . Vgl. zu dem in den 1880er Jahren sich verstärkenden Antisemitismus, „der nicht mehr in erster Linie religiös motiviert war, der sich politisch organisierte und bald überwiegend rassistisch begründet wurde“: R. Rürup, 1985, S.95 f. Ersatzweise suchte mancher jüdische Bürger notgedrungen sein gesellschaftlich-kulturelles Vergnügen im jüdischen Umfeld: D. 14

im Deutschen Reich jedoch die Juden konsequent aus gesellschaftlichen Führungsposi- tionen herausgehalten, besonders beim Militärdienst und in der höheren Beamten- schaft 59 . Allgemein traf dies auch in Westfalen zu. Dort waren 72 Prozent der Juden in Handel und Handwerk beschäftigt 60 . Im Kreis Olpe aber war zu dieser Zeit antisemiti- sches Agieren noch wenig spürbar, zumindest bis heute nicht nachweisbar 61 . Die Frage, ob das Landjudentum im Kreis Olpe noch Ende des 19. Jahrhunderts oder am Ende der Weimarer Republik strenggläubig war, oder ob schon die religiös Indifferenten oder solche, die nur noch an hohen Feiertagen die Synagoge - analog den „Taufscheinchristen“ - besuchten, überwogen, ließ sich im Rahmen dieses Zugriffs nicht klären. Weiteren Aufschluß können erst die in Arbeit befindlichen Bände des „Arbeits- kreises zur Geschichte der Juden im Kreis Olpe“ geben 62 . Nach vorläufigen Informatio- nen sollte man für die Zeit der Weimarer Republik davon ausgehen, daß bei einigen Juden nur noch rudimentäre Kenntnisse der jüdischen Religion übriggeblieben waren. Man fühlte sich eher als deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Das konservative Element des katholischen Milieus in Lebensführung und Wahlverhalten war in ähnlicher Form bei der jüdischen Bevölkerung vorhanden 63 . Zum Ende des 19. Jahrhunderts stie- gen viele der einheimischen Juden in die Mittelschicht auf. Sie nahmen ähnliche, mehr- heitskonforme Verhaltensstandards, zumindest im öffentlichen Leben durch die Über- nahme typisch deutschen Freizeitverhaltens (z.B. SGV-Mitgliedschaft, aktive Teilnah-

Aschoff, Die westfälischen Vereine für jüdische Geschichte und Literatur im Spiegel ihrer Jahrbücher (1899 - 1920). In: P. Frei- mark, H. Richtering, (Hgg.), 1988, S.218 - 245. 59 . Das Problem des Antisemitismus und seine unterschiedlichsten Ausprägungen sollten hier nicht weiter erörtert werden. Vgl. zur Begriffsklärung, zu Inhalt und Bedeutung seit 1879 in Deutschland zuerst: R. Rürup, 1975, S.115. Vgl. für die Zeit seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute: A. Mitscherlich, Die Vorurteilskrankheit. Einleitung zum Thema: Die psychologischen und sozialen Voraussetzungen des Antisemitismus. In: Psyche. 16. 1962. H.5. S.241 - 245; H.P. Bahrdt, Soziolo- gische Reflexionen über die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Antisemitismus in Deutschland. In: W.E. Mosse, (Hg.), Ent- scheidungsjahr 1932. Tübingen 21966. S.135 - 155; Z. Barbu, Die sozialpsychologische Struktur des nationalsozialistischen Anti- semitismus. In: Ebda. S.157 - 181; R.M. Loewenstein, Psychoanalyse des Antisemitismus. Frankfurt/M. 3 1971; L. Poliakov, Der arische Mythos. Zu den Quellen von Rassismus und Nationalismus. Wien 1977; J. Katz, From Prejudice To Destruction. Antisemi- tism, 1700 - 1933. Cambridge (Mass.) 1980 (dt. München 1989); A. Bein, Die Judenfrage. Biographie eines Weltproblems. Bd.I. Stuttgart 1980; H.-G. Zmarzlik, Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich 1871 - 1918. In: B. Martin, (Hg.), Die Juden als Min- derheit in der Geschichte. München 1981. S.249 - 270; M. Postone, Die Logik des Antisemitismus. In: Merkur. 36. 1982. S.13 - 25; A. Paucker, Die Abwehr des Antisemitismus in den Jahren 1893 - 1933. In: H.A. Strauss, N. Kampe, (Hgg.), 1985, S.143 - 171; Sh. Ettinger, The Secular Roots of Modern Antisemitism. In: O.D. Kulka, u.a., (Hgg.), Judaism and the Christianity under the Impact National Socialism. Jerusalem 1987. S.37 - 61 und W. Jochmann, Der Antisemitismus und seine Bedeutung für den Unter- gang der Weimarer Republik. In: ders., Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870 - 1945. Hamburg 1988. S.171 - 194. Vgl. auch für die Zeit nach Kriegsende in Europa das Themenheft „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“. In: FORUM Europarat. Nr.1/2. 1984. S.I - XX. 60 . Vgl. U. Ribbert, 1981, S.9 f. 61 . Vgl. jedoch D. Tröps, 1988, S.232. 62 . Mittlerweile hat der Kreis Olpe durch das Arbeitsamt einen Antrag für eine ABM-Kraft bewilligt bekommen, die sowohl die Quellenforschung für die früheren Jahrhunderte bis hin zur Weimarer Republik voranbringen sollte als auch den Arbeitskreis „Geschichte der Juden im Kreis Olpe“ unterstützte. 63 . Vgl. D. Tröps, 1988, S.232, der sich auf B. Brilling berief. 15

me an bürgerlichen Festen, Mitgliedschaft in Kriegervereinen etc.) an 64 . Sie bildeten um die Jahrhundertwende eine lokal geachtete Minderheit. Hauptsächliche Siedlungs- schwerpunkte waren die Kleinstädte Attendorn und Olpe sowie das vom Bau der - Sieg-Bahn Jahrzehnt für Jahrzehnt mehr profitierende Altenhundem 65 . Selbst in kleineren Orten lebte man schon vor 1900 recht friedlich nebeneinan- der: In Helden war der Händler Lenneberg ab ca. 1850 ansässig, in Grevenbrück der Händler Würzburger um 1892 66 . Eine große Gruppe Juden hatte ihren Wohnsitz in Kleusheim 67 . Vor dem Ersten Weltkrieg lebten 79 jüdische Einwohner im Kreisgebiet, davon 42 in Attendorn, elf in Olpe, fünf in Elspe und 18 in Altenhundem, außerdem noch elf in Lenhausen im damaligen Kreis Meschede 68 .

- Jüdische Bürger im Kreis Olpe in der Weimarer Republik Jüdisches Privatleben der Jahrhundertwende, nicht nur auf dem Lande, spielte sich in vielen Belangen fast immer noch ohne größeren Sozialkontakt zu Nichtglau- bensgenossen ab. Andererseits gab es gerade zu dieser Zeit eine bis dahin kaum für möglich gehaltene, jüdische Assimilationsbereitschaft in Deutschland. Nach dem Ersten Weltkrieg öffneten sich zudem vorher abgekapselte Sozialgruppen mehr dem öffentli- chen Leben. Die wechselseitige Stimulanz der beiden Kulturkreise im geistigen und kulturellen Leben erreichte einen Höhepunkt, wobei die jiddische Sprache als ein zu- sätzlich einigendes Band beitrug. Doch durfte man nicht übersehen, daß sich lautstarke Minoritäten mit ihrer antisemitischen Agitation in der Öffentlichkeit ebenfalls Gehör verschafften. Die deutschen Juden selbst, aber auch einflußreiche Nichtjuden konnten sich kaum effizient und öffentlichkeitswirksam gegen deren unterschwelige Agitation zur Wehr setzen 69 . Einen, wenn auch recht unvollständigen Überblick zum jüdischen Leben im Kreis Olpe der Weimarer Zeit gibt das von Hermann Montanus (Siegen) edierte

64 . Vgl. zur integrierenden Bedeutung von Vereinen für die alltäglichen Beziehungen zwischen Juden und Christen: D. Aschoff, 1989, S.129 f. Beispielsweise wies das Mitgliederverzeichnis des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn von 1898 zwei Juden als Mitglieder aus: Nr.40 Ursell, Nr.41 Lenneberg. Vgl. Attendorn - Gestern und Heute. ... Nr.12. 1988. S.12 (Akte in: Stadt- archiv Attendorn, Archiv IV, Fach 21 Nr.3, S.32). 65 . Vgl. D. Tröps, 1988, S.232 f. 66 . Vgl. Jahresbericht der Handelskammer für das Lennegebiet des Kreises Altena und für den Kreis Olpe auf das Jahr 1892. Indust- rie- und Handelskammer - Nr.22 (Firmenregister). 67 . Vgl. N. Scheele, Geschichte des Kirchspiels Kleusheim. Olpe 1948. S.13. 68 . Vgl. Bertelsmanns Adreßbuch über die Provinz Westfalen und die Fürstentümer Lippe, Schaumburg-Lippe und Waldeck- Pyrmont. Bielefeld 1913. S.201 ff. 69 . Vgl. ähnlich M. Richarz, 1989, S.45: „Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Juden in Deutschland 1933 eine überwiegend bürgerliche Minorität bildeten, die weltanschaulich und religiös stark inhomogen war und keine Gesamtorganisation besaß. Sozial 16

„Adreßbuch des Kreises Olpe ... Ausgabe 1922“. Es wurde intensiver ausgewertet 70 , um zumindest erste Informationen über die Integration der jüdischen Bürger ins kommuna- le, wirtschaftliche und öffentliche Leben im Kreisgebiet zu erhalten. Gutnachbarliche Beziehungen (Altenhundem / Attendorn / Olpe), Vereinsmitgliedschaften (Olpe 71 / At- tendorn 72 ), Skatspielen und Kegeln mit örtlichen Honoratioren (Olpe) 73 oder die Über- nahme von kommunalen Ehrenämtern (Attendorn) waren für die jüdischen Bürger keine Seltenheit mehr. Jüdische Metzger und Viehhändler, Kaufhauseigentümer, Gewerken und Textilhändler pflegten, wie selbstverständlich, alltäglichen Verkehr mit Nichtglau- bensgenossen. Als prägnantestes Beispiel müßte für unseren Raum der Attendorner Kaufmann Karl Ursell gelten. Er war Stadtverordneter, Geschäftsführer der „Gemein- nützigen Baugenossenschaft mbH Attendorn“ und Schriftführer und auch Kassierer der Städtischen Freiwilligen Feuerwehr 74 . Der gesellschaftliche Antisemitismus des Kaiser- reiches 75 oder der Weimarer Republik war für den Kreis Olpe bisher nicht nachweisbar. Aber ein Grevenbrücker Unternehmer berief sich nach 1933 - in einem Antrag auf nati- onalsozialistische Wirtschaftsförderung - bei Landrat Dr. H. Evers darauf, daß er noch 1932 Besitzungen vor dem Zugriff des „Juden“ gerettet hätte 76 . Als Kaufleute für Manufaktur- und Modewaren, z.T. auch Weiß-, Woll- und Kurzwaren, waren in Attendorn J. Böheimer (Breite Techt 97), Edmund Cohn (Wasser- straße 9; „Größtes Lager sämtlicher Manufaktur-, Konfektions- und Schuhwaren zu bil- ligen Preisen“), Karl Ursell („Beste Einkaufsquelle für alle Manufaktur- und Modewa-

und politisch befand sie sich in gefährlicher Isolierung, wirtschaftlich wies sie die Krisensymptome des Mittelstandes auf. Den größten Reichtum dieser Minorität stellten ihre kulturellen Leistungen dar.“ 70 . H. Montanus, Adreßbuch des Kreises Olpe umfassend die Städte Attendorn und Olpe und die Ämter Attendorn, Bilstein, Drols- , , Olpe und . Auf Grund amtlichen Materials herausgegeben von H. Montanus. Ausgabe 1922. Siegen 1922. Ein Exemplar des verschollen geglaubten Adreßbuches tauchte erst Mitte 1989 nach einer Suchmeldung in den „HSO“ wieder auf. 71 . Vgl. D. Tröps, 1988, S.233. 72 . Vgl. H. Montanus, 1922, S.18 - Kassierer des Sauerländischen Gebirgsvereins, Abteilung Attendorn, war der Fabrikant Ursell. 73 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 4003. 15. November 1934 - Stellungnahme eines Olper Stadtoberinspektors auf den Vorwurf des unerlaubten Verkehrs öffentlicher Bediensteter mit Juden (Bl.3): „Der Verkehr mit Emanuel beschränkt sich seit Jahren ... auf die Teilnahme am wöchentlich einmal stattfindenden Kegelabend, zu dem sich eine Anzahl Bürger der Stadt Olpe regelmäßig einfinden. ... Ich selbst bin Mitglied des Kegelclubs seit dreißig Jahren. Von einem besonders ‘freundschaftlichen Verkehr’ mit Emanuel ist mir nichts bekannt.“; außerdem Antrag der NSDAP-Ortsgruppe Olpe an die Kreisleitung Olpe, den Stadtoberinspektor als Vorstandsmitglied der „Gemeinnützigen Baugenossenschaft für den Kreis Olpe“ auszuschließen („Sein bester Freund ist der Jude Emanuel, sowohl als Kegelbruder wie auch als Kartenspieler.“). Auf der Generalversammlung der Baugenossenschaft am 28. Dezember 1934 wurde der „Parteigenosse“ Hermann Schneider neues Vorstandsmitglied. 74 . Vgl. H. Montanus, 1922, S.14, 15 und 16. 75 . Vgl. hierzu kurz R. Rürup, 1975, S.89 - 94 (ab 1870) und S.109 - 111 (zur Systematisierung des Antisemitismus ab 1900) und M. Richarz, 1979, Bd.2, S.35 - 37 (Wirkung des Antisemitismus im Kaiserreich). 76 . Vgl. hierzu Kreisarchiv Olpe, Bestand A 3231 („... 1932 begann ‘der Jude’ die Trümmer des Werkes auszuschlachten ...“). Das Gebiet umfaßte 1932 noch 10 ha 96 ar 92 qm und wurde nach einem Eintrag 1938 als „Herrenlose Grundstücke“ geführt (Kataster- verwaltung Förde-Grevenbrück - Summarische Mutterrolle der Gemeinde Förde Artikel Nr.552 - Gräflich von Landsberg-Velen und Gemensche Chemische Fabrik, Berg- und Hüttenwerke GmbH). 17

ren“) 77 und R. Lenneberg (Wasserstr.; „Modernes Kaufhaus und Möbelhandlung“) und in Olpe J. Lenneberg (Kölner Str.7) ansässig 78 . In Olpe (Kölner Str.4) und Grevenbrück (Hauptstraße 136, Telefon 115; „Kaufhaus für Lebensmittel, Kolonialwaren, Delikates- sen, Konserven, Weine. Eigene Kaffeerösterei. Größtes und leistungsfähigstes Haus am Platze“) bestanden Filialen eines Rheinisch-Westfälischen Kaufhauses Heinrich Runz- heimer 79 . Als Viehhändler und z.T als Metzger hatten sich Aron Neuhaus (Hundemstr.29), Witwe Feist Neuhaus (Hundemstr.28) und Abraham, Heinrich und Kurt Winter (Hun- demstr.27) in Altenhundem, Albert Guthmann in Attendorn und Julius Emanuel (Bahn- hofstr.7) in Olpe niedergelassen 80 . In Olpe führte Hanna Emanuel in der Felmickestra- ße.19 eine Leihbücherei 81 . In Attendorn leitete Heinrich Hamburger das „Restaurant zum Attahügel“ 82 . Die jüdischen Industriebetriebe A.A. Ursell GmbH in Attendorn (Kölner Land- straße) und die Fa. Wolf, Netter & Jacobi mit Niederlassungen in Maumke und Fin- nentrop galten als wirtschaftlich gesunde, mittelständische Unternehmen 83 . Dem Finanzamt Olpe gehörten im Einkommenssteuer-Ausschuß (neun Mitglie- der, neun Stellvertreter) Kaufmann Karl Ursell als Mitglied und Fabrikant Albert Ursell als Stellvertreter und im neunköpfigen Gewerbesteuer-Ausschuß Kaufmann Hermann Stern als Mitglied an 84 . In Altenhundem bestand eine jüdische Schule mit dem Lehrer Abt 85 . Nach außen vermittelte die gesellschaftliche Situation zwischen Juden und Christen das Bild harmonischen Zusammenlebens - fast ohne Reibungen. Die jüdischen Bürger schienen kulturell und staatsbürgerlich angenommen, sah man einmal von den geringen Möglichkeiten des gesellschaftlichen Engagements in Vereinen ab, bei denen

77 . K. Ursell war 1925 motorisiert. Vgl. den Aufruf zum „verlorengegangenen Führerschein“ Lfd.Nr. IX 26261 (In: Amtsblatt der Regierung zu Arnsberg mit öffentlichem Anzeiger. Stück 10. 7. März 1925. S.55). 78 . Vgl. H. Montanus, 1922, S.61, 239 und 243. 79 . Vgl. H. Montanus, 1922, S.118 und 232. 80 . Vgl. H. Montanus, 1922, S.53, 162, 165, 217 und 267. 81 . Vgl. H. Montanus, 1922, S.53. 82 . Vgl. H. Montanus, 1922, S.220. 83 . Vgl. H. Montanus, 1922, S.267. Vgl. G. Kratzsch, Der Gauwirtschaftsapparat der NSDAP. Menschenführung - „Arisierung“ - Wehrwirtschaft im Gau Westfalen - Süd. Eine Studie zur Herrschaftspraxis im totalitären Staat. Mümster 1989. (=Veröffentlichun- gen des Provinzialinstituts für westfälische Landes- und Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen - Lippe, Bd.27). S.172: „... in Finnentrop das Blechwalzwerk mit Verzinkerei ... hatte 1.100 Arbeiter. ... (Es) hatte seit 1933 einen bedeutenden Auf- schwung genommen und war vergrößert worden. Es wurden gute Löhne gezahlt, und die Betriebsleitung war ausgesprochen sozial eingestellt. Die Fabrik war sehr gut beschäftigt, machte entsprechende Umsätze und Gewinne.“ 84 . Vgl. H. Montanus, 1922, S.13. 85 . Vgl. H. Montanus, 1922, S.157. 18

ihnen, z.T. schon aus konfessionellen Gründen, der Zugang unmöglich war. Hierzu merkte aber schon D. Tröps kritisch an 86 : „Umgekehrt hat man in unserer Region den Juden die Integration in den 20er Jahren, von Ausnahmen abgesehen, auch nicht leicht gemacht. Zu den christlichen Vereinen und Organisationen erhielten sie keinen Zutritt. Auch in den Clubs, in denen sich die höheren Gesellschaftskreise zusammenfanden, wurden sie nicht aufgenommen, ebenso nicht in Karnevalsvereinen 87 . Eines der wenigen Gegenbeispiele existiert in Olpe mit der Aufnahme von Mitgliedern der Familie Lenneberg in den Sauerländischen Gebirgsverein (SGV), Abtei- lung Olpe 88 . Isaak Lenneberg gehörte am 20. September 1890 sogar zu den Mitbegründern der Abteilung. Im Mitgliederverzeichnis von 1914 bis ein- schließlich 1928 sind Isaak und Julius Lenneberg als Mitglieder aufgeführt. Ab 1929 auch noch Hermann Lenneberg. Am 4. Dezember 1930 wird anläßlich des 40-jährigen Jubiläums Isaak Lenneberg Ehrenmitglied der Abteilung. Auch der Olper Metzgermeister Julius Emanuel wird 1931 neues Mitglied. Erst 1936 werden sie mit dem Hinweis ‘nichtarisch’ beim SGV in Hagen abgemeldet.“

Das „Sauerländische Volksblatt“ brachte erste antisemitische Äußerungen von NS-Aktivisten auf Reichsebene am 7. Mai 1926 und vereinzelt bis 1933, jedoch ohne großen Kommentar oder Kritik, sondern als reine Information, während man sich ge- genüber anderen nationalsozialistischen Äußerungen und Aktionen kaum zurückhielt 89 . Auch nach Befragen von Zeitzeugen konnte Kreisarchivar D. Tröps keine „öffentlichen Anfeindungen oder gar Aktionen ... vor 1933 im Kreisgebiet“ gegen Juden nachweisen. Nur vereinzelt wurde angedeutet, daß einige Abneigung gegen die Juden gehabt hätten. Begründet wurde das mit Sozialneid, weil sich mancher Einwohner des Kreises in der Weltwirtschaftskrise bei den jüdischen Kaufleuten und Händlern verschuldet hatte 90 . Analog zu reichsweiten Entwicklungen, z.T. jedoch wesentlich weniger ausge- prägt, bestimmten auch im Kreis Olpe bis zum Ende der 1930er Jahre Phänomene wie sozialer Aufstieg, Urbanisierung und Rückgang der Kinderzahl die Grundstrukturen privaten und öffentlichen Lebens der Juden. Selbst deutsche Kulturwerte waren für viele Juden integraler Bestandteil ihrer geistigen Welt, was - anderswo im Deutschen Reich - bis zur Selbstverleugnung der eigenen Kulturtradition führen konnte. Dennoch zeichne- ten sich die Juden immer noch als klar erkennbare Sozialgruppe durch primäre Kennzei- chen wie Abstammung, Tradition und Religion und erworbene sekundäre Merkmale wie

86 . D. Tröps, 1988, S.233. 87 . Vgl. U. Ribbert, 1981, S.11. 88 . Vgl. Schreiben des Sauerländischen Gebirgsvereins, Abteilung Olpe, vom 17. März 1982 an den Arbeitskreis „Geschichte der Juden im Kreis Olpe“ der Volkshochschule des Kreises Olpe (Zitiert nach: D. Tröps, 1988, S.233). 89 . Vgl. allgemein zur Haltung der katholischen Presse gegenüber den jüdischen Mitbürgern in der Weimarer Republik: W. Hannot, Die Judenfrage in der katholischen Tagespresse Deutschlands und Österreichs 1923 - 1933. Mainz 1990. 90 . Vgl. D. Tröps, 1988, S.235. 19

demographisches Verhalten, Sozial- und Berufsstruktur aus 91 . Gerade in ihrer spezifi- schen Berufsgliederung zeigte sich bei den Juden seit dem 19. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Republik eine gewisse Kontinuität. In vier Sektoren waren sie reichsweit überproportional vertreten: - freie Berufe, - Bankwesen, - Warenhandel (bes. Beklei- dung), - Vieh- und Landproduktenhandel 92 . Im Kreis Olpe gab es nur Angehörige der beiden letzten Sektoren. Die Nationalsozialisten heizten unterschwelig vorhandene Aversionen gegen die jüdischen Bürger bewußt weiter auf. Sie wollten zuerst einmal einen antisemitischen Konsens in der von ihnen angestrebten „Volksgemeinschaft“ schaffen, um eine Aus- grenzung der Juden aus der Gesellschaft zu erreichen und eine dauernde Erniedrigung jüdischen Selbstwertgefühls herbeizuführen. Sie setzten die Zeichen auf Sturm 93 . Die vermeintliche Integration der Juden in der Weimarer Republik erwies sich bald nach 1933 als irreal und trügerisch 94 . Zwar gab sich mancher Jude noch der Illusion hin, daß alles so schnell vergehen würde, wie es gekommen war. Aber die Alltagsrealität ließ keine Windstille aufkommen. Die Nationalsozialisten hielten sich erst gar nicht mit ge- nuinen theoretischen Beiträgen zum Rassenantisemitismus auf, sondern setzten schon Vorhandenes radikal bis zur bewußten biologischen Vernichtung des europäischen Ju- dentums in die Tat um.

91 . Vgl. H. Greive, Sozialer Wandel und Gruppenidentität der Juden. In: K. Düwell, W. Köllmann, (Hgg.), Rheinland - Westfalen im Industriezeitalter. Bd.2. Von der Reichsgründung bis zur Weimarer Republik. Wuppertal 1984. S.107 - 119; ders., Die politische und nationale Identität der deutschen Juden. In: Militärgeschichtliches Forschungsamt, (Hg.), Deutsche jüdische Soldaten 1914 - 1945. Freiburg 1981. S.74 - 83; P. Gay, In Deutschland zu Hause ... Die Juden der Weimarer Zeit. In: A. Paucker, (Hg.), Die Juden im Nationalsozialistischen Deutschland - The Jews in Nazi 1933 - 1943. Tübingen 1986. S.31 - 43; W.E. Mosse, German Jews: Citizens of the Republic. In: Ebda. S.45 - 54; ders., Der Niedergang der Weimarer Republik und die Juden. In: ders., (Hg.), 21966, S.3 - 49 und E.G. Lowenthal, Die Juden im öffentlichen Leben. In: Ebda. S.51 - 85. 92 . Vgl. zuerst A. Barkai, Die sozio-ökonomische Situation der Juden in Rheinland-Westfalen zur Zeit der Industrialisierung (1850 - 1910). In: K. Düwell, W. Köllmann, (Hgg.), Bd.2, 1984, S.86 - 106; außerdem noch E. Bennathan, Die demographische und wirt- schaftliche Struktur der Juden. In: W.E. Mosse, (Hg.), 21966, S.87 - 131; A. Marcus, Zur wirtschaftlichen Lage und Haltung der deutschen Juden. In: Bulletin des Leo Baeck Instituts. 18. 1979. N.F. Nr.55. S.16 - 34 (Zeitraum: Mitte bis Ende der 20 er Jahre); D.L. Niewyk, The Impact of Inflation and Depression on the German Jews. In: Year Book of the Leo Baeck Institute. XXVIII. 1983. S.19 - 36; U.O. Schmelz, Die demographische Entwicklung der Juden in Deutschland von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1933. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft. 8. 1982. H.1. S.31 - 72; H.A. Winkler, Die deutsche Gesellschaft der Weimarer Republik und der Antisemitismus. In: B. Martin, (Hg.), Die Juden als Minderheit in der Geschichte. München 1981. S.271 - 289 (Sozialprofil der Juden in der Weimarer Republik: S.275 ff.). 93 . Schon in der Weimarer Republik hatte der ideologische Antisemitismus der Nationalsozialisten für die Binnenintegration der nationalsozialistischen Bewegung zu dienen, während er bei der Wählermobilisierung eher zurücktrat (H.A. Winkler, 1981, S.286). Vgl. zum Antisemitismus als bedeutender Kern nationalsozialistischer Weltanschauung, z.T. mit psychologischen Deutungsansät- zen: B. Martin, 1981, S.294 - 301; außerdem kurz und prägnant zur Rassenlehre des Nationalsozialismus: W. Scheffler, Judenver- folgung im Dritten Reich. Berlin 1964. (=Zur Politik und Zeitgeschichte, 4). S.13f.: „Als logische ... Konsequenz blieb nur: die biologische Ausrottung des Judentums. ... Die logischen Konsequenzen dieser Ideologie wurden allein vom Nationalsozialismus mit der Perfektion eines totalitären Staates in die Tat umgesetzt.“ 94 . Vgl. F. Golczewski, Die abgewiesene Integration. In: K. Düwell, W. Köllmann, (Hgg.), Bd.2, 1984, S.120 - 126 und R. Rürup, Das Ende der Emanzipation: Die antijüdische Politik in Deutschland von der „Machtergreifung“ bis zum II. WK. In: A. Paucker, (Hg.), 1986, S.97 - 124. 20

Mit seinem „epigonalen Antisemitismus“ gelang es A. Hitler, breite Bevölke- rungskreise anzusprechen. Die Resonanz führte R. Rürup auf mehrere, einander z.T. beeinflussende Faktoren und Konstellationen zurück 95 : • „Hitler hat die Theorie des Antisemitismus konsequent systematisiert. Dem ‘älteren Scheinantisemitismus, der fast schlimmer war als überhaupt keiner’, wurde von Hitler ein ‘wissenschaftlicher Antisemitismus’ entgegengestellt. Seine ‘Wissenschaftlichkeit’ wurde gesichert durch den Einbau in eine radi- kale Rassentheorie mit universalem Anspruch. Die Rassentheorie wurde zur einzigen Basis des Antisemitismus gemacht. • Der Antisemitismus der nationalsozialistischen Politik sollte nicht mehr ‘weltanschaulich’ unverbindlich sein, sondern er sollte sich auszeichnen durch Konsequenz und Praxis, d.h. ‘auf die Entfernung der Juden überhaupt zielen’. • Schließlich gab Hitler dem Antisemitismus einen anderen und neuen Stellen- wert, indem er die ‘Judenfrage’ ins Zentrum seines Kampfes rückte. Er ver- suchte gerade mit dem Antisemitismus ‘dem deutschen Volk in dieser Frage den großen, einigenden Kampfgedanken zu schenken’. ... • Der Antisemitismus wurde zum Bestandteil eines umfassenden politischen Konzepts. ... • Der Antisemitismus bekam im Nationalsozialismus eine weltgeschichtliche Dimension im Sinne eines manichäischen Weltbildes.“

- Juden im Kreis Olpe zur Zeit des Nationalsozialismus 96 Wie in anderen katholischen Regionen, Kreisen oder Städten herrschte auch im Kreis Olpe sowohl bei vielen „Honoratioren“ wie in der Bevölkerung - z.T. noch heute - die Meinung vor, unter dem mäßigenden Einfluß der katholischen Kirche könnte die Judenverfolgung „gar nicht so schlimm“ gewesen sein97 . Das war, ist und bleibt ein

95 . R. Rürup, 1975, S.112 f. 96 . Vgl. einführend zum jüdischen Leben in der NS-Zeit: P. Steinbach, Politische Herrschaft durch „Gleichschaltung“. Terror, Angst und Anpassung in den Jahren 1933/34. In: K. Megerle, (Hg.), Warum gerade die Nationalsozialisten? Berlin 1983. S.196 - 238; B.G. Ginzel, Jüdischer Alltag in Deutschland 1933 - 1945. Düsseldorf 1984; I. Schorsch, German Judaism: From Confession to Culture. In: A. Paucker, (Hg.), 1986, S.67 - 73; W. Benz, (Hg.), Die Juden in Deutschland 1933 - 1945. Leben unter nationalsozia- listischer Herrschaft. München 1988; G. Plum, Deutsche Juden oder Juden in Deutschland? In: Ebda. S.35 - 74; V. Dahm, Kulturel- les und geistiges Leben. In: Ebda. S.75 - 267; D. Diner, Rassistisches Völkerrecht. Elemente einer nationalsozialistischen Weltord- nung. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 37. 1989. Heft 1. S.23 - 56 und F.R. Nicosia, Ein nützlicher Feind. Zionismus im nationalsozialistischen Deutschland 1933 - 1939. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 37. 1989. Heft 3. S.367 - 400. 97 . Das Problem kirchlicher Judenfeindlichkeit kam im Kreis Olpe - den zugänglichen Quellen nach zu urteilen - nicht zum Tragen. Andererseits traten die Kirchenoberen, der niedere Klerus und kaum einer der Katholiken „vor Ort“ aus moralischem Verantwor- tungsgefühl gegenüber seinem Mitmenschen für die verfolgten Juden ein. Vgl. zum problematischen Verhältnis beider christlicher Konfessionen gegenüber dem Judentum: W.P. Eckert, E.L. Ludwig, (Hgg.), Judenhaß - Schuld der Christen?! Versuch eines Ge- sprächs. Essen 1964; G.B. Ginzel, Auschwitz als Herausforderung für Juden und Christen. Heidelberg 1980; H. Greive, Between Christian Anti-Judaism and National Socialist Antisemitism: The Case of German Catholicism . In: O.D. Kulka, P.R. Mendes-Flohr, (Hgg.), Judaism and Christianity under the Impact National Socialism. Jerusalem 1987. S.169 - 179; ders., Katholiken und Juden im Dritten Reich. In: P. Boonen, (Hg.), Lebensraum Bistum Aachen. Aachen 1982. S.177 - 192; ders., Die nationalsozialistische Judenverfolgung und Judenvernichtung als Herausforderung an Christentum und Kirche. In: G.B. Ginzel, Auschwitz als Herausforderung für Juden und Christen. Heidelberg 1980. S.205 - 228; ders., Theologie und Ideologie. Katholizis- mus und Judentum in Deutschland und Österreich 1918 - 1935. Heidelberg 1969; R. Gutteridge, German Protestantism and the Jews in the Third Reich. In: O.D. Kulka, u.a., (Hgg.), 1987, S.227 - 249; ders., Open Thy Mouth For The Dumb! The German Evangelical Church and the Jews 1879 - 1950. Oxford 1976; J. Katz, Christian-Jewish Antagonism on the Eve of the Modern Era. In: O.D. Kulka, u.a., (Hgg.), 1987, S.27 - 34; E. Klee, Verfolgung als Mission. Die Bekennende Kirche akzeptierte Hitlers Rassen- ideologie. In: Die Zeit. Nr.46. 10. November 1989. S.89; ders., „... vor Menschen mehr gefürchtet als vor dem lebendigen Gott“. Die Kirchen im Kampf gegen die Juden. In: ders., „Die SA Jesu Christi“. Die Kirche im Banne Hitlers. Frankfurt/M. 1989. S.105 - 167; H.-J. Kraus, Kirchen und Parteien zur Judenfrage: Die evangelische Kirche. In: W.E. Mosse, (Hg.), 21966, S.249 - 270; O.D. Kulka, Popular Christian Attitudes in the Third Reich to National Socialist Policies towards the Jews. In: ders., u.a., (Hgg.), 1987, 21

Trugschluß! Zumindest für das Schicksal des einzelnen Juden war das Resultat - wie überall - das gleiche! Für die meisten führte der Leidensweg - auch von hier - letztend- lich direkt in die Todeskammern der Konzentrationslager! Selbst wem es gelang auszu- wandern, der überantwortete sich und seine Angehörigen - zumindest vorübergehend - einem ungewissen Schicksal und der Unsicherheit, dem Elend, der Not und der Armut des Exils. Zumeist kam es zu einer vollständigen, endgültigen Ablösung von der deut- schen Gesellschaft. Sie entwurzelte manchen Juden nicht nur wirtschaftlich, sondern auch - individuell oft tiefer rührend - sozial und kulturell. Wer vor 1933 nie an Auswan- derung dachte 98 , mußte sich von Jahr zu Jahr mehr damit konfrontiert sehen 99 . Selbst die Übertritte zur evangelischen und katholischen Kirche halfen oft recht wenig, obwohl zwischen 1933 und 1939 reichsweit fast 4.000 Juden zunächst einmal versuchten, den nationalsozialistischen Häschern auf diesem Wege zu entkommen 100 . Im Kreis Olpe gelang es den Nationalsozialisten kaum, durch Einzelaktionen eine Massenmobilisierung gegen die jüdischen Mitbürger herbeizuführen. Das bedeutete aber nicht, daß nicht eine größere Bandbreite im Verhalten der Katholiken zur „Juden- frage“ vorhanden war oder der Antisemitismus prinzipiell abgelehnt wurde. Es lag hauptsächlich daran, daß ein brutales Vorgehen gänzlich im Widerspruch zum tradierten Verhaltenskodex des katholischen Milieus stand. Man muß jedoch beachten, daß zu- mindest einem Trend zum „Wegsehen“ im Laufe der Jahre Vorschub geleistet wurde, so daß die Nationalsozialisten auf lange Sicht doch erfolgreich waren. Zudem zeitigte der mit gesetzlichen Regelungen forcierte Druck, besonders bei jüdischen Gewerbetreiben-

