19. Wahlperiode Plenarprotokoll 19/74

HESSISCHER LANDTAG 19. 05. 2016

74. Sitzung

Wiesbaden, den 19. Mai 2016

Amtliche Mitteilungen ...... 5147 57. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde Entgegengenommen ...... 5147 (Homo- und Transphobie auch in Hessen be- Vizepräsident Frank Lortz ...... 5147 kämpfen – Opfer rehabilitieren) – Drucks. 19/3395 – ...... 5160 55. Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Abgehalten ...... 5164 Aktuelle Stunde (Schwarz-grüner Klima- Kai Klose ...... 5160 schutzplan bedeutet Einstieg in den Umerzie- Heike Hofmann ...... 5161 hungsstaat – standortfeindliche Vorschläge Lena Arnoldt ...... 5162 für die Bereiche Verkehr, Wirtschaft, Ener- Jürgen Lenders ...... 5162 gie, Landwirtschaft und Wohnungsbau stop- Dr. Ulrich Wilken ...... 5163 pen) Staatssekretär Jo Dreiseitel ...... 5164 – Drucks. 19/3393 – ...... 5147 Abgehalten ...... 5155 58. Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Florian Rentsch ...... 5148 Aktuelle Stunde (Keine Verlängerung für den Angela Dorn ...... 5149 Einsatz von Glyphosat – Gesundheitsschutz Peter Stephan ...... 5150 geht vor) Timon Gremmels ...... 5151 – Drucks. 19/3396 – ...... 5164 Janine Wissler ...... 5152 Abgehalten ...... 5171 Ministerin Priska Hinz ...... 5153 Angelika Löber ...... 5165 Petra Müller-Klepper ...... 5166 56. Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Marjana Schott ...... 5167 Aktuelle Stunde (Hessen dankt Kardinal Martina Feldmayer ...... 5168 Lehmann für sein jahrzehntelanges engagier- Jürgen Lenders ...... 5169 tes Wirken als Seelsorger, Bischof von Mainz Ministerin Priska Hinz ...... 5170 und Vorsitzender der Deutschen Bischofs- konferenz) – Drucks. 19/3394 – ...... 5155 25. Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD be- treffend keine Neuzulassung von Glyphosat Abgehalten ...... 5160 in der Europäischen Union (EU) Tobias Utter ...... 5155 – Drucks. 19/3095 – ...... 5171 Mathias Wagner (Taunus) ...... 5156 Abgelehnt ...... 5171 ...... 5157 Hermann Schaus ...... 5158 Günter Rudolph ...... 5164 Ernst-Ewald Roth ...... 5158 Ministerpräsident Volker Bouffier ...... 5159

Ausgegeben am 28. Juni 2016 Hessischer Landtag, Postfach 3240, 65022 Wiesbaden 5142 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

70. Dringlicher Entschließungsantrag der Frak- 72. Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD be- tionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- treffend Bildungsgerechtigkeit von Anfang NEN betreffend Hessen reagiert auf Risiken an – Grundschulen als ganztägige inklusive von Glyphosat Bildungseinrichtungen brauchen eine finan- – Drucks. 19/3407 – ...... 5171 ziell und personell den Anforderungen ent- sprechende Ausstattung Angenommen ...... 5171 – Drucks. 19/3411 – ...... 5178 Angela Dorn ...... 5171 Dem Kulturpolitischen Ausschuss überwiesen ...... 5189 Barbara Cárdenas ...... 5178 59. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Karin Hartmann ...... 5180 eine Aktuelle Stunde (Hessen hat Platz für Armin Schwarz ...... 5181 Flüchtlinge und will sichere Reisewege statt Wolfgang Greilich ...... 5183 weiterer Aushöhlung des Asylrechts) Mathias Wagner (Taunus) ...... 5185, 5187 – Drucks. 19/3398 – ...... 5171 Gerhard Merz ...... 5186 Abgehalten ...... 5177 Minister Prof. Dr. R. Alexander Lorz ...... 5187 Barbara Cárdenas ...... 5171 Astrid Wallmann ...... 5172 11. Antrag der Abg. Hofmann, Gremmels, Lö- René Rock ...... 5173 ber, Lotz, Müller (Schwalmstadt), Schmitt, Marcus Bocklet ...... 5174 Siebel, Warnecke (SPD) und Fraktion betref- Mürvet Öztürk ...... 5176 fend Ergebnisse des Runden Tisches Hessi- Ernst-Ewald Roth ...... 5176 sches Ried ernst nehmen und Maßnahmen Minister Peter Beuth ...... 5177 zum Walderhalt umsetzen – Drucks. 19/1749 – ...... 5189 64. Dringlicher Antrag der Abg. Cárdenas (DIE Dem Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Land- LINKE) und Fraktion und der Abg. Öztürk wirtschaft und Verbraucherschutz zur abschlie- (fraktionslos) betreffend Initiative „Züge der ßenden Beratung überwiesen ...... 5189 Hoffnung“ – Drucks. 19/3390 – ...... 5178 41. Entschließungsantrag der Fraktionen der Abgelehnt ...... 5178 CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- treffend verantwortungsvolle Sozialpolitik für alle Menschen 73. Dringlicher Entschließungsantrag der Frak- – Drucks. 19/3370 – ...... 5189 tionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Flüchtlinge in Deutsch- Angenommen...... 5201 land und Europa menschenwürdig aufneh- Marcus Bocklet ...... 5189, 5198 men und versorgen Gerhard Merz ...... 5191, 5200 – Drucks. 19/3412 – ...... 5178 Dr. Ralf-Norbert Bartelt ...... 5193 Dem Sozial- und Integrationspolitischen Aus- Marjana Schott ...... 5194 schuss, federführend, und dem Innenausschuss, René Rock ...... 5196, 5198 beteiligt, überwiesen ...... 5178 Minister Stefan Grüttner ...... 5199 Vizepräsident Frank Lortz ...... 5160 14. Antrag der Abg. Löber, Gremmels, Lotz, Müller (Schwalmstadt), Schmitt, Siebel, 66. Dringlicher Antrag der Abg. Merz, Alex, Warnecke (SPD) und Fraktion betreffend Decker, Di Benedetto, Gnadl, Roth, Dr. Som- kein Ausschluss von der Energieversorgung mer (SPD) und Fraktion betreffend „Züge bei Armut der Hoffnung“ – Drucks. 19/2552 – ...... 5201 – Drucks. 19/3400 – ...... 5178 Dem Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Land- Dem Sozial- und Integrationspolitischen Aus- wirtschaft und Verbraucherschutz, federfüh- schuss, federführend, und dem Innenausschuss, rend, zur abschließenden Beratung und dem So- beteiligt, überwiesen ...... 5178 zial- und Integrationspolitischen Ausschuss, be- teiligt, überwiesen ...... 5201 37. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Sicherung der Aufgaben von Grundschulen in Hessen – Drucks. 19/3366 – ...... 5178 Dem Kulturpolitischen Ausschuss überwiesen ...... 5189 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5143

71. Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU 17. Entschließungsantrag der Fraktionen der und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- Energieversorgung durch leicht zugängliche treffend Schlösser, Gärten und Burgen in Beratung, Anreize zum Stromsparen und ge- Hessen als kulturelles Erbe erhalten zielte Präventionsmaßnahmen für alle Men- – Drucks. 19/2646 – ...... 5213 schen absichern Angenommen ...... 5218 – Drucks. 19/3409 – ...... 5201 Judith Lannert ...... 5213 Dem Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Land- Nicola Beer ...... 5213 wirtschaft und Verbraucherschutz, federfüh- Martina Feldmayer ...... 5214 rend, zur abschließenden Beratung und dem So- Christoph Degen ...... 5215 zial- und Integrationspolitischen Ausschuss, be- Janine Wissler ...... 5216 teiligt, überwiesen ...... 5201 Minister Boris Rhein ...... 5216

15. Antrag der Fraktionen der CDU und BÜND- 18. Entschließungsantrag der Fraktionen der NIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Leitlinien CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- für eine zeitgemäße Glücksspielregulierung treffend Arbeit der Senckenberg Gesellschaft in Deutschland für Naturforschung weiter unterstützen – Drucks. 19/2644 – ...... 5201 – Drucks. 19/2647 – ...... 5218 Dem Innenausschuss überwiesen ...... 5207 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 74. Dringlicher Entschließungsantrag der Frak- tion der FDP betreffend echter Neustart in 19. der Glücksspielregulierung statt Flickschus- Entschließungsantrag der Fraktionen der terei an gescheitertem Staatsvertrag CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- – Drucks. 19/3414 – ...... 5201 treffend Etablierung des Max-Planck-Institu- tes für empirische Ästhetik in Frankfurt Dem Innenausschuss überwiesen ...... 5207 a. M. – Drucks. 19/2648 – ...... 5218 Vizepräsident Wolfgang Greilich ...... 5193 Alexander Bauer ...... 5201 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 Florian Rentsch ...... 5202 Jürgen Frömmrich ...... 5203 Hermann Schaus ...... 5204 20. Antrag der Fraktionen der CDU und BÜND- Günter Rudolph ...... 5205 NIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Darmstadt Minister Peter Beuth ...... 5206 führender Standort für IT-Sicherheitsfor- schung in Deutschland und Europa 16. Antrag der Fraktionen der CDU und BÜND- – Drucks. 19/2931 – ...... 5218 NIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Einigung Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 bei Finanzierung für den öffentlichen Nah- verkehr – Kompromiss nutzt der Verkehrs- drehscheibe Hessen 21. Antrag der Fraktionen der CDU und BÜND- – Drucks. 19/2645 – ...... 5207 NIS 90/DIE GRÜNEN betreffend „Qualitäts- Dem Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Ver- pakt Lehre“ stärkt erneut Hochschulstand- kehr und Landesentwicklung überwiesen ...... 5213 ort Hessen – Drucks. 19/2932 – ...... 5218 22. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Nahverkehr stärken, Angebot ausbauen, Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 Preise senken – neue Finanzierungsmöglich- keiten für Bus und Bahn schaffen – Drucks. 19/3066 – ...... 5207 24. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Be- gleitung von Großraum- und Schwertrans- Dem Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Ver- porten kehr und Landesentwicklung überwiesen ...... 5213 – Drucks. 19/3072 – ...... 5218 Karin Müller () ...... 5208 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 Janine Wissler ...... 5208 Tobias Eckert ...... 5209 Jürgen Lenders ...... 5210 26. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Ulrich Caspar ...... 5211 Tierschutzverbandsklagerecht in Hessen ein- Minister Tarek Al-Wazir ...... 5212 führen – Drucks. 19/3156 – ...... 5218 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 5144 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

27. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend 34. Antrag der Fraktion der SPD betreffend De- Kooperationsverbot für Bildung endlich um- finition der Gemeinnützigkeit in der Abga- fassend aufheben benordnung – Drucks. 19/3171 – ...... 5218 – Drucks. 19/3360 – ...... 5218 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218

28. Entschließungsantrag der Abg. Quanz, 38. Antrag der Fraktionen der CDU und BÜND- Franz, Geis, Grüger, Kummer, Waschke NIS 90/DIE GRÜNEN betreffend zukünftige (SPD) und Fraktion betreffend Hessen und Entwicklung der hessischen Hochschulen für Wielkopolska feiern deutsch-polnische Bezie- angewandte Wissenschaften: Potenziale nut- hungen zen und fördern – Drucks. 19/3177 – ...... 5218 – Drucks. 19/3367 – ...... 5218 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218

29. Antrag der Fraktion der FDP betreffend 40. Entschließungsantrag der Fraktionen der ÖPNV im ländlichen Raum zukunftsfähig CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- gestalten treffend interkommunale Zusammenarbeit – Drucks. 19/3217 – ...... 5218 und freiwillige Gemeindefusionen weisen den Weg in die Zukunft Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 – Drucks. 19/3369 – ...... 5218 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 30. Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses zu dem Antrag der Landes- regierung betreffend Haushaltsrechnung des 47. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Landes Hessen für das Haushaltsjahr 2014; schusses für Wirtschaft, Energie, Verkehr hier: nachträgliche Genehmigung der Haus- und Landesentwicklung zu dem Antrag der haltsüberschreitungen, außerplanmäßigen Fraktion der SPD betreffend Hessen braucht Ausgaben sowie der Vorgriffe im Haushalts- Unterstützung beim Ausbau und der Ver- jahr 2014 breitung öffentlicher freier WLAN-Hotspots – Drucks. 19/2924 zu Drucks. 19/2435 – ...... 5218 – Drucks. 19/3352 zu Drucks. 19/3314 neu – ...... 5218 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218

31. Antrag der Fraktion der SPD betreffend 48. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schwarz-grüner Bildungsabbau durch die schusses für Wirtschaft, Energie, Verkehr Hintertür II – Kürzungen bei kultureller Bil- und Landesentwicklung zu dem Antrag der dung zurücknehmen Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE – Drucks. 19/3312 – ...... 5218 GRÜNEN betreffend Hessen unterstützt Ausbau und Verbreitung öffentlicher freier Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 WLAN – Drucks. 19/3353 zu Drucks. 19/3332 – ...... 5218 32. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 Notstand an hessischen Förderschulen und im inklusiven Unterricht beenden – Aus- und Weiterbildungskapazitäten für das Lehramt 62. Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- an Förderschulen ausbauen ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der – Drucks. 19/3313 – ...... 5218 SPD betreffend Übertragung der Tarifergeb- nisse auf die Beamtinnen und Beamten des Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 Landes Hessen – Drucks. 19/3389 zu Drucks. 19/3344 – ...... 5218 33. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Ko- Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 operationsverbot im Bildungsbereich aufhe- ben und den in Verfassungsrecht gegossenen Irrtum beseitigen 23. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Dis- – Drucks. 19/3315 – ...... 5218 kussion um die Reform des Sexualstrafrechts – Drucks. 19/3071 – ...... 5218 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 5218 Dem Rechtspolitischen Ausschuss zur abschlie- ßenden Beratung überwiesen ...... 5218 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5145

36. Antrag der Abg. Gremmels, Löber, Lotz, Müller (Schwalmstadt), Schmitt, Siebel, Warnecke (SPD) und Fraktion betreffend Verpachtung von Hessen-Forst-Flächen für Windkraft – Drucks. 19/3363 – ...... 5218 Dem Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Land- wirtschaft und Verbraucherschutz zur abschlie- ßenden Beratung überwiesen ...... 5218

Im Präsidium: Präsident Norbert Kartmann Vizepräsidentin Heike Habermann Vizepräsident Frank Lortz Vizepräsidentin Ursula Hammann Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken Vizepräsident Wolfgang Greilich Auf der Regierungsbank: Ministerpräsident Volker Bouffier Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Tarek Al-Wazir Minister und Chef der Staatskanzlei Axel Wintermeyer Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigte des Landes Hessen beim Bund Lucia Puttrich Minister des Innern und für Sport Peter Beuth Minister der Finanzen Dr. Thomas Schäfer Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz Minister für Wissenschaft und Kunst Boris Rhein Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Priska Hinz Minister für Soziales und Integration Stefan Grüttner Staatssekretär Michael Bußer Staatssekretär Mark Weinmeister Staatssekretär Mathias Samson Staatssekretär Werner Koch Staatssekretärin Dr. Bernadette Weyland Staatssekretär Thomas Metz Staatssekretär Dr. Manuel Lösel Staatssekretär Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser Staatssekretär Jo Dreiseitel Staatssekretär Dr. Wolfgang Dippel Abwesende Abgeordnete: Eva Kühne-Hörmann 5146 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5147

(Beginn: 9:04 Uhr) ab 11 Uhr am Plenum teilnehmen; Herr Abg. Jürgen Ban- zer ist bis 14:30 Uhr entschuldigt. Gibt es sonst noch ir- Vizepräsident Frank Lortz: gendwelche Entschuldigungen? – Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung und Dann kommen wir zu einem sehr erfreulichen Anlass. Wir stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest. haben in unseren Reihen ein Geburtstagskind. Ich gratulie- re unserem Freund Abg. Hugo Klein, der heute seinen 63. Zur Tagesordnung. Geburtstag feiert. Alles Gute und Gottes Segen. (Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- (Allgemeiner Beifall – Vizepräsident Frank Lortz ten) überreicht eine Flasche Wein.) Noch offen sind die Punkte 14 bis 34, 36 bis 38, 40, 41, 47, Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, kommen wir 48, 55 bis 59, 62, 64 und 66. noch kurz zum Sport. Ich glaube, wir sind uns in diesem Noch eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Hause alle einig, dass wir der Frankfurter Eintracht für Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU heute Abend alles Gute wünschen. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Hessen rea- (Allgemeiner Beifall) giert auf Risiken von Glyphosat, Drucks. 19/3407. – Die Dringlichkeit wird bejaht. Dann wird dieser Dringliche Wir drücken alle die Daumen, Horst Klee vorneweg, Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 70 und kann, (Horst Klee (CDU): Jawohl!) wenn dem nicht widersprochen wird, nach Tagesordnungs- punkt 58, der Aktuellen Stunde zu diesem Thema, aufgeru- dass wir das hinbekommen. Ich will im Namen des Land- fen und ohne Aussprache abgestimmt werden. tags aber auch der Mannschaft von Darmstadt 98 ganz herzlich gratulieren. Sie hat eine tolle Saison gespielt und Außerdem eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist Hessen gut vertreten. Herzliche Gratulation. ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Energieversor- (Allgemeiner Beifall) gung durch leicht zugängliche Beratung, Anreize zum Jeder hat im Fußball seine Vorlieben, Neigungen und Sym- Stromsparen und gezielte Präventionsmaßnahmen für alle pathien. Wir sind hier alle neutral; deshalb wollen wir auch Menschen absichern, Drucks. 19/3409. Wird die Dringlich- den Bayern zur deutschen Meisterschaft gratulieren. keit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 71 und kann, wenn dem nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 14 zu die- CDU: Buh!) sem Thema aufgerufen werden. – Das Bekenntnis ist sehr zurückhaltend. Weiterhin eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist (Ministerpräsident Volker Bouffier: Wir sind auch ein Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend sehr froh, dass es Wehen Wiesbaden geschafft hat!) Bildungsgerechtigkeit von Anfang an – Grundschulen als ganztägige inklusive Bildungseinrichtungen brauchen eine – Ja, jetzt kommen wir zu den unteren Klassen. Der Minis- finanziell und personell den Anforderungen entsprechende terpräsident weist mich gerade darauf hin: Wir freuen uns, Ausstattung, Drucks. 19/3411. – Die Dringlichkeit wird dass es Wehen Wiesbaden auch geschafft hat. Auch das ist ebenfalls bejaht. Dann wird dieser Dringliche Antrag Ta- eine gute Leistung. – Die Offenbacher Kickers sind Dritter gesordnungspunkt 72 und kann, wenn dem nicht wider- geworden. Auch das ist gut, obwohl Zweiter besser gewe- sprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 37 zu diesem sen wäre. Thema aufgerufen werden. Die Redezeit beträgt fünf Mi- (René Rock (FDP): Und was ist mit Kassel?) nuten je Fraktion, okay? – Na ja, Kassel macht immer weiter; und dem FSV wün- (Günter Rudolph (SPD): Es ist eingebunden!) schen wir alles Gute; der muss ja auch wieder einmal – Es ist bei uns immer alles eingebunden. hochkommen. (Günter Rudolph (SPD): Nein, dass die Redezeit (Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP)) beim Setzpunkt zehn Minuten beträgt! Herr Präsi- Also, dann bleiben wir dabei: dem FC Bayern München al- dent, ich helfe gern!) les Gute zur deutschen Meisterschaft. Wir hier oben sind – Mir wird hier mitgeteilt, dass du recht hast. Also offen- neutral, das weiß jeder. sichtlich hast du recht. Gut, dann halten wir fest, dass der (Heiterkeit) Kollege Rudolph in diesem Punkt einmal recht hat. Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir aber wieder (Zuruf von der SPD: Na, na, na! – Zuruf von der zum Ernst der Sache. CDU: Für das Protokoll!) Ich rufe Tagesordnungspunkt 55 auf: Wir tagen heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von ei- ner Stunde. Wir beginnen mit den Anträgen für eine Aktu- Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Aktuelle elle Stunde, danach die Abstimmungen über die Anträge. Stunde (Schwarz-grüner Klimaschutzplan bedeutet Nach der Aktuellen Stunde geht es mit Tagesordnungs- Einstieg in den Umerziehungsstaat – standortfeindliche punkt 37 weiter. Hiermit wird Tagesordnungspunkt 72 auf- Vorschläge für die Bereiche Verkehr, Wirtschaft, Ener- gerufen. gie, Landwirtschaft und Wohnungsbau stoppen) – Drucks. 19/3393 – Entschuldigt fehlen heute Frau Staatsministerin Lucia Putt- rich bis 10 Uhr, Frau Staatsministerin Eva Kühne-Hör- mann ganztägig, Herr Staatsminister Dr. Schäfer wird erst 5148 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende, Kollege Florian Der Klimaschutzplan ist der Versuch – ich werde jetzt zu Rentsch. Er ist Fan von Borussia Dortmund. – Bitte sehr, den Punkten kommen –, in unserem Land Hessen eine du hast das Wort. Umerziehung durchzuführen, die letztendlich dafür Sorge trägt, dass das, was GRÜNE seit langer Zeit in ihren Pro- grammen haben – es ist nicht nur der Veggieday, über den Florian Rentsch (FDP): wir heute reden –, auf staatlichen Ebenen verbindlich um- Herr Präsident, ich bin Mitglied von Borussia Dortmund; gesetzt wird. darauf lege ich Wert. Es ist eine der wenigen schwarz-gel- (Janine Wissler (DIE LINKE): So ein Unfug!) ben Veranstaltungen, die noch Spaß machen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe über- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) haupt kein Problem damit, wenn wir über die Frage disku- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Freie Demo- tieren, wie man Klimaschutz voranbringen kann. Meinet- kraten sagen an dem heutigen Donnerstagmorgen Ja zum wegen haben wir auch nicht bei jedem Punkt die gleiche Klimaschutz und Nein zum Umerziehungsstaat. Meinung. Was wir aber nicht mitmachen, ist, dass Sie die- sen Staat als Erziehungsinstrument missbrauchen, nach (Beifall bei der FDP – Lachen bei dem BÜNDNIS dem Motto: Damit alle Leute am Ende dieser Legislaturpe- 90/DIE GRÜNEN) riode grünes Gedankengut im Kopf haben, müssen sich al- Frau Ministerin, wir sagen Ja zu parlamentarischen Ver- le diesen Maßnahmen unterwerfen. – Das werden wir als fahren und Nein zu Hinterzimmerveranstaltungen, Freie Demokraten definitiv nicht mitmachen. (Beifall bei der FDP – Manfred Pentz (CDU): Ei, ei, (Beifall bei der FDP) ei!) Sie postulieren Radwege statt Straßen, Tempo 30 in der wie wir sie mittlerweile von Ihnen gewohnt sind, wie bei Dauerschleife, generelles Überholverbot, Fahrverbote für der Jagdverordnung, als Sie das Parlament missachtet ha- Benzin- und Dieselautos, Innenstadtparkplätze nur noch ben. Auch dieses Mal haben Sie sich beim sogenannten für Carsharing, höhere Steuern auf Benzin und Diesel, Klimaschutzplan, der für die GRÜNEN ein Stück Kern- Verbot und zwangsweiser Ausbau privater Ölheizungen, ideologie ist, überlegt: Wie kann man den Staat langsam Solardachpflicht für jeden, Indoktrinierung der Kinder im umbauen, damit alle das glauben, was Frau Hinz denkt? Sinne von Thematiken wie Windkraft und anderen erneu- erbaren Energien, Vorhaltepflicht von Notstromversor- (Beifall bei der FDP) gungssystemen, Frau Hinz, Sie haben bei der Erarbeitung des Klimaschutz- (Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo plans nicht nur die grüne Vorfeldorganisation – das will leben Sie denn?) ich schon bestätigen –, aber zwei Abgeordnete der Regie- rungsfraktionen, Frau Kollegin Dorn und Herrn Kollegen Zuteilung von Strommengen nur zu bestimmten Zeiten, Er- Stephan, beteiligt. ziehungsprogramme für Landwirte beim Thema Ökoland- bau, Umgestaltung der Hessischen Bauordnung, Erstellung (Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alle eines hessischen Hitzeaktionsplans und – das ist mein waren eingeladen! Wenn Sie nicht wollen, können Lieblingspunkt, da muss ich sagen: großartig – Unterstüt- wir nichts dafür!) zung des bundesweiten Mückenmonitorings, was in Hes- Frau Kollegin Dorn, ansonsten ist das Parlament bei der sen demnächst große Punkte machen wird. Behandlung einer so wichtigen Frage einfach außen vor (Beifall bei der FDP) gelassen worden. Wer sich das anschaut, sieht, mit wie viel Energie die hes- (Beifall bei der FDP) sischen GRÜNEN herangehen, diesen Staat nach und nach Das ist eben der berühmte neue Stil, den uns die GRÜNEN umzubauen. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Bür- mit ihrer Regierungsbeteiligung angekündigt haben, der gerinnen und Bürger bei der Frage, ob sie noch in der Lage jetzt durchgeführt wird: sind, selbst zu entscheiden, was sie in diesen Bereichen für richtig oder falsch halten, sondern das hat – da kommt der (Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alle Wirtschaftsminister ins Spiel – möglicherweise auch mas- waren angefragt!) sive Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort, je nach- Am besten wenige beteiligen, damit viel von der eigenen dem, was zum Schluss beschlossen wird. Meinung herauskommt – das ist ungefähr die Strategie. Dieser Wirtschaftsstandort muss sich an vielen Stellen – Es gibt neben der Frage, was darin steht – dazu kommen wenn man die vielen Zeitungsberichte vom gestrigen Tag wir noch –, eine Tatsache, die mich erstaunt. Frau Hinz, zur Flughafendebatte liest – dagegen wehren, dass immer ich bin gespannt, was Sie uns gleich dazu erklären. Wir mehr Ideologie in diesem Land Platz greift und dass wir sind nicht die Ersten, die über die Thematik Klimaschutz möglicherweise als Investitionsstandort Stück für Stück reden, auch gerade nach den Ereignissen und Feststellun- zurückfallen. gen von Paris. Der Bund hat in der Großen Koalition schon Meine Damen und Herren, das ist nicht das Einzige. Wenn längst angefangen, auch an einem Klimaschutzplan zu ar- jetzt noch von anderer Seite über eine „gut gemeinte“ Kli- beiten. Ich stelle hier die Frage: Wie ist denn eigentlich die maschutzpolitik Sorge dafür getragen wird, dass Investiti- Koordination zwischen dem, was der Bund auf der einen onsmöglichkeiten in Hessen immer schlechter werden, Seite macht, und dem, was das Land Hessen auf der ande- dann zahlen wir die Zeche doppelt, nicht nur weil wir die ren Seite macht? – Meine sehr geehrten Damen und Her- Freiheit der Bürgerinnen und Bürger einschränken, son- ren, das fällt völlig aus. dern auch weil wir auf der anderen Seite diesen Wirt- (Beifall bei der FDP) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5149 schaftsstandort Stück für Stück kaputt machen. Das sollte (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und nicht passieren. der CDU) (Beifall bei der FDP) Wer jetzt ein dunkles, geheimes Buch suchen will, viel- leicht unter dem Platz des Ministerpräsidenten oder der Herr Präsident, abschließend: Wir haben dieses Thema Umweltministerin, den muss ich leider enttäuschen. Um deshalb in dieses Parlament gebracht, weil es hier disku- was es eigentlich geht, ist ein öffentliches Dokument. tiert werden muss. Frau Hinz, ich würde Ihnen wirklich einmal empfehlen, dass Sie sich an die parlamentarischen (René Rock (FDP): Das ist so was von!) Gepflogenheiten halten und nicht nur mit Regierungsfrak- Es handelt sich um ein öffentliches Dokument mit Maß- tionsvertretern in diesen Fragen diskutieren, sondern alle, nahmenvorschlägen zum Klimaschutz. Diese Vorschläge die diesem Parlament angehören, einbinden. Sie sollten befinden sich in einem extra dafür eingerichteten Portal im den Ausschuss einbinden und Vorlagen machen, die wir Internet. Das Portal ist extra deswegen eingerichtet wor- hier diskutieren können. den, damit sich alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen Zum Zweiten würde ich mir wünschen, dass alle CDU-Ab- können. geordneten das lesen, was hier als Vorhaben vorgetragen (Florian Rentsch (FDP): Wie ist die Beteiligung des werden soll. Der Kollege Stephan ist ein netter Kollege. Parlaments?) Ob er der richtige ist, den Wirtschaftsstandort in Hessen zu verteidigen, habe ich weiß Gott Zweifel. Insofern: CDU Dieser Maßnahmenkatalog, diese Vorschläge sind in einem aufgepasst, was dort kommt. Steuerungskreis vordiskutiert worden. In diesem Steue- rungskreis sitzen Akteure aus der Wirtschaft, aus der Um- (Beifall bei der FDP) welt, aus der Gesellschaft in Hessen. Alle Mitglieder des Umweltausschusses wurden eingeladen und gefragt, ob sie Vizepräsident Frank Lortz: sich daran beteiligen wollen. Ich kann nichts dafür, dass Herr Stephan und ich damals Interesse bekundet haben und Vielen Dank, Herr Kollege Rentsch. – Das Wort hat Frau alle anderen nicht. Abg. Dorn, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. (René Rock (FDP): Was? – Timon Gremmels (SPD): Wir haben keine Einladung bekommen!) Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieses Gremium hat genau diese Maßnahmenvorschläge Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Her- vorgestellt. ren! Weltweit kommt den Menschen beim Thema Klima- (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist jetzt nicht schutz ein Bild vor Augen, nämlich die Verkündung der zum ersten Mal so gewesen mit dem Umweltminis- historischen Einigung von Paris und die vielen jubelnden, terium!) klatschenden, sich in die Arme fallenden Menschen, die teilweise sogar vor Freude geweint haben. Es war ein Mo- ment des Aufbruchs. Es war ein Moment des gemeinsamen Vizepräsident Frank Lortz: Willens nach vorne. Liebe FDP, ja, es war ein Moment des Muts. Es war nicht nur German Mut, es war sogar Global Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas Aufmerk- Mut. Die Welt zeigt Mut, geht voran, stehen bleibt die samkeit für die Frau Kollegin Dorn. FDP. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bei Abgeordneten der CDU) Diese Vorschläge sind öffentlich und nicht geheim. Es ist Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Sie verbreiten kein schwarz-grüner Plan, sondern absichtlich eine breite Angst. Das Schauermärchen von der Entmündigung der Diskussionsgrundlage, bevor die Politik berät. Es ist si- Bürgerinnen und Bürger vor dem Wirtschaftseinbruch, das cherlich kein Instrument für einen „schwarz-grünen Erzie- ist so Siebziger. Der Großteil der Menschen aus dem Jahr hungsstaat“, es ist das Gegenteil. 2016 sitzt doch beim Thema Ökologie und Ökonomie nicht mehr in den Schützengräben. Sie versöhnen Ökologie (Lachen des Abg. Gerhard Merz (SPD)) und Ökonomie. Sie suchen nach Lösungen. Sie versöhnen Es geht um Beteiligung, es geht um Ideen aus der Gesell- sie im Sinne der nachfolgenden Generationen. Liebe FDP, schaft. – Herr Merz, ich weiß nicht, ob Sie den Klima- das ist German Mut. schutz nicht auch schon leben. Da draußen gibt es so viele (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Menschen, die wollen den Klimaschutz nicht nur, sie leben bei Abgeordneten der CDU) ihn schon. Herr Kollege Merz, diese Ideen wollen wir auf- greifen. Das Gegenteil von German Mut ist der Gastbeitrag von Herrn Lenders in einer Regionalzeitung aus dem Vogels- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und berg. Die Überschrift lautet: „Der große Plan vom der CDU) schwarz-grünen Erziehungsstaat“. Liebe Kollegen der Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, glauben Sie ei- FDP, Sie haben Ihre Aktuelle Stunde mit dem Begriff gentlich, dass der Bioboom bei Lebensmitteln zustande „Umerziehungsstaat“ betitelt. Ich würde Sie bitten, über kommt, weil wir vorgeschrieben haben: „Esst nur noch Ihre Begrifflichkeiten nachzudenken. Der Begriff „Umer- Bio“? Haben Sie schon einmal etwas von Angebot und ziehung“ steht in einem anderen Sinn im Kontext mit Dik- Nachfrage gehört, liebe Kolleginnen und Kollegen der taturen. Das ist wirklich völlig ungeeignet. FDP? (Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ja!) 5150 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

– Das ist doch schon einmal gut. – Glauben Sie wirklich, (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dass wir Leute auf Züge oder auf E-Bikes zwingen wür- der CDU – Zurufe von der FDP) den? Nein, die Leute wollen diese Vielfalt. Sie lieben es, Freiheit in ihrem Mobilitätsverhalten zu haben. Wir schrei- ben das doch nicht vor. Vizepräsident Frank Lortz: Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, es wäre schon Vielen Dank, Frau Kollegin Dorn. – Das Wort hat der Abg. ganz schön – auch für eine solche Aktuelle Stunde und Peter Stephan, CDU-Fraktion. auch für solche Kolumnen –, wenn Sie einmal bei der (Beifall der Abg. Hugo Klein (Freigericht) und Is- Wahrheit bleiben würden. mail Tipi (CDU) – Anhaltende Unruhe – Glocken- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zeichen des Präsidenten) des Abg. Michael Boddenberg (CDU) – René Rock (FDP): Das sagen gerade Sie!) Peter Stephan (CDU): Was steht denn angeblich in diesen Vorschlägen zum Kli- maschutzplan? Angeblich soll darin stehen: Innenstadt- Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Was hat parkplätze nur noch für Carsharing. – Nein, da steht drin, die FDP mit ihrem Antrag doch für ein verzerrtes Bild über es geht darum, mehr Parkplätze für Carsharing zu schaffen, Hessen gezeichnet. Das beginnt schon mit dem Begriff damit man insgesamt Parkplätze reduzieren kann. Herr „Umerziehungsstaat“. Schauen Sie bitte im Internet nach, Kollege Lenders, lesen Sie es sich doch durch. Weiter steht dann finden Sie unter „Umerziehungsstaat“ Nordkorea. dort angeblich etwas von Verbot und zwangsweisem Aus- Wer Hessen mit Nordkorea vergleicht, der ist nicht mehr bau von Ölheizungen. – Wo finden Sie das denn, bitte? von dieser Welt. Das Einzige, was darin steht, ist eine Prüfung eines Erneu- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE erbare-Wärme-Gesetzes. GRÜNEN sowie des Abg. Hermann Schaus (DIE (René Rock (FDP): Ja, und was bedeutet das? – LINKE) – Florian Rentsch (FDP): Das haben Sie Weitere Zurufe – Anhaltende Unruhe – Glockenzei- jetzt gesagt!) chen des Präsidenten) Hessen ist wirtschaftsstark, unsere Wirtschaft boomt. Hes- – Ja, das ist doch Ihr Problem, dass Sie das so verstehen, sen hat wenige Arbeitslose. Der Frankfurter Flughafen ist nicht unseres, Herr Kollege Rock. – Dann steht dort etwas ein Jobmotor. All diese Dinge werden auch mit einem Kli- von der angeblichen Indoktrination der Kinder im Sinne makonzept und einem Klimaschutzplan nicht außer Kraft der Windkraftlobby. – Das Einzige, was darin steht, ist ein gesetzt. Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Vorschlag, vorhandene Bildungsangebote für das Thema der FDP: Auch unter der schwarz-gelben Koalition gab es Nachhaltigkeit zu stärken und dort die Auseinandersetzung einen solchen Plan. Der ist aber nicht öffentlich mit vielen mit der Windkraft zu fördern. Liebe Kolleginnen und Kol- Menschen erarbeitet worden, sondern im normalen Verfah- legen der FDP, sind Sie wirklich dagegen, dass man sich ren. Was wir heute machen bzw. was das Ministerium heu- um die Auseinandersetzung mit der Windkraft kümmert? te macht, ist, die Erarbeitung dieses Klimaschutzplans breit aufzustellen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- rufe von der FDP) (Timon Gremmels (SPD): Breit?) Am Lustigsten für eine sogenannte Wirtschaftspartei finde 50 Verbände aller Schattierungen beteiligen sich daran. Sie ich ja, dass Sie dort schreiben, Strommengen sollten an- gehen auch mit ihren unterschiedlichen Ideen und Gedan- geblich nur noch zu bestimmten Zeiten zugeteilt werden. ken dort hinein. Wenn als Start für diesen Klimaschutzplan Das ist so was von lächerlich. Was dort wirklich vorge- Fachinstitute beauftragt werden, ein paar Vorschläge – es schlagen wird, ist etwas sehr Sinnvolles, nämlich eine Stu- waren über 200 – als Diskussionsgrundlage zu Papier zu die zum Lastmanagement. Wissen Sie, wer dauernd sagt, bringen, dann sind sie eine Diskussionsgrundlage und nicht dass wir Lastmanagement brauchen würden? Die Industrie das Ergebnis eines langen Prozesses; denn dieser Prozess selbst. Leben Sie eigentlich noch in diesem Jahrhundert, wird Ende dieses Jahres 2016 abgeschlossen sein. Da ist liebe Kolleginnen und Kollegen? noch viel Zeit und es wird noch viel Wasser den Rhein hin- unterfließen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- rufe der Abg. Florian Rentsch und René Rock Klimaschutzziele hat nicht nur Hessen beschlossen, sie (FDP)) sind für die Welt in Paris beschlossen worden, in der EU, in Deutschland. Überall wird über die Frage gerungen, welches der richtige Weg ist. Frau Dorn hat darauf hinge- Vizepräsident Frank Lortz: wiesen: Wir kennen einen sogenannten Diskussionsstand 2.0, d. h. eine erste Überarbeitung, die allen Hessen im In- Frau Kollegin Dorn, Sie müssen zum Schluss kommen. ternet zur Verfügung steht, um dazu Stellung zu nehmen und Meinungen zu äußern. Liebe FDP, aufgrund der Art, wie Sie eben aufgetreten sind – nach dem Motto: es kann Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht sein, dass in dem Klimaschutzplan etwas anderes Meine Damen und Herren der FDP, vielleicht hören Sie steht, als wir von der FDP wollen –, fiel mir spontan ein, einmal auf mit Ihrem „German Mimimi“, vielleicht versu- dass Sie aufpassen müssen, dass man Sie als FDP nicht ir- chen Sie es einmal mit Argumenten aus der Moderne, gendwann einmal als Freie Denkverbots-Partei beschreibt. wenn Sie unsere Klimaschutzmaßnahmen und -vorschläge (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE kritisieren wollen. Wir werden das tun, wir werden Ökono- GRÜNEN – Zuruf des Abg. René Rock (FDP)) mie und Ökologie versöhnen, für den Klimaschutz und für die nachfolgenden Generationen. – Vielen Dank. Wir dagegen denken nach, in aller Breite. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5151