S.251 - 267; R. Lill, Die deutschen Katholiken und die Juden in der Zeit von 1850 bis zur Machtübernahme durch Hitler. In: K.H. Rengstorf, S.v. Kortzfleisch, (Hgg.), Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Stuttgart 1970. S.370 - 420; ders., German Catholicism’s Attitude towards the Jews in the Weimar Republic. In: O.D. Kulka, u.a., (Hgg.), 1987, S.151 - 168; P.R. Mendes-Flohr, Ambivalent Dialogue: Jewish-Christian Theological Encounter in the Weimar Republic. In: Ebda. S.99 - 132; K. Repgen, German Catholicism and the Jews: 1933 - 1945. In: Ebda. S.197 - 226; K. Scholder, Judaism and Christian- ity in the Ideology and Politics of National Socialism. In: Ebda. S.183 - 195; L. Siegele-Wenschkewitz, The Relationship between Protestant Theology and Jewish Studies during the Weimar Republic. In: Ebda. S.133 - 150; U. Tal, Aspects of Consecration of Politics in the Nazi Era. In: Ebda. S.63 - 95; B.v. Schewick, Katholische Kirche und Judenverfolgung - Deutschland zwischen 1933 und 1945. In: Thomas-Morus-Akademie Bensberg, (Hg.), 1980, S.129 - 146; K. Thieme, Kirchen und Parteien zur Judenfrage: Deutsche Katholiken. In: W.E. Mosse, (Hg.), 21966, S.271 - 288 und L. Volk, Episkopat und Kirchenkampf im Zweiten Weltkrieg. II. Judenverfolgung und Zusammenbruch des NS-Staates. In: D. Albrecht, (Hg.), Katholische Kirche und Nationalsozialismus. Ausgewählte Aufsätze von L. Volk. Mainz 1987. S.98 - 113. 98 . Vgl. M. Richarz, 1982, Bd.3, S.46: „Je politisch konservativer der einzelne Jude war, desto später bemerkte er im allgemeinen die Gefahr, die von der nationalsozialistischen Politik ausging, weil gemeinsame Grundauffassungen antidemokratischen Denkens ihn über die zentrale Funktion des Antisemitismus hinwegsehen ließen.“ 99 . Vgl. W. Benz, Realität und Illusion: Die deutschen Juden und der Nationalsozialismus. In: ders., Herrschaft und Gesellschaft im nationalsozialistischen Staat. Frankfurt/M. 1990. S.112 - 144 und H.A. Strauss, Jewish Emigration from Germany. Nazi Policies and Jewish Responses. (Part I and II). In: Year Book of the Leo Baeck Institute. XXV. 1980. S.313 - 358 (I) und XXVI. 1981. S.343 - 409 (II / bes. S.339 ff.: Zahlenangaben zur reichsweiten beruflichen Ausgrenzung der Juden in allen Sektoren); M. Richarz, 1982, Bd.3, S.50 und 52 (NS-Isolierung der Juden auf dem Lande und das Problem der Auswanderung). 22

den, nach und nach mehr Wirkung 101 . Man konnte aber kaum einen, in benachbarten Regionen schon vor und in der Weimarer Republik vorhandenen, radikalen Antisemi- tismus dafür verantwortlich machen. Wesentlich einleuchtendere Erklärungen formulierte H. Conrad für die Drangsa- lierung und Entrechtung jüdischer Familien im ländlichen Westfalen 102 : „Für das, was nach 1933 geschah, ist der Antisemitismus der Jahrzehnte davor oft als Vorgeschichte bemüht worden. Bei der Durchsicht kommunaler Akten gewinnt man jedoch eher den Eindruck großer Willkür bei der völligen Entrechtung der jüdischen Minderheit. Wenn in einer kleinen Kommune mit etwa vier bis fünf jüdischen Familien in der Kaiser- und Weimarer Zeit in den Akten kaum Vorgänge verzeichnet sind und nun plötzlich gleich zwei umfang- reiche Stehordner entstehen, so ist dieser Vorgang an sich schon erschreckend genug. Wenn eine praktisch in das bürgerliche Leben integrierte Minderheit, bei der es schon sehr schwer fiel zu definieren, was denn nun eigentlich typisch und so anders war, schrittweise in einen völlig rechtlosen Zustand versetzt worden ist, reicht für die Erklärung ein immer schon vorhanden gewesener An- tisemitismus nicht mehr aus. Die Judenakten der nationalsozialistischen Zeit in einer Kommune spiegeln in der Regel eine unreflektierte Akzeptanz und Be- reitwilligkeit der Verwaltung bei der administrativen Umsetzung der patholo- gischen Ideen weniger. Die Emanzipation, die ‘bürgerliche Verbesserung’ der Juden scheiterte nicht nur, sie führte zu einem Kollaps der bürgerlichen Ord- nung selbst.“ Die Nationalsozialisten förderten dies bewußte Zerstören von alltäglichen jüdi- schen Sozialbeziehungen. Die Kontaktvermeidung unter Zwang führte mehr und mehr zur sozialen Entfremdung und letztlich zur totalen Absonderung, die „die Sozialbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden bis zur völligen Segre- gation veränderte ... Es war die Abwendung der Mehrheit von der Minderheit, dieser schweigende Antisemitismus, der die folgenden Verbrechen erst möglich werden ließ“ 103 . Selbst im deutschen Widerstand war später die Haltung zu den Juden und ein Eintreten für sie eher indifferent 104 . Durch das nationalsozialistische Zurücknehmen der rechtlichen Emanzipation galten die deutschen Juden nur noch als „Fremde“. Sie hatten ihre deutsch-jüdische Identität abzulegen. Um die jüdische Minorität gänzlich zu isolie-

100 . Vgl. Evangelisches Zentralarchiv Berlin, Bestand B 19. Bl.123 f. - Übertritte von Juden zur evangelischen Kirche (1933: 933; 1936: 323; 1937: 250; 1938: 349; 1939: 233) und zur katholischen Kirche (1933: 304; 1934: 234; 1935: 193; 1936: 149; 1937: 95; 1938: 277; 1939: 358). 101 . Einen bedrückenden Überblick zu den gesetzlichen Regelungen gegen die jüdische Minderheit - annähernd zweitausend Geset- ze, Erlasse, kommunale Einschränkungen - gab: J. Walk, Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzli- chen Maßnahmen und Richtlinien - Inhalt und Bedeutung. Heidelberg - Karlsruhe 1981. Vgl. auch als lokales Beispiel: B. Hoff- mann, Die Ausnahmegesetzgebung gegen die Juden von 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Synagogengemeinde Köln. Diss.iur. 1962; außerdem informativ: J. Moser, Die Entrechtung der Juden im Dritten Reich. Diskriminierung und Terror durch Gesetze, Verordnungen, Erlasse. In: W. Pehle, (Hg.), Der Judenpogrom 1938. Frankfurt/M. 1988. S.118 - 131. 102 . H. Conrad, 1989, S.358 (Hervorhebung AMK). 103 . M. Richarz, 1982, Bd.3, S.55 f. Sie verwies darauf, daß gerade dieser Bereich in der Forschung bis heute kaum die notwendige Beachtung gefunden hatte. 104 . Vgl. Ch. Dipper, Der Widerstand und die Juden. In: J. Schmädeke, P. Steinbach, (Hgg.), Der Widerstand gegen den Nationalso- zialismus. München - Zürich 1985. S.598 - 616. 23

ren, lief parallel zur rechtlichen 105 die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ausgren- zung 106 . Die Nationalsozialisten wollten den Juden das Gefühl der Recht- und Wehrlo- sigkeit vermitteln und sie öffentlich brandmarken. Drastisch steigerten sie daher mate- rielle Not und physischen Druck. Mitte 1938 hatten - gegenüber 50.000 jüdischen Ge- schäften 1933 - nur noch 20 Prozent jüdische Besitzer. Zumeist war der Umsatz äußerst gering. Die Judenverfolgung und -vernichtung in der NS-Zeit erfolgte in sechs Etappen 107 : • 30. Januar - Juli 1933 hauptsächlich Übergriffe von SA und „Alten Kämpfern“; „Boykott“-Aktion vom April 1933 • Sommer 1933 verstärkt lokale Aktivitäten (besonders brutal: SA) • April - September 1935 im April: Straßenterror im September: „Nürnberger Gesetze“ • Herbst 1937 - November 1938 wirtschaftliche Ausgrenzung / Forcieren der „Arisierung“ • 9./10. November 1938 November-Pogrom / „Reichskristallnacht“ • 1. Oktober 1941 Verbot der Emigration / „Endlösung“.

- Die Boykott-Aktion vom April 1933 und die allmähliche Einschränkung jüdischen Lebens bis zu den „Nürnberger Gesetzen“ Im gesamten Deutschen Reich versuchten die Nationalsozialisten, besonders aber die SA und mancher „alte Kämpfer“, nach der Machtergreifung mit allen Mitteln die politische, rechtliche und moralische Diskriminierung der jüdischen Mitbürger vor- anzutreiben und sie in der Bevölkerung möglichst schnell in Mißkredit zu bringen. Die

105 . Vgl. z.B. zur wachsenden Rechtsunsicherheit für die Juden: J.H. Kumpf, Die Finanzgerichtsbarkeit im Dritten Reich. In: B. Diestelkamp, M. Stolleis, (Hgg.), Justizalltag im Dritten Reich. Frankfurt/M. 1988. S.81 - 100; R. Schröder, Der zivilrechtliche Alltag der Volksgenossen. Beispiele aus der Praxis des Oberlandesgerichts Celle im Dritten Reich. In: Ebda. S.39 - 62, bes. S.47 ff. („Die Behandlung der Juden im Zivilrecht“) und L. Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933 - 1945. Anpassung und Unterwer- fung in der Ära Gürtner. München 1988. (=Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd.28). S.484 - 496 („Justiz und Reichs- kristallnacht vom 9./10. November 1938“) und B. Martin, 1981, S.301 - 304 (Von der juristischen Diskriminierung zur planmäßi- gen Vernichtung: Die nationalsozialistische „Lösung der Judenfrage“). 106 . Vgl. zuerst A. Barkai, Vom Boykott zur „Entjudung“. Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich 1933 - 1943. Frankfurt/M. 1987/88. 24

niveaulosesten und brutalsten Mittel schienen manchem gerade gut genug. Für die ent- sprechenden Richtlinien sorgten schnell die NSDAP-Gauleitungen, die mit Nachdruck die NSDAP-Kreisleitungen und -Ortsgruppen und, soweit schon vorhanden, weitere NS-Gliederungen sowie an staatlichen Schaltstellen sitzende NS-Funktionäre, NS- Sympathisanten und bereitwillig zu beeinflussende Opportunisten auf die notwendigen Schritte im Sinne der NS-Ideologie einzuschwören suchten. Der schon in der Weimarer Republik als Integrationsfaktor für die NS-Bewegung eingesetzte Antisemitismus mußte nunmehr massenwirksame Bedeutung erlangen und eine tragende Säule des NS-Staates werden 108 . Erster Höhepunkt reichsweiter Zugriffe auf die jüdischen Mitbürger und ihrer allmählichen Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben waren die „Boykott-Aktionen“ vom 1. April 1933. Die nach Maßgabe der NSDAP-Reichsleitung und auf Anweisung der NSDAP-Gauleitung Westfalen-Süd angezettelte „Aktion“ mußte zuerst einmal jüdi- sche Geschäfte, Rechtsanwälte und Ärzte treffen und mit „größter Disziplin“ durchge- führt werden. Auf dem Wege indirekter, wirtschaftlicher Nötigung versuchte der NS- Staat, die jüdische Bevölkerung nach und nach ihrer existentiellen Grundlage zu berau- ben. Zur Tarnung deklarierte man das Ganze als Schutz der deutschen Wirtschaft vor „Überfremdung“. Vorsorglich wurden die Landräte und Bürgermeister „vor Ort“ be- schönigend und die Sachlage verhüllen sollend darauf hingewiesen, die Gauleitung „mit größter Beschleunigung“ zu informieren, um bei den „geringsten Anzeichen ... im Ent- stehen begriffene Ausschreitungen, im Einvernehmen mit der Parteileitung“ zu unter- binden 109 . Schon 1956 vertrat H. Uhlig eindeutig die Meinung, daß „die Ereignisse im Aus- land .. der Partei .. nur als Anlaß für eine innenpolitisch orientierte Aktion gegen das Judentum“ dienten. Es „wurde zum ersten Male eine Kollektivmaßnahme mit Hilfe staatlicher Autorität praktiziert“, und „die Betroffenen gebrandmarkt durch eine allmächtige Partei, die in Deutschland die öffentliche Meinung diktierte wie noch niemals eine politische Institution“. D.h., mit „‘dieser so kurzsichtigen wie brutalen Demonstration war das Beispiel gegeben und die Methode’, so daß nach dem Abflauen

107 . Vgl. ausführlicher: H.A. Strauss, 1980, S.330 ff. 108 . Vgl. als erste Einführung zum Antisemitismus der NS-Zeit in Westfalen, zur antisemitischen Propaganda der Gaupresse und der Haltung der westfälischen Kirchen: A. Herzig, 1973, S.138 - 145. 109 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 239. Bl.1 und Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 25

der organisierten Judenboykotte Ende März / Anfang April 1933 ... arische wie nichtari- sche Warenhäuser ... unter dauerndem Druck örtlicher politischer Eingriffe, von Boy- kott- und Terrormaßnahmen (standen) ... Gauleiter, Kreisleiter, Ortsgruppenleiter und sonstige Funktionäre der ... Gliederungen der NSDAP handelten in maßloser Selbstherr- lichkeit auf eigene Faust“ 110 . Dies zeigte sich im Laufe der Jahre z.T. auch im Kreis Ol- pe. Auch hier war die April-“Aktion“ wohl schon vorab bekannt. Viele mußten es recht früh gewußt haben, wie das Altenhundemer Beispiel belegte. Der damalige katholische Jungschärler, spätere CDU-Abgeordnete und Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Willi Weiskirch, erinnerte sich 1988 111 : „‘Am Samstag bleibt unser Geschäft geschlossen!’ war eines Tages auf handgeschriebenen Zetteln an den beiden jüdischen Metzgerläden zu lesen. Und bald hatte es sich in ganz Altenhundem herumgesprochen: die SA werde am Wochenende vor Winters und Neuhaus Posten aufstellen und die Kund- schaft am Betreten der Geschäfte hindern. Meine Mutter schickte mich daher schon am Freitag zum Einkaufen. Der Laden von Aaron Neuhaus war voller Menschen. Man redete nur über ein Thema: den bevorstehenden Boykott. Neu- haus besänftigte die aufgebrachten Gemüter. Er selbst hatte den Krieg 1914 - 1918 an der Front mitgemacht und war mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. ‘Damit werden wir schon fertig’, meinte er. Er ist so wenig damit fertig geworden wie alle seine Glaubensbrüder und hat auch den Holocaust nicht überlebt. Als ich ihm an diesem Tag den Zettel reichte, auf den meine Mutter unsere Einkaufswünsche für den Sonntag aufge- schrieben hatte, gab er mir einen Stubs und sagte: ‘Willi, bleib so, wie Du bist!’ Ich habe diesen Satz nie vergessen. Am anderen Tag postierten sich uniformierte SA-Leute vor die Geschäfte mit Plakaten, die die Aufschrift trugen: ‘Deutsche, kauft nur bei Deutschen!’ Es waren Männer, die man von außerhalb herangekarrt hatte; niemand kannte sie. Sie haben sich unter den feindseligen Blicken der Altenhundemer ganz ge- wiß nicht wohl gefühlt.“

Unterkühlt, kurz und unkritisch und ohne jegliche Parteinahme für die jüdischen Mitbürger berichteten das „Attendorner Volksblatt“ und das „Sauerländische Volks- blatt“ in den Montagsausgaben vom samstäglichen Boykott, bei dem die Kunden in Ol- pe fotografiert wurden 112 , und vom Einwerfen einer Fensterscheibe - vermutlich als Fol- ge der samstäglichen Propagandakampagne - im jüdischen Geschäft Lenneberg 113 : „ Der Boykott der jüdischen Geschäfte setzte am Samstag auch in Attendorn planmäßig ein. Von den SA-Leuten wurde die Akti-

110 . Vgl. ausführlicher H. Uhlig, Die Warenhäuser im Dritten Reich. Köln - Opladen 1956. S.81, 85 und 111; ähnlich M. Richarz, 1982, Bd.3, S.41 f.: „Die Bedeutung des 1. April war weniger wirtschaftlich und außenpolitisch, sondern sie lag darin, daß hier die öffentliche Brandmarkung der Juden vollzogen wurde als erster Schritt zur rassistischen Segregation, zur gesellschaftlichen Aus- grenzung der Juden.“ 111 . Vgl. W. Weiskirch, Katholische Jugend in schwerer Zeit. In: A. Bruns, u.a., (Hgg.), 1988, S.247 f., hier S.248. 112 . Vgl. Stadtarchiv Olpe, Bestand B 889. 17. März 1947 - Der NSDAP-Kreishilfskassenobmann „hat (schon 1933) die Leute pho- tographiert, die bei Juden kauften“. 113 . Attendorner Volksblatt. Nr.40. 4. April 1933 und Stadtarchiv Attendorn, Chronik Bd.3. S.365f. 1. April 1933. 26

on durchgeführt und überwacht. Plakate mit einem den Boykott begründenden Text wurden vor den Geschäftseingängen angebracht. Die Aktion verlief ohne jede Störung. Der Verkehr in den Straßen war zwar etwas lebhafter als ge- wöhnlich, doch überzeugte sich das Publikum sehr bald davon, daß kein Grund zu sensationellen Ereignissen vorhanden war. Zu irgendwelchen Zwischenfäl- len ist es nirgendwo gekommen. - Wir wollen hoffen, daß die einmütige Abwehr der ausländischen Greuelpropaganda recht bald den Erfolg zeitigt, daß das Ausland sich besinnt und sich in die innerdeutschen Angelegenheiten nicht wei- ter einmischt. Eine Beruhigung der Gemüter liegt im Interesse der deutschen Wirtschaft und der von ihr abhängigen Existenzen.“ „ Der Boykott gegen jüdische Geschäfte wurde von der NSDAP auch im Kreise Olpe am Samstag durchgeführt. SA- Posten besetzten um 10 Uhr vormittags die Eingänge und stellten Schilder mit entsprechenden Aufforderungen an die deutschen Käufer vor den Schau- fenstern auf. Der Boykott erstreckte sich vorläufig nur auf den Samstag. Nach Anordnung der Zentralleitung des Boykotts lief der Boykott Samstag um Mit- ternacht ab. Sämtliche Plakate sind zu entfernen und der normale Zustand wieder einzuführen.“ „ Schaufenster zertrümmert - Belohnung! In der Nacht vom Sonntag auf Montag ist im Kaufhaus Lenneberg eine Schaufenster- scheibe zertrümmert worden. ... Wir möchten nicht verfehlen ... darauf hin- zuweisen, daß durch Zerschlagen von Fensterscheiben in jüdischen Geschäften nicht diese, sondern nur die Allgemeinheit und das Volksvermögen geschädigt werden. Die Scheiben sind versichert und der Betroffene erhält von der Versi- cherung kostenlosen Ersatz.“ 114

Noch in der „Attendorner Volksblatt“- und der „Sauerländisches Volksblatt“- Samstagsausgabe hatten der „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ 115 und der „Cen- tralverein Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Attendorn - Olpe“ eine große Anzeige geschaltet, in der gegen die Diffamierung angesehener jüdischer Bürger in der Öffentlichkeit, aber auch der Deutschen im Ausland protestiert wurde 116 : „An die Bürgerschaft des Kreises Olpe. Wir lehnen es auf das Entschiedenste ab, mit den im Ausland aufgestellten unwahren Behauptungen über die Vorgänge in Deutschland in Verbindung ge- bracht zu werden. Wir verurteilen mit allen jüdischen Deutschen, daß diese unwahren Behaup- tungen zu einer Boykottbewegung und Hetze gegen Deutschland benutzt wor- den sind. Wir lehnen mit allen jüdischen Deutschen jede Einmischung des Auslandes in innerdeutsche Verhältnisse auf das Entschiedenste ab. Wir haben in friedlicher Arbeit und im großen Kriege mit allen unseren Kräften unsere vaterländische Pflicht getan.“

114 . Die Anzeige der Versicherung mit dem Aussetzen einer Belohnung von 150.- RM befand sich in der gleichen „Attendorner Volksblatt“-Ausgabe. Vgl. außerdem Sauerländisches Volksblatt. Nr.81. 6. April 1933 mit zurückhaltenderer Berichterstattung. 115 . Reichsweit gehörten dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten in der Weimarer Republik 30-40.000 Mitglieder an, die sich in sechzehn Regionalsektionen und ca. 360 Lokalgruppen organisierten (R. Pierson, Embattled Veterans. The Reichsbund jüdischer Frontsoldaten. In: Year Book of the Leo Baeck Institute. XIX. 1974. S.139 - 154, hier S.141). Vgl. zuerst zur tragischen Rolle des Verbandes (Bejahen des Führerprinzips, Abgrenzen von den Ostjuden, Angebot aktiver Mitarbeit etc.): R. Pierson, 1974, S.139 - 154; R. Vogel, Ein Stück von uns - 1873 - 1976. Deutsche Juden in deutschen Armeen. Mainz 1977 und Militärgeschichtliches Forschungsamt, (Hg.), Deutsche jüdische Soldaten 1914 - 1945. Freiburg 1981. 116 . Attendorner Volksblatt. Nr.39. 1. April 1933 und Sauerländisches Volksblatt. Nr.76. 31. März 1933. 27

Eine weitere Anzeige im „Sauerländischen Volksblatt“ gab die Telegramme des Verbandes Deutscher Kauf- und Warenhäuser 117 und des Generaldirektors der jüdischen Leonhard Tietz AG wieder und wandte sich gegen die „Greuelpropaganda des Auslan- des“. Es wurde sogar von jüdischer Seite versucht, die Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten wegen eines übermäßigen jüdischen Engagements im Wirtschaftsle- ben des Deutschen Reiches, zumindest als z.T. berechtigt, nie geschehen oder inner- deutsche Angelegenheit herunterzuspielen. So waren selbst in der Provinzpresse, wie hier im „Sauerländischen Volksblatt“, zur „Information“ der teilweise beunruhigten Bevölkerung, Anzeigen geschaltet 118 : „Deutsche Kauf- und Warenhäuser protestieren aufs schärfste gegen die Greuelpropaganda des Auslandes und verurteilen mit aller Entschiedenheit die ausländischen Lügenmeldungen. Die deutschen Warenhäuser haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die hetzerischen Verleumdungen des Auslandes zum Schweigen zu bringen. Folgendes Telegramm richtete der Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser an die Internationale Handelskammer Paris, an den Amerikanischen Warenhausverband (National Retail Dry Goods Association, New York), an den englischen Warenhausverband (Incorporated Association of Retail Distributors, London) und an den Schweizerischen Warenhausverband Zürich: ‘Im Ausland verbreitete Meldungen über Störungen des Geschäftsle- bens unserer Mitgliedsfirmen sind Lügen und deshalb aufs schärfste zurückzu- weisen. Sie gefährden die bestehende Ruhe und Ordnung. Bitten um nach- drückliche Aufklärung der Öffentlichkeit.’ Telegramm des Generaldirektors der Leonhard Tietz AG, Alfred Leonhard Tietz, an die Internationale Warenhaus-Vereinigung in Paris: ‘Drahtet allen Mitgliedern: Erbitten dringend, dortige Presse und Öffentlichkeit aufzuklären, daß alle Greuelmeldungen und Nachrichten über Ausschreitungen in Deutsch- land lügenhaft sind. Mit allen Mitteln auf Unterlassung sinnloser Hetze hin- wirken, die unser Ansehen und die hier überall vorhandene Ruhe und Ordnung gefährden.’ Telegramme des Generaldirektors der Leonhard Tietz AG, Alfred Leonhard Tietz, an Herbert Lehman, Gouverneur des Staates New York, Albany, an Leh- man-Brothers New York und an Speyer & Co. New York: ‘Bitte dringend alles zu veranlassen, um Hetzartikeln und Propagandaversammlungen wegen soge- nannter Greueltaten insbesondere gegen Juden in Deutschland sofort entge- genzutreten. Tatsächlich herrscht hier völlige Sicherheit für Leben und Eigen- tum, die nur gefährdet wird, wenn sinnlose und unwahre Propaganda andau- ert.’ Die Telegramme wurden aufgegeben am Montag, den 27. März 1933.“

Die „völlige Sicherheit für Leben und Eigentum“ der Juden, im März 1933 noch als gegeben hingestellt, war eher der Versuch jüdischer Selbstberuhigung. Denn ein wei-

117 . Vgl. H. Uhlig, 1956, S.15 und 20. Schon vor 1914 hatte eine „tendenziöse Kritik“ die Warenhäuser als „Prototyp eines wurzel- losen kapitalistischen Gewinnstrebens“ angegriffen. Die nationalsozialistische Propaganda übernahm dies auf „primitivste“ Weise. „Alte Ressentiments, persönliche Unzufriedenheit mit dem eigenen Schicksal und mit der Lage nach dem I.WK. verwoben sich bei vielen mit dem antikapitalistisch-antisemitischen Affekt zu einem sehr engen, tendenziösen Weltbild“ (Ebda. S.21). Vgl. noch bes. Paragraph 16 des NSDAP-Parteiprogramms und die spätere Interpretation. 118 . Sauerländisches Volksblatt. Nr.76. 31. März 1933. 28

terer Schritt zur jüdischen Entrechtung folgte kurz darauf. Das Gesetz zur Wiederher- stellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 ließ nur noch jüdische Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs als Beamte zu, und dies auch nur nach Intervention des „Jüdi- schen Frontkämpferbundes“ während der Gesetzesberatung 119 . Wie man sieht, hatten die Nationalsozialisten die Weichen längst reichsweit auf Ausgrenzung gestellt. Diesmal betraf es noch keinen jüdischen Bürger im Kreis Olpe. Aber selbst im katholischen Mi- lieu stellte man sich in den Verwaltungen früh auf kommende Eventualitäten ein. Im Frühjahr 1933 legte der Kreisausschuß des Kreises Olpe eine eigene Akte mit dem eu- phemistischen Titel „Maßnahmen zum Schutze des nationalsozialistischen Staates ge- gen Juden“ an 120 . In Olpe bot der lokalen SA das Hissen der schwarz-weiß-roten Reichsflagge durch die jüdischen Geschäfte Emanuel und Lenneberg auf Schützenfest einen will- kommenen Anlaß zur Agitation. Die vom örtlichen SA-Truppführer geleitete „Boy- kott“-Aktion fand zudem auf Anordnung der SA-Sturmbannführung statt 121 . Mit sechs SA-Leuten lief am 17. Juli 1933 während des gleichzeitig stattfindenden Saison-Schluß- verkaufs die Einschüchterungsaktion 122 gegen dort einkaufende Bürger ab. Dabei wur- den die Kunden von der SA vor Betreten des Geschäfts laut angerufen und ihr Name notiert. Während die Fahne von den Emanuels, um weiteren Ärger zu vermeiden, sofort abgenommen wurde, entfernten die Lennebergs ihre erst nach dem Einschreiten des städtischen Polizeibeamten, jedoch nicht ohne den Hinweis der beiden Brüder Lenne- berg, daß sie doch wohl, auf Grund ihrer Teilnahme und Funktion im Ersten Weltkrieg als „Frontkämpfer“ und Offizier, berechtigt seien, die schwarz-weiß-rote Flagge, unter der sie gekämpft hätten, zu hissen. Trotzdem wurde die Fahne beschlagnahmt. Auch gegen die Geschäftstätigkeit des jüdischen Kaufmanns Cohn in Attendorn agitierten nach der Machtergreifung neun Monate lang die lokalen Nationalsozialisten und ihre Sympathisanten. Ein andauernder, Ende des Jahres (1933) immer noch weiter-

119 . Vgl. H. Mommsen, u.a., (Hgg.), 1988, S.376. Auf die Intervention war die NS-Führung nur eingegangen, weil man „von der Illusion ausging, daß die Ausnahmeregelung nur für eine ganz kleine Gruppe gelten würde; tatsächlich war die Mehrzahl jüdischer Beamter Frontkämpfer gewesen“. Hierzu noch: ders., Beamtentum im Dritten Reich. Stuttgart 1966. S.33 ff. 120 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 1933 - 1938. 121 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 28. Oktober 1933 - Schreiben von H. Lenneberg; 18. Juli 1933 - Vermerk des mit dem Fall befaßten Hauptwachtmeisters. Vgl. ausführlicher mit Abdruck der Briefe: D. Tröps, 1988, S.236 f. 122 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 31. Januar 1936 - Eine ähnliche Aktion fand im November 1935 nochmals beim Olper Geschäft Lenneberg statt. Es wurden Personen notiert, die das Geschäft betraten oder verließen. 29

geführter, „stiller Boykott“, der zu gravierenderen finanziellen Einbußen führte, war inszeniert worden. In einem Beschwerdeschreiben vom 5. September 1933 verwies Cohn sowohl auf seinen und den Militärdienst und die finanzielle Opferbereitschaft sei- nes Vaters (Zeichnen einer Kriegsanleihe von 100.000.- RM, Abgabe von Familien- schmuck, Gold und Silber) für das Vaterland während des Ersten Weltkrieges 123 . Zudem führte er als Beleg für seine nationale Gesinnung und Lokalverbundenheit die fast 250 Jahre an, die seine Familie in Attendorn bzw. Westfalen wohnte. Er fühle sich mehr als ungerecht behandelt, weil „meine Familie und auch ich nur immer deutsch gefühlt haben und jederzeit zu vaterländischen Opfern bereit waren. ... Mein ... Vater, der als ein Mann von echt deutscher Gesinnung und ehrenwertem Charakter in Attendorn geachtet und beliebt war, diente mit zwei Brüdern in Rostock und war mehr als vierzig Jahre Mitglied des Attendorner Kriegervereins. ... Auch nach 1918, wo die öf- fentliche Meinung gerade vom Standpunkte eines Geschäftsmannes dagegen sprach, einem vaterländischen Verein anzugehören, hat mein Vater eine Ehre darin gesehen, jederzeit öffentlich als echter Patriot zur alten Fahne zu halten. So war es auch sein sehnlichster Wunsch, unter Beteiligung des Kriegervereins beerdigt zu werden, was auch geschah. Trotz seines hohen Alters übernahm mein Vater in der Zeit von 1914 - 1918 freiwillig militärische Hilfsdienste. ... Außerdem bin ich wegen Tapferkeit vor dem Feinde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. - Mein Großvater hat den Feldzug 1870/71 mitgemacht und ist für tapferes Verhalten vor dem Feinde mit Orden und Ehrenzeichen de- koriert worden. ... Die Umsätze, insbesondere seit dem ersten April des Jahres sind so wesentlich gesunken, daß es nur noch eine Frage kurzer Zeit ist, wie lange ich noch meine Angestellten weiter beschäftigen kann. Im Interesse der Weiterführung des Geschäftes und im Interesse der Angestellten stelle ich er- gebenst das Gesuch, mir die Genehmigung zu erteilen: 1. daß es keinem, insbesondere Beamten und Arbeitern untersagt ist, in meinem Geschäft zu kaufen, 2. Bedarfsdeckungsscheine für die Arbeitslosen einlösen zu dürfen, 3. Bezugsscheine, die das Wohlfahrtsamt an Hilfsbedürftige in begründeten Einzelfällen abgibt, einlösen zu dürfen, 4. Ehestandsdarlehen einlösen zu dürfen.“ 124

123 . Vgl. allgemein zur problematischen Bewertung deutscher Juden im Militärdienst, bes. im Ersten Weltkrieg: P. Lapide, Der Undank des Vaterlandes. Zur Geschichte der deutschen Juden im ersten Weltkrieg. In: Süddeutsche Zeitung. Nr.90. 19./20. April 1986. S.170. Einen ersten Überblick über die Verluste des jüdischen Bevölkerungsteil - keine Gefallenen aus dem Kreis Olpe - vermittelte: Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, (Hg.), Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen 1914 - 1918. Ein Gedenkbuch. Berlin 1932, 31933. Im Ersten Weltkrieg kämpften ca. 100.000 jüdische Bürger (80.000 an der Front, 30.000 mit Orden) als deutsche Soldaten für das Vaterland; - oft mit der stillen Hoffnung auf volle Emanzipation und gesellschaftliche Anerkennung nach Kriegsende. 12.130 starben auf den Schlachtfeldern (Vgl. R. Pierson, 1974, S.143). Den Nationalsozialisten galten die jüdischen Soldaten grundsätzlich als Feiglinge, Drückeberger und Volksschädlinge. Die NS- Propaganda behauptete dreist: „Wenn Juden Tapferkeitsauszeichnungen besitzen, so haben sie sich diese nur erschlichen!“ Gerade auf diese Auszeichnungen vertrauten aber viele Juden und glaubten sich so vor NS-Zugriffen gefeit. Doch weit gefehlt! Sie hatten nur aufschiebende, aber letztendlich keine schützende Wirkung. Man war trotz - z.T. hoher militärischer Ehren (2.000 Offiziere, 1.000 Sanitätsoffiziere / 900 EK I, 17.000 EK II) - der nationalsozialistischen Diffamierung, Erniedrigung und der physischen Liquidation durch die NS-Tötungsmaschinerie preisgegeben. 124 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238 - Schreiben vom 31. August 1933. Vgl. ausführlicher mit Abdruck des Briefes: D. Tröps, 1988, S.237 f. 30

Der Attendorner NSDAP-Ortsgruppenleiter lehnte lakonisch und kurz angebun- den, ohne auf frühere Verdienste und vaterländisches Engagement überhaupt mit einem Wort einzugehen, jede Rücksichtnahme auf die Interessen Cohns mit Berufung auf eine Stellungnahme des Bürgermeisters ab. Er erging sich vielmehr in antijüdischen Allge- meinplätzen 125 : „Es besteht nicht die geringste Veranlassung, nunmehr die hiesigen Juden, wo sie nur einen geringen Teil der Geschäftssorgen heute tragen, die unsere arischen Kleingewerbetreibenden seit Jahr und Tag mit sich herumschleppen, helfend beizuspringen. Unsere Kleingewerbetreibenden hier haben seit Jahren unter der jüdischen Geschäftsroutine unserer Familien Cohn, Lenneberg und Stern gelitten. Die hiesigen Juden verdienen gerade wegen ihres Verhaltens bis heute nicht das geringste Entgegenkommen.“

Ähnlich erging es einem „halbjüdischen“ Kaufmann in Kirchhundem 126 und den jüdischen Geschwistern Winter in Altenhundem, die sich beim Bürgermeister über das Nichtberücksichtigen beim Einlösen von Bedarfsdeckungsscheinen beschwerten. Kurz und bündig informierte der Bürgermeister den Olper Landrat über sein rigoroses Vorge- hen 127 : „Nach den Richtlinien des Herrn Reichsfinanzministers vom 12. Juli 1933 dürfen Verkaufsstellen, deren Inhaber nicht arischer Abstammung sind, zur Entgegennahme von Bedarfdeckungsscheinen nicht zugelassen werden. Die In- haber des Kaufhauses Geschw. Winter in Altenhundem waren Juden. Aus die- sem Grunde wurde der Antrag abgelehnt“.

Neben den beruflichen Behinderungen versuchten die Nationalsozialisten, den jüdischen Kultus und das religiöse Gemeindeleben zu erschweren. Ein erster Schritt war dabei das Verbot des rituellen Schlachtens, des sog. „Schächtens“ 128 , vom 21. April 1933. Außerdem setzte ab Februar 1934 auf Anordnung der Staatspolizeibehörde für den Regierungsbezirk Arnsberg in Dortmund die systematische Überwachung der Juden im Alltags- wie im religiösen Bereich ein. Die Landräte und Ortspolizeibehörden waren verpflichtet, regelmäßig über alles zu berichten 129 . So wurde eine Vortragsveranstaltung „Wille und Weg der deutschen Juden“ der Synagogengemeinde Lenhausen, Unterge- meinde Attendorn, am 9. Oktober 1934 im Hotel Pfeiffer von einem Polizeibeamten,

125 . Ebda. S.238 f. 126 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 6., 10., 28. November 1933 - Schriftwechsel mit der NSDAP-Kreisleitung Olpe. 127 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238 - Schreiben vom 10. November 1933, außerdem Antrag der Geschwister Winter vom 28. Oktober 1933. Vgl. ausführlicher mit Abdruck des Briefes: D. Tröps, 1988, S.239. 128 . Mit dieser Problematik, als negatives Beispiel, befaßten sich Teile einer Ansprache von Landrat Dr. H. Evers bei einer Kundge- bung im „bis auf den letzten Platz besetzten“, kleinen Saal der Sauerlandhalle (Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.327. 29. November 1935). 129 . Vgl. D. Tröps, 1988, S.239. 31

einem hinzugezogenen örtlichen SS-Sturmführer und einem weiteren SS-Mann über- wacht. Diese konnten aber nur vermelden, daß 24 Personen anwesend waren und nicht gegen die nationalsozialistische Bewegung polemisiert wurde, „so daß ein polizeiliches Einschreiten nicht erforderlich war“ 130 . Zwei andere Beispiele: Die Kreisleitung der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) beschwerte sich beim NSDAP-Kreisleiter Fischer über die „Unstimmigkeiten zwischen der Belegschaft und der Betriebsleitung“ der Attendor- ner Fa. A.A. Ursell wegen schlechter Behandlung, nichttariflicher Bezahlung und will- kürlichen Entlassungen 131 . Die Auslandsreisen des Attendorner Kaufmanns Cohn und seiner Buchhalterin wurden „in unauffälliger Weise scharf überwacht“ 132 . Der erste, in der Presse groß aufgemachte Fall eines propagandistischen Angriffs betraf die jüdische Firma Winter in Altenhundem. Unter der reißerischen Überschrift „Sabotage der nationalsozialistischen Gesetzgebung! Ein ‘deutscher’ Geschäftsmann in einer Front mit einem Juden“ berichtete die „Westfälische Landeszeitung - Rote Erde“ in ihrem Lokalteil. Kopfschüttelnd erging sich der Journalist über das „Unverständnis ... in den Kreisen deutscher Geschäftsleute“ gegenüber dem „Judenproblem“ und verwies auf den Altenhundemer, „der in seiner Dreistigkeit und bodenlosen Gemeinheit wahr- scheinlich in ganz Deutschland einzig dastehen dürfte“. Es handelte sich um das Einreichen von Bedarfsdeckungsscheinen über 300.- RM durch die jüdische Firma Winter beim Wohlfahrtsamt Kirchhundem. Der Amtsbür- germeister Dr. Hucke, der sich einschaltete, lehnte die Einlösung ab, weil Juden zur Entgegennahme dieser Scheine nicht berechtigt seien. Ein Einlösen brauche daher nicht zu erfolgen. Um aber trotzdem den Geldbetrag zu bekommen, gab die Firma Winter die Bedarfsdeckungsscheine an den Altenhundemer K. Schulte weiter. Der eigene Firmen- name war ausradiert und durch den Schulteschen Firmenstempel ersetzt worden. Dies entdeckte die Kirchhundemer Behörde und informierte die NSDAP-Kreisleitung Olpe, die daraufhin zu jedem einzelnen Schein recherchierte und Winter nachwies, daß alle Scheine bei ihm eingelöst worden waren. Gegen Karl Schulte erließ der Landrat eine Schutzhaftverfügung. Die „Westfälische Landeszeitung - Rote Erde“ konnte nicht um-

130 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 236. Oktober 1934 und Kreisarchiv Olpe, Bestand A 3308. 15. Oktober 1934. Bll.1 f. - Monatlicher Lagebericht aus Attendorn. 131 . Vgl. ausführlicher Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 4. 26. Januar 1934 - Sogar der Sonderbeauftragte des Treu- händers in Düsseldorf kam nach Attendorn, um die Angelegenheit „vor Ort“ zu untersuchen. 132 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238 - Schreiben des Bürgermeisters der Stadt Attendorn vom 30. November 1934. 32

hin, den Fall als „Schulbeispiel“ in ganzer Breite auszuwalzen und ihrer antisemitischen Agitation - wieder einmal vorverurteilend und in Fettdruck - freien Lauf zu lassen 133 : „Dieser Fall, in welchem ein ‘deutscher’ Geschäftsmann dem Juden, gegen den er vom Staat in Schutz genommen wird, Handlangerdienste gegen den Staat leistet, dürfte wie bereits erwähnt, vorläufig noch einzig dastehen, kann aber jedenfalls als Schulbeispiel auf diesem Gebiete angesehen werden. Es ist selbstverständlich und bedarf keiner weiteren Erörterung, daß gegen die Fa. Karl Schulte, die in dieser unerhörten Weise mit dem Juden in einer Front und Linie gegen die Gesetze und Bestimmungen des Staates ankämpft, entspre- chende Maßnahmen ergriffen werden. Unseres Erachtens liegt hier Sabotage der nationalsozialistischen Gesetzgebung sowie Betrug in Tateinheit mit Ur- kundenfälschung vor. Der Staatsanwalt hat das Wort!“

Der Oberstaatsanwalt in Siegen gab in der Sitzung des Schöffengerichtes Siegen vom 2. Mai 1934 das Urteil bekannt: Der Angeklagte Winter erhielt vier Monate Ge- fängnis, ein Amtsangestellter wegen möglicher Beihilfe anstelle einer sechswöchigen Haftstrafe 150.- RM Geldstrafe, Schulte sen. anstelle von einem Monat Haft 100.- RM Geldstrafe, der indirekt beteiligte Hofolper Kaufmann Theis anstelle zweiwöchiger Haft 40.- RM Geldstrafe. Die Angeklagten Schulte jr. und Schäfer wurden mangels Beweises freigesprochen. Aufgrund des Gesetzes vom 7. August 1934 über die Gewährung von Straffreiheit § 1 II erließ der Siegener Oberstaatsanwalt am 14. August sämtliche Haft- und Geldstrafen 134 . Als in Olpe im Oktober 1934 Arbeitsdienstwillige regelmäßig ein nationalsozia- listisches Kampflied mit dem Refrain „Hängt die Juden, stellt die Schwarzen an die Wand“ sangen, erregten sich die Bürger zwar über die Verunglimpfung der „Schwar- zen“, d.h. der Zentrumsangehörigen, Katholiken und Pfarrer. In dem Beschwerdebrief des Olper Bürgermeisters an den Oberfeldmeister Häßler fiel aber über die ebenfalls diffamierten jüdischen Bürger kein einziges Wort 135 . Schon im Mai 1934 eskalierte die Gewalt! In Altenhundem brachen am 25. Mai gegen 23.30 Uhr in der Hundemstraße 27 sechs SA-Leute in Uniform, u.a. aus Nieder- Albaum, Altenhundem, Oberhundem und Grevenbrück, die Haustür zur Wohnung der Metzgerfamilie Winter auf. Nach kurzem, aber heftigem Wortgefecht verprügelten sie den Juden Ernst Winter, weil er angeblich am Sonntag zuvor einen SA-Mann tätlich

133 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 62 - „Westfälische Landeszeitung - Rote Erde“-Artikel und mehrere Schreiben, Anklage- schrift etc. vom 24. Februar - 14. August 1934; Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand A 36. 24. Februar 1934 - Schutzhaftverfü- gung gegen Karl Schulte durch Landrat Dr. H. Evers; Entlassung am 28. Februar 1934. 134 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 62. 14. August 1934. 135 . Vgl. Stadtarchiv Olpe, Bestand B 875. 8. Oktober 1934. 33

angegriffen hätte. Einer der SA-Rabauken verstieg sich gar dazu, man sollte Winter auf- hängen. Sie schlugen und traten auf ihn ein, bis er im Gesicht blutete, die Besinnung verlor und sein Kopf in einer Blutlache lag. Als Adelheid Winter versuchte, die örtliche Gendarmerie zu informieren, hinderten sie zwei SA-Leute rabiat daran. Bei der empörten Bevölkerung löste diese harte Vorgehensweise vor dem Lokal, in dem die SA weiterzechte, einen Volksauflauf aus 136 . Landrat Dr. H. Evers, NSDAP- Kreisleiter Fischer und SA-Führer, die am gleichen Abend noch erschienen, verurteilten die „Aktion“, besonders weil sie vor annähernd 300 Augen- und Ohrenzeugen stattge- funden hatte, und noch spät in der Nacht eine Ansammlung von ca. hundert Personen schließlich von der Gendarmerie aufgelöst werden mußte. „Publikumswirksame“ Auf- tritte dieser Art erschienen ihnen Anfang 1934 noch nicht für die katholische Bevölke- rung zumutbar, wie auch die auf längere Zeit mehr als erregten Bürger bewiesen. Einige Kurgäste aus Holland, die den Vorfall miterlebt hatten, reisten sofort ab, weil sie „nach dem was hier geschehen ist, niemals in Altenhundem bleiben könnten“ 137 . Außerdem nahmen Jahr für Jahr die abgedruckten antisemitischen Äußerungen von Landrat Dr. H. Evers, NSDAP-Kreisleiter Fischer sowie von NS-Stellen in die Zei- tung gebrachte Artikel mit antijüdischer Tendenz zu. Einige kurze Auszüge aus Presse- artikeln mögen den schärfer werdenden Ton verdeutlichen: „Wir greifen keine Religion an, wir bejahen jedes christliche Bekenntnis, wir verurteilen nur jenes jüdische Bekenntnis, das darauf hinausgeht, jedes Volk kulturell zu zersetzen.“ 138 „Kurz kann ... gesagt werden, daß allen Volksgenossen die Augen aufgingen über das vernichtende Wirken dieses Judavolkes in unserem Vaterlande. Die Mahnungen, die er den Anwesenden mit auf den Weg gab in ihrem Verhalten dem Judenvolk gegenüber werden bestimmt auf fruchtbaren Boden gefallen sein.“ 139 „Es sei keine Seltenheit, daß Handwerker und Gewerbetreibende über schlechten Geschäftsgang klagten, selber aber nicht so viel deutsche Geradli- nigkeit aufbringen könnten, sich vom Einkauf beim Juden freizumachen.“ 140 „Pg. Hein Diehl ... hielt Abrechnung mit dem Ränkespiel der Großspekulan- ten, des Weltjudentums und auch mit den Cliquen der Reaktion. Nationalsozia- lismus ist ins Geistige übersetztes Frontsoldatentum, ist nicht geschliffen, son- dern rauh.“ 141

136 . Vgl. Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand A 36. 30. Mai 1934 ff. 137 . Vgl. zum vorangehenden: Kreisarchiv Olpe, Bestand A 65. 26. Mai - 1. Juli 1934. 138 . Sauerländisches Volksblatt. Nr.138. 19. Juni 1934 - Auszug aus der Rede von Landrat Dr. H. Evers auf dem NSDAP-Kreispar- teitag in Altenhundem. 139 . Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.40. 9. Februar 1935 - Volksversammlung in Silberg mit Ansprache von „Parteige- nosse“ Meister über „Nationalsozialistische Weltanschauung“. 140 . Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.130. 13. Mai 1935 - NSDAP-Kreisleiter Fischer auf einer Großkundgebung der Gewerbetreibenden in Olpe. 141 . Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.234. 27. August 1935 - Schlußkundgebung NSDAP-Kreistag 1935 „Vor uns eine neues Jahr des Kampfes!“ 34

„Für Juden und Judenstämmlinge, für vaterlandslose Gesellen ist in den Reihen des Sauerländischen Heimatbundes kein Platz.“ 142 „Ein deutsches Mädchen, das im öffentlichen Lokal mit einem Juden zu- sammensitze, verstoße gegen das völkische Empfinden und somit gegen die öf- fentliche Ordnung.“ 143 „Gauinspekteur Vetter ... streifte unter allgemeinem Gelächter die jüdisch- marxistischen Prophezeiungen ... Entweder Ruin und Chaos durch das jüdische Bolschewikentum oder Frieden und Ordnung nach dem Willen und der Idee des Führers.“ 144 „Vor der nationalsozialistischen Revolution habe die Elternschaft nichts dabei gefunden, ihre Jungen oder Mädel neben jüdische Kinder zu setzen, ohne eine jüdische Infektion zu befürchten, um wieviel eher müßte es möglich sein, die rassisch und völkisch gleichgearteten Kinder zweier Konfessionen in einem Schulsystem zu vereinen.“ 145 „Unter dem Deckmantel einer religiösen Glaubensgemeinschaft verfolge das Judentum nur wirtschaftliche und machtpolitische Ziele.“ 146

In Attendorn übernahm P. Gersmann von dem jüdischen Kaufmann Karl Ursell das Manufaktur- und Modewarengeschäft 147 und eröffnete neu am 12. Juni 1934 um 15 Uhr 148 . Doch viele jüdische Geschäftsleute - auch im Kreis Olpe - konnten ihre ständig gefährdete Existenz trotz Repressalien und rückläufiger Umsätze noch aufrechterhalten. Dies lag teilweise an der Situation auf dem Lande. Denn die jüdischen (Klein-)Kaufhäu- ser hatten sich - auch im katholischen Milieu - durch die Qualität ihrer Ware, eine grö- ßere Auswahl, preisgünstige Sonderangebote nicht nur im Saison-Schlußverkauf 149 und gute Bedienung eine größere Stammkundschaft aufgebaut. Sie war - auch durch massive SA- oder NSDAP-Einschüchterung - nicht so ohne weiteres davon zu überzeugen, für die gleiche Ware, womöglich bei einem „alten Kämpfer“, wesentlich höhere Preise zu bezahlen.

142 . Kreisarchiv Olpe, Bestand A 1604. 22. September 1935 - Ansprache des Landrat Dr. H. Evers am Sonntag des Sauerländer Heimattages in Grevenbrück. 143 . Sauerländisches Volksblatt. Nr.281. 4. Dezember 1935 - Auszug aus dem Leitartikel „Wann greift die Polizei ein? Richtlinien für das polizeiliche Einschreiten in der Öffentlichkeit“. 144 . Sauerländisches Volksblatt. Nr.243. 19. Oktober 1936 - Bericht vom Samstag des NSDAP-Kreisparteitags. 145 . Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.339. 14. Dezember 1937 - 500 Zuhörer beim Olper Vortrag des „Parteigenossen“ Dr. Beck („Erfrischend wie ein reinigendes Gewitter!“). 146 . Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.72. 15. März 1938 - Ansprache von „Parteigenosse“ Maikranz bei der Verpflich- tung von vierzig Heggener Parteianwärtern. 147 . Vgl. zu den vorhergegangenen (Boykott-)Aktionen gegen den jüdischen Geschäftsmann, z.B. hier einen Vorfall mit der SA, der auch auf einer von K.-J. Hoffmann geschaffenen Mahntafel dargestellt wurde (Zitat nach: H. Hundt, Mahntafel zum 10. November 1938 an historischer Stelle in Attendorn eingeweiht. In: Attendorn - Gestern und Heute. ... Nr.13. 1989. S.39 - 43, hier S.42): „... (1933/34) ... Die SA hatte bei Carl Ursell, Niederste Straße, Schrifttafeln aufgestellt, die von uniformierten SA-Leuten an beiden Seiten gehalten wurden. Die Bürgerschaft schaute abwartend zu; nur wenige besuchten noch das Textilgeschäft, indem sie unter dem Lattengestell gebückt hergingen. Daraufhin wurden die Standlatten in mehreren Etappen immer kürzer gemacht, bis eine alte Frau (Frau Kronenberg, am Bieketurm) als letzte auf Knieen darunter herkroch.“ 148 . Vgl. Attendorner Volksblatt. Nr.70. 12. Juni 1934 - Halbseitige Werbung von P. Gersmann („Beste Ware, vorteilhafte Preise und gute Bedienung werben um ihr Vertrauen. Ein selbstverständlich unverbindlicher Besuch bietet Ihnen ein Bild von meinen großen Warenvorräten, die sämtlich neu eingekauft sind. Der Verkauf beginnt mit der Eröffnung.“). 149 . Vgl. z.B. Attendorner Volksblatt. Nr.82. 15. Juli 1933 - Großformatige Anzeigen der Attendorner Kaufleute Lenneberg und Ursell zum Saison-Schluß-Verkauf; Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 1. Dezember 1937 - Selbst Ende 1937 bevor- zugten „Volksgenossen“, sogar Mitglieder der NSDAP-Ortsgruppe, aus Heggen noch jüdische Geschäfte vor Weihnachten, weil man dort „besser und billiger einkaufen könne und ... auch besser bedient würde wie in christlichen Geschäften“. 35

Waren der „Juden-Boykott“ am 1. April 1933, vereinzelte spätere Aktionen, z.T. „stille Boykotte“, und die ungerechte Behandlung einzelner Juden anfangs noch teil- weise offen von der Bevölkerung mißbilligt worden, nahmen viele Mitte der dreißiger Jahre die Ausplünderung der Juden hin. Sie ließen sich von pseudolegalen nationalsozi- alistischen Rechtfertigungen beruhigen. Die Zurückdrängung des von den Nationalsozi- alisten als übermächtig hingestellten, jüdischen Einflusses begrüßte sogar mancher, weil er sich davon aus individuellen Opportunitätserwägungen eigene Vorteile versprach. Unterstützend wirkte dabei besonders, daß die Entrechtung als abstrakt obrigkeitlicher, dringend zum Schutze der „Volksgemeinschaft“ notwendiger Akt propagandistisch ver- kauft wurde. In diesem Sinne wurden auch die Bürgermeister und Gemeindeschulzen schon am 10. Dezember 1934 in Grevenbrück geschult. Es wurde ihnen klargemacht, wie wichtig die Observierung der Juden sei, um das „jüdische Maskenspiel zu enthül- len“ 150 . Daher nahm es kaum wunder, daß auch im Kreis Olpe die Auswirkungen der von der Partei nimmermüde wiederholten Aufrufe zur Rassentrennung allmählich sicht- bar wurden. Denn hinter den Kulissen hatte Landrat Dr. H. Evers die regelmäßig statt- findenden Bürgermeisterkonferenzen genutzt, um über die kreisinterne Regelung der „Judenfrage“ und die reichsweiten Direktiven zu informieren und auf deren Durch- setzung zu drängen 151 . Er regte am 24. Juli 1935 sogar einen Beschluß über den kreis- weiten „Ausschluß der Juden aus dem Gemeindeleben“ an. Dieser wurde z.B. in der Ge- meinde Kirchhundem am 17. Oktober 1935 vollzogen und von einer Anweisung an alle Angestellten und Arbeiter der Gemeinde begleitet 152 .

150 . Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.338. 10. Dezember 1934. Eine ähnlich „aufklärende“ Tagung über „Das Judentum“ hatte für die SA-Führer des Kreises Olpe mit NSDAP-Kreisleiter Fischer schon Mitte Oktober stattgefunden (Westfälische Landes- zeitung - Rote Erde. Nr.284. 16. Oktober 1934). 151 . Vgl. z.B. Stadtarchiv Olpe, Bestand B 52. 14. September 1935, Stadtarchiv Attendorn, Bestand V 7, 10. 6. September 1935 - Niederschrift über die Bürgermeisterkonferenz des Kreis Olpe am 6. September 1935; Absatz „Behandlung der Judenfrage“: „Der Landrat teilt mit, daß ihm eine gute Abhandlung zugegangen sei. Er will diese Abhandlung im Umlauf den einzelnen Bürgermeis- tern zur Kenntnis bringen. Bei der Behandlung der Judenfrage müsse man bei öffentlicher möglichster Zurückhaltung, doch das Ziel im Auge behalten. Insbesondere halte er eine dahingehende Propaganda sehr für notwendig und zweckmäßig. Bürgermeister Schulte weist darauf hin, daß er den Beamten und Angestellten verboten habe, bei Juden noch einzukaufen. Insoweit sei diese Maßnahme absolut berechtigt, weil einmal seine sämtlichen Leute doch irgendeiner Gliederung der NSDAP angehören und ihnen deshalb als solchen der Einkauf bei Juden nicht gestattet sei. Dann aber auch weil die Beamten und Angestellten Träger der Staats- gewalt seien und deshalb der Grundidee des Nationalsozialismus in dieser Form zu folgen hätten. Der Landrat empfiehlt, diese Anordnung bei allen Stellen zur Durchführung zu bringen.“; Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 22. August 1935 - Die sechsseitige Abhandlung für den Landrat stammte von der Stapo Dortmund, die sie mit der Maßgabe versandte: „... diese (Abhandlung) zum Gegenstand der Belehrung der unterstellten Dienststellen und Beamten zu machen. Ich ersuche, die mit der Erledigung staatspoli- zeilicher Angelegenheiten beauftragten Beamten nach Möglichkeit in geschlossenen Vorträgen mit der Materie vertraut zu machen, um ... Erleichterung des Geschäftsbetriebes zu erzielen.“ 152 . Vgl. Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand K 6. 24. Juli 1935 - Der für den Beschluß vorgelegte Text war dem Völkischen Beobachter entnommen und von der Moselgemeinde Osann gefaßt worden. Für den Kreis Olpe: Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 20. August 1935 - Ein ähnlicher Beschluß wurde für Attendorn gefaßt und in 36

Schon vor dem Verkünden des „Reichsbürgergesetzes“ am 15. September 1935 auf dem „Reichsparteitag der Freiheit“, der die Unfreiheit der Juden und aller „rassisch Minderwertigen“ (Asoziale, Zigeuner, geistig und körperlich Behinderte, Homosexuelle etc.) besiegelte und juristisch festschrieb, fühlte sich ein 17jähriger Olper Hitlerjunge bemüßigt, die jüdischen Geschäftsinhaber Lenneberg (Olpe) wegen „Rassenschande“ mit Angestellten zu denunzieren. Als einzige Grundlage der Anschuldigung diente ein nur bruchstückhaft erlauschtes, falsch interpretiertes Gespräch 153 . Anders handelten eini- ge Bürger aus dem Kreis Olpe, als sie ostentativ wegen eines Westfälische Landeszei- tung - Rote Erde-Artikels „über die Rassenschändungen durch Juden“ das NS-Blatt ab- bestellten 154 .

- Die Verschärfung der Lage nach dem Erlaß der „Nürnberger Gesetze“ Doch erst nach der Durchsetzung der „Nürnberger Gesetze“ 155 griffen polizei- lich-verwaltungstechnische Unterdrückung und psychischer, z.T. offen physischer Druck mehr und mehr 156 . Wie vorher und in der Folge wurden Gesetze, Verordnungen, Anordnungen und Erlasse gegen Juden nicht nur von Reichsstellen verfaßt, sondern auch die Landesbehörden, Kommunen und die halbamtlich agierenden Parteistellen in-

allen Ortschaften ausgehängt: „Im Kampf gegen die Feinde des nationalsozialistischen Staates muß jeder Volksgenosse nach Kräf- ten mitarbeiten. Zu den Feinden des Deutschen Reichs gehört der Jude . Wer daher bei Juden kauft, unterstützt die gegnerische Front und übt Verrat am eigenen Volke. Das und die Gemeinden werden bei Vergebung von Arbeiten Handwerker, Ge- schäftsleute und sonstige Volksgenossen nicht berücksichtigen, die noch mit Juden Verkehr pflegen oder beim Juden kaufen.“ 153 . Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238 - Aktenvorgänge vom 6.-8. August 1935. Einen weiteren Fall bearbeiteten die Ortspolizei Drolshagen und der Landrat Dr. H. Evers im Februar 1939, als der von der Gestapo Dortmund seit 23. Januar 1939 gesuchte, jüdische Schausteller Josef Israel Krämer aus Bickenbach wegen Verdachtes der „Rassenschande“ festgenommen worden war (Kreisarchiv Olpe, Bestand A 240. 9. Februar 1939). 154 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 236. September 1935. Bl.7. 155 . Vgl. A. Margaliot, The Reaction of the Jewish Public in Germany to the Nuremberg Laws. In: Yad Vashem Studies. XII. 1977. S.77 - 107; U.D. Adam, Zur Entstehung und Auswirkung des Reichsbürgergesetzes. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B-48. 1985. S.14 - 27 und W. Jochmann, Die deutsche Bevölkerung und die nationalsozialistische Judenpolitik bis zur Verkündung der Nürnberger Gesetze. In: ders., Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870 - 1945. Hamburg 1988. S.236 - 254 (Zur Durchführung der Gesetze und dem Verhalten der Bevölkerung, bes. S.251 ff.); außerdem noch ausführlich mit weiterführen- der Literatur: L. Gruchmann, „Blutschutzgesetz“ und Justiz. Entstehung und Anwendung des Nürnberger Gesetzes vom 15. Sep- tember 1935. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B-48. 1985. S.28 - 38; ders., 1988, S.864 - 886 („Das Nürnberger ‘Blutschutzge- setz’ vom 15. September 1935: Verletzung des Gleichheitssatzes zur Diskriminierung der jüdischen Minderheit“) und M. Richarz, 1982, Bd.3, S.47. Das Gesetz ging von der NSDAP und der politischen Führung aus und hatte seine originärsten Wurzeln nicht in der Justiz (L. Gruchmann, 1988, S.864). Zeitgenössisch: E. Brandis, Die Ehegesetze von 1935. Berlin 1936. S.1 - 236. 156 . Vgl. für den Kreis Olpe z.B.: Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 3. Juli 1935 - Anweisung der Stapo Dortmund Altenhundemer Eisenbahner namhaft zu machen, die regelmäßig bei Juden in Altenhundem einkauften. Der Bürgermeister ermittelte drei, die u.a. von der Reichsbahndirektion Essen unter Druck gesetzt wurden.; Attendorner Volksblatt. Nr.122. 12. Oktober 1935 - Einwerfen von zwei großen Schaufensterscheiben im Kaufhaus Lenneberg mit Pflastersteinen; Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 10.-23. Oktober 1935 - Schreiben des Olper Landrats an die Staatspolizeistelle in Dortmund-Hörde vom 18. Februar 1936 (Zitiert nach: D. Tröps, 1988, S.242) - „In Attendorn wurden in der Nacht zum 10. Oktober 1935 zwei große Schaufensterscheiben des Kaufhauses Lenneberg, dessen Inhaber der Kaufmann Hermann Stern war, von einem angetrunkenen 42-jährigen SA-Mann, der sich in der späteren Vernehmung selber „als der älteste Kämpfer der NSDAP hier am Platze“ bezeichnete, mit Steinen eingeworfen. Das Ver- fahren wurde mangels Beweisen ergebnislos eingestellt. Der Beschuldigte wurde am 17. Januar 1936 vom Amtsgericht Attendorn freigesprochen.“; Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. (Aktenvorgänge vom) 13. März - 29. April 1936 (Zitiert nach: D. Tröps, 1988, S.242) - „Im März 1936 wird eine 29-jährige Hausangestellte der Ww. Ursell in Attendorn, zu deren Haushalt die beiden 15- und 10-jährigen Söhne der Witwe zählten, dazu gedrängt, die Stellung aufzugeben.“; Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 5. 1. April 1938 - Anzeige des Stützpunktleiters Welschen Ennest bei der NSDAP-Kreisleitung Olpe wegen Handels mit Juden. 37

terpretierten diese, entwickelten sie weiter und sorgten fast immer für die „reibungslose“ Durchsetzung. Fast widerspruchslos nahmen die legalisierte Entrechtung und Verfol- gung in allen Bereichen des täglichen Lebens ihren Lauf. Die systemkonforme Haltung der Beamtenschaft, die die Gesetze administrativ umsetzen mußten, überraschte selbst führende Nationalsozialisten im Reich 157 . Einzig regionale und temporäre Unterschiede traten dabei auf. Nur eine latent vorhandene Furcht der Nationalsozialisten vor empör- tem Aufmucken der Bevölkerung konnte ihren Tatendrang - meist nur vorübergehend - bremsen oder bewirken, daß man Aktionen so unauffällig wie möglich durchführte 158 . W. Jochmann stellte 1988 richtungsweisend fest 159 : „Das Regime wurde auf jeden Fall zu neuen Untaten und Maßnahmen durch die Gewißheit verleitet, daß die Beamtenschaft überaus beflissen und gewissenhaft alle Gesetze ausführte und jede Weisung befolgte. Ohne die mit größter Effizienz arbeitende Verwaltung wäre die Entrechtung, Beraubung und Ermordung der Juden niemals durchzusetzen gewesen. Die wenigen Fälle, in denen es zu Verweigerungen kam, bestätigen nur die Regel. ... Die Mehrheit, auch der bekenntnistreuen Christen, ... räumten dem Staat bedenkenlos ein Recht zur Neugestaltung der Volksordnung ein.“

Erstmals im Mai 1935 hatte die Nationalsozialistische Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisation (NS-Hago) im Kreis Olpe auf Anforderung des stellvertreten- den Gauleiters eine Liste „sämtlicher ... vorhandenen jüdischen Geschäfte anzufertigen und ... einzureichen“. Der Kreisamtsleiter der NS-Hago übersandte seiner Gauführung eine nicht ganz komplette Aufstellung. Angeführt waren 160 : Metzgerei Aron Neuhaus (Altenhundem), Metzgerei Abraham Winter (Altenhundem), Manufakturwaren Ge- schwister Winter (Altenhundem), Blechwarenfabrik & Verzinkerei A.A. Ursell (Atten- dorn), Manufakturwaren R. Lenneberg (Inhaber Hermann Stern, Attendorn), Manufak- turwaren Edmund Cohn (Attendorn), Metzgerei Julius Emanuel (Olpe) und Manufak- turwaren Isaak Lenneberg (Olpe).

157 . Vgl. z.B. als frühe Reaktion im Kreis Olpe: Kreisarchiv Olpe, Bestand A 236. September 1935 - Der Kirchhundemer Amts- bürgermeister verweigerte den jüdischen Bürgern Else Neuhaus, Hetty und Kurt Winter die bei der Ortspolizeibehörde beantragten Pässe, „weil die Durchführungsbestimmungen zum Reichsbürgergesetz abgewartet werden“ sollten. / Ebda. Dezember 1935. Bl.10 - Der Landrat verweigerte durch den Attendorner Bürgermeister dem Juden Lenneberg eine Ausnahmegenehmigung zum Halten von Dienstboten („grundsätzlich keine Ausnahmen“). 158 . Vgl. z.B. die im Kreis Olpe in einer NSDAP-Ortsgruppe nach dem Einwurf von zwei großen Fensterscheiben in einem jüdi- schen Kaufhaus (Wert: 1.100 - 1.200.- RM) geäußerte Befürchtung: Kreisarchiv Olpe, Bestand A 236. Oktober 1935 und Kreisar- chiv Olpe, Bestand A 3308. 17. Oktober 1935. Bl.7 - „Die Ortsgruppenleitung der NSDAP und Ortspolizeibehörde haben an der Klarstellung der Angelegenheit das größte Interesse, zumal die Bevölkerung leicht geneigt ist, diese Handlung den nationalsozialis- tischen Verbänden in die Schuhe zu schieben.“ 159 . W. Jochmann, 1988, S.252. Vgl. noch bes. H. Schorn, Die Gesetzgebung des Nationalsozialismus als Mittel der Machtpolitik. Frankfurt/M. 1963. S.84: „Das beschämendste Kapitel der nationalsozialistischen Gesetzgebung stellt die Normenregelung dar, die in Form von Gesetzen, Verordnungen oder Erlassen gegen das Judentum erging.“ Vgl. ebda. S.85 ff. und S.90 - 97, wo kurz und prägnant die wichtigsten im Reichsgesetzblatt abgedruckten Gesetze gegen die Juden zusammengefaßt und kommentiert wurden. 160 . Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 5. 27. Mai 1935. 38

Der politische Lagebericht für Mai 1935 vermißte zwar einerseits die fehlende Disziplin innerhalb der Bevölkerung des Kreises Olpe im Kampfe gegen das Judentum. Andererseits stellte er aber erfreut fest, daß die „antisemitische Welle im stetigen Wachstum begriffen“ sei 161 . Ab Mitte der dreißiger Jahre war es dann schon nicht mehr selten, daß sowohl die örtlichen NS-Oberen als auch die Kommunalverwaltung ihren Ehrgeiz gegenüber übergeordneten Stellen daran setzten, Dörfer oder Städte als „juden- rein“ deklarieren zu können 162 . Aber auch Vereine suchten ihre seltenen jüdischen Mit- glieder, oft auf Anweisung von „oben“, aus ihren Reihen zu „entfernen“ 163 . Schon im Frühjahr 1934 bat zudem der Kreisausschußvorsitzende die Bürgermeister des Kreises, Einfluß zu nehmen, daß auf allen öffentlichen Festen nach Möglichkeit die alten deut- schen Tanzweisen gespielt würden und nicht die jüdischen Schlager der Nachkriegszeit. Besonders hatten die Schützenvereine darauf zu achten 164 . In Altenhundem gab es schon 1935 für einen Halbjuden Probleme, als Fotograf auch Arbeiten für die NS-Gliederun- gen erledigen zu können 165 . Das Erzählen eines politischen Witzes brachte den Altenhundemer Heinrich Winter wegen Vergehen gegen das Heimtückegesetz mit der Gestapo in Berührung. An eine ordnungsgemäße Verhandlung mit Rechtsbeistand war dabei kaum zu denken 166 . Denn die Juden in der Provinz fanden nur noch selten Anwälte, die sie in Rechts- und Notariatsgeschäften wirksam vertreten konnten. Wer trotzdem jüdische Klienten betreu- te, lief schnell Gefahr, denunziert und geschäftlich wie gesellschaftlich kaltgestellt zu werden 167 .