Es ist kein einfacher Weg, Menschen und Gruppen einzu- mitarbeiten kann, diese Dinge einbringen. Ich glaube, mei- binden, da wird es immer Diskussionen geben. Sie wissen ne Wirtschafts- und Berufserfahrung ist weitaus größer als es auch ganz genau vom Energiegipfel, wo auch viele ge- bei den meisten in der FDP-Fraktion. – Danke schön. sellschaftliche Gruppen eingebunden waren, wie lange ge- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE rungen worden ist. GRÜNEN – Zuruf von der FDP) (Florian Rentsch (FDP): Wie war denn das Parla- ment eingebunden?) Vizepräsident Frank Lortz: Es gab ein Ergebnis, das nachher alle unterschrieben ha- ben, auch die FDP, und so werden wir es auch in diesem Vielen Dank, Kollege Stephan. – Das Wort hat der Abg. Falle machen. Timon Gremmels, SPD-Fraktion. Die Grundlagen sind gelegt, es wird diskutiert. Wir müssen darüber diskutieren, was aus diesen Vorschlägen heraus, Timon Gremmels (SPD): nach diesen mehreren noch stattfindenden Prozessen und nach den Aussprachen praktikabel ist und was nicht, was Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! sinnvoll ist, was effizient ist, was kostengünstig ist und Wenn der Kollege Rentsch sich hier vorne hinstellt und was nicht. Wir müssen den Weg finden, wo wir die Klima- sagt, Sie als FDP seien auch für den Klimaschutz, so ist die schutzziele so erreichen, dass wir mit möglichst wenig Glaubwürdigkeit nicht sehr hoch, wenn ich sehe, dass Sie Aufwand den bestmöglichen Ertrag erzielen. Ein Plan ist mit SUVs in den Wald fahren, um gegen Windkraft zu de- das Ergebnis dieses Prozesses, und am Anfang steht die monstrieren, die klimafreundlichste Energieerzeugungsart, Diskussion. die es gibt. Ich glaube, da haben Sie das Glaubwürdigkeits- problem. Auch wir als CDU finden einige dieser Diskussionsvor- schläge nicht so ganz gelungen, weil wir nicht dahinterste- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hen. Wir werden nichts mittragen können, was unseren NEN und der LINKEN) Flughafen bzw. unsere Wirtschaft gefährdet. Wir werden Sie wissen, ich streite mich gerne mit Frau Hinz, sachlich, nichts mittragen können, was auf großen Widerstand bei- fachlich und gut. Das gehört im Parlament dazu. Aber Sie spielsweise seitens der Landwirtschaft stößt. Wir müssen müssen auf die Wortwahl aufpassen. Ehrlich gesagt, ich aber Kompromisse finden, und wir müssen darüber reden. finde, „Umerziehungsstaat“ geht nicht. Auch die VhU, die momentan am heftigsten argumentiert, hat Vorschläge eingebracht, und diese Vorschläge sind (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) aufgenommen worden. Über diese Vorschläge wird auch Das ist Wasser auf die Mühlen aller, die gegen unsere De- diskutiert. Das ist explizit in der letzten Sitzungsrunde, in mokratie und gegen unser Parlament kämpfen. „Umerzie- der die Unternehmen eingeladen waren, besprochen wor- hungsstaat“ ist grenzwertig. den. Darauf können sich die Beteiligten auch verlassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE Kolleginnen und Kollegen, in dieser Diskussion des Kli- GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU) maschutzplans sind sicher alle Beteiligten in der Entwick- lung deutlich weiter als die FDP, die hier rein destruktiv Eine der letzten Vertreterinnen eines Umerziehungsstaates ein paar wenige Punkte herausgegriffen hat, mit denen sie war Margot Honecker, und die ist vor zwei Wochen ge- glaubt, demagogisch eingreifen zu können. Viele Hundert storben. Insofern passen Sie bitte auf Ihre Sprachwahl auf, Vorschläge liegen vor, das ist Fakt. Keiner dieser Vor- liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. schläge ist bislang beschlossen. Wenn man dann als FDP (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- meint, sich als Retter Hessens hinstellen zu müssen, indem NEN und der LINKEN) man etwas formuliert, was es gar nicht gibt, und sagt: „Da- vor retten wir Hessen“, dann ist das in meinen Augen auch Natürlich kann man sich ganz ohne Aufregung damit aus- unredlich. einandersetzen, was an Vorschlägen kommt. Ich habe 168 Maßnahmen auf 278 Seiten gezählt. Es ist eine bunte (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Sammlung von Ideen und Vorschlägen. Ich kann Ihnen fast GRÜNEN) schon zu jedem einzelnen Vorschlag sagen, welcher Ver- Kolleginnen und Kollegen, unsere Koalition aus CDU und band, ob Bauernverband, ob Naturschutzverband, welchen GRÜNEN ist angetreten, um Ökologie und Ökonomie zu- Vorschlag gemacht hat. Das ist auch völlig legitim, diese sammenzubringen. Ideen in ein Verfahren einzubringen. (Florian Rentsch (FDP): Ohne das Parlament!) Herr Rentsch, übrigens hat auch die VhU einen Vorschlag gemacht: Cap and Trade. Auch der ist aufgenommen wor- Das ist unser Weg, und den lassen wir uns auch nicht ka- den. Werfen Sie der VhU jetzt auch vor, sie wollte einen putt machen. Wir als CDU werden die Interessen aller hes- Umerziehungsstaat haben? – Das fällt doch auf Sie selbst sischen Gruppen dabei genau betrachten. Liebe Kollegin- zurück. nen und Kollegen, ich lade die FDP ein, sich in Zukunft auch konstruktiv daran zu beteiligen. Die Ideen und Vorschläge, die gebracht wurden, sind eine lockere Ideensammlung von alten Aufgüssen und neuen (Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP)) Ideen. Natürlich haben Sie, Frau Hinz, ganz legitim, ver- Abschließend, Herr Rentsch, danke ich Ihnen für das Kom- sucht, Sachen, die Sie im Koalitionsvertrag mit der CDU pliment, dass ich ein netter Kollege bin. Aber Sie können nicht durchbekommen haben, jetzt sozusagen durch die sich darauf verlassen, dass ich mit 30 Jahren Industrie- und Hintertür wieder ins Gespräch zu bringen. Dazu gehört das Wirtschaftserfahrung sehr wohl weiß, worauf es ankommt, Wärmegesetz. Das weiß ich. Das wird von der CDU anders und ich werde auch in diesen Arbeitskreisen, in denen ich 5152 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 gesehen. Ich bin auch sehr sicher, dass dieser Vorschlag Gleiches gilt für energieeffiziente Gebäude. Das ist eine diese öffentliche Konsultation nicht überleben wird. tolle Forderung, schön. Dann schaue ich mir einmal Ihr Umweltministerium an, das Gebäude, in dem Sie und Frau Ich sage Ihnen – da gebe ich der FDP in der Tat recht –, Dr. Tappeser arbeiten. Von Energieeffizienz habe ich da am Ende des Tages entscheiden wir als Parlament darüber. noch gar nichts gesehen. Das ist katastrophal schlecht. Ich Am Ende des Tages wollen wir eine ordentliche Parla- kann mich erinnern, dass ich einmal im Sommer, als Mark mentsanhörung. Diese Vorstufe ersetzt keine ordentliche Weinmeister noch Staatssekretär war, bei ihm im Büro Parlamentsbeteiligung. war. Wir mussten heruntergehen, weil es so knallig heiß (Beifall bei der SPD und der FDP) war. – Wenn Sie Verantwortung haben, Meine sehr verehrten Damen und Herren von CDU und (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) GRÜNEN, das Parlament muss gefragt werden. Gesetze dann fordern Sie nicht Dinge ein – Sie regieren seit drei werden hier beschlossen, und die erfordern dann auch eine Jahren –, sondern setzen Sie es um. Dummerweise hatten ordentliche Parlamentsbeteiligung. Dann messen wir das, damals CDU und FDP alle Immobilien verscherbelt, so- was Schwarz-Grün vorlegt. Dann schauen wir, ob das, auf dass wir heute kaum noch Einfluss darauf haben. Auch das das sie sich verständigt haben, wirtschaftsfreundlich ist, ob gehört zur Wahrheit und zur Bilanz von Schwarz-Gelb in es wirtschaftsfeindlich ist, ob es die Dinge voranbringt Hessen. oder eher behindert. Meine Damen und Herren, in diesem Sinne: Wir kommen (Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP)) wieder, und wir diskutieren dann, wenn die Regierung ihre Ich sage Ihnen aber noch eines ganz deutlich, liebe Kolle- Vorschläge ins Parlament eingebracht hat. Dann werden ginnen und Kollegen von der FDP: Eigentlich haben Sie wir sie an ihren Taten messen und nicht an der PR, die hier Schwarz-Grün einen Bärendienst erwiesen. Heute heute vorliegt. – Vielen Dank. Morgen habe ich geschaut, wie viele öffentliche Konsulta- (Beifall bei der SPD) tionen diese Vorschläge hatten. Es waren gerade einmal zwölf Teilnehmer. (Günter Rudolph (SPD): Was, so viele?) Vizepräsident Frank Lortz: – Ja, zwölf Teilnehmer. – Letzte Woche wurde das auf der Vielen Dank, Kollege Gremmels. – Das Wort hat Frau Nachhaltigkeitskonferenz groß angekündigt mit viel PR, Kollegin Wissler, Fraktion DIE LINKE. und gerade einmal zwölf Teilnehmer haben derzeit Beiträ- ge abgegeben. Leider befürchte ich, dass heute, nachdem die FDP Werbung für das Konsultationsverfahren gemacht Janine Wissler (DIE LINKE): hat, noch viel mehr Leute zugreifen werden. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die FDP stellt Wie Sie sehen, dazu gehören viel Show und PR. Das muss sich heute mit dieser Aktuellen Stunde einmal wieder als man einer Regierung allerdings auch zugestehen. Ich glau- ihre eigene Karikatur dar. be, das hätten wir nicht anders gemacht. Aber wir werden (Beifall bei der LINKEN und des Abg. Frank-Peter Sie am Ende des Tages an den Ergebnissen messen. Bis Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) dahin ist alles heiße Luft, was Schwarz-Grün hier abliefert. Laut FDP droht in Sachen Klimaschutz nichts weniger als Für die SPD ist ganz klar: Hessen ist ein Wirtschafts- und der Einstieg in den Umerziehungsstaat. Ich finde, das sagt Industrieland. Wir wollen es auch bleiben. Wir wollen einmal mehr sehr viel über den absurden Freiheitsbegriff auch, dass am Ende des Tages Klimaschutz nicht etwas ist, der FDP aus. was sich nur die Leute leisten können, die einen dickeren Geldbeutel haben. Wir wollen, dass Klimaschutz etwas ist, (Beifall bei der LINKEN) was auch den Haushalt betrifft, der nicht viel Einkommen Sie verengen Freiheit auf den Kampf gegen Tempolimits, hat. Wenn wir Vorschläge sehen, wie z. B. Kantinenessen auf die Freiheit zum größtmöglichen CO2-Ausstoß. Dabei so aufzustellen, dass auch Bioangebote gemacht werden, muss man feststellen, dass die meisten Menschen sich dass auch nachhaltig produzierte Lebensmittel angeboten überhaupt nicht unfrei fühlen, wenn sie in der Wahl ihres werden, auch vegane, die natürlich teurer sind, dann kann Heizungskessels eingeschränkt werden. Ganz im Gegen- man das machen. Aber es kann nicht sein, dass sich nur die teil, die meisten Menschen erwarten, dass mehr getan wird, Latte-Macchiato-Fraktion der GRÜNEN Klimaschutz leis- um der Klimaerwärmung entgegenzutreten und vor allem ten kann. Es muss ein Projekt sein, das für alle Menschen den katastrophalen Folgen, die wir alle kennen, entgegen- da ist, auch für die mit kleinerem Geldbeutel. Dafür wird zuwirken. Deswegen brauchen wir doch mehr Klimaschutz die SPD kämpfen. und nicht weniger. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN und der Abg. Angela Dorn Ich bin ein Vertreter, der sagt, man muss Schwarz-Grün an (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) seinen Taten messen, man muss insbesondere die Umwelt- Klar ist, die Bemühungen um den Klimaschutz reichen ministerin an ihren Taten messen. Wenn es tolle und richti- längst nicht aus, um die im internationalen Klimaabkom- ge Vorschläge gibt, dass man an den Abgaswerten der men von Paris vereinbarten Ziele zu erreichen, die Klima- Fahrzeuge etwas tun muss, dann sage ich: jawohl, richtig. erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das gilt für das Dann muss man aber auch mit dem Dienstwagen vorange- Handeln der Bundesregierung. Auf dem Papier hat sie das hen, Frau Hinz. Da sind Sie leider ganz weit hinten. Das Klima jetzt gerettet. Aber in Deutschland wird das erfolg- Schicksal teilen Sie aber mit unserer Bundesumweltminis- reiche Erneuerbare-Energien-Gesetz weiter ausgehöhlt. terin, das sage ich gleich vorweg. Aber wenn Sie es einfor- dern, dann müssen Sie es vor Ort auch umsetzen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5153

Die angestrebten Freihandelsabkommen – CETA, TTIP, Ich will an der Stelle sagen: Die Menschen, die am vergan- TiSA, und wie sie alle heißen – konterkarieren den Klima- genen Wochenende an der Lausitz gegen den Braunkohle- schutz ebenso. Wenn diese Abkommen in der derzeit dis- tagebau demonstriert haben, haben unsere volle Unterstüt- kutierten Form Wirklichkeit würden, dann hätten die betei- zung. Deswegen waren viele LINKE vor Ort. ligten Staaten wesentlich weniger Möglichkeiten, die Ener- (Beifall bei der LINKEN) giepolitik nach ökologischen Kriterien auszurichten. Bei- spielsweise im derzeit verhandelten Abkommen TiSA soll Das Problem bleibt, dass die geringsten Maßnahmen zum ausdrücklich eine Technologieneutralität im weltweiten Klimaschutz auf erbitterten Widerstand stoßen. Denn das Energiehandel festgeschrieben werden. Ein Land könnte läuft natürlich Konzern- und Profitinteressen entgegen. also nicht mehr vorgeben, welche Energieträger im Land Wenn es um Interessen der Wirtschaft geht, werden diese aktive Stromkonzerne nutzen dürfen und welche nicht. Ich Widerstände schnell unüberwindbar. Deshalb muss derje- finde, Klimaschutz ist ein Grund mehr, diese Freihandels- nige, der Klimaschutzziele erreichen will, sehr tief eingrei- abkommen zu stoppen. fen. Er muss Konzerninteressen und Gewinnstreben infra- ge stellen. Die Aktivistin Naomi Klein sagte es so schön: (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen uns wohl entscheiden: Wollen wir das Klima Meine Damen und Herren, die auf Bundesebene geplante retten oder den Kapitalismus? – Ich persönlich wäre für Ausschreibungspflicht für Windkraftanlagen bedeutet, dass das Erste. – Vielen Dank. lokale Bürgerprojekte und Genossenschaften nicht mehr (Beifall bei der LINKEN) bevorzugt werden dürfen, dass solche Modelle benachtei- ligt werden, obwohl sie nachweislich die Akzeptanz von neuen Anlagen erhöhen, weil das Geld in der Region Vizepräsident Frank Lortz: bleibt. Das heißt, in Paris wurden hehre Ziele beschlossen, aber in der Praxis wird Energiewende nur dann funktionie- Frau Kollegin Wissler, vielen Dank. – Das Wort erhält die ren, wenn es mehr Regulierung des Marktes gibt und nicht Umweltministerin, Frau Staatsministerin Priska Hinz. Bitte weniger. sehr. Auch in Hessen ist noch viel Luft nach oben. Die im schwarz-grünen Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnah- Priska Hinz, Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, men reichen nicht einmal, um das 2-Grad-Ziel zu errei- Landwirtschaft und Verbraucherschutz: chen, geschweige denn, das 1,5-Grad-Ziel. Ich finde, einen großen Anteil daran hat die Verkehrspolitik. Wir wissen, Herr Präsident, meine Damen und Herren! Man kann schon fast froh sein, dass die Mitglieder der FDP den Kli- dass der Verkehr einen großen Anteil des CO2-Ausstoßes ausmacht. Aber wir erleben gerade, wie ein Flughafen aus- mawandel nicht auch noch leugnen. Das hätte dem Ganzen gebaut wird, d. h. die Kapazitäten weiter erhöht werden. heute die Krone aufgesetzt. Wir erleben, dass der ÖPNV eher zurückgebaut wird, dass Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Auf jeden Fall sind er eher teurer wird, als dass er ausgebaut wird. Sie mit dieser Aktuellen Stunde von den Neinsagern zu Wir stellen auch fest, dass es nicht nur die FDP-Abgeord- Diffamierern geworden. – Sie sind Neinsager, was die Nut- neten sind, sondern auch Abgeordnete der CDU, die sich zung der Windkraft angeht. Diffamierungen gibt es hin- vor Ort in den Kommunen erbitterte Kämpfe gegen jedes sichtlich dessen, was die Erarbeitung des Klimaschutzplans neue Windrad liefern. Das ist natürlich ein Problem. Denn in Hessen angeht. wenn man hier im Landtag für die Energiewende stimmt Herr Rentsch, ich will Ihnen einmal etwas sagen: Anschei- und dann nach Hause in den Wahlkreis fährt und gegen nend sind Sie zu lange aus der Regierung wieder heraus, Windkraftanlagen kämpft, dass Sie nicht mehr wissen, wie der Beteiligungsprozess (Michael Boddenberg (CDU): Dann haben Sie es vonstattengeht und wie Kabinettbeschlüsse vorbereitet einfacher! Sie sind gegen alles!) werden. Wir haben im letzten Jahr im Kabinett als Landes- regierung beschlossen, dass Hessen bis 2050 klimaneutral ist das ein Konterkarieren der Energiewende. sein soll. Das deckt sich völlig mit den Pariser Beschlüs- (Beifall bei der LINKEN) sen. Meiner Ansicht nach ist das richtig so. Wenn jetzt endlich ein schwarz-grüner Klimaschutzplan Seitdem gibt es einen Beteiligungsprozess, wie es bei Ka- vorliegt, der mehr erreichen will, als bisher im Koalitions- binettvorlagen üblich ist. Es gibt einen richtig großen Be- vertrag festgehalten ist, dann werden wir uns das mit Inter- teiligungsprozess. Er ist dieses Mal sogar noch größer als esse anschauen. bei anderen Vorlagen. Denn über den Entwurf des Klima- schutzplans kann auch öffentlich diskutiert werden. Klar ist: Das ist überfällig. – Der Klimaschutzplan wurde im Jahr 2013 angekündigt. Zwei Jahre später wurde eine Am Ende wird es die Ressortabstimmung geben. Danach Vorstudie zur Erstellung des Klimaschutzplans in Hessen wird das Kabinett den Klimaschutzplan beschließen, der ausgeschrieben. Wenn das in dem Tempo weitergeht, kann dann im Parlament als Ganzes beraten werden kann. Es man, so glaube ich, nicht von einer überstürzten Aktion geht dann aber auch um die einzelnen Maßnahmen, die sprechen. Wir werden uns das anschauen. Wir glauben, wir entweder in Verordnungen oder in Gesetze gegossen wer- brauchen mehr Tempo, um beim Klimaschutz voranzu- den oder die sich im Haushaltsplan wiederfinden werden. kommen. Das ist ein ganz normales Verfahren. Anscheinend haben Sie schon vergessen, wie so etwas funktioniert. Gerade in der letzten Woche hat DIE LINKE im Bundes- tag beantragt, den Kohleausstieg endlich verbindlich einzu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- leiten und bis zum Jahr 2035 zu vollziehen. Auch das wäre NISSES 90/DIE GRÜNEN) ein wichtiger und überfälliger Schritt. 5154 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Über die Nachhaltigkeitskonferenz waren im Übrigen alle Hochwasser aufgrund des jetzt schon stattgefundenen Kli- Fraktionen des Landtags eingeladen, im Steuerungskreis mawandels. Deswegen ist es richtig, dass wir über zusätzli- und in den Arbeitsgruppen mitzuarbeiten. che Fördermaßnahmen die Kommunen und auch die Un- ternehmen in den Stand versetzen, sich auf solche Unwet- (Florian Rentsch (FDP): Wer war das? Wann ist ein- terereignisse einzustellen und ihre Infrastruktur anzupas- geladen worden?) sen. Das ist eine ökonomische Notwendigkeit. – Das war letztes Jahr während der Nachhaltigkeitskonfe- Es ist auch eine ökonomische Notwendigkeit, Klima- renz, bei der die Fraktionen anwesend und beteiligt waren. schutzmaßnahmen einzuleiten. Denn die Schäden, die wir Warum die FDP daran nicht teilnimmt, müssen Sie für sich haben würden, wenn wir uns nicht um den Klimaschutz klären. kümmern würden, wären immens viel größer, sowohl (Florian Rentsch (FDP): Warum nehmen die LIN- volkswirtschaftlich als auch betriebswirtschaftlich. Das KEN und die Sozialdemokraten nicht daran teil?) wäre so, wenn wir jetzt nicht Geld in die Hand nehmen und tatsächlich keine Klimaschutzmaßnahmen machen – Das weiß ich nicht. Klären Sie das doch bitte mit sich würden. selbst. (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- (Timon Gremmels (SPD): Frau Hinz, das ist nicht NISSES 90/DIE GRÜNEN) die erste Einladung, die wir nicht bekommen haben! – Weitere Zurufe – Glockenzeichen des Präsidenten) Ich finde das schon interessant. Wir sind in Deutschland hinsichtlich der Umwelttechnologie führend. Wenn wir – Anscheinend haben Sie mehr Interesse an diesem Thema führend bleiben wollen, ist es sinnvoll und richtig, dass wir und daran, in diesem Steuerungskreis mitzuarbeiten. uns hinsichtlich der Fragen der Mobilität und der Produkti- (Unruhe) onssysteme in Richtung Klimaschutz weiter verbessern und weiter verändern.

Vizepräsident Frank Lortz: Gerade da ist das Interesse der Unternehmen sehr groß. Wir hatten ein Unternehmerforum. Auch dies war unglaub- Meine Damen und Herren, ich darf Sie um Aufmerksam- lich gut besucht. Die Unternehmen hatten ein hohes Inter- keit bitten. Herr Kollege, das gilt auch für Sie. Ich darf Sie esse daran, sich am Klimaschutzplan zu beteiligen. Sie ha- alle um etwas Aufmerksamkeit bitten. – Die Umweltminis- ben eigene Vorschläge eingebracht, die natürlich auch zur terin hat das Wort. Bitte. Veränderung des Entwurfs führen werden. Dafür ist ein solcher Beteiligungsprozess da. Das, was von einem Kon- sortium vorgelegt wurde, wird jetzt von den Verbänden mit Priska Hinz, Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, bearbeitet und verbessert. Denn wir wollen beim Klima- Landwirtschaft und Verbraucherschutz: schutz besser und nicht schlechter werden. Aber anschei- Ich halte es auch für sinnvoll und richtig, dass wir im Kli- nend haben die Mitglieder der FDP das Thema überhaupt maschutzplan sowohl Maßnahmen – – noch nicht verstanden. (Janine Wissler (DIE LINKE): Auch ich habe keine (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- Einladung bekommen!) NISSES 90/DIE GRÜNEN) – Doch, es haben alle Fraktionen die Einladung über die Wissen Sie, es geht nicht um Regulierung. Es geht vor al- Nachhaltigkeitskonferenz erhalten. len Dingen um Förderung, Beratung und Information. Auf- geklärte Bürgerinnen und Bürger können sich besser ent- (Timon Gremmels (SPD): Nein!) scheiden, wie sie klimafreundlich zur Arbeit kommen und – Wir haben in der Konferenz alle eingeladen, mitzuarbei- welche klimafreundliche Mobilität sinnvoll ist. Unterneh- ten. Einige nehmen das wahr und andere nicht. mer können sich besser hinsichtlich der Klimaschutzmaß- nahmen und der Klimaanpassungsmaßnahmen entschei- (Florian Rentsch (FDP): Zufälligerweise sind das die den, wenn sie darüber informiert und aufgeklärt sind und Mitglieder der Regierungsfraktionen!) wenn es spezifische Fördermaßnahmen gibt. Genau dafür Interessanterweise waren auch 40 Organisationen aus der werden wir mit dem Klimaschutzplan sorgen. Nachhaltigkeitskonferenz dabei, die Sie jetzt alle als grüne Vorfeldorganisationen diffamieren. Ich weiß nicht, ob sich die VhU, die IHK, der VKU, die Mainova, der RMV, die Vizepräsident Frank Lortz: HEAG, die Ingenieurkammer Hessen, der Hessische Hand- Frau Staatsministerin, Sie denken bitte an die Redezeit. werkstag, der Hessische Bauernverband, der Hessische Waldbesitzerverband und die Kommunalen Spitzenverbän- de alle als grüne Vorfeldorganisationen betrachten würden. Priska Hinz, Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Meines Erachtens wohl nicht. Sie würden das sicherlich Landwirtschaft und Verbraucherschutz: vehement von sich weisen. Von daher sollten sich die Mit- Ich denke an die Redezeit. – Die VhU hat sich ausdrück- glieder der FDP ihre Wortwahl tatsächlich überlegen. Sie lich und öffentlich in der Presse dafür bedankt, dass wir ih- sollten sich auch überlegen, wen sie mit einer solchen Ak- ren Vorschlag zum Cap-and-Trade-System aufgenommen tuellen Stunde wirklich treffen. haben. Wir werden das als Dialogprojekt weiterführen, um (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- es dann national und EU-weit einzuspeisen. Denn wir kön- NISSES 90/DIE GRÜNEN) nen das natürlich für Hessen nicht alleine einführen. Der Klimawandel ist eine Tatsache. Wir haben bereits jetzt Herr Gremmels, das Umweltministerium wird ab nächsten Schäden in hohem Ausmaß. Es gibt Stürme, Hagel und Monat saniert werden. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5155

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD)) Wir sind dankbar für sein jahrzehntelanges engagiertes Wirken als Seelsorger, Bischof von Mainz und Vorsitzen- Herr Gremmels, hätten Sie bei den Haushaltsberatungen der der Deutschen Bischofskonferenz. aufgepasst, dann wüssten Sie das schon. Ich gehe aber da- von aus, dass Sie mich und den Finanzminister unterstüt- Kardinal Lehmann ist ein Brückenbauer. Er baut Brücken zen, damit das Geld dafür auch weiterhin zur Verfügung zwischen den christlichen Kirchen und zu anderen Religi- steht, onsgemeinschaften. Er verbindet hohe theologische Ge- lehrsamkeit mit sympathischer Volkstümlichkeit. (Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD) – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) Als Mitarbeiter des berühmten Theologen Karl Rahner nahm er am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. Darauf um diese Sanierung gut zu Ende zu führen. – Herzlichen folgte eine beachtliche Universitätskarriere. In seinem Bi- Dank. schofsamt wirkte er als durchaus kritischer, aber auch ver- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE ständnisvoller Partner der Politik. Er pflegte den Dialog GRÜNEN) mit den Politikern, aber wusste auch um die Nöte des poli- tischen Alltags. Gespräche mit ihm über Gott und die Welt sind ein Genuss. Beim Auftreten gegenüber der Landesre- Vizepräsident Frank Lortz: gierung achtete er stets auf einen engen Schulterschluss Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache zu dem Punkt be- mit den evangelischen Kirchen. endet. Die Aktuelle Stunde ist abgehandelt. Nach seinem Amtsverständnis hat ein Bischof auch Ver- Meine Damen und Herren, bevor wir zum nächsten Punkt antwortung für die Gesellschaft. Das Bistum Mainz enga- kommen: Lieber Herr Kollege Clemens Reif, Sie haben giert sich in der Kinder- und Seniorenbetreuung, den Sozi- dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion das Wort „Schnösel“ alstationen und in vielen anderen Bereichen. Es ist ein ver- zugerufen. Das geht gar nicht. lässlicher Partner im Bereich der Sozialpolitik. (Clemens Reif (CDU): Ja, das ist er aber! – Heiter- Es ist kein Geheimnis, dass Kardinal Lehmann in manchen keit) Fragen mutiger voranschreiten und stärker in die Gesell- schaft hineinwirken wollte. Ich denke da z. B. an das The- Herr Kollege Reif, das geht nicht. Ich rüge das. Ich würde ma Schwangerenberatung, bei dem er sich mit seinen Sie bitten, sich in diesem Punkt etwas parlamentarischer zu Überzeugungen nicht durchsetzen konnte. Aber auch so verhalten. Sprecht einmal miteinander, und vertragt euch mancher Verdruss, der mit einem so hohen Amt verbunden wieder. ist, ließ ihn auf Dauer nicht seinen Humor verlieren. Herz- (Beifall bei der FDP) haft kann er über sich selbst lachen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 56 auf: Schließlich konnte auch Rom seinem Charme nicht wider- stehen und verlieh ihm – nachdem er bereits 18 Jahre Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Aktuelle Mainzer Bischof war – die Kardinalswürde. Er nahm zwei- Stunde (Hessen dankt Kardinal Lehmann für sein jahr- mal an der Wahl eines Papstes teil. Ich glaube, mit dem jet- zehntelanges engagiertes Wirken als Seelsorger, Bi- zigen ist er sehr zufrieden. schof von Mainz und Vorsitzender der Deutschen Bi- In diesen Tagen wird besonders das erneute und große En- schofskonferenz) – Drucks. 19/3394 – gagement des Bistums für die Integration von geflüchteten Das Wort hat Abg. Tobias Utter. Menschen deutlich. Das Bundesland Hessen kann beim Rückblick auf seine 70-jährige Geschichte für die Integra- tionsleistung der katholischen Kirche durchaus dankbar Tobias Utter (CDU): sein, sei es für die Integration der Heimatvertriebenen, der sogenannten Gastarbeiter oder der Spätaussiedler. Auch Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Kolle- jetzt können wir bei den neuen Integrationsaufgaben von ginnen und Kollegen! Am vergangenen Pfingstmontag der Verwurzelung der katholischen Gemeinden in den fand ein freudiges, aber auch etwas wehmütiges Ereignis Städten und Dörfern profitieren. statt. Freudig war die Tatsache, dass Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz, seinen 80. Geburtstag im Kreise vieler Die CDU ist eine Union aus katholischen und evangeli- Freunde und Vertreter aus Staat und Gesellschaft feiern schen Christen. Deshalb schätzen wir besonders das Enga- konnte und dass man Rückblick auf eine eindrucksvolle gement Kardinal Lehmanns für die Ökumene. Auch Hes- Lebensleistung halten konnte. Gleichzeitig markierte diese sen als Kernland der Reformation wird die 500. Wieder- Feier aber auch das Ende einer fast 33-jährigen Amtszeit. kehr der Reformation im nächsten Jahr in einem Zustand Das stimmt dann doch ein wenig wehmütig. der lebendigen und aktiven Ökumene begehen, wie es viel- leicht in den vergangenen 500 Jahren nicht denkbar gewe- An dieser Stelle sei daran erinnert – liebe Rheinland-Pfäl- sen wäre. zer, jetzt heißt es tapfer sein –, dass das Bistum Mainz zum überwiegenden Teil ein hessisches Bistum ist und somit (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Kardinal Lehmann in erster Linie ein hessischer Bischof GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Quanz (SPD)) war. Daher ist es mehr als angemessen, dass der Hessische Gerne erinnere ich mich an den Besuch von Kardinal Leh- Landtag mit dieser Aktuellen Stunde seinen Dank und sei- mann im Hessischen Landtag. Seit 2009 organisieren ne Anerkennung für die Leistungen von Kardinal Lehmann Landtagsabgeordnete am Mittwoch einer Plenarwoche zum Ausdruck bringt. morgens früh eine Andacht. In der Regel nehmen etwa 20 (Allgemeiner Beifall) Besucher daran teil – ich weiß, für manche ist das etwas zu früh. Als Kardinal Lehmann uns am 12. Dezember 2012 5156 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 besuchte, waren allerdings 62 Besucher anwesend, und wir schen Kirche den katholischen Kardinal würdigt. Er hat brauchten einen größeren Raum als sonst. sich für geschiedene Wiederverheiratete eingesetzt, ein in der katholischen Kirche sehr schwieriges Thema. Auch hier kam Kardinal Lehmann von dem Gedanken her, für Vizepräsident Frank Lortz: die Menschen einzustehen und Glauben für die Menschen Herr Utter, Sie müssen trotzdem langsam zum Schluss erfahrbar zu machen und auch die Probleme, die Menschen kommen. mit ihrem Glauben haben, zu adressieren, etwas für die Menschen zu tun und den Glauben und die Lehre der Kir- che an die Menschen heranzubringen. Tobias Utter (CDU): Das hat er im ganz besonderen Maße getan, als es um die Schluss: Wir danken Kardinal Lehmann für seinen Dienst Schwangerschaftskonfliktberatung gegangen ist. zum Wohle der Menschen und wünschen ihm einen erfüll- (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) ten Ruhestand. Über Besuche im rechtsrheinischen Teil seines Bistums werden wir uns immer freuen. Da hat er gesagt: Meine Kirche – die Kirche von Kardinal Lehmann – darf Frauen in einer solch schwierigen Situati- (Allgemeiner Beifall) on nicht alleine lassen. – Er hat sich mit seiner Kirche, mit dem damaligen Papst angelegt. Für dieses Engagement für Vizepräsident Frank Lortz: Menschlichkeit, für einen Glauben, der von den Menschen und von der Lebenssituation der Menschen her gedacht ist, Vielen Dank, lieber Kollege Tobias Utter. – Das Wort hat gebührt dem Kardinal großer Dank. nun Herr Kollege Wagner, Fraktionsvorsitzender des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der FDP) Auch wenn es um den Einfluss von Frauen in der katholi- Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen Kirche geht, hat er immer seine Stimme erhoben; NEN): und auch wenn es um Schwule und Lesben in der katholi- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kardinal Leh- schen Kirche geht, war Kardinal Lehmann immer jemand, mann hat sich , den Präsidenten des Europäi- der gesagt hat: Denkt den Glauben, denkt die Orientie- schen Parlaments, als Laudator für seinen 80. Geburtstag rungslehre, die unsere Kirche, die die katholische Kirche ausgesucht. Martin Schulz hat seine Laudatio unter die gibt, immer von den Menschen, von der Liebe her, die Überschrift „Orientierung in Zeiten der Orientierungslosig- Menschen einander spenden, und gebt Antworten, mit de- keit“ gestellt. Ich glaube, ein besseres Motto als die Orien- nen die Menschen auch etwas anfangen können, mit denen tierung in Zeiten der Orientierungslosigkeit konnte sich sie sich identifizieren können, sodass sie sich auch mit ih- Kardinal Lehmann für eine Laudatio nicht aussuchen. rem Glauben identifizieren können. Denn genau das ist Kardinal Lehmann in den vielen Jahr- „Orientierung in einer orientierungslosen Zeit“ war der Ti- zehnten seines Wirkens gelungen: Er hat vielen Menschen tel der Laudatio auf Kardinal Lehmann. Wie zutreffend das Orientierung und Halt gegeben, und er hat damit einen war, hat man gespürt, wenn man am Pfingstmontag in ganz wesentlichen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Ge- Mainz bei den Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag war und sellschaft geleistet. auf den Domplatz kam. Da sah man eine Großbildleinwand (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und aufgebaut, vor dem Dom. Auf diesem Domplatz waren der CDU) sehr viele Plätze für Bürgerinnen und Bürger aufgebaut. Diese Plätze waren nicht nur aufgebaut, sondern sie waren Man muss nicht gläubig und nicht katholisch sein, und auch voll besetzt. Es ging nicht um ein Konzert, um den man darf natürlich beileibe Kritik an der katholischen Kir- Auftritt eines Popstars oder eines sonstigen Stars, sondern che üben. Dennoch können und sollten wir heute das Wir- es ging darum, dass viele Menschen der Zivilgesellschaft ken von Kardinal Lehmann würdigen. Es sind die Kirchen, in Mainz an diesem 80. Geburtstag teilhaben wollten, weil die einen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft sie ihren Kardinal – egal, ob sie gläubig, katholisch oder in leisten. der Kirche sind – Danke sagen wollten für den Beitrag zur Wenn wir als Politik über die Religion reden, müssen wir Zivilgesellschaft. Diesen Dank, dieses Signal der Wert- immer darauf hinweisen, dass in der Religion immer auch schätzung hat Kardinal Lehmann verdient. Es ist gut, dass die Gefahr des Missbrauchs und der Verleitung liegt. Vor wir im Hessischen Landtag das heute auch nochmals sa- allem aber liegt darin die große Chance der Orientierung, gen. Diese Arbeit muss man würdigen. In unserer Zeit Menschen Halt zu geben und zum gesellschaftlichen Zu- brauchen wir Menschen und Institutionen, die die Gesell- sammenhalt beizutragen. schaft zusammenhalten, und weniger Personen und Institu- tionen, die diese Gesellschaft spalten wollen. In besonderem Maße ist dies Kardinal Lehmann gelungen. Dafür dankt ihm das ganze Haus – für seine Arbeit, die er (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE dort geleistet hat. GRÜNEN, bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Hermann (Allgemeiner Beifall) Schaus (DIE LINKE)) Er hat vielen Menschen Orientierung gegeben, aber er hat auch seiner katholischen Kirche oft Orientierung gegeben. Vizepräsident Frank Lortz: Er hat auch Debatten mit seiner katholischen Kirche ge- führt. Er war ganz maßgeblich jemand, der die Ökumene Vielen Dank, Kollege Wagner. – Das Wort hat Frau Abg. vorangetragen hat – weshalb es vielleicht auch ein sehr Nicola Beer, FDP-Fraktion. schönes Zeichen ist, wenn heute ein Mitglied der evangeli- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5157

Nicola Beer (FDP): schen Kirche, Hoffnung aufkommen, dass sich in nächster Zeit und dann darüber hinaus in weiteren Schritten diese Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Reformen Bahn brechen werden. Dieses Jahr habe ich mich ganz besonders auf den Pfingst- montag gefreut – auch wenn ich als überzeugte Protestan- Er war aber auch immer und ist auch weiterhin ein Mann tin diesen zugegebenermaßen noch nie in einer katholi- der Verständigung – nicht nur zwischen den Religionen, schen Messe und schon gar nicht in einem Dom gefeiert aber auch da. Aus persönlichem Erleben möchte ich daran habe. erinnern, wie sehr er uns bei den Diskussionen um die Ein- führung des islamischen Religionsunterrichts in unseren (Ernst-Ewald Roth (SPD): Da wurde es aber Zeit! Es hessischen Schulen geholfen hat. Er war eine große Hilfe, ist nie zu spät!) weil er aus seinem Glauben heraus mit uns die Überzeu- Offensichtlich teile ich das mit dem Kollegen Mathias gung teilte, dass der eigene Glaube – mag es eben der mus- Wagner. Aber es war für mich ein besonderes Kompli- limische oder ein anderer sein – die Wertebasis vermittelt, ment, zu dieser Geburtstagsfeier persönlich eingeladen Stütze ist und Orientierung gibt. Daher liegt es im Interesse worden zu sein – die dann etwas traurig auch ein Abschied von uns allen – mögen wir religiös sein oder nicht –, dass aus dem aktiven Amt des Bischofs und Kardinals, von Karl diese Orientierung auf der Basis solchen Wissens und sol- Kardinal Lehmann, war. Mir ganz persönlich, aber auch cher Toleranz und nicht auf der Basis von Verführung und den Freien Demokraten insgesamt war es ein Anliegen, Verblendung geschieht und gegeben wird. nicht nur zu gratulieren, sondern auch Dank zu sagen für (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Astrid Wall- ein beeindruckendes, für uns alle in seinen Auswirkungen, mann (CDU) und Heike Hofmann (SPD)) seinen Beeinflussungen – mögen sie bei dem einen oder anderen manchmal auch nur indirekt gewesen sein – wich- Er war selbstbewusst genug, aus dieser Überzeugung her- tiges Lebenswerk. aus die Verantwortung der Religionsgemeinschaften, auch der muslimischen, für eine solche Entwicklung anzumah- Neben all den Punkten, die die Kolleginnen und Kollegen nen: Orientierung und Werte zu vermitteln und nicht Ex- schon aufgeführt haben, steht für mich in all den Begeg- tremismus. Dass der Mensch Orientierung in einer komple- nungen und Gesprächen mit Karl Kardinal Lehmann ei- xen, sehr schnellen und auch sehr schnell zu Überforde- gentlich eines im Mittelpunkt, was mir in Erinnerung blei- rung führenden Welt braucht, das war und ist für ihn auch ben wird: dass er einfach ein großartiger Mensch ist, jenseits seines Amtes weiterhin die Basis dafür, nicht nur (Beifall bei der FDP, bei Abgeordneten der CDU immer wieder auf die Richtschnur unseres Handelns zu- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der rückzukommen – gerade jetzt auch wieder sehr aktuell Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel und Heike Hofmann beim humanitären Umgang mit Flüchtlingen, mit Fremden (SPD)) und deren Unterstützung –, sondern diese Orientierungsge- bung auch anzumahnen, auch bei uns in der Politik. ein Mensch mit sicherlich unglaublich vielen Facetten, ein herausragender Theologe, blitzgescheit, dem man am Blit- zen in den Augen ansieht, welche Freude er am intellektu- Vizepräsident Frank Lortz: ellen Diskurs hat, nicht nur, aber gerade auch dann, wenn es um Glaubensfragen geht, um Glaubensfragen, die er als Frau Kollegin Beer, Sie müssen zum Schluss kommen. Wissenschaftler, als Theologe häufig an der Grenze, im Spannungsfeld zwischen Wissen und Glauben zu beant- worten hat, um nachher doch immer wieder den Glauben Nicola Beer (FDP): als Basis und Ergebnis stehen zu lassen. Als Christen- Ich fand es beeindruckend, wie er uns immer wieder wich- mensch ist er ein überzeugter Kirchenmann, aber Kirchen- tige, schwierige, teils auch schmerzliche Fragen gestellt mann in dem Sinne – das ist schon angeklungen –, dass er hat, um – über die Tagesaktualität hinaus – als wertvoller dort deutliche Worte fand, wo er Missstände in seiner Kir- Ratgeber für die Politik und für die Wirtschaft zu wirken. che ausmachte, in der Beharrungskraft dieser Institution. Genau deswegen versuchte er auch beharrlich, Reformen Herr Präsident, lassen Sie mich ganz zum Schluss noch in der katholischen Kirche voranzutreiben, um durch Ein- einmal sagen: Ich denke, die Wurzel seines Handelns war beziehen der aktuellen Lebenswelten von Menschen diesen sein Interesse an, seine Liebe für die Menschen in seinem auch weiter Raum und Heimat in ihrer, in seiner Kirche zu Bistum und darüber hinaus. Seine Volkstümlichkeit ist bieten. schon erwähnt worden. In dem Sinne war er ein guter Hir- te, ein Bischof im wahrsten Sinne des Wortes. Ich fand es Damit wurde er vielfach Hoffnung für einzelne Gruppen beeindruckend, wie sehr er im Hier und Jetzt lebt. Ein Bei- und Menschen in der katholischen Kirche: Frauen, Ge- spiel hierfür war sein Geburtstagsgeschenk: eine Webcam schiedene, Homosexuelle – aber auch für uns, die wir an- hoch oben auf dem Mainzer Dom. deren Religionsgemeinschaften angehören, z. B. im Hin- blick auf die Fragen der Ökumene. Ich fand es immer wie- der beeindruckend, in welcher Balance er auf der einen Vizepräsident Frank Lortz: Seite Widerständen nie aus dem Weg gegangen ist – gera- Frau Kollegin, es geht zwar um einen Kardinal, aber ich de die Zeit des deutschen Papstes Benedikt hat es ihm da möchte Sie wirklich bitten, jetzt zum Schluss zu kommen. nicht sehr einfach gemacht, diese Reformen zum Erfolg zu führen –, auf der anderen Seite aber diese Widerstände im- mer auch ausgehalten hat, ohne jemals zum Revoluzzer zu Nicola Beer (FDP): werden. Er setzte auf den Weg des langen Atems, der in kleinen Schritten letztendlich immer wieder zum Erfolg Ich wollte nur sagen: Der Kardinal wird mit der Karls-Cam geführt hat. Gerade die aktuelle Diskussion um das Dia- auch weiterhin den Überblick über sein Bistum behalten. koninnenamt lässt bei vielen, auch außerhalb der katholi- 5158 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Deshalb: einen herzlichen Dank auch seitens der Freien regiert, anstatt zu dienen. Diese Wirtschaft tötet. Demokraten für einen großartigen Menschen. Diese Wirtschaft schließt aus. Diese Wirtschaft zer- stört die Mutter Erde. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Leider versuchte Kardinal Lehmann, diese klaren Aussa- GRÜNEN) gen des Papstes danach zu relativieren. Man müsse den Papst mit diesen Worten vor dem Hintergrund seiner la- teinamerikanischen Erfahrung verstehen, doch Deutsch- Vizepräsident Frank Lortz: land sei anders, die Kritik des Papstes am Kapitalismus sei Wir waren bei der Redezeit sehr großzügig. Da es aber um wohl nicht wirklich auf bundesdeutsche Verhältnisse über- unseren Kardinal geht, können wir das tun. – Kollege Her- tragbar, meinte er. Das sehen wir als LINKE anders. Da mann Schaus, Fraktion DIE LINKE, ist der nächste Red- sind wir inhaltlich eher beim Papst. ner. Dennoch ist Kardinal Lehmann in positivem Sinne stets ein Liberaler geblieben, einer, der den Dialog sucht, der Argumente ohne allzu große ideologische Scheuklappen Hermann Schaus (DIE LINKE): vor seine Entscheidungen und Positionen setzt. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir danken ihm für sein langjähriges engagiertes Wirken Ich danke der CDU-Fraktion für diese Aktuelle Stunde, in Kirche und Gesellschaft und wünschen ihm persönlich bietet Sie mir doch die Möglichkeit, auf die Arbeit unserer alles Gute. Landesarbeitsgemeinschaft Linke Christinnen und Christen in Hessen aufmerksam zu machen, der auch ich selbst an- (Beifall bei der LINKEN) gehöre. Manche nennen unsere LAG auch „die roten be- ten“. Vizepräsident Frank Lortz: (Heiterkeit) Vielen Dank, Kollege Schaus. – Das Wort hat der Abg. Kardinal Lehmann ist auch für uns ein Mann des Dialogs. Ernst-Ewald Roth, SPD-Fraktion. Er war und ist stets Brückenbauer – darauf hat Herr Utter schon hingewiesen – und steht für ein weltoffenes, lebens- bejahendes Christentum. Innerhalb der katholischen Kirche Ernst-Ewald Roth (SPD): gehört er sicherlich zum liberalen Flügel, der stets auf Dia- Herr Präsident, meine Damen und Herren! All das, was die log gesetzt hat. Kolleginnen und Kollegen vor mir gesagt haben, ist zutref- Besonders hervorheben möchte ich sein intensives Engage- fend. Aber eine Feststellung hierzu: Der Kardinal lebt ment für die Ökumene. Als erster Katholik ist er dafür mit noch. der Martin-Luther-Medaille, einer Auszeichnung der evan- (Heiterkeit – Beifall bei der SPD sowie bei Abge- gelischen Kirche, geehrt worden. ordneten der CDU und der LINKEN) Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass es Kardinal Deshalb an dieser Stelle kein Nachruf, sondern die Erwäh- Lehmann war, der angesichts des drohenden Ausstiegs der nung einer Eigenschaft, die ich aus vielen, vielen persönli- Kirche aus der Schwangerschaftskonfliktberatung an das chen Begegnungen mit ihm kenne und die, wenn man ihn Gewissen jedes einzelnen Bischofs appellierte. Konsequent würdigt, nicht zu kurz kommen darf: sein grenzenloser Hu- beharrte er auf der Position der bundesdeutschen katholi- mor. Ich brauche nicht zu wiederholen, was gesagt worden schen Kirche, nicht aus der Schwangerschaftskonfliktbera- ist, deshalb von diesem Blickwinkel aus ein paar Gedanken tung auszusteigen, bis in Rom dann leider anders entschie- zu Kardinal Lehmann. den wurde. Zutreffend ist, dass er gewünscht hat, dass Martin Schulz Als andere Kirchenmänner und Politiker sich noch jeder einer der Laudatoren war. Er hat ihm geschrieben: Reden Begegnung und jedem Gespräch mit den LINKEN verwei- Sie aber bitte nicht über mich. – Ich will dies trotzdem ver- gert haben, hat er und Oskar Lafontaine zum suchen und nehme Anleihe bei meinem Namensvetter Eu- Gespräch eingeladen. gen Roth: Doch er kennt auch Grenzen. Unmissverständlich hat er Ein Mensch nimmt guten Glaubens an, anlässlich seiner Verabschiedung vor wenigen Tagen klar- er hab das Äußerste getan. gestellt, dass er mit der AfD kein Gespräch führen würde. Doch leider Gotts versäumt er nun, Der Grund: das Grundmuster der Partei und das nationalis- auch noch das Innerste zu tun. tische „Gerüchlein“, das ihm zu groß sei. – Damit bestätig- te er die Grundlinie auch des Zentralkomitees der deut- Wenn man Karl Lehmann richtig beschreiben will, dann schen Katholiken, das die AfD vom Katholikentag in Leip- muss man sagen, dass dieses Wort von Eugen Roth in zig ausgeladen hat. wunderbarer Weise auf ihn nicht zutrifft. Bei allem, was er in seinem aktiven Dienst getan hat, ging er wirklich bis an Als Liberaler tut sich Kardinal Lehmann aber auch manch- die Grenzen seiner Gesundheit. Das war auch am vergan- mal schwer mit neuen Tönen in Rom. Das zeigt sich z. B. genen Montag zu spüren. Die Frage ist: Wie sieht es mit an seiner Einschätzung der klaren Worte, die Papst Fran- dem Innersten aus? Aus welcher Haltung heraus hat er das ziskus zum Kapitalismus fand. „Wir leben in einem Impe- getan? Ich glaube, das ist das, was ihn maßgeblich aus- rium des Geldes“, sagte Papst Franziskus zu Recht. Ich zeichnet. darf zitieren: Er selbst – wir sollen ja nicht über ihn reden, deshalb las- Wir sagen Nein zu einer Wirtschaft der Ausschlie- sen wir ihn sprechen – hat in der Antwort auf die Laudatio ßung und der sozialen Ungerechtigkeit, wo das Geld gesagt, was ihm wichtig ist. Er hat als ersten Punkt den Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5159