161 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand - Politische Polizei - 417. Mai 1935 - „Die Juden“. 162 . Vgl. z.B. Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 1. Mai 1937. Bl.202 - Bezüglich der Judenfrage kann mitgeteilt werden, daß seit Anfang dieses Jahres unsere Gemeinde judenfrei ist.“; Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 5. 5. Au- gust 1938 - Differenzen zwischen Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd und „Westfälische Landeszeitung - Rote Erde“ - Verlagslei- ter „Parteigenosse“ Förster wegen eines Artikels vom 1. August 1938 „Olpe wird judenfrei! Jude Lenneberg verschwindet.“ (Gau- wirtschaftsberater Westfalen - Süd: „Das jüdische Kaufhaus Lenneberg, Olpe, ist rechtskräftig noch nicht an einen deutschen Volksgenossen verkauft worden. Infolgedessen ist es nach wie vor als jüdisches Unternehmen anzusehen. Gleichzeitig bitte ich Sie, die für das Versehen zuständige Stelle auf die inzwischen zwischen der Gauleitung und Ihnen getroffene Vereinbarung hinweisen zu wollen, wonach Arisierungs-Hinweise erst dann gebracht werden dürfen, wenn durch den NS-Gaudienst den Verlagsleitungen diese Tatsache in jedem einzelnen Fall mitgeteilt worden ist.“ / Durchschrift an den NSDAP-Kreisleiter Olpe); Stadtarchiv Drolsha- gen, Bestand A 1751. 9. Dezember 1938 - Schreiben des Amtsbürgermeisters in Drolshagen an den Olper Landrat („Im Amtsbezirk sind keine Juden.“). 163 .Im Kreis Olpe setzte z.B. der Kreisschützenbund einen eigenen Tagesordnungspunkt zum Problem des „Arierparagraphen“ an (Vom Kreisschützenbunde. In: HBO. 13. 1936. S.33). 164 . Vgl. Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand K 3. 10. April 1934. 165 . Vgl. ausführlicher (mehr als 50 Bll.) Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 5. Juli 1935. 166 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand Sondergericht Dortmund 2. 167 . Vgl. z.B. Stadtarchiv Olpe, Bestand B 40. 21. September 1937 - Denunziation des Olper Ratsherrn Ruegenberg durch zwei andere Ratsherrn, weil er für den jüdischen Metzgermeister Emanuel Rechts- und Notariatsgeschäfte tätigte. 39

Für den Regierungsbezirk Arnsberg erließ der Kommandeur des Gendarmerie- Bezirks Arnsberg, Oberstleuntant der Gendarmerie Jilski, am 12. August 1935 eine „Be- sondere Anordnung“, in der die ihm unterstehenden Beamten noch einmal auf ihre kon- sequent antisemitische Haltung im und außer Dienst hingewiesen wurden 168 : „Der nationalsozialistische Kampf gegen das Judentum kann wirksam nur geführt werden, wenn die Gesamtheit des Volkes aus innerer Erkenntnis der volkswirtschaftlichen, kulturellen und rassischen Schädlichkeit des Judentums die Maßnahmen des Staates unterstützt. Es ist daher eine Selbstverständlichkeit für die Beamtenschaft als Träger des Staatswillens, nicht nur aufklärend in der Bevölkerung zu wirken, sondern vor allem selbst vorbildlich zu handeln. Den Mitgliedern der NSDAP ist es verboten, bei Juden zu kaufen oder Geschäfte mit Juden zu machen. Der glei- che Grundsatz hat für alle Staatsbeamten zu gelten. Nachdem die Gendarmerie im nationalsozialistischen Denken erzogen wor- den ist, ist es unverständlich, wenn heute noch von einzelnen Gendarmen der Anstoß zu Presseartikeln gegeben wird, in denen Gendarme oder ihre Frauen öffentlich angeprangert werden, weil sie in jüdischen Geschäften einkaufen. Ein Gendarm, der heute noch die Juden unterstützt oder in irgendeiner Form Vorteile von ihnen annimmt, beweist, daß er kein Nationalsozialist ist. Ein Gendarm, dessen Familienangehörigen es wagen, seinem Verbot zuwider bei Juden zu kaufen, beweist seine Unfähigkeit, auf andere Volksgenossen er- zieherisch einwirken zu können. Ich gebe diese Anordnung als letzte Warnung an diejenigen, deren böser Wille oder Leichtfertigkeit die wohlbegründete antisemitische Arbeit des Natio- nalsozialismus sabotieren.“

Um die katholische Bevölkerung, zumindest die Ängstlichen, mit der Drohung zu schrecken, ihre Namen in einem „Stürmer-Kasten“ zu publizieren 169 , hingen viele lokale NS-Organisationen an zentralen Stellen ihrer Orte einen solchen „Stürmer- Kasten“ auf. Das Blatt der „Stürmer“, herausgegeben vom NS-“Frankenführer“ Julius Streicher, bot jedem, der gegen die Juden hetzen oder Personen, die mit Juden verkehr- ten, denunzieren wollte, breitesten Raum. Das NS-Hetzblatt galt als Hauptträger staat- lich geduldeter und geförderter Propaganda gegen das Judentum und überbot jegliches denkbare, schlechte Niveau noch um Längen. Artikel über jüdische Mädchenschänder 170 , Päderasten und Ritualmörder oder die jüdische Weltverschwörung gipfelten mehr als regelmäßig in der gnadenlosen Parole „Juda verrecke!“ Viele Deutsche nahmen zwar das Blatt wegen seiner Fäkaliensprache und der abstrusen Darstellungen über das Sexu-

168 . Stadtarchiv Lennestadt, Bestand A 1376 - Tgb.Nr.I Pc 2 Nr.450. 169 . Vgl. z.B. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 28. Oktober 1933 - Anprangern von Personen aus Maumke, die bei Juden kauften (Schreiben des Polizeipostens Meggen an die Ortspolizeibehörde Bilstein); Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.168. 22. Juni 1935 - NSDAP-Ortsgruppenversammlung in Altenhundem: „Der Ortsgruppenleiter gab dann weiter zu verstehen, daß Pgg. und Angehörige der verschiedenen Formationen, die es immer noch nicht lassen können, bei Juden zu kaufen, demnächst im Stür- merkasten, der ab nächster Woche im Ort angebracht würde, öffentlich angeprangert werden.“ 40

alverhalten der Juden nicht ernst. Aber mit der permanenten Wiederholung der An- schuldigungen über Jahre hinweg vergiftete Streicher mit abnormer Perfidie den Le- bensalltag der Juden, denen so gut wie keine Möglichkeit offenstand, sich gegen diese Hetze effektiv zu wehren. Der „Stürmer“ fühlte sich aus „gesundem Volksempfinden“ berufen, jegliches jüdische Verhalten mit unnachahmlicher Geschmacklosigkeit zu dokumentieren und zu kommentieren. Es wurde alles publizistische Argumentieren beiseite gelassen, um an die niedrigsten Instinkte der Leser zu appellieren und deren moralische Hemmschwelle unmerklich von Mal zu Mal zu senken 171 . Noch vorhandene Hemmungen hatte diese Posaune antisemitischer Vernichtungspropaganda heftig zu übertönen. Das Streicher- sche Credo - in enger Anlehnung an Hitlers Rassenphantasien - lautete knapp: Der Jude soll „ausgemerzt“ werden! Doch zuerst mußte ihm jegliche Existenz- und Entfaltungs- möglichkeit im öffentlichen Leben genommen werden. Der späteren physischen Liqui- dation hatte eine psychische voranzugehen. Darum heizte man das Denunziantentum gegen die Juden durch die sog. „Klatschspalten“ aus der Provinz immer wieder an. Im abgelegensten Weiler war man zuletzt nicht mehr sicher vor selbsternannten „Stürmer“- Zuträgern! Selbst im katholischen Milieu kam im Laufe der Jahre ein „Stürmer-Kasten“ zum anderen, erhielt seinen - meist exponierten - Platz in Stadt und Dorf172 . Ein Be-

170 . Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den mehr als absurden Verurteilungskriterien nationalsozialistischer Gerichte zur „Rassenschande“ bei: L. Gruchmann, 1988, S.864 - 886. 171 . Vgl. zum stufenweisen Herabsetzen des Mitgefühls in der deutschen Bevölkerung als strategisch-machtpolitisches Hilfsmittel der Nationalsozialisten; P.Steinbach, 1983, S.232 f. (Hervorhebung AMK): „Bereits unmittelbar nach den Reichstagswahlen vom 5. März begannen Boykottmaßnahmen, die ... den Nationalsozialisten zeigten, daß sie sich im Kampf gegen das ‘Judentum’ weit vorwagen durften. Stufenweise setzten sie die Schwellen des praktischen Mitgefühls herab: ‘Reinigung’ der Beamtenschaft und akademischer Berufe von Juden sind hier ebenso zu nennen wie das Sterilisationsgesetz vom 14. Juli 1933, das erbbiologische Kriterien formulierte und Voraussetzung der Lebens- und Existenzvernichtung im Zusammenhang nationalsozialistischer Rassen- politik war. Die Aufhebung der Rechtsgleichheit zwischen Juden und Deutschen, insbesondere im alltäglichen Leben zwischen Mietern und Vermietern, Kunden und Kaufleuten, Beklagten und Klägern bereitete die Ausgrenzung der Juden aus der Staatsbür- gerschaft, damit aber aus den letzten rechtssichernden Normen vor. Die Reglementierung ihrer Lebensverhältnisse, ihrer Ehepläne und ihres Geschlechtslebens war ein weiterer Schritt, der schließlich in pogromartigen Verfolgungen, in Repressalien und Erklä- rungen der Rechtsfreiheit endete. Alles dies vollzog sich vor den Augen der Öffentlichkeit, wurde jeweils propagandistisch hervor- gehoben und gerechtfertigt, wurde gleichsam zum Bestandteil einer dauerhaft erzeugten Entscheidungssituation aller Deutschen. ... Gerade die nationalsozialistische Rassenpolitik, die schließlich in eine ‘industriemäßig’ betriebene Menschen- und Massenver- nichtung mündete, hatte sich in ihren Anfängen vor aller Augen vollzogen und deshalb zur Abstumpfung der Sinne beigetragen - in einer heute nicht nachvollziehbaren Weise.“ Vgl. außerdem W. Hofer, Stufen der Judenverfolgung im Dritten Reich 1933 - 1939. In: H.A. Strauss, u.a., (Hgg.), 1985, S.172 - 185, bes. S.175 f. 172 . Vgl. z.B. Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.206. 30. Juli 1935 - „Auch in Altenhundem ist vor kurzem ein Stürmer- Kasten, und zwar an der Hundemstr. neben dem Bahnhofshotel .. angebracht worden. Hiermit ist jedem Volksgenossen Gelegenheit gegeben, das wahre Gesicht des Judentums zu erkennen.“; Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.207. 31. Juli 1935 - „Atten- dorn. Ein ‘Stürmer-Kasten’ wurde am Montagabend in der Mitte der Stadt angebracht. Um die propagandistische Wirkung dieser nachahmenswerten Aktion zu erhöhen, hatten sich Mitglieder aller Formationen am Verkehrslokal eingefunden, um den großen Kasten, in dem die neueste Nummer des ‘Stürmers’ war, in geschlossenem Zuge an seinen Bestimmungsort zu bringen. Die Ange- hörigen des HJ-Zeltlagers und des Landjahrlagers waren vollständig erschienen. Auch andere Volksgenossen hatten sich eingefun- den und lauschten mit Interesse der Ansprache, in der Ortsgruppenleiter Becker über den Kampf gegen die jüdische Gefahr sprach. Zwei weitere Kästen werden demnächst noch am Verkehrslokal und in der Nähe des Bahnhofs angebracht. Zur Nachahmung 41

schwerdeschreiben des jüdischen Central-Vereins (CV), Landesverband Rheinland- Westfalen, an den Olper Landrat Evers vom 10. Oktober 1935 wies auf die hier ausge- hängten für die örtlichen Juden entwürdigenden Pamphlete eindringlich hin. Umgehend wurde die „Abstellung“ der von den örtlichen DAF-Ortsgruppen initiierten Angriffe verlangt 173 : „Wir gestatten uns, dem Herrn Landrat Folgendes zu unterbreiten: In Olpe ist in der Kölner Straße quer über diese ein judenfeindliches Trans- parent angebracht. In Altenhundem und Meggen hängen Transparente mit den Aufschriften ‘Judenfreund unser Unglück’ und ‘Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverrä- ter’. Eines dieser Transparente, welches beide Aufschriften trägt, hängt in nächster Nähe eines jüdischen Geschäftes. In Meggen hat sogar in dem sogenannten ‘Stürmer’-Kasten ein Aushang mit zahlreichen Namen von Personen, die in jüdischen Geschäften gekauft haben und die als Volksverräter bezeichnet sind, gehangen. Dieser Aushang ist inzwi- schen entfernt worden. Es soll jedoch angeblich von einem gewissen Herrn L. erklärt worden sein, wenn nur noch Leute von der Kampstraße und Auf’m Ohl vom Juden kauften, würden ihre Namen ebenfalls auf acht Tage ausgehängt werden. Sollte diese Drohung erfolgt sein, so würde dies naturgemäß eine mindestens ebenso starke Wirkung wie der Aushang selbst haben. Wir bitten unter Bezugnahme auf den bekannten Standpunkt der Reichsre- gierung über die Stellung der Nichtarier in der Wirtschaft und die wiederholten Verbote von Einzelaktionen um alsbaldige Abstellung.“

Allgemeines Aufsehen im Kreisgebiet und z.T. unverhohlene Schadenfreude brachte die namentliche Anschwärzung eines Grevenbrücker Gastwirts und „Honoratio- ren“ wegen Handelns mit dem jüdischen Metzger Aron Neuhaus aus Altenhundem 174 : „Ein 110 Prozentiger in Grevenbrück. Lieber Stürmer! Es gibt Volksgenossen, die wohl seit der Machtübernahme mit lauter Stim- me ‘Heil Hitler!’ grüßen, aber durch die Tat beweisen, daß sie alles eher, denn Nationalsozialisten sind. Ein solcher Volksgenosse ist der Erbhofbauer und Gastwirt Otto Börger in Grevenbrück-Förde. Er bekleidet im öffentlichen Le- ben die Ehrenposten eines Schützen-Majors, Oberbrandmeisters, stellvertre- tenden Führers des Kyffhäuserbundes und eines Beisitzers des Jugendgerich- tes. Otto Börger unterhält rege Geschäftsbeziehungen zu den Fremdrassen und hat erst vor kurzem von dem Juden Aron Neuhaus in Altenhundem 80 Pfund Fleisch bezogen. Lieber Stürmer! Die gesamte Bevölkerung des Ortes freut sich, daß Gre- venbrück und das ganze Veischedetal frei von Juden sind 175 . Umso erstaunter ist man aber darüber, daß gerade Herr Börger, der so viele Ehrenämter be-

empfohlen!“; Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238 - Offener Brief an „Deutsche Volksgenossen“, die die Bedeutung des ‘Stürmer- Kasten’ noch nicht begriffen haben. 173 . Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238 - Schreiben vom 10. Oktober 1935 an den Olper Landrat. 174 . Vgl. D. Tröps, 1988, S.243 mit Abbildung des „Stürmer-Artikels“ vom September 1936. 175 . Vgl. Stadtarchiv Lennestadt, Bestand A 1279. 1932 - 1933 - Amt Bilstein. Ergebnis der Personenstandsaufnahme der Jahre 1932 - 1933. Hier tauchte für das Amt Bilstein nur für das Jahr 1932 ein „Israelit“ (Jude) im Ort Grevenbrück auf, der 1933 nicht mehr nachgewiesen war. Die Stadt Lennestadt sah sich auf Anfrage beim Stadtarchiv vom Februar 1990 nicht in der Lage, den Namen des Juden herauszufinden. 42

kleidet und so große Töne von seinem ‘Nationalsozialismus’ spricht, einen auswärtigen Juden durch Einkäufe unterstützt. F.“ 176

Ab September 1936 ordnete Landrat Dr. H. Evers die regelmäßige Berichterstat- tung durch die Bürgermeister über alle die Juden betreffenden Fragen an. Die ersten Antworten waren eher allgemein gehalten. Sie gaben keine negativen Hinweise, insbe- sondere auf politische Aktivitäten 177 . Die Belege, die die Zustimmung von Teilen der Bevölkerung Ende der dreißiger Jahre zu antisemitischen Maßnahmen im katholischen Milieu signalisierten, bewiesen oft nur den hohen Grad propagandistischer Indoktrination und deren Wirkung 178 . Sie dürften aber nicht ohne sorgfältige Prüfung gleichgesetzt werden mit der Bereitschaft dieser Personen, sich im Zweifelsfalle aktiv gegen jüdische Mitbürger zu engagieren oder gar dabei Gewalt anzuwenden. Dies blieb bis 1938 und selbst in der Pogromnacht hauptsächlich einigen wenigen orts- und kreisbekannten NS-“Aktivisten“ und aus- wärtigen NS-Radaubrüdern vorbehalten.

- Jüdische Viehhändler und Metzger zwischen 1933 - 1940 und die nationalsozialistischen „Verdrängungs“-Aktionen Eher geringeren Erfolg verzeichneten anfangs die „Verdrängungsaktionen“ der NS-Instanzen gegen jüdische Viehhändler und Metzger auf dem Lande 179 . Im Februar 1934 berichtete der Attendorner Bürgermeister, daß 1933 der Attendorner Herbstvieh- markt seit Jahrzehnten das erste Mal wieder stattgefunden hätte. Zwei Drittel der aufge- triebenen Tiere stammten von zwei jüdischen Händlern, während „der Rest von mehre- ren Landwirten und kleineren Händlern aufgetrieben war“ 180 . Eine Einschränkung dieser dominierenden Stellung der Juden im Kreis Olpe erreichten die lokalen NS-Instanzen bis 1935 kaum. Zwar kontrollierten sie ihre Geschäftsbücher und drohten bei den klein-

176 . Die Abkürzung F. könnte auf den Olper NSDAP-Kreisleiter Fischer als Verfasser hindeuten. 177 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238 - Anfrage des Landrats an die Ortsbehörden im Kreisgebiet vom 29. September 1936. 178 . Vgl. weitergehend: I. Kershaw, Antisemitismus und Volksmeinung. Reaktionen auf die Judenverfolgung. In: M. Broszat, E. Fröhlich, (Hgg.), Bayern in der NS-Zeit. Bd.II. München 1979. S.281 - 348; ders., The Persecution of the Jews and German Popular Opinion in the Third Reich. In: Year Book of the Leo Baeck Institute. XXVI. 1981. S.261 - 289; ders., German Popular Opinion and the „Jewish Question“, 1939 - 1943: Some further Reflections. In: A. Paucker, (Hg.), 1986, S.365 - 386; O.D. Kulka, „Public Opinion“ in the Nazi Germany and the „Jewish Question“. In: The Jerusalem Quarterly. 25/26. 1982/1983. S.121 - 144 und H. Mommsen, D. Obst, Die Reaktion der deutschen Bevölkerung auf die Verfolgung der Juden 1933 - 1943. In: ders., u.a., (Hgg.), 1988, S.374 - 485 (Fotos: S.422 - 426 / Dokumente: S.427 - 485). 179 . Vgl. ähnliche Probleme der Nationalsozialisten bei der Ausgrenzung jüdischer Viehhändler im ländlichen Mittelfranken und in Bayern: St.M. Lowenstein, The Struggle for Survival of Rural Jews in Germany 1933 - 1938: The Case of Bezirksamt Weissenburg, Mittelfranken. In: A. Paucker, (Hg.), 1986, S.115 - 124 (dt. Kurzzusammenfassung: S.124) und F. Wiesemann, 1981, S.381 f.; außerdem zum Verhältnis der Händler zu den Bauern: Ebda. S.387 ff., 392 und 396. 180 . Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 28. Februar 1934. 43

sten Unregelmäßigkeiten drastische Strafen an, aber der Erfolg war eher mäßig 181 . Der Kirchhundemer Amtsbürgermeister berichtete mit unzufriedenem Unterton 182 : „Nach meinen Beobachtungen liegt auch im hiesigen Amtsbezirk der Vieh- handel fast restlos in den Händen der Juden. Bereits in meinem Lagebericht vom 22. Juni 1935 habe ich Beschwerde über den Juden Ernst Winter geführt, der im hiesigen Amtsbezirk waggonweise Vieh aufgekauft und nach Frankfurt verschickt hat, so daß arische Metzger bei den Bauern und Landwirten kein Vieh mehr erhalten konnten, sondern gezwungen waren, ihre Einkäufe bei Ju- den zu tätigen. Abgesehen hiervon wird der größte Prozentsatz an Vieh auch heute noch von den Juden gekauft. Fälle in denen Juden das Vieh zu überhöh- ten Preisen aufgekauft haben, sind hier nicht ermittelt worden. Dafür, daß die Juden tatsächlich überhöhte Preise anbieten, spricht jedoch meines Erachtens die Tatsache, daß die Bauern ihr Vieh vorzugsweise an die Juden verkaufen.“

Die Bauern waren kaum bereit mit „arischen“ Viehhändlern ins Geschäft zu kommen, weil diese oft finanzschwach waren und wenig attraktive Konditionen bo- ten 183 . Denn es sprach sich gerade auf dem Lande schnell herum, wenn man auf die Be- zahlung Wochen warten mußte, während der Jude bar bezahlte 184 . Daher brauchten die jüdischen Viehhändler auch fast nie die vom Kirchhundemer Amtsbürgermeister vermu- teten, „überhöhten“ Preise zu zahlen, sondern kamen schon durch ihre finanzielle Boni- tät vorrangig zum Zuge.

181 . Vgl. z.B. Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand A 59. 26. Januar, 9. Oktober, 27. November 1935 - Überprüfen des Vieh- Kontrollbuchs beim Altenhundemer Viehhändler H. Winter und seinem Schwiegervater Levy (Ehringhausen). Eine erste Geldstrafe von 100.- RM hatte Winter schon im Frühjahr 1935 wegen „Nichtführens des Kontrollbuches“ erhalten. E. Winter wurde von dem örtlichen Gendarmerie-Hauptwachtmeister seitdem „sehr scharf überwacht“. 182 . Vgl. Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand A 59. 12. November 1935. Ergänzend für die anderen Ämter und Städte im Kreis Olpe: Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 16. November 1935. 183 . Vgl. z.B. Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 5. 25. Mai 1936 - Einkauf von zwei Heggener Bäckermeistern beim Dortmunder Juden Grünwald („Es geht wirklich nicht an, daß ein Pg. zwei Jahre nach der Machtergreifung sich ... mit Juden ein- läßt.“ ... „Es wäre mir als Pg. selbstverständlich nie eingefallen, mit einer jüdischen Firma zu arbeiten, wenn mich nicht die Not dazu gezwungen hätte.“); Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 1. März 1937 - Stützpunkt Helden: „Das Landvolk wurde ganz intensiv über die Judenfrage aufgeklärt. Man kann wohl sagen, daß im Bezirk nicht mehr mit Juden gehandelt wird, wohl kaufen einige Frauen noch in jüdischen Geschäften in Attendorn.“; Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 1. April 1937 - Stützpunkt Helden: „Zur Judenfrage ... wäre zu bemerken, daß der Handel mit Juden immer noch nicht ganz unterbunden ist, da der Verkauf von Vieh durch die landwirtschaftliche Organisation noch immer nicht so geklärt ist, wie es notwendig wäre. Man hört dieserhalb viele Klagen.“; Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 1. Mai 1937. Bll.249 - 251, 253 - NSDAP- Kreisleitung Olpe bittet um Auskunft über Kleffmann-Figgen, J. Klünker, E. Löcker (Albaum/Heinsberg/Altenhundem), die trotz Verbot noch mit Juden handelten; Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 1. Juli 1937. Bl.164 - „Bauer H. Humpert in Eichhagen und Witwe A. Bast, Stade ... haben in der letzten Zeit noch Vieh an jüdische Händler verkauft.“; Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 3. 19. Juni 1938 - V. Klünker, Heinsberg, erhielt keinen Reichszuschuß für einen Hausumbau, weil er dem Altenhundemer Juden Neuhaus eine Ziege verkaufte (Ortsgruppenleiter Albaum an NSDAP-Kreisleiter Fischer). 184 . Vgl. z.B. Geheimes Staatsarchiv Berlin, Bestand Rep.90 P. Nr.83. H.2. August 1935 - „Dies zeigt sich vor allem in der Haltung der bäuerlichen Bevölkerung zur Judenfrage.“; Geheimes Staatsarchiv Berlin, Bestand Rep.90 P. Nr.85. H.3. Dezember 1935 - „Die Einstellung der Bauern zum heutigen Staat ist häufig eine sehr schlechte, dies gilt insbesondere bei den Bauern des Sauerlandes, die vor der Machtübernahme fast ausnahmslos Anhänger des Zentrums waren. Die Bauern ziehen sehr oft die jüdischen Viehhändler den deutschen vor, da erstere höhere Preise für das Vieh zahlen. ... Zu bemerken ist auch noch, daß die Bauern und überhaupt die Landbevölkerung mit Vorliebe ihren Bedarf in den jüdischen Geschäften der Stadt decken.“; Staatsarchiv Münster, Bestand - Politische Polizei - 425. Januar 1936 - „Im Viehhandel nimmt der Jude noch immer eine überragende Stellung ein. Er befördert durch umfangreiche Vieheinkäufe einen Teil des Schlachtviehs aus den Landkreisen heraus, so daß die ortsansässigen Metzger häufig kein Vieh mehr erhalten können.“ 44

Einer Angabe des Kirchhundemer Amtsbürgermeister vom Juni 1935 zufolge „rollten wöchentlich zwei bis drei Waggons“ der Fa. Winter ab 185 . Im April / Mai 1933 verlud Winter acht Waggon Vieh, im April / Mai 1934 zwei Waggon Vieh und im April / Mai 1935 zehn Waggon Vieh, während der Altenhundemer Jude Neuhaus für die glei- chen Zeiträume acht, zwei und zehn Waggons auf die Reise schickte. Der Viehversand erfolgte nach Frankfurt, Gießen, Worms, Ehringhausen, Herborn, Meschede, Littfeld, Brüggen und Plettenberg. Um die „arischen“ Händler besser ins Geschäft zu bringen, erließ am 11. Januar 1936 der Arnsberger Regierungspräsident eine Verfügung „Zur genauen Einhaltung der festgesetzten Viehhöchstpreise“. Im Kreis Olpe fand daraufhin am 11. Februar 1936 eine verpflichtende Versammlung für alle Viehhändler im Olper „Kölner Hof“ statt, bei der die Kreisbauernschaft durch Dr. Bölling, der Kreis durch den Veterinärrat Dr. Leicht und die Ortspolizeibehörden durch Polizeibeamte vertreten waren. Von fünfzehn anwe- senden Viehhändlern war nur einer Jude, der Altenhundemer Winter. Noch bis 1935 konnte Neuhaus seinem Metier nachgehen. Doch unter äußerem Druck handelte er ab Mitte 1935 gar nicht mehr 186 und E. Winter nur noch im Auftrage des Juden Moritz Levy aus Ehringhausen (Kreis Wetzlar) 187 . Für den letzten jüdischen Viehhändler 1936 im Kreis, Ernst Winter in Altenhundem, der bis dahin unter dem Fir- mennamen Geschwister Winter eine gutgehende Metzgerei und einen schwunghaften Viehhandel selbständig betrieben hatte, wurden die geschäftlichen Möglichkeiten durch amtliche Drangsalierungen immer beengter. Ein Denunziant hatte u.a. angemerkt, daß Landhelfer in SA-Hosen Vieh abgeliefert hätten, die ortsansässigen Juden für eine loka- le Verknappung des Viehangebots verantwortlich seien und den örtlichen Metzgereien nicht genügend Schlachtvieh zur Verfügung stehe. Der Kreisveterinärrat konnte diesen Verdacht nicht bestätigen und verwies darauf, „daß die Juden Winter und Neuhaus bei

185 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 238. 16. November 1935; außerdem ergänzend Kreisarchiv Olpe, Bestand A 236. Dezember 1935. Bl.10 und Januar 1936. Bll.1 f. und Kreisarchiv Olpe, Bestand A 3308. 17. Januar 1936. Bll.1 f. 186 . Vgl. Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand A 59. 18. Mai 1937, 2. Mai 1938 - Probleme des N. wegen erneuten Erlangens einer Viehhandelserlaubnis. N. fühlte sich vom Sachbearbeiter des Viehverwertungsverbandes (Unna-Königsborn) hintergangen, erhielt keine Erlaubnis und handelte nach Erkenntnissen der Kreisbauernschaft trotzdem weiter. Letztere beantragte am 2. Mai 1938 eine Ordnungsstrafe von 1.000.- RM. Die Ortspolizei konnte den Verdacht auf unerlaubten Handel trotz öfterer Kontrollen aber nicht bestätigen (18. Juli 1938). Zum Verkauf seines Besitzes: Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand K 368. 5. März 1939 - Vertrag (Nummer 20 der Urkundenrolle für 1939). 187 . Vgl. noch E. Lillpopp, Ausführungen zur Geschichte Altenhundems von 1933 bis 1949. Altenhundem o.J. Abschnitt 1.2. Das Schicksal der beiden Judenfamilien (2 Bll.). 45

den Tierbesitzern des Amtes Kirchhundem und der übrigen Nachbarschaft schon seit Jahren die meisten Viehhandelsgeschäfte tätigen“ 188 . Den Nationalsozialisten im Kreis Olpe - wie in weiteren Teilen des Kurkölni- schen Sauerlandes - gelang es noch bis zum Kriegsausbruch oft nur sehr unzureichend, „arische“ Händler ihrer Wahl einzusetzen 189 . Ein weiterer Bericht des Kreisveterinärrats vom 10. Januar 1936 bestätigte diese Annahme, war aber schon stärker antijüdisch ge- färbt 190 : „Auch im hiesigen Kreise hat sich in letzter Zeit ein schwunghafter nächtli- cher, jüdischer Viehhandel und Viehtransport entwickelt. Wie üblich handelt der Jude selbst im Dunkeln und schickt seine christlichen Strohmänner zum Ausmachen des Viehs vor und bedient sich ihrer auch zum Transport der Tiere, der meistens in nächtlicher Stunde ausgeführt wird. Der judenfreundliche Bau- er bezw. sein Vertrauter führt das Stück Vieh außerhalb des Dorfes bis zu einer einsamen verschwiegenen Stelle im Walde und übergibt es hier dem Juden oder seinem Beauftragten, der es dann oft stundenweit zum Verladen bis zu einer Bahnstation führt, wo der Viehführer und evtl. auch der Verlader unbekannt sind. So ha(ben) sich in letzter Zeit die Orte Grevenbrück und Altenhundem als Umschlagplatz bezw. Verladeplätze für auf diese Art aus dem Kreise Meschede stammendes Vieh entwickelt. Wirksame Abhilfe kann nur dadurch geschaffen werden, daß jeder Trans- portführer ein Viehhandelskontrollbuch führt, und daß durch nächtliche Strei- fen der Gendarmeriebeamten der Führer und Vorbesitzer der Handelstiere er- mittelt werden.“ Im April 1937 antwortete die Kreisbauernschaft Olpe auf eine Anfrage der NSDAP-Kreisleitung Olpe, warum immer noch mehr Vieh aus dem Mescheder Raum am Umschlagplatz Grevenbrück an den Juden Bär aus Hamm an der Sieg 191 verkauft werde als an die am Ort ansässige Viehgenossenschaft, eher hilflos mit einem Verweis auf die mangelnde Kapitalkräftigkeit dieser Institution. Man hoffte auf eine offizielle Regelung und letztendlich eine amtliche Abschaffung jüdischen Viehhandels 192 : „Die Viehverwertungsgenossenschaft ist nicht in der Lage, feste Preise für Nutzvieh zu machen, da sie ja nur auf Kommission arbeitet. Die Genossen-

188 . Vgl. zum vorstehenden: Kreisarchiv Olpe, Bestand ZD 150. 19. Juli 1935 - Überwachung der Lebensmittelpreise (Bericht des Kreisveterinärrats). 189 . Erste noch wesentlich ergänzungsbedürftige Informationen über die Situation der Juden in Teilen des Kurkölnischen Sauerlan- des boten: A. Bruns, Die Juden im Altkreis Meschede - Dokumentation 1814 - 1874. Die Schmallenberger Juden 1934 - 1943. Brilon 1987 und U. Hillebrand, Das Sauerland unterm Hakenkreuz am Beispiel des Kreises Meschede. Bd.1. Partei - Verwaltung - Propaganda - Krieg. Meschede 1989; außerdem zum Vergleich: F. Wiesemann, 1981, S.381 - 396. 190 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand ZD 150. 10. Januar 1936; außerdem die Schilderung einer Viehlieferung zum Grevenbrücker Bahnhof: Arbeitsgemeinschaft für örtliche Belange, (Hg.), Elspe. Fredeburg 1983. S.108. 191 . Vgl. z.B. für den Kreis Olpe: Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 1. März 1937 - NSDAP-Ortsgruppe Oberelspe: „Ich habe leider feststellen müssen, daß es im Ortsgruppenbereich immer noch eine ganze Reihe Bauern gibt, welche Vieh an Juden (Bär ...) verkaufen. Bei einzelnen bin ich .. vorstellig geworden. Es ist mir erklärt worden, daß es sonst keine passenden Absatzge- biete gäbe. Meines Erachtens ist die hier existierende Viehgenossenschaft noch nicht auf der Höhe. Es wird mir gesagt, daß die er- wähnte Genossenschaft nie ein festes Gebot machte. Vielleicht ist es der NSDAP-Kreisleitung möglich, ... mit dem Kreisbauernfüh- rer zu verhandeln.“ Kreisleiter Fischer informierte unverzüglich am 2. April die Kreisbauernschaft mit der Anweisung, Abhilfe zu schaffen. 192 . Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 1. 9. April 1937. 46

schaft vermittelt lediglich das Vieh und nimmt für die Vermittlung 1,5 Prozent. Ein Ankauf des Viehes durch die Genossenschaft ist nicht durchführbar, zumal hierzu auch keine finanziellen Mittel vorhanden sind und auch die übrigen Voraussetzungen, wie Stallungen und dergleichen, fehlen. Sobald der Markt für Schlachtvieh endgültig geregelt ist, worüber immer noch ein halbes Jahr ver- gehen wird, soll auch die Regelung des Nutzviehmarktes durchgeführt werden. Unseres Erachtens kann der jüdische Viehhandel nur dadurch abgeschafft werden, daß kreis- und bezirksweise vielleicht monatlich oder alle zwei Monate das zum Verkauf stehende Vieh von genossenschaftlicher Basis versteigert wird, wie es jetzt für das bessere Zuchtvieh auf Versteigerungen in Hamm, Münster und Meschede schon gehandhabt wird. Unser Vieh kann auf diesen Versteigerungen jedoch nicht konkurrieren. Wir haben diese Angelegenheit be- reits mit der Landesbauernschaft besprochen und gebeten, möglichst bald ... eine generelle Regelung zu treffen. Einen örtlichen Versteigerungsmarkt, den wir in Grevenbrück und Attendorn einrichten wollten, hat man uns nicht ge- nehmigt mit der Begründung, daß die Dinge durch allgemeine Anordnungen geregelt würden.“

Bei der Liquidierung jüdischer Metzgereien übte man ebenfalls stark amtlichen Druck aus 193 . In Olpe konnte im November 1937 ein junger Metzger eine jüdische Metzgerei anmieten. Doch sofort erklärte der Olper DAF-Obmann, daß er jeden boykot- tieren ließe, „der das Geschäft nur pachtet und dem Juden Miete zahlt“. Eine entspre- chende Zeitungsanzeige des DAF-Funktionärs hielt die Bevölkerung aber nicht vom Einkauf ab. Der Geschäftsumsatz in gut zwei Monaten lag schon bei 70.000.- RM. Die lokalen „Parteigenossen“, allen voran NSDAP-Kreisleitung und „Deutsche Arbeits- front“ (DAF), wollten es auf eine Machtprobe ankommen lassen. Eine Kaufabsicht wur- de kaum zur Kenntnis genommen. Sogar eine 50prozentige Kürzung des Schlachtkon- tingents verfügte NSDAP-Kreisleiter Fischer. Erst die Interventionen des früheren Lü- denscheider Chefs des jungen Metzgers beim Viehwirtschaftsverband und die Drohung mit einer Beschwerde beim Reichswirtschaftsministerium im Mai 1938 setzten nach

193 . Vgl. z.B. Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 6. 3. September 1936 - Die Anfrage einer Bilsteiner Pension wegen der Fleischkontigentierung ließ erkennen, wie sich mancher zwischen Bücklingen vor den Nationalsozialisten und der Sorge um das eigene Geschäft durchlavierte. Der Kreisleiter Fischer nahm den Vorfall zum Anlaß, am 3. August 1936 die Kontingentierung im Kreisgebiet einer Überprüfung durch das Olper Handwerk- und Gewerbeamt zu unterziehen (Anfrage der Pension: „So haben wir .. in besonderen Notfällen ... entschließen müssen, gegen unsere innere Einstellung , das Fleisch bei Winter in Altenhundem zu bestellen. ... Es mutet uns auch wirklich komisch an, daß gerade Winter liefern konnte, während unsere Metzger sich stets über Viehmangel beklagen. Könnte denn von der Behörde nicht darauf eingewirkt werden, daß dieses Mehr unsere Metzger bekämen, damit man die Gäste, die zum Sauerland kommen, auch gut und ausreichend beköstigen kann, ohne zum Juden gehen zu müssen.“ / Antwort des Kreisleiters in Olpe: „Zur Beruhigung sei Ihnen mitgeteilt, daß bei den jüdischen Geschäften der genannte Kontingent nicht erhöht, sondern im Gegenteil erheblich gekürzt wurde, was den übrigen Metzgern im Kreis zusätzlich zufiel. Wenn es dem jüdischen Metzger Winter möglich war, Sie zu beliefern, so ist das wohl darauf zurückzuführen, daß er normal nicht einmal Absatz findet für den ihm zugeteilten Kontingent.“ / Schon im Juni 1934 beschwerte sich die NSDAP-Ortsgruppe Bilstein beim NSDAP- Kreisleiter Fischer : „Die Judenfreundlichkeit der Bilsteiner Wirte dürfte soweit reichen, als es ihrem Geldsack dienlich ist. Ebenso verhält es sich mit ihrem Nationalsozialismus.“ und ebda. 9. Mai 1934 - Schreiben des Ortsverbandes des jüdischen Centralvereins in Essen: „Die Wirte sind in keiner Weise antisemitisch eingestellt und bedauern es sehr jüdischen Gästen vom Besuche abraten zu müssen.“); Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreislei- tung 1. Mai 1937. Bl.202 - „Noch vor einem Jahr wurde unsere Gemeinde (Welschen Ennest) ausschließlich von jüdischen Metz- gern beliefert und bestand hierselbst eine jüdische Filiale. - Die jüdische Filiale ist .. geschlossen und hat ein arischer Metzger sich hier am Platze niedergelassen.“ 47

weiteren schwierigen Verhandlungen dem ganzen Trauerspiel im Juli 1938 ein Ende. Der Mietvertrag blieb bestehen. Das Schlachtkontingent konnte wieder voll ausge- schöpft werden 194 . Die örtlichen Partei- und Verwaltungsstellen behielten sich aber auch ein Mit- spracherecht bei der Festsetzung des Verkaufspreises für jüdisches Geschäftsinventar vor. So konnte im Frühjahr 1938 das Inventar einer Olper jüdischen Metzgerei für ganze 6.000.- RM erworben werden, so daß selbst der erwerbende „Fleischer von einem gün- stigen Kauf sprach und der Vertreter der Kreishandwerkerschaft als Sachverständiger nichts zu beanstanden fand“ 195 . In Altenhundem verpachtete der Jude Aron Neuhaus schon im Dezember 1937 seine Metzgerei 196 . Zwei seiner Kinder wanderten nach USA aus 197 . Im März 1939 drängten Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd, Kreiswirtschafts- berater, örtliche NS-Hago zum Verkauf und die letzte „Frist ... (wurde nur) bis zum 5. März“ verlängert 198 .