Menschen und das Bild vom Menschen genannt. Wer seine Wissenschaftliche Brillanz und bischöfliche Autorität hat Veröffentlichungen kennt, weiß, dass es ihm insbesondere er anscheinend mühelos mit gelebter Bodenständigkeit ver- um den armen Menschen geht, den Menschen in seiner Ar- bunden. Wenn er bei der Fastnacht oder beim Fußball war, mut, wie ihn Victor Hugo in „Les Misérables“, in „Die war er kein Fremdkörper, der sich verirrt hatte. Wenn er Elenden“, beschrieben hat. Für Karl Lehmann ist klar: zur Politik kam, hatte er etwas zu sagen, und jeder tat gut Wenn man sich diesen Menschen zuwendet, dann muss daran, zuzuhören. Er gab mehr als 30 Jahre lang Orientie- man nicht – das hat er immer betont –, aber dann darf man rung und – ich wiederhole es heute bewusst und gerne – am Ende auch nach Gott fragen, d. h. Theologie betreiben. Antworten, auf die man gehört hat. Das hat Martin Schulz Immerhin hat er 4.800 wissenschaftliche Veröffentlichun- in seiner Rede bereits richtig gesagt. gen auf den Markt gebracht. Diese Kombination und eine Fähigkeit, die Fragen der Zeit Ich komme auf meine Eingangsbemerkung zurück. In zu stellen, sind eine große Gabe. Für seine Tätigkeit als nächster Nachbarschaft zum Landtag, gegenüber auf dem Seelsorger und als Bischof von Mainz – man muss hier im- Schlossplatz, bin ich mit ihm in den „Andechser“ gegan- mer wieder erwähnen, dass das Mainzer Bistum eigentlich gen. Es war bekannt, dass wir dorthin kommen, deshalb ein hessisches Bistum ist, denn es liegt zu zwei Dritteln in stand die Crew des Hauses an der Tür, um ihn zu begrü- Hessen –, aber auch für seine Arbeit als Vorsitzender der ßen. Auffallend war, dass er zunächst zum Küchenpersonal Deutschen Bischofskonferenz und für viele gute Begeg- und zum Service ging und erst danach die Geschäftsfüh- nungen sagt die Hessische Landesregierung Danke. rung begrüßt hat. Bevor er ins Haus ging – das meine ich Meine Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kol- nicht despektierlich –, sagte er: Ich hätte gerne zwei Weiß- legen, ich begrüße das nicht nur, weil wir heute Morgen würste mit einer Brezel und einem Weißbier und die Spei- das seltene Glück haben, freudig eine einheitliche Bewer- sekarte, damit ich mir in Ruhe etwas zu essen aussuchen tung vorzunehmen, sondern weil eine solche Persönlichkeit kann. allemal Anlass dazu gibt. (Allgemeine Heiterkeit) Ich will noch einen Gedanken hinzufügen: Kirche und Ich glaube, das ist es: für den Menschen eintreten und da- Staat sind zwei verschiedene Dinge. Sie sind in Deutsch- bei das Leben nicht vergessen. – Ich danke Ihnen. land aus guten Gründen getrennt. Trotzdem sind sie beide Teil einer Gesellschaft. Sie sind immer wieder miteinander (Allgemeiner Beifall) verschränkt: Das, was bei dem einen oder dem anderen ge- schieht, hat Auswirkungen auf uns alle. Es ist nicht allzu Vizepräsident Frank Lortz: lange her, dass Vorgänge in einem anderen Bistum unseres Landes diesen Landtag mehrfach beschäftigt haben. Dort, Herzlichen Dank, lieber Herr Kollege Ernst-Ewald Roth. – im Bistum Limburg, haben viele Menschen Sorgen gehabt. Das Wort hat der Ministerpräsident. Dort ist viel Vertrauen verloren gegangen. Dies nicht zu erwähnen wäre unredlich. Volker Bouffier, Ministerpräsident: Der Staat hat sich in innerkirchliche Dinge nicht einzumi- schen. Aber wenn beide Teil einer Gesellschaft sind, soll- Sehr geehrter Landtagspräsident, meine Damen, meine ten wir sensibel für das bleiben, was sie verbindet und was Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heute besonders schwierig ist. auch seitens der Landesregierung das Wirken von Kardinal Lehmann ein wenig beleuchten – nicht als Nachruf, son- Ich empfinde es als ein besonderes Glück – deshalb finde dern als Zwischenruf und als Würdigung. ich es gut, dass wir das nicht so einfach haben vorbeizie- hen lassen –, dass, obwohl auf der einen Seite viel Vertrau- Ich hatte bei dem Festtag die Gelegenheit, für unser Land en verloren gegangen ist, wir auf der anderen Seite, weit zu sprechen, deshalb halte ich mich bewusst kurz. Ich freue über den Kreis der Gläubigen des Bistums hinaus, das Ge- mich, dass man heute Morgen die seltene Situation erlebt, genteil zeigen können, und zwar durch eine Persönlichkeit, dass das ganze Haus, das sonst, wie es so schön heißt, mei- die aufgrund ihrer Art und der Art, wie sie das Amt geführt nungsstark und selten einig ist, übereinstimmt: dass es hat, über viele Jahre hinweg ein ganz außergewöhnlich ho- nicht nur den Gräbern, sondern sogar den noch Lebenden hes Maß an persönlicher Glaubwürdigkeit erworben hat, eine einhellige Würdigung entgegenbringt. Allein das aber auch, was vielleicht noch wichtiger ist, für Vertrauen zeigt, welch außergewöhnliche Persönlichkeit wir zu wür- in die Institution Kirche gesorgt hat. Es ist eine gute Gele- digen haben. genheit, zu zeigen, dass wir, bei allem Respekt vor der Ich tue das namens dieser Hessischen Landesregierung und Trennung von Staat und Kirche, in einem Bundesland zwar – das sage ich ganz bewusst – auch vieler Vorgängerregie- zum einen Sorgen hatten und manchmal auch noch haben, rungen. Sie wissen, dass es in Hessen eine Tradition der re- zum anderen aber große Freude – ich sage bewusst: auch gelmäßigen Gespräche der Landesregierung mit den Bi- Dankbarkeit – empfinden, dass eine solche herausragende schöfen des Landes und mit den Kirchenpräsidenten gibt. Persönlichkeit das leisten kann, was unsere Gemeinschaft Kardinal Lehmann – ich glaube, das wird mir niemand braucht. übel nehmen – war immer so etwas wie der Primus inter Katholiken, Protestanten, Gläubige und Ungläubige brau- Pares. chen gelegentlich ein Zeichen, dass man Institutionen zwar Da ich das selbst mehr als 30 Jahre erlebt habe, könnte ich nicht zu verehren braucht, aber dankbar sein muss und über vieles berichten. Aufgrund ganz vieler persönlicher kann, wenn es über Jahrzehnte gelingt, authentisch zu blei- Begegnungen kann ich das unterstreichen, was hier gesagt ben, Vertrauen zu erwerben und so den Menschen Orien- wurde: Er ist eine außergewöhnliche Erscheinung, er hat tierung zu geben. Begabungen, und er hat die Fähigkeit, seine Begabungen Das ist aus meiner Sicht das Wichtigste dieses Zwischen- zum Segen vieler Menschen nutzbar zu machen. rufs. Deshalb sage ich bewusst: Kardinal Lehmann war ein 5160 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Glücksfall für die Gläubigen in seinem Bistum. Er war ein Die Geschichte des 97-jährigen Frankfurters Wolfgang Glücksfall für seine Kirche. Er war aber auch ein Glücks- Lauinger, der vergangene Woche hier im Landtag zu Gast fall für unser Land Hessen. – Vielen Dank. war und der aufgrund der Vermutung, ein „175er“ zu sein, sieben Monate in Untersuchungshaft saß, gibt ein ein- (Allgemeiner Beifall) drückliches Beispiel: Wolfgang Lauinger wurde 1950 von einem schon bei den Nazis tätigen Staatsanwalt einge- Vizepräsident Frank Lortz: sperrt, der als Beweis Gestapo-Akten aus der NS-Zeit her- anzog. Es schmerzt uns heute, dass das in der jungen BRD Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. möglich war. Aber wahr ist, dieser § 175 war von Beginn Bevor wir zum nächsten Punkt kommen: Es ist noch einge- an mit Art. 1 unseres Grundgesetzes unvereinbar; gangen und auf Ihren Plätzen verteilt ein Dringlicher Ent- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- schließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der 90/DIE GRÜNEN betreffend Flüchtlinge in Deutschland FDP) und Europa menschenwürdig aufnehmen und versorgen, Drucks. 19/3412. – Die Dringlichkeit wird bejaht. Dann denn nicht die Würde des heterosexuellen Menschen ist wird dies Tagesordnungspunkt 73. Wenn keiner wider- unantastbar, sondern die Würde des Menschen ist unantast- spricht, können wir ihn direkt nach dem zu diesem Thema bar. Ich will deshalb bei dieser Gelegenheit auch allen passenden Tagesordnungspunkt 59 der Aktuellen Stunde Fraktionen nochmals ausdrücklich dafür danken, dass wir aufrufen und ohne Aussprache abstimmen. – Das ist der uns 2012 und 2013 einstimmig bei den Opfern dieses Un- Fall. Das machen wir so. rechts entschuldigt und die Aufarbeitung ihrer Schicksale beschlossen haben. In diesem Haushaltsjahr stehen auch Ich rufe den Tagesordnungspunkt 57 auf: die Mittel für Ausstellungen und Dokumentationen zur Verfügung. Staatssekretär Dreiseitel hat den Auftrag dafür Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- ausgeschrieben. Wir kommen dem Ziel endlich näher. treffend eine Aktuelle Stunde (Homo- und Transphobie auch in Hessen bekämpfen – Opfer rehabilitieren) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- – Drucks. 19/3395 – wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP) Das Wort hat der Kollege Kai Klose, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich will aber auch der hessischen Justizministerin, Eva Kühne-Hörmann, danken, die im vergangenen Jahr die Vorlage eines Rehabilitierungs- und Entschädigungsge- Kai Klose (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): setzes vorgeschlagen und das auch in der Justizminister- konferenz der Länder eingefordert hat. Das scheint nun Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es war am 17. nach Jahren der Prüfung endlich auch bei der Bundesregie- Mai 1990, dass die Weltgesundheitsorganisation Homose- rung zu fruchten; denn vergangene Woche hat der Bundes- xualität aus ihrem Diagnoseschlüssel und damit deren De- justizminister angekündigt, ein solches Gesetz vorzulegen. finition als psychische Erkrankung gestrichen hat. Der 17. Das ist ausdrücklich richtig, es ist überfällig, und wir be- Mai jedes Jahres wurde deshalb zum internationalen Tag grüßen das. gegen Homophobie erklärt. An diesem Tag wird daran er- innert, dass die Diskriminierung von homo-, bi- und trans- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sexuellen Menschen immer noch Alltag ist, in anderen der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ländern und Kulturkreisen, aber auch in Europa und in Es kommt jetzt aber auch darauf an, zügig zu liefern. Die Deutschland. Zeit heilt nämlich keineswegs alle Wunden, und die Zahl Für uns ist das Anlass, das Thema auch hier im Landtag der Männer, denen wir noch zu Lebzeiten ihre Würde zu- aufzurufen. Es geht bei Homophobie keineswegs um die rückgeben können, nimmt stetig ab. Jede weitere Hänge- Angst vor Homosexuellen. Längst umfasst der Begriff partie in dieser Frage wäre unmenschlich. Feindseligkeit, Hass und sogar gewalttätige Angriffe ge- Meine Damen und Herren, der 17. Mai mahnt, auch in der genüber Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen Gegenwart wachsam zu sein. Der teilweise tief verwurzelte und geschlechtlichen Identitäten. Leider ist das bis heute Hass gegenüber Homosexuellen lebt fort. Die Gleichset- an der Tagesordnung. Wir müssen alles dafür tun, diese zung von Homosexualität mit Pädophilie, der Gedanke, wieder wachsenden Tendenzen entschieden zu bekämpfen Homosexualität heilen zu wollen, die Ausgrenzung von und sie zu ächten. Menschen, die irgendwie anders sind: Das nimmt im Ge- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und folge der rechtsextremistischen Hetzerinnen und Hetzer der CDU sowie der Abg. Heike Hofmann (SPD)) der AfD wieder zu – manches ganz unmittelbar, was die Stimmung angeht, aber auch mittelbar, weil das dumpfe In dieser Verantwortung sind wir auch, weil in unserem ei- Gefühl von „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ genen Land zwischen 1933 und 1945 eine fünfstellige Zahl wieder um sich greift und Minderheiten bevorzugt zum schwuler Männer aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt Gegenstand des Hasses werden. Wir Lesben, Bisexuelle wurde, an ihnen Kastrationen und andere abscheuliche me- und Schwule genauso wie diejenigen mit abweichenden dizinische Versuche durchgeführt wurden und viele von ih- geschlechtlichen Identitäten sind aufgrund unserer histori- nen ermordet wurden. Auch nach der Nazizeit waren schen Erfahrung, wohin das führen kann, besonders hellhö- schwule Männer weiterer Verfolgung ausgesetzt. Der von rig und nicht von ungefähr von Beginn an Teil des Wider- den Nazis verschärfte § 175 des Strafgesetzbuchs blieb bis stands gegen diese Partei – wehret den Anfängen. 1969 in Kraft. 50.000 Männer wurden Opfer dieses Para- grafen. Sie wurden verfolgt, drangsaliert und verurteilt, weil sie sind, wie sie sind. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5161

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LIN- CDU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der KEN und der FDP) FDP) Auch in Zukunft haben wir das eine oder andere zu tun, Das ist – Herr Klose hat es gesagt – angesichts der Tatsa- um diesen Tag vielleicht irgendwann überflüssig zu ma- che, dass der § 175 StGB von Anfang an verfassungswid- chen. Beispielsweise brauchen wir in Deutschland endlich rig war, weil er gegen den Kernbestand der Menschenwür- auch ein zeitgemäßes Transsexuellengesetz. Wir GRÜNE de verstoßen hat, umso beschämender. Ich bin auch sehr wollen die Öffnung der Ehe und das Ende des Adoptions- froh darüber und dankbar dafür, dass wir uns bereits in den verbots. Wir kämpfen weiter für die vollständige Gleich- Jahren 2012 und 2013 hier in diesem Haus über alle Par- stellung; denn alles andere ist Diskriminierung. teigrenzen hinweg bei den Betroffenen entschuldigt haben. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Auch der Deutsche Bundestag hat im Jahr 2000 sein Be- der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD) dauern über die geschehenen Taten und das Unrecht zum Ausdruck gebracht, und der Bundesrat hat im Jahr 2015 Vielfalt ist Chance und Bereicherung – keine Bedrohung. noch einmal ausdrücklich für die Aufhebung der entspre- Auch viele gesellschaftliche Institutionen und Unterneh- chenden Strafurteile plädiert. Wir begrüßen es ausdrück- men haben das längst begriffen. Unsere Koalition bekennt lich, dass Bundesjustizminister Maas nun einen Gesetzent- sich zu Akzeptanz und Vielfalt. Wir treten gegen jede wurf zur kollektiven Entschädigung von aufgrund des frü- Form der Diskriminierung ein, und wir ergreifen konkrete heren § 175 Verurteilten angekündigt hat und sein Haus Maßnahmen, wie den Aktionsplan und die Förderung von diesen Gesetzentwurf vorbereitet hat. Antidiskriminierungsprojekten. Der 17. Mai ist jedes Jahr einer der Tage, der uns daran erinnert, warum das so wich- Gerade die Juristinnen und Juristen hier im Haus wissen, tig ist. – Vielen Dank. dass die Frage der Verfassungskonformität solch eines Vorhabens nicht ganz unstrittig ist und dass dies genaue- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und stens zu prüfen ist. Wir wollen, dass die Betroffenen, wenn der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der solch ein Gesetz kommt, auch wirklich etwas davon haben, FDP) und wir wollen nicht, dass das Gesetz vor dem Verfas- sungsgericht dann nicht trägt; wir wollen, dass es trägt und Vizepräsident Frank Lortz: seriös bearbeitet ist. Vielen Dank, Kollege Klose. – Das Wort hat Frau Abg. Ein Rechtsgutachten der Antidiskriminierungsstelle des Hofmann, SPD-Fraktion. Bundes von Prof. Burgi hat nun deutlich gemacht, dass der Staat eine Schutzpflicht und aufgrund des Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzips sogar einen verfassungsgemäßen Heike Hofmann (SPD): Auftrag hat, diese Opfer zu rehabilitieren. Er spricht von einem sogenannten „Strafmakel“, der aufzuheben ist. Wir Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist längst begrüßen dieses Rechtsgutachten ausdrücklich und freuen überfällig, dass verurteilte homosexuelle Männer in unse- uns, dass das Bundesjustizministerium durch diese Initiati- rem Land rehabilitiert werden. ve und dieses weitere Arbeiten jetzt ein Gutachten zur (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Hand hat, aufgrund dessen das Gesetz erarbeitet werden CDU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der kann. FDP) Meine Damen und Herren, ich finde, es ist auch ausdrück- Aufgrund des sogenannten Homosexuellen-Paragrafen 175 lich zu begrüßen, dass sich das Gutachten für eine kollekti- sind Tausende von Menschen nicht nur in der NS-Zeit, ve Entschädigung in Form eines Fonds ausspricht. Dieser sondern auch davor, bis zum Jahre 1994 in mehr oder we- Vorschlag hat den Charme, dass es den einzelnen Opfern niger großer Härte und Dynamik verfolgt, stigmatisiert und durch diese kollektive Entschädigung erspart bleibt, dass aufgrund dieses Unrechtsparagrafen verurteilt worden – erneut eine Einzelfallprüfung vorgenommen wird und die nur deshalb, weil sie sich lieben und liebten. Es ist beschä- Betroffenen erneut in ihrem Menschrecht, ihrer Intimität mend und gehört zu den dunkelsten Kapiteln des Nach- und in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt werden. kriegsdeutschlands, dass sämtliche sexuelle Handlungen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE auch bloß erotisch interpretierbare Annäherungen zwi- GRÜNEN sowie der Abg. Lena Arnoldt (CDU)) schen zwei Männern, bis 1969 unter Strafe standen und dieser Paragraf erst 1994 – das muss man sich leider auf der Zunge zergehen lassen – ersatzlos gestrichen wurde. Vizepräsident Frank Lortz: Es kam von 1969 bis 1995 – die Zahl der Verurteilungen Frau Kollegin Hofmann, Sie müssen zum Schluss kom- ist von Kollegen Klose schon genannt worden – zu 50.000 men. Verurteilungen, aber auch zu weiteren 100.000 Ermitt- lungsverfahren gegen Homosexuelle in unserem Land. Was das für die einzelnen Betroffenen bedeutet hat, näm- Heike Hofmann (SPD): lich dass sie zum Teil in ihrer bürgerlichen Existenz ver- Dieser Vorschlag ist sehr gelungen; und eine entsprechen- nichtet worden sind, dass sie ständig unter Angst leben de Entschädigung könnte durch die Magnus-Hirschfeld- mussten, stigmatisiert und verfolgt wurden – es gab sehr Stiftung entsprechend verwaltet werden. Letzter Satz, mei- viele Selbstmorde –, können wir, glaube ich, nur erahnen, ne Damen und Herren: Lassen Sie uns dieses Vorhaben des auch dass an dieser Stelle die Menschenwürde und die Per- Bundesjustizministers über alle Parteigrenzen sönlichkeitsrechte der Betroffenen mit Füßen getreten wor- hinweg unterstützen, denn es ist längst überfällig und an den sind. Hier ist größtes Unrecht geschehen. 5162 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 der Zeit, dass die Betroffenen rehabilitiert werden. – Vie- (Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Genau!) len Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer ethnischen (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Herkunft, aus rassistischen Gründen, wegen des Ge- schlechts, der Religion, der Weltanschauung, einer Behin- derung, des Alters oder der sexuellen Identität ist nicht hin- Vizepräsident Frank Lortz: nehmbar, und dem muss auf allen gesellschaftlichen Ebe- Vielen Dank, Frau Kollegin Hofmann. – Das Wort hat nen begegnet werden. Unter diesen Voraussetzungen ha- Frau Abg. Arnoldt, CDU-Fraktion. Lena, bitte. ben wir auch in dieser Legislaturperiode viel dafür getan, um uns gegen Diskriminierung jeglicher Art stark zu ma- chen. Ich garantiere Ihnen, wir werden dafür auch noch Lena Arnoldt (CDU): viel tun. Ich erinnere an den Beitritt zur Koalition gegen Diskriminierung im vorletzten Jahr. Auch möchte ich hier Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen an die stattfindende Erarbeitung eines Aktionsplans für und Herren! Seit dem Jahr 2005, also seit bereits elf Jah- Akzeptanz und Vielfalt gemeinsam mit den Selbstvertre- ren, wird am 17. Mai der Internationale Tag gegen Homo- tungsorganisationen und den Netzwerken in Hessen hin- phobie, Transphobie und Biphobie begangen. Er hat sich weisen. Genannt sei ebenso die Einrichtung einer Antidis- im Laufe der Jahre weiterentwickelt zu einem Aktionstag kriminierungsstelle in Hessen. Ich bin stolz darauf, was wir gegen Ausgrenzung und Benachteiligung in allen Lebens- bereits auf diesem Weg erreicht haben. Ich werde mich bereichen. Seit 2005 wird daran erinnert und dazu aufgeru- auch weiterhin mit unserer Fraktion, Staatsminister Grütt- fen, sich stark zu machen, nicht wegzuschauen und vor al- ner und Jo Dreiseitel als Staatssekretär und Bevollmächtig- lem jeglicher Diskriminierung entschieden entgegenzutre- tem für Antidiskriminierung dafür einsetzen, dass wir jeg- ten. liche Diskriminierung in diesem Land nicht dulden und (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE dass Hessen für eine tolerante und offene Gesellschaft GRÜNEN) steht, die niemanden ausgrenzt. Denn „die Würde des Menschen ist unantastbar“. – Vielen Dank. Das machen wir nicht erst seit heute, und das werden wir auch nicht nur an einem Tag wie dem 17. Mai tun. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten) Die strafrechtliche Verfolgung homosexueller Bürgerinnen Vizepräsident Frank Lortz: und Bürger, die hierdurch in ihrer Menschenwürde, ihren Vielen Dank, Kollegin Lena Arnoldt. – Das Wort hat Abg. Entfaltungsmöglichkeiten und in ihrer Lebensqualität emp- Lenders. findlich beeinträchtigt wurden, darf nicht in Vergessenheit geraten. Bereits in den Jahren 2012 und 2013 haben wir daher eine kraftvolle Erklärung der Entschuldigung des Jürgen Lenders (FDP): Hessischen Landtags für die strafrechtliche Verfolgung ho- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist gut, dass mosexueller Bürger durch den § 175 Strafgesetzbuch hin- wir heute über Homophobie in Deutschland diskutieren. ausgesandt und die Landesregierung gebeten, eine Aufar- An dieser Stelle muss man allerdings auch sagen: Wenn beitung der Schicksale zu initiieren. Genau diese Bitte wird ich mich daran erinnere, wie das noch zu meinen Flegel- umgesetzt. Im laufenden Haushalt sind bereits 100.000 € jahren war, dann sind wir schon einen großen Schritt wei- für eine Studie zur historischen Aufarbeitung der Schicksa- tergekommen. Hie und da muss man jungen Homosexuel- le der Opfer bereitgestellt worden, und die Landesregie- len schon sagen, wenn man sieht, in welcher Geschwindig- rung hat den Auftrag bereits ausgeschrieben. keit sich die Gesellschaft weiterentwickelt hat, dass ein (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE weiter Weg begangen wurde, den man kaum für möglich GRÜNEN) gehalten hat. Dazu gehört aber auch, wenn hier schon alle ihre Erfolge loben, dass es eine FDP-Bundestagsfraktion Ein solch deutliches Signal ist beispielhaft und in meinen geschafft hat, zum ersten Mal eine Stiftung ins Leben zu Augen die unmittelbarste Form eines Gesetzgebers, sich rufen, und zwar die Magnus-Hirschfeld-Stiftung, die sich bei allen Opfern eines Gesetzes zu entschuldigen. Wir sind als Bundestiftung nun intensiv mit der Aufarbeitung be- davon überzeugt, dass die Ehre der homosexuellen Opfer schäftigt und Lösungen für die Zukunft anbietet. wiederhergestellt werden muss, und halten an der Auffor- derung gegenüber der Bundesregierung fest, die verfas- Wir haben viel geschafft, aber all das ist keine Selbstver- sungsrechtliche Möglichkeit für die Rehabilitierung der ständlichkeit. Auch das muss man jungen homosexuellen nach dem ehemaligen § 175 Verurteilten zu prüfen und Menschen immer wieder sagen: „Glaubt nicht, dass diese umzusetzen. Diese Aufforderung wurde noch einmal durch Rechte, die erkämpft worden sind, auf Dauer unangefoch- einen Beschluss der Justizministerkonferenz unterstrichen ten bleiben.“ Deswegen ist es richtig, dass wir uns als und verstärkt. Es ist erfreulich, dass Bundesjustizminister Landtag damit beschäftigen. Es ist richtig, dass wir uns bei Maas endlich reagiert und in der letzten Woche angekün- dem § 175 nicht nur gemeinsam für die Wiedergutma- digt hat, die Opfer des § 175 zu rehabilitieren. chung, sondern auch für eine materielle Entschädigung ausgesprochen haben. Das ist schon längst überfällig. (Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN) (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage aber auch sehr deutlich: Dieser endlich erfolgten Ankündigung des Bundesjustizministers müssen nun aber Auch heute gibt es immer wieder Fälle von Diskriminie- auch Taten folgen. rung. Das sind nicht nur Unterschiede zwischen einer Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5163

Land- und Stadtbevölkerung. Es ist zwar traditionell so, Vizepräsident Frank Lortz: dass sie es in einer Metropole als homosexueller Mensch Vielen Dank, Herr Kollege Lenders. – Das Wort hat der etwas leichter haben; dennoch finden sich noch immer Tat- Abg. Dr. Wilken, Fraktion DIE LINKE. bestände von Diskriminierung, die einem gar nicht so schnell bewusst werden, z. B. der Ausschluss von homose- xuellen Männern von der Blutspende. Auch da sind wir Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): mittlerweile schon ein Stück weitergekommen. Wenn wir uns aber mit der Frage beschäftigen, ob das Institut der Ehe Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! für alle geöffnet werden soll, dann ist es nichts anderes als Wir sind uns bei diesem Thema im Hessischen Landtag eine Diskriminierung, dass man homosexuellen Menschen selten einig. Deswegen ist es als Redner, der als Fünfter noch immer das Institut der Ehe verschließt. Das gehört spricht, schwierig, etwas zu sagen, was nicht schon gesagt auch zur Wahrheit dazu. worden ist. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) Ich will einmal versuchen, Ihnen den Eindruck zu vermit- teln, wie peinlich das alles für jemanden ist, der entweder Das ist auch eine Gelegenheit, wo man fragen muss: Wir selbst aus einem queeren Umfeld kommt, oder dem dieses haben uns viel über homosexuelle Menschen unterhalten. Umfeld sehr gut vertraut ist, und wie langsam das alles Aber was ist z. B. mit Menschen, die in einem falschen geht. Es hat lange gedauert, bis die WHO gerafft hat, dass Körper geboren wurden? es keine Krankheit ist. Es hat in der Bundesrepublik lange Ich finde es gut, dass Transsexuelle mittlerweile auch gedauert, einen verfassungswidrigen Paragrafen abzuschaf- selbstbewusst öffentlich auftreten können und damit zei- fen. Es hat lange gedauert, bis wir jetzt zu einer Entschädi- gen, dass es auch ein Stück weit Normalität ist und sie ge- gung und Rehabilitierung der Opfer dieses Paragrafen nauso zu unserem Lebensumfeld und zu unserer Gesell- kommen. – All das ist aus der Sicht eines queeren Umfel- schaft gehören wie derjenige, der von vorneherein wusste, des der Moderne doch wirklich nur unwürdig. welcher Sexualität er angehört. (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des Meine Damen und Herren, Diskriminierung findet heute BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vor allen Dingen auch im Ausland statt. Es wäre richtig, Ich habe letzte Woche, als wir die Presseerklärung zum wenn die Bundesregierung diese Diskriminierung in Russ- Tag der Homophobie herausgegeben haben, gesagt: Der land, in Uganda auch zum Bestandteil ihrer Außenpolitik § 175 war ein berüchtigter Strafrechtsparagraf. – Kollegin- machen würde und es nicht einfach nur bei Schönwetterpo- nen und Genossen haben mich gefragt: Wieso berüchtigt? litikreden belässt. – Daraufhin habe ich noch einmal erzählt, in welcher At- (Beifall des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE)) mosphäre der Begriff „175“ auf einmal genutzt wurde. Ich hab damals eine DKW 175 gefahren. Damit war ich ein Diskriminierung findet nach wie vor in Schulen statt. Es ist Schwuler. „175“ stand für Schwulenausgrenzung. keine Selbstverständlichkeit, dass man mit Begriffen wie „schwule Sau“ durch das Leben gehen muss. Auch dage- Vieles von dem, was wir als aufgeschlossene Menschen gen muss man sich wehren. Es ist richtig, wenn vor allem gar nicht mehr wahrnehmen, ist heute leider noch Realität. schon Kinder anfangen, zu verstehen, dass Sexualität eine Der Schulhof ist erwähnt worden; er ist aber nicht der ein- sehr individuelle Sache ist und sie sehr vielfältig sein kann. zige Ort, wo nach wie vor Diskriminierung gegen Homose- Es ist richtig, dass Kinder mit der Aufklärung groß werden. xuelle, vor allem gegen Schwule, tagtäglich Realität ist. Es ist der beste Schutz vor Diskriminierung, wenn man Deswegen ist das Erreichte – das ist die andere Seite der möglichst früh versteht, dass es sehr viele Lebensentwürfe Medaille – hochgradig fragil. Das haben wir nicht nur letz- gibt und dass das Leben eher wie ein Regenbogen und sehr te Woche in Berlin bei der Kundgebung anlässlich des Ta- bunt ist. ges gegen Homophobie erlebt, wo auf einmal wieder in al- ler Offenheit Hass, Abgrenzung und Pöbelei gegen homo- Dann haben wir eine neue politische Kraft, die AfD, die sexuelle Menschen einfach auf deutschen Straßen Realität wieder versucht, so etwas zu instrumentalisieren. Deswe- waren. Dagegen müssen wir uns weiterhin zur Wehr set- gen ist es richtig, dass wir uns heute mit dem Thema Ho- zen. mophobie beschäftigen. Das sind Kräfte, die diese Vorur- teile wieder bedienen wollen. Nur wenn Sie von vornher- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜND- ein als junger Mensch schon gelernt haben, sich gegen sol- NIS 90/DIE GRÜNEN) che Argumente zu wehren, sind Sie auch sattelfest, was Meine Damen und Herren, ich will es auch nicht ver- Diskriminierung anbelangt. schweigen, dieser Hass wird unter anderem durch ein ex- Meine Damen und Herren, der Kampf gegen Homophobie trem reaktionäres Familienbild, das unter anderem die Par- wird wahrscheinlich nie enden. Das, was erreicht ist, ist tei AfD versucht, wieder hoffähig zu machen, geschürt. nicht genug. Es ist alles keine Selbstverständlichkeit. Dar- Wir im Hessischen Landtag bleiben dabei: Wie Menschen über müssen wir uns jeden Tag im Klaren sein. – Vielen lieben und wen sie lieben, ist Privatheit und grundgesetz- Dank. lich geschützt. Wir stellen uns gegen die, die das gefähr- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE den. – Ich bedanke mich. GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜND- LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN) 5164 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Vizepräsident Frank Lortz: Wir setzen damit einstimmige Beschlüsse des Landtags in die Realität um. Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht Staatsse- kretär Dreiseitel. Wir werden nicht nur die Schicksale der Opfer strafrechtli- cher Verfolgung wissenschaftlich aufarbeiten und doku- mentieren, sondern auch die soziale Ausgrenzung und Re- Jo Dreiseitel, Staatssekretär im Ministerium für Sozia- pression von lesbischen Frauen und schwulen Männern bis les und Integration: zu den Emanzipationsbewegungen im Zeitraum 1945 bis Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! 1985 aufarbeiten. Hierfür haben wir 100.000 € zur Verfü- Die Menschenrechte und die Menschenwürde sind allge- gung und werden in der zweiten Jahreshälfte 2017 die Er- meingültig und gelten universell. Deshalb versichere ich gebnisse mit einer Publikation, einer Ausstellung und einer Ihnen, die Landesregierung wird entschieden gegen jegli- Fachtagung vorstellen. che Form von Ausgrenzung und Diskriminierung eintreten. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Homophobie ist mit unseren freiheitlichen Grundrechten GRÜNEN – Vizepräsidentin Heike Habermann nicht vereinbar. übernimmt den Vorsitz.) Akzeptanz und respektvoller Umgang mit nicht heterose- Meine Damen und Herren, eine aktuelle Studie des Deut- xuellen Lebensweisen sind heute immer noch keine Selbst- schen Jugendinstituts belegt, dass 80 % der befragten Ju- verständlichkeit. Deshalb begrüße ich es, dass wir auch in gendlichen wegen ihrer sexuellen Orientierung erheblichen diesem Jahr am 17. Mai darauf aufmerksam gemacht ha- Anfeindungen ausgesetzt sind. Diese queeren Jugendlichen ben, gegen Vorurteile und Abwertungen von Menschen vermeiden ihr Coming-out, um sich nicht Beleidigungen wachsam zu sein und äußerst aktiv zu agieren. oder sogar körperlicher Gewalt auszusetzen. Um diese Ju- Auch wenn die Gesellschaft insgesamt toleranter und offe- gendlichen zu ermutigen, fördern wir an sechs Standorten ner geworden ist, so sind immer noch individuelle Aus- in Hessen SchLAu-Projekte mit 50.000 €. grenzungs- und Diskriminierungserfahrungen in vielfälti- Wir als Landesregierung haben mit Ihrer Unterstützung in ger Weise im Alltag präsent. Ich begrüße ausdrücklich die den vergangenen zwei Jahren wichtige Entwicklungen in heutige Diskussion, weil davon ein wichtiges Signal in die diesem Bereich eingeleitet. Es entspricht unser aller politi- Gesellschaft ausgeht. Wir treten gemeinsam als Hessische scher und gesellschaftlicher Verantwortung und Verpflich- Landesregierung und als Fraktionen des Hessischen Land- tung, der Abwertung von Menschen entschieden entgegen- tags für die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ein. Uns zutreten. Ich danke allen – innerhalb und außerhalb der eint die Überzeugung, Homosexuelle, Bisexuelle und Parlamente –, die uns auf diesem Weg gemeinsam beglei- Transmenschen sind ein wertvoller und gleichberechtigter ten und ihn auch unbeirrt weitergehen werden. – Vielen Teil unserer Gesellschaft. Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN) Absichtserklärungen reichen aber nicht aus. Für die Ak- zeptanz von Vielfalt und die Anerkennung aller sexuellen Vizepräsidentin Heike Habermann: und geschlechtlichen Identitäten benötigen wir eine enga- gierte Politik und eine engagierte und couragierte Zivilge- Vielen Dank. – Ich habe keine weiteren Wortmeldungen sellschaft. Deshalb handelt dieses Bundesland Hessen ak- vorliegen. Damit ist die Aktuelle Stunde unter Tagesord- tiv. Nicht nur mit dem Beitritt zur bundesweiten Koalition nungspunkt 57 abgehalten. gegen Diskriminierung, sondern mit der geschaffenen An- Ich rufe Tagesordnungspunkt 58 auf: tidiskriminierungsstelle finden Betroffene eine schnelle und unbürokratische Hilfe. Die Stelle leistet unverzichtbare Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Vernetzungs-, Öffentlichkeits- und Präventionsarbeit. Stunde (Keine Verlängerung für den Einsatz von Gly- Wir stehen mit der Community gemeinsam im Dialog bei phosat – Gesundheitsschutz geht vor) – Drucks. der Erarbeitung des Hessischen Aktionsplans für Akzep- 19/3396 – tanz und Vielfalt. Wir schaffen damit die Grundlage für ein Er wird zusammen behandelt mit dem Dringlichen Antrag vorurteilsfreies und diskriminierungsfreieres Miteinander der Fraktion der SPD betreffend keine Neuzulassung von in Hessen. Glyphosat in der Europäischen Union und dem Dringli- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE chen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Hessen reagiert auf Risiken von Glyphosat. Mit der Finanzierung von Projekten fördern wir unter- schiedliche Initiativen hessenweit. Wir haben im vergange- Herr Rudolph, zur Geschäftsordnung. nen Jahr 18 Projekte mit 100.000 € unterstützt. In diesem Jahr steht ein erhöhter Betrag in Höhe von 120.000 € zur Verfügung. Aktuell werden wir damit hessenweit 30 Ver- Günter Rudolph (SPD): anstaltungen, Filmreihen, Kulturprojekte, Ausstellungen, Frau Präsidentin, wir bitten darum, im Anschluss an die Publikationen und Studien fördern. Aktuelle Stunde über unseren Tagesordnungspunkt 25 ab- Ich freue mich, dass wir es gerade in dieser Woche ge- zustimmen. schafft haben, die Beauftragung der Aufarbeitung der Schicksale der Opfer des ehemaligen § 175 vorzunehmen. Wir leisten damit einen Beitrag zur Wiedergutmachung. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5165

Vizepräsidentin Heike Habermann: schädlichen Bewertung von Glyphosat. Auch die WHO kommt zu widersprüchlichen Ergebnissen, ob Glyphosat Das wird so gemacht. – Als erste Rednerin rufe ich Kolle- krebserregend ist oder nicht. gin Löber von der SPD-Fraktion auf. Lassen Sie mich Beispiele nennen, warum es zu wider- sprüchlichen Ergebnissen kommen kann: Man muss genau Angelika Löber (SPD): hinsehen, ob die Sachverständigen wirklich unabhängig Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und von Lobbyverbänden der Industrie sind. Der Vorsitzende Herren! Heute entscheiden die Mitglieder der Europäi- des Untergremiums der WHO, das zuletzt zu einer positi- schen Union über die weitere Zulassung des Unkrautver- ven Bewertung von Glyphosat gekommen ist, ist gleichzei- nichtungsmittels Glyphosat, da die bisherige Zulassung en- tig Vizepräsident einer Industrieorganisation. Und Sie wer- det. Nicht nur 40 % aller deutschen Felder werden mit Gly- den sicherlich bestätigen können, dass der Präsident des phosat behandelt, sondern auch Wege, Gleise und Klein- Deutschen Bauernverbandes gleichzeitig Präsident des gärten. In der ökologischen Landwirtschaft dagegen ist Lobbyverbands „Forum Moderne Landwirtschaft“ ist, wo- Glyphosat verboten. durch er z. B. Hersteller von Pflanzenschutzmitteln vertritt. Die Artenvielfalt von Pflanzen, Insekten und Vögeln wird (Zuruf von der SPD: Hört, hört!) durch Pflanzenschutzmittel eingeschränkt, die biologische Die unterschiedlichen Debatten über Gesundheitsgefahren Vielfalt zerstört, Pflanzen und Kräuter werden sogar resis- durch Glyphosat werden bei der SPD nicht zu einem Um- tent gegen die eingesetzten Mittel. Erste Pflanzen in den denken führen. Wir sind gegen eine weitere Zulassung von USA sind bereits resistent gegen alle vorhandenen Un- Glyphosat, wir bleiben beim Nein. krautvernichtungsmittel. (Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (Kurt Wiegel (CDU): Das stimmt so nicht! – Gegen- (fraktionslos) – Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU)) ruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD)) Wichtig ist auch, zu prüfen, wer die jeweilige Untersu- – Ich komme sicherlich noch zu dem einen oder anderen chung bezahlt hat. Viele Studien sind meist von der Indus- Punkt, bei dem Sie es auch so sehen werden. – Aber es trie selbst in Auftrag gegeben und bezahlt worden. Die geht auch ohne Glyphosat. Es wäre eine Rückkehr zur ur- Sachverständigen bewerten oft nur die verarbeiteten Daten sprünglichen klassischen Landwirtschaft mit Fruchtwech- einer Industriestudie und nicht die dazugehörigen Rohda- sel, Zwischenfrüchten über den Winter, mechanischer Un- ten, noch werden die Daten geprüft. Zudem wird oft nicht krautbekämpfung, Pflügen der Felder anstatt Spritzen von transparent gemacht, wie die Ergebnisse zustande gekom- Pflanzenschutzmitteln, men sind. Wir brauchen endlich unabhängige wissen- (Beifall bei der SPD und der Abg. Martina Feld- schaftliche Untersuchungen der kompletten Pflanzen- mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) schutzmittel, die Glyphosat enthalten. Das muss endlich von der Politik vorangebracht werden. langsamem Trocknen der Ernte anstatt Spritzen für die Be- schleunigung des Trocknungsprozesses. Bodenunfrucht- Die Frage ist nicht nur allein, ob Glyphosat krebserregend barkeit – auch das werden Sie sicher wissen – wird nur ist, sondern wie Glyphosat, das in der Landwirtschaft, im langsam sichtbar, da anfangs nur mehr Dünger eingesetzt Essen, in Hygieneartikeln und vielem mehr zu finden ist, in wird, um die Unfruchtbarkeit zu bekämpfen. Für totge- Summe wirkt und dabei Mensch, Tier und Natur schadet. spritzte Felder, die über Jahre mit Glyphosat behandelt Gift und Pestizide in Nahrungsmitteln sind zwar meist un- wurden, gibt es jedoch mittlerweile weltweit viele er- ter festgelegten Grenzen, aber ich denke, wir alle wollen schreckende Beispiele. Landwirte merken unterschiedliche toxin- und pestizidfreie Nahrung und kein Gift im Essen. Glyphosatanteile beim Futter direkt am Gesundheitszu- (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Kurt Wiegel stand ihrer Tiere. Negative Auswirkungen auf die Umwelt (CDU)) sind klar. Allein das wäre schon ausreichend für ein Verbot von Glyphosat. Um sich vorzustellen, wie ein Gift wirkt, Leider ist es nicht mehr nur ein sachlicher, sondern mittler- das auf dem Feld alles außer der zu erntenden Pflanze tö- weile ein politischer Konflikt. Lassen Sie uns zur Sachpoli- tet, dafür braucht man kein Wissenschaftler zu sein. tik zurückkommen und alle gemeinsam ein Zeichen gegen Glyphosat setzen. (Kurt Wiegel (CDU): Rumeierei!) Die SPD hat sich auf Bundesebene zwar spät gegen eine Gehen wir einmal zurück in die Vergangenheit: Glyphosat Wiederzulassung von Glyphosat entschieden, wurde 1964 als chemischer Rohrreiniger patentiert, 1969 dann als Pflanzenschutzmittel – ein Milliardengeschäft, (Kurt Wiegel (CDU): Fragt sich, warum!) von dem viele in diesem Bereich profitieren. Wer von uns möchte Rohrreiniger essen oder im Körper haben, selbst Vizepräsidentin Heike Habermann: wenn die Dosen ganz gering sind und unter Grenzwerten liegen? Glyphosat ist ein Gift, in Kombination mit anderen Frau Kollegin Löber, kommen Sie bitte zum Schluss. Chemikalien noch giftiger. Meist sind Pflanzenschutzmit- tel Cocktails von 20 oder mehr Stoffen, die in der Kombi- nation noch gar nicht untersucht wurden. Voraussichtlich Angelika Löber (SPD): sind diese Cocktails hundert- bis tausendmal toxischer als aber letztlich sollte das eigene Gewissen im Vordergrund Glyphosat allein. stehen. Von dieser Verantwortung kann sich niemand frei- Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat erstmals 2000 machen. die Gefahren von Glyphosat geprüft, letztes Jahr erneut. Natur-, Umwelt- und Tierschutz sollten bei uns allen über Leider kommt das BfR derzeit nicht zu einer gesundheits- wirtschaftlichen Interessen stehen, und der Schutz der Ver- 5166 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 braucher an erster Stelle. Unsere Sicherheit und Gesund- hig ist, dass er den Sicherheitsanforderungen der europäi- heit und die unserer Kinder sind das Wichtigste. schen Richtlinie für Pflanzenschutzmittel entspricht und keine krebserzeugenden Risiken hat. So haben es vor eini- gen Tagen auch die Weltgesundheitsorganisation WHO Vizepräsidentin Heike Habermann: und die Welternährungsorganisation FAO bestätigt. Frau Kollegin Löber, bitte ein letzter Satz. Ja, meine Damen und Herren, es gibt Rückstände, z. B. in Lebensmitteln und in Baumwollprodukten. Ja, Rückstände sind mit modernen Methoden auch im menschlichen Kör- Angelika Löber (SPD): per nachweisbar. Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen, da das eigent- (Timon Gremmels (SPD): Jetzt liegt es an den Me- liche Thema umschifft wird. Sie hätten den Passus ergän- thoden, oder was?) zen sollen: „Der Landtag nimmt zur Kenntnis, dass die Re- gierungsparteien unterschiedlicher Auffassung zum Thema Aber sie sind vorhanden und nachweisbar in Mengen, die Glyphosat sind“. – Vielen Dank. von der Wissenschaft als unbedenklich eingestuft werden, und zwar mit hundertfachem Sicherheitspuffer. Das ist der aktuelle Stand der Wissenschaft, und er ist zu berücksichti- Vizepräsidentin Heike Habermann: gen, Vielen Dank. – Als Nächste spricht Frau Kollegin Müller- (Unruhe – Glockenzeichen der Präsidentin) Klepper, CDU-Fraktion. so wie es das Votum des Europäischen Parlaments getan hat und wie es der neue Entwurf der EU-Kommission für Petra Müller-Klepper (CDU): die weitere Zulassung tut. Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der CDU – Timon Gremmels (SPD): Die Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln erfolgt im geein- GRÜNEN klatschen ja gar nicht!) ten Europa aus gutem Grund in Brüssel. An der Entschei- Entscheidend sind Sachlichkeit und Fachlichkeit, und das dung ist die Bundesregierung beteiligt, so auch im Falle rechtsstaatliche Zulassungsverfahren garantiert beides. Es von Glyphosat – und hier vollführt die SPD-Bundesum- ist wissenschaftsbasiert. Meine Damen und Herren, auf weltministerin mit einem kurzfristigen Kurswechsel einen welcher Basis sollte sonst eine solche Entscheidung getrof- Eiertanz. fen werden? Doch nicht auf der Basis von effekthaschen- (Beifall bei der CDU) den Schlagzeilen, die dann beim Faktencheck wie eine Sei- fenblase zerplatzen, wie das jüngst bei der Botschaft „Gly- Erst ist sie für die Neuzulassung, dann ist sie – obwohl sich phosat in Bier“ der Fall war. Der Konsum wäre wegen die Faktenlage nicht geändert hat – dagegen. Verlässliche Glyphosatrückständen erst ab einer Menge von 1.000 l täg- Politik sieht anders aus, meine Damen und Herren. lich gesundheitsschädlich. Die zuvor eintretende Alkohol- (Beifall bei der CDU) vergiftung würde das wahrscheinlich verhindern. Hessen ist am Entscheidungs- und Zulassungsprozess in (Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. keiner Weise beteiligt. Dennoch können wir uns gerne über Timon Gremmels (SPD)) die Grundlagen und Verfahren unterhalten, nach denen Das Ziel der Landesregierung ist, dass Herbizide so wenig Mittel zugelassen werden sollen. Solche Prozesse dürfen wie möglich verwendet werden. Wegen der möglichen ge- kein Ort für politische Spielchen oder Wahlkampf sein. sundheitlichen Auswirkungen, aber auch aus Gründen des (Beifall des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU)) Umwelt- und Artenschutzes muss der Einsatz von chemi- schen Pflanzenschutz- und Düngemitteln noch stärker und Denn es geht um Grundlegendes: um den Gesundheits- schneller reduziert werden. Auf öffentlichen Flächen z. B. schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher. Unsere muss man kein Glyphosat einsetzen. Deshalb haben wir Nahrungsmittel und unsere Verbrauchsgüter müssen ge- das eingeschränkt. sundheitlich unbedenklich sein. Produktsicherheit muss immer Vorrang vor ökonomischen Interessen haben. Unser Ziel ist auch, dass Pflanzenschutzmittel nur sach- kundig und sachgerecht eingesetzt werden. Die Landwirte Das gilt auch für das Thema Glyphosat. Dies wird durch verfügen über diese Sachkunde, und sie werden vom Lan- ein engmaschiges Netz von gesetzlichen Regelungen, Kon- desbetrieb intensivst in diese Richtung beraten. Auch hier trollen, durch permanente wissenschaftliche Begleitung haben wir Schritte unternommen. und darauf basierende Weiterentwicklungen der Maßnah- men bis hin zum Verbot gewährleistet. Es muss bewertet (Timon Gremmels (SPD): Und die Auswirkungen werden: Ist ein Stoff sicher für Mensch, Tier und Umwelt? auf die Biodiversität?) Zahlreiche Bewertungsbehörden haben sich im EU-Ver- Außerdem muss man landwirtschaftliche Flächen, auf de- fahren intensivst mit der Frage beschäftigt, ob die Zulas- nen Glyphosat genutzt wird, nicht mit Greening-Mitteln sung von Glyphosat verlängert werden kann. Das Ergeb- fördern. nis: Die zuständigen Experteneinrichtungen in Deutschland (Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD)) wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmit- telsicherheit, das Julius Kühn-Institut, das Bundesinstitut für Risikobewertung und das Bundesumweltamt haben die Vizepräsidentin Heike Habermann: Neuzulassung für vertretbar gehalten. Ebenso ist die Euro- päische Behörde für Lebensmittelsicherheit eindeutig zu Frau Kollegin Müller-Klepper, kommen Sie bitte zum En- dem Schluss gekommen, dass der Wirkstoff zulassungsfä- de? Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5167

Petra Müller-Klepper (CDU): Glyphosat ein großes Problem für die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft und steht im Widerspruch zur Biodiversi- Ja. – Daran arbeiten wir, und daran arbeitet vor allem Frau tätsstrategie der Bundesrepublik. Ministerin Hinz. Das, was wir in Hessen regeln können, tun wir. Die grundsätzliche Frage aber, ob und unter wel- Aber wer gestern Abend beim parlamentarischen Abend chen Bedingungen Glyphosat einsetzbar ist, wird in Euro- des BUND war, der konnte von Frau Dr. Idel auch lernen, pa und nicht hier in Wiesbaden entschieden. – Ich danke dass jede Tonne zusätzlichen Humus auf dem Acker 1,8 t für die Aufmerksamkeit. CO2 bindet. Man konnte darüber hinaus lernen, dass hoch industrielle Monokulturlandwirtschaft jedes Jahr auf jedem (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des Hektar 1 t Boden verliert. Auch das ist eine Tatsache, und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. dem muss man entgegentreten. Timon Gremmels (SPD)) (Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU)) Vizepräsidentin Heike Habermann: Zweitens setzt das Totalherbizid den Einsatz von genetisch veränderten Pflanzen auf dem Acker voraus, wenn man es Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Schott, Frak- auf dem Acker ausbringen will. Ihr Einsatz ist mit weiteren tion DIE LINKE. Risiken verbunden, die die Mehrheit der Bevölkerung nun einmal ablehnt. Marjana Schott (DIE LINKE): Drittens gelangen die landwirtschaftlichen Betriebe in eine noch stärkere Abhängigkeit zu Monsanto & Co. Über die Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Müller- Preise für Herbizide, angepasstes Saatgut und Dünger be- Klepper, Ihre Rede hat mich echt beeindruckt. Dass die stimmen die Agrarmultis letztlich über die Gewinnmargen GRÜNEN dazu geklatscht haben, hat mich noch mehr be- eines Betriebs und darüber, ob die Menschen von ihrer Ar- eindruckt. Ich muss sagen, das ist echt entlarvend. beit leben können oder ob sich nur noch Großbetriebe (Beifall bei der LINKEN und der SPD) durchsetzen. Ich verstehe auch nicht, wie Sie nachher Ihrem eigenen Ist es das, was Bundeslandwirtschaftsminister Christian Antrag zustimmen können, nach der Rede. Darin steht im Schmidt will? Wollen wir eine Landwirtschaft, die nur ersten Absatz: noch aus Industriebetrieben besteht, oder wollen wir klein- bäuerliche Landwirtschaft? Insbesondere in Hessen müs- Der Landtag betont, dass die gesundheitliche Unbe- sen wir uns diese Frage sehr genau stellen. denklichkeit von allen Nahrungsmitteln und Ver- brauchsgütern höchste Priorität hat. Gesundheitlich Ähnliches gilt für den Präsidenten des Bauernverbandes. schädliche Wirkungen müssen im Sinne eines vor- Wir haben vorhin schon von den Verstrickungen gehört. sorgenden Verbraucherschutzes ausgeschlossen wer- Da frage ich mich doch, wessen Interessen er vertritt. den. Wenn Sie hier mit den kleinen Landwirten reden, dann werden Sie nicht finden, dass sie sich von ihm vertreten Das steht hier. Wenn Sie sich dann anschauen, dass die fühlen. WHO sich selbst intern noch nicht einmal einig ist und dass in dieser Uneinigkeit Gutachten Gegengutachten ja- (Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg. Kurt gen und Gegengutachten wieder von Gutachten gejagt wer- Wiegel (CDU)) den, dann wissen wir definitiv, dass wir keine Klarheit ha- Glyphosat nicht wieder zuzulassen ist sachlich die richtige ben. Aber solange wir keine Klarheit haben, können wir Entscheidung. Wir wünschen uns das für alle Totalherbizi- uns nicht auf etwas einlassen, was wir in der gesamten de. Deutschland könnte das Zünglein an der Waage sein, Nahrungsmittelkette wiederfinden. ist es sogar. Der Führung der SPD im Bundestag unterstel- (Beifall bei der LINKEN und der SPD) le ich jedoch rein strategisches Vorgehen. Sich dann darüber lustig zu machen, dass man komasaufen (Timon Gremmels (SPD): Nein! – Weitere Zurufe müsste, um sich mit dem Bier zu schädigen, wenn die von der SPD: Oh!) Schädigung schon mit der Muttermilch beginnt, das finde Das muss ich an der Stelle ehrlich sagen. Es war doch ich verantwortungslos. schon klar, dass sich das CSU-geführte Bundeslandwirt- (Beifall bei der LINKEN) schaftsministerium, weil es die Interessen der Agrarindus- trie und Großbauern vertritt statt die des Gesundheits-, Dass wir es in allen anderen Nahrungsmitteln finden, wis- Umwelt- und Verbraucherschutzes, für eine Wiederzulas- sen wir doch. In Lateinamerika wird Glyphosat vor allem sung aussprechen würde. beim Anbau von gentechnisch verändertem Soja einge- setzt. Die Arbeiterinnen auf den Sojaplantagen sind weit (Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD)) höheren Glyphosatdosen ausgesetzt – da kommen wir der Warum die SPD in der Regierungsberatung auch für die Sache näher – als die Verbraucher hier. Von dort kommen Wiederzulassung von Glyphosat stimmte, jetzt aber für das seit Jahren Meldungen über Fehlgeburten, Fehlbildungen Gegenteil eintritt, ist nicht inhaltlich, sondern nur mit Stre- von Neugeborenen und Krebserkrankungen. Das Ganze er- ben nach Popularitätspunkten im Vorwahlkampf zu erklä- innert schon sehr an die Geschichte von DDT. ren. Denn sonst hätten sie das auch viel früher sagen kön- Ganz generell müssen wir uns die Frage stellen, was der nen. Einsatz von Totalherbiziden wie Glyphosat bewirkt. Soll (Beifall bei der LINKEN) es auf dem Acker alles abtöten, was grün ist – das ist das Erste –, außer der von einem Konzern patentierten Nutz- Aber letztlich ist es mir wurscht, wenn die SPD an der pflanze? Zum einen ist der flächendeckende Einsatz von Stelle ausnahmsweise einmal nicht umfällt. 5168 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

(Lachen bei der SPD) Frau Kollegin Schott hat es auch schon angesprochen: Den SPD-Ministern ist es doch wirklich sehr spät eingefallen, Die Chancen dafür stehen ganz gut. Schließlich haben wir wo sie eigentlich stehen. Das Thema wurde im Bundestag keine 24 Stunden mehr bis dahin. vielfach diskutiert. Die SPD-Fraktion hatte reichlich Zeit (Unruhe – Glockenzeichen der Präsidentin) gehabt, ihre Meinung kundzutun und entsprechend abzu- stimmen. Schauen wir uns einmal an, wie die Mitglieder Was den weichgespülten CDU/GRÜNEN-Antrag anbe- jeweils abgestimmt haben. langt: Den finde ich wirklich unangemessen. Denn da zeigt sich wieder einmal sehr deutlich, dass Sie sich nicht einig Schauen wir uns einmal den Antrag Drucks. 18/7675 vom sind und dass Sie etwas gemacht haben, was eine Kompro- 24. Februar 2016 an. Der Antrag wurde in namentlicher missformel darstellt. Abstimmung mit den Stimmen der SPD abgelehnt. Meine Damen und Herren der CDU, wenn Sie das inhalt- Letzte Woche gab es einen Antrag der Bundestagsfraktion lich meinen würden, was Sie hier aufgeschrieben haben, der GRÜNEN, Drucks. 18/8395, der eine erneute Geneh- dann müsste doch klar sein, dass Sie gegen Glyphosat migung des Pestizids zum jetzigen Zeitpunkt ablehnt. Da stimmen. Dann hätten wir heute in der Europäischen Union hatte sich schon abgezeichnet, dass Ihre Minister einen für Deutschland nicht nur eine Enthaltung, sondern eine Sinneswandel hatten, dass sie jetzt dagegen stimmen woll- eindeutige Gegenstimme. Das wäre konsequent durch- ten. Da hat sich abgezeichnet, dass dieser Meinungswandel dacht, und zwar von dem, was Sie hier aufgeschrieben ha- kommt. ben, zu dem, was Sie dann tun. Was ist mit diesem Antrag passiert? – Es wurde verhindert, (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der dass dieser Antrag der GRÜNEN im Bundestag abge- SPD) stimmt wurde. Es wäre dringlich gewesen, ihn noch abzu- stimmen. Was ist passiert? – Er ist in den Ausschuss ge- Denn das, was Sie hier aufgeschrieben haben, und Ihr Han- schoben worden und wird nicht mehr rechtzeitig debattiert deln klaffen, wie immer, weit auseinander. werden. (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der (Timon Gremmels (SPD): Das machen Sie nie!) SPD) So viel will ich zum Interesse der Sozialdemokratie am Thema Glyphosat sagen, und zwar genau da, wo es darauf Vizepräsidentin Heike Habermann: ankommt. Vielen Dank. – Als Nächste spricht Frau Kollegin Feld- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und mayer für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. bei Abgeordneten der CDU) Gestern gab es eine dpa-Meldung. Die haben Sie vielleicht Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auch gesehen. Glyphosat ist den SPD-Ministern so wichtig, dass das Thema im Kabinett noch nicht einmal aufgerufen Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ob Glyphosat wurde. Es war überhaupt kein Thema. Liebe Freundinnen weiterhin zugelassen sein wird, wie lange und zu welchen und Freunde der Sozialdemokratie, Glaubwürdigkeit sieht Bedingungen, wird wahrscheinlich heute entschieden. anders aus. Vielleicht dauert es auch noch ein paar Tage. Aber es wird auf jeden Fall in Brüssel und nicht hier entschieden. Jetzt komme ich noch einmal auf das Inhaltliche zu spre- chen. Ich bin der SPD-Fraktion trotzdem dankbar. Sie ha- Meine Damen und Herren der SPD, da können Sie die Ver- ben das Thema schon einmal in einer unserer Aktuellen antwortung nicht verlagern. Das funktioniert nicht. Stunden aufgerufen. Es ging um Glyphosat in der Mutter- (Beifall der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE milch. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie dieses wichtige GRÜNEN) – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ich Thema noch einmal aufgerufen haben, und möchte gerne bin sehr gespannt, wie Sie sich bei dieser Frage posi- noch einmal unsere Position dazu darstellen. tionieren!) Erstens. Wir finden, Pflanzenschutzmittel, Totalherbizide Unserer Umweltministerin traue ich vieles zu. Aber dass und Glyphosat, all diese Pflanzengifte, haben weder etwas sie jetzt aufgrund dieses Dringlichen Antrags losfährt und im menschlichen Körper noch irgendetwas in Lebensmit- sich vor der EU-Kommission ankettet, glaube ich nicht. teln zu suchen. Ich glaube, Sie täuschen sich hinsichtlich der Frage, wo die (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Verantwortung tatsächlich liegt. Sie liegt bei der Bundesre- bei Abgeordneten der SPD) gierung. Sie liegt bei den jeweiligen Nationalstaaten. Das Zweitens. Der Streit in der Wissenschaft, ob Glyphosat ge- wird heute dort entschieden. sundheitsschädlich ist oder nicht, wird immer noch geführt. (Timon Gremmels (SPD): Sie müssen doch eine Der politische Streit wird weiterhin geführt. Wir sind keine Meinung haben!) Wissenschaftler. Wir können diesen Streit nicht auflösen. – Zu meiner Meinung komme ich gleich. Aber es ist doch zweifelsohne belegt, dass es diesen Streit gibt. Ich finde, man sollte abwarten, bis dieser Streit in der (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Wissenschaft beigelegt ist, also bis klar ist, ob es schädlich bei Abgeordneten der CDU) ist oder nicht. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin in der Sache bei Drittens. Unwiderlegbar ist doch, dass Glyphosat der Ar- Ihnen. tenvielfalt schadet. Wir Menschen sind darauf angewiesen, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS 90/DIE dass die Artenvielfalt weiterhin besteht. Wir kennen doch GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Aha!) alle die Bilder aus China, wo es keine Artenvielfalt mehr Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5169 gibt. Wir kennen die Bilder, bei denen die Bäume von Bundesamt für Risikobewertung, durchaus richtig gelegen Hand bestäubt werden müssen, weil die Bienen, die Hum- haben. meln und die ganzen anderen Bestäuber durch den Einsatz Wenn das so ist, führen wir bei Glyphosat eine andere Dis- der Pflanzenschutzmittel getötet wurden. So etwas wollen kussion. Dann ist das keine Diskussion über die Frage wir hier nicht haben, in Deutschland nicht, in Europa nicht mehr, ob es hier um den Verbraucherschutz geht, sondern und am besten in der ganzen Welt nicht. es geht darum, ob wir die Biodiversität erhalten wollen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Beifall bei der FDP) wie bei Abgeordneten der CDU und der LINKEN) Dazu muss man sagen: Glyphosat ist ein Unkrautvernich- Warum gibt es so viel Streit um das Thema Glyphosat? Ich tungsmittel. Es ist ein Totalherbizid. Diese Aufgabe nimmt glaube, es geht nicht einzig und allein um diesen Wirk- es hervorragend wahr. Im Moment gibt es keine bessere stoff. Vielmehr geht es darum, dass ein großer Teil der Alternative. Denn alle anderen Alternativen, selbst das Un- Landwirtschaft auf diesen Wirkstoff angewiesen ist. Das terpflügen, haben auch Auswirkungen auf die Landwirt- muss ich sagen: Wenn es so ist, dass dieses Mittel system- schaft und die Bodenbeschaffenheit, die auch nicht ganz relevant ist und dass das ganze System ins Schwanken unproblematisch sind. kommt, wenn dieses Mittel entzogen wird, dann haben wir ein Problem in der Landwirtschaft. – Dann müssen wir sa- (Beifall bei der FDP) gen: Wir müssen unsere Landwirtschaftspolitik und unsere Landwirtschaft anders ausrichten. Wer die Frage stellt, ob wir Unkrautvernichtungsmittel überhaupt einsetzen wollen, der muss natürlich auch die Genau bei diesem Thema sind wir in Hessen sehr gut mit Frage beantworten, wie wir dann beispielsweise an den der Förderung des Ökolandbaus, aber auch mit der Förde- Bahngleisen vorgehen. Es geht dann darum, wie wir die rung von Agrarumweltmaßnahmen dabei. Genau da hat die Bahngleise frei halten und die Sicherheit für den Schienen- Landesregierung bereits gehandelt. Genau das tun wir, verkehr herstellen. Schwarz-Grün und die Umweltministerin, hier zusammen. Wir sind da in einer anderen Diskussion. Viele Zahlen zei- (Zuruf: Was für ein Eierkurs!) gen dies auch. Frau Hinz hat in einer Diskussion selbst ein- mal den Vergleich gezogen. Hinsichtlich der Rückstände – Das ist kein Eierkurs. von Glyphosat in Nahrungsmitteln geht es um die Frage, ob die Grenzwerte überschritten werden. Aber die Grenz- Vizepräsidentin Heike Habermann: werte sind so tief unten, dass das beinahe lächerlich ist. Es gibt das Beispiel mit den 1.000 l Bier. Das stimmt. Mir ist Frau Kollegin Feldmayer, Sie müssen bitte zum Schluss auch schnell in den Kopf geschossen, dass das zu einer Al- Ihrer Rede kommen. koholvergiftung führt. (Timon Gremmels (SPD): Bioeierkurs!) Das gilt auch hinsichtlich der Muttermilch. Ich hatte es Ih- nen schon das letzte Mal gesagt: Das Baby müssen Sie mir einmal zeigen, das so viel Muttermilch jeden Tag zu sich Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nimmt. Das muss ein ausgesprochener Wonneproppen Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Das ist kein Eier- sein, der tatsächlich solche Mengen täglich zu sich nehmen kurs. Vielmehr muss man das tun, was man an seinem Ort kann. tun kann. Wir tun hier in Hessen, was wir für eine andere (Beifall bei der FDP) Landwirtschaftspolitik tun können. Machen Sie Ihre Arbeit in Berlin und Brüssel. Dort können Sie Ihre Arbeit ma- Das ist ein blöder Spruch: Die Menge macht das Gift. Aber chen. – Vielen Dank. wir sind mittlerweile bei einer anderen Diskussion ange- kommen. Da kann man natürlich unterschiedlicher Auffas- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sung sein. bei Abgeordneten der CDU – Timon Gremmels (SPD): Die machen wir!) (Beifall bei der FDP) Lassen Sie mich einmal kurz zu der Frage der Gefährdung Vizepräsidentin Heike Habermann: kommen. Ich habe das oft erlebt. Es hieß, dass z. B. Leuchtstofflampen – das sind die Dinger, die hier oben in Vielen Dank. – Als Nächster spricht Herr Kollege Lenders diesem Saal verbaut sind – epileptische Anfälle auslösen. für die FDP-Fraktion. In den Siebzigerjahren gab es deshalb große Panik. Ich ha- be noch keinen Kollegen erlebt, der mir gesagt hätte, dass er in diesem Raum gesundheitliche Probleme bekommen Jürgen Lenders (FDP): habe. Wir hatten eine ähnliche Diskussion, was den Elek- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Glyphosat hat trosmog anbelangt. Meine Damen und Herren, „Elektro- uns hier schon mehrfach beschäftigt. Ich kann zu dieser smog“ war in aller Munde. Wenn wir bei der Beleuchtung Diskussion bemerken, dass wir längst von der Diskussion bleiben, kann ich Ihnen sagen: Heute gilt die LED-Be- auch in den Medien, ob Glyphosat krebserregend ist, weg- leuchtung als die modernste Errungenschaft. Da sind über- gekommen sind, und zwar hin zu der Frage, ob Glyphosat all Transformatoren eingebaut, und es wird Elektrosmog schädlich für die biologische Vielfalt ist. Das fällt auf. erzeugt. Jeder hat mittlerweile ein Handy und einen Tablet- Dass selbst eine Vorzeigepolitikerin wie Frau Künast sich PC. Kein Mensch spricht mehr davon, dass dieser Elektro- in diese Richtung äußert und die Frage, ob es krebserre- smog gesundheitsgefährdend sei. gend ist, nicht mehr in den Mund nimmt, zeigt, dass die Beim Glyphosat wird es nicht anders werden. Die Gesund- Fachleute und die Experten, etwa von der WHO oder dem heitsgefährdung von Glyphosat ist überhaupt nicht nachge- 5170 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 wiesen. Eine totale Sicherheit wird es nicht geben können. Krebs führt. Dazu gibt es noch keine wissenschaftlich fun- Die werden Sie niemals erreichen. dierten Erkenntnisse. Das ist der Punkt, um den es geht. Deshalb entscheidet – wie bei so vielen Dingen im Leben – (Beifall bei der FDP) am Ende die Dosis, ob wir es mit einem Gift oder einem Meine Damen und Herren, hier wurde von „Herumgeeie- Pflanzenschutzmittel, das für die Gesundheit nicht weiter re“ gesprochen. Wenn ich mir den Antrag von CDU und erheblich ist, zu tun haben. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anschaue: Das ist wirklich Herr Lenders, dass Glyphosat die Biodiversität schädigt, ist ein Eiertanz. Ich habe mich, ehrlich gesagt, gefragt: Ja, was wissenschaftlich ziemlich unumstritten. Darüber muss man denn nun? Was wollen die CDU und die GRÜNEN denn in diesem Hause hoffentlich nicht mehr reden. jetzt? Ich habe in dem Antrag nur noch den Absatz ver- misst, dass wir darüber abstimmen sollen, dass Sie sich an (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- diesem Punkt nicht einig sind. Dieser Absatz hätte viel- ruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP)) leicht noch dazugehört. Dann hätte dieser Antrag vielleicht Da wir es im Umwelt- und Verbraucherschutz häufig mit einen Grund gehabt. Wir werden auf jeden Fall beide An- der Fragestellung zu tun haben, ab welcher Dosis ein sol- träge ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ches Mittel gesundheitsschädlich ist, sind wir bislang im- (Beifall bei der FDP) mer gut damit gefahren, uns am Vorsorgeprinzip zu orien- tieren. Vizepräsidentin Heike Habermann: (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. – Als Nächste spricht Frau Staatsministerin Hinz. Deshalb haben wir in Hessen das getan, was wir konnten, was in unserer Kompetenz liegt und wofür wir eine Zu- ständigkeit haben. Ich hoffe, dass sich auch der Bund und Priska Hinz, Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, die EU-Kommission beim dem Thema der Wiederzulas- Landwirtschaft und Verbraucherschutz: sung von Glyphosat ihrer Verantwortung bewusst sind und bleiben. Dass die Bundesregierung bzw. ein Teil der Bun- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es kommt sel- desregierung nicht schon immer klar gesagt hat, was sie ten vor, dass über einen Pestizidwirkstoff wie das Glypho- will, ist in den vorherigen Debatten schon klar geworden. sat nicht nur in den Abendnachrichten ausführlich berichtet wird, sondern dass ein öffentlicher Streit stattfindet, der Auch bei dem Thema Bier: Kein Mensch trinkt 1.000 l dann auch die Politik in diesem Maße erreicht. Bier am Tag. Das kann auch keiner trinken, weil er vorher auf andere Weise stirbt, aber nicht an Glyphosat. Es ist bis zur Stunde unklar, wie sich Deutschland im zu- ständigen EU-Ausschuss verhalten wird. Wir wissen, dass (Michael Boddenberg (CDU): Er ertrinkt!) andere Mitgliedstaaten wie Frankreich heute nicht zustim- – Vielleicht ertrinkt er dann auch; je nachdem, woraus er men werden. Auch dies ist ein erstaunlicher, aber konkre- das Bier trinken will. ter Befund. Das heißt, dass auch in anderen Ländern das Misstrauen gegenüber einer jetzigen Zustimmung zur Zu- Die Frage zu den Eintragspfaden lautet: Wie kumuliert lassung von Glyphosat sehr hoch ist. Ob die Kommission sich Glyphosat über die verschiedenen Eintragspfade im am Ende des Verfahrens Glyphosat im Alleingang zulassen Körper? Auch das ist noch nicht endgültig erforscht. Daher wird, wenn es heute im EU-Ausschuss keine qualifizierte bestehe ich schon darauf, dass wir mehr Forschung brau- Mehrheit gibt, ist noch fraglich. Möglicherweise gibt es ei- chen, um wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu erhal- ne Verschiebung der Abstimmung. Das werden wir heute ten. Wir müssen genau wissen, wie man ein solches Herbi- im Laufe des Tages erfahren. zid anwenden sollte und ob man es überhaupt noch anwen- den sollte. Ich möchte mich jetzt aber nicht mehr weiter mit dem Ver- fahren beschäftigen, sondern mich zum Inhalt der aktuellen Wir in Hessen haben 2014 die Anwendungsbestimmungen Diskussion einlassen, die sich mit den Ergebnissen der un- für Spätbehandlungen im Getreide, die sogenannte Sikkati- terschiedlichen Gremien der WHO und mit der Frage, ob onsanwendung, deutlich verschärft. Das heißt, dass wir im Glyphosat krebserregend ist oder nicht, beschäftigt. Ergebnis keine Rückstände mehr haben. Wir haben die pflanzenschutzrechtlichen Genehmigungsbestimmungen Dass sich die Ergebnisse vermeintlich widersprechen, für Freilandflächen – Friedhöfe, Parks, Schwimmbäder hängt damit zusammen, dass die wissenschaftlichen Unter- und all das, was öffentlich zugänglich ist – bereits dras- suchungen etwas Unterschiedliches untersuchen sollten. tisch verschärft. Deshalb sind sie auch zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Während das Bundesinstitut für Risikobewer- tung wie auch Teile der WHO-Gremien versucht haben, Vizepräsidentin Heike Habermann: ein möglichst konkretes Risiko für Glyphosat für üblicher- weise aufgenommene Mengen zu ermitteln, hat die Inter- Frau Staatsministerin, ich weise auf die Redezeit hin. nationale Krebsforschungsagentur, die IARC, versucht zu ermitteln, ob Glyphosat überhaupt krebserregend ist. Das ist ein Unterschied. Mit den jüngsten Ergebnissen wird die Priska Hinz, Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur Landwirtschaft und Verbraucherschutz: deshalb nicht aufgehoben. Ja, ich komme zum Schluss. – Die Landesregierung hat Die Frage lautet nämlich nicht, ob das Gift nachgewiesen weiterhin Fördermittel von fast 18.000 € für Untersuchun- werden kann. Es kann im Körper nachgewiesen werden. gen zur Risikoabschätzung an hessische Einrichtungen ge- Die Frage lautet vielmehr, wie viel Gift eigentlich zu geben, nämlich an den Landesbetrieb Hessisches Landesla- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5171 bor und die Universität Gießen. Das ist das, was wir auf Ich rufe Tagesordnungspunkt 70 auf: Landesebene tun können. Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der Auf Agrarministerkonferenzen habe ich mich immer dafür CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Hes- eingesetzt, dass es keine Zulassung von Glyphosat gibt, so- sen reagiert auf Risiken von Glyphosat – Drucks. 19/ lange nicht wissenschaftlich fundierte Ergebnisse auf dem 3407 – Tisch liegen. Die SPD-Agrarminister haben uns weitestge- hend im Regen stehen lassen. Deswegen kamen Beschlüs- Wer diesem Antrag zustimmt, bitte das Handzeichen. – se dazu auf den Agrarministerkonferenzen nicht zustande. Das sind die Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen von (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- FDP und SPD. Enthaltungen? – Das sind die Abg. Öztürk rufe der Abg. Nancy Faeser und Thorsten Schäfer- und die Fraktion DIE LINKE. Damit ist dieser Antrag an- Gümbel (SPD)) genommen. Das zu der Frage, wie die SPD als Partei aufgestellt ist. Sie Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zu Tagesord- können das auch in den entsprechenden Dokumenten nach- nungspunkt 59: lesen. Ich hoffe, dass es eine Abstimmung in der EU zu- gunsten des Verbraucherschutzes und der Vorsorge gibt. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktu- (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja, genau!) elle Stunde (Hessen hat Platz für Flüchtlinge und will sichere Reisewege statt weiterer Aushöhlung des Asyl- Ich bin gespannt, wie sich die Bundesregierung hier auf- rechts) – Drucks. 19/3398 – stellen wird. Anschließend rufen wir die Tagesordnungspunkte 64, 73 (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und und 66 auf. bei Abgeordneten der CDU – Thorsten Schäfer- Gümbel (SPD): Priska, wir auch! Aber Hauptsache, Die erste Wortmeldung kommt von Frau Kollegin du weißt, wo der Feind steht!) Cárdenas.

Vizepräsidentin Heike Habermann: Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Vielen Dank. – Wir sind am Ende dieser Aktuellen Stunde. Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Si- Ich habe keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist die Ak- tuation der ca. 50.000 Flüchtlinge in Griechenland, beson- tuelle Stunde zu Tagesordnungspunkt 58 abgehalten. ders in Idomeni, ist eine humanitäre Katastrophe. Die Flüchtlinge sitzen in Lagern unter menschenunwürdigen Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf: Bedingungen fest. Sie müssen wegen des Abkommens der Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend EU mit der Türkei, dem sogenannten Türkei-Deal, mit ei- keine Neuzulassung von Glyphosat in der Europäischen ner Rückführung in die Türkei rechnen. Union (EU) – Drucks. 19/3095 – In Griechenland gibt es nicht genug Plätze für Flüchtlinge. Die Camps auf den Inseln nehmen immer mehr den Cha- Mir wurde mitgeteilt, über diesen Antrag solle direkt abge- rakter von Haftanstalten an. stimmt werden. Dann rufe ich zur Abstimmung auf. Wer diesem Antrag zustimmt, bitte das Handzeichen. Die Türkei ist kein sicheres Herkunftsland. Die Türkei do- kumentiert jeden Tag, dass sie nicht bereit ist, die Men- (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Der SPD-An- schenrechte zu respektieren. Sie weist Flüchtlinge bereits trag?) an der Grenze ab. Sie inhaftiert im Land selbst und schiebt – Ja. – Das sind die Fraktionen der SPD und DIE LINKE viele Flüchtlinge rechtswidrig in ihre zerrütteten Her- sowie Abg. Öztürk. Wer ist dagegen? – Das sind die Frak- kunftsländer ab, auch in Länder, in denen ihnen Tod und tionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP. Folter drohen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt. In der Türkei findet weiterhin ein Krieg im eigenen Land Ich komme zu Tagesordnungspunkt 70, das ist der Ent- gegen die größte Minderheit, die Kurden, statt. Sie werden schließungsantrag – – verfolgt, inhaftiert und gefoltert. Mit ihrer menschenver- achtenden Vorgehensweise hebelt die Türkei das Recht auf (Wortmeldung der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS Asyl aus. Unsere Position wird von Pro Asyl und der deut- 90/DIE GRÜNEN) zur Geschäftsordnung) schen Sektion von Amnesty International geteilt. Sie erklä- – Ja, bitte, zur Geschäftsordnung, Frau Dorn. ren darüber hinaus, dass die Genfer Flüchtlingskonvention in der Türkei nur für europäische Flüchtlinge angewendet wird, also nicht für Syrer und Afghanen – die eine Aus- Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sicht hätten, in Deutschland anerkannt zu werden. Frau Präsidentin, wir haben Sie gebeten, auch über den Meine Damen und Herren, die Anzahl der ankommenden Antrag von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN direkt Geflüchteten in Deutschland ist deutlich gesunken, auf 50 abstimmen zu lassen. Menschen täglich. (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Gut so!) Vizepräsidentin Heike Habermann: Die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes ist nur noch zur Wenn Sie mich hätten zu Ende reden lassen – ich war gera- Hälfte belegt. de dabei. (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wunderbar!) 5172 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Aufgrund dessen hat die Landesregierung ein neues Stand- Vizepräsidentin Heike Habermann: ortkonzept erlassen, nach dem weiterhin 20.000 Plätze an Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Wallmann, 19 Standorten und 20 passive Standorte mit 15.000 Plätzen CDU-Fraktion. beibehalten werden sollen, die bei Bedarf reaktiviert wer- den können. Die gesunkene Zahl der Flüchtlinge ermöglicht jetzt aber Astrid Wallmann (CDU): auch ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik. Wir fordern Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen in unserem Antrag, in Reserve gehaltene Plätze zur Auf- und Herren! Das Jahr 2015 hat unser Land mit einem bei- nahme von weiteren Flüchtlingen über die Verteilungsquo- spiellosen Flüchtlingsansturm konfrontiert. 1 Million Men- te in Hessen hinausgehend bereitzustellen. schen sind nach Deutschland gekommen, davon 80.000 (Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer nach Hessen. Das sind die höchsten Zahlen in der Ge- (CDU): Das fehlt noch!) schichte unserer Bundesrepublik. Gerade weil die Kapazitäten in den Einrichtungen nach- Welcher Anstrengungen es bedurfte, den Angekommenen weislich vorhanden sind, muss die Landesregierung nicht nicht nur ein festes Dach über dem Kopf zu garantieren, nur mit Schließungen reagieren, sondern kann die Initiative sondern eben auch die Erstversorgung zu gewährleisten, „Züge der Hoffnung“ unterstützen, um so ihre Bereitschaft wissen wir alle miteinander nur zu gut. Die Kommunen, zu Mehraufnahmen zu signalisieren. Diese Initiative setzt die Länder, alle beteiligten Organisationen und natürlich sich dafür ein, Flüchtlingen aus Griechenland eine neue auch die ehrenamtlichen Helfer führte dies an ihre Belas- Hoffnung zu geben und ihnen die Weiterreise zu ermögli- tungsgrenze und mitunter auch darüber hinaus. chen, statt sie dauerhaft und unter elendsten Bedingungen Die Schließung der sogenannten Balkanroute und das am in Griechenland dahinvegetieren zu lassen. 18. März 2016 zwischen der EU und der Türkei beschlos- Wir wissen: Gerade in den kleineren Erstaufnahmeeinrich- sene Flüchtlingsabkommen haben in diesem Jahr zu einer tungen herrscht zurzeit noch eine gute Infrastruktur vor. spürbaren Entlastung geführt. Das ist ganz wichtig, auch Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die engagierten und für Deutschland. gut eingearbeiteten Ehrenamtlichen, die inzwischen ein un- (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr gut!) verzichtbarer Bestandteil der Flüchtlingsarbeit geworden sind. Die Akzeptanz der Bevölkerung muss gewährleistet blei- ben. Sie haben die Zeitungsberichte verfolgt und wissen, die Verärgerung der Ehrenamtlichen war riesengroß, als ihnen (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr richtig!) ohne Vorankündigung das Standortkonzept und gleichzei- Es darf keine Spaltung geben. Deswegen sage ich für die tig die Schließung vieler Unterkünfte mitgeteilt wurden. CDU-Fraktion auch ganz klar: Es ist gut, dass die Balkan- Das Gefühl, dass ihre Arbeit äußerst gering geschätzt wird, route geschlossen ist, und es ist gut, dass sie geschlossen hat sich ausgebreitet. Ihr Engagement – so denken wir – bleibt. sollte und darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. (Beifall bei der CDU sowie der Abg. Nicola Beer Für die sogenannten „Züge der Hoffnung“ können nicht und Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP)) genutzte Züge eingesetzt werden, die wenigstens 3.000 Flüchtlinge auf sicheren Reisewegen nach Deutschland Ich persönlich glaube und sage auch im Namen der CDU- bringen könnten, gerne auch mehr. Ähnliche Anträge wur- Fraktion, dass es wichtig ist, dass die Sport- und die Mehr- den bereits in Offenbach und Frankfurt gestellt. zweckhallen, die zur Unterbringung der Flüchtlinge be- nutzt worden sind, Liebe Kolleginnen, unser Antrag wurde von der SPD auf- gegriffen. Auch dort wird die Landesregierung – mit einer (Unruhe – Glockenzeichen der Präsidentin) Erweiterung: „gemeinsam mit dem Bund und den Bundes- aufgrund der Entspannung jetzt auch wieder ihrem eigent- ländern“ – aufgefordert, die Initiative „Züge der Hoff- lichen Zweck zugeführt werden. nung“ umzusetzen. Die Spezifizierung „insbesondere im Hinblick auf Kinder und Frauen“ und die Verteilung nach In den ersten Monaten dieses Jahres, von Januar bis April, dem Königsteiner Schlüssel sind eine Auskleidung des von waren wieder 15.000 Neuzugänge zu verzeichnen. Die uns vorgelegten Antrags. Auch die SPD drängt auf eine Entspannung in der Erstaufnahme und sicherlich auch das schnelle Lösung und Entscheidung. Nachlassen der medialen Berichterstattung dürfen uns aber doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche Vielleicht haben Sie heute schon die Nachrichten verfolgt: Herausforderung noch vor uns liegt, nämlich die Integrati- Aktualität gewinnt dieser Antrag durch die heutigen, er- on der hierhergekommenen Menschen – und vor allem der schreckenden Nachrichten, wonach die Polizei in Idomeni Menschen, die eine Bleibeperspektive haben. Dazu gehö- wieder Tränengas und Blendgranaten gegen die Flüchtlin- ren Wohnungsuche, Sprachkurse, Schule und Ausbildung. ge einsetzt, um sie am Weiterkommen zu hindern. Deshalb Das ist eine Aufgabe, die uns noch sehr, sehr viel abverlan- ist unseres Erachtens ein schnelles Handeln der Landesre- gen wird. Wir haben in Hessen schon viel geleistet, aber gierung erforderlich. die Herausforderungen sind nach wie vor groß. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen sage ich: Wir müssen die Menschen, die keine Deshalb bitten wir auch für unseren Antrag um eine direkte Bleibeperspektive haben, in ihr Heimatland zurückführen. Abstimmung. – Ich danke Ihnen. (Janine Wissler (DIE LINKE): Eine Rede voller (Beifall bei der LINKEN) christlicher Nächstenliebe!) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5173