- Die „Arisierung“ der Wirtschaft bis zum 10. November 1938 199 Überzeugend hat A. Barkai nachgewiesen, daß „die vier Jahre zwischen 1934 und 1937“ keine wirtschaftliche „Schonzeit“ für jüdische Geschäftsleute waren. Denn gerade in der Provinz wurde mit allen Mitteln wirtschaftlicher Verdrängung jüdischer Besitz „arisierungsreif“ gemacht. Das betraf insbesondere die Inhaber kleiner und mitt- lerer Unternehmen 200 . Ab Mitte 1937 griffen die Nationalsozialisten immer rabiater nach dem Rest des jüdischen Anteils am Wirtschaftsleben 201 . Es wurden Maßnahmen getroffen, die Angst und Schrecken verbreiteten. Sie trafen auf eine geschwächte, aber nicht unbedingt schon

194 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand GWS 43 - Schriftwechsel vom 5. November 1937 - 11. Juli 1938 (Zitiert nach: G. Kratzsch, 1989, S.255 f.). 195 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand GWS 43 - Schreiben vom 27. Januar und 25. April 1938 (Zitiert nach: G. Kratzsch, 1989, S.257). Auch der Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd gab bei solch günstigen Konditionen ohne Beanstandungen seine Zustim- mung. 196 . Vgl. hierzu noch den Bericht von W. Weiskirch, 1988, S.248. 197 . Vgl. Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand A 59. 20. Dezember 1937. 198 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 46. 23. Februar 1939 - Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd an Kreiswirtschaftsberater; Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 471. 29. Juni 1939 - Verkauf an einen ortsansässigen Metzgermeister. 199 . Vgl. zuerst die immer noch aktuelle und lesenswerte Studie von H. Genschel, Die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft im Dritten Reich. Göttingen u.a. 1966; außerdem noch G. Plum, Wirtschaft und Erwerbsleben. In: W. Benz, (Hg.), Die Juden in Deutschland 1933 - 1945. München 1988. S.268 - 313; A. Barkai, Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich (1933 - 1938). In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B-31. 1986. S.39 - 46; ders., Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich, 1933 - 1938. In: A. Paucker, (Hg.), 1986, S.153 - 166 und A. Barkai, „Schicksalsjahr 1938“. Kontinuität und Ver- schärfung der wirtschaftlichen Ausplünderung der deutschen Juden. In: W. Pehle, (Hg.), 1988, S.94 - 117. 200 . Vgl. A. Barkai, 1988, S.65. Nicht nur die Zeitgenossen, auch mancher Historiker und Publizist vertrat noch nach 1945 die Ansicht einer „Schonzeit“ für Juden zwischen 1934 und 1937. 201 . Vgl. einführend zur „Arisierung“ vor dem 1. April 1938: M. Richarz, 1982, Bd.3, S.48 f. 48

illiquide, jüdische Wirtschaft und Bevölkerung. Unter dem Schlagwort „Arisierung der Wirtschaft“ subsumierten die Nationalsozialisten sämtliche verwaltungstechnischen Kniffe und Möglichkeiten, um den Juden jegliche eigene Erwerbstätigkeit zu beschnei- den. Besonders die Bevölkerung wurde mehr und mehr in das unheilvolle Wirken der Nationalsozialisten mit einbezogen. Das Denunzieren von „Volksgenossen“, die trotz wiederholter, z.T. öffentlicher Ermahnung immer noch bei Juden kauften oder mit ihnen handelten, wurde systematisch gefördert. Die NSDAP-Kreisleitung und die Verwaltung gingen, soweit wie möglich, jeder Spur nach und ließen die „Judengenossen“ auch fi- nanziell und durch entsprechende Vorladungen, Verhöre und empfindliche Geld- und Haftstrafen eine harte Hand spüren 202 . Viele jüdische Familien - gerade auf dem Lande - sahen sich erstmals, andere verschärfter vor die Frage einer weiteren Lebensmöglichkeit in Deutschland gestellt 203 . Denn das Beschneiden jeglicher freien Entfaltung verstärkte den Auswanderungsdruck. Die reichsweit erhöhten Auswanderungszahlen ab Mitte 1937 sprachen Bände. Wie in anderen Teilen des deutschen Reiches verließen aber auch aus dem Kreis Olpe meist nur jüngere, ungebundene oder unverheiratete jüdische Bürger das immer bedrohlicher wer- dende „Dritte Reich“ 204 . Dem jüdischen Vermögenstransfer ins Ausland waren zudem mittlerweile engste Grenzen gesetzt 205 . Dem Kreis Olpe kehrten zehn jüdische Bürger gezwungenermaßen vor 1938 den Rücken 206 : Eva Winter (Altenhundem, 31 Jahre), Adelheid und Fritz Neuhaus (Alten- hundem, 32 und 29 Jahre), Henny Jacob (Lenhausen, 24 Jahre), Ludwig, Frieda und

202 . Vgl. z.B. Stadtarchiv Olpe, Bestand B 527. 29. Juli 1937 - Schreiben des NSDAP-Kreispersonalleiters an die Stadtverwaltung Olpe „Betr. Judengenossen in Olpe“ (eine Abschrift zur Kenntnisnahme an das Finanzamt): „Ich ... teile ihnen .. mit, wie mir die Schriftleitung des ‘Stürmers’ mitteilt, die Frau Alfons Kebbekus, Olpe - Möbelhaus bei dem Metzger Emanuel Einkäufe tätigt. ... Unter diesen Umständen ist es natürlich nicht möglich, dem Möbelhaus K. weiterhin die Genehmigung zur Entgegennahme von Bedarfsdeckungsscheinen (von Ehestandsdarlehen und einmaligen Kinderbeihilfen) zu belassen. Ich bitte, unter Bezugnahme auf die vorerwähnte Unterredung, die sofortige Einziehung der Genehmigung zu veranlassen. Wegen der Dringlichkeit ... bitte ich um Erledigung bis zum 4. August 1937.“ (wiedererteilt durch die NSDAP-Kreisleitung am 6. November 1937); ebda. 13. Januar 1939 - Gleicher Fall bei dem Olper Schreiner Langemann, der sich „wiederholt für die Belange des Juden Lenneberg einsetzte“ (18. April 1939: Maßnahme noch in Kraft); Stadtarchiv Olpe, Bestand B 543. 25. Juni 1937 - Schreiben des NSDAP-Kreispersonalleiters an die Stadtverwaltung Olpe zwecks Ausschluß des Olper Metzgers Mönnig bei der Belieferung des Städtischen Krankenhauses Olpe und des Oberlyzeums, weil er mit dem jüdischen Viehhändler Samuel Steinberg (Altena) in Geschäftsverbindung stand (Verweis: Dies gilt auch für die Olper Metzgereien Albert Glees und Witwe Deimel. Der Bürgermeister gab Anweisung, „daß das Kranken- haus nur Waren einkauft, die nicht durch jüdische Hände gegangen sind.“; Antwort der Franziskusschule vom 13. Juli 1937: „Selbstverständlich werden wir solange er mit jüdischen Viehhändlern in Geschäftsverbindung steht, kein Fleisch mehr von ihm beziehen.“). 203 . Vgl. G. Kratzsch, 1989, S.507. 204 . Hierauf verwies auch A. Barkai, 1988, S.112: „Bis 1938 mußte ein mittelständischer Jude mit etwas Vermögen entweder Geld im Auslande haben oder viel Weitblick besitzen, um sich zur Auswanderung entschließen zu können. Die meisten besaßen beides nicht und blieben, während vor allem die Jüngeren und Unvermögenden, die mobiler waren, auswanderten.“ 205 . Vgl. hierzu die Regelungen bis Mai 1938: A. Barkai, 1988, S.116 f. und 125. 206 . Vgl. ausführlicher D. Tröps, 1988, S.244, der auf größere Vorarbeiten zum Schicksal jüdischer Emigranten von P. Tigges (Altenhundem) zurückgreifen konnte, und die Dokumentation im Anhang. 49

Sohn Werner Heldenmuth (Fretter, 40, 34 und ein Jahr), Grete Rieser (Finnentrop, 28 Jahre), Walter und Gerhard Stern (Attendorn, 24 und 23 Jahre) und Erich Ursell (At- tendorn, 23 Jahre). Eine Möglichkeit zur versteckten Gegenwehr, offene war zu diesem Zeitpunkt schon gänzlich illusorisch, blieb den Juden so gut wie gar nicht 207 . Schon im Oktober 1937 ließ der Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd auf Ver- anlassen des NSDAP-Reichspropagandaamtes eruieren, welche jüdischen Firmen noch im Geschäftsbereich existierten. In der „Propaganda-Erkundung“ mußten folgende Fra- gen für einen Sonderbericht zur „Judenfrage“ beantwortet werden 208 : - Wie ist die wirtschaftliche Lage der Juden? - Wie stark ist der jüdische Einfluß in der Wirtschaft? - Wie stark ist die jüdische Beteiligung bei Staatsaufträgen? - Wie ist das Benehmen der Juden? - Auf welche Weise versuchen sie sich zu tarnen? - Wie stark ist die Rückwanderung emigrierter Juden? - Wie ist die Einstellung gewisser Bevölkerungsschichten zu den Juden?

Die befragten Finanzämter, Industrie- und Handelskammern und Kreiswirt- schaftsberater antworteten fast ausnahmslos mit sehr ausführlichen Berichten 209 . Die entscheidende Funktion der Gauwirtschaftsberater (GWB) und ihrer willigen Helfer - der Kreiswirtschaftberater (KWB) - ist bis heute in der Forschung noch wenig themati- siert worden 210 . Doch kam gerade ihnen und ihrem Apparat bei der „Arisierung“ jü- dischen Eigentums elementare Bedeutung zu 211 . Denn sie waren die Sammelstellen der Informationen über die wirtschaftliche Lage der örtlichen und regionalen jüdischen Fir- men, weil sie jeden Schritt auf ökonomischem Sektor überwachten, Einzelakten seit

207 . Vgl. weitergehend A. Paucker, Jewish Self-Defence. In: ders., (Hg.), 1986, S.55 - 65. 208 . Vgl. den gesamten Bericht: Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 145. 7. Oktober 1937. 209 . Vgl. A. Barkai, 1988, S.123 f. und Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 165. 210 . Vgl. A. Barkai, 1977/1988, S.107 f. Für Westfalen liegt seit Frühjahr 1990 die umfangreiche, den Bestand des Gauwirtschafts- beraters im Staatsarchiv Münster sorgfältigst aufarbeitende Studie von G. Kratzsch, Der Gauwirtschaftsapparat der NSDAP. Men- schenführung - „Arisierung“ - Wehrwirtschaft im Gau Westfalen-Süd. Münster 1990 vor. Sie gab erstmals näheren Aufschluß über die regionalen Aspekte des NS-Wirtschaftsbürokratismus und war zugleich ein beredtes Zeugnis über die individuelle Verstrickt- heit in den Maschen eines diktatorischen Regimes, das bis in die kleinsten Zusammenhänge „vor Ort“ wirken konnte. Seine kurze und prägnante Zusammenfassung zur Ausschaltung der Juden aus der mittelständischen Wirtschaft im Gau Westfalen-Süd zeigte eindeutig, welche menschlichen Abgründe sich auch hier auftaten (S.505 - 508). 211 . Vgl. A. Herzig, 1987, S.123 f. - „Das Beziehungsgeflecht von ökonomischen Erwartungen, die manche Gruppen mit der Ver- drängung der Juden aus dem wirtschaftlichen Leben verbanden, und der Duldungsbereitschaft, mit der man den staatlich verordne- ten Genocid hinnahm, läßt sich nur schwer analysieren. ... die ökonomischen Erwartungen, die klein- und auch großbürgerliche Gruppen mit der NS-Judenpolitik verbanden, (haben) die Vernichtungspläne .. erleichtert. Um das näher herauszuarbeiten, bedarf es für den lokalen und regionalen Bereich noch eingehender Untersuchungen über die Gruppen, die an der ‘Arisierung’ jüdischen Besitzes und der Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen Leben interessiert waren.“ Vgl. für den Gau Westfalen-Süd die ausführliche Aufarbeitung bei G. Kratzsch, 1989, S.112 - 310 (C. Die „Entjudung“ der mittel- ständischen Wirtschaft), besonders S.146 - 163 (Die gauamtliche Mitwirkung des Gauwirtschaftsberaters bei „Arisierungen“ seit Herbst 1936; hier S.149 f. - Richtlinien <11 Punkte> für die Durchführung der Übernahme jüdischer Unternehmen durch deutsche Volksgenossen <11. August 1937>), S.177 - 215 (Die gesetzliche Mitwirkung des Gauwirtschaftsberaters an der Entjudung seit April 1938, bes. S.178 - 185 - Die Genehmigungspflicht bei Arisierungen und S.203 - 216 - Die Zwangsentjudung) und S.216 - 272 (Die Praxis der „Arisierung“ - systematisch betrachtet, bes. S.217 - 238 - Die deutschen Interessenten - Auswahlkriterien und Motivation / S.218 - 221 - Die Förderung der Angehörigen der Region ). 50

1933 angelegt hatten und durch „V-Männer“ 212 und mißgünstige Konkurrenten ständig auf dem laufenden gehalten wurden 213 . Hinzu traten noch - auf Abruf - die detaillierten Angaben der Finanzämter, Industrie- und Handelskammern 214 , der Wirtschafts- und Handwerksverbände und der Geldinstitute 215 . So konnten die Gauwirtschaftsberater und Kreiswirtschaftsberater als ständig bestinformierte Koordinatoren dem Verdrängungs- prozeß und der letztlichen „Arisierung“ immer wieder - die gerade notwendigen 216 - Im- pulse geben 217 . Der Monatsbericht der NSDAP-Kreisleitung Olpe vom Dezember 1937 vermel- dete unter der Rubrik „Betr. Judentum“ einen konstanten Rückgang der jüdischen Ge- schäftstätigkeit und die Geschäftsaufgabe bei drei jüdischen Betrieben. Kritisch ange- merkt wurde aber, daß in einem Falle versucht worden war, das Geschäft an einen „Ari- er“ zu verpachten, was „die Partei ... nicht billigen kann“. Es wäre daher „darauf hinzu- wirken, daß die Gewerbetreibenden durch ihre Berufsorganisationen darauf hingewiesen werden, daß sie sich in solchen Fällen vorher mit den gebietlich zuständigen Kreislei- tungen in Verbindung setzen“ 218 .

212 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 211. 30. Oktober 1937 - Meldung des Kreiswirtschaftsberaters an den Gauwirtschaftsberater, daß in allen Ortsgruppen Vertrauensmänner eingesetzt worden wären, die eine „genaue Kontrolle über Übergang jüdischer Firmen in den Besitz deutscher Volksgenossen“ ermöglichten. 213 . Vgl. ausführlicher zur „Arisierung“ und „Bereicherungssucht“ im Wettlauf um den „spottbilligen“ Erwerb kleiner und mittlerer jüdischer Unternehmen, zur Kooperation von Gauwirtschaftsberatern, Industrie- und Handelskammern, staatlichen Stellen etc. und zu den Methoden immer „offener(er) Erpressung“: A. Barkai, 1988, S.107; z.B. „Die Juden werden schon nachgiebig, sobald sie erfahren, daß sich die Partei mit ihrer Person befaßt. Mit etwas Nachdruck konnten die Besitzer in der Liquidation befindlicher Ge- schäfte daran gehindert werden, wenigstens die Warenbestände vor der ‘Arisierung’ gesondert zu verkaufen oder Ausverkäufe zu veranstalten.“ 214 . Vgl. z.B. G. Kratzsch, 1989, S.173 f. - Bericht der Industrie- und Handelskammern über „Arisierungen“ im Gau Westfalen-Süd bis 1937; eine in Altenhundem und zwei in Attendorn. 215 . Vgl. z.B. - für andere Geldinstitute ebenfalls belegbar und hier implizit angesprochen - A. Barkai, 1988, S.149 f.: „Der Deut- sche Sparkassen- und Giroverband hatte seinen Mitgliedern bereits am 28. Oktober mitgeteilt, das Devisenfahndungsamt, dem seit 1938 Heydrich vorstand, bereite ‘Sicherungsanordnungen’ für die jüdischen Vermögen vor, ‘durch welche die Verfügungsgewalt der Vermögensinhaber über die einzelnen Vermögensteile eingeschränkt wird’. Die mit der Vermögensanmeldung der Juden be- schäftigten Stellen waren schon am 19. August vom Reichswirtschaftsminister angehalten worden, die Arbeiten spätestens am 30. September, nötigenfalls mit Hilfe zusätzlich eingestellten Personals, abzuschließen, um ‘nach Möglichkeit eine etwaige Erfassung einzelner Teile des jüdischen Vermögens für die Zwecke der deutschen Wirtschaft vorzubereiten’. In den Finanzämtern, bei der Polizei und der Gestapo wurden - unter Mitarbeit der Handelskammern und der Gauwirtschaftsberater - jeweils Listen vermögender Juden erstellt.“ Zudem konstatierte A. Barkai (1977/1988, S.195) zur - nicht nur unter (Bank-)Historikern - wenig beachteten Rolle des Bankwe- sens in der NS-Zeit: „Bis heute gibt es merkwürdigerweise keine eingehende Detailstudie des Bankwesens im Dritten Reich, was angesichts der ökonomischen Bedeutung und der zentralen Stelle dieses Sektors eine merkliche Forschungslücke ist. Zum Teil mag dies daran liegen, daß diese Aufgabe neben geschichtsanalytischer auch eingehende banktechnische Sachkenntnis verlangt. Auch unter dieser Voraussetzung wäre sie nicht leicht zu bewältigen, da der Großteil der dokumentarischen Quellen in den Privatarchiven der Banken vergraben und nur schwer zugänglich ist. ... Dabei stellen sich schon bei einer flüchtigen Betrachtung äußerst interes- sante Probleme.“ 216 . Vgl. z.B. G. Kratzsch, 1989, S.114. Der Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd empfahl dem Kreiswirtschaftsberater Olpe, vorschriftwidrige „Arisierungs“-Methoden zu kaschieren. 217 . Vgl. A. Barkai, 1886, S.42 f.; ders., 1988, S.74 und S.96. Eine Erhebung des Gauwirtschaftsberaters Westfalen-Süd vom Juli 1938 stellte meistens nur noch jüdische Kunden oder „Laden geschlossen“ fest. Im Kreis Olpe war die Sachlage noch nicht ganz so extrem. 218 . Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 1. Dezember 1937. 51

Aber auch früher genehmigte Arisierungen mußten nach Meinung des Gauwirt- schaftsberaters aufgespürt und überprüft werden. So mokierte sich der Geschäftsführer im Gauamt Westfalen-Süd über mangelnde Pflichterfüllung des Olper Kreiswirtschafts- beraters, weil dieser einer - in seiner Gegenwart im September 1937 verhandelten - Ari- sierung eines Konfektionsgeschäftes nicht noch einmal nachgehen wollte. Der Gauver- treter wies ihn im Dezember dringlichst darauf hin, „daß man wegen des Tarnungsver- dachtes jeden Fall bis ins Einzelne durcharbeiten müsse“ 219 . In Attendorn fand im gleichen Monat eine NS-Protestaktion gegen die Fa. R. Lenneberg statt, an der sich ca. dreißig uniformierte Parteiangehörige beteiligten, wobei sie in den an das Geschäft angrenzenden Straßen auf und ab gingen. Zwei Angehörige der HJ trugen zudem kleine Schilder mit der Aufschrift „Die Juden sind unser Unglück“ und „Wer bei Juden kauft, ist ein Volksverräter“ durch mehrere Straßen der Stadt 220 . Reichsweit hatten ab April 1938 alle Juden ihre Vermögen über 5.000.- RM an- zumelden 221 . Es wurde ein „Amtliches Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe“ an- gelegt, das als zusätzliche Grundlage effektiverer „Arisierung“ dienen konnte. Weiterhin durften Juden nach der Verordnung vom 17. August 1938 ab dem 1. Januar 1939 nur noch in einer vorgegebenen Namensliste aufgeführte Namen annehmen. Jeder Jude, ohne einen als jüdisch erkennbaren Vornamen, mußte seinen Namen mit „Sara“ oder „Israel“ ergänzen 222 . Eine weitere Möglichkeit zur Überwachung der Juden bot den Na- tionalsozialisten die Einführung einer jüdischen Kennkarte im Oktober 1938 223 . Die „Arisierung“ jüdischer Firmen durch deutsche Geschäftsleute hatte meist wenig mit Antisemitismus zu tun, weit mehr mit einer grundsätzlichen Amoral in Ge-

219 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand GWS 211 - Schreiben vom 11. und 17. Dezember 1937 (Zitiert nach: G. Kratzsch, 1989, S.157 und Anm. 289). 220 . Vgl. ausführlicher Kreisarchiv Olpe, Bestand A 3310. 21. Dezember 1937; außerdem die Notiz des Landrat Dr. H. Evers vom 24. Dezember 1937: „In Olpe ist kein Grund zur Klage geboten und der Erfolg ist doch besser. Hier kümmern sich aber persönlich führende Männer darum, daß zwar keine irgendwie nach Boykott aussehende Maßnahmen vorkommen, aber doch festgestellt wird, wer bei Juden kauft. Dazu braucht man keine Uniform anzuziehen und keine Schilder zu tragen. Die Wirkung ist weit besser als in Attendorn, denn ein Jude hat sein Geschäft schon verkauft.“ 221 . Vgl. zur Registrierung jüdischen Vermögens im April 1938 als „Arisierungsvorstufe“: B. Hoffmann, Die Ausnahmegesetzge- bung gegen die Juden von 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Synagogengemeinde Köln. Diss. iur. Köln 1962. S.59. 222 . Vgl. zur Schikanierung der Juden durch Namensgebung zuerst: D. Bering, Der Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag 1812 - 1933. Stuttgart 1987 und A. Bein, „Der Jüdische Parasit“. Bemerkungen zur Semantik der Judenfrage. In: Viertel- jahrshefte für Zeitgeschichte. 13. 1965. S.121 - 149; außerdem noch zur NS-Zeit: J. Moser, Die Entrechtung der Juden im Dritten Reich. Diskriminierung und Terror durch Gesetze, Verordnungen und Erlasse. In: H.W. Pehle, (Hg.), 1988, S.120. Stadtarchiv Olpe, Bestand B 422. 28. Dezember 1938 - In Olpe fühlte sich ein nichtjüdischer Studienrat und NS-Aktivist bemüßigt seinen Vornamen Josef, der im Erlaß über jüdische Vornamen aufgeführt war, durch seinen zweiten Rufnamen Bernhard zu erset- zen. 223 . Vgl. Sauerländisches Volksblatt. Nr.242. 19. Oktober 1938 - „Ein Ausweis für alle Deutschen ... Weitere Überwachungsmög- lichkeiten der Juden.“ 52

schäftsfragen, was kein Spezifikum für die NS-Zeit ist. Doch hier ließen sich problem- los Profitdenken, Aussicht auf Gewinn und Karriere mit nationalem Pathos und Wirken für die „Volksgemeinschaft“ bemänteln. Viele stachelte dies ungemein an, einen „siche- ren Sieg“ über den als Popanz aufgebauten jüdischen Mitbürger einzufahren. Der nie- dergerungene „Scheinfeind“ mußte auf breiter Basis unterbewußte Selbstbestätigung und innere Befriedigung verschaffen, brachte aber für manchen - auch noch nach dem Kriege - nicht unerheblichen Gewinn mit sich. Sei es, daß ein geschäftlicher Nebenbuh- ler nicht mehr vorhanden war, oder daß man aus „arisiertem“ Besitz günstig etwas Wertbeständiges erstanden hatte. 224 A. Barkai 225 bezeichnete 1938 als „das Jahr des ‘Endspurts’ im Wettlauf um die jüdischen Betriebe ... Dies war die Zeit der ‘ungehemmten Bereicherung derer, die sich als zu kurz Gekomme- ne betrachteten und nun zu den Emporkömmlingen gehörten’ .. Methoden der Erpressung wurden immer brutaler, und kommunale Behörden wetteiferten mit den Parteistellen, um die jüdischen Geschäftsinhaber weiter einzuschüchtern und gefügig zu machen. Besondere Anstrengungen waren allerdings zu diesem Zeitpunkt kaum noch nötig.“

Im Gau Westfalen-Süd ließ der Gauwirtschaftsberater am 27. Mai 1938 einen Bericht über den Stand der „Arisierungen“ anfertigen, der für die zuständigen unterge- ordneten Behörden alle Direktiven für die örtliche „Entjudung“ auflistete und erläuterte, welche überregionalen Maßnahmen ergriffen wurden. Neben der entsprechenden An- ordnung des stellvertretenden Gauleiters vom 20. Oktober 1936, dem Abkommen mit der Presse des Gaubereiches, den Richtlinien des Gauwirtschaftsberaters zur Vereinheit- lichung der „Arisierungsnachprüfung durch die Kreiswirtschaftsberater gemäß Gau- Rundschreiben 22/37 vom 11. August 1937“, den Richtlinien des Gauwirtschaftsbera- ters zur Zusammenarbeit mit anderen Stellen und dem Verweis auf notwendige „Beson-

224 . Vgl. u.a. J. Friedrich, „Die Wohnungschlüssel sind beim Hausmeister abzugeben“. Die Ausschlachtung der jüdischen Hinterlas- senschaft. In: J. Wollenberg, (Hg.), „Niemand war dabei und keiner hat’s gewußt“. Die deutsche Öffentlichkeit und die Judenver- folgung. München - Zürich 1989. S.188 - 203, zum Arisierungsgewinn bes. S.200 f.; außerdem noch als eklatantes regionales Beispiel: J. Wollenberg, Enteignung des „raffenden“ Kapitals durch das „schaffende“ Kapital. Zur Arisierung am Beispiel von Nürnberg. In: ders., (Hg.), 1989, S.158 - 187; A. Barkai, 1988, S.152 („In den Jahren 1938/39 ... waren (die Juden) auf ‘legalem’ Wege regelrecht ausgeplündert worden. Was ihnen nach der ‘Behandlung’ durch die Finanzämter noch verblieb, mußten sie auf den nahezu unzugänglichen ‘Sperrkonten’ zurücklassen - die später durch weitere ‘Gesetze’ ebenfalls vom Reich beschlagnahmt wer- den sollten. Auch die Schergen der SA und SS kamen nicht zu kurz: Zehntausende von Juden, die in Konzentrationslagern einge- sperrt waren, konnten trotz gültiger Auswanderungspapiere erst dann herauskommen, nachdem sie erhebliche Geldsummen, Autos und anderen Besitz als ‘freiwillige Spenden’ an Parteiortsgruppen und auch an einzelne Nazis hinterlassen hatten.“) und S.122 („Eine beträchtliche Zahl von überzeugten Nazis, Partei- und Regierungsfunktionären aller Ränge oder auch braven Bürgern, die sich ganz einfach bereichern wollten, hatte an diesem Verdrängungsprozeß aktiv teilgenommen.“). 225 . A. Barkai, 1988, S.142, z.T. noch S.118 f. (S.118: „Was hier ‘durch die Blume’ gesagt wurde, kommt in den Akten der Gau- wirtschaftsberater klarer zum Ausdruck: Die jüdischen Verkäufer wurden mit allen nur denkbaren Pressionen gezwungen, den Rest ihrer Warenbestände zu lächerlichen Preisen mitzuverkaufen - für die Käufer ein willkommener Nebengewinn und für den übrigen Einzelhandel ein Schutz vor preissenkender Konkurrenz. So kamen alle auf ihre Kosten, mit Ausnahme der Juden natürlich.“) und S.134 f.; außerdem mit Beispielen aus dem Geschäftsbezirk des Gauwirtschaftsberaters Westfalen-Süd: Staatsarchiv Münster, Be- stand Gauwirtschaftsberater 682 und 707. 53

dere Maßnahmen“ in geeigneten Einzelfällen fanden sich hier eine „Übersicht über die bisher geprüften und in Prüfung befindlichen Arisierungen“ im Gau Westfalen-Süd (118, 58 erfolgt, 60 noch in Prüfung) sowie eine Übersicht zu „erwartete(n) Durchfüh- rungsbestimmungen zum Erlaß des Beauftragten für den Vierjahresplan Generalfeld- marschall Göring vom 26. April 1938 über die Genehmigungspflicht beim Verkauf oder bei der Verpachtung jüdischer Betriebe“ 226 . In der lokalen Presse gab es mittlerweile vermehrte Hinweise auf ein immer ri- goroseres Einschreiten gegen die Juden. Ein Hetzartikel von Landrat Dr. Teipel (Arns- berg) nahm am 23. August 1938 Stellung „Zur Judenfrage im Sauerland“ 227 : „Auch bei uns im Sauerlande haben die Juden nicht immer das paradiesi- sche Leben geführt, das ihnen das Nachkriegsdeutschland und später auch der Novemberstaat, dieser in ganz besonderem Maße, gestatteten. Denn wie immer und überall der Jude, wo er als hemmungsloser Parasit im fremden Wirt- schaftskörper auftrat, eine natürliche Abwehrbewegung hervorrief, so hatte sich auch im Sauerland das Volk aus einem gesunden Instinkt heraus schon lange gegen das Judentum gewandt, bevor der Nationalsozialismus dem un- heilvollen Wirken des Judentums den Kampf ansagte. ... Fast alle nach Arns- berg eingewanderten Juden wurden nach kurzer Zeit durch Schacher und Wu- cher reiche Leute. Und es ist bezeichnend, daß (sich) von den 35 Geschäftshäu- sern an der Hauptstraße Arnsbergs ... gleich zwanzig Prozent in jüdischem Be- sitz befanden. ... Doch der Reinigungsprozeß ist noch nicht abgeschlossen, er geht weiter!“

Knapp eine Woche später nahm die NSDAP-Gauleitung Westfalen-Süd zur „Entjudung“ der westfälischen Wirtschaft Stellung 228 : „Wie wichtig die Entjudung auch im Gau Westfalen-Süd ist, geht daraus hervor, daß das Amt des Gauwirtschaftsberaters bisher in Westfalen-Süd 75 Entjudungen durchgeführt hat. Bei der Entjudung jüdischer Gewerbebetriebe werden überall da, wo es durchführbar ist, unerwünschte Konzernbildungen verhindert. Die politische und sachliche Eignung des arischen Käufers ist un- erläßliche Voraussetzung. Als untragbar und der Ehre eines deutschen Unter- nehmers unwürdig muß es die Partei ablehnen, wenn in deutsche Hände über- gegangene jüdische Geschäfte weiterhin den jüdischen Firmennamen benutzen. Recht interessant sind die Zahlen über die Juden im Gau Westfalen-Süd, die allerdings nach den staatlichen Statistiken nur die Bekenntnisjuden, also nicht die ‘getauften’ und arisch versippten umfassen. Danach waren 1925 im Gau Westfalen-Süd 0.45 Prozent der Gesamtbevölkerung Juden, am 1. April 1934 0.37 Prozent und am 1. Oktober 1937 nur noch 0.33 Prozent Juden. Wenn auch durch die erfolgreichen Entjudungsmaßnahmen die Zahl der Juden im Gau Westfalen-Süd erheblich herabgedrückt werden konnte (am 16. Juni 1933 wa-

226 . Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 676. 31. Mai 1938. Vgl. ergänzend: Staatsarchiv Münster, Bestand Gau- wirtschaftsberater 682. 24. März 1938 - Bericht zum Stand der „Arisierungen“ durch den Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd an die Kommission für Wirtschaftspolitik der NSDAP in München; außerdem noch Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsbe- rater 702 - Aufstellung sämtlicher im Gau Westfalen-Süd vorgenommener „Arisierungen“ mit Namen der neuen Besitzer; Staatsar- chiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 708 - Aufstellung über die Geschäfte und wirtschaftlichen Aktivitäten sämtlicher Juden im Gau Westfalen-Süd. 227 . Sauerländisches Volksblatt. Nr.193. 23. August 1938. 228 . Sauerländisches Volksblatt. Nr.197. 27./28. August 1938. 54

ren es 10.326), so sind heute immerhin noch 8.800 im Gau Westfalen-Süd an- sässig.“

Selbst Kleinst(Einmann-)betriebe hatten als „Arisierungsobjekte“ herzuhalten. Als die Jüdin Adelheid Winter im Frühjahr 1937 einen Antrag auf das Führen einer Fremdenpension stellte, andere geschäftliche Aktivitäten waren ihr amtlicherseits bereits weitestgehend versagt, wurde sie in einem von ihr angestrengten Verwaltungsstreitver- fahren abschlägig beschieden. Ein öffentliches Bedürfnis für ihre Pension bestehe nicht 229 . Noch weit schlechter erging es manchem jüdischen Fabrikbesitzer, Textilkauf- mann 230 oder Kaufhausinhaber, besonders nach der „Reichskristallnacht“ 231 , der der dies kaum glauben wollenden, aber im Kreis Olpe so gut wie keinen Widerstand leistenden Bevölkerung als höchst gefährlicher „Staatsfeind“ hingestellt wurde. Im Kreis Olpe hatte man schon bis zum Herbst 1938 ganze Arbeit geleistet bei der Fa. Winter 232 und dem Winter’schen Haus in Altenhundem 233 , bei den Kaufhäusern Lenneberg in Olpe 234 , Cohn 235 und Lenneberg in Attendorn 236 , denen zuvor die Preisüber-