Kommen wir noch zum Thema Bundesamt für Migration sellschaftlichen Zusammenhalts beschlossen hat. Das ha- und Flüchtlinge. Dort waren 176.000 Asylanträge aus dem ben wir deshalb getan, weil uns das Thema wichtig ist. letzten Jahr zu verzeichnen. 100.000 Entscheidungen wur- den in den ersten zwei Monaten dieses Jahres getroffen, und man ist nach wie vor dabei, diesen Berg an Anträgen Vizepräsidentin Heike Habermann: abzuarbeiten. Auch wir wollen, dass diese Anträge gründ- Frau Kollegin Wallmann, Sie müssen zum Schluss kom- lich bearbeitet werden, und wir wollen natürlich auch, dass men. sich die Bearbeitungszeiten positiv verändern. Zusätzliche Belastungen würden dieses Ziel konterkarieren. In genau dieser Gesamtgemengelage wird uns jetzt ein An- Astrid Wallmann (CDU): trag der LINKEN vorgelegt, die noch mehr Menschen ins Wir haben das getan, weil wir wollen, dass die Gesell- Land holen wollen, die noch mehr draufsatteln wollen und schaft nicht gespalten wird, sondern dass wir gemeinsam die mit Macht die Zugangszahlen nach oben treiben wol- einen Konsens finden. Dieser Aktionsplan ist ein ganz len. wichtiges Fundament zur Bewältigung dieser Herausforde- (Beifall bei der CDU – Hermann Schaus (DIE LIN- rung. KE): Die ein christliches Herz haben!) Es ist wichtig, dass wir die Zugangszahlen weiterhin spür- Das geht aus meiner Sicht an den Interessen unseres Lan- bar reduzieren. Fordern kann man stets leicht, überfordern des vorbei. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. aber auch. Ich rate dringend dazu, an dem europäischen Konsens, der mühsam erarbeitet worden ist, festzuhalten, (Beifall bei der CDU) und vor allen Dingen dazu, diesen erst einmal wirken zu Sie greifen in Ihrem Antrag eine Forderung von Gewerk- lassen, bevor man neue Forderungen erhebt. schaften und von globalisierungskritischen Organisationen, (Beifall bei der CDU – Janine Wissler (DIE LIN- unter anderem von Attac, auf. Sie wollen allen Ernstes KE): Das war mal wieder eine von christlicher freie Kapazitäten der Deutschen Bahn AG dafür nutzen, Nächstenliebe geprägte Rede! – Weitere Zurufe von aus Griechenland Flüchtlinge nach Deutschland zu trans- der LINKEN) portieren.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Wie schrecklich! Ei- Vizepräsidentin Heike Habermann: ne grauenvolle Vorstellung! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Damit sie nicht laufen müssen, denn Als Nächster spricht Kollege Rock, FDP-Fraktion. das ist wohl unwürdig!) Ich finde bei diesem Antrag, den ich durchaus als eine Pro- René Rock (FDP): vokation empfinde, zumindest eines bemerkenswert: Frau Präsidentin, sehr geehrten Damen und Herren! Frau (Lachen bei der LINKEN – Hermann Schaus (DIE Wallmann, zwischen dem Begehren der Fraktion der LIN- LINKE): Wahrscheinlich empfinden die Flüchtlinge KEN, das wir heute in Form eines Antrags im Rahmen ei- Ihre Rede als Provokation!) ner Aktuellen Stunde behandeln, und dem, was Frau Bun- dass Sie bezüglich des Wegs von Griechenland nach deskanzlerin Merkel im September letzten Jahres initiiert Deutschland – der ja durch viele sichere mögliche Aufnah- hat, sehe ich inhaltlich keinen großen Unterschied – außer mestaaten, z. B. Österreich, führt – inzwischen nicht mehr dass die LINKEN hier vortragen, dass die Menschen mit von einem „Fluchtweg“ sondern von einem „Reiseweg“ dem Zug transportiert werden sollen, statt laufen zu müs- sprechen. Das nehme ich interessiert zur Kenntnis. Wir sen. Das ist der einzige signifikante Unterschied. Daher lehnen diese Reisemöglichkeit nach Deutschland ab, weil kann ich Ihre Rede und Ihre Kritik an der Initiative der Deutschland die Hauptlast dieser historischen Herausforde- LINKEN nicht ganz nachvollziehen, denn diese entspricht rung alleine – oder zusammen mit nur wenigen – nicht tra- eigentlich der Politik Ihrer Kanzlerin. gen kann. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und bei Ab- (Beifall bei der CDU – Janine Wissler (DIE LIN- geordneten der SPD) KE): 3.000 Flüchtlinge für Hessen! – Weitere Zuru- Das ist sehr schade, denn der Antrag der LINKEN ist nach fe von der LINKEN) dem, was wir im letzten halben Jahr diskutiert haben, abso- – Ich habe eben von Deutschland gesprochen, Frau Wiss- lut diskussionswürdig. ler. (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was wollen Sie denn (Janine Wissler (DIE LINKE): Reden Sie doch zum jetzt?) Antrag!) – Herr Irmer, ich weiß nicht, ob Sie zu diesem Thema hier Deutschland hat nun einmal den Löwenanteil bei der Be- Zwischenrufe machen sollten. wältigung dieser Herausforderung übernommen. Das kön- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abge- nen Sie anhand der Zahlen kaum leugnen. ordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Janine Wissler (DIE LINKE): Nein, das haben Itali- NEN und der LINKEN) en und Griechenland getan! Sie haben keine Ah- Ich kann nur entsetzt feststellen, dass die Situation in Grie- nung! Griechenland hat die meisten Flüchtlinge auf- chenland, einem EU-Staat, desolat ist. Meine größte Be- genommen!) fürchtung ist, dass mittlerweile auch der EU-Staat Italien Hessen ist das einzige Bundesland, das einen Aktionsplan massiv unter Druck gerät. Ich wünsche mir deshalb, dass zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des ge- es die verantwortlichen Politiker diesmal schaffen – das 5174 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 sind nun einmal nicht die Landespolitiker, sondern das ist grationsangebote erhalten, damit die Probleme im Woh- eine Aufgabe des Bundes und der EU –, nicht wieder im nungsbereich gelöst werden. Das sind viele und große Her- Nachhinein feststellen zu müssen, was man hätte machen ausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Für den sollen, sondern jetzt zu erkennen, dass Europa Griechen- Rest müssen wir den Bund und die Europäische Union in land intensiv unterstützen muss, dass man Italien nicht al- die Pflicht nehmen. leinlassen darf, dass man intensiv helfen muss. (Beifall bei der FDP) Die zentrale Frage ist ja: War das, was Frau Merkel im September gemacht hat, tatsächlich richtig, oder war es falsch? Aus humanitären Gründen war es auf jeden Fall ei- Vizepräsidentin Heike Habermann: ne richtige Entscheidung. Aber wird sich das, was danach Danke schön. – Als Nächster spricht Kollege Bocklet, an Organisationsversagen, an politischem Versagen in der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Europäischen Union festzustellen war, wenige Monate da- nach wiederholen? Werden wir die Krise in Italien und in Griechenland wieder hinter einem österreichischen Schutz- Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zaun stehend betrachten, oder werden sich die EU und die Bundesrepublik Deutschland intensiv dafür einsetzen, dass Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! die Probleme vor Ort entschärft werden? Wenn wir wenige Herr Rock, zunächst zu Ihnen. Sie haben sehr intensiv Be- Hundert Leute nach Deutschland holen, ist das zwar eine zug auf die Rede von Frau Wallmann genommen. Sie ha- symbolische Tat, aber sie hilft den vielen Tausend Men- ben ihr am Ende inhaltlich recht gegeben, dass man eine schen nicht, die von dieser Krise betroffen sind. Es muss europäische Lösung braucht, und gesagt, dass auch Sie ei- einen schon erschüttern, dass an dieser Stelle so wenig Ge- gentlich nicht der Meinung sind, dass man 2.000 oder schlossenheit und so wenig gemeinsames Handeln in der 3.000 Menschen mit einem Zug nach Hessen holen sollte. EU festzustellen sind. (Widerspruch bei der LINKEN) Wir werden die Situation mit dem Einsatz eines Zuges Genau das hat Frau Kollegin Wallmann im Kern gesagt. nicht entschärfen können, sondern es handelt sich um eine Außerdem haben Sie gesagt: Wir müssen uns intensiv dar- europäische Herausforderung, die wir dort angehen müs- um kümmern, dass die 80.000 Menschen, die im letzten sen, wo sie anzugehen ist, nämlich in Europa – und zwar Jahr zu uns gekommen sind, tatsächlich gut versorgt wer- gemeinsam, nicht indem wir mit dem Finger auf Italien den. – Herr Rock, ich konnte nicht wirklich einen Dissens oder auf Griechenland zeigen, sondern indem wir dort hel- zwischen Ihren Aussagen und den Aussagen von Frau fen, wo die Menschen in Lagern leben. Das ist unsere Auf- Wallmann feststellen. gabe. Ich würde das Thema gerne abschichten. Wir haben im Wir tragen, das hat Herr Grüttner im Obleutegespräch an- letzten Jahr in Deutschland tatsächlich über 1 Million gedeutet, auch für die Flüchtlinge, die heute in Hessen le- Menschen aufgenommen. Das war eine immens große ben, eine große Herausforderung – in Form ihrer Integrati- Leistung – finanziell und sozial. Viele Zehntausende Men- on. Das wird uns noch viel Zeit und Energie kosten, und da schen haben sich dabei ehrenamtlich engagiert. müssen wir noch sehr, sehr viel tun. Das war wahrlich eine großartige Leistung, und es ist noch Von daher gesehen, glaube ich, dass der Antrag der LIN- längst nicht vorbei, nur weil einige Standorte der Erstauf- KEN eine wichtige Plattform bietet, um auszudrücken, nahmeeinrichtung jetzt nur noch zur Hälfte gefüllt sind. dass hier ein großes Versäumnis der EU, aber womöglich Auf viele Gemeinden kommt erst jetzt die Herausforde- auch ein großes Versäumnis der Bundesregierung festzu- rung zu, den Menschen über Sprache, Bildung und Unter- stellen ist, weil diese ihre Gestaltungsmöglichkeiten in kunft eine Integration in unsere Gesellschaft und eine Per- Brüssel nicht ausreichend ausübt. Ich höre nichts von In- spektive in unserem Land zu bieten. itiativen Deutschlands in Italien. Ich höre nichts von Initia- tiven in den Lagern in Griechenland. Das wäre aber eine (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Aufgabe, die nur europäisch zu lösen ist. bei Abgeordneten der CDU) Wir würden mit dem Einsatz eines Zuges vielleicht 100 Das sind die Herausforderungen, vor denen wir immer oder 1.000 Menschen helfen, aber nicht die Ursache des noch stehen. Es kommen auch in der Tat immer noch Problems bekämpfen. Darum glaube ich, dass wir weder Flüchtlinge zu uns. Jetzt sind es zwar nicht mehr 1.000, zuständig sind noch eine Lösung in der Form umsetzen sondern nur noch 50 Flüchtlinge pro Tag, aber es kommen können, wie es die LINKE vorschlägt. Man kann den Vor- immer noch welche. schlag aber auch nicht damit abtun, einfach zu sagen, es (Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den handle sich nicht um eine humanitäre Herausforderung. Ich Vorsitz.) glaube, der richtige Weg wäre, dass die EU in Italien und in Griechenland hilft, statt dass wir wenige Hundert oder Welche Probleme stellen sich aktuell immer noch? Wir ha- wenige Tausend Menschen hierher nach Deutschland ho- ben immer noch Bürgerkrieg in Syrien, wir haben immer len. noch Bürgerkrieg im Irak, und wir haben immer noch Bür- gerkrieg in Afghanistan. Noch immer fliehen die Men- (Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Man kann das ei- schen aus Eritrea, weil ihnen dort Folter droht. All diese ne machen, ohne das andere zu lassen!) Probleme sind immer noch nicht gelöst. Dabei wissen wir, Darum glaube ich, dass wir zwingend eine europäische Lö- dass das die Fluchtgründe der größten Flüchtlingsgruppen sung vorantreiben müssen, dass wir zwingend vor Ort hel- sind, die nach Deutschland kommen. Wir werden die fen müssen und dass wir uns zwingend um die Menschen Flüchtlingsströme nach Europa nur aufhalten können, kümmern müssen, die bei uns in Hessen sind, damit diese wenn es uns über die UNO und ein weltweites Engagement eine psychosoziale Betreuung bekommen, damit sie Inte- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5175 gelingt, diese Kriege zu beenden. Dann müssen die Men- ren aktuellen Beitrag nachdenken: ob wir diesen akut ge- schen nicht mehr flüchten. fährdeten Menschen helfen können. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Ich spreche mich also nicht dafür aus, willkürlich 3.000 bei Abgeordneten der CDU) Menschen aus Griechenland zu holen; denn ich glaube, das würde wieder eine Magnetwirkung erzeugen. Dann wird es Zu Menschen, die sich auf der Flucht befinden, darf es nicht bei diesen 3.000 Menschen bleiben. doch in diesem Haus keine zwei unterschiedlichen Mei- nungen geben. Menschen auf der Flucht muss geholfen (Janine Wissler (DIE LINKE): Der Hochschwange- werden. Man muss dafür sorgen, dass sie in einem medizi- ren im Schlamm würde es helfen!) nischen Zustand sind – dazu gehört auch die humanitäre Frau Kollegin Wissler, dann würden wir die Hoffnung Hilfe –, bei dem man davon ausgehen kann, dass ihr Über- wecken, dass es nicht bei diesen 3.000 Menschen bleibt. leben gesichert ist und dass es ihnen nicht dreckig geht. Deswegen müssen wir in diesem Saal alle dafür stehen, (Janine Wissler (DIE LINKE): Wenn das jedes Bun- dass Menschen auf der Flucht geholfen wird. Darüber soll- desland machen würde, ginge es doch!) ten wir uns einig sein. – Frau Kollegin Wissler, lassen Sie mich doch erst einmal (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Gedanken ausführen. – Dann wären es nicht nur 3.000, bei Abgeordneten der CDU) sondern 30.000 oder noch mehr. In einem nächsten Schritt stellen wir fest, dass die West- balkanroute geschlossen ist. Das kann man unterschiedlich Vizepräsidentin Ursula Hammann: bewerten. Jedenfalls ist für Deutschland zunächst einmal eine Entlastung eingetreten; denn es kommen weniger Herr Kollege, ich muss Sie an die Redezeit erinnern. Menschen hierher. Aber wir müssen auch konstatieren, dass die Probleme dadurch nicht weniger geworden sind. Die Menschen sitzen jetzt nämlich in Griechenland fest. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Ja. – Deswegen sage ich Ihnen: Es wird keine Lösung sein, bei Abgeordneten der CDU) willkürlich Menschen aus Griechenland zu holen. Wenn sie jetzt in Griechenland sitzen, heißt das nicht per (Janine Wissler (DIE LINKE): Dann lassen Sie die se, dass wir keine Probleme mehr haben. In der „Tages- Schwangere im Schlamm!) schau“ oder in anderen Medien sehen wir tagtäglich die Als GRÜNE sind wir aber der festen Überzeugung, dass Bilder: Dort sitzen Hochschwangere im Schlamm, dort sit- wir den Menschen in diesen Lagern helfen müssen. Das zen Kriegsversehrte in Zelten, und dort leben Schwerkran- Land Hessen hat das übrigens schon dokumentiert: Wir ha- ke unter unzumutbaren Zuständen in Zeltstädten an der ben schon mehrfach Sonderkontingente identifiziert; den- Grenze, weil sie hoffen, nach Europa zu kommen, obwohl ken Sie an die Menschen aus dem Kosovo oder an die Jesi- ihnen jeden Tag gesagt wird: Ihr kommt hier nicht mehr den. durch.

Das ist eine Situation, über die wir uns unterhalten müssen. Vizepräsidentin Ursula Hammann: Egal welche Vision wir haben bzw. welcher Ideologie oder Überzeugung wir anhängen, wir müssen uns darüber einig Letzter Satz, bitte. sein, dass eine solche Situation mit dem Humanismus, an dem sich der Kontinent Europa ausrichtet, überhaupt nicht verträglich ist. Wir müssen aus dem Blickwinkel der Men- Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schen sagen: In diesen Flüchtlingslagern in Griechenland Ein letzter Gedanke. – Wir haben beschlossen, dass Son- muss etwas passieren. derkontingente erforderlich sind, um einer in akuter Not (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und befindlichen Menschengruppe – Schutzbedürftige, bei Abgeordneten der CDU) Schwangere, Kranke aus diesen Lagern – zu helfen. Wir sind der Meinung, wir sollten gemeinsam mit den anderen Der erste Schritt dorthin ist – das ist zugleich der wichtigs- Bundesländern die Bundesregierung auffordern, unmittel- te –, dass wir eine Bundesregierung haben, die sich inten- bar eine Lösung zu finden, damit wir schutzbedürftigen siv für eine europäische Kontingentlösung einsetzt. 500 Gruppen aus den Flüchtlingslagern eine direkte Perspekti- Millionen Menschen leben in der EU. Weit über 20 Staaten ve bieten können. gehören der Europäischen Union an. Wenn es uns gelingt, eine gute Verteilquote für diese Flüchtlinge hinzubekom- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und men, werden wir keine sozialen und keine Integrationspro- bei Abgeordneten der CDU – Janine Wissler (DIE bleme haben, sondern wir werden diese Flüchtlinge gut in- LINKE): Dann machen wir erst einmal nichts!) tegrieren können. Das muss unser erstes Ziel sein. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Vizepräsidentin Ursula Hammann: bei Abgeordneten der CDU) Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Als nächste Redne- In einem zweiten Schritt dürfen wir nicht die Augen vor ei- rin hat sich Kollegin Öztürk zu Wort gemeldet. Sie haben nem aktuellen Elend verschließen. Ich appelliere an alle in zweieinhalb Minuten Redezeit. Bitte schön. diesem Saal, sich die Situation genau anzuschauen. Wenn wir die Menschen in Idomeni oder in anderen unzurei- chend ausgestatteten Lagern sehen, müssen wir in Europa – und in Deutschland als einem Teil Europas – über unse- 5176 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Mürvet Öztürk (fraktionslos): Mürvet Öztürk (fraktionslos): Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, sehr ge- Daher sage ich: Wer für legale Wege eintritt, darf Initiati- ehrte Kolleginnen und Kollegen im Hessischen Landtag! ven wie die „Züge der Hoffnung“ nicht einfach vom Tisch Es funktioniert nicht, dass wir auf der einen Seite die Zu- wischen. Vielmehr wünsche ich mir eine große Unterstüt- stände in Idomeni beklagen und auf der anderen Seite hier zung unseres Antrags. Das wäre ein starkes Signal unseres so tun, als ob wir gar keine Abhilfe schaffen könnten. Das Hauses nach außen, sowohl für Humanität als auch für ist scheinheilig; das ist einfach an der Realität vorbeidisku- europäische Solidarität. – Danke schön. tiert. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen wünsche ich mir heute aus diesem Haus ein kla- res Signal für die Initiative „Züge der Hoffnung“: dafür, dass legale Wege von Griechenland nach Hessen geschaf- Vizepräsidentin Ursula Hammann: fen werden. Meine Damen und Herren, das ist eine ernst- Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk. – Als nächster Redner hafte Politik, die ich von Ihnen erwarte. hat sich Kollege Roth von der SPD-Fraktion zu Wort ge- (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der meldet. Bitte schön, Herr Kollege Roth, Sie haben das SPD) Wort. Wir können uns auch nicht darüber beklagen, dass wir im letzten Jahr von der Flüchtlingskrise überrollt worden wä- Ernst-Ewald Roth (SPD): ren und überhaupt nicht hätten einschätzen können, dass sich diese Menschen in Massen zu uns auf die Flucht bege- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zu dieser Ak- ben würden. In den letzten acht bis neun Monaten haben tuellen Stunde liegen drei Anträge vor. Der älteste Antrag wir alle zusammen versucht, in Hessen Strukturen zu ist der der LINKEN, der jüngste ist der der Koalition, und schaffen, Erstaufnahmeeinrichtungen zu etablieren und vor mittendrin liegt der, den wir eingebracht haben. Ich will allem viele ehrenamtlichen Initiativen zu unterstützen, die mich an den drei Anträgen abarbeiten, weil ich glaube, es sich für die Flüchtlinge einsetzen wollen. ist diesem Thema angemessen, an dieser Stelle nicht über alles und jedes zu diskutieren. Jetzt haben wir die Situation, dass in Griechenland ca. 50.000 Menschen festsitzen und dass die 10.000 Menschen Wir haben in der Vergangenheit in diesem Haus oft und in Idomeni, auch aus ihrer Verzweiflung heraus, langsam lange über die Flüchtlingssituation gesprochen. Das war anfangen, sich mit den griechischen Sicherheitskräften an- angemessen, das war gut, und wir sind zu vielen fraktions- zulegen. Dass die Menschen dort – Schwangere, Alte, übergreifenden Aktivitäten und auch Entscheidungen ge- Frauen, Kinder – anstehen müssen, um Nahrung zu be- kommen. Darauf können wir in diesem Parlament stolz kommen, ist eine Situation, die viele Menschen in Hessen sein. berührt, und viele hessische Bürgerinnen und Bürger wün- (Beifall bei der SPD) schen sich, dass wir eine Initiative „Züge der Hoffnung“ unterstützen, also für diese Menschen legale Wege nach Wenn es das alles nicht gegeben hätte, wäre es falsch, sich Deutschland schaffen. in einer Aktuellen Stunde anhand von Fünf-Minuten-Spots mit der Flüchtlingssituation, wie sie sich darstellt, ausein- Wir können uns dann nicht hierhin stellen und auf der andersetzen zu wollen. Eines haben die drei vorliegenden einen Seite darüber reden – z. B. in der Aktuellen Stunde Anträge gemeinsam: Es geht jeweils um Flüchtlinge. Dann des letzten Plenums –, wie wir Wählerinnen und Wähler ist die Gemeinsamkeit, glaube ich, aber auch schon am En- zurückgewinnen können, die wir an die AfD verloren ha- de. Darin, wie damit umzugehen ist, unterscheiden sich die ben, und auf der anderen Seite Wählerinnen und Wähler, Anträge doch sehr. die die humanitäre Hilfe hochhalten wollen, einfach beisei- teschieben. Meine Damen und Herren, das geht nicht. Ich beginne mit dem zuerst eingebrachten, dem der LIN- KEN, der ein voll zu unterstützendes Anliegen aufgreift. (Beifall bei der LINKEN) Aber er hat einen Schwachpunkt: Er würde Hessen, wie er Ich möchte, dass wir die Kapazitäten, die wir geschaffen formuliert ist, isolieren. Er fordert die Landesregierung haben, auch für humanitäre Zwecke nutzen: um die Men- auf, und das wäre, glaube ich, eine falsche Botschaft. schen in Griechenland, allein schon aus Solidarität mit un- Der Antrag der Koalition drückt sich im dritten Punkt, serem Nachbarland in Europa, dabei zu unterstützen, diese glaube ich, um diese Frage – in Bezug auf die menschliche Flüchtlinge auf legalem Weg hierherzuholen. Wenn wir Katastrophe, die nicht irgendwo ist, sondern im Herzen auf der Grundlage des Königsteiner Schlüssels die Zahl Europas. Von daher hat dieser Antrag oder diese Proble- von 50.000 Flüchtlingen auf die Bundesländer herunterbre- matik zutiefst mit der Diskussion innerhalb der zweiten chen, stellen wir fest, dass ungefähr 3.600 Leute in Hessen Aktuellen Stunde heute zu tun. Wenn etwas dran ist, dass aufgenommen werden können. Daher haben wir geschrie- wir der menschlichen Katastrophe angemessen begegnen ben, es sollten mindestens 3.000 Menschen aufgenommen wollen, müssen wir das Zeichen setzen, auch selbst aktiv werden. Nur dann werden wir, wie es z. B. die GRÜNEN- zu werden, und das nicht nur anderen anraten. Chefin Simone Peter oder auch der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow, gesagt haben, unserer humani- (Beifall bei der SPD) tären Verpflichtung gerecht. Damit komme ich zu unserem Antrag mit der Zielsetzung, dass Menschen, die derzeit in Griechenland in dieser Ka- tastrophe leben, geholfen wird – aber nicht isoliert von uns Vizepräsidentin Ursula Hammann: oder weggeschoben auf die Bundesebene oder eine euro- Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. päische Lösung; wir machen uns vielmehr selbst zum Ak- teur und nehmen andere mit ins Boot. Die Initiative „Das Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5177

Land Hessen wird aktiv“ holt andere Bundesländer mit liches. Da sind wir im Moment mit Standortkonzepten und hinein, und ich hoffe, die Bundesregierung wird es schaf- Ähnlichem dabei, eben in eine Konsolidierungsphase ein- fen, auch die europäische Ebene an diesem Unterfangen zu zutreten. Das trifft übrigens auch die Städte und Gemein- beteiligen. Dann lösen wir nicht sofort die Flüchtlingsfrage den, die ebenfalls noch mit den Flüchtlingsherausforderun- – wer ist so vermessen, sie auf einen Schlag lösen zu wol- gen, die sich im vergangenen Jahr ergeben haben, umge- len? –, aber eine menschliche Katastrophe mitten in Euro- hen müssen. pa wird wenigstens gemildert. Wir haben mittlerweile die Situation, dass wir bei der Re- Das ist unser Auftrag. Deshalb werden wir – das ergibt gistrierung, und zwar bei der wertigen Registrierung, vor- sich aus dem, was ich gesagt habe – den beiden Anträgen ankommen. Aber auch da müssen wir noch konsolidieren der LINKEN und der Koalition nicht zustimmen. Wir wer- und das aufholen, was wir im vergangenen Jahr aufgrund den uns da enthalten und unseren Antrag in die Ausschüsse der hohen Zugangszahlen nicht geschafft haben. verweisen, damit wir dort in einem geordneten Verfahren Wir sind noch dabei, das Bundesamt zu ertüchtigen, das die Lösung herbeiführen, die wir angesichts dieser Situati- die Fälle der Flüchtlinge am Ende mit Asylanträgen und on dringend brauchen. – Danke schön. Ähnlichem verwaltungsmäßig behandeln muss. Das alles (Beifall bei der SPD) tun wir im Moment in dieser Konsolidierungsphase. Diese Konsolidierungsphase ist uns ermöglicht, weil wir die Si- tuation haben, dass wir durch das Abkommen mit der Tür- Vizepräsidentin Ursula Hammann: kei und auch dadurch, dass die Balkanroute faktisch zu ist, Vielen Dank, Herr Kollege Roth. – Für die Landesregie- nur noch reduzierte Zugangszahlen haben. Heute waren es rung spricht nun Staatsminister Beuth. Bitte schön, Sie ha- 135, aber im Mai waren es im Durchschnitt 53, und im ben das Wort. April waren es 48. Das ermöglicht uns, zu konsolidieren. Ich finde schon, dass wir uns darauf einigen sollten, dass die Norm der Humanität eben nicht nur ein hessischer und Peter Beuth, Minister des Innern und für Sport: nicht nur ein deutscher Wert, sondern auch ein europäi- Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! scher Wert ist. Das bindet uns in die Verpflichtung ein, den Ich will das aufgreifen, was Kollege Roth gerade gesagt Griechen wie auch immer beizustehen und zu helfen – hat, indem ich ihm entgegensetze: Hessen hat bereits Zei- nicht indem wir Flüchtlinge aufnehmen, sondern indem chen gesetzt. Kollege Bocklet sagt zu Recht, Menschen auf wir ihnen dabei Unterstützung angedeihen lassen, wie sie der Flucht muss geholfen werden. Das, finde ich, haben mit der Grenzsicherung und möglicherweise auch mit Hessen und Deutschland im vergangenen Jahr unterstri- Flüchtlingslagern umgehen. Das tun wir bereits. Das tun chen. Wir können sehr stolz darauf sein, dass Deutschland wir auch als Hessen, indem wir beim Thema Grenzsiche- und Hessen ein solches Zeichen der Menschlichkeit und rung hessische Polizeibeamte abstellen, die mit dafür Sor- Humanität gezeigt haben, wie das im vergangenen Jahr der ge tragen, dass wir die Außengrenzen von Schengen ent- Fall war. sprechend sichern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen, diese Bilder aus NISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Mürvet Idomeni müssten nicht sein. Wir haben in Griechenland Öztürk (fraktionslos)) bereits Flüchtlingslager, in denen die Menschen eine Un- terbringung finden können. Sie gehen aber nicht hin, weil Wenn Kollege Bocklet sagt, dass wir die Fluchtursachen sie sich erhoffen, dass irgendwie die Grenze in Mazedoni- bekämpfen müssen, ist das sicherlich der wesentliche Teil, en geöffnet wird. Das wird nach meiner vorsichtigen Ein- den wir erreichen müssen: in den nächsten Monaten und schätzung zumindest in absehbarer Zeit nicht passieren. Jahren dafür Sorge zu tragen, dass sich die Menschen nicht mehr auf den Weg machen müssen, um vor Elend, Krieg Deswegen, glaube ich, ist es am Ende auch wichtig, dass und Ähnlichem zu fliehen. wir deutlich machen: Wir haben im Moment die Konsoli- dierungsphase im eigenen Land der Situation zu verdan- (Willi van Ooyen (DIE LINKE): Was wir angestellt ken, dass wir ein Abkommen mit der Türkei gefunden ha- haben!) ben und am Ende die Balkanroute zu ist. Eines ist nämlich klar: Wir werden in Hessen und in (Zurufe von der LINKEN) Deutschland nicht all das erledigen können, was durch Krieg und durch Verfolgung in vielen Staaten auf diesem Dies ermöglicht uns, dass wir konsolidieren – das tun wir – Planeten bereits heute geschieht. Wir werden das Elend und dass wir unserem europäischen Partner helfen, am En- nicht allein bei uns in Deutschland bekämpfen können. de eine besondere Herausforderung zu stemmen. Das ist für uns eher eine Selbstverständlichkeit. Ich wünschte mir, (Janine Wissler (DIE LINKE): Dann machen wir diese Selbstverständlichkeit würde für alle anderen euro- besser gar nichts!) päischen Partner ebenfalls gelten. – Vielen Dank. Wir müssen dann schon sehen, dass wir, nachdem wir im (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE vergangenen Jahr wirklich Großartiges in unserem Lande GRÜNEN) geleistet haben, im Moment in einer Phase der Konsolidie- rung sind, auch was diese Flüchtlingsangelegenheiten an- geht. Vizepräsidentin Ursula Hammann: (Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE)) Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Es liegen keine weite- Ich sage ausdrücklich „Konsolidierung“. Es ist in einigen ren Wortmeldungen vor. Damit stelle ich fest, dass die Ak- Redebeiträgen angesprochen worden: das Thema, wie wir tuelle Stunde der LINKEN abgehalten ist. mit unseren Unterbringungskapazitäten umgehen und Ähn- 5178 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Wir kommen zu den dazugehörenden Anträgen. Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Über Tagesordnungspunkt 64 wird abgestimmt: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Unseren Setz- punkt haben wir wohlüberlegt gewählt. In den letzten Mo- Dringlicher Antrag der Abg. Cárdenas (DIE LINKE) naten hat es so viel geballte Wut und Enttäuschung vonsei- und Fraktion und der Abg. Öztürk (fraktionslos) be- ten der Lehrerinnen und Lehrer, der Schülerinnen und treffend Initiative „Züge der Hoffnung“ – Drucks. Schüler und der Eltern gegeben, dass es in der Tat an der 19/3390 – Zeit ist, sich mit den verschiedenen Missständen auch und vor allem an Grundschulen auseinanderzusetzen. Es ist Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den aber gar nicht so leicht, überhaupt einen Anfangspunkt zu bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion DIE finden. Wo sollen wir beginnen? – Bei den Überlastungs- LINKE. Wer stimmt dagegen? anzeigen der Lehrerinnen und Lehrer, die schon seit Jahren (Mürvet Öztürk (fraktionslos): Halt!) mit öffentlichen Hilferufen auf sich aufmerksam machen, da sie im Kultusministerium kein Gehör finden? Das allein – Wie bitte? Entschuldigen Sie bitte, Frau Kollegin. – wäre Grund genug. Bei den stetig fortschreitenden Kürzun- Auch Frau Kollegin Öztürk stimmt zu. Wer stimmt dage- gen im Bereich der Inklusion, die sich seit mehr als 15 Jah- gen? – Das waren die Fraktionen von CDU, BÜNDNIS ren auf sämtlichen Ebenen, und zwar entgegen allen Ver- 90/DIE GRÜNEN und FDP. Wer enthält sich? – Das ist lautbarungen des Kultusministeriums, konsequent fortset- die Fraktion der SPD. Damit ist dieser Antrag abgelehnt. zen? Bei dem stagnierenden Ausbau echter Ganztags- (Dr. Ulrich Wilken: Sehr bedauerlich!) schulen nach dem Profil 3, von denen wir in Hessen nach wie vor kaum welche vorfinden? Bei der Nullrunde der Mir wurde mitgeteilt, dass Tagesordnungspunkt 73: Beamtinnen und Beamten, von der in Hessen etwa 50.000 Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der Lehrkräfte betroffen sind? Liebe Kolleginnen und Kolle- CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend gen, diese Liste lässt sich leider über Seiten hinweg fort- Flüchtlinge in Deutschland und Europa menschenwür- führen. Wir haben uns entschieden, die aktuellsten dig aufnehmen und versorgen – Drucks. 19/3412 – Missstände zu thematisieren. Vorweg: Ihnen, Herr Kultusminister, wird nicht zu Unrecht sowie Tagesordnungspunkt 66: ein Zickzackkurs vorgeworfen. Ich weiß nicht, ob Sie per- Dringlicher Antrag der Abg. Merz, Alex, Decker, Di sönlich zu Schnellschüssen neigen oder einfach schlecht Benedetto, Gnadl, Roth, Dr. Sommer (SPD) und Frak- beraten werden, aber dieses Hin und Her der letzten Mona- tion betreffend „Züge der Hoffnung“ – Drucks. te hätte den Betroffenen erspart bleiben können. Ich rede 19/3400 – nun nicht nur von den geplanten Kürzungen bei den Stel- lenzuweisungen für die Grundschulen und Oberstufen, die federführend an den Sozial- und Integrationspolitischen zumindest für die gymnasialen Oberstufen wieder vom Ausschuss überwiesen werden soll. Mitberatend ist der In- Tisch sind. Hier haben Sie beinahe ein Jahr nach dem Be- nenausschuss. – Dann machen wir das so. Vielen Dank. kanntwerden der Pläne eingelenkt, weil all die Befürchtun- gen, die die Schulen sofort nach dem Bekanntwerden geäu- Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ßert haben, keineswegs Hirngespinste waren, wie es die ich noch eine ehemalige Kollegin von uns begrüßen. Sie Landesregierung so gern hingestellt hat. Nein, sie waren sitzt auf der Besuchertribüne, wie ich festgestellt habe. begründet. Tatsächlich ging es in den gymnasialen Ober- Liebe Karin Neipp, herzlich willkommen. stufen um die Aufrechterhaltung auch kleinerer und spezi- (Beifall) fischer Kurse und um eine erträgliche Kursgröße. Herr Kultusminister, hätten Sie auf diejenigen gehört, die unmit- Auch möchte ich den ehemaligen Kollegen Hans-Dieter telbar von den Kürzungen betroffen waren, hätten Sie sich Schnell ganz herzlich im Landtag begrüßen. und den Betroffenen ein Jahr Wut und Empörung sowie (Beifall) Hunderte von Beschwerdebriefen ersparen können. Nun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 37: (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Sicherung Ersparen sollten Sie sich, nicht nur um Ihrer selbst willen, der Aufgaben von Grundschulen in Hessen – Drucks. unbedingt auch die Kürzungen der Förderstunden an den 19/3366 – Grundschulen, (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Dieser wird aufgerufen mit Tagesordnungspunkt 72: die einen Umfang von 140 wegfallenden Stellen zur Folge Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend haben werden. Herr Kultusminister, wenn Sie schon ein- Bildungsgerechtigkeit von Anfang an – Grundschulen knicken, dann auch richtig: Nehmen Sie auch diese Kür- als ganztägige inklusive Bildungseinrichtungen brau- zungen zurück, denn die Förderstunden sind wichtig. Sie chen eine finanziell und personell den Anforderungen bieten einzelnen Kindern schon zu Beginn ihrer Schullauf- entsprechende Ausstattung – Drucks. 19/3411 – bahn in kleinem Rahmen individuelle Förderung an. Bei Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. – Es liegt diesen Kürzungen wird unter anderem unseres Erachtens mir jetzt die Wortmeldung des Antragstellers vor. Frau an einem völlig falschen Hebel angesetzt; denn ausgerech- Kollegin Cárdenas, Sie haben das Wort. net die Kinder schulisch weiter auszugrenzen, die Hilfe brauchen, ist, kurz- und langfristig gesehen, ziemlich dumm. Dummheit an Schulen auch noch zu befördern, sollte nicht unbedingt das Geschäft des zuständigen Kul- tusministers sein. Da werden Sie mir sicher recht geben. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5179