229 . Vgl. Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand K 7. 20. April 1937. 230 . Vgl. hierzu Sauerländisches Volksblatt. Nr.213. 15. September 1938 - Große Arbeitstagung „Entjudung des Textilhandels“ des Deutschen Textilhandels am 18. September in Köln („Der Textilgroßhandel hat in der letzten Zeit ... die Entjudung in seinen Rei- hen mit aller Energie vorangetrieben. Nachdem der Textilgroßhandel ... sich weitgehend vom jüdischen Einfluß befreit hat, ist er der Überzeugung, daß er in seiner schwierigen Stellung zwischen Industrie und Einzelhandel ... seine Notwendigkeit beweisen wird.“). 231 . Vgl. zuerst mit weiterführenden Literaturverweisen: H. Graml, Reichskristallnacht. Antisemitismus und Judenverfolgung im Dritten Reich. München 1988; W. Benz, Aktionen und Reaktionen: Der Novemberprogrom. In: ders., Herrschaft und Gesellschaft im nationalsozialistischen Staat. Frankfurt/M. 1990. S.145 - 159 und A. Barkai, 1987/88, S.146 - 152 („Der Pogrom: Auftakt zur Enteignung und Austreibung“). 232 . Vgl Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 68. 28. Januar 1938 - Kreiswirtschaftsberater zeigte die Übernahme der Fa. Winter dem Gauwirtschaftsberater an. 233 . Vgl. Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand K 7. 17. Juni 1938 ff. - Kaufanträge, auch von Landrat Dr. H. Evers genehmen Personen; Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand K 368. 24. Juli 1938 - Abschrift des Vertrages (Nr.102 der Urkundenrolle für 1938); Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand A (211-01/03). 12. Februar 1948 - Bei der „Arisierung“ schaltete sich auch hier, diesmal eher vergeblich, Landrat Dr. H. Evers ein. 234 . Vgl. z.B. Sauerländisches Volksblatt. Nr.240-252. 17., 29., 30. Oktober 1938 - Werbung für das „arisierte“ Olper Geschäft Lenneberg „Gestern noch unbekannt ... morgen schon ein Begriff! Kurt Heuer KG. - Deutsches Geschäft.“; Sauerländisches Volks- blatt. Nr.280, 286, 290, 24. 3., 4., 10., 11., 15. Dezember 1938 / 28., 29. Januar 1939 - Werbeanzeigen für das „arisierte“ Geschäft L. (u.a. Weihnachten, Schlußverkauf etc.); Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.283. 18. Oktober 1938 - Werbeanzeige; zum neuen Besitzer: Stadtarchiv Olpe, Bestand B 889. 14. April 1947; Stadtarchiv Olpe, Bestand NSDAP-Kreisleitung 5. 10. März 1939 - Kaufvertrag zwischen den Kaufleuten J. und H. Lenneberg und dem Kaufmann K. Heuer (Nr.106. Jahr 1939 der Urkunden- rolle, Notar J. Terrahe). Der Kaufpreis für Geschäft und Übernahme des Warenlagers verschlechterte sich für die Lennebergs, weil sich der Kreisleiter und der Landrat einschalteten (Erster Vertrag vom 23. September 1939 / intus: Mietvertrag; hierzu Vorab- Stellungnahme der Gauleitung vom 15. August 1938: Dem Kauf war von der Gauleitung nicht zuzustimmen, weil der Interessent „vollständig auf Kreditkapital angewiesen ist“ und kein Interesse „an einer Verpachtung des Grundbesitzes“ bestand, sondern „nur Wert auf den Ankauf der in jüdischem Besitz befindlichen Besitzung gelegt wird“.). Der Landrat wies darauf hin, daß „ein Arisie- rungsgewinn gegebenenfalls zu Gunsten des Reiches einzuziehen wäre“ (2. Januar 1939). 235 . Vgl. Attendorner Volksblatt. Nr.93. 4. August 1938 - „Die Kaufhäuser L. und C. gehen in arischen Besitz über. ... Wie verlautet wird eine Kölner Großfirma Besitzerin der beiden Geschäfte.“ Bis zum Verkauf vergingen noch einige Jahre. Nach verschiedentli- chen Querelen zwischen NS-Dienststellen, der Industrie- und Handelskammer und Käufern konnte der Kreiswirtschaftsberater erst am 26. Januar 1940 an den Gauwirtschaftsberater melden, daß das jüdische Kaufhaus Cohn endgültig verkauft sei, und zwar an die Trierer Fa. Kraemer & Co. (Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 600, intus: Wirtschaftlichkeitsprüfung durch den Arnsberger Regierungspräsidenten für den Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd vom 15. Oktober 1938). 236 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 58. 19. August 1938 - Schreiben des Kreiswirtschaftsberater an den Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd: „Durch die Presse ging vor einigen Tagen ein Hinweis, daß die jüdischen Kaufhäuser Lenne- berg und Cohn in Attendorn nunmehr arisiert seien, worauf das Kaufpublikum teilweise prompt reagierte und die jüdischen Kauf- häuser für Einkäufe wieder aufsuchte. Ich wäre dankbar, wenn von Seiten des Gauwirtschaftsberaters ein entsprechender Hinweis 55

wachungsstelle des Regierungspräsidenten eine empfindliche Geldbuße von 5.000.- und 10.000.- RM aufgedrückt hatte 237 , der Olper Metzgerei Emanuel 238 , der Blechwarenfab- rik A.A. Ursell 239 , die von der Fa. Tielke und Hommerich erworben wurde 240 , und deren Listernohler Nebenbetrieb Sohlersche Eisenwerke (Besitzer Fam. A.A. Ursell) 241 . Der Attendorner Hermann Stern hatte ebenfalls vor dem 9. November an die Fa. Scholl & Co. verkauft 242 . Bei der „Judenaktion“ blieb das Attendorner Kaufhaus Lenneberg von Zerstö- rungen verschont, vermutlich weil vorab in der lokalen Presse auf die neuen „arischen“ Inhaber verwiesen worden war 243 . Nur die an diesem Tage im Geschäft anwesenden Kunden wurden von einigen „Parteigenossen“ unsanft vor die Tür gesetzt 244 . In der „Westfälischen Landeszeitung - Rote Erde“ frohlockte ein Schriftleiter schon Anfang August 245 : „Auch Attendorn wird judenfrei. Ab 1. September keine Judengeschäfte mehr. ... Das Wochenende hatte diesmal für unsere Stadt eine ganz besondere Bedeutung. Die Kaufhäuser der Juden Lenneberg und Cohn sind in arische

für die ‘Rote Erde’ gegeben würde, damit der Zulauf für die jüdischen Kaufhäuser unterbunden wird. In dem ‘Attendorner Volks- blatt’ ist bereits von hier aus ein entsprechender Hinweis veröffentlicht worden.“ (Sauerländisches Volksblatt. Nr.180. 8. August 1938 - Ebenfalls Olper Jude Lenneberg und Schreiben vom 12. August 1938); ebda. 6. August 1938 - Schreiben des Attendorner Bürgermeisters an den Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd: „Mit Rücksicht auf die große Bedeutung, die die Überführung dieser beiden Geschäfte in die Hand eines arischen Kaufmanns für den Stadtbezirk Attendorn hat, gestatte ich mir, um Beschleunigung zu bitten.“; ebda. 17. Juni 1938 - Schreiben des Gauwirtschaftsberaters Westfalen-Süd an den Kreiswirtschaftsberater „Um insbeson- dere die Fa. Lenneberg verkaufsreif zu machen, bitte ich Sie, die Angelegenheit auch einmal mit dem NSDAP-Kreisleiter Pg. Fischer zu besprechen, denn wir müssen den Juden unter allen Umständen zwingen dieses gutgehende Geschäft aufzugeben. ... Bei etwas Findigkeit gibt es aber sicherlich irgendwelche gangbaren Wege ...“. Die Kaufleute Cohn und Lenneberg wurden daraufhin mehrmals beim Bürgermeister vorgeladen, um grundsätzliche Verkaufsbereitschaft zu erzielen. Vgl. zu den nationalsozialistischen „Arisierungs“-Bestrebungen seit Januar 1938 und den Vorladungen beim Attendorner Bürgermeister noch: G. Kratzsch, 1989, S.246 und Anm.180 - 182. 237 . Vgl. zur Vorgeschichte der „Arisierung“: Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 211. 13. Juni 1938 - Schreiben Kreiswirtschaftsberater an den Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd: „Im Übrigen sind im Kreis Olpe immer noch die großen Konfektionshäuser ... zu arisieren. Die Arisierung dieser Geschäftshäuser hat volkswirtschaftlich für den Kreis das allergrößte Interesse. Ich habe ... früher ... Sie gebeten, bei der Arisierung der jüdischen Kaufhäuser behilflich zu sein. ... Ich wäre Ihnen dank- bar, wenn Sie dieser Angelegenheit einmal Ihr besonderes Augenmerk zuwenden würden.“; zur Geldbuße ausführlich Kreisarchiv Olpe, Bestand A 2282. Lenneberg: 12. Oktober 1938 ff. und für Cohn: 19. Dezember 1938 ff. 238 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 43. 8. Dezember 1937, 27. Januar 1938. 239 . Vgl. zur Vorgeschichte der „Arisierung“: Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 211. 20. Juli 1938 ff.; außerdem Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.206. 2. August 1938 - „Eine Judenfirma weniger. Die bisher jüdische Blechwarenfab- rik A.A. Ursell ging durch Kauf in das Eigentum der neu gegründeten Fa. Tielke und Hommerich, bisher Teilhaber der Fa. Sla- winski u. Co. GmbH, Werk für Blech- und Eisenkonstruktion, Weidenau, über. Mit dem heutigen Tage übernehmen die neuen arischen Inhaber das Werk, das zur Zeit etwa 100 Gefolgschaftsmitglieder zählt.“; außerdem zur Diskussion um den vertraglich festgelegten, vom Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd schließlich akzeptierten Kaufpreis: G. Kratzsch, 1989, S.258. 240 . Vgl. Stadtarchiv Attendorn, Chronik Bd.4. S.18. 21. August 1938; Kreisarchiv Olpe, Bestand A 3229. 29. August 1938 - Eingabe der neuen Besitzer beim Landrat Dr. H. Evers, um die um 50 Prozent gekürzte Blech- und Eisenbezugsquote und die um zehn Prozent gekürzte Zinkbezugsquote der Fa. Ursell wieder „voll übertragen“ zu bekommen. 241 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 43. 7. Juli 1938, ebda. 14. 30. August 1938 - Mitteilung des Gau- wirtschaftsberaters an den NS-Gaudienst zur internen Veröffentlichung: „Nicht zur Veröffentlichung! An die Verlage der Südwest- fälischen Presse! Die Fa. Sohler’sche Eisenwerke, Attendorn, ist von dem Fabrikanten C. Hiekmann, Siegen, käuflich erworben worden. Die genannte Firma ist als frei von jüdischen Einflüßen anzusehen, so daß einer Anzeigenannahme nichts im Wege steht.“; ebda. - Zustimmende Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer Siegen-Olpe-Dillenburg vom 14. Juli 1938. 242 . Vgl. Attendorner Volksblatt. Nr.134. 8. November 1938; Stadtarchiv Attendorn, Chronik Bd.4. S.27. 7. November 1938. 243 . Vgl. z.B. „Attendorner Volksblatt“ und „Sauerländisches Volksblatt“, außerdem Stadtarchiv Attendorn, Chronik Bd.4. S.27. 10. November 1938. 244 . Vgl. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand NW 1109 / 11 - 17. 245 . Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.206. 2. August 1938. 56

Hände übergegangen. Der neue Besitzer der beiden Häuser ist eine Kölner Großfirma. Diese Nachricht wird bei allen Nationalsozialisten Attendorns und der näheren und weiteren Umgebung Befriedigung auslösen, um so mehr, da die Blechwarenfabrik A.A. Ursell am gestrigen Tage auch in arische Hände ging. Damit wird Attendorn ab 1. September frei sein von Judengeschäften.“

Eine grundsätzliche Stellungnahme zum Problem des „Arisierungsgewinns“ schickte Landrat Dr. H. Evers am 20. Oktober 1938 an den Arnsberger Regierungsprä- sidenten 246 : „Mit Recht soll der Unternehmer vor einem übermäßig hohen Kaufpreis, den der Jude evtl. fordert, geschützt werden. Es sollen dem Juden keine Arisie- rungsgewinne in den Schoß fallen. ... Es ist verständlich, daß bei der Überfüh- rung jüdischer Betriebe ein anderer Maßstab angelegt wird.“

- Judenpogrom im Kreis Olpe 247 Das Attentat auf den deutschen Diplomaten vom Rath in Paris durch den 17jährigen Juden Herschel Grynspan war für die Nationalsozialisten eine willkommene Gelegenheit, ihre langgehegten Ziele in der Judenfrage vehement voranzutreiben 248 . Goebbels strebte durch ein gesteuertes „Losbrechen des Volkszorns“ sowohl die endgül- tige Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben als auch die Reduzierung des jüdischen Bevölkerungsanteils im Deutschen Reich - möglichst durch Auswanderung - bewußt an. Gewalttätigkeiten nahm er dabei ungerührt in Kauf. So reagierten die im Münchener Alten Rathaussaal zur Erinnerung an den „Marsch zur Feldherrnhalle“ am 9. November 1923 anwesenden „Alten Kämpfer“ und regionalen NS-Funktionäre auf die von Goebbels gehaltene antijüdische Hetzrede mit der sofortigen Information ihrer regi- onalen und lokalen Dienststellen. Die Rede endete gegen 22.30 Uhr, so daß reichsweit bis etwa 24 Uhr die meisten NSDAP-Gau- und Kreisleitungen informiert waren. Der Reichspropagandaleiter Dr. Goebbels gab weitere Erläuterungen zur Vorgehensweise

246 . Kreisarchiv Olpe, Bestand A 3310. Vgl. noch ebda. den Artikel von F. Heggen „Die Durchführung der Entjudung“ aus „Köl- nische Zeitung“ vom 26. Februar 1939. S.7 f. 247 . Vgl. weitergehend zur Pogromnacht 1938 bis hin zur „Endlösung“: H.G. Adler, Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportati- on der Juden aus Deutschland. Tübingen 1974; G. Reitlinger, Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939 - 1945. Berlin 51979; W.S. Allen, Die deutsche Öffentlickeit und die „Reichskristallnacht“ - Konflikte zwischen Werthier- archie und Propaganda im Dritten Reich. In: D. Peukert, J. Reulecke, (Hgg.), Die Reihen fast geschlossen. Wuppertal 1981. S.397 - 411; B. Martin, Judenverfolgung und -vernichtung unter der nationalsozialistischen Diktatur. In: ders., (Hg.), 1981, S.290 - 315; A. Barkai, Regierungsmechanismen im Dritten Reich und die „Genesis der Endlösung“. In: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Ge- schichte. XIV. 1985. S.371 - 384; P. Pulzer, Der Anfang vom Ende. In: A. Paucker, (Hg.), 1986, S.3 - 15; P. Steinbach, Der Anfang des Holocausts. Die Deutung des Novemberpogroms - heute. In: Die Neue Ordnung. 42. 1988. Nr.5. S.324 - 334; K.D. Bracher, „Reichskristallnacht“. Vor 50 Jahren - Pogrom gegen die Juden in Deutschland. In: Die politische Meinung. 6/1988. S.54 - 59; W. Benz, Der Novemberpogrom 1938. In: ders., (Hg.), Die Juden in Deutschland 1933 - 1945. München 1988. S.499 - 544; K. Kwiet, Nach dem Pogrom: Stufen der Ausgrenzung. In: Ebda., S.545 - 659; ders., Gehen oder bleiben? Die deutschen Juden am Wende- punkt. In: W.H. Pehle, (Hg.), 1988, S.132 - 145; H. Mommsen, Was haben die Deutschen vom Völkermord an den Juden gewußt? In: Ebda. S.176 - 200 und H.-J. Döscher, Reichskristallnacht. Die November-Pogrome 1938. Berlin 1988. Einführend zum Juden- boykott, zur „Reichskristallnacht“ und dem Verhalten der Bevölkerung in Westfalen: A. Herzig, 1973, S.145f. 248 . Vgl. einführend: W. Benz, Der Rückfall in die Barbarei. In: W.H. Pehle, (Hg.), 1988, S.19f. 57

per Fernschreiben gegen 1.40 Uhr an die Gaupropagandaämter. Danach erfolgten die örtlich getroffenen Maßnahmen Schlag auf Schlag! 249 In vier - z.T. parallel ablaufenden - Schritten wurde die wirtschaftliche Existenz der Juden zertrümmert und die endgültige gesellschaftliche Ghettoisierung betrieben: • Geplantes Pogrom am 9. / 11. November 1938 • Verhaftungswelle (mit Schutzhaft- und / oder KZ-Einweisung) • „Arisierung“ jeglichen jüdischen Besitzes • Ende legaler Existenz / Einschränken jeglicher Mobilität.

Der erste Funkspruch von der Staatspolizeistelle Dortmund mit den entspre- chenden Verhaltensmaßregeln „vor Ort“ für die „Maßnahme gegen Juden“ traf gegen sechs Uhr morgens in Olpe ein 250 : „Funkspruch. (Geheim für den Regierungsbezirk Arnsberg) Betr.: Maßnahmen gegen Juden, für die Behandlung von antisemitischen Kundgebungen ergehen folgende Anordnungen:

1.) Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die keine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums mit sich bringen. 2.) Geschäfte und Wohnungen von Juden dürfen lediglich zerstört, nicht ge- plündert werden. 3.) Ausländische Juden dürfen nicht mißhandelt werden. 4.) Jegliche Brandlegungen sind auf ausdrücklichen Befehl allerhöchster Stel- len zu verhindern. 5.) Demonstrationen sind, soweit die Anordnungen von 1 - 4 eingehalten wer- den, nicht von der Polizei zu verhindern, sondern auf die Einhaltung der An- ordnungen zu überwachen. 6.) In allen Synagogen und Geschäftsräumen der jüdischen Kultusgemeinden ist das vorhandene Archivmaterial zu beschlagnahmen, damit es nicht zerstört wird. Sobald wie möglich sind in den dortigen Bezirken insbesondere einfluß- reiche und vermögende männliche Juden gesund und nicht so hohen Alters festzunehmen, und zwar so viel, wie in den vorhandenen Hafträumen unterge- bracht werden können. Über Vorkommnisse und das Veranlaßte ist laufend zu berichten. Nach diesseitig erfolgter Rücksprache mit der Gauleitung sind zu den örtlichen Dienststellen der NSDAP Verbindungen aufzunehmen. Stapo Dortmund.“

Die daraufhin erfolgenden, für die jüdischen Bürger entwürdigenden Vorkomm- nisse in Attendorn, Olpe und Altenhundem wurden von Kreisarchivar D. Tröps durch ausführliche Quellenzitate 1988 einer breiteren Öffentlichkeit bekanntgemacht 251 . Mar- kante Begebenheiten werden hier nochmals wegen der zeitgenössischen Authentizität in längeren Quellenauszügen vorgestellt.

249 . Vgl. kurz und prägnant zur Pogromauslösung: L. Gruchmann, 1988, S.484 f. 250 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 239. Bl.8. 251 . Vgl. D. Tröps, 1988, S.247 - 258. Die zitierten Quellen wurden, wo weitergehende Archivalien und Presseartikel vorhanden waren, durch Fußnoten kommentiert. 58

- Attendorn, 10. November 1938 Lapidar und dürr blickte die voluminöse Brunabendsche Stadtgeschichte drei- einhalbzeilig auf den 10. November 1938 zurück 252 : „Als sich die Auswirkungen der großen Politik in der ‘Kristallnacht’ (10. November 1938) auch in Attendorn zeigten, kam es auch hier zur Mißachtung der allgemeinen Menschenrechte. Wohnungen, Schaufenster und die Synagoge gingen in Trümmer.“

Ein Augenzeuge berichtete in subjektiv erinnernder - von manchem Attendorner nach der Publikation in der Presse in der Genauigkeit der Details bezweifelter - Rück- schau vor einem Oberstufen-Arbeitskreis des Attendorner St. Ursula-Gymnasiums aus- führlicher 253 : „Als mich endlich zwei SA-Männer in das Gebäude ließen, bot sich mir ein Bild des Grauens: von Spitzhacken zerstörte Marmorstufen, von den Wänden gerissene und mit Stiefeln zertretene alte Gemälde. Überall im Treppenhaus lag zertrümmertes Porzellan herum. Die Familie Stern saß auf einer Holzkiste in der Küche und weinte. Alles ringsherum war kaputtgeschlagen worden 254 . Ich habe dann mit den Sterns gebetet. Stern hat anschließend zu mir gesagt: ‘Erst sind wir Juden dran, dann ihr Christen.’ Die Hälfte der SA-Leute hatte bei den Sterns noch dicke Pumplatten (Schulden) 255 . Während ein evangelischer Pastor Mut bewies und die Sterns besuchte, grüßte ein katholischer Priester die SA-Leute vor dem Haus mit dem Hitler-Gruß. Auch in anderen jüdischen Wohnungen und Geschäften Attendorns kam es zu schlimmen Ausschreitungen. Von einem gegenüberliegenden Laden in der Wasserstraße, sah ich, wie ein At- tendorner Fabrikant das Schaufenster des Geschäfts Cohn mit einer Eisen- stange zertrümmerte 256 . SA-Leute umstellten die Wiege eines kleinen Kindes und urinierten auf das Baby 257 . Wenige Jahre nach diesem schrecklichen Er- eignis war ich zur Erstkommunion bei einem Attendorner SS-Mann eingeladen worden. Als ich den Teller des Service umdrehte, stand dort der Name der jüdi- schen Familie Lenneberg.“

Von amtlicher Seite wurden zwar Diebstahlanzeigen bearbeitet, doch ohne recht- liche Konsequenzen für die Täter, obwohl der Siegener Oberstaatsanwalt Matthes noch

252 . J. Brunabend, u.a., 21958, S.162. 253 . Vgl. Westfälische Rundschau. Ausgabe Olpe vom 9. November 1988; außerdem Stadtarchiv Attendorn, Chronik Bd.4. S.27. 10. November 1938; Attendorner Volksblatt. Nr.136. 12. November 1938 - „Demonstrationen gegen die Juden“. Vehementen Protest gegen die Aussage, der in der Argumentationsführung nicht unbedingt überzeugte: Westfalenpost. Nr.276. 26. November 1988. S.OE 3. 254 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand Staatsanwaltschaft Siegen 12. 3. März 1939 - Nachmittags wurde das Haus nochmals von „jungen Burschen“ mit Steinen beworfen. 255 . Vgl. auch Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand NW 1109 / 11 - 17. 4. Juni 1947 - „Sogar die Geschäftsbücher wurden einge- sehen und darin mehrere Blätter herausgerissen, und wie seiner Zeit hier allgemein erzählt wurde, Pgg. und Mitglieder der Gliede- rungen usw. vor dem Makel des Besuchs des jüdischen Geschäftshauses und Bekanntwerden der Schuldner beim Juden zu schüt- zen. So sollen ... Schuldner von Cohn gewesen sein. ... Die Fliesen an den Wänden, die eingebauten Spülsteine ... wurden total zertrümmert, sowie Sofas, Klubsessel, Betten usw. mit Messern aufgeschlitzt. Nochmals setzte die Verwüstung gegen drei Uhr ein, als der Kreisstab mit der SA von Olpe (‘Rollkommando Olpe I’) erschien ... Was bis dahin noch in etwa verschont geblieben war, wurde erst recht gründlich zerstört. Auch ein Teil der Schulkinder der Attendorner Volksschule beteiligte sich unter Führung eines Lehrers an der Zerstörung.“ 256 . Vgl. auch Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand NW 1109 / 11 - 17. 4. Juni 1947 - Sämtliche elf großen Schaufensterscheiben wurden beim Kaufhaus Cohn eingeworfen. 59

am 28. Februar 1939 darauf einwirkte, daß „die Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Plünderns ... ausdrücklichst fortzusetzen“ wären 258 . „Vor Ort“ kommentierte man eher emotionslos 259 : „(Daß der) Jüdin Emilie Lenneberg in Attendorn ... eine Geldtasche mit un- gefähr 1.000.- RM in Papiergeld abhanden gekommen sei. ... Juden Emil Stern ... ein Betrag von 250,- RM in Papiergeld, ferner zwei Rasierapparate und ein Füllfederhalter entwendet worden sei. ... Jüdin Frau Albert Ursell, Else, geb. Hentschel, ... 1.400-1.500.- RM, und zwar eine Rolle Hartgeld, bestehend aus 50 Einzelmarken und das übrige Geld aus 20- und 50-Markscheinen, sowie zwei Brillantringe im Werte von zusammen 2.500.- RM abhanden gekommen seien. ... Ferner seien mehrere Tischtücher und Tischdecken und auch ein Teil der Bettwäsche nicht wiederzufinden. Nach der Zerstörung ihrer Wohnung ha- be sie die Leibwäsche zerrissen unter den Trümmern wiedergefunden, dagegen die Tisch- und Bettwäsche nicht. Die Geldtasche habe sich leer unter den zer- trümmerten Möbeln wiedergefunden 260 . ... Ob die Angaben der Juden auf Wahrheit beruhen, ist im übrigen mit Sicherheit nicht nachzuweisen, da die Ju- den wohl kaum den Beweis für ihre Behauptungen erbringen können 261 .“

Ähnlich - die Sachlage nur konstatierend - waren die amtlichen Einlassungen des Landrats 262 : „Gegen 6 Uhr wurden an dem jüdischen Geschäft Cohn die sämtlichen sie- ben Schaufensterscheiben zertrümmert. Im Anschluß hieran haben Demonstra- tionen der SS und SA stattgefunden, bei denen die Wohnungen und Wohnungs- einrichtungen der sämtlichen jüdischen Familien (eine Synagoge und fünf

257 . Vgl. D. Tröps, 1988, Anmerkung im Manuskript: „Diese Schilderung wird von anderen Augenzeugen bezweifelt. Sie sprechen davon, daß das Kind ‘nur’ angespuckt worden ist (Anm. der Redaktion).“ Die Entnazifizierungsakten belegten zumindest mehrfach das „Bespucken“ (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand NW 1109 / 11 - 17. 4. Juni 1947 - Entnazifizierungsausschuß Attendorn). 258 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand Staatsanwaltschaft Siegen Nr.2, 11 und 12 und Kreisarchiv Olpe, Bestand A 239. Bll.94 - 99. 259 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 239. Bl.105. 260 . Der NSDAP-Kreishauptstellenleiter für „Rundfunk“ erklärte bei einer Einvernahme in Attendorn zu diesen Vorfällen: „Ich traf .. in den Räumen eine Anzahl Personen, die sich in Zivilkleidung befanden. Diese führten in Verbindung mit einigen SA-Männern .. die Aktion durch. ... Bei der Jüdin Ursell wurde die Aktion sehr scharf durchgeführt, weil sie als ehemalige Leiterin einer hiesigen Fabrik sich bei der Arbeiterschaft und Parteimitgliedern sehr verhaßt gemacht hat. ... Ich muß noch erwähnen, daß fast alle Gegen- stände in der Wohnung total zertrümmert waren.“ Beteiligt waren u.a. die Attendorner SA-Stürme 11 und 18/218 und die gesamte Attendorner SS (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand NW 1109 / 11 - 17. 4. Juni 1947 - Entnazifizerungsausschuß Attendorn). Die Entnazifizierungsakten für Attendorn belegten, daß es sich bei den namentlich nachweisbaren, an der ‘Judenaktion’ beteiligten Attendornern ausnahmslos um Personen mit festem Arbeitsverhältnis, z.T. Familienväter gehandelt hatte. Die Berufsliste las sich wie das Verzeichnis eines örtlichen Bürgervereins: Kaufmännischer Angestellter (3x), Handlungsgehilfe, Verwaltungsgehilfe (2x), Buchhalter, Metzger, Maurer, Bäcker, Justizsekretär, Schlosser (3x), Tierarzt, Kaufmann (3x), Zoll-Betriebsassistent, Stadtinspek- tor, Leiter der Kommunalkasse, Fabrikarbeiter, Handwerksmeister (3x), Müller, Postbeamter, Reichbahnbeamter, Fabrikant (fir- mierte in der Zeit um 1940 als Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer Siegen-Olpe-Dillenburg, Schreiben der Industrie- und Handelskammer vom 26. Februar 1940 ). Sieht man nur die Berufe und die Einzelpersonen, würde wohl kaum jemand davon ausgehen, daß solch „ehrbare“ Bürger sich zu unmenschlicher Zerstörungswut hinreißen lassen. Doch selbst das katholische Milieu mit seinen traditionell gutnachbarschaftlichen Beziehungen schützte und bewahrte nicht vor individueller „Verrohung“! 261 . Vgl. hierzu noch den dreist-“unverfrorenen“ Kommentar des Attendorner NSDAP-Ortsgruppenleiters (Staatsarchiv Münster, Bestand Staatsanwaltschaft Siegen 12. 6. März 1939): „An der Aktion selbst habe ich mich nicht beteiligt. Dagegen habe ich zu meiner Unterrichtung Rundgänge gemacht, um mir ein Bild von der Durchführung zu verschaffen. Ich habe festgestellt, daß die an der Aktion beteiligten SA-, SS-Männer und Pgg. sich außerordentlich diszipliniert verhielten. ... Die Verdächtigungen der Juden, ihnen seien während der Aktion Werte weggekommen, sind meines Erachtens erlogen. Dies ist nicht nur meine persönliche Mei- nung, sondern auch die der hiesigen Bevölkerung. Wer die früheren Machenschaften der hiesigen Juden kennt, ist davon überzeugt, daß sie mit diesem Vorgehen bezwecken, sich als Unschuldslämmer hinzustellen und damit gleichzeitig versuchen, die Partei in der gemeinsten Weise zu verdächtigen.“ 262 . Kreisarchiv Olpe, Bestand A 239. Bl.57 f. und 192 - Bericht des Landrats Dr. H. Evers vom 17. November 1938, Antwort auf eine Anfrage des Staatsarchivs Münster durch den Attendorner Bürgermeister am 20. Januar 1939 und Schreiben des Landrats Dr. Evers vom 1. Februar 1939. Die Archivalien aus der Attendorner Synagoge müssen bis heute als verschollen gelten. 60

Wohnungen) zerstört wurden. Brandstiftungen sind nicht vorgekommen. Plün- derungen wurden bei der Durchführung der Maßnahmen nicht festgestellt. ... Am 11. November 1938 gegen 14.30 Uhr hat sich der Jude Emil Stern auf dem Klosett des Amtsgerichts in Attendorn die Schlagadern an den Unterarmen durchschnitten. ... Stern ist dann von der Sanitätskolonne in das Krankenhaus in Attendorn gebracht worden. Nach Aussage des Arztes besteht keine Lebens- gefahr, ebenfalls für die nächsten 14 Tage keine Fluchtgefahr. ... Das in der Synagoge in Attendorn und in dem Geschäftsraum der jüdischen Kultusgemeinde vorgefundene Archivmaterial wurde polizeilich beschlagnahmt und sichergestellt. ... Bei der Judenaktion am 10. November 1938 sind aus der Synagoge in Attendorn folgende Gegenstände sichergestellt worden: Vier Doppelrollen mit Hüllen (Thora), ein Horn, zwei Beutel mit 26 Gebets- bänden, ein Beutel mit einem Gebetsriemen, drei Vorhänge, 125 Gebetbücher, eine kleine Gebetsrolle, ein gedruckter Aushang betr. Kaiser Wilhelm II., ein Protokollbuch, eine Mappe mit Schriftwechsel, ein Schlüssel und ein Stempel. Die beschlagnahmten Gegenstände sind am 6. Januar 1939 dem Außenlei- ter des Sicherheitsdienstes RFSS aus Olpe ausgehändigt worden. ... Die be- schlagnahmten Gegenstände befinden sich bei der Staatspolizeistelle bzw. beim S.D. Dienst in Dortmund. Ich stelle anheim, sich mit dieser Stelle wegen der Auswertung des Materials in Verbindung zu setzen.“

- Olpe, 10. November 1938 Die Ausschnitte von vier Augenzeugenberichten spiegelten anschaulich die an- gespannte Lage in der Kreisstadt 263 : „ Gegen 1/2 11 Uhr morgens treffen ca. zehn SA-Männer aus Dort- mund, vermutlich mit einem LKW ein und treffen sich mit der örtlichen Partei- leitung. Ortsgruppenleiter Besken, Rektor der Imbergschule hat von seiner Schule drei und vom Städtischen vier weitere Lehrer in Uniform mitgebracht, dazu gesellten sich sechs Bedienstete der Stadtverwaltung. Sie begaben sich zusammen zu ‘Kante Mund’ in der Winterbergstraße / Ecke Köl- ner Straße und übten antijüdische Parolen ein. Durch die leeren Straßen ist der Demonstrationszug mit ca. 35 Personen zum Haus Lenneberg gezogen. ...“ „ Manch Olper wird sich noch an das gewaltsame Abholen des Juden Lenneberg in der Felmicke erinnern. Dem armen Menschen, der an sich schlecht gehen konnte, wurde der Hut tief über den Kopf gezogen, die Hosen- träger abgenommen, so daß er seine Hose festhalten mußte, und so mit Marschliedern durch die Olper Straßen geführt (wurde). Welch ein Hohn! Noch Schlimmeres sollte kommen. Die berüchtigte Kristallnacht nahte. Hier geschah es am hellichtsten Tag. Die Möbel aus der zweiten Etage (Wohnung von Hermann Lenneberg mit Frau und Kind, nebst altem Herrn) flogen in ho- hem Bogen in die Mühlenstraße. ‘Die Henker’, anders kann man sie nicht nen- nen, nahmen selbst vor den intimsten Sachen keinen Halt. Wenn sie sich noch

263 . Befragung von Studienreferendar K. Frielingsdorff am Olper St.-Franziskus-Gymnasium; Schreiben von Frau Christine Halsband (Olpe, ) vom 13. November 1981 an den Arbeitskreis „Geschichte der Juden im Kreis Olpe“ der Volkshochschu- le des Kreises Olpe; Therese Kemper (, in: G. Kemper, 1987, S.51) und Schreiben von M. Schöne (Düsseldorf / früher Olpe, ) vom 26. September 1988 an den Kreisarchivar D. Tröps. Der Bericht des Landrat Dr. H. Evers spielte die Situati- on eher herunter. Aber die hier wiedergegebene Einstimmung auf die antijüdischen Übergriffe belegte das genaue Gegenteil (Kreis- archiv Olpe, Bestand A 239. Bl.50 f.): „... Angehörige der Politischen Leitung und SA (teils in Uniform, teils in Zivilkleidung) versammelten sich gegen 11.00 Uhr auf der Kölner Straße, formierten sich zu einer Marschkolonne und marschierten in einer Stärke von 35 bis 40 Personen durch die Hindenburg-, Rochus- zur Felmicke-Straße. Während des Marschierens wurden Kampflie- der gesungen und ein Sprechchor gebildet. Hierbei fragte stets ein SA-Mann: ‘Wer hat Wilhelm Gustloff ermordet?’ ‘Wer hat den Legationsrat vom Rath ermordet?’ Darauf antwortete die Abteilung: ‘Die Juden.’ ‘Deshalb die Parole?’ ‘Raus mit den Juden’.“ (ausführlicher in: D. Tröps, 1988, S.250 - 254). Andererseits bestellte ein Olper Studienrat, der die „Judenaktion“ mit angesehen hatte, einen Schreiner, „um die beschädigte Judenwohnung wieder herstellen zu lassen“ (Stadtarchiv Olpe, Bestand B 889. 9. Dezember 1946). 61

am Küchenherd plagen mußten, ihn durchs hohe Fenster auf die Straße zu wer- fen, so flog die Wäsche wie Fetzen durch die Luft. Dasselbe Bild in der Bahn- hofstraße beim Metzgermeister Emmanuel (heute Linde). Frau Emmanuel scheute sich nicht, anschließend auf der Straße im Gerümpel bückend und wei- nend nach Bildchen zu suchen, Fotografien von ihren lieben Angehörigen. ... Als Therese Kemper, Frau von Dr. Walter Kemper, Seminarstr., bei der Aktion vor Lenneberg nur mit einem Satz ihrer Entrüstung Luft machte, wurde sie so- fort verhaftet. Zwei Tage blieb sie hier im Gefängnis, in einem stallartigen Viereck, (wie sie mir selbst erzählte), hinter dem alten Rathaus. Nach dieser Unterkunft wurde diese mutige Frau von der Gestapo nach Siegen in Untersu- chungshaft gebracht. Vier lange Wochen dauerten Gefängnisaufenthalt und Verhöre bis sie gottlob wieder nach Hause durfte. Die Gefahr der Juden wurde immer größer. Obige tapfere Frau Kemper sorgte in großer Eile, daß ihr Onkel in Amerika für die Einreise der Lenneberger bürgte und sie so vor der Verga- sung schützte.“ „ Ich sehe noch, wie sie das Bild von Herrn Lenneberg hoch erho- ben halten und dann auf die Straße werfen. Und die Möbel und den Kühl- schrank und das Essen. Die vielen Bettfedern überall! Ich habe einem SA- Mann gesagt: ‘Sie zerstören Betten und wir sollen welche sammeln für die Flüchtlinge aus dem Sudetenland!’ Da hat er geantwortet: ‘Wollen Sie in Ju- denbetten schlafen?’ - Alle Olper schliefen doch in Judenbetten, die hatten sie bei Lennebergs gekauft! Den Hermann Lenneberg haben sie abgeführt zum Rathaus. Er wurde nicht öffentlich durch die Stadt geführt, weil er im Ersten Weltkrieg Offizier war und Kriegsorden hatte. Aber seinem Bruder Julius Len- neberg hatten sie die Hosenträger abgeschnitten. So mußte er durch die Stadt gehen und sich dabei die Hose festhalten. Und er konnte doch gar nicht gut ge- hen! Nachdem alles vorüber war, war Stille in der Stadt. Die Menschen stan- den alle unter einem Schock. Niemand traute sich, etwas zu sagen. SA-Männer ‘bewachten’ auf der Straße die Trümmer. Die sollten zur Einschüchterung dort liegenbleiben. Die SA-Leute aber sagten, sie müßten sie bewachen, damit nicht geplündert würde!“ „ Erschrocken war ich über die zertrümmerten Möbel, die aus der Wohnung auf das Straßenpflaster geworfen worden waren. Ich sah ein Klavier, dann Kochtöpfe und dann viele, viele Bettfedern, die aus aufgeschlitzten Kissen herausflogen, wie Schneeflocken.“

- Altenhundem, 10. November 1938 Einen anschaulichen Eindruck der Vorgänge am Pogromtag in Altenhundem vermittelte der spätere Oberstudiendirektor am örtlichen Gymnasium Kloster Maria Kö- nigin, P. Tigges, in seinem sehr persönlich gehaltenen Buch „Jugendjahre unter Hit- ler“ 264 : „Es gibt Bilder, die man nicht vergißt, Eindrücke, die sich so eingeprägt haben, daß sie uns ein Leben lang begleiten. Ein solches Bild ist für mich der Tag der Reichskristallnacht, der 10. November 1938. Ich sehe mich als 15- jährigen Obertertianer in einer dichten Menschenmenge auf dem Bürgersteig der Hundemstraße in Altenhundem stehen. Es ist nachmittags 3 Uhr. In der Nähe an einem Mietshaus der Eisenbahn hängt der Stürmerkasten, von dem

264 . P. Tigges, 1984, S.119. Vgl. außerdem noch den Bericht des Landrats an die Staatspolizeistelle in Dortmund (Kreisarchiv Olpe, Bestand A 239. Bl.52a f.; Abdruck: D. Tröps, 1988, S.254 f.) und Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand K 368. 18., 23. Oktober 1946 - „Die Geschäfte und Haushalte der Familien wurden gestürmt, die Einrichtungsgegenstände mit Vorhämmern zertrümmert und die Personen von einem Zimmer ins andere getrieben, schließlich eingeschlossen. Nachmittags das vormittags verschonte demoliert.“ 62

aus seit Jahren gegen Juden, Pfaffen und Kommunisten gehetzt wird. Gegen- über werden aus dem 1. Stock der beiden jüdischen Geschäftshäuser von SA- Leuten die letzten Uhren und kleine Möbelstücke geworfen. Die Schaufenster- scheiben sind eingeschlagen, der Bürgersteig ist übersät mit Scherben und zer- brochenem Gerät. Plötzlich entsteht vom Bahnhof her eine Bewegung, laute Kommandos sind zu hören. Dann kommt ein Zug von SA-Leuten vorbeimarschiert. In der Mitte führen sie einen Jungen, einige Jahre älter als ich. Es ist Otto Neuhaus, der Sohn des jüdischen Metzgers. Bleich schaut er zu Boden, um den Hals ein Schild. Die Aufschrift lautet: ‘Ich bin der letzte Judenlümmel von Altenhundem.’ Er kam von der Arbeit in einer Littfelder Fabrik und wird an seinem Elternhaus vorbei zum Gefängnis in Kirchhundem gebracht. Die Menge ist erstarrt, keiner spricht ein Wort. Da kommt die Mutter, eine große, weißhaarige Frau, aus der Tür gestürzt. Sie sieht nicht die Scherben und Trümmer um sich, sie sieht nur ihren Sohn, den man gefangen vorbeiführt. Sie rauft sich die Haare und hebt die Hände. Sind es Verwünschungen? Ist es ein Flehen um Gottes Hilfe? Neben mir schreit hysterisch eine Frau auf und weist auf die verzweifelte Mutter: ‘Seht einmal diese alte Hexe!’ Alle haben geschwiegen, keiner hat sich gerührt. Auch später hat keiner protestiert.“

- Das Schicksal der Geschwister Neheimer aus Elspe

Einzig die Geschwister Neheimer, fünf ältere Damen, die in Elspe wohnten, blieben an diesem Tag unbehelligt. Ihr Weg führte - nach mehr oder minder erzwunge- ner Auswanderung - zur Schwester nach Belgien. Von dort später ins Konzentrationsla- ger 265 . Bevor aber ihr Ausreiseantrag genehmigt wurde, hatten sie zuerst einmal, die bü- rokratischen Prozeduren und Schikanen zu überstehen. Sie mußten ihren Besitzstand incl. ihrer Sparguthaben offenlegen 266 , eine Hypothek für früher erhaltene Wohlfahrtsun- terstützung auf Drängen des Wohlfahrtsamtes des Amtes Bilstein auf ihr Elsper Haus aufnehmen und „den Ernst ihrer Auswanderungsabsicht durch Vorlage einer entspre- chenden Bescheinigung der amtlichen Auswanderungsberatungsstelle in Köln, Ubier- ring 25, glaubhaft“ dokumentieren. Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Fi- nanzamtes wegen der Ausreise und eine Auskunft der Amtssparkasse wurden zusätzlich vom Amtsbürgermeister angefordert. Zudem setzte er die Gestapo und die Zollfahn- dungsstelle in Dortmund, den Gemeindevorstand in Meggen, die Reichsbankanstalt in Olpe, den Oberfinanzpräsidenten in Münster und die Zentrale Steuerfahndungsstelle bei dem Oberfinanzpräsidenten in Berlin über die geplante Ausreise der fünf älteren Damen in Kenntnis. Obwohl es sich in diesem Fall, selbst unter den seit Ende November 1938

265 . Vgl. D. Tröps, 1988, S.259 und Arbeitsgemeinschaft für örtliche Belange, (Hg.), Elspe. Fredeburg 1983. S.108 („Über das Schicksal der Familie in Belgien ... sind keine Nachrichten vorhanden.“). P. Tigges brachte nach intensiven Nachforschungen in Belgien gänzlich unbekanntes, klärendes Material aus Brüssel Ende 1989 mit. 266 . Stadtarchiv Lennestadt, Bestand A 1376. 2. Dezember 1938 - Amtsbürgermeister Amt Bilstein durch den Landrat an die Gesta- po Dortmund. 63

verschärften Kriterien nationalsozialistischer „Entjudung“ 267 , eindeutig um eine - finan- ziell betrachtet - Lappalie zu handeln schien, zögerte der Amtsbürgermeister als Ortspo- lizeibehörde die Aushändigung der Reisepapiere einige Tage hinaus, um evtl. Ver- dachtsmomente noch ausnutzen zu können. Zudem ließ er die Abreise durch den örtli- chen Polizeihauptwachtmeister, der schließlich die Pässe am 20. Dezember 1938 aus- händigte, überwachen 268 . Die von den Damen beauftragte Fa. Kraft in Olpe besorgte mit einem Möbeltransportwagen den Umzug, nachdem die Devisenstelle in Münster, „die für die Auswanderung erforderlichen Devisen zur Verfügung gestellt hatte“ 269 . Das ehemalige kleine Elsper Wohnhaus der fünf Geschwister Neheimer bildete bis zum Sommer 1992 in seinem halbverfallenen Zustand ein still-trauriges, mahnend- erinnerndes Bild des Jammers für den Wissenden 270 . Mittlerweile wurde das Haus abge- rissen 271 .

Die Täter 272 Von spontanen Pogromen und dem „Losbrechen des Volkszorns“ konnte im Kreis Olpe überhaupt nicht gesprochen werden 273 . Denn mehrere der agierenden SS- Marodeure waren am Tag zuvor in Altena, der Wirkungsstätte des Landrats Dr. H. Evers vor 1933, sorgfältig instruiert und vereidigt worden. Sie waren nicht nur „agents provo- cateurs“, sondern maßgeblich handelnde Vandalen. Gleiches galt für die Dortmunder SA in Olpe, Teile der Marodeure in Altenhundem und die vom Attendorner NSDAP- Ortsgruppenleiter in seinem Parteibüro zusammengerufenen und genauestens eingewie- senen SA-Leute 274 . Hier ließ sich eines deutlichst festhalten: Es lief eine von der lokalen

267 . Vgl. z.B. zum - von den Nationalsozialisten „eingefrorenen“ - Geld-, Aktien- und Sachbesitz, nicht nur von Juden, im Kreis Olpe: Kreisarchiv Olpe, Bestand B 368. 6. Juni 1945 - Aufstellung der Konten alliierter Staatsangehöriger durch die Deutsche Bank, Zweigstelle Olpe. 268 . Vgl. hierzu ausführlicher: Stadtarchiv Lennestadt, Bestand A 1954. 18. Oktober 1938 - 28. Januar 1939. 269 . Stadtarchiv Lennestadt, Bestand A 1954. 23. Januar 1939 - Schreiben des Amtsbürgermeisters an die Gestapo Dortmund „Betr. Paßantrag der jüdischen Geschwister ... Neheimer in Elspe“. 270 . Vgl. z.B. W. Reichling, Holocaust in ussem Duarpe. In: Hundem-Lenne-Kurier. Nr.47. 22. November 1984. S.11 (Gedicht und Foto) und „Der Schandfleck muß weg. Hoffnung nach 15 Jahren. Nach Vorgesprächen mit dem Eigentümer ist der Weg für Ver- handlungen frei. Neuer Wohnraum oder Haus für die Jugend. Hauptsache der Schandfleck ist bald weg!“ In: Stadt-Anzeiger. Nr.17. 26. April 1990. Bl.1 f. (Initiative von örtlichen SPD-Stadträten; intus: drei Fotos. Die mehrdeutige Überschrift in Haupt- und Unterzeilen zeigte die damalige scheinbar positive Entwicklung eher unglücklich an). 271 . Vgl. z.B. „Abriß oder Renovierung des Elsper Judenhauses. Endgültige Entscheidung fällt noch vor den Sommerferien.“ In: Westfalenpost. Nr.146. 25. Juni 1992. S.OEL 1 und G. Breise, Guter Geist der fünf Schwestern schwebt immer noch über Elspe. Seit einem halben Jahr existiert das Judenhaus in Elspe nicht mehr ...“. In: Hundem - Lenne - Kurier. 11.Jg. Nr.6. 10. Februar 1993. S.40. 272 . Vgl. auch besonders Anm.260. 273 . Vgl. allgemein zur bisher wenig erforschten Rolle der an der Pogromnacht beteiligten Personen, ihrer sozialen Schichtung etc.: H. Mommsen, u.a., (Hgg.), 1988, S.390f.; vgl. für den Kreis Olpe Anm.260. 274 . Vgl. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand NW 1109 / 11 - 17. 4. Juni 1947. 64

Parteiorganisation (PO) vorbereitete, exakt ausgeführte „Aktion“ ab 275 . Völlig losgelöste Zerstörungswut und brutale Gewalt brachen sich Bahn. Jenseits jeder bürgerlichen Mo- ral stehende Freude an der erniedrigenden Demütigung jüdischer Mitbürger stachelte die Akteure noch weiter untereinander an. Regelrechte Zerstörungsorgien an leblosem Gut und psychotische Demolierungswut erfaßte die in inhumanem Aktionismus sich ausle- benden NS-Schergen. Wie anderswo 276 waren auch der Attendorner Synagogenraum und die Wohnungen der Attendorner 277 , Olper und Altenhundemer Juden von nationalsozia- listischen NS-Bütteln und ihren opportunistischen Handlangern auf Befehl verwüstet worden 278 . Manchmal konnte gar zwischen jüdischem und „arischem“ Besitz im Eifer des Zerstörungsdranges nicht unterschieden werden, so daß Schäden von „Volksgenos- sen“ schnell wieder reguliert werden mußten 279 . Der Pogrom forderte im Deutschen Reich 91 jüdische Menschenleben und ver- ursachte einen Sachschaden von einigen hundert Millionen Mark. Über 600 Synagogen und Gebetshäuser wurden verwüstet und meist in Brand gesetzt sowie über 7.500 Ge- schäfte demoliert und unzählige Wohnungen unbewohnbar gemacht.

- Das endgültige „Ausgrenzen“ der Juden nach dem Novemberpogrom Nach der Pogromnacht verschärften die NS-Machthaber die Arisierungsbestre- bungen noch. Das Attentat hatte nur ausgelöst und verstärkt, was schon lange unter- schwelig köchelte. Elf jüdische Männer aus dem Kreis Olpe wurden am 11. November 1938 zur Staatspolizeistelle in Dortmund abtransportiert 280 . Es waren Julius und Her- mann Lenneberg sowie Julius und Hans Emmanuel (Olpe); Hermann, Kurt und Emil Stern, Alfred Cohn und Kurt Winter (Attendorn); Aaron und Otto Neuhaus (Altenhun- dem). Ihre Entlassung machten die Nationalsozialisten teilweise von der Vorlage der Auswanderungspapiere abhängig.

275 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand Staatsanwaltschaft Siegen 12. 4. März 1939 - In Attendorn alarmierte der SA-Führer des Attendorner Sturmes 18/218 am 10. November um 9 Uhr ca. 25 Männer seines Sturmes mit der Weisung, um 10.45 Uhr am Ver- kehrslokal zur örtlichen „Judenaktion“ anzutreten. Gegen 12 Uhr standen ca. 200 - meist schaulustige - Personen vor dem Stern- schen Geschäft. Im Haus befanden sich sowohl SA und SS als auch viele Neugierige (nach Gestapobericht vom 7. März 1939 zeitweise bis zu 100). 276 . Vgl. als ersten Überblick: A. Diamant, Zerstörte Synagogen vom November 1938. Eine Bestandsaufnahme. Frankfurt/M. 1978. 277 . Systematisch demoliert wurden das Geschäftshaus des Kaufmanns Cohn, die Villa des Kaufmanns Hermann Stern, das Wohn- haus des Kaufmanns Emil Stern, die Villa der Witwe Gewerke Albert Ursell und die Villa der Witwe Gewerke Julius Ursell (Haupt- staatsarchiv Düsseldorf, Bestand NW 1109 / 11 - 17. 4. Juni 1947). 278 . Vgl. zu Teilnehmern der Aktionen noch: Stadtarchiv Olpe, Bestand B 889. 1946/47. 279 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 239. Bl.179 f. - Schreiben des Landrats Dr. H. Evers an den Regierungspräsidenten in Arns- berg, betr. Schäden in Altenhundem. 280 . Vgl. ausführlicher zu übergeordneten Direktiven den Schnellbrief vom 17. November 1938 der Gestapo Dortmund „Betr. Festnahmeaktion gegen Juden“ („In Zweifelsfällen ist fernmündlich ... hier anzufragen.“). 65

Gerade zehn Tage nach den handfesten Ausschreitungen erfolgte die endgültige Inbesitznahme des Attendorner Kaufhauses Lenneberg durch die Fa. Scholl & Co. 281 . Sie fand am 19. November 1938 mit einem ersten Betriebsappell statt, an dem Repräsentan- ten der örtlichen NSDAP, Wirtschaft und Stadtverwaltung teilnahmen, u.a. Bürgermeis- ter Schütte und von der Olper DAF-Kreiswaltung M. Schäfer 282 . Bürgermeister Schütte bewies, wie schnell man angesehene jüdische Bürger vergessen konnte. Er kokettierte opportunistisch mit den neuen „arischen“ Inhabern 283 : „... (Er) begrüßte es dankbar, daß das Kaufhaus Lenneberg endgültig zu existieren aufgehört habe und damit in Attendorn ein Stein des Anstoßes ein für alle mal beseitigt sei. Er beglückwünschte die neuen In- haber zu ihrem Unternehmen, das vor Jahrzehnten das Kaufhaus des südlichen Sauer- landes schlechthin war.“ Während der DAF-Vertreter „der Hoffnung Ausdruck (gab), daß ... der Zeitpunkt nicht mehr allzu fern sei, an dem auch das letzte jüdische Geschäft des Kreises Olpe von der Bildfläche verschwinde“ 284 . Nach einer Sitzung beim Regierungspräsidenten in Arnsberg drückte Landrat Dr. H. Evers darauf, alle Maßnahmen „mit der größten Beschleunigung“ durchzuführen. Der Ablauf wurde rationalisiert: „Einzelhandel: ... Anhörungsverfahren mündlich, Be- sprechung mit NSDAP-Kreisleiter, Kreiswirtschaftsberater, Industrie- und Handels- kammer, Wirtschaftsgruppe Einzelhandel und Ortspolizeibehörde ... Handwerk: ... Lö- schung in der Handwerkerliste, Einziehung der Handwerkerkarte“ 285 . Der psychische Druck und die antijüdischen Agitationen bewirkten das Gewünschte 286 : Die meisten Ju- den im Kreis Olpe stellten den Antrag auf Auswanderung 287 .

281 . Vgl. z.B. Sauerländisches Volksblatt. Nr.263, 267, 274. 12., 13., 18., 26. November 1938 - Werbeankündigungen für das „arisierte“ Attendorner Geschäft Lenneberg („Lenneberg Attendorn geschlossen! Wiedereröffnung in Kürze durch die neuen Inha- ber Scholl & Co. Attendorn. / Eröffnung am 19. November um 11 Uhr. / Eine Woche Scholl & Co., Attendorn: ... Der große An- drang zeigte, daß dieses Ereignis weit über die Grenzen Attendorns gedrungen war.“); Sauerländisches Volksblatt. Nr.265. 15. November 1938 - „Entjudet. Die bisher in jüdischem Besitz befindliche Fa. R. Lenneberg, Attendorn, wurde von der arischen Fa. Scholl & Co. übernommen.“; Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.313, 321, 328. 18., 26. November, 3. Dezember 1938 - Werbeanzeige „Scholl & Co., ein neuer Name, der bald ein Begriff für Attendorn und Umgegend sein wird. Erfahrene Textilfach- leute haben das Haus in ihre Obhut genommen.“; Sauerländisches Volksblatt. Nr.284, 292, 303, 24. 8., 17., 18., 31. Dezember 1938, 1., 28., 29. Januar 1939 - Werbeanzeigen für die Fa. Scholl & Co. 282 . Vgl. Stadtarchiv Attendorn, Chronik Bd.4. S.29. 19. November 1938. 283 . Attendorner Volksblatt. Nr.140. 22. November 1938. 284 . Attendorner Volksblatt. Nr.140. 22. November 1938 und Sauerländisches Volksblatt. Nr.269. 21. November 1938 - „Entjudung durchgeführt“ („... Arisierung jüdischer Geschäfte im Kreis Olpe wieder einen Schritt vorwärts gebracht ...“). 285 . Kreisarchiv Olpe, Bestand A 3310. 6. Dezember 1938 und Rundschreiben 31/38 des Gauwirtschaftsberaters (4 Bll.) vom 6. Dezember 1938 „Betr. Arisierung jüdischer Gewerbebetriebe“ („Die nachstehenden Richtlinien bilden .. für die NSDAP- Kreisleitung und Kreiswirtschaftsberater die Grundlage, nach denen zunächst zu verfahren ist.“). 286 . Vgl. die scharfsinnige Beurteilung von M. Richarz, 1982, Bd.3, S. 56 und 59: „Innerhalb der nationalsozialistischen Judenpoli- tik hatte das Novemberpogrom zwei Funktionen, es ermöglichte erstens den sofortigen Ausschluß der Juden aus Handel und In- dustrie, verbunden mit weitgehender finanzieller Ausplünderung, und verursachte zweitens die größte Massenflucht von Juden seit Beginn der NS-Herrschaft. ... Die chaotische und teilweise illegale Auswanderung nach dem Novemberpogrom unterschied sich von früheren durch die unbegrenzte Risikobereitschaft der Emigranten, die Deutschland um jeden Preis verlassen wollten und keine 66

Die Resonanz auf die „Judenaktion“ im katholischen Milieu scheint bei weitem nicht so gewesen zu sein, wie es wohl der sehnliche Wunsch der örtlichen Nationalsozi- alisten gewesen war. Die reichsweit groß eingerückten Presseartikel waren in der Lokal- presse eher klein ausgefallen, aber nicht unbedingt harmloser. Die Berichterstattung im „Sauerländischen Volksblatt“, vermutlich aus der NSDAP-Kreisleitung vorgegeben, schlug in ihrer ersten zusammenfassenden Rückschau auf die lokalen „Judenaktionen“ einen unbarmherzigeren, aggressiveren und kurz angebundeneren Ton als sonst an 288 : „Die tiefe Empörung des deutschen Volkes nach dem Bekanntwerden des Ablebens des durch feige Mörderhand niedergestreckten deutschen Botschafts- rats Erster Klasse, Pg. vom Rath, machte sich auch im Kreis Olpe in spontanen antijüdischen Demonstrationen Luft. Der geballte Zorn der Bevölkerung rich- tete sich in Olpe, Attendorn und Altenhundem, wo die Juden Lenneberg, Ema- nuel, Cohn und Winter herumschmarotzten gegen die Inneneinrichtungen der Wohnungen und die Schaufenster der jüdischen Ramschläden. Die männlichen Juden wurden dabei in Schutzhaft genommen. Den ganzen Tag über bewegten sich riesige Menschenmengen durch die Straßen, die in gefühlsmäßigen De- monstrationen gegen die verbrecherischen und systematischen Unruhestifter der Welt Stellung nahmen. Das Volk gab in diesen Stunden klar und deutlich zu verstehen, daß im Kreis Olpe kein Platz mehr für das internationale Juden- gesindel vorhanden ist, und daß jeder weitere jüdische Anschlag gegen das Deutschtum ein Schlag gegen das Judentum selber, aber auch gegen alle Ju- denknechte sein wird.“

Doch um einerseits die Erregung in der Bevölkerung zu dämpfen und anderer- seits die „Volksgenossen“ auf die härteste antisemitische Vorgehensweise einzustim- men 289 , mußten die lokalen NS-Größen in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten immer wieder in - z.T eigens einberufenen - öffentlichen NS-Versammlungen auf die „Judenfrage“ eingehen 290 .

Rücksicht nahmen auf ihre Chancen im Bestimmungsland. Die Auswanderung wurde zum dominierenden Sozialphänomen inner- halb der jüdischen Bevölkerungsgruppe.“ 287 . Vgl. D. Tröps, 1988, S.257 und 259; außerdem Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand A 35. November 1938. 288 . Vgl. Sauerländisches Volksblatt. Nr.262. Nr. 11. November 1938; ähnlich: Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.307. 11. November 1938 - „Schluß mit Cohn und Konsorten! Sie sollen sich Fahrkarten nach Palästina bestellen! ... Zur Beruhigung einiger rührseliger Tanten sei dabei festgestellt, daß den Herrschaften kein Haar gekrümmt wurde. Trotzdem werden die Lennebergs und Emanuel, die Cohn, Winter und Konsorten doch wohl gemerkt haben, was die Stunde geschlagen hat. Im Kreis Olpe ist jeden- falls kein Platz mehr für sie! Und auch nicht für Judenknechte!“ 289 . Selbst antijüdische Sentenzen wurden ab Ende 1938 im „Sauerländischen Volksblatt“ eingerückt: Sauerländisches Volksblatt. Nr.281. 5. Dezember 1938 - „Luther über die Juden“; Sauerländisches Volksblatt. Nr.290. 15. Dezember 1938 - Napoleon I. „Über die Juden“; Sauerländisches Volksblatt. Nr.5. 6. Januar 1939 - A. Hitler „Judentum“. 290 . Vgl. z.B. Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.312. 17. November 1938 - Versammlung des KdR in Altenhundem mit Vortrag von Kreiswart Rimbach (Iserlohn) „Kommunismus als Weltfeind“, „wobei er den verderblichen Einfluß des Judentums herausstellte“; Sauerländisches Volksblatt. Nr.267. 18. November 1938, Attendorner Volksblatt. Nr.138/139. 16./19. November 1938 - NSDAP-Kreisleiter Fischer hielt schon sechs Tage nach den Attendorner Ausschreitungen eine Versammlung mit Ansprache „Über wichtige Fragen der Gegenwart“ im NSDAP-Parteilokal ab, hierzu noch Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.313. 18. November 1938 - „Gegen Spießer und Bierbankpolitiker! Schluß mit Märchen und Verdrehungen ... Anständige Juden gibt es überhaupt keine auf der Welt! Mit diesem Märchen muß endlich Schluß sein. Wer noch davon spricht, ist ein Lump und charakter- loser Verräter an Deutschland.“; Attendorner Volksblatt. Nr.140. 22. November 1938 - Versammlung mit dem KdR Landesleiter „Parteigenosse“ Spengemann „Über Aufgaben und Ziele des KdR“ in Listernohl („... Besonderen Beifall erntete der Redner, als er zur Judenfrage Stellung nahm und die neuesten Judengesetze streifte.“); Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.321. 26. November 1938 - Große Volksversammlungen zu weltanschaulichen und tagespolitischen Fragen mit Gaurednern in Helden, 67

Eine Massenkundgebung in Olpe vierzehn Tage nach dem Pogrom nutzte NSDAP-Kreisleiter Fischer zu einer „Abrechnung mit Juden und Judenknechten“ im Kreis und besonders in der Stadt Olpe und zur weiteren antijüdischen Mobilisierung der „Volksgemeinschaft“. Die Resonanz war ungemein groß. Der Schwanensaal konnte den Andrang nicht fassen. Kreisleiter Fischer behandelte das für „das deutsche Volk lebens- wichtige Problem in der notwendigen Deutlichkeit und Folgerichtigkeit eingehend“, von Ausfällen gegen lokale Gegner begleitet 291 : „Die Lösung aller Probleme ... hinge von der Lösung der Judenfrage ab. Unser gesamtes Handeln und die auch vor kurzer Zeit durchgeführte Vergel- tungsmaßnahme gegen die Juden sei nicht entstanden aus der Luft und dem Drange zu Gewalttätigkeiten, sondern es beruhe auf der Erkenntnis des Da- seins verschiedener Rassen und des Vorhandenseins verschiedener Rassen- werte. Der Nationalsozialist vertrete die Auffassung, daß der jüdische Rassen- bastard der minderwertigste und gefährlichste Mensch sei und von jeher ein Feind der Menschheit. Der Jude sei ein Parasit am deutschen Volkskörper, der sich nie durch seiner eigenen Hände Fleiß seinen Besitz erarbeitet habe, son- dern nur durch Handel und Spekulation zu der vermögendsten Schicht des Vol- kes wurde. ... Hinweisend auf die nahezu völlige Verjudung des Wirtschaftslebens vor der Machtübernahme zeigte der Kreisleiter weiter die vernichtende und zersetzen- de Tätigkeit ... der Juden während der Kriegs- und Nachkriegsjahre auf. Der Jude verdient am besten, wenn das Volk blutet! Mit diesen kurzen Worten ist am besten ... die furchtbare und vernichtende Tätigkeit dieses internationalen Schmarotzertums gekennzeichnet. Im Anschluß an diese allgemeine Betrachtung der Judenfrage wandte sich .. der Kreisleiter einigen örtlich interessierenden Begebenheiten zu, die im Nachgang zu den am 10. November erfolgten Vergeltungsmaßnahmen ... in .. der hiesigen Bevölkerung ausgelöst wurden. Zunächst hielt er in herzerfri- schender Weise die verdiente Abrechnung mit einer im ganzen Ort bekannten

Heggen und Meggen; Attendorner Volksblatt. Nr.144. 1. Dezember 1938 - Öffentliche Versammlung in einem überfüllten Hegge- ner Saale mit Gauredner „Parteigenosse“ Theiler (Hagen) zum Thema „Das Werden des Großdeutschen Reiches“ („... wußte der Redner Meckerer zu treffen, die es nicht vertragen können, ... wenn sich das Deutsche Volk seines alten Peinigers, des Juden, er- wehre und die ohnmächtig würden, wenn in einem Judengeschäft einige Fensterscheiben zertrümmert würden.“); Ebda. - „Führer- appell des Kreises Olpe“ mit Ansprache von Landrat Dr. H. Evers („Wenn der Jude geglaubt hat, siegen zu können, so wollen wir beweisen, daß der germanische Schädel härter ist als der seine.“); Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.324. 29. November 1938, Attendorner Volksblatt. Nr.144, 145. 1., 3. Dezember 1938 - Große öffentliche Kundgebung in Attendorn mit Reichsredner, Gauinspekteur und Oberbürgermeister Albert Meister (Herne) zum Thema „Aktuelle Tagesfragen. Gründliche Abrechnung mit den Juden“ („Da A. Meister bekanntlich Führer des Großdeutschen Sängerbundes ist, werden die Sänger des Bigge-Lenne-Kreises, soweit wie möglich, sicher zur Stelle sein.“ / Es kamen 140 Sänger aus Gesangvereinen.); Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.328. 3. Dezember 1938, Attendorner Volksblatt. Nr.146. 6. Dezember 1938 - Dorfabend in der NSDAP-Zelle Windhausen mit einem Vortrag des Attendorner NSDAP-Ortsgruppenschulungsleiter „Parteigenosse“ Stipp („... klare und verständliche Ausführun- gen über das volksschädigende Wirken des Judentums zu allen Zeiten“); Sauerländisches Volksblatt. Nr.284. 8. Dezember 1938 - Tagung des NS-Rednerringes Siegen-Wittgenstein-Olpe in Attendorn mit dem Tenor die SA als „schärfste Waffe der Bewegung“ („Einen tiefgründigen Vortrag hielt Regierungsschulrat Gauredner Hoffmann , der es sich angelegen sein ließ, das ganze Problem des Judentums unter Angabe ausgezeichneten Quellenmaterials aufzurollen.“); Attendorner Volksblatt. Nr.150, 152. 15., 20. Dezember 1938 - Große öffentliche Versammlung der Ortsgruppe Heggen mit Ansprache von Kreisleiter Fischer („Unsere Lebensäußerungen sind verankert in unserem Rassebewußtsein. Deshalb können wir auch nur Antisemiten sein. ... Juden als Schmarotzer am deutschen Volke.“); Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.330. 5. Dezember 1938 - Öffentliche Kundge- bung mit Kreisleiter Fischer in Wenden / Gerlingen zu aktuellen Tagesfragen; Attendorner Volksblatt. Nr.24, 25. 25., 28. Februar 1939 - NSDAP-Großkundgebung mit Feuerwehrkapelle und Fahnenabordnungen in der Attendorner Schützenhalle mit Ansprache von Gauleiter, Reichsredner, Geschäftsführer der Reichsschrifttumskammer und MdR Frauenfeld („Es ist daher notwendig, daß wir nicht nur gefühlsmäßig, sondern auch aus verstandesmäßigen Erkenntnissen zur Judenfrage Stellung nehmen. Wenn wir uns der jüdischen Pest erwehren, dann deshalb, weil wir unser Volk glücklich sehen wollen.“). 291 . Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.319. 24. November 1938 - „Kreisleiter Fischer rechnete ab!“ 68

Familie, die sich mit wenigen anderen ‘rühmen’ kann, bis zum letzten Augen- blick mit dem Juden Lenneberg in einer engbefreundeten und gesellschaftli- chen Beziehung gestanden zu haben. Nach der Auffassung, daß der Juden- freund und -knecht heute genau so zu verachten ist wie der Jude selbst, stellt er sich ... außerhalb der Gesellschaft und ist dementsprechend .. zu behandeln. ... Diesem einen ... reiht sich ein weiterer Fall an. ... In diesem Falle handelt es sich um eine hier jedem nationalsozialistisch denkenden Volksgenossen un- rühmlich bekannte ‘Dame’ 292 ... Ihre ‘Empörung’ .., die sie überall offen und frei zur Kenntnis gab, fand .. ihr Ventil in einer überaus bösartigen Hetze, die diktiert war von einem infernalischen Haß gegen die NSDAP und vor allem gegen jene Männer, die sich an der Ausführung der Vergeltungsmaßnahmen beteiligten. Wenn dieser Haß nun in der Meinung dieser ehrenwerten ‘Dame’ seinen Ausdruck findet, daß der hiesige Ortsgruppenleiter der NSDAP gelyncht wer- den müsse (!) - wobei der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen sein wird - und wenn als Folge dieser systematischen und bösartigen Hetze eines Nachts dem Ortsgruppenleiter mittels eines Wurfgeschosses die Fensterscheiben ein- geworfen werden, dann kann diese Frau mit Berechtigung für diese Tat als Folge ihrer Hetze verantwortlich gemacht werden. Die auf Grund dessen ver- anlaßte Inschutzhaftnahme dieser ebenso gefährlichen wie staatsfeindlichen Person, die darüber hinaus mit deutschfeindlich gesinnten Kreisen in recht an- geregter Beziehung stand, kann deshalb keineswegs als zu brutal und unge- rechtfertigt angesehen werden. Vielmehr muß sich ein jeder aufrichtiger deut- scher Volksgenosse mit Abscheu abwenden von einer solchen Person, über die das Urteil der Gemeinschaft bereits gesprochen ist.“

Knapp drei Wochen nach den örtlichen Übergriffen an den jüdischen Bürgern und ihrem Eigentum wurde das NSDAP-Führerkorps des Kreises Olpe in der Altenhun- demer Sauerlandhalle zusammengerufen, „um neue Richtlinien, neue Kraft und neuen Antrieb zu erhalten“. Die „Parteigenossen“ mußten auf die harte antisemitische Linie, die nun ebenfalls in der Provinz zu gelten hatte, nochmals intensiv eingeschworen wer- den. NSDAP-Kreisleiter Fischer ließ es an drohenden Hetztiraden nicht fehlen 293 : „Wie immer bei größeren Kundgebungen der Partei war der kleine Saal der Halle würdig ausgeschmückt und bis auf den letzten Platz besetzt. Nach dem Einmarsch der Fahnen eröffnete Ortsgruppenleiter Schmidt mit einem Gruß an den Führer die Kundgebung. Schulungsleiter Wollschläger verlas aus des Füh- rers ‘Mein Kampf’ einen Abschnitt ‘Jüdische Welthetzer gegen Deutschland’. Als dann das Lied ‘Brüder in Zechen und Gruben’ verklungen war, bestieg Kreisleiter Fischer, lebhaft begrüßt, das Podium, um über die Judenfrage im allgemeinen und über alle mit der Judenfrage örtlich im Zusammenhang ste-

292 . Vgl. oben die Zeugenaussage von Fr. Kemper, die mit der hier angeschuldigten Dame identisch war. Allgemein zum Verhältnis der Juden und Christen 1933 - 1938: B. Brilling, 1969, S.166 f.: „Betreffs der einzelnen Christen, die den Mut hatten, den Juden in der Verfolgungszeit zu helfen, ist man auf Berichte derjenigen angewiesen, denen geholfen wurde, sowie auch auf Prozeßakten aus der NS-Zeit, in denen Arier wegen judenfreundlicher Gesinnung oder Tätigkeit angeklagt oder bestraft wurden. Übertriebene und ausführliche Berichte über Judenfreunde konnte man in den nationalsozialistischen, sich beson- ders durch antijüdische Hetze auszeichnenden Zeitschriften ‘Der Stürmer’ und das ‘Schwarze Korps’ lesen, denen es ein besonde- res Vergnügen machte, solche Personen anzugreifen und der Öffentlichkeit als Staatsfeinde zu präsentieren.“; außerdem noch H. Greive, 1982, S.187 und 189 f. 293 . Sauerländisches Volksblatt. Nr.273. 25. November 1938 und Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.324. 29. Oktober 1938 - Vorträge: Landrat Dr. H. Evers „Das Judenproblem“, NSDAP-Kreisschulungsleiter Lönnendung „Vom Sinn der Schulung“, Kreisleiter Fischer „Das ideelle Aufgabengebiet der NSV“ und Gauredner „Parteigenosse“ Dr. Heinrich Schmidt „Über den helden- haften Kampf der Ostmark und des Sudetenlandes“; außerdem Eröffnung der Ausstellung „Mutter und Kind“. 69

henden Dinge im besonderen zu sprechen. ... Der Kreisleiter rechnete dann in scharfer Form mit jenen Volksgenossen ab, die bei den Vergeltungsmaßnah- men an den Juden halbe Ohnmachtsanfälle bekommen hätten. ... Das deutsche Volk habe sich mit Recht spontan zu Vergeltungsmaßnahmen gegen das Juden- tum erhoben, und wenn gesagt werde, es wären auch SA-Männer dabei gewe- sen, so müsse man fragen, seit wann SA-Männer nicht zum Volke gehörten. Und wenn man sage, man hätte die Sachen besser der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) gegeben als zerstört, so antworte er: Keiner soll die Sa- chen haben, weil sie von Juden sind. ... Bei der Vergeltungsaktion seien auch lange Listen von Judenkunden gefunden worden. Im Kreis Olpe seien es drei Parteigenossen, die noch bei Juden gekauft hätten. Sie würden natürlich aus der Partei ausgeschlossen. Die Zahl der Beamten, die noch bei Juden gekauft hätten, betrage in Altenhundem erfreulicherweise nur zwei. In Attendorn und Olpe dagegen sei die Zahl wesentlich höher. In scharfer Form rechnete der Kreisleiter dann eingehend mit einem besonders judenfreundlichen Altenhun- demer ab 294 . ... Die interessanten Ausführungen des Kreisleiter wurden mit starkem Beifall aufgenommen.“