(Beifall bei der LINKEN) soldung der Grundschullehrkräfte von A 12 auf A 13 anzu- heben. Ich danke an dieser Stelle der SPD für die Einrei- Würdigen Sie also bitte die Arbeit an den Grundschulen, chung der Kleinen Anfrage zu genau diesem Thema, näm- statt sie abzustrafen. Jedoch sind dies nicht die einzigen lich der Besoldung von Grundschullehrkräften. Stellschrauben. Besonders deutlich wurde Ihr Zickzack- kurs bei den etwa 6.000 eingeleiteten Disziplinarverfahren (Armin Schwarz (CDU): Machen Sie doch einmal gegen Ihre eigenen Lehrerinnen und Lehrer. einen Vorschlag! Stellen Sie einmal einen Haus- haltsantrag!) (Alexander Bauer (CDU): Zu Recht!) Aber es gibt noch weitere Baustellen. Wie schon erwähnt, Am 16. Juni des vergangenen Jahres gingen genau diese bleiben Ganztagsschulen Mangelware. Stattdessen werden auf die Straße, um sich gegen die Nullrunde in der Beam- Ressourcen in den unsäglichen Pakt für den Nachmittag tenbesoldung zur Wehr zu setzen. Neben all den zusätzli- gesteckt, der eine die Eltern und die Städte und Kommu- chen Aufgaben, die in den letzten Jahren an die Schulen nen belastendende Mogelpackung ist und bleibt. herangetragen wurden, neben der deutschlandweit höchs- ten Arbeitszeit aufgrund der 42-Stunden-Woche mussten (Alexander Bauer (CDU): Was für ein Quatsch!) die verbeamteten Lehrerinnen und Lehrer in Hessen auch Nicht nur das, er bremst den Ganztagsschulausbau aus. noch hinnehmen, dass die Erhöhung ihrer Besoldung aus- gesetzt wurde. Die Wut und Enttäuschung, die dort ausge- (Armin Schwarz (CDU): So ein Quatsch! Gehen Sie drückt wurden, ist für uns mehr als verständlich. Herr Kul- doch einmal an die Schulen!) tusminister, und was tun Sie? – Sie holen in einzigartiger Manier die große Keule heraus und leiten gegen Ihre eige- Dabei fordert selbst die Ihnen so nahestehende oder viel- nen Leute Disziplinarverfahren ein. leicht nicht mehr so nahestehende Bertelsmann Stiftung, das kann ich nicht richtig beurteilen, nicht erst seit gestern (Alexander Bauer (CDU): Beamte dürfen nun mal – wir hatten im letzten Jahr einen gemeinsamen parlamen- nicht streiken! Man kann ja auch Angestellter blei- tarischen Abend, wo das noch einmal gefordert wurde – ben!) ein Recht auf einen Ganztagsschulplatz. Gehen Sie diese Baustelle endlich richtig und grundlegend anders an, statt Das halten wir für unglaublich. nur herumzumurksen, Herr Kultusminister. (Beifall bei der LINKEN – Armin Schwarz (CDU): (Beifall bei der LINKEN) Es wird keiner gezwungen, Beamter zu werden! Es kann jeder Angestellter bleiben!) Insgesamt möchten wir Sie auffordern, der Landesschüler- vertretung, die so lange auf ein Gespräch mit Ihnen warten Auch diese sind nun erst einmal vom Tisch, nach ebenfalls musste, den Elternvertretungen aller Schulen, von den beinahe einem Jahr, aber vergessen werden sie nicht, da Grundschulen bis zu den Berufsschulen, die sich im Lan- können wir sicher sein. Wirklich perfide daran ist, dass die deselternbeirat zusammengeschlossen haben, und natürlich Lehrkräfte abgestraft wurden, weil angeblich kein Geld da den Experten für Schule, Ihren eigenen Leuten, den hessi- war. Dennoch war innerhalb kürzester Zeit Geld da schen Lehrerinnen und Lehrern, die höchst engagiert eine (Holger Bellino (CDU): Was heißt denn hier „perfi- äußerst gute Arbeit leisten, endlich Gehör zu schenken. de“?) Wenn immer mehr Lehrerinnen und Lehrer von nicht mehr zu ertragenden Arbeitsbedingungen, von völliger Überlas- – Herr Bellino –, um Juristen einzustellen, die die Verfah- tung berichten, dann seien Sie alarmiert, denn sie sprechen ren bearbeiten. auch im Interesse der Kinder und ihrer Eltern. (Beifall bei der LINKEN – Alexander Bauer (CDU): (Alexander Bauer (CDU): Nie gab es weniger Schü- Das ist strafbar! Beamte dürfen nicht streiken!) ler und mehr Lehrer!) Herr Kultusminister, wir fordern auch hierzu eine Kehrt- Suchen Sie bitte frühzeitig das Gespräch, statt die Schotten wende von Ihnen. Nicht nur ist der vorliegende Gesetzent- erst einmal dicht zu machen und sich hinter den Mauern wurf zur Beamtenbesoldung völlig inakzeptabel, nein, des Kultusministeriums zu verkriechen, nach dem Motto: auch die Eingruppierung von Grundschullehrkräften ist Mal sehen, ob sich der Sturm eventuell von alleine legt. doch unbedingt reformbedürftig. In den Grundschulen wer- den die Grundsteine gelegt. Noch sind die Kinder nicht Herr Lorz, Sie sind ein kluger Mann, Sie wissen, dass vor- nach angeblicher Begabung oder Eignung getrennt. Die ausschauendes Denken und Handeln so manchen Zick- Arbeit ist so vielfältig und muss so differenziert angelegt zackkurs überflüssig machen könnte. Mittelfristig – das werden, wie auch die jungen Schülerinnen und Schüler möchte ich auch noch anschließen – sollten Sie sich einmal vielfältig sind. Wenn die Möglichkeiten, die das gemeinsa- überlegen, wie Sie die Bundesebene stärker in die Verant- me Lernen über alle Unterschiede hinweg und das gemein- wortung nehmen könnten. Ich sage nur: Kooperationsver- same Leben in gut ausgestatteten und die Eltern entlasten- bot aufheben. – Ich danke Ihnen. den Ganztagsgrundschulen bieten könnten, wenigstens (Beifall bei der LINKEN) schon in den ersten vier Jahren genutzt werden könnten – zu einem längeren gemeinsamen Lernen werden Sie sich sicherlich nicht durchringen können –, dann hätten wir zu- Vizepräsidentin Ursula Hammann: mindest eine Basis gelegt, auf der sich das weitere Lernen eventuell entspannter und individuell erfolgreicher abspie- Danke, Frau Kollegin Cárdenas. – Als nächste Rednerin len könnte. spricht nun Frau Kollegin Hartmann von der SPD-Frakti- on. Bitte schön Frau Kollegin, Sie haben das Wort. Diese wichtige Arbeit der ersten vier Jahre in der Schule muss endlich gewürdigt und damit angemessen bezahlt werden. Es ist unseres Erachtens längst an der Zeit, die Be- 5180 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Karin Hartmann (SPD): derungen, die von allen Fraktionen nach dem PISA-Schock von 2001 vorgebracht wurden. An dieser Forderung sollten Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe wir uns messen lassen. Kollegen! In unserer heutigen Debatte über die Situation von Grundschulen kommen wir an folgenden Fakten nicht Bislang hat sich bezüglich der Verbesserung der Arbeitsbe- vorbei. dingungen an hessischen Grundschulen nur wenig getan. Die Klagen von Lehrerverbänden prallen offensichtlich Erstens. Die gesellschaftlichen Erwartungen und die zu- ebenso an dem Kultusminister ab wie Überlastungsanzei- sätzlichen Aufgaben und Belastungen haben an keiner gen, Rückgaben von Funktionsstellen und Schwierigkeiten Schulform in den zurückliegenden Jahren so zugenommen bei der Besetzung von Funktionsstellen, insbesondere von wie an Grundschulen. Es ist absehbar, dass mit der Umset- Konrektorstellen. zung von Inklusion und Integration und von Ganztagsange- boten noch weitere große Herausforderungen auf die Diese Problematik kommt doch nicht von ungefähr. Ich bin Grundschulen zukommen. der Auffassung, dass Grundschulen sich noch viel stärker als andere Schulen mit neuen Herausforderungen auseinan- (Beifall bei der SPD) dersetzen müssen. Sie haben dafür leider nicht die notwen- Zweitens. An keiner anderen Schulform ist der Prozentsatz digen Gestaltungsräume. Die zur Verfügung gestellten De- von Frauen so viel höher als von Männern. Die Eingrup- putatstunden für Schulleitungsaufgaben können dem nicht pierung hingegen und die damit verbundene gesellschaftli- gerecht werden, was an Mehraufgaben auf die Lehrkräfte che Wertschätzung sind an Grundschulen deutlich schlech- zukommt. ter als an allen anderen Schulformen. Selbst an kleinen Grundschulen ist die Schulleitung mit ei- Drittens. Grundschulen sind die einzigen Schulen für alle nem enorm gewachsenen Verwaltungsaufwand verbunden. Kinder. Sie beweisen tagtäglich, dass sie auch ohne Selek- Die etwas bessere Vergütung von Funktionsstellen stellt tion eine hervorragende Bildungsarbeit leisten können. meines Erachtens keine gute Grundlage für den damit ver- bunden tatsächlichen Mehraufwand dar. Auch in internationalen Bildungsvergleichen hat es sich niedergeschlagen und Grundschulen haben es mehrfach Es ist deswegen an der Zeit, im Rahmen der Diskussion unter Beweis gestellt, dass sie mit einer sehr heterogenen bezüglich einer Reform der Lehrerausbildung endlich mit Schülerschaft sehr erfolgreich fachliche Basiskompeten- der tradierten Vorstellung aufzuräumen, dass die Besol- zen, soziale und personale Kompetenzen und Methoden- dung umso kleiner sein darf, je jünger die Kinder sind. kompetenzen vermitteln können. Gleichzeitig können sie (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Alexander die Kinder sehr gut auf die weiterführenden Schulen vor- Bauer (CDU)) bereiten. Ich befürchte, dass wir mit dieser Erkenntnis und dieser (Beifall bei der SPD) Forderung bei den Regierungsfraktionen wieder einmal auf Es ist unstrittig, dass der von den Regierungsfraktionen so taube Ohren stoßen werden. hochgelobte Pakt für den Nachmittag den Grundschulen (Alexander Bauer (CDU): Dann machen Sie einen zwar ein bisschen mehr an Betreuung bringt, aber von ei- Finanzierungsvorschlag!) nem sinnvoll pädagogisch durchgestalteten Ganztagskon- zept, das eine Rhythmisierung des Unterrichts ermöglicht, Lassen Sie mich noch einmal auf die Punkte, die ich ein- noch sehr weit entfernt ist. gangs genannt habe, eingehen. Frühkindliche Bildung, Er- ziehung und Betreuung fallen zwar in die gemeinsame Zu- Bislang lassen die gesellschaftliche Wertschätzung und die ständigkeit von Familien, Kindertagesstätten und Grund- Lobbyarbeit für Grundschulen leider zu wünschen übrig. schulen. In der Realität verlassen sich aber zunehmend Entgegen den Erkenntnissen von Bildungsforschern wird mehr Familien darauf, dass Kindertagesstätten und Grund- die Arbeit von Grundschullehrkräften ebenso wie die von schulen dem Erziehungsauftrag Rechnung tragen, den sie Erzieherinnen und Erziehern leider immer noch als weni- eigentlich als Familie zu übernehmen hätten, geschweige ger qualifiziert eingestuft als die Arbeit von Lehrkräften an denn, dass die Familien ihrem Bildungsauftrag nachkom- weiterführenden Schulen. Dies muss ein Ende haben. men. (Beifall bei der SPD) Von Grundschulen wird also nicht nur die Vermittlung von Hier sehe ich, ebenso wie Frau Cárdenas, perspektivisch fachlichen Basiskompetenzen erwartet, sondern verstärkt Handlungsbedarf bezüglich einer Höhergruppierung von auch die Kompensation von elterlichen Erziehungsdefizi- Grundschullehrkräften nach A 13. ten. Die verstärkte Zusammenarbeit von Kitas und Grund- schulen im Rahmen des Bildungs- und Erziehungsplans (Armin Schwarz (CDU): Dann stellen Sie einen halte ich für absolut sinnvoll, aber die dafür zur Verfügung Haushaltsantrag! – Alexander Bauer (CDU): Warum stehenden Stundenkontingente für nicht ausreichend. nicht A 14? – Günter Rudolph (SPD): Der Kollege Bauer wird immer qualifizierter mit seinen Zwi- Grundschulen, als Schulen für alle Kinder, erfüllen eine schenrufen! – Gegenruf des Abg. Holger Bellino ganz wichtige Integrationsaufgabe; beispielsweise dann, (CDU): Der hat Ahnung!) wenn es um gegenseitiges Verständnis, Toleranz und letzt- endlich auch um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft Liebe Kolleginnen und Kollegen, die bildungspolitischen geht. Gerade angesichts der Integration von Flüchtlingen Diskussionen der vergangenen Jahre haben sich weitaus und der Inklusion von Kindern mit Behinderungen und Be- stärker auf Gymnasien fokussiert als auf den für den Bil- einträchtigungen bin ich der Auffassung, dass wir Grund- dungsverlauf von Kindern ganz wichtigen Bereich von schullehrkräfte nicht alleine lassen dürfen. Grundschulen. Es gibt die viel zitierte Aussage, ich will sie auch heute noch einmal benennen: Bildung vom Kopf auf (Beifall bei der SPD) die Füße stellen, Bildung von Anfang an. – Das sind For- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5181

Um Grundschule zu einem Ort zu machen, wo individuelle Karin Hartmann (SPD): Förderung und Kompetenzorientierung nicht nur inhalts- sollten sich einmal genauer die Empfehlungen der Kultus- leere Begriffe sind, brauchen wir eine Verbesserung der ministerkonferenz zur Arbeit in der Grundschule anschau- personellen, räumlichen und sächlichen Ausstattung. en. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die konstruktive Zusammenarbeit in multiprofessionellen Diese Empfehlungen sind vom 11. Juni 2015, und ich glau- Teams von Lehrkräften, Sozial- und Sonderpädagogen, be, auch Sie als Hessischer Kultusminister haben dies mit Schulassistenten und Erzieherinnen und Erziehern zum unterzeichnet, Herr Lorz. Dort steht: Wohle der Kinder ist kein Selbstläufer und muss entspre- chend organisiert werden. Mit der derzeitigen Unterrichts- verpflichtung von 29 Stunden, oft fehlenden Teamräumen Vizepräsidentin Ursula Hammann: und Arbeitsplätzen kann dies nur schwer gelingen. Bitte ein letzter Satz. (Alexander Bauer (CDU): Mehr Geld und weniger Arbeit! Klassenkampf!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer anerkennt, dass die Karin Hartmann (SPD): Aufgabenkomplexität an Grundschulen auch in Zukunft Letztlich ist für die Arbeit in der Grundschule der weiter zunehmen wird, muss konsequenter als bisher zu ei- Blick auf das einzelne Kind Leitlinie allen Handelns. ner Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Arbeit Die gesellschaftliche Wertschätzung der Grund- der Lehrkräfte bereit sein. Ebenso muss man dafür bereit schule drückt sich in der Sicherung der dafür not- sein, die dafür notwendigen Schritte in der politischen Pra- wendigen Ressourcen aus. Gemeinsam tragen Fami- xis zu gehen. lien, Bildungseinrichtungen, gesellschaftliche Grup- Wer es ernst damit meint, mehr Bildungsgerechtigkeit her- pen und Politik Verantwortung für eine solidarische zustellen und Kindern unabhängig vom Elternhaus best- Kultur des Aufwachsens und für Bildung. mögliche Bildungschancen zu geben, muss dafür auch die Dem habe ich auch nichts mehr hinzuzufügen. notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. (Beifall bei der SPD) Die gesellschaftlichen Herausforderungen in der Verwirk- lichung von Inklusion im Sinne der UN-Menschenrechts- konvention, die Integration von Flüchtlingskindern, der Vizepräsidentin Ursula Hammann: Umbau von Grundschulen zu kindgerechten Ganztags- Vielen Dank, Frau Kollegin Hartmann. – Als nächster schulen erfordern mehr als Versprechungen. Sie erfordern Redner spricht nun Kollege Schwarz von der CDU-Frakti- einen klaren Zeit-, Ressourcen- und Finanzierungsplan. on. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort. In unserem Antrag haben wir wichtige Stellschrauben für die Verbesserung der Rahmenbedingungen an Grund- schulen aufgezeigt. Nicht alle dieser Vorschläge sind mit Armin Schwarz (CDU): hohen Millionenbeträgen im Haushalt verbunden. Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Deshalb fordere ich Sie als Kolleginnen und Kollegen der Kollegen! Ich danke der Linksfraktion für diesen Setz- Regierungsfraktionen dazu auf, sich einem konstruktiven punkt. Das ist für mich ein besonderer Moment: In den Diskurs über diese Herausforderung nicht zu verweigern. letzten fünf Jahrzehnten habe ich noch nie einer Linksfrak- Ich halte es sowohl unseren Kindern als auch den Grund- tion innerhalb oder außerhalb eines Parlaments gedankt. schullehrkräften gegenüber nicht für verantwortbar, weiter- Ich glaube, auch in den nächsten fünf Jahrzehnten wird das hin darauf zu vertrauen, dass die hinzukommenden Aufga- nie wieder geschehen. ben auch in Zukunft „irgendwie“ bewältigt werden. Nach- (Zurufe) dem Sie, Herr Kultusminister, sich dem öffentlichen Druck gebeugt und die Stellenkürzungen für Oberstufen zunächst Aber Ihr Antrag betreffend Sicherung der Aufgaben von zurückgenommen haben, wäre es nichts als konsequent, Grundschulen in Hessen bietet auch Gelegenheit, ein paar auch die Kürzungen der Zuweisungen für Grundschulen Dinge, die hier gerade eben völlig verzerrt dargestellt wur- endlich zurückzunehmen. den, ein bisschen geradezurücken. Frau Kollegin Cárdenas, Sie haben so eine Tour d’Horizon über alles gemacht, dass (Beifall bei der SPD) alles schwierig sei. Zu Ihrem Antrag selbst haben Sie kaum Wer es ernst meint mit der Aussage, Bildung vom Kopf gesprochen. auf die Füße stellen zu wollen, muss sich endlich auch in (Hermann Schaus (DIE LINKE): Der spricht für sich diese Richtung bewegen und Kindern, die mit erheblichen selbst!) Bildungsbenachteiligungen in die Schule kommen, eine gerechte Chance auf gute Bildung bieten. Deswegen eingangs ein paar grundsätzliche Hinweise zu den Grundschulen, wie es den Grundschulen geht und was Diejenigen – das gilt auch für Ihre Einwendungen –, die wir dort machen. meinen, was in den vorliegenden Anträgen gefordert wird, seien typische Oppositionsforderungen, Durch eine gezielte Förderung der Grundschulen sorgen wir seit Jahren dafür, dass alle Kinder in ganz Hessen vom Beginn ihrer Schullaufbahn an die bestmöglichen Bil- Vizepräsidentin Ursula Hammann: dungschancen haben. Dazu bedarf es einer vorzüglichen Personalausstattung. Wenn Sie auf Personal und Ausstat- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. tungsfragen eingehen, würde ich schon gerne einmal Tat- 5182 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 sachen sprechen lassen: Die Grundschüler in Hessen sitzen ge vom Land darf ich Ihnen sagen: Die Grundschule im heute im Durchschnitt mit 19 Kindern in einer Klasse – Dorf, die Grundschule im Ort zeigt den Menschen: Jawohl, 19,4, um präzise zu sein. Das sind die drittkleinsten Klas- wir haben Zukunft, jawohl, hier geht es weiter. sen aller 16 Bundesländer. Damit liegen wir deutlich unter (Zuruf der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE)) dem bundesweiten Schnitt von 20,7 und das ist jetzt kein Tagtraum des Abg. Schwarz, sondern das sind Zahlen der Das ist für mich eine Botschaft, die elementar ist. – Vielen eben zitierten Kultusministerkonferenz, die das sehr stark Dank, Herr Kollege May, dass Sie dementsprechend befürwortet. nicken. Diese vorzüglichen Rahmenbedingungen belegen den ho- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE hen Stellenwert, den die Landesregierung und die Regie- GRÜNEN) rungsfraktionen den Startbedingungen der Schülerinnen und Schüler in den prägenden ersten vier Schuljahren bei- Wir sind verantwortlich für Ballungszentren, die Mittel- messen. zentren und auch den ländlichen Raum. Das halte ich für ganz elementar. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir uns einmal die Punkte an, die Sie alle in Ih- rem Antrag einbringen, wobei Sie Stellenumlenkungen in Primarschüler in Hessen haben Priorität. Ja, Bildung in Ihrem Antrag fälschlicherweise als Kürzungen bezeichnen: Hessen hat Priorität. Ja, davon können sich andere Bundes- Durch klare Schwerpunktsetzung in den Bereichen Inklusi- länder eine Scheibe abschneiden und sich ein Beispiel an on, Deutschförderung, Sozialindex und natürlich Ganztags- uns nehmen. angebote werden hier Zeichen gesetzt, von denen insbe- sondere Grundschulen profitieren. Allein für den Pakt für (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE den Nachmittag stehen derzeit 2.000 Stellen zur Verfü- GRÜNEN) gung, zum kommenden Schuljahr kommen 230 hinzu. Die bundesweit einzigartigen Vorgaben zu Mindestklas- Hier haben wir schon eine andere Überzeugung: Wir wol- sengrößen zeugen überdies von dem festen politischen len – da zitiere ich immer gerne meinen Kollegen Mathias Willen unserer Fraktionen, den Erhalt von Grundschulen, Wagner – ermöglichen, nicht verordnen. Jawohl, der Pakt den sogenannten Zwergschulen, auch im ländlichen Raum für den Nachmittag ist attraktiv. Jawohl, der Pakt für den langfristig zu sichern. Ich bin davon überzeugt, dass das Nachmittag bietet die Chance, dass die Schulgemeinde der richtige Weg ist. Frau Kollegin Cárdenas, hätten Sie selbst entscheidet, welcher Weg gegangen wird. Jawohl, die Große Anfrage der SPD aus dem letzten Jahr in Erinne- zum neuen Schuljahr sind weitere zehn Schulträger mit an rung, hätten Sie den Setzpunkt möglicherweise etwas an- Bord. ders gewählt. Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich aus Drucks. 19/1644 zitieren, Frau Präsidentin. Darin wird nämlich ein Weil Sie sich auf diese 140 Stellen beziehen, die umge- klares Glaubensbekenntnis zum Stellenwert der Grund- lenkt werden, bringe ich einen Vergleich des Schuljahres schulen geliefert: 2012/2013 zum jetzigen Schuljahr. Im Bereich DaZ kom- men den Grundschulen 159 zusätzliche Stellen zugute. Im Insbesondere ländliche Regionen Hessens stehen an- Bereich Ganztag kommen den Grundschulen 279 zusätzli- gesichts anhaltender Schülerrückgänge vor der Her- che Stellen zugute. Im Bereich Sozialindex kommen ihnen ausforderung, ihr Bildungsangebot in der Fläche 124 zusätzliche Stellen zugute. Das sind 562 zusätzliche weiterhin angemessen zu sichern. Ein Schulangebot Stellen. Das ist deutlich mehr als die 140 Stellen. Oben- vorzuhalten, das den Anforderungen des Hessischen drauf kommen noch die Stellen für die Inklusion. Schulgesetzes genügt, ist die originäre Aufgabe der … Schulträger. Sie haben die planerische Grundlage Ich glaube, daran kann man deutlich sehen, welche Priori- für ein bedarfsgerechtes und zukunftsfähiges Schul- täten wir setzen, wo wir die Akzente setzen. Die Grund- angebot zu schaffen. schulen – das verheimlicht die Opposition immer gerne – sind heute deutlich besser ausgestattet, als sie es noch in Sollten die in den Verordnungen aus 2012/2013 betreffend den letzten Schuljahren waren, und das Ganze – darüber Klassen- und Kursgrößen beschriebenen Grenzen gerissen kann man auch einmal sprechen – bei deutlich zurückge- werden, besteht natürlich die Möglichkeit – dieser Spiel- henden Schülerzahlen. raum wird eingeräumt –, Verbundschulen zu bilden, jahr- gangsübergreifenden Unterricht, also Kombiklassen einzu- Im Schuljahr 2000/2001 gab es 260.000 Schüler an Grund- richten. Die Landesregierung – ich habe nachgefragt – schulen. Im Schuljahr 2014/2015 waren es 214.000. Wenn plant keine Festlegung von Ziel- und Mindestklassengrö- man jetzt schaut, wo wir die Priorität setzen: bei den jun- ßen, und dabei bleibt es. Darauf können wir stolz sein. gen Menschen, Priorität für Primarschüler, Priorität für Bildung grundsätzlich, die drittkleinsten Klassengrößen in Jetzt will ich Ihnen raten – auch da sind Zahlen hilfreich –, ganz Hessen, Ausbau Ganztag, Ausbau Sprachförderung, einmal darauf zu schauen: Wir haben in Hessen rund 60 Ausbau Sozialindex – den gab es vor drei Jahren noch Schulen, die weniger als 50 Schüler haben. Wir haben in nicht – und natürlich die Inklusion. Das sind klare Zeichen, Hessen über 200 Schulen mit 50 bis 100 Schülern. Wir ha- gute Botschaften für die Grundschulen. ben in Hessen 208 Schulen mit 100 bis 150 Schülern und ca. 160 Schulen, die 150 bis 200 Schüler haben. Dabei Sie wundern sich, dass es an den Grundschulen nicht ru- bleibt es. Nur Hessen leistet sich den Luxus von Zwerg- mort. Da ist die Welt, soweit wir das in den jeweiligen Fäl- schulen, und es wird kein Ausbluten des ländlichen Rau- len sagen, in Ordnung. Wir könnten natürlich nach dem mes geben. Kurze Beine, kurze Wege – das bleibt das Mot- Prinzip „Wünsch dir mehr, dann haben wir noch mehr to. Die Grundschule vor der Haustüre ist identitätsstiftend. Spaß“ immer etwas obendrauf setzen. Ich hätte gerne ein- Die Grundschule vor der Haustüre hat eine hohe Integrati- mal einen Haushaltsantrag von der SPD für die Stellenhe- onskraft, und als Vertreter des ländlichen Raums und Jun- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5183 bung oder einen Haushaltsantrag der Linksfraktion gese- dass Sie zuhören. Nehmen Sie die Beschwerden auf, die hen. Der ist mir nicht bekannt. Sie aus den Kommunen hören, dass die vorhandenen kom- munalen Angebote im Wesentlichen umgestrickt werden (Hermann Schaus (DIE LINKE): Jedes Jahr stellen müssen, um sie passgenau zu machen für das, was Sie sich wir ihn! – Marjana Schott (DIE LINKE): Sie müss- vorstellen. Das ist zusätzlicher bürokratischer Aufwand, ten die Anträge einmal lesen!) ohne dass es zu viel Entwicklung und Zusatzleistung Insofern sage ich noch einmal: Bei uns sind die Grund- kommt. schulen gut aufgehoben. Das ist so, das bleibt so, und wir (Beifall bei der FDP) werden den Grundschulen weiter mit großer Wertschät- zung gegenüberstehen und ihre Arbeit weiterhin kraftvoll Wohlgemerkt, wir begrüßen, dass in diesem Bereich über- unterstützen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. haupt etwas geschieht. Aber es ist zu wenig, und es ist teil- weise falsch angelegt. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber zum eigentlichen Thema. Herr Kollege Schwarz hat es gestreift. Das eigentliche Thema, um das es hier geht, ist die Frage: Bekommen die Schulen genug Lehrerstellen für Vizepräsidentin Ursula Hammann: die Aufgaben, die sie bewältigen müssen? Herr Kollege Vielen Dank, Herr Kollege Schwarz. – Als nächster Red- Schwarz, ich bin immer wieder dankbar, wenn Sie darauf ner spricht nun Kollege Greilich von der FDP-Fraktion. hinweisen: Wir haben in der Tat gemeinsam in glorreichen Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort. schwarz-gelben Zeiten dafür gesorgt, dass wir die Lehrer- versorgung in den hessischen Schulen deutlich verbessert haben. Nur, ich finde es etwas unredlich, wenn Sie diese Wolfgang Greilich (FDP): guten Zahlen und die verbesserte Ausstattung als Begrün- dung dafür heranziehen, dass man jetzt locker etwas strei- Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und chen kann, den Schulen etwas wegnehmen kann. Kollegen! Frau Kollegin Cárdenas hat vorhin gesagt, man habe den Setzpunkt wohlüberlegt ausgesucht. Das kann ich (Beifall bei der FDP) nicht beurteilen, das will ich auch glauben. Aber nicht Das ist nicht in Ordnung, Herr Kollege Schwarz. Da wer- wohlüberlegt war die Formulierung Ihres Antrags. Das ist den Sie sich auch nicht herausreden können. deutlich festzustellen, allein wenn man die Ziffer 1 liest, in der Sie die Landesregierung dafür loben, sie habe die Stel- (Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE lenkürzungen für die Oberstufen rückgängig gemacht. GRÜNEN): 800 Stellen mehr als bei Ihnen!) Ich darf Sie auf die Tatsachen hinweisen. Hier ist nichts Ich wiederhole: Die Kürzungen, die Sie schon vorgenom- rückgängig gemacht worden, sondern die 160 Stellen, die men haben in der Eingangsphase der Oberstufen, 160 Stel- man im laufenden Schuljahr gestrichen hat, sind einfach len, das sind 7,8 % zum Schuljahr 2015/2016. Dazu weg. Da ist nichts rückgängig gemacht worden. kommt die Kürzung des Zuschlags zum Grundunterricht der Grundschulen um 140 bis 145 Stellen. Das hat Auswir- (Beifall bei der FDP und des Abg. Turgut Yüksel kungen. Das hat ganz konkrete Auswirkungen, die Sie (SPD)) nicht damit wegdiskutieren können, dass wir gemeinsam Das Einzige, was man gemacht hat, ist, dass man keine beschlossen haben, zusätzliche Stellen für die Flüchtlings- weiteren Lehrer im nächsten Schuljahr wegnehmen will. betreuung usw. zur Verfügung zu stellen. Genauso ist es bei dem zweiten Fehler. Es geht nicht um Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen. Vor allem die Förderstunden bei den Grundschulen, sondern es sind 140 Grundschulen an kleinen Standorten sind betroffen. Neh- Stellen der Grundunterrichtsversorgung bei den Grund- men wir die Geschwister-Scholl-Schule in Fuldatal. Sie er- schulen gestrichen worden. Das ist der wesentliche Fehler. hält seit Beginn des Schuljahres nur noch eine Grundunter- Der Kultusminister kann nachher wieder versuchen, das zu richtszuweisung von 3,27 Lehrerstellen statt 3,41. Das sind relativieren. 4,1 % weniger. Insgesamt ist der Antrag der LINKEN wieder einmal ge- Das ist kein Einzelfall. Genauso erging es der Grundschule prägt von der Theorie „Freibier für alle“. Das ist haushalts- Wirtheim in Biebergemünd, der Paul-Maar-Schule in Nid- mäßig so, wie es dort steht, nicht zu machen. Insbesondere derau, der Grundschule Oberdieten in Breidenbach, der was das Ganztagsschulprogramm angeht, will ich sehr Rotkäppchen-Schule Loshausen in Willingshausen. Ich ha- deutlich sagen: Wir stehen nicht dafür, das bisschen, was be hier noch eine lange Liste. Ich will das nicht im Einzel- jetzt passiert, im Zuge des Pakts für den Nachmittag wie- nen vortragen. Aber Sie haben dort gekürzt, und das spüren der rückgängig zu machen und in einen halbherzigen Aus- die Schulen. bau der Ganztagsschulen in rhythmisierter Form zu ste- cken. Wir stehen dafür, dass möglichst viel Potenzial auch (Zuruf des Abg. Armin Schwarz (CDU)) in den Pakt für den Nachmittag fließt. Nur, er muss mit sei- Ich will noch ein Beispiel anführen, die Grundschule Am nen Geburtsfehlern fertig werden. Das bedeutet insbeson- Kastanienhain in Königstein. Sie erhält noch 8,07 Lehrer- dere, dass Sie nicht nur die Stellen zur Verfügung stellen – stellen statt vorher 8,38, büßt also rund eine Drittelstelle das sind wenig genug –, ein. Meine Damen und Herren, das können Sie nicht weg- (Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE diskutieren. GRÜNEN): Doppelt so viele wie bei Ihnen, Herr (Beifall bei der FDP – Armin Schwarz (CDU): Die Greilich!) Schülerzahlen sind gesunken!) sondern dass Sie darüber hinaus auch die Beschwerden Von den Kürzungen der Zuweisungen für die Einführungs- aufnehmen. Herr Kollege Wagner, Sie reden immer davon, stufe sind natürlich vor allem die reinen Oberstufengymna- 5184 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 sien besonders betroffen, weil diese die Kürzungen auf we- ler, Eltern und Lehrer daraus. Geben Sie den Schulen zu- niger Klassenstufen verteilen können. Das Georg-Chris- rück, was den Schulen ist. Dann werden Sie dort entspre- toph-Lichtenberg-Oberstufengymnasium Bruchköbel er- chendes Verständnis ernten. hält statt 43,18 nur noch 41,84 Stellen. Es sind 3,1 % weni- (Beifall bei der FDP) ger für die gesamte Schule. Aber das Entscheidende ist: 1,5 Stellen weniger, eineinhalb Lehrerstellen. Die Goethe- Wenn Sie uns allerdings, was ich befürchte, gleich wieder schule in Wetzlar verlor fast 3 % der Lehrerzuweisung, erklären werden, dass das alles alternativlos sei und es so 2,8 % die Herderschule in Kassel oder die Carl-von-Os- bleiben müsse, wie es ist, man nehme nichts zurück, weil sietzky-Schule in Wiesbaden. Es sind immer 1 bis 1,5 Stel- eigentlich alles viel mehr sei, obwohl es weniger ist und len, die einfach weg sind. Herr Kollege Wagner, Sie kön- der Lehrer nicht mehr an der Schule ist, dann werden Sie nen erzählen, wie Sie es gerne tun, der Lehrer sei nur wo- ertragen müssen, dass der Landeselternbeirat für morgen anders, Sie hätten ihn nicht gestrichen. zu einen hessenweiten Aktionstag aufgerufen hat, bei dem es genau um das Thema Bildungsqualität in Hessen geht. (Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE Denn die Eltern lassen sich genauso wie die Lehrer und die GRÜNEN): 800 Stellen mehr!) Schüler nicht vertrösten. Sie lassen sich nicht sagen, weni- Aber das nützt dem Schüler nichts, der diesen Unterricht ger sei mehr. In der Tat ist weniger weniger. nicht mehr bekommt. Das ist das Problem. Herr Kollege Degen, das will ich an der Stelle auch einmal (Beifall bei der FDP) sagen: Ich finde das schon herrlich. Herr Schäfer-Gümbel kann heute der Debatte aus irgendeinem Grund nicht fol- Wenn Sie uns glauben machen wollen, dass grundständige gen. Ich darf ihn trotzdem zitieren. Er hat einmal gesagt, Gymnasien nicht betroffen wären, darf ich Ihnen das Bei- man begreife sich als parlamentarischer Arm der Eltern mit spiel der Hohen Landesschule Hanau nennen. Die verlor Kindern im Gymnasium. Da habe ich, wenn ich an die auch eine ganze Stelle. Statt 78,92 Stellen hat man nur Vergangenheit und die ehemalige Positionierung denke, noch knapp 78 Stellen. Es betrifft darüber hinaus nicht nur schon ein bisschen ein Déjà-vu. Da verschiebt sich Interes- die Gymnasien und die reinen Oberstufengymnasien, es santes. Die Mitglieder der SPD erklären sich zum verlän- betrifft auch die beruflichen Schulen mit den beruflichen gerten Arm der Eltern mit Kindern im Gymnasium, wäh- Gymnasien. Es betrifft die Abendgymnasien. Ich will als renddessen die Union die alten Positionen aufgibt, die sie Beispiel die Peter-Paul-Cahensly-Schule nennen, berufli- früher mit uns vertreten hat. Da wird es schon spannend. che Schule und Abendgymnasium in Limburg, die jetzt 81,26 Stellen statt bisher 82,78 Stellen hat. 1,5 Stellen ha- (Beifall bei der FDP) ben Sie dort gestrichen, und beim Streichen lässt sich Meine Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, ich nichts hin- und herschieben. Das ist eine Tatsache. habe Ihren Dringlichen Antrag mit großem Interesse gele- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn vor diesem sen. Da steht vieles drin, was ich ohne Weiteres unter- Hintergrund der Kultusminister – ich habe mir diese Zei- schreiben kann. Da steht manches drin, worüber wir im tungsartikel aufgehoben, weil ich es so spannend finde – Ausschuss sicherlich noch einmal werden gründlich reden von einer moderaten und möglichst breit gestreuten Stel- müssen. lenverlagerung spricht, dann ist das für die betroffenen Aber eines will ich auch klar sagen: Da stehen auch Dinge Schüler, Eltern und Lehrer eine Verhöhnung, genauso drin, die absolut nicht akzeptabel sind. Sie haben z. B. et- wenn Herr Wagner davon spricht, dass jede Stelle dem Bil- was zum Kooperationsverbot geschrieben und meinen, das dungssystem erhalten bleibe, müsse man abschaffen. Wir haben noch etwas dazu. Wenn (Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE die Gesetzgebungsmentalität der Koalition so bleibt, wie GRÜNEN): So ist es ja auch!) sie ist, wird das auch relativ bald auf der Tagesordnung landen. Dann können wir uns einmal intensiv mit dem allerdings teilweise für andere Aufgaben als bisher. Herr Thema auseinandersetzen. Kollege Wagner, genau das ist es. Sie sagen: Der Lehrer ist nicht weg, er ist nur woanders. – Aber damit hat der Unter- Frau Präsidentin, ich will zum Schluss meiner Rede nur richt nicht die Versorgung, die er braucht. noch eine Bemerkung machen. Eines ist klar. Das wird in der bildungspolitischen Debatte immer wieder klar. Wir (Beifall bei der FDP) können die Herausforderungen nur stemmen, wenn wir in Genau das ist der Punkt. Herr Kultusminister, ich habe mir unserem volkswirtschaftlichen System mehr in Bildung in- diese Schlagzeile gemerkt, weil sie mir so gut gefällt: vestieren. Es ist ein Unding, dass in Deutschland im Jahr 2012 das Sozialbudget 780 Milliarden € betrug, während Kein Schüler wird weniger Unterricht erhalten. das Bildungsbudget sich lediglich auf 155 Milliarden € be- Natürlich ist das so. Kein Schüler wird weniger Unterricht lief. Das ist eine Fehlsteuerung. Daran müssen wir arbei- erhalten. Darüber sind wir uns einig. Aber er wird schlech- ten. teren Unterricht erhalten, weil weniger Lehrer dafür zur (Beifall bei der FDP) Verfügung stehen. Das ist eine ganz einfache Rechnung: Eine Stelle bedeutet rund 25 Lehrerwochenstunden. 1,5 Stellen, wie sie an den Vizepräsidentin Ursula Hammann: meisten Gymnasien wegfallen, bedeuten 38 Wochenstun- Herr Kollege Greilich, vielen Dank. – Als nächster Redner den weniger. Das sind 8 Leistungskurse oder 19 Grundkur- spricht nun Herr Kollege Wagner für BÜNDNIS 90/DIE se, die einfach nicht mehr stattfinden können. GRÜNEN. Herr Kollege, bitte schön, Sie haben das Wort. Herr Kultusminister, ich bitte Sie deshalb um etwas. Frau Cárdenas meinte, Sie seien eingeknickt. Knicken Sie nicht halbherzig ein. Machen Sie einen Hofknicks für die Schü- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5185

Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dopplung der Ausbaugeschwindigkeit, wie es sie in frühe- NEN): ren Jahren gegeben hat. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch die Mit- Herr Kollege Greilich, da müssen wir uns von Ihnen über- glieder meiner Fraktion sind den Kollegen der LINKEN haupt nichts erzählen lassen. Eine solche Ausbaugeschwin- sehr dankbar, dass wir heute Gelegenheit haben, über die digkeit bei der Ganztagsschulentwicklung hat es in Hessen Grundschulen zu reden. Denn die Grundschulen sind die noch nie gegeben. Gewinner in dieser Legislaturperiode und der Schulpolitik (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dieser Landesregierung. bei Abgeordneten der CDU) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Bereits die Hälfte der Schulträger wird zum kommenden bei Abgeordneten der CDU) Schuljahr am Pakt für den Nachmittag teilnehmen. Zum Die Grundschulen profitieren von allen Schwerpunktset- kommenden Schuljahr werden es schon über 120 Schulen zungen, die wir uns für diese Legislaturperiode vorgenom- sein, die an diesem Pakt für den Nachmittag teilnehmen men haben. Sie profitieren vom größten Ausbau des Ganz- werden. tagsschulprogramms, den es in Hessen je gegeben hat. Sie Der Pakt für den Nachmittag ist die Antwort auf das größte profitieren von der Verdoppelung der Zahl der Lehrerstel- Betreuungsproblem, das die Eltern in unserem Land haben. len nach Sozialindex. Sie profitieren von den erhöhten An- Die Eltern fragen völlig zu Recht: Warum gibt es denn für strengungen der Deutschförderung. Sie profitieren von der die Kinder im Alter von null bis drei Jahren Betreuungsan- neuen Schwerpunktsetzung beim Thema Inklusion. Sie gebote und für die Drei- bis Sechsjährigen Betreuungsan- sind die Gewinner dieser Legislaturperiode. gebote in den Kindertagesstätten, aber warum ist, wenn (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und mein Kind in die Grundschule kommt, auf einmal alles an- bei Abgeordneten der CDU) ders? Warum kann ich mich nicht darauf verlassen, dass mein Kind, wenn ich das will, von 7:30 Uhr bis 17 Uhr Allein seit dem Schuljahr 2012/2013 sind 400 Stellen an Bildung und Betreuung an der Schule erfährt? die Grundschulen für die Ganztagsschule und die Lehrer- zuweisung nach Sozialindex gegangen. Es sind 400 Stellen Genau darauf geben wir mit dem Pakt für den Nachmittag allein für diese zwei Bereiche. Wir haben an den Grund- eine Antwort. Genau das wollen wir allen Grundschulen schulen heute mehr und nicht weniger Stellen als in frühe- schrittweise ermöglichen. Es soll an allen Grundschulen ren Jahren. Das ist schlicht die Wahrheit. von 7:30 Uhr bis 17 Uhr ein qualitativ hochwertiges Bil- dungs- und Betreuungsangebot geben. Auch deshalb sind (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Grundschulen der Gewinner in dieser Legislaturperi- bei Abgeordneten der CDU) ode. Ja, wir haben gesagt, auch an den Grundschulen wird es (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Veränderungen geben. Deshalb haben wir gesagt: 140 Stel- bei Abgeordneten der CDU) len aus den Grundschulen sollen jetzt anders verwendet werden. Aber selbst wenn Sie die gegenrechnen, bleiben Die Mitglieder der Opposition sagen immer etwas. Sie in- immer noch 260 zusätzliche Stellen seit dem Schuljahr szenieren einen völlig künstlichen Streit zwischen dem 2012/2013. Deshalb kann man mit Fug und Recht sagen: Pakt für den Nachmittag und der rhythmisierten echten Die Grundschulen sind so gut ausgestattet wie noch nie. Ganztagsschule nach Profil 3. Meine Damen und Herren der Opposition, diesen Streit hätten Sie gerne. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) Die schlichte Wahrheit ist aber – hören Sie genau zu –: Zum kommenden Schuljahr werden alle Anträge der Wir wollen es nicht bei dem Erreichten belassen. Vielmehr Grundschulen auf Entwicklung zum Profil 3, also zu einer werden wir diesen Kurs kontinuierlich fortsetzen. Zum echten rhythmisierten Ganztagsschule, genehmigt werden. kommenden Schuljahr stehen 230 zusätzliche Stellen für Alle Anträge, die vorliegen, werden genehmigt werden. das Ganztagsschulprogramm bereit. Gleichzeitig werden alle Anträge der Schulen genehmigt Diese Koalition hat gesagt: Bei der Ausweitung des Ganz- werden, die sich zu dem Pakt für den Nachmittag weiter- tagsschulprogramms setzen wir einen Schwerpunkt auf die entwickeln wollen. Meine Damen und Herren der Opposi- Grundschulen. Denn genau in den Grundschulen ist das tion, was wollen Sie eigentlich noch? Mehr als alle Anträ- Ganztagskonzept besonders wichtig. Gerade am Beginn ei- ge genehmigen können wir nicht. ner Bildungslaufbahn brauchen wir mehr Zeit für die För- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und derung. Gerade bei den jungen Schülerinnen und Schülern bei Abgeordneten der CDU) sind die Eltern hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders auf ganztätig arbeitende Schulen an- Da wir gerade dabei sind: Wenn Sie glauben, den Pakt für gewiesen. Deshalb haben wir diesen Schwerpunkt in Hes- den Nachmittag aus irgendwelchen Gründen schlechtreden sen gesetzt, den es vorher nicht gab. Wir betreiben die Ent- zu müssen, und den Leuten weismachen wollen, es sei frü- wicklung der Ganztagsschulen vor allem an den Grund- her so gewesen, dass die Grundschulen aus dem Stand her- schulen. aus, bevor sie überhaupt Erfahrungen mit einem Ganztags- programm gemacht haben, ins Profil 3 wechselten, dann (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und darf ich Sie daran erinnern, dass das noch nie so war. Viel- bei Abgeordneten der CDU) mehr war es immer so – darüber bestand bislang auch Ei- Wir setzen nicht nur den Schwerpunkt auf die Grund- nigkeit in diesem Haus –, dass die Schulen zunächst im schulen. Vielmehr tun wir das auch in finanzieller und per- Profil 1 und im Profil 2 Erfahrungen mit der ganztätigen soneller Hinsicht bei der Ganztagsschulentwicklung. Pro Arbeit sammelten und sich dann weiterentwickelten. Schuljahr gibt es 230 Stellen zusätzlich. Das ist eine Ver- 5186 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Genau das machen wir jetzt, nur mit dem Unterschied, dass Die Ausbaugeschwindigkeit des Ganztagsschulprogramms die erste Stufe für eine Ganztagsschule jetzt der Pakt für wurde auf 230 Stellen pro Jahr verdoppelt. Mit dem Pakt den Nachmittag ist. Dieser Pakt für den Nachmittag ist in für den Nachmittag wurde das Ziel erreicht, an allen allen Punkten besser ausgestattet als das bisherige Profil 1. Grundschulen ein Bildungs- und Betreuungsangebot von Meine Damen und Herren, was haben Sie eigentlich daran 7:30 bis 17 Uhr zur Verfügung zu stellen. Alle Anträge zu kritisieren, dass Schulen jetzt besser dabei unterstützt von Grundschulen auf Umwandlung in eine echte Ganz- werden, einen Einstieg in das Ganztagsprogramm zu be- tagsschule werden zum kommenden Schuljahr genehmigt. kommen? Der Sozialindex wird um 300 auf 600 Stellen verdoppelt. Allein 200 Stellen wurden in den vergangenen beiden (Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Das ist doch nicht Schuljahren zusätzlich für den inklusiven Unterricht zur das Gleiche wie vorher!) Verfügung gestellt. Ich will Ihnen das sehr konkret sagen. Wie war es denn Das neue Umsetzungskonzept kommt ab dem nächsten früher mit dem Profil 1? Es gab damals ein Angebot zur Schuljahr. Mittlerweile gibt es 1.000 Deutschförderklassen Unterstützung bis 14:30 Uhr, der Pakt für den Nachmittag für Migrantinnen und Migranten. Der Konflikt um G 8 und macht ein Angebot bis 17 Uhr. Das Profil 1 bedeutete, dass G 9 wurde durch unsere Politik weitgehend gelöst. Das es an drei Tagen die Woche ein Ganztagsangebot gab. Der Landesschulamt – das Bürokratiemonster von Herrn Grei- Pakt für den Nachmittag bedeutet, dass es an fünf Tagen lich – wurde abgeschafft. ein Ganztagsangebot gibt. Das Profil 1 beinhaltete eine halbe, maximal eine zusätzliche Stelle für die Schule, un- Das ist eine bildungspolitische Bilanz, die sich sehen las- abhängig von den Schülerzahlen. Der Pakt für den Nach- sen kann. mittag bedeutet, dass es pro 100 Schüler eine Lehrerstelle Meine Damen und Herren, ich würde jetzt gerne einmal gibt. Im Profil 1 unterstützt das Land die Kommunen an hören, was denn die inhaltlichen Alternativen der Oppositi- drei Tagen pro Woche, im Pakt für den Nachmittag an fünf on sind – jenseits eines Gemäres, das mit Fakten aber auch Tagen. gar nichts zu tun hat. Der Pakt für den Nachmittag ist in allen Punkten besser als (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und das bisherige Profil 1. Wogegen richtet sich jetzt die Kritik der CDU) der Opposition an diesem Punkt? (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU) Vizepräsidentin Ursula Hammann: Es bleibt bei der Ganztagsschulentwicklung, wie es immer Sie müssen zum Ende Ihrer Rede kommen. war. Selbstverständlich können sich Schulen aus dem Pakt für den Nachmittag in das Profil 3 – in eine rhythmisierte Ganztagsschule – weiterentwickeln. Das war immer so, Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und das bleibt so. Was sich geändert hat, ist, dass durch NEN): den Pakt für den Nachmittag viel mehr Schulen überhaupt Frau Präsidentin, die Grundschulen sind und bleiben die ei- den Einstieg in die Ganztagsschule schaffen können. Mei- gentlichen Gewinner dieser Legislaturperiode. Gerade weil ne Damen und Herren, das müsste eigentlich auch die Op- in den vergangenen Jahren nicht genug für diese Schul- position gut finden, wenn es ihr in irgendeiner Form noch form getan wurde, wollen wir mit dem Pakt für den Nach- um die Sache ginge. mittag, der Lehrerzuweisung nach Sozialindex, der (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Deutschförderung und der Inklusion, für die Grundschulen der CDU) etwas tun. Deshalb sind wir hier auf einem sehr guten Weg. Falls Frau Kollegin Beer es noch einmal hören will: Wir kommen zur Ausstattung der Schulen. Schauen wir 800 Stellen mehr als zu Ihrer Amtszeit. uns das doch einmal an: in dieser Legislaturperiode bislang 800 zusätzliche Stellen, keine Stelle gekürzt. Die demogra- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und fische Rendite bleibt komplett im System und wird für Bil- der CDU) dungsverbesserungen eingesetzt. Es bleibt bei der 105-pro- zentigen Lehrerversorgung. Vizepräsidentin Ursula Hammann: (Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE)) Vielen Dank Herr Kollege Wagner. – Für eine Kurzinter- Jetzt kann man sich immer mehr wünschen. Das tun wir vention hat sich Kollege Merz von der SPD zu Wort ge- GRÜNE auch. Man muss sich aber auch mit den anderen meldet. Bitte schön, Herr Kollege. Zwei Minuten. Bundesländern vergleichen, um einen Eindruck davon zu haben, ob wir in Hessen jetzt gut oder nicht so gut sind. Gerhard Merz (SPD): Schauen wir uns doch einmal den Koalitionsvertrag in Rheinland-Pfalz an: Dort gibt es eine gute Koalition und Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Damit das einen guten Koalitionsvertrag. In dem Vertrag ist als Ziel Gemäre noch nicht zu Ende ist, mache jetzt auch ich noch festgeschrieben, dass man 100 % Unterrichtsabdeckung er- ein bisschen Gemäre, sodass Herr Wagner darauf antwor- reichen will. Wir in Hessen haben 105 %. Meine Damen ten kann. und Herren, was erzählen Sie von der Opposition denn hier (Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜND- überhaupt, was die Ausstattung der Schulen angeht? NIS 90/DIE GRÜNEN)) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und – Herr Kollege, ich nehme das als ein weiteres Zeichen des der CDU) neuen Stils. So ist das. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5187

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE Das sind dann 300 Stellen im Bildungsbereich, die alle in GRÜNEN): Das war immer schon so!) diesem Bereich belassen und für sinnvolle Dinge einge- setzt wurden. – Das stimmt. Herr Kollege Wagner, mein Stil hat sich aber nicht geändert. Herr Kollege Merz, wollen Sie jetzt ernsthaft erzählen, dass ein anderer Einsatz der 300 von insgesamt 50.000 (Beifall bei der SPD) Lehrerstellen in irgendeiner Form zum Niedergang des Wenn Sie fragen, warum wir das kritisieren, dann sagen Abendlands beigetragen hätte? Wollen Sie ernsthaft erzäh- wir nicht sehr viel anderes als das, was Sie bis zum Regie- len, dass es nicht möglich sein darf, in der Bildungspolitik rungswechsel gesagt haben, nämlich dass die 105-prozenti- diesen Bruchteil von 50.000 Lehrerstellen auch einmal für ge Lehrerversorgung auf dem Papier steht, dass sie aber in andere Zwecke zu verwenden? Wollen Sie das ernsthaft er- vielen Bereichen pädagogisch nicht so furchtbar viel zu sa- zählen? Wollen Sie ernsthaft ein Plädoyer für den Still- gen hat. Das gilt auch für den Bereich, über den wir heute stand in der Bildungspolitik halten? Herr Kollege Merz, in Hessen reden sollen, über den Sie allerdings auch nur wären Sie bereit, das anzuerkennen, wenn ich Ihre Zahlen partiell gesprochen haben – so wie mancher andere hier mit 140 und 160 Stellen anerkenne? auch –, nämlich über die Grundschulen. (Gerhard Merz (SPD): Das stimmt doch gar nicht! Ich will es einmal für das Protokoll festhalten: Sie haben Das nenne ich Neusprech!) nicht bestritten, dass 150 Stellen an den Grundschulen Wenn Sie einen Strich darunter ziehen und schauen, wie nicht mehr zur Verfügung stehen. Sie haben – wie immer viele Stellen zur Verfügung stehen, wären Sie dann auch wortreich begleitet – versucht, das durch Stellen auszuglei- bereit, endlich einmal anzuerkennen, dass unter dem Strich chen, die den Grundschulen im Rahmen ihrer zusätzlichen 800 Stellen mehr stehen? Herr Kollege Merz, dann können Aufgaben durch den Pakt für den Nachmittag und die Ver- wir hier ernsthaft weiterreden. stärkung der Anstrengungen bei der Inklusion zugewiesen worden sind. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU) Wir wollen einmal festhalten, dass diese Stellen als Kom- pensation und als notwendige, aber nicht ausreichende Be- Dass die Sozialdemokratie hier erzählt, man könne von dingung sowie als Mindestausstattung für die Erfüllung 50.000 Stellen im Bildungswesen 300 Stellen nicht auch dieser zusätzlichen Aufgaben gegeben werden. Deswegen einmal anders verwenden – Herr Kollege Merz, machen können sie nicht ohne Weiteres als eine Verbesserung der Sie sich doch nicht lächerlich. Grundausstattung der Grundschulen gerechnet werden. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Vielleicht sind wir uns darüber einig, dass das unausweich- der CDU – Gerhard Merz (SPD): Wer hat sich denn lich ist, wenn man zusätzliche Angebote macht und weitere hier lächerlich gemacht?) Aufgaben zuweist. Wenn man der Komplexität von Aufga- ben gerecht werden will, sind zusätzliche Stellen in den da- von betroffenen Bereichen unabdingbar. Herr Kollege Vizepräsidentin Ursula Hammann: Wagner, deswegen ist es nicht angemessen, einfach zu be- haupten, das sei eine Verbesserung, wenn es sich lediglich Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Für die Landesre- darum handelt, notwendige, aber leider nicht ausreichende gierung spricht nun Kultusminister Lorz. Bitte schön, Sie Bedingungen zu schaffen, damit diese Aufgaben auch erle- haben das Wort. digt werden können. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Prof. Dr. R. Alexander Lorz, Kultusminister: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie Vizepräsidentin Ursula Hammann: mich zum Ausgangspunkt dieser Debatte zurückkehren. Danke, Herr Kollege Merz. – Herr Kollege Wagner, Sie (Gerhard Merz (SPD): Das wäre einmal ein Fort- haben die Möglichkeit einer Erwiderung, ebenfalls zwei schritt!) Minuten. Das ist ein Setzpunkt der Fraktion DIE LINKE, und DIE LINKE hat dazu einen Antrag vorgelegt. Dieser Setzpunkt Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und dieser Antrag illustrieren wieder einmal in besonders NEN): schöner Weise die einzige politische Strategie, die die Linkspartei in diesem Hause hat: Die besteht im Ausstellen Herr Kollege Merz, ich habe nicht bestritten, dass wir jetzt ungedeckter Schecks. 140 Stellen aus der Grundschule in andere bildungspoliti- sche Bereiche gegeben haben. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Willi van Ooyen und (Gerhard Merz (SPD): Geht es jetzt noch einmal Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE)) los?) Das ist in diesem Hause schon mehrfach thematisiert wor- – Ja, das ist toll, Herr Kollege Merz. Dann nehmen wir den. Ich zitiere jetzt Mitglieder dieses Hauses, die das mit jetzt noch gleich die 160 Stellen aus der Oberstufe dazu, Formulierungen wie „Darfs noch ein bisschen mehr sein?“ damit Sie das auch im Protokoll haben. gekennzeichnet haben; der Abg. Greilich hat in dieser Ple- narrunde sogar schon zweimal den Begriff „Freibier für al- (Gerhard Merz (SPD): Ich habe von der Grund- le“ gebraucht. Ich muss mir also gar keinen neuen Aus- schule geredet, im Gegensatz zu Ihnen!) druck dafür überlegen. 5188 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Meine Damen und Herren, allerdings möchte ich dafür ei- auf die individuellen Stärken und Schwächen der Schüle- nes ausdrücklich betonen: Unsere Grundschullehrerinnen rinnen und Schüler einzugehen, als in einer größeren. und -lehrer haben alles Gute, das wir ihnen tun, mit der Wenn wir also von einem Zuschlag für besondere Förder- großartigen Arbeit, die sie Tag für Tag in unseren Grund- maßnahmen reden – Herr Abg. Greilich, das ist keine schulen leisten, verdient. Das ist nicht die Frage. Grundunterrichtsversorgung –, dann ist es sinnvoll, zu sa- gen: Dort, wo die Klassenstärken überdurchschnittlich Sie aber, meine Damen und Herren, versprechen einfach. groß sind, dorthin geben wir einen großen Förderzuschlag; Sie versprechen einfach alles, was man sich wünschen und dort, wo sie unterdurchschnittlich groß sind, kann die- möchte: eine höhere Besoldung, weniger Arbeit und mehr ser Zuschlag geringer ausfallen. Personal. Wenn wir allein einmal die Anhebung von A 12 nach A 13 nehmen – die auch ich den Grundschullehrern Das hat die alte, etwas grobschlächtige Regelung nicht be- gönnen würde –, dann reden wir von 70 Millionen € im rücksichtigt. Es ist auch nachvollziehbar, dass sie das nicht Jahr zusätzlich, die das kosten würde. Sie versprechen ein- getan hat. Denn als sie eingeführt wurde, gab es noch keine fach, die herbeizuzaubern. 105 %, keine sozial indizierte Lehrerzuweisung und sehr viel weniger Stellen für Ganztagsangebote und Inklusion; Meine Damen und Herren, da bei Ihnen keine Bezugnahme da war der pauschale Förderzuschlag alles, was die Grund- auf die Grenzen des Machbaren vorliegt, kann man daraus schulen zusätzlich bekamen. eigentlich nur eine Schlussfolgerung ziehen: Zumindest DIE LINKE will in Hessen gar nicht regieren – denn Sie Heute haben wir das alles. Herr Abg. Merz, allein dieser wollen doch partout nicht in eine Situation geraten, in der Vergleich zeigt es doch: Dafür war der Pauschalförderzu- Sie Ihre Versprechungen einmal mit der Realität zur schlag da. Denn für alle diese Aufgaben gab es keine be- Deckung bringen müssten. sondere Zuweisung, sondern es gab nur diesen pauschalen Zuschlag. (Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das stimmt nicht! – Weitere Zurufe) Wir haben diesen pauschalen Zuschlag sogar belassen. Wir haben ihn nur gestaffelt. Die anderen Aufgaben, die Sie Meine Damen und Herren, wir aber tragen die Regierungs- aufgeführt haben, haben wir alle zusätzlich finanziert, und verantwortung. wir erhöhen die Finanzierung an dieser Stelle weiter. (Holger Bellino (CDU): Jawohl!) Deswegen nochmals: Wir haben im Grundschulbereich Wir scheuen sie auch nicht. Deswegen machen wir auch keine Stellen eingespart. Wir haben jede 1 : 1 im Grund- keine leeren Versprechungen, sondern wir liefern. schulsystem belassen. Wir haben sehr viel mehr zusätzlich investiert. Unsere Grundschulen wären wirklich schlecht (Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE)) beraten – aber es kommt auch niemand ernsthaft auf diese Was wir liefern, das ist die bestmögliche Ausstattung, die Idee –, wenn sie die heutige Ausstattung mit der Ausstat- Grundschulen in Hessen je hatten. Ich füge noch hinzu: die tung von vor zwei oder drei Jahren vertauschten. beste Ausstattung, die im Moment machbar ist. Und wir ar- Die wesentlichen Zahlen sind in dieser Debatte bereits ge- beiten daran, dass sie noch besser wird; das werden wir in nannt. Deswegen will ich sie nicht einfach wiederholen, den nächsten Jahren auch miteinander erleben. aber den einen oder anderen Aspekt will ich denn doch (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE hinzufügen. GRÜNEN) Sie haben die Klassengrößen angesprochen. Herr Abg. Meine Damen und Herren, wir tun das, gerade weil wir Schwarz hat es bereits gesagt: Wir haben die drittkleinsten wissen – Frau Abg. Hartmann hat netterweise eben auf den Klassengrößen in Deutschland. Unsere Klassengrößenver- Beschluss der Kultusministerkonferenz verwiesen –, wel- ordnung hat die maximale Klassengröße reduziert. Die che wichtige Position die Grundschulen in unserem Bil- durchschnittliche Klassengröße liegt jetzt bei weniger als dungssystem einnehmen, dass sie die Basis sind, auf der al- 20 Schülerinnen und Schülern. le weiteren Bildungsinstitutionen aufbauen, und dass wir Ja, ich habe es mitgehört: Natürlich wäre es schön, wenn bei Investitionen in die Grundschulen so manche Förde- wir die kleinsten hätten. Das würde ich auch unterschrei- rungsmaßnahmen im weiteren Bildungsverlauf ersparen ben. Wir arbeiten gerne weiter daran. Wenn wir aber eine können. Deswegen ist es eine bewusste bildungspolitische Bestandsaufnahme machen, müssen wir doch sagen: Wir Entscheidung, dass wir die Grundschulen zu den großen stehen sehr gut da. Wir haben einen sehr guten Weg hinter Gewinnern dieser Legislaturperiode machen. uns, und wir behaupten doch gar nicht, dass wir bereits am Das bedeutet jedoch nicht, dass wir die Stellen jetzt ein- Ende dieses Weges angekommen wären. Meine Damen fach mit der Gießkanne über das Land verteilen. Wir len- und Herren, dafür wollen wir weiter regieren. Dafür wollen ken die Investitionen schon, die wir da tätigen. Aber es wir auch weiter investieren, damit wir auf diesem guten werden keine Stellen aus dem Grundschulbereich als sol- Weg noch weiter voranschreiten. chem abgezogen, im Gegenteil: Wir haben Hunderte Stel- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE len in diesem Bereich neu geschaffen. Wohlgemerkt, ich GRÜNEN) rede jetzt nicht vom Bildungssystem insgesamt, ich rede wirklich ganz gezielt von der Grundschule. Dort sind per Das Gleiche gilt für die sozial indizierte Lehrerzuweisung. saldo Hunderte neuer Stellen in den letzten Jahren dazuge- Sie bringt den Grundschulen schon heute über 120 Stellen, kommen. die es vor drei Jahren nicht gab. Sie ist dafür da – und da ersetzt sie auch den pauschalen Förderzuschlag –, dass die Meine Damen und Herren, deswegen muss es auch mög- am meisten betroffenen Schulen auf die besonderen Her- lich sein, innerhalb dieses Bereiches Schwerpunkte zu set- ausforderungen durch die heterogene Schülerklientel rea- zen. Zum Beispiel leuchtet es doch unmittelbar ein, dass in gieren können. Das wird weiter steigen. Im nächsten einer kleinen Klasse mehr Möglichkeiten bestehen, gezielt Schuljahr werden es 140 Stellen sein und bis zum Ende Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5189 dieser Legislaturperiode fast 200 – nur in den Grund- Erfolgreiche Politik ist das, was diese Landesregierung bei schulen. den Grundschulen betreibt, und die werden wir auch wei- terhin fortsetzen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Die Investitionen in die Deutschförderung wurden um knapp 160 Stellen erhöht, und dabei sind die ganzen Inten- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE sivklassen noch gar nicht dabei; das steigt auch kontinuier- GRÜNEN) lich weiter, ebenso wie der Mitteleinsatz bei der Inklusion. Aber das größte Investitionsprogramm, das wir nun wirk- Vizepräsidentin Ursula Hammann: lich mit absoluter Priorität der Grundschule und ihrem Bil- dungsauftrag zugutekommen lassen, ist der Ausbau der Vielen Dank, Herr Kultusminister Lorz. – Es liegen keine Ganztagsangebote. In nur drei Jahren haben wir dort die weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende Stellenanzahl auf fast 600 verdoppelt, und Jahr für Jahr dieser Debatte. halten wir jetzt weitere 230 Stellen für den Pakt für den Nachdem ich das festgestellt habe, können wir nun in die Nachmittag bereit. Mittagspause eintreten. Meine Damen und Herren, ganz wichtig zu betonen ist da- (Günter Rudolph (SPD): Und die Anträge in die bei: Das gilt nicht nur für den Pakt, sondern wir nehmen Ausschüsse!) jede Grundschule mit, die sich freiwillig auf den Weg zur gebundenen Ganztagsschule macht. – Danke für die Erinnerung. – Die Anträge – das ist der Antrag der LINKEN, Drucks. 19/3366, und der Antrag der (Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Freiwillig?) SPD, Drucks. 19/3411 – gehen an den Kulturpolitischen – Ja klar, freiwillig. Sehen Sie, das ist der entscheidende Ausschuss. Vielen Dank. Unterschied, und deswegen komme ich gerne noch einmal Jetzt treten wir in die Mittagspause ein. Wir sehen uns wie- darauf zurück. der um 14:30 Uhr. (Zuruf der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE)) (Unterbrechung von 13:29 bis 14:34 Uhr) Frau Abg. Cárdenas, in diesem Punkt kommt die gesamte Absurdität des LINKEN-Antrags zum Ausdruck. Sie for- dern, wir sollen die Ressourcen aus dem Pakt für den Vizepräsident Wolfgang Greilich: Nachmittag herausziehen und ausschließlich den gebunde- Meine Damen und Herren, die Mittagspause ist beendet. nen Ganztagsschulen geben. Was würde das denn bedeu- Wir setzen die Sitzung fort. ten? In den ersten beiden Schuljahren, während derer der Pakt für den Nachmittag läuft, haben wir 122 Grund- Ich darf zunächst mitteilen, dass die SPD-Fraktion darum schulen, die sich für diesen von Ihnen immer so schön als gebeten hat, Tagesordnungspunkt 11, Drucks. 19/1749, „Misserfolg“ charakterisierten Pakt gemeldet haben. 122 die am Dienstag von der Tagesordnung abgesetzt wurde, ist schon rein quantitativ alles andere als ein Misserfolg. zur abschließenden Beratung an den Ausschuss für Um- welt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Widerspruch der Abg. Hermann Schaus und Janine zu überweisen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ver- Wissler (DIE LINKE)) fahren wir so. Sie wollen, dass wir die Ressourcen dort wieder herauszie- An Ihren Plätzen finden Sie das Programm „70 Jahre Hes- hen. Sie wollen, dass wir diese 122 Schulen – und all die sen – Feiern Sie mit!“ Das dürfen Sie mitnehmen und ver- anderen, die sich auf den Weg des Paktes für den Nachmit- innerlichen. tag machen – im Regen stehen lassen und ihnen als einzi- ges Modell nur noch die gebundene Ganztagsschule anbie- Jetzt, da entsprechend Ruhe eingekehrt ist, will ich die Ge- ten; und das, obwohl wir jeder Schule, die den Antrag auf legenheit nutzen, meiner Freude darüber Ausdruck zu ge- gebundene Ganztagsschule stellt und die entsprechende ben – bestimmt im Namen des ganzen Hauses –, dass Herr Konzeption bringt, das auch genehmigen. Denn wir neh- Kollege Banzer nach einigen Monaten der Abwesenheit men die Gleichwertigkeit dieser Modelle an. Wir zwingen wieder bei uns ist. Wir freuen uns, dass Sie wieder da sind, die Schulen nicht, sich zwischen diesen Modellen zu ent- Herr Kollege. scheiden, sondern im Gegenteil lassen wir ihnen in dieser (Allgemeiner Beifall) Hinsicht alle Wege offen. – Darin äußert sich der bildungs- politische Schwerpunkt, den wir in diesem Bereich setzen. Wir fahren in der Tagesordnung fort. Zum Aufruf kommt der Setzpunkt der GRÜNEN. Ich rufe Tagesordnungs- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE punkt 41 auf: GRÜNEN) Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und Hier von Einschränkungen zu sprechen oder gar Ein- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend verantwor- schränkungen zu befürworten – wenn wir nämlich bei- tungsvolle Sozialpolitik für alle Menschen – Drucks. spielsweise in den Pakt für den Nachmittag nicht mehr in- 19/3370 – vestieren wollten und den Grundschulen nur noch die Wahl lassen sollten: entweder werdet ihr gebundene Ganz- Herr Kollege Bocklet, Sie haben für die Fraktion BÜND- tagsschule oder ihr bekommt überhaupt kein Ganztagsan- NIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. gebot finanziert –, meine Damen und Herren, das verstehe, wer will. Das ist aber keine Blaupause für erfolgreiche Po- litik. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegen Grüttner, Hahn und Bocklet sind besonders 5190 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 aufgeregt: Wir sind mental schon fast auf dem Weg ins sich Menschen nicht selbst helfen können, und werden die- Frankfurter Waldstadion und machen uns große Sorgen um sen Menschen Angebote machen. Wir wollen unseren heu- den Bundesligaerhalt von Eintracht Frankfurt. Aber jetzt tigen Setzpunkt dazu nutzen, aufzuzeigen, dass das nicht gilt es, sich den tatsächlich wichtigen Dingen des Lebens nur leere Sprüche sind, sondern dass das Land Hessen – zu widmen, hier: der Frage des sozialen Zusammenhalts in das gilt gleichermaßen für den Bund und die Kommunen – diesem Lande. eine Fülle von Maßnahmen auf den Weg gebracht hat, die zeigen, dass wir keine gesellschaftlichen Gruppen gegen- Ich möchte begründen, warum wir diesen Entschließungs- einander ausspielen, dass Mittel für alle zur Verfügung antrag als Setzpunkt aufgerufen haben. Es geht nämlich um stellen werden, die in soziale Notlagen gekommen sind eine sehr ernste Situation. Viele Menschen in diesem Land oder die schutzbedürftig sind. haben Sorge, von der Teilhabe an der Gesellschaft abge- hängt zu werden. Arbeitnehmer und Angestellte haben Ich will die Situation nochmals beschreiben, weil ich finde, Sorge, im Falle von Arbeitslosigkeit in einen sozialen Ab- es ist notwendig, sie zu beschreiben und so auch zu hinter- stieg zu geraten. Jugendliche haben Sorge, ob sie in der Er- legen. wachsenenwelt tatsächlich Chancen haben, ob ihnen dort Wir haben ein um 35 % erhöhtes Sozialbudget aufgelegt, ein Platz geboten wird, ob eine gute Schulbildung, Ausbil- das soziale Initiativen und Menschen in Notlagen umfang- dung oder ein Studium ihnen tatsächlich eine Möglichkeit reich fördert. Ich will es kurz erwähnen: Wir haben zur Teilhabe an der Erwachsenenwelt und zur Gestaltung Schuldnerberatungsstellen für Menschen, die von Armut ihrer Zukunft gibt. Ältere Menschen haben Sorge um die bedroht sind oder unverschuldet in diese Situation gekom- Rente, haben Sorge, ob sie ihren Lebensstandard werden men sind. Die Mitarbeiter zeigen einen Ausweg aus der halten können. Menschen in unterschiedlichsten Lebensla- Schuldenspirale auf und leisten damit einen Beitrag zur gen, beispielsweise Verschuldete, sorgen sich, ob man sie Verhinderung von Armut. unter Umständen vergessen wird oder ob da ein Sozialstaat ist, der ihnen Hilfe bietet, wieder auf die Füße zu kommen. Wir haben umfangreiche Ausbildungs- und Arbeitsmarkt- programme aufgelegt. Ich nenne hier nur beispielhaft die Andererseits erleben die Menschen täglich in den Medien, Ausbildung für Hauptschüler und QuABB, eine begleitete dass die Reihe der schlechten Nachrichten nicht abreißt: Ausbildung. Sie signalisieren den Jugendlichen: Wer Probleme in der Wirtschaft, Finanzkrisen, Bürgerkriege, möchte, dem werden wir helfen, über eine Ausbildung die Flucht, aber auch Probleme in den Sozialsystemen. Teilhabe an der Gesellschaft zu erlangen. In diesen Zeiten gilt es, darüber zu sprechen, dass diese Für Arbeitslose oder auch für ungelernte Beschäftigte gibt Sorgen ernst zu nehmen sind, zum Teil verständlich sind, es das Programm „ProAbschluss“; Zielgruppe sind Unge- aber auch klar zu sagen, was der Staat – in diesem Fall das lernte ab 27 Jahren. Für Langzeitarbeitslose haben wir ein Land – tut, damit niemand zurückgelassen wird. Dazu ge- eigenes Landesprogramm entwickelt, das ihnen dabei hilft, hört auch, zu sagen, dass es eine Fülle von Angeboten gibt, einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach- die garantieren sollen, dass der soziale Zusammenhalt in zugehen und sich gleichzeitig praxisnah zu qualifizieren. diesem Land gewährleistet werden kann. Wir wollen Langzeitarbeitslosen, die schon länger im Sozi- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und alhilfesystem sind, Möglichkeiten bieten, sich wieder in bei Abgeordneten der CDU) den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir wollen diese Zielgruppen, sowohl Langzeitarbeitslose als auch Jugendli- Wir sind der Auffassung, dass der, der von Menschen ver- che, nicht vergessen. Für sie haben wir ein Bündel von langt, Risiken in einer immer flexibler werdenden Welt Maßnahmen auf den Weg gebracht. einzugehen, auch zeigen muss, dass es Sicherheiten gibt, wenn diese Risiken tatsächlich zu Nachteilen führen. Da- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei haben wir einen Ansatz, den wir auch im Koalitions- der CDU) vertrag hinterlegt haben, der besagt: Wir wollen allen Men- Verschuldete und arbeitslose Jugendliche ohne Ausbildung schen die Chance geben, ihr Leben aktiv selbst zu gestal- habe ich schon erwähnt. Aber wir haben auch an die Fami- ten. lien gedacht; denn um der Armut im Alter zu entgehen, ist Eine wirkungsvolle Sozialpolitik grenzt niemanden aus, es besonders wichtig, dass die Vereinbarkeit von Familie sondern schafft Chancengerechtigkeit für alle, unabhängig und Beruf gewährleistet ist. Bei der Kinderbetreuung ist von sozialer Herkunft, Alter, Geschlecht oder kulturellem ein Ausbau sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hintergrund. Dieses Ziel bleibt eine Daueraufgabe, der wir Hinsicht unser Ziel, um die Familien zu unterstützen. Dazu uns täglich stellen müssen. Es wird aber nie zu seiner gehören auch Familienzentren. Vollendung kommen, sondern es wird täglich zu überprü- Wir haben umfangreiche neue Programme aufgelegt. Ich fen sein, wann wir bei sozialen Problemlagen weiterhin un- nenne nur den weiteren Ausbau der Ganztagsbetreuung an terstützend eingreifen müssen. Grundschulen. Aber ich sage Ihnen auch, dass wir 10 Mil- Es ist die Aufgabe demokratischer Parteien, diese Befürch- lionen € für die gemeinsame Betreuung von nicht behin- tungen aufzugreifen und zu verhindern, dass populistische derten und behinderten Kindern bereitgestellt haben: 10 Gruppierungen mit scheinbar einfachen Lösungen auf Millionen € für die Inklusion in den Kindergärten. Das ist Stimmenfang gehen können. Eine wirkungsvolle Sozialpo- ein gutes Zeichen. Alle Familien sollen eine gute Betreu- litik grenzt niemanden aus, sondern schafft wirkliche ung für ihre Kinder bekommen. Auch die Zielgruppe der Chancengerechtigkeit. Sie trägt dazu bei, dass diese Ge- Familien, in denen beide Elternteile arbeiten wollen, ver- sellschaft auch dauerhaft einen sozialen Zusammenhalt gessen wir nicht. bieten kann. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben gesagt, wir wollen allen Menschen, die Hilfe Über die Bildungspolitik haben wir vorhin ausführlich dis- benötigen, Hilfe anbieten. Wir wollen dort eingreifen, wo kutiert. Aber ich will wenigstens Stichpunkte nennen: Mit Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5191 dem neu eingeführten Sozialindex werden wir Schulen in In diesem Land findet eine Politik statt, bei der kein einem schwierigen sozialen Umfeld dabei helfen, die so- Mensch vergessen werden soll. Um alle Menschen, die zialen Probleme zu bearbeiten. Wir haben das Umset- Hilfe benötigen, werden wir uns kümmern. Wir sind auf ei- zungskonzept Inklusion, das die Möglichkeiten der Schüler nem guten Weg. – Ich danke Ihnen. mit sonderpädagogischem Förderbedarf verbessert. Auch (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und das sind soziale Probleme, die wir im Bildungssektor ange- der CDU) gangen sind. Das Sprachförderkonzept, das vom HKM aufgelegt wor- den ist, bietet eine Fülle unterschiedlichster Maßnahmen Vizepräsident Wolfgang Greilich: an. Zum Beispiel haben wir dort insgesamt über 2.000 Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Als Nächster spricht neue Lehrerstellen zur Verfügung gestellt. Das heißt, auch Herr Abg. Merz für die Sozialdemokraten. Bitte sehr. der Bildungsbereich, der dafür Sorge trägt, dass Schülerin- nen und Schüler über eine gute Bildung den Weg in den Arbeitsmarkt und damit auch zu Wohlstand und Teilhabe Gerhard Merz (SPD): an der Gesellschaft finden, ist angegangen worden. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin bekann- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und termaßen ein Mann von schneller Meinungsbildung bei Abgeordneten der CDU) (Zurufe von der CDU: Oh!) Viele Menschen im Lande Hessen sorgen sich um günsti- gen Wohnraum. Das ist tatsächlich eine große Baustelle – ja – und auch von schneller Meinungsäußerung. In die- und eine große Daueraufgabe. Aber auch hier will ich lo- sem Fall war ich aber eine ganze Weile unschlüssig. bend erwähnen, dass in dieser Legislaturperiode rund (Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU)) 1 Milliarde € dafür bereitstehen. Wir hoffen, am Ende die- ser Legislaturperiode rund 30.000 zusätzliche Wohnungen – Herr Boddenberg, provozieren Sie mich nicht. Sonst be- geschaffen zu haben. Wir müssen den Menschen signali- kommen Sie es zu spüren. sieren: Es ist ein Problem, in der Politik haben wir es er- (Zurufe von der CDU: Oh!) kannt, und wir setzen alles daran, dass das Land und vor allem die Kommunen diese Wohnungsnot nicht weiter ver- In diesem Falle war ich eine ganze Weile unschlüssig, wel- schärfen, sondern gezielt dagegen angehen. Wir wollen, che Empfindungen überwiegen: der Ärger über diesen neu- dass jeder Mensch preisgünstigen Wohnraum finden kann. erlichen Anfall von Weihrauchschwenkerei, die Sorge über das Anziehen der Weltmarktpreise für Weihrauch oder – (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dialektik – die Bewunderung für die Bescheidenheit der der CDU) Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir wollen uns um Menschen kümmern, die sich um die NEN, die über eine solch strahlende Erfolgsbilanz ledig- Rente Sorgen machen. Über die Deutschland-Rente haben lich im Rahmen einer Zehnminutendebatte anlässlich eines wir schon diskutiert. Wir wollen, dass die Menschen nicht Setzpunkts diskutieren wollen. Eigentlich wäre das min- in Altersarmut geraten. Wir wollen, dass Jugendliche am destens zwei Regierungserklärungen wert gewesen. Leben teilhaben und sich schnell integrieren können. Wir Ich will jetzt einmal den Kollegen Sozialminister – meinen wollen, dass Menschen preisgünstigen Wohnraum finden, Lieblingsminister – dass sie Arbeit finden und dass Ungelernte besser qualifi- ziert sind und dauerhaft in Arbeit bleiben. (Zurufe von der CDU: Oh!) Ich habe in den letzten zehn Minuten anhand dieser Bei- fragen, ober er es nicht als eine unglaubliche Provokation spiele zeigen wollen, dass wir die Sozialpolitik umfang- empfindet, hier so unter Wert verkauft worden zu sein, wie reich verstärkt haben, was deutlich macht, dass wir keine es die Anlage dieses Tagesordnungspunkts nahelegt. Gruppe, die von Armut betroffen ist, und auch keine Men- (Beifall bei der SPD – Manfred Pentz (CDU): Der schen in sozialen Problemlagen zurücklassen wollen. Wir hält das aus!) wollen auch keine Gruppen gegeneinander ausspielen. Wir haben mehrere 100 Millionen € bereitgestellt, um diesen Andererseits ist es gut – jetzt kehre ich sozusagen zum ers- Menschen zu helfen. Wir wollen in Hessen Chancenge- ten Teil meiner Empfindungslage zurück –, dass es nur rechtigkeit und Teilhabegerechtigkeit ermöglichen. Wir zehn Minuten sind; denn wenn es die Absicht war, mithilfe wollen den sozialen Zusammenhalt in diesem Land stär- dieses Setzpunkts eine konsistente, zusammenhängende ken. und umfassende Debatte über Sozialpolitik, ihre Aufgaben, ihre Instrumente und ihre Finanzierung in diesem Land zu Ich bin mir sicher, wenn wir signalisieren und auch doku- führen, ist man deutlich zu kurz gesprungen. Das, was wir mentieren, dass wir dieses Ziel bearbeiten, fühlen sich we- hier – insbesondere unter Punkt 2 – vorgelegt bekommen niger Menschen abgehängt, und weniger Menschen fallen haben, ist eine Aneinanderreihung von Gemeinplätzen, von auf politische Rattenfänger herein. Vielmehr sagen die Ladenhütern, von Selbstverständlichkeiten und von Re- Menschen stattdessen: Ja, wir sehen, das Land tut etwas für nommierprojekten. Kurzum, es ist ein Sammelsurium ohne uns. Sie wollen uns helfen, wenn wir bereit sind, uns hel- jeden roten Faden. fen zu lassen, damit uns die Teilhabe an dieser Gesell- schaft gelingt. Es wird etwas für uns getan. Jetzt wollen wir uns einmal der Sache im Einzelnen wid- men. Zum wiederholten Mal wird das Sozialbudget er- Das ist die zentrale Botschaft, die wir mit diesem Setz- wähnt. Das ist das Renommierprojekt schlechthin. Damit punkt senden wollen. Sie ist durch die Aktivitäten der Lan- auch ich einmal dieses Wort in diesem Saal benutze: Es ist desregierung und durch das, was im Koalitionsvertrag von sozusagen die Monstranz, CDU und GRÜNEN steht, hinterlegt. Sie lautet ganz klar: (Heiterkeit bei der SPD) 5192 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 die man ständig vor sich herträgt – um nicht den beliebten Zahlen längst nicht mehr so ansteigen, wie Sie sich das Versprecher „wie ein Mantra vor sich herträgt“ anzubrin- vielleicht einmal gedacht und wie wir es uns auch ge- gen. So komme ich in meiner eigenen Sammlung auch ein- wünscht haben; Sie werden sich daran erinnern, dass wir mal vor. dieses Konzept immer begrüßt haben. Wir würden uns al- lerdings auch wünschen – das kommt bei einem anderen (Heiterkeit bei der SPD) Punkt auch wieder, nämlich dem übernächsten –, dass es Meine Damen und Herren, die Zahlen werden aber nicht einmal eine anständige Evaluation dessen gäbe, was wir dadurch richtiger, dass man sie wiederholt. Sie haben ein dort tatsächlich vorfinden, sowie dessen, ob die Leistungen Sozialbudget in der Höhe von 70 Millionen € ausgewiesen. und die Effekte, die wir uns davon versprochen haben, tat- Ich wiederhole es: Diesen Betrag von 70 Millionen € ha- sächlich eingetroffen sind. ben Sie nur erreicht, indem Sie eine ganze Reihe von Maß- Hier wird einfach nur behauptet, dass es eine Erfolgsge- nahmen, die es schon lange gibt und die insofern nichts schichte ist, und es wird im Wesentlichen quantitativ be- Neues sind – Stichwort: Ladenhüter –, vorher aber nicht legt. Aber im Übrigen wird der Eigenbeitrag der Kollegen dort hineingehörten, mit eingerechnet haben. Dazu gehören von den GRÜNEN an dieser Stelle auch fehlen. Das gilt in 24 Millionen € für das Arbeitsmarktprogramm, 3 Millio- besonderer Weise für die Familienkarte. Ich habe hier noch nen € für das bürgerschaftliche Engagement, 1,2 Millio- eine Rede des Kollegen Bocklet zur Familienkarte. Aber nen € für die medizinische Versorgung sowie Mittel für die ich spare mir das jetzt. Sie haben eine Vorstellung davon, Sprachförderung im Kindergarten und für Integrationsmaß- was er einmal gesagt haben könnte, als er noch nicht der nahmen. höheren Weisheiten einer Regierungsfraktion teilhaftig war Dagegen wäre im Prinzip nichts einzuwenden, – also irgendwann vor dem Krieg. (Michael Boddenberg (CDU): Das ist schon mal (Beifall bei der SPD – Zuruf des Ministers Stefan gut!) Grüttner) wenn man dieses Geld vor sich selbst in Sicherheit brächte. Herr Minister, Vorsicht, Ihr Ironie-Detektor hat versagt. Das angeblich Neue ist ja, dass man sagt: Da wollen wir Das finde ich besonders charmant, dies als GRÜNE erstens nicht kürzen. – Das ist okay. Aber es ist in weiten Teilen als Erfolg zu werten und sich diesen zweitens auch noch an eine Mogelpackung. Bei den anderen Teilen komme ich die eigene Fahne zu heften und das auch noch als neu zu darauf zurück. verkaufen – nach dem Motto: „Wir haben dieses und jenes auf den Weg gebracht.“ An der Stelle und an vielen ande- (Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU)) ren Stellen in dem Antrag wird man davon nicht reden Herr Kollege Boddenberg, Sie haben z. B. die Kürzungen können. im Zuge der unseligen „Operation düstere Zukunft“, d. h. Zu 2 d, Ganztagsschulen. Wir haben das Thema auch heute die Kürzungen bei der Obdachlosenhilfe, bei der Erzie- früh diskutiert. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung ist hungsberatung, bei der Migrationsberatung und bei vielem nicht identisch mit dem Ausbau der Ganztagsschulen. anderen, nicht zurückgenommen. Insofern ist der Erfolg an Auch das werde ich zu betonen nicht müde, wohl wissend, dieser Stelle – das ist das Mindeste, was man sagen kann – dass der Ausbau der Betreuung auch eine notwendige Auf- längst nicht so groß, wie es hier dargestellt wird. gabe ist. Das wird ja nicht bestritten. Was aber nach wie (Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU)) vor von mir und von vielen anderen bestritten wird, ist, dass der Pakt für den Nachmittag das geeignete Mittel da- Zu Punkt 2. Ich stelle fest, dass es in dieser Legislaturperi- für ist. Wenn wir heute gehört haben, 120 Schulen nach ode bei der Finanzierung der Kinderbetreuung außer dem zwei oder drei Jahren Ausgleich für die Kosten der Einzelintegration behinderter Kinder im Grunde kein zusätzliches Geld für die Kinderbe- (Unruhe auf der Regierungsbank) treuung gegeben hat, sondern wir sind auf dem Stand der – Herr Kultusminister, wenn Sie mir Ihr Ohr leihen –, dann letzten Legislaturperiode. Zu diesem Stand will ich wieder wird man jetzt nicht sagen können, dass das geradezu ex- einmal darauf hinweisen, dass das meiste dieses Geldes plosionsartig wäre, und man wird nicht sagen können, dass eben keine originären Landesmittel sind. Man muss man in dem Tempo einer Garantie für Nachmittagsbetreu- manchmal auf einen Ladenhüter mit einem Ladenhüter ant- ung am Ende der Legislaturperiode tatsächlich näher ge- worten – nur dass meiner eher der Realität entspricht als kommen sein wird. – Das war das, was Sie versprochen Ihrer. haben. (Beifall der Abg. Heike Hofmann (SPD)) (Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Je- Wir halten fest: In der Summe der 460 Millionen €, die der, der möchte, kann! Das ist eine Garantie!) hier für Kinderbetreuung ausgewiesen sind und die von Ih- Davon wird man so nicht sprechen können. Es drängt sich nen immer wieder hervorgehoben werden, sind weniger als also die Auffassung auf, dass die schulpolitischen Punkte 50 Millionen € originäre Landesmittel drin. hier nur aufgenommen worden sind, damit die Bilanz nicht Zu 2 c. Seit 2008 gibt es die Entwicklung von Familien- ganz so mager ausfällt, wie sie sonst ausgefallen wäre. zentren. Dass man sich das nun in einem Antrag, einem Sonst wären Sie noch nicht einmal auf neun Punkte ge- Setzpunkt, der GRÜNEN als eigene Leistung anrechnet, kommen – normalerweise hat man ja zehn in diesen be- finde ich schon ein bisschen dreist. Das würde ich mir, rühmten Zehnpunktepapieren. wenn ich die CDU-Kolleginnen und -Kollegen einmal an- Zum Bündnis für das Gesamtsprachförderkonzept. Da will schaue, übrigens verbitten. ich durchaus loben. Ich habe noch einmal einen Blick in Es ist im Übrigen so – auch darüber haben wir hier bei an- das Gesamtkonzept des Landes geworfen, das ich theore- derer Gelegenheit schon einmal diskutiert –, dass die Ent- tisch sehr ambitioniert finde, das aber in seiner konkreten wicklung der Familienzentren ein wenig stockt und die Ausgestaltung, nämlich in der Abfolge der verschiedenen Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5193

Maßnahmen, sicherlich noch in puncto Konsistenz und Ansonsten ist noch eingegangen und an Ihren Plätzen ver- Aufeinander-Abgestimmt-Sein zu wünschen übrig lässt. teilt ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der FDP betreffend echter Neustart in der Glücksspielregulie- Im Übrigen will ich an der Stelle auch daran erinnern, dass rung statt Flickschusterei an gescheitertem Staatsvertrag, wir einmal eine für mich vollkommen unverständlich hefti- Drucks. 19/3414. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist ge Debatte darüber geführt haben, ob es notwendig und der Fall. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsan- wünschenswert wäre, eine Gesamtevaluation aller Sprach- trag Tagesordnungspunkt 74 und kann, wenn dem nicht fördermaßnahmen in diesem Land durchzuführen, wie es widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 15 zu die- von vielen Experten beispielsweise in der Enquetekommis- sem Thema aufgerufen werden. – So wird verfahren. sion „Integration und Migration“ angemahnt worden ist, was ich hiermit auch erneut tue. Wir fahren in der Debatte fort. Als nächster Redner spricht Herr Dr. Bartelt für die Fraktion der CDU. Bitte sehr. Ich könnte jetzt noch etwas zu der Frage des Bündnisses für Ausbildung sagen. Ich will vielleicht nur kurz sagen, dass wir von den im Bündnis für Ausbildung von der Wirt- Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU): schaft zugesagten 1.500 zusätzlichen Ausbildungsstellen gerade einmal 860 haben und wir das Ziel, am Ende der Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Legislaturperiode höchstens 10.000 Schülerinnen und Sozialpolitik hält die Menschen zusammen. Der Koaliti- Schüler in den Übergangsbereich einmünden zu lassen, onsvertrag formuliert – Herr Bocklet hat es bereits ge- nicht übermäßig ehrgeizig finden. Das wären 18 % eines sagt –: „Wir wollen allen Menschen die Chance geben, ihr Jahrgangs. Das ist eigentlich deutlich zu viel und als Ziel- Leben selbst aktiv zu gestalten.“ Eine solche Sozialpolitik setzung für die Chancengleichheit junger Menschen deut- grenzt niemanden aus, sondern schafft Chancengleichheit lich zu wenig. für alle, unabhängig von sozialer Herkunft, Alter, Ge- schlecht und kulturellem Hintergrund. Meine Damen und Herren, ich will in der verbleibenden Zeit etwas dazu sagen, was nötig wäre. Nötig wäre eine Gesellschaft und Staat müssen derzeit die Herausforderung deutliche Erhöhung der originären Landesmittel für die der Aufnahme und Integration der Flüchtlinge bewältigen. Kinderbetreuung. Nötig ist die Beitragsfreiheit der Kita, Hessen hat hier Beachtliches geleistet. Gleichermaßen zumindest ein erster weiterer Schritt in diese Richtung. Nö- müssen in Hessen ansässige Menschen, die unsere Hilfe tig ist ein konsequenter Ausbau des Ganztagsschulsystems. benötigen, die Sicherheit haben, dass auch für sie die so- Nötig ist eine Stärkung der dualen Ausbildung mit ver- zialen Leistungen fortgesetzt und weiterentwickelt werden. bindlichen Vereinbarungen mit der Wirtschaft und zusätz- – Sie können sich bei uns sicher sein. Meine Damen und lichen Ausbildungsplätzen. Nötig ist ein effektives und an- Herren, das ist auch die wesentliche Botschaft dieses An- gemessen ausgestattetes Programm gegen Langzeitarbeits- trags. losigkeit. Nötig sind zumindest eine Ergänzung zu der (Zurufe von der LINKEN) blanken Kommunalisierung von sozialen Hilfen und eine Verstärkung der Steuerung durch das Land, auch der struk- Die Förderung von Menschen in schwierigen Lebenslagen turellen Steuerung durch das Land. und das Ermöglichen ihrer Teilnahme an der Gemeinschaft sind auch Prävention gegen Anfälligkeit gegenüber rechts- (Beifall der Abg. Lisa Gnadl (SPD)) populistischen Stimmungslagen und entsprechender Stim- mungsmache. Deshalb ist der Setzpunkt der GRÜNEN gut gewählt. Er ist keine Weihrauchschwenkerei, und es sind Vizepräsident Wolfgang Greilich: keine Ladenhüter, sondern es sind Botschaften in einer Herr Kollege, Sie müssen dringend zum Ende kommen. schwierigen Situation unseres Landes. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Gerhard Merz (SPD): GRÜNEN) Letzter Satz: Nötig ist die Rücknahme der 2003 vorgenom- Es ist ein Signal an Menschen, dass das Land Hessen sie menen Kürzungen in der Obdachlosenhilfe, der Erzie- nicht zurücklässt, und es sind der Dank und die Anerken- hungsberatung, der Migrationsberatung, und nötig wäre ein nung an Kommunen, Wohlfahrtsverbände und alle ehren- Wort zur Pflege sowie zur Krankenhaus- und zur gesund- amtlich Tätigen. Die Landesregierung und die sie tragen- heitlichen Versorgung gewesen. Das fehlt vollständig. Sie den Fraktionen haben das Sozialbudget für freiwillige sind hinter Ihrem Anspruch kläglich zurückgeblieben. – Leistungen des Landes um 35 % auf 70 Millionen € erhöht. Herzlichen Dank. Durch Festschreibung dieser Landesmittel erhalten Kom- munen und Träger unabhängig von Konjunkturlage und (Beifall bei der SPD) Schuldenbremse Planungssicherheit. Sicherlich sind einige Dinge dabei, die bisher in anderen Haushaltstiteln vertreten waren. Es bleibt aber die Erhöhung um 35 %, und es bleibt Vizepräsident Wolfgang Greilich: die Planungssicherheit trotz Schuldenbremse. Vielen Dank, Herr Kollege. – Das ist eine gute Gelegen- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE heit, jetzt einmal zu sagen: Ich habe den Eindruck – das GRÜNEN – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE beobachte ich schon den ganzen Vormittag –, dass die Re- LINKE)) dezeitdisziplin heute etwas zu wünschen übrig lässt. Ich würde bitten, dass die folgenden Redner das etwas stärker Hiervon werden 19 Millionen € den Kreisen und kreisfrei- im Blick behalten als so mancher, der heute schon gespro- en Städten für Schuldnerberatung, Frauenhäuser und Opfer chen hat. sexueller Gewalt zur Verfügung gestellt – für Menschen, die diese Hilfe dringend benötigen. Sie stehen oft im (Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD)) Schatten der Öffentlichkeit. Die Lebenssituationen sind ta- 5194 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 buisiert. Die Orte der Frauenhäuser sind der Öffentlichkeit ruf. Sie umfasst auch die Chance des Aufstiegs in der be- aus sehr nachvollziehbaren Gründen nicht bekannt. Ge- ruflichen Laufbahn. Entwicklungen der Personalkonzepte spräche mit Politik und Presse, mit Betroffenen finden ver- von öffentlichen und privaten Arbeitgebern müssen hierzu ständlicherweise nur selten und anonymisiert statt. natürlich auch ihren Beitrag leisten. (Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Vorsitz.) GRÜNEN) Die aktuelle Diskussion über die strafrechtliche Bewertung Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktkennzahlen sexueller Belästigung und Gewalt hat sicherlich sensibili- sind für Hessen ausgezeichnet. Die Arbeitslosenzahl ist die siert. Das ist gut. Allein die Unterstützung für Frauenhäu- niedrigste seit mehr als 20 Jahren. Die Quote ist mit 5,5 % ser wurde um 2,7 Millionen € erhöht. Die Zielvereinbarun- niedriger als im Vorjahresmonat. Die Zahl der sozialversi- gen zwischen dem Land, dem Landeswohlfahrtsverband cherungspflichtigen Arbeitsplätze ist so hoch wie nie zu- und den kommunalen Gebietskörperschaften sind jetzt flä- vor. Trotzdem sind Langzeitarbeitslose weiter ein Problem. chendeckend abgeschlossen. Das heißt, die Gelder fließen Sie haben oft multiple Vermittlungshindernisse. Das Pro- dorthin, wo sie gebraucht werden. Sie stellen hessenweit gramm „Kompetenzen entwickeln – Perspektiven eröff- ein bedarfsgerechtes Angebot sicher. Die Zuwendungsbe- nen“ ist auch für sie ein Angebot. Es wurde im Juli 2015 träge berücksichtigen die Grundpauschale und bedarfsge- vorgestellt. Arbeitslose, die seit zwei Jahren Hartz IV be- rechte Fallpauschalen. ziehen, können einer sozialversicherungspflichtigen Be- schäftigung nachgehen und sich gleichzeitig weiterqualifi- Eine gute Betreuung ist für das Aufwachsen der kommen- zieren. Fünf Jahre lang werden insgesamt 10 Millionen € den Generationen von elementarer Bedeutung. Sie wird im eingesetzt. Das Programm ergänzt die Arbeitsmarktbud- Vorschulalter vom Land mit 460 Millionen € gefördert. gets und die Ausbildungs- und Qualifikationsbudgets gut, Die Grundlagen der Förderung sind: Die Qualität der früh- die durch Zielvereinbarungen mit den Kommunen bereits kindlichen Bildung wird weiterentwickelt. Die Eltern ha- seit etwa fünf Jahren umgesetzt werden. ben eine Wahlfreiheit, ihr Kind selbst zu Hause zu be- treuen oder Betreuung in Anspruch zu nehmen. Eltern, die Abschließend – damit ich mich auch an die Redezeit hal- eine verstärkte Unterstützung brauchen, weil ihr Kind eine te –: Die regierungstragenden Fraktionen zeigen, dass un- Behinderung hat oder ein schwieriges soziales Umfeld be- sere aktivierende Sozialpolitik für in Hessen lebende Men- steht, benötigen auch eine stärkere Zuwendung durch den schen und der Aktionsplan zur Integration von Flüchtlin- Staat. gen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zusammengehören. Es sind zwei Seiten derselben Medail- Die im Koalitionsvertrag beschriebenen Maßnahmen wer- le. Das ist die Botschaft, die diesem Setzpunkt zugrunde den von der Landesregierung konsequent umgesetzt. Im liegt. Wir danken unserer Landesregierung, besonders dem Kinderförderungsgesetz ist eine zusätzliche Unterstützung Sozialminister, der kommunalen Familie, den Wohlfahrts- von Kindertagesstätten durch das Land vorgesehen, in de- verbänden und den ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen nen mehr als 22 % der Kinder aus einem einkommens- und Bürgern für die Umsetzung. – Vielen Dank. schwachen Elternhaus kommen oder in deren Elternhäu- sern die deutsche Sprache nicht ausreichend vermittelt (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE werden kann. Diese sogenannten Schwerpunkt-Kitas erhal- GRÜNEN) ten 390 € pro Kind und Jahr zusätzlich. Jetzt, nach dem Ablauf der Übergangsfristen der Zuwendungssystematik im September 2015, da alle Kitas nach dem KiföG die För- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: derung abrechnen, werden diese Qualitätspauschalen eben Vielen Dank, Herr Dr. Bartelt. Ich darf für das Präsidium, auch zunehmend gezahlt. ich glaube, für das ganze Haus, sagen: Niemand hat be- Der Leitgedanke einer gezielten Förderung der Bildung in zweifelt, dass Sie sich an die Redezeit halten. Danke sehr. Abhängigkeit vom sozialen Umfeld wird für die Schulkin- – Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Abg. Schott der in der Lehrerzuweisung nach dem Sozialindex fortge- gemeldet. setzt. Unter Berücksichtigung eines überdurchschnittlichen Anteils an Arbeitslosigkeit oder Hartz-IV-Empfängern in der Bevölkerung im Einzugsgebiet der betreffenden Schule Marjana Schott (DIE LINKE): können bis zu 10 % mehr Lehrerstellen zugewiesen wer- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist uns den. Eine weitere sozialpolitische Komponente der Förde- durchaus bewusst, dass die Regierungsfraktionen ihre Setz- rung junger Menschen sind die sogenannten Frühen Hilfen. punkte dazu nutzen, der Landesregierung eine Chance zu Sie wenden sich an Kinder mit Behinderungen oder Ent- geben, sich selbst zu loben. Heute liegt uns allerdings ein wicklung einer Behinderung. Die Fördergrundsätze sind im unterirdisches Zusammenfügen von Dingen vor, die ab- Februar 2016 veröffentlicht worden, sie gelten rückwir- schließend weder Sozialpolitik sind noch eine irgendwie kend zum 01.01.2016. Der Begriff ist weit gefasst; er um- geartete Handlungsorientierung oder einen Veränderungs- fasst auch alle Sinnesbehinderungen, z. B. Autismus oder bedarf aufzeigen, der aber dringend notwendig wäre. Was Verhaltensstörungen. Sie hier mit uns machen, ist echte Verschwendung von Le- Familienzentren werden zunehmend ausgebaut und ent- benszeit. wickeln sich zu einem flächendeckenden Angebot. Die Be- (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der treuungsquote für unter Dreijährige liegt mit 29 % über SPD) dem Durchschnitt westdeutscher Länder. Der Rechtsan- spruch auf einen Betreuungsplatz kann landesweit erfüllt Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ich weiß, werden. Das ist ein Merkmal für eine Wahlfreiheit der El- Sie müssen auch Ihre Klientel bedienen, indem Sie ihnen tern. Sie verbessert die Vereinbarkeit von Familie und Be- erklären, dass Sie in dieser Regierungskonstellation doch auch das eine oder andere Gute bewerkstelligt haben. Aber Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5195 alle Erklärungen helfen nicht. Alle Wiederholungen ma- schäftigungsverhältnissen arbeiten, ständig Angst um ihren chen die Welt durch Schwarz-Grün ganz und gar nicht bes- Arbeitsplatz haben, ihre eigene Arbeitszeit reduzieren – ser und gerechter. schütteln Sie doch nicht den Kopf –: Die Frauen in den Frauenhäusern reduzieren zulasten ihrer Altersversorgung Da ich hier aber schon einmal stehe und mir die Zeit ge- ihre Arbeitszeit, damit die Arbeit in den Frauenhäusern nommen habe, will ich sie nutzen, um Sie auf die Realität überhaupt noch aufrechterhalten werden kann. aufmerksam zu machen. Nach Ihrer Auffassung sollen wir im Landtag feststellen, „dass auch in einer Gesellschaft mit (Claudia Ravensburg (CDU): Wir haben ihnen gera- hohen Sozialstandards weiterhin mit präventiven Maßnah- de Geld gegeben! – Gegenruf der Abg. Janine Wiss- men gegen Armut und soziale Ausgrenzung und für Chan- ler (DIE LINKE): Die Naspa hat es ihnen wieder cengerechtigkeit gearbeitet werden muss“. Das würde ich weggenommen!) ja fast tun, wenn ich auch der Meinung bin, dass hohe So- – Natürlich haben sie ein bisschen Geld bekommen, aber zialstandards geradezu dazu da sind, Armut zu verhindern, das reicht doch bei Weitem nicht für das aus, was notwen- und man dann nicht trotz ihrer noch Methoden braucht. dig ist. – Sie sind nicht die Einzigen. Ich könnte meine hal- Wenn Sie jetzt Schweden oder Norwegen meinen würden, be Redezeit damit verbringen, aufzuzählen, welche Projek- könnte ich Ihnen sogar zustimmen. te aufgegeben haben, weil sie mehr Geld für das Akquirie- Wenn wir uns allerdings die Zahlen der Altersarmut von ren für immer kürzer währende Projekte ausgeben, weil sie heute und morgen – ab 2030 wird mit 50 % der Bevölke- pleitegehen, weil es sie nicht mehr gibt, dank Ihrer guten rung gerechnet –, die steigenden Armutsquoten in Hessen Sozialpolitik. Dafür beklatschen Sie sich. Schämen sollten und insbesondere die hohen Zahlen der Armut von Kin- Sie sich. dern und Jugendlichen anschauen, ist es zynisch, von „ho- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Holger hen Sozialstandards“ zu sprechen. Damit grenzen Sie im- Bellino (CDU)) mer größere Teile der Gesellschaft bewusst aus Ihrer Wahrnehmung und Politik aus. Inzwischen sind die Ausga- Auch Kinderbetreuung ist Sozialpolitik. Es wäre richtig, ben für soziale Sicherheit in Prozent zur Wirtschaftsleis- wenn das KiföG dafür sorgen würde, dass die Qualität aus- tung niedriger als im EU-Durchschnitt. Vor uns liegt bei- gebaut würde. Dies ist nicht der Fall. Wenn die meist spielsweise unter anderem die Slowakei. klammen Kommunen nicht einen Personalschlüssel über dem KiföG zur Verfügung stellen würden, sähe es noch Eine wirklich wirkungsvolle Sozialpolitik würde dazu füh- düsterer aus als jetzt. Bereits jetzt sind Erzieherinnen und ren, dass Menschen keine schlechteren Arbeitsverhältnisse Erzieher nicht mehr bereit, zu den schwierigen Arbeitsbe- eingehen und aushalten müssen, aus lauter Angst davor, ar- dingungen überhaupt weiter zu arbeiten. Sie verlassen beitslos zu werden und in den Hartz-IV-Bezug abzugleiten. frühzeitig den Beruf; das wissen wir doch alles schon lan- Da kann ich aber nichts erkennen. Im Gegenteil, Hartz IV ge. wird in diesem Hause, einmal abgesehen von leichten Ab- setzbewegungen bei der SPD, weiterhin als gut und sinn- Die Elternbeiträge entwickeln sich gerade nach oben. Fa- voll angesehen. Das ist gut und wirkungsvoll für Unterneh- milien haben somit eine Wahlfreiheit, und diese Wahlfrei- mer und Arbeitgeber, die Menschen unter Druck setzen heit heißt: Sie entscheiden, ob Frauen zu Hause bleiben können, aber nicht gut für Menschen in sozialen Notlagen. und die Kinder betreuen oder ob sie arbeiten gehen und ihr Gehalt für die Kinderbetreuung ausgeben. Das ist die (Beifall bei der LINKEN) Wahlfreiheit, die viele Familien in diesem Land tatsächlich Oder wollen Sie uns wirklich die Tafeln als wirkungsvolles haben. – Ja, es gibt andere, das weiß ich auch. Aber ein Sozialsystem verkaufen? – Wir sind doch inzwischen mehr Großteil der Familien steht genau vor diesem Knoten, und bei der Nothilfe als bei gerechter Sozialpolitik angekom- dann können sie sich überlegen, wie sie sich entscheiden. men. Für gerechtere Sozialpolitik bräuchten wir einen hö- Dann möchte ich noch etwas zu dieser unsäglichen Famili- heren Mindestlohn und eine gerechtere Besteuerung, bei enkarte sagen. Welche Leistungen sind denn damit für un- der die Vermögenden den Sozialstaat mitfinanzieren, damit sere Familien verbunden? – Unfallversicherung bis zum er funktionsfähig wird. Das wäre gute Sozialpolitik. Schuleintritt – schön. Eine private Organisation wird be- (Beifall bei der LINKEN) worben, die Babysitter oder Au-pairs vermittelt. Dann gibt es Werbung für Hipp, für Fraport, für den ADAC und viele Lassen Sie uns konkret zu Hessen kommen. Ein paar Wor- andere Firmen. Die kostenlose „Nummer gegen Kummer“ te zu den von Ihnen so genannten Errungenschaften. Das beim Kinderschutzbund wird angegeben. Diese Nummer Sozialbudget wurde erhöht – das hat der Kollege vorhin findet man auch ohne diese Karte im Netz. Das bekommt schon im Detail auseinandergenommen. Deswegen mache man auch so heraus. Das ist eine echte Leistung, für die Sie ich das nicht noch einmal. Wie oft wollen Sie sich eigent- sich täglich loben sollten, wie Sie hier für Firmen und ge- lich noch dafür abfeiern? – Wenn die Initiativen, die die winnträchtige Vereine staatliche Werbung erbringen und Arbeit vor Ort machen, bei jedem Hurraruf, der hierfür das dann Sozialpolitik nennen. kommt, Geld bekämen, dann ginge es ihnen deutlich bes- ser. Der Umfang des Sozialbudgets hat nicht einmal ein Dass Sie sich für Ihre Schulpolitik nicht loben sollten, Viertel dessen, was Sie vorher weggekürzt haben. müssten Sie eigentlich wissen. Wir haben aber heute schon einmal das Gegenteil ertragen und erdulden müssen. An- Das ist alles schön, dass die Träger zusätzliches Geld be- ders kann man das nicht nennen. Sonst müssten Sie die kommen. Es reicht aber nicht, um wirkungsvolle Ar- Maßnahmen nicht so oft wieder zurücknehmen, wenn Sie mutspräventionen auf kommunaler Ebene aufzubauen. es denn tatsächlich zur Kenntnis genommen hätten. Herr Dr. Bartelt, Sie haben vorhin gesagt, mit Ihrer Sozial- politik und diesem Antrag wollen Sie sich auch bei denen Selbst die Bertelsmann Stiftung kritisiert Hessen wegen bedanken, die vor Ort die Arbeit leisten. Sich bei denen zu des minimalen Umfangs der Ganztagsschulangebote. Der bedanken, die dank Ihrer Sozialpolitik in prekären Be- Pakt für den Nachmittag hilft da nichts. Er kommt zudem 5196 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 kaum voran. Letztendlich sind Sie da auch nicht die Hel- richtig. Wir erleben immer mehr, dass alle, die klagen, den der Vorreiter, denn der Pakt für den Nachmittag ist auch recht bekommen. Von daher ist das auch notwendig. doch Ihre Alibikiste gegen die Ganztagsschule. (Beifall bei der LINKEN) Es gäbe mehr zu dem Wildwuchs der Sprachförderpro- Zu einer guten Sozialpolitik gehört eine Reform aller Pro- gramme zu sagen, auch das hatten wir vorhin schon ein- gramme, die mit der Verwaltung von Arbeitslosigkeit zu mal. Es gäbe ebenfalls mehr zu den geringen Kapazitäten tun haben. Wir müssen nicht nur hier weg von der Projekti- für Seiteneinsteigerkurse zu sagen oder dazu, dass Sie tis, die weder den Betroffenen noch den Mitarbeitenden, nicht einmal gewagt haben, den Schulbesuch für Jugendli- noch den Trägern dient. Herr Bartelt, noch einmal, die Trä- che, die neu nach Deutschland kommen, zeitlich auszudeh- ger und deren Mitarbeiter sind die Leidtragenden. nen. Wenn Sie allerdings behaupten, dass es „individuelle Pro- bleme“ sind, dass Langzeitarbeitslose keine Stelle finden, Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: dann finde ich das perfide. Tatsache ist doch, dass es zu Frau Schott, kommen Sie bitte zum Schluss. wenige Arbeitsplätze für die jeweiligen Arbeitslosen gibt. Dann werden die Menschen bevorzugt, die noch nicht lan- ge aus dem Beruf heraus sind. Jeder weiß, lange Arbeitslo- Marjana Schott (DIE LINKE): sigkeit macht krank. Deshalb muss man Arbeit fördern und nicht Arbeitslosigkeit. Es müssen also gerade im öffentli- Ich würde gerne enden mit dem Zitat des Armutsforschers chen Sektor wieder Arbeitsplätze geschaffen werden, statt Christoph Butterwegge: Arbeitsplätze abzubauen. Sie können in dieser Frage gerne Entweder sind Staat und Gesellschaft bereit, erheb- nach Thüringen schauen, die haben mindestens einen Fuß lich mehr Geld auszugeben, oder die Kluft zwischen in die Tür bekommen, indem sie Arbeit statt Arbeitslosig- Arm und Reich wird sich drastisch vertiefen. Be- keit fördern. treibt die Bundesregierung (Beifall bei der LINKEN) – hier können wir die Hessische Landesregierung durchaus Sie schaffen es aber nicht einmal, ein kleines Arbeitspro- mitnehmen – jekt für Drogenabhängige weiter zu finanzieren. Das ist es weiterhin Reichtumsförderung statt Armutsbekämp- Ihnen nicht wert. fung, gefährdet sie den gesellschaftlichen Zusam- Gute Sozialpolitik sorgt auch fürs Wohnen. Wir brauchen menhalt und die Demokratie. bis zum Jahr 2020 40.000 neue Wohnungen und nicht nur (Beifall bei der LINKEN) Wohnraum für 30.000 Menschen.

Für eine gute Sozialpolitik fehlen weitere wichtige Dinge. Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Sogar im Haushalt steht eine Teilhabekarte, die zwar Ar- mut nicht abbaut, sondern eher die Auswirkungen abmil- Danke, Frau Schott. – Für die FDP-Fraktion erteile ich dert. Aber auch dazu passiert nichts. Es wäre doch schon Herrn Rock das Wort. schön, wenn wenigstens ein Schritt in diese Richtung ge- gangen würde. René Rock (FDP): Eine flächendeckende Versorgung mit Hebammen und Frühen Hilfen würde genauso dazugehören. Die Landesre- Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Frau gierung sieht sich bei der Geburtshilfe überhaupt nicht zu- Schott, es macht mich immer wieder fassungslos, wenn ich ständig. Ich meine nicht, dass Herr Grüttner jetzt als Ent- Sie am Mikrofon erlebe und höre, was Sie erzählen. Das bindungspfleger arbeiten sollte. Er sollte eher dafür Sorge macht mich fassungslos. tragen, dass jede Frau und auch jeder Vater mit einer Heb- (Beifall bei der FDP, der CDU und dem BÜNDNIS amme die Geburt vorbereiten, durchführen und nachberei- 90/DIE GRÜNEN) ten kann. Es sollte nicht so sein, wie es vielfältig in diesem Land schon ist, dass man niemanden mehr findet. Die Beschreibung unseres Landes, die Sie hier vortragen, ist einfach nicht deckungsgleich mit der Realität, Frau Zu einer guten Sozialpolitik gehört auch eine Jugendhilfe, Schott. Wir sind hier nicht in einer sterbenden DDR, und die genügend Mittel zur Verfügung hat, um präventiv zu wir sind auch nicht in Venezuela. Wir sind in der Bundes- arbeiten. Sie sollte nicht die Kommunen in eine Situation republik Deutschland, die einen seit 70 Jahren gewachse- bringen, teure stationäre Aufenthalte finanzieren zu müs- nen Sozialstaat hat. sen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, weil im Vorfeld kein Geld für Prävention und schützende (Beifall bei der FDP, der CDU und dem BÜNDNIS Maßnahmen vorhanden ist. 90/DIE GRÜNEN) Zu guter Sozialpolitik gehört die längst überfällige Om- Seit 70 Jahren betreiben in diesem Parlament, aber auch in budsstelle für Kinderrechte, die Kinder und Jugendliche in anderen deutschen Parlamenten, Fraktionen verantwor- Jugendhilfefragen unterstützt. Wo ist die Initiative vom tungsvoll Politik, um einen Sozialstaat zu entwickeln. Na- Land? Nichts, ganz im Gegenteil. türlich gibt es immer wieder Herausforderungen, die ge- meistert werden müssen. Natürlich werden wir nie eine bis Zu einer guten Sozialpolitik gehören unabhängige Arbeits- in den letzten Punkt gerechte Gesellschaft erreichen. Wir losenberatungseinrichtungen, damit Menschen ihre Rechte müssen immer daran arbeiten, eine gerechte Gesellschaft kennen und selbstbewusst ihren Platz auf dem Arbeits- zu erreichen. Es wird immer Kritikpunkte geben. Aber das, markt finden können und auch ihre Position gegenüber der was Sie hier veranstaltet haben, wird unserem Land nicht Arge vertreten können. Nicht immer sind diese Bescheide gerecht. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5197

(Beifall bei der FDP, der CDU und dem BÜNDNIS serung der Situation vorantreiben will. Wir können immer 90/DIE GRÜNEN) noch über die Strukturen sprechen, aber dadurch, dass sich die GRÜNEN dem schwarz-grünen Projekt angeschlossen Zurück zum Antrag. Als ich diesen Antrag gesehen habe, haben, sind diese für das Kinderförderungsgesetz wohl musste ich feststellen, es handelt sich um Aufzählungen dauerhaft gefestigt. Die Frage ist nun, wie man es ausfi- von Projekten und von Handlungen, aber ohne einen inne- nanziert und wie man es optimiert. Wie nimmt man die ren Zusammenhang. Es ist eine Aufzählung, in der einfach Kritik aus der Bildungs- und Betreuungslandschaft ernst, wichtige Bereiche fehlen. und was führen wir dort fort? Kein Wort dazu, wie etwa: Herr Kollege Merz hat darauf hingewiesen, es fehlt der ge- „Wir haben uns getroffen, wir haben Gespräche mit den samte Gesundheitsbereich, es fehlt die Frage der Integrati- Verbänden geführt.“ Wo sind Ihre Vorschläge, hier weiter- on als eigener Bestandteil einer Politik. Das, was Sie hier zukommen? Wo sind Ihre Vorschläge, in der frühkindli- aufgeführt haben, ist ein Dokument, in dem deutlich wird, chen Bildung endlich wieder einen Schritt nach vorne zu wo Stillstand in dieser Landesregierung herrscht und wo machen? Jede Legislaturperiode müssen wir hier ein wir selbst Rückschritte feststellen können. Stückchen besser werden. Das ist eine Herausforderung, der Sie sich nicht stellen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Ich nehme es gleich noch vorweg: Die zwei grünen Farb- tupfer, die hier in der Landespolitik festzustellen sind, die Wenn ich dann noch feststelle, dass es bei Projekten ein- zwei symbolpolitischen Aktionen, die Sie jetzt in drei Jah- fach heißt, man habe sie evaluiert, der Minister oder man ren zuwege gebracht haben, das sind erstens die 20 Millio- persönlich sei vor Ort gewesen, habe sich die Kindertages- nen € im sogenannten Sozialbudget, bei dem verschiedene stätten und die Grundschulen angeschaut, die im Rahmen Haushaltsstellen, die früher woanders waren, jetzt in dem der qualifizierten Schulvorbereitung zusammengearbeitet Projekt „Sozialbudget“ zusammengefasst worden sind. 20 hätten, und überall habe es Zustimmung gegeben, alle Ein- Millionen € obendrauf, das heißt 3 € pro Bürger in Hessen richtungen, alle Grundschulen hätten es super gefunden: – das ist sozusagen Ihr grünes Tüpfelchen in der Sozialpo- Warum wird dieses Projekt nicht weiterverfolgt? Warum litik, Ihr Footprint in der Sozialpolitik in Hessen. Zweitens wird es nicht über Hessen ausgerollt? Hier gibt es einfache dieses Symbolthema „Arbeitsmarkt“, das Herrn Bocklet ja Möglichkeiten, die Qualität vor Ort nicht unbedingt mit sehr am Herzen liegt, bei dem ich allerdings keine flächen- 100 Millionen €, aber vielleicht mit 20, 30 oder 40 Millio- deckenden Auswirkungen feststellen kann. nen € zu verbessern. Warum tun Sie das nicht? Warum las- sen Sie diese Lebenschancen für junge Menschen in unse- Zu dem, was Sie hier ansonsten an Projekten aufzählen: rem Land verstreichen? Ich sehe den Kollegen Banzer als ehemaligen Minister hier sitzen, beispielsweise die Zusammenfügung der Arbeits- Damit sind wir ein bisschen in der Gerechtigkeitsdebatte. marktprojekte zu Arbeitsmarktbudgets ist noch unter seiner Natürlich geht es in der Sozialpolitik immer um Chancen- Ägide eingeleitet worden. – Das ist Politik, die ist zwei Re- gerechtigkeit. Wir wissen alle, dass wir keine gleichen gierungen her, für die Sie sich hier loben. Startchancen erzeugen können. Wir können gleiche Rah- menbedingungen erzeugen, und wir können versuchen, (Beifall bei der FDP) Chancengerechtigkeit auf den Weg zu bringen. Es leuchtet Wenn ich mir die anderen Projekte ansehe, stelle ich fest, mir aber nicht ein, wie Chancengerechtigkeit ohne Investi- es sind solche von Dorothea Henzler oder Nicola Beer, das tionen in frühkindliche Bildung funktionieren soll. Wenn Sozialbudget, die 105-prozentige Lehrerversorgung. Dar- Sie Chancengerechtigkeit in unserer Gesellschaft fördern über haben wir heute schon diskutiert. Was machen Sie wollen, müssen Sie auch in diesem Bereich aktiv werden. denn? Sie bauen die Finanzierung der Schulen nicht aus, Dazu erwarten wir noch immer eine Initiative, dass Sie sondern Sie versuchen, die 105-prozentige Lehrerversor- hier mehr tun oder zumindest die Kritik aus der Landschaft gung durch die Hintertür wieder abzuschaffen und für ir- aufnehmen und an den Kritikpunkten, die wir alle kennen, gendwelche anderen Projekte zu verwenden. ein bisschen etwas tun und wenigstens einen symbolischen Schritt weiterkommen. Aber gar nichts zu tun und sich da- (Beifall bei der FDP) für zu loben, was in der letzten Legislaturperiode gemacht Herr Merz ist auf das Familienzentrum eingegangen: worden ist, das ist an diesem Punkt schon reichlich dünn. 12.500 € oder 18.000 € Unterstützung pro Projekt, das eine (Beifall bei der FDP) Kommune entwickelt hat – das haben wir alle gemeinsam beschlossen, das haben wir 2008 in einem einstimmigen Natürlich nehmen Sie das Thema Betreuung auf. Sie neh- Antrag im Landtag beschlossen. Die schwarz-gelbe Lan- men das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf. desregierung hat es damals auf den Weg gebracht, Sie ha- Aber, Herr Bocklet, wenn man Sie an Ihren eigenen An- ben es fortgeführt, hurra. Das ist tatsächlich die innovative sprüchen messen möchte, Sozialpolitik, die Sie hier beschreiben. Ich kann Ihnen nur (Zuruf von der FDP: Lieber nicht!) ins Stammbuch schreiben: Nehmen Sie Ihren Antrag ernst, und nehmen Sie ihn als Handlungsaufforderung für das, verweise ich einmal auf die letzte Legislaturperiode. Jeder, was Sie nicht tun in diesem Land. Was tun Sie nicht, was der in der letzten Legislaturperiode diesem Landtag ange- müssten Sie tun? Dazu nenne ich Ihnen ganz klar den früh- hört und Ihren Reden gelauscht hat, weiß, wie Sie Herrn kindlichen Bereich. Minister Grüttner versprochen und allen, die es hören oder nicht hören wollten, jedes Mal vorgerechnet haben: Ihr (Beifall bei der FDP) werdet den gesetzlichen Auftrag nicht erfüllen, ihr werdet Eigentlich bin ich fassungslos, dass diese Landesregierung es nicht schaffen, ich rechne es euch in jeder Sitzung des in diesem Bereich nicht den Weg fortsetzt, den sie einmal Sozialausschusses vor. – Es ist geschafft worden. Aber wo eingeschlagen hat, und hier nicht einen Investitionsschwer- sind die Investitionsprogramme, um es fortzusetzen, wei- punkt sieht, mit dem sie Veränderungen bzw. eine Verbes- 5198 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 terzumachen und es besser zu machen? Wo ist Ihr Engage- Auch auf das Kinderförderungsgesetz können wir gern zu ment, Herr Bocklet? sprechen kommen. Dazu haben wir eine Evaluation be- schlossen, da steht die Nachsteuerung noch aus, das ist (Beifall bei der FDP) doch überhaupt kein Thema. Wir könnten auch bei dem Wo ist Ihr Engagement in dem Bereich, das Sie noch in der Bonusprogramm sagen, dass wir noch ein bisschen mehr Opposition hatten? Es ist gleich null, nichts, weg, gar machen. Wir könnten auch sagen, dass wir bei dem einen nichts. Das sind einfach die Fragen, die man sich stellen oder anderen Punkt der Langzeitarbeitslosigkeit draufsat- muss, dass man, wenn man in eine Regierung eintritt, zu- teln. Aber wenn in einer solchen Situation, in der draußen mindest zeitweise an dem gemessen wird, was man zuvor die eine Gruppe gegen die andere ausgespielt und disku- einmal gesagt hat, Herr Bocklet. Da haben Sie leider nichts tiert wird, CDU und GRÜNE dokumentieren, dass eine zu liefern. Dass die Union ihre Politik hier konsequent Fülle von Maßnahmen ergriffen wurde, um keinen Men- weiter vertritt, dass sie auch auf die guten Taten anderer schen zurückzulassen, und wir eine Sozialpolitik für alle Legislaturperioden hinweist, weil sie hier dauerregiert und Menschen machen, dann muss ich Ihnen sagen, dass Ihr es ihr deswegen egal sein kann, ob sie allein oder mit uns Beitrag an Kleinkariertheit nicht mehr zu überbieten ist. oder mit den GRÜNEN regiert, vielleicht das nächste Mal Das müssen wir in dieser Stunde einmal feststellen. mit der SPD, ist nicht weiter verwunderlich. Die sagen na- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) türlich: Wir haben in den letzten 15 Jahren gute Politik ge- macht, das wird konsequent fortgesetzt. Dafür wollen wir auch in unserem Antrag wunderbar gelobt werden. – Das Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: kann ich ja noch nachvollziehen. Danke, Herr Bocklet. – Herr Rock, wollen Sie darauf ant- Aber für eine Fraktion wie die GRÜNEN, die hier große worten? Reden geschwungen und die immer wieder auf angebliche Missstände hingewiesen hat, hier mit zwei grünen Farbtup- (René Rock (FDP): Selbstverständlich!) ferchen in der hessischen Sozialpolitik in einem Finanzum- – Auch zwei Minuten Redezeit. fang von vielleicht 30 Millionen € zu kommen – das ist ein bisschen dünn, Herr Bocklet. Da erwarte ich einfach auf der Zielgeraden der Legislaturperiode, dass Sie sich noch René Rock (FDP): einmal reinhängen, sich an Ihren eigenen Vorgaben oder zumindest an den Leistungen der Vorgängerregierungen Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr messen, dann wird es vielleicht noch was. Aber das hier ist Bocklet, das war jetzt wieder die übliche grüne Beschei- deutlich zu wenig. – Vielen Dank. denheit: Wenn Sie nicht mehr weiter wissen, kommen Sie mit einem solchen Meta-Argument. Wir alle wissen, dass (Beifall bei der FDP und des Abg. Gerhard Merz wir uns in einer schwierigen sozialpolitischen und gesell- (SPD)) schaftspolitischen Diskussion befinden. Wir alle wollen nicht demnächst neben der CDU zwei Reihen AfD sitzen sehen. Natürlich wissen wir das. Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: (Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE Danke, Herr Rock. – Ihre Meldung kommt ein bisschen GRÜNEN)) spät. Aber für eine Kurzintervention erteilte ich Herrn Bocklet das Wort. Aber deshalb sind Sie nicht davon entbunden, die Mindest- anforderungen von Sozialpolitik umzusetzen.

Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der FDP und der SPD) Herr Rock, ich kann verstehen, dass man zu jedem einzel- Wenn hier jemand immer nahe an der Instinktlosigkeit nen Punkt in der hessischen Sozialpolitik eine andere Posi- agiert, Herr Bocklet, dann schauen Sie einmal bitte in den tion entwickeln kann. Was ich aber bei Ihnen und bei Spiegel. Herrn Merz überhaupt nicht verstehe, ist, dass Ihnen kom- (Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE plett der Instinkt abhandengekommen ist, in welcher ge- GRÜNEN)) sellschaftlichen Situation wir uns gerade befinden. Ich möchte deutlich machen, dass die Opposition sich in (Lachen des Abg. Günter Rudolph (SPD)) diesem Haus gerade in der Flüchtlingspolitik in einer Art Wir haben versucht, das in unserem Antrag wiederzugeben und Weise loyal, zusammenstehend und gemeinsam posi- – man muss es nicht nur lesen, sondern auch verstehen tioniert hat, wie es in Deutschland einzigartig ist. können –, in einer Situation, in der draußen im Lande dar- (Beifall bei der FDP und der SPD) über diskutiert wird, wie stark der gesellschaftliche Zusam- menhalt noch ist, in der Gruppen gegeneinander ausge- Wir als Parlamentarier in der Opposition haben uns nichts spielt werden und Rechtspopulisten sagen: „Für die habt vorzuwerfen. Wir haben einen Schulterschluss geübt und ihr Geld, aber nicht für uns.“ Wenn wir in einer solchen Si- haben gemeinsam die Dinge aus dem politischen Feuer tuation nur in einem Auszug – es ist nur ein Auszug einer herausgehalten. Hier lassen sich die Opposition, wir als Zwischenbilanz – dokumentieren, dass wir etwas für Lang- Freie Demokraten und auch die anderen Vertreter im zeitarbeitslose tun, für Jugendliche, für die Familien, mehr Hause, nichts vorwerfen. – Und zur Instinktlosigkeit, Herr für den Wohnungsbau tun, uns um alle Menschen küm- Bocklet: Schauen Sie einmal in den Spiegel. mern, die den Sozialstaat benötigen, und nicht nur um Ein- (Beifall bei der FDP) zelne, und zwar mit einem umfangreichen Programm, dann kann man natürlich sagen: Ich hätte an dieser Stelle gerne noch ein bisschen mehr und hier auch. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5199

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Danke, Herr Rock. – Für die Landesregierung erteile ich jetzt Herrn Staatsminister Grüttner das Wort. Das sind beispielsweise Perspektiven in Form von Ausbil- dungs- und Arbeitsmarktprogrammen für sozial benachtei- ligte Jugendliche und für Arbeitslose mit multiplen Ver- Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: mittlungshemmnissen. Wir führen im Übrigen sehr be- Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! wusst das Instrument der Zielvereinbarung fort – das ist Im Hinblick auf das gemeinsame Handeln innerhalb dieses nichts Schlimmes –, weil vor Ort diejenigen, die Verant- Parlamentes, was Aufnahme, Unterbringung