Auf das Gerücht, daß führende „Parteigenossen“ noch nach dem 10. November bei Attendorner Juden eingekauft hätten, reagierte die Attendorner NSDAP bei der fei- erlichen Aufnahme und Verpflichtung von siebzig Parteianwärtern mit einem heftigen, ebenfalls z.T. im „Attendorner Volksblatt“ abgedruckten Dementi und der harschen Warnung vor Konsequenzen bei weiterer Verleumdung 295 . Zur besseren Information der Bevölkerung wurden ein aufklärender Hetzartikel „So hauste der Jude! Ausplünderung der ärmsten Volksgenossen - Der Trick mit dem Übereignungsvertrag“ im „Sauerländischen Volksblatt“ 296 und eine wichtige Verlautba- rung des Gauwirtschaftsberaters Westfalen-Süd zum Thema „Entjudung“ im „Attendor- ner Volksblatt“ eingerückt, mit der Aufforderung, jeder „Volksgenosse“ möge sich die sieben Punkte „Ausschneiden!“ Was nach außen den Eindruck einer sauberen geschäftlichen Transaktion er- weckte, lief genau gegenteilig ab. Die besten „Schnäppchen“ waren oft genug schon an den - an möglichst billigen Übernahmen interessierten - NS-Klüngel, die „Alte-Kämp- fer-Klientel“ oder an dahinterstehende, opportunistische „Drahtzieher“ weiterverscha- chert worden 297 :

294 . Vgl. Westfälische Landeszeitung - Rote Erde. Nr.321. 26. November 1938 - Öffentliche Kundgebung der Altenhundemer Ortsgruppe mit Ansprache des Kreisleiter Fischer („Er vertrat die Juden vor Gericht - und hißte die Hakenkreuzfahne! ... So handelt es sich in A., um eine ‘bekannte’ Person, deren Rechtsberatung bis zum Vergeltungstage, an dem ihm die Empörung die Fahne des nationalsozialistischen ... Staates aus dem Hause holte, von den Juden im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm in Anspruch ge- nommen wurde.“). 295 . Vgl. Attendorner Volksblatt. Nr.149. 13. Dezember 1938 und Sauerländisches Volksblatt. Nr.287. 12. Dezember 1938. 296 . Vgl. Sauerländisches Volksblatt. Nr.290. 15. Dezember 1938. 297 . Attendorner Volksblatt. Nr.150. 15. Dezember 1938 und Sauerländisches Volksblatt. Nr.287. 12. Dezember 1938. 70

„Wichtig für Entjudungen !“ 1. Nachdem durch die in Frage kommenden Dienststellen der Partei, des Staates, der Handels- und Handwerkskammern und der Organisation der gewerblichen Wirtschaft eine Prüfung durchgeführt wurde, welche jüdi- schen Gewerbebetriebe zu entjuden bzw. abzuwickeln sind, werden im Laufe der nächsten Tage bei der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, Dort- mund, Märkischestraße Nr.120, Angaben über Namen und Anschriften der in Frage kommenden zu veräußernden Betriebe gemacht werden können. 2. Kaufinteressenten wollen sich daher zunächst ausschließlich an die Wirt- schaftsgruppe Einzelhandel in Dortmund wenden, wobei Fachkunde und Höhe des Eigen- und Fremdkapitals belegt werden müssen. 3. Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel ist daraufhin erst berechtigt und in der Lage, Anschriften von zu entjudenden Gewerbebetrieben bekanntzu- geben. Der Interessent hat sich anschließend mit dem für den Sitz des zu übernehmenden Betriebes zuständigen Kreisleiter und ebenfalls dem Kreiswirtschaftsberater der NSDAP zur Stellung seines Kaufantrages in Verbindung zu setzen. 4. Die Kreisleiter entscheiden in eigener Zuständigkeit für die Partei, wel- cher der Bewerber geeignet ist, den zu veräußernden Gewerbebetrieb zu übernehmen und zu Verhandlungen mit dem jüdischen Besitzer seitens der Partei zugelassen zu werden. 5. Für die endgültige Genehmigung eines Kaufvertrages sind abschließend die Herren Oberbürgermeister als Ortspolizeibehörde und die Herren Landräte zuständig. Diese Stellen treffen ihre Entscheidung in Überein- stimmung mit sämtlichen im Gesetz vorgesehenen Dienststellen der Partei, der Kammern und der Organisation der gewerblichen Wirtschaft. 6. Für die Partei entscheiden die Kreisleiter im allgemeinen in eigener Zu- ständigkeit bis zu einer Objekthöhe von RM 100.000.-. Kaufanträge auf Objekte von über RM 100.000.- unterliegen der Zustimmung des Amtes des Gauwirtschaftsberaters, Bochum. Die Zustimmung der Partei zu Grund- stückskäufen, ohne gleichzeitige Übernahme eines Gewerbebetriebes, er- folgt im allgemeinen ausschließlich durch den zuständigen Kreisleiter als Hoheitsträger der Partei, ohne jegliche Einschränkung über die Höhe des Objekts. 7. Es wird allen Interessenten dringend empfohlen, diese vorstehenden Richt- linien genauestens zu beachten. Bewerber, die unter Nichteinhaltung die- ser Richtlinien versuchen, zum Ziele zu kommen, können nicht berücksich- tigt werden. Ebenso können auch Besucher beim Amt des Gauwirtschafts- beraters nicht angenommen werden, die unter Umgehung des oben näher bezeichneten Weges den Versuch unternehmen, eine bevorzugte Behand- lung zu erreichen. Konkursritter und Spekulanten haben von vornherein keine Aussicht, als Bewerber berücksichtigt zu werden.“

Durch reichsweit gültige Verordnungen „Zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben“ (12. November 1938 ff.) 298 , die Ansiedlung der Entscheidungskompe- tenz zur Weitergabe jüdischen Besitzes bei den NSDAP-Kreisleitungen und den Kreis- wirtschaftsberater war für das notwendige „Filtern“ der Bewerber ausgiebig vorgesorgt. Den Zuschlag bekamen fast ausschließlich nur „Konkursritter und Spekulanten“ mit den besseren NS-Beziehungen. Um noch reichlicheren Gewinn aus den ganzen Transaktio- 71

nen ziehen zu können, durften die ehemaligen jüdischen Besitzer noch nicht einmal ihre Warenlager selbständig auflösen, sondern waren auf einen Schätzpreis angewiesen, der ihnen oft nur widerwillig zugebilligt wurde 299 . Mit diesem Verfahren löste man zwei Probleme. Zuerst war ein unerwünschter Sonderkauf unterbunden, der Geld von Kunden abgezogen hätte. Außerdem konnten sich „arische“ Geschäftsleute selber zu günstigsten Preisen eindecken, evtl. die Handelsspanne weiter vergrößern oder selbst mit günstigen Angeboten Kunden werben 300 . Der Verlierer war immer der jüdische Kaufmann. Er konnte zuletzt noch froh sein, wenigstens einiges - oft aber nur sein Leben und die Fa- milie - ins Exil gerettet zu haben 301 .

- Der Weg zur „Endlösung“ der Judenfrage im II. Weltkrieg Direkt nach dem Kriegsausbruch wurden in Attendorn die Keller im ehemaligen Hause Cohn in der Wasserstraße zu öffentlichen Luftschutzräumen umfunktioniert. Die Geschäftsstellen der NSDAP-Ortsgruppe, der NSV mit Hilfswerk „Mutter und Kind“, der NS-Frauenschaft und des BDM brachte man zur gleichen Zeit im früheren Haus des Juden Stern am Hindenburgwall unter 302 . Auf eine Anfrage der Devisenstelle beim Ober- finanzpräsidenten vom 30. September 1939 meldete Landrat Dr. H. Evers nur noch acht Juden im Kreisgebiet 303 . Schon vor Kriegsbeginn hatte der Inhaber einer Olper Strickwarenfabrik immer wieder Auseinandersetzungen mit dem NSDAP-Kreisleiter Fischer, dem Gauwirt- schaftsberater Westfalen - Süd und nachgeordneten Behörden und Parteistellen sowie einzelnen Nationalsozialisten wegen der „Judenfreundlichkeit“ seiner Familie. Den lo-

298 . Vgl. ausführlicher A. Barkai, 1988, S.115 f. und S.167 (Abschluß der „Entjudung der deutschen Wirtschaft“). 299 . Vgl. z.B. Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand A 279. 5. Dezember 1938 - Schreiben des Syndikus der Industrie- und Han- delskammer Siegen-Olpe-Dillenburg, Sitz Siegen, an den Amtsbürgermeister in Kirchhundem zur „Durchführung der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 23. November 1938, Geschwister Winter, Altenhundem“: „Frl. Winter hat bei uns vorgesprochen. Sie hat beantragt, daß ihr Warenlager abgeschätzt und verkauft wird. Wir werden von hier aus unseren Sachverständigen benennen und ebenfalls den Ortsfachgruppenleiter der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel benachrichti- gen, damit das Warenlager aufgenommen werden kann. Wir nehmen an, daß am Ort genügend Interessenten vorhanden sind, so daß die Ware am Ort unter den Einzelhandel aufgeteilt werden kann, wie es die Abwicklungsvorschriften auch vorsehen.“ 300 . Vgl. z.B. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 3310. 25. März 1939 ff. - „Entjudung“ des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens im Kreis Olpe nach der Aufstellung des Kulturamts Olpe. Eine weitere Liste enthielt zusätzlich Grundstücke und Immobilien, die „arisiert“ worden waren. Die Käufer waren Firmen, Städte und Gemeinden, Polizeiverwaltung, Pfarreien, der Ruhrtalsperrenver- band, Privatpersonen etc. (Intus: Liste der Kaufverträge und der Käufer jüdischen Vermögens). Ein großer Teil der veräußerten Grundstücke, besonders in Attendorn, war am 14. November 1939 noch nicht beglichen. 301 . Vgl. z.B. Stadtarchiv Olpe, Bestand B 633. 22. Mai 1939 - Umzugsanzeige des Olper Juden Julius Israel Emanuel; ausführ- licher (ca. 50 Bll.) für die erzwungene Auswanderung der Altenhundemer Judenfamilien: Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand A 279. März - Dezember 1938. 302 . Vgl. Stadtarchiv Attendorn, Chronik Bd.4. S.54 f. - 8., 13. September 1939. 303 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand A 240. 12. Oktober 1939 - „Judenkartei“. Weitere Aufstellung der im Kreis Olpe wohnhaften Juden am 4. Februar 1941 für die Dortmunder Gestapo: Kreisarchiv Olpe, Bestand A 241. 1940 / 1941 - Aron und Johanna Winter (Altenhundem) und Hermann und Emilie Stern (Attendorn); Kreisarchiv Olpe, Bestand A 4611. 31. Januar 1939 - 26. März 1941 - Schriftwechsel mit der Gestapo Dortmund in Paßangelegenheiten von Juden im Kreis Olpe. 72

kalen NS-Machthabern war es ein Dorn im Auge, daß er und seine Töchter freund- schaftliche Beziehungen zur Familie Lenneberg hatten. Ein erstes öffentliches Exempel hatte man schon am 10. November 1938 statuiert. SA-Männer holten die Hakenkreuz- fahne aus seinem Haus ab. Am 19. Januar 1940 fühlte sich der Kreiswirtschaftsberater bemüßigt, weitere Maßnahmen einzuleiten. Er schrieb an die Industrie- und Handels- kammer, die Firma dürfe ab sofort keine öffentlichen Aufträge mehr erhalten. Als sich aber die Rüstungsinspektion Münster und das Wehrbeschaffungsamt wenig um die vor- gebrachten politischen Bedenken kümmerten, schaltete er den Geschäftsführer des Gau- amtes ein. Dieser erwirkte Ende Juni 1940 den Ausschluß von öffentlichen Aufträgen beim Oberkommando der Wehrmacht (OKW). Darüber hinaus erhielt der NSDAP- Kreisleiter die Anweisung, das Arbeitsamt zu veranlassen, Arbeitskräfte aus kriegswirt- schaftlichen Gründen aus der Firma abzuziehen. Erst nach einer Aussprache des Inha- bers im Mai 1941 mit NSDAP-Kreisleiter Fischer änderte dieser seine Meinung und wies das Arbeitsamt an, neue Arbeitskräfte zuzuteilen. Der Gauwirtschaftsberater West- falen - Süd erfuhr von diesem stillschweigenden Abkommen nichts. Als er den Betrieb im Februar 1942 auf die Stillegungsliste setzte, rechnete er fest mit dem Einverständnis des Kreisleiters. Als dieser ihn über den neuen Sachverhalt aufklärte, und auch die Kreiswaltung der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) sich gegen eine Stillegung wandte, ließ der Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd im Januar 1943 sogar der Firma Gemein- schaftshilfe anweisen 304 . Einer Anfrage des Gaurechtsamtes am 19. März 1941 zur Beschaffung von Wohnräumen durch Beschlagnahme von Wohnungen jüdischer Hausbesitzer, Mieter und Untermieter, beantwortete der Olper Bürgermeister über das Kreisrechtsamt mit sichtlicher Genugtuung 305 : „Die Stadt und das Amt Olpe sind in der glücklichen Lage, keine Juden mehr zu beherbergen. Die noch in jüdischem Besitz befindlichen Gebäude sind restlos vermietet bezw. im Wege des polizeilichen Zwanges in Anspruch ge- nommen.“

Nach dem 23. Oktober 1941 wurde den deutschen Juden jeder offizielle Weg zur Auswanderung unmöglich gemacht. Die Ausreise war verboten. Ab Herbst begannen

304 . Vgl. Staatsarchiv Münster, Bestand Gauwirtschaftsberater 743 - Schriftwechsel von Gauwirtschaftsberater Westfalen-Süd, Kreiswirtschaftsberater, Kreisleitung etc. vom 19. Januar 1940 - 5. Januar 1943 (Zitiert nach G. Kratzsch, 1989, S.415 f. und Anm. 153 - 163). 305 . Stadtarchiv Olpe, Bestand B 607. 28. März 1941. 73

die Deportationen in die Vernichtungslager im Osten. Dieses Drama lief mit all seinen amtlichen und parteiamtlichen Schnörkeln - fast reibungslos - vor großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit ab, wie P. Steinbach noch einmal eindringlich 1992 schilder- te 306 : „Die Bilder über den Beginn der Deportationen sind bekannt - und dennoch schildern diese Fotos von Bahnsteigen und Wagen nicht die ganze Lebenswirk- lichkeit, vor allem nicht die Vielzahl der Hände, die jede Deportation zu einem bürokratisierten Vorgang machten. So mußten Listen mit den Namen der zu Deportierenden erstellt, Fahrpläne koordiniert, Züge zusammengestellt, kom- munale Behörden informiert, Polizisten alarmiert werden. An den Sammelstel- len wurden Namen abgehakt, Notbetten angewiesen. Bei den Behörden und Sparkassen waren Dinge des täglichen Lebens, Sparbücher und Konten zu er- fassen. Beschlagnahmeformulare mußten ausgefüllt, Restsummen auf die Sam- melkonten überwiesen werden. Ein Zug mit 1.000 Deportierten bedeutete: Tau- sende Formulare waren auszufüllen, Hunderte von Sparbüchern (mit in der Regel geringen Summen) waren aufzulösen - und dies alles in Einklang mit dem bestehenden Recht, mit BGB und Benutzungsordnung der Sparkassen.“

Die „Wannseekonferenz“ am 20. Januar 1942 beschloß unter Federführung Heydrichs, auf Staatssekretärebene, die sog. „Endlösung der Judenfrage“ 307 . Mitte 1942 gingen auch noch sieben jüdische Mitbürger nach schon genügend dornenreichen neun Jahren außerhalb der örtlichen deutschen „Volksgemeinschaft“ den Weg in den Tod: Emil und Betty Stern (Attendorn) aus Angst vor der Deportation durch Selbstmord Ende Juli 1942 und Hermann Stern (Attendorn) und Aron, Johanna, Else und Dora Neuhaus (Altenhundem) nach der Verschleppung im Juli 1942 im Konzentrationslager 308 . Eine Attendorner Halbjüdin erhielt von der Gestapo 1942 den Befehl „jeden Verkehr mit ihrem Bräutigam ..., der arisch ist“ und Soldat war, einzustellen 309 . Ein in Essen gesuchter Jude hatte sich im Kreis Olpe mit Wissen des Polizeisachbearbeiters ab Mai 1944 aufgehalten und erst nach dem Einmarsch der Amerikaner polizeilich ange- meldet. Seine „arische“ Frau und seine „halbjüdische“ Tochter waren ab 9. Dezember 1944 gemeldet. Außerdem lebte ab 11. Mai 1942 eine Halbjüdin, die am 11. Dezember 1943 ein weiteres Kind gebar, in Olpe und wurde „von der Gestapo Dortmund fortge-

306 . P. Steinbach, Zur deutsch-jüdischen Beziehungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B- 1/2. 1992. S.3 - 13, hier S.11. 307 . Vgl. als erste aktuelle Einführung zu diesem grausamen Kapitel deutscher Geschichte: K. Pätzold, „Die vorbereitenden Arbeiten sind eingeleitet.“ Zum 50. Jahrestag der Wannsee-Konferenz“ vom 20. Januar 1942. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B-1/2. 1992. S.14 - 23. 308 . Vgl. D. Tröps, 1988, S.261 und 263 f. Die Einwohnmeldeämter in Attendorn und Altenhundem meldeten unter den Namen nur lakonisch „Unbekannt verzogen“. 309 . Vgl. Stadtarchiv Olpe, Bestand B 888. 11. Februar 1946. 74

setzt terrorisiert“ 310 , um zu erreichen, daß sie ihr Verhältnis zum „arischen“ Bräutigam auflöste. Sie mußte sich verpflichten, jeglichen mündlichen und schriftlichen Verkehr mit ihm abzubrechen, ihren Beruf als Buchhalterin aufgeben und in einer Metallwaren- fabrik arbeiten. Bei Nichteinhalten der Vorgaben war ihr die Einweisung ins Konzentra- tionslager angedroht worden. Einen weiteren Halbjuden, der nach dem Zusammenbruch sofort freigelassen wurde, hatten die Nationalsozialisten noch kurz vor Einmarsch der Alliierten verhaftet 311 . Auf dem in der Weimarer Republik und sogar noch 1938 als Begräbnisstätte genutzten Langeneier Judenfriedhof entstand 1944 ein Behelfsheim. Es wurde sofort nach dem Einmarsch der Amerikaner wieder abgebaut. Ab Januar 1946 befand sich der Judenfriedhof „wieder in ordnungsgemäßem Zustand“ 312 . Aus allen von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten hatte der Weg für Eu- ropas Juden zur immer weiter perfektionierten Tötungsmaschinerie in den Konzentrati- onslagern geführt. Die „Reise in den Tod“ fand offiziell erst vier Tage vor Kriegsende ihr grausiges Ende. Wie massiv noch die nationalsozialistische Indoktrination in der Sprache der Verwaltung verhaftet geblieben war, zeigte Ende 1946 die Antwort auf einen von der damaligen Militärbehörde zur Beantwortung vorgelegten „Jüdischen Fragebogen“ 313 : „Zur Zeit wohnen im Kreise Olpe zwei Volljuden und zwar ein Jude mit sei- ner ‘arischen’ Frau und eine Tochter, ferner eine Halbjüdin mit zwei uneheli- chen Kindern und ein Halbjude, der sich inzwischen mit einer ‘Arierin’ verhei- ratet hat, sowie eine Jüdin, die mit einem ‘Arier’ verheiratet ist.“

310 . Vgl. hierzu Stadtarchiv Olpe, Bestand B 609. 18. Oktober 1946 - „Dieselbe ist ... von Drolshagen bzw. Köln, woselbst sie flüchten mußte, in Olpe zugezogen. Mit Hilfe beherzter Beamter der Stadtverwaltung konnte sich diese Frau vor den mehrmals versuchten Gewaltmaßnahmen der Gestapo retten.“ 311 . Vgl. Kreisarchiv Olpe, Bestand B 334. 23. Oktober 1946. 312 . Vgl. Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand K 369. 20. Juni 1944 ff. und Gemeindearchiv Kirchhundem, Bestand A 95. 6. September 1945 - 25. Januar 1946; außerdem noch „Übernahme der Pflege des Russenfriedhofs in Maumke und des Judenfriedhofs in Langenei durch die Klassen 10 a und b der Anne-Frank-Schule Meggen“. In: Hundem-Lenne-Kurier. Nr.43. 25. Oktober 1984. S.19. 313 . Kreisarchiv Olpe, Bestand B 334. 7. November 1946. 75

Literatur (bis 1994)

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Dokumente

Jüdische Bürger im Kreis Olpe in den Jahren 1933 - 1942 (Quelle : D. Tröps, Das Schicksal der Juden im Kreis Olpe. In: HSO. 153. 1988. S.261 - 268) 1

Jüdische Bürger in Attendorn 1. Hermann Stern, geb. 20.Februar 1884, laut Einwohnermeldeamt Attendorn am 3. August 1942 „unbekannt verzogen“. Vermutlich im KZ umgebracht. 2. Henriette Stern, geb. Lenneberg, geb. 12. April 1879. 3. Emilie Stern, geb. Lenneberg, geb. 24. September 1881. 4. Kurt Stern, geb. 3. November 1906, ausgewandert am 17. April 1939 nach England, später nach USA. 5. Walter Stern, geb. 20. April 1909, ausgewandert am 29. April 1939 nach Melbour- ne/Australien. 6. Gerhard Stern, der spätere Journalist Gabriel Stern, geb. 27. Oktober 1913, ausge- wandert am 16. November 1936 nach Jerusalem. 7. Gertrud Stern, geb. 15. Februar 1905, ausgewandert am 31. August 1939 nach Eng- land. 8. Alfred Cohn, geb. 1. Juni 1889, ausgewandert mit seiner Familie am 31. August 1939 nach England. 9. Hans Edmund Cohn, geb. am 10. Juni 1937, ausgewandert mit seiner Familie am 31. August 1939 nach England. 10. Emil Stern, geb. am 18. September 1877, gest. am 25. Juli 1942 durch (Suizid) Selbstmord in Attendorn. 11. Betty Stern, geb. am 6. Januar 1890, gest. am 29. Juli 1942 durch (Suizid) Selbst- mord in Attendorn. 12. Albert Gutmann, geb. am 24. April 1862, am 26. Juni 1939 nach Rheydt verzogen. 13. Lina Gutmann, geb. am 15. Mai 1866, am 26. Juni 1939 nach Rheydt verzogen. 14. Helene Gutmann, geb. am 10. Juni 1895, am 26. Juni 1939 nach Rheydt verzogen. 15. Lothar Gutmann, geb. 28. Juni 1898, verzogen am 5. Dezember 1928 nach Höch- heim/Unterfranken. 16. Albert Ursell, geb. 2. Mai 1874, gest. vor 1936. 17. Else Ursell, geb. 13. April 1890, verzogen am 24. Juni 1940 nach München. Im KZ Theresienstadt umgebracht. 18. Günther Ursell, geb. 10. April 1921, verzogen am 7. April 1937 nach Frankfurt. Im KZ umgebracht. 19. Herbert Ursell, geb. 7. März 1926, verzogen am 4. Juli 1940 nach München. Im KZ umgebracht. 20. Julius Ursell, geb. 29. August 1882, gest. im Jahr 1936 auf einer Geschäftsreise nach Belgien. 21. Martha Ursell, geb. Kahn, geb. 10. August 1888, verzogen am 22. Dezember 1939 nach Berlin. Wahrscheinlich im KZ umgekommen. 22. Erich Ursell, geb. 10. Januar 1915, verzogen am 5. Juli 1932 nach Höppingen. Vor November 1938 in die USA ausgewandert. 23. Magrit Ursell, geb. 10. Februar 1918, am 26. November 1938 nach England ausge- wandert. Lebt heute in den USA. 24. Lisa Ursell, geb. 20. November 1919, am 26. November 1938 nach England ausge- wandert. Von dort in die USA. 25. Karl Ursell, geb. 18. Mai 1877, am 14. Juli 1934 nach Wuppertal verzogen. Weite- res Schicksal unbekannt.

1. Die Aufstellung erstellte der Kreisarchivar D. Tröps nach den Materialien umfangreicher Vorarbeiten (1980 - 1988) von Oberstudiendirektor a.D. Paul Tigges, Altenhundem. 91

26. Paula Ursell, geb. 26. November 1888, am 14. Juli 1934 nach Wuppertal verzogen. Weiteres Schicksal unbekannt. 27. Hans Ursell, geb. 22. März 1909, am 27. Oktober 1934 nach Frankfurt verzogen. Weiteres Schicksal unbekannt. 28. Werner Ursell, geb. 11. Februar 1911, verzogen am 20. November 1925 nach Men- den. Schicksal unbekannt. 29. Ruth Ursell, geb. 15. September 1917, verzogen am 3. Juni 1933 nach Plettenberg. Dann ausgewandert in die USA. 30. Hella Ursell, geb. 3. März 1919, verzogen am 14. Juli 1934 nach Wuppertal. Dann wahrscheinlich in die USA ausgewandert. 31. Kurt Winter, geb. 14. Oktober 1912, am 6. Dezember 1938 nach Korschenbroich verzogen. Weiteres Schicksal unbekannt. Jüdische Bürger in Altenhundem 1. Aron Neuhaus, geb. 5. Januar 1877, lt. Meldekartei am 27. Juli 1942 „unbekannt verzogen“. Vermutlich im KZ Auschwitz umgebracht. 2. Johanna Neuhaus, geb. Gousenhäuser, geb. 18. Mai 1877, am 27. Juli 1942 „unbe- kannt verzogen“. Wahrscheinlich auf dem Transport ins KZ umgekommen. 3. Adelheid Neuhaus, geb. 31. März 1906, vermutlich vor 1938 nach New York / USA ausgewandert. 4. Fritz Neuhaus, geb. 4. April 1909, am 14. April 1938 nach New York / USA aus- gewandert. 5. Else Neuhaus, geb. 15. Februar 1911, lt. Meldekartei am 27. Juli 1942 „unbekannt verzogen“. Sie wurde ins KZ Theresienstadt verschleppt, wo sich ihre Spur verliert. 6. Dora Neuhaus, geb. 9. November 1912, am 27. Juli 1942 „unbekannt verzogen“. Abtransportiert ins KZ Theresienstadt, wo sich ihre Spur verliert. 7. Otto Neuhaus, geb. 6. März 1914, am 16. August 1939 nach England ausgewandert. Von dort weiter nach New York / USA. 8. Abraham Winter, geb. 3. März 1864, gest. 12. August 1933. 9. Rika Winter, geb. Neuhaus, geb. 6. August 1870, gest. 30. April 1930. 10. Adelheid Winter, geb. 30. April 1890, am 19. Januar 1939 nach Buenos Aires (Argentinien) ausgewandert. 11. Arthur Winter, geb. 28. November 1891, zog 1939 nach Hagen. Von dort aus 1942/43 nach Auschwitz transportiert und dort umgebracht. 12. Tilla Winter, geb. 1894, vermutlich 1938 nach Südamerika ausgewandert. 13. Else Winter, geb. 19. November 1897, am 19. Januar 1939 nach Buenos Aires (Ar- gentinien) ausgewandert. 14. Heinrich Winter, geb. 19. November 1899, 1938 nach Paraguay ausgewandert. 15. Kurt Winter, geb. 15. März 1902, am 30. Juli 1938 nach Paraguay ausgewandert. 16. Emil Winter, geb. 27. Dezember 1903, vor 1938 nach Mailand (Italien) ausgewan- dert. 17. Ernst Winter, geb. 2. Februar 1905, wanderte mit seiner Familie 1938 nach Süd- amerika aus. Wohnt heute in Montevideo (Uruguay). 18. Erna Winter, geb. 2. Dezember 1915, emigrierte 1936 nach Luxemburg, dann 1939 nach Argentinien. Lebt heute in New York. 19. Klara Winter, geb. 25. Februar 1908, emigrierte am 19. Januar 1939 nach Buenos Aires (Argentinien). 20. Frieda Winter, geb. 6. Juni 1910, am 19. Januar 1939 nach Buenos Aires emigriert. 21. Hedwig Winter, geb. 12. November 1911, wanderte am 19. Januar 1939 nach Bue- nos Aires aus. Jüdische Bürger in Elspe 1. Emma Neheimer, geb. 20. Oktober 1865. 2. Emilie Neheimer, geb. 2. Oktober 1869. 92

3. Frieda Neheimer, geb. 14. März 1873. 4. Rosa Neheimer, geb. 13. September 1875. 5. Rika Neheimer, geb. 5. Mai 1879. Die fünf Schwestern emigrierten am 6. Februar 1939 zu ihrer Schwester Toni Kappel, geb. Neheimer, in Mons (Belgien). Nach dem Einmarsch deutscher Truppen im Jahr 1940 wurden sie verhaftet und in deutsche KZ’s transpor- tiert. Sie sind seitdem verschollen. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.

Jüdische Bürger in Finnentrop 1. Gustav Rieser, geb. 1876. 2. Bettina Rieser, geb. 1879. 3. Paul Rieser, geb. 1910. Das Schicksal der Eltern Gustav und Bettina Rieser und das ihres Sohnes ist unbekannt. Die Familie ist am 6. Oktober 1938 nach Freiburg verzogen. 4. Grete Rieser, geb. 1907, am 15. Januar 1935 in die USA emigriert.

Jüdische Bürger in Fretter 1. Ludwig Heldenmuth, geb. 1897, am 2. April 1936 nach Wetzlar gezogen. 2. Frieda Heldenmuth, geb. 2. April 1903, am 24. Juli 1936 nach Wetzlar gezogen. 3. Werner Heldenmuth, geb. 16. Februar 1936. Die Familie Heldenmuth flüchtete mit ihrem Kleinkind nach der Zerstörung ihrer Wohnung durch die SA zunächst zu einem ortsansässigen Bauunter- nehmer und übernachtete bei einem Bauern in Fretter. Von da aus zog sie nach Wetzlar. Ein Jahr später emigrierte die Familie nach Johannesburg (Süd- afrika).

Jüdische Bürger in Lenhausen 1. Meier Max Jacob, geb. 1887, am 28. April 1942 ins KZ Zamose/Lublin abtranspor- tiert. Dort gestorben im November 1942. 2. Jenny Jacob, geb. 1885, am 28. April 1942 ins KZ Zamose/Lublin abtransportiert. Dort im Mai 1942 gestorben. 3. Erich Jacob, geb. 1911, am 10. November 1939 im KZ Buchenwald „auf der Flucht erschossen“. 4. Henny Jacob, geb. 1913, 1939 nach Belgien und Frankreich emigriert. Sie lebt seit 1947 mit ihrer Tochter in den USA. Ihr Ehemann starb im KZ Auschwitz. 5. Ilse Jacob, geb. 1915, 1939 nach England emigriert. 1954 in die USA ausgewan- dert. 6. Werner Jacob, geb. 1920, am 26. Februar 1943 zunächst ins KZ Birkenau abtrans- portiert, danach in den KZ’s Monowitz, Jawosch now, Auschwitz, Sachsenhausen, Ordruf und Buchenwald. 1945 Rückkehr nach Lenhausen. Er ist der einzige Jude unter den hier genannten, der 1994 noch im Kreis Olpe lebt. 7. Grete Jacob, geb. 1921, am 28. April 1942 abtransportiert ins KZ Zamose. Seitdem verschollen.

Jüdische Bürger in Olpe 1. Isaak Lenneberg, geb. 26. Februar 1861, am 19. April 1939 nach Cuba ausgewan- dert. 1943 in den USA verstorben. 2. Hermann Lenneberg, geb. 8. März 1891, am 20. April 1939 nach Cuba ausgewan- dert. In New York verstorben. 93

3. Tilde Lenneberg, geb. 16. August 1902, am 20. April 1939 nach Cuba ausgewan- dert. Lebt heute in New York. 4. Hannele Lenneberg, geb. 8. Juni 1926, am 20. April 1939 emigriert. Lebt heute in den USA. 5. Julius Lenneberg, geb. 10. Oktober 1888, am 1. Dezember 1938 über Köln und Amsterdam nach New York ausgewandert. 6. Giesela Lenneberg, geb. 3. Dezember 1897, am 1. Dezember 1938 ausgewandert nach New York, wo sie 94-jährig im Oktober 1991 verstarb. 7. Hans Lenneberg, geb. 16. Mai 1924, mit seinen Eltern am 1. Dezember 1938 in die USA emigriert. Lebt heute als Professor für Musikgeschichte in Chicago/USA. 8. Julius Emmanuel, geb. 4. Oktober 1880, am 4. Januar 1940 nach Argentinien aus- gewandert. 9. Paula Emmanuel, geb. 25. Juni 1884, am 4. Januar 1940 nach Argentinien ausge- wandert. 10. Herta Emmanuel, geb. 1. April 1914, vor 1938 nach Johannesburg (Südafrika) ausgewandert. 11. Ludwig Emmanuel, geb. 4. August 1915, als erster der Familie nach Buenos Aires (Argentinien) ausgewandert. 12. Hans Emmanuel, geb. 29. Juli 1924, am 4. Januar 1940 nach Argentinien ausge- wandert. 13. Ilse Sonja (Illa) Emmanuel, geb. 10. September 1927, am 4. Januar 1940 mit den Eltern nach Argentinien ausgewandert. Lebt heute in Buenos Aires. 94

Zusammenstellung

der zu befragenden

Ämter, Institutionen, Institute etc.

1988 ff.

für den Arbeitskreis

Geschichte der Juden im Kreis Olpe

von

Arnold M. Klein M.A.

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- Amtsgerichte Olpe und Grevenbrück

- Anfrage D. Aschoff, Hamm

- Archiv Jüdische Geschichte Frankfurt (-> Brilling-Unterlagen sichten)

- Bildmaterial (->evtl. Presseaufruf)

- Bundesarchiv Koblenz

- Deutsches Zentralarchiv Potsdam (-> Akten Wirtschaftsministerium)

- Dokumentation der Wittener Veranstaltung „Juden in Westfalen“ (im Erscheinen)

- Dokumentationszentrum Wien

- Dokumentationszentrum Yad Vashem, Israel

- Erzbistumsarchiv Paderborn

- Finanzamt Kreis Olpe

- Fürstenberg’sches Archiv Herdringen

- Grundbuchamt Kreis Olpe

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- Gemeinde- und Stadtarchive im Kreis Olpe

- Gesundheitsamt Kreis Olpe

- Hauptstaatsarchiv Düsseldorf -> Entnazifizierungsakten (-> Entnahme 1952 berücksichtigen)

- Industrie- und Handelskammer Siegen

- Industrie- und Handelskammer Siegen, Außenstelle Olpe

- Kirchenarchive im Kreis Olpe

- Kreisarchiv Olpe

- Kreisarchiv Meschede

- Landgericht Siegen

- Landsberg’sches Archiv (StA Münster)

- Plettenberg’sches Archiv Hovestadt

- Staatsarchiv Münster -> Generalstaatsanwalt -> Sondergericht -> Gauwirtschaftsberater -> Regierung Arnsberg

- Veterinäramt Olpe

- Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund

- Zeitungen -> Sauerländisches Volksblatt -> Attendorner Volksblatt -> Westfälische Landeszeitung „Rote Erde“ -> Lokalteil

- Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen, Ludwigsburg

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Impressum

Dr. Arnold M. Klein, M.A. Geschichte der Juden im Kreis Olpe 1933 - 1945. Grevenbrück 1990-1994. [95 Bll.].

© Museum der Stadt Lennestadt, im März 2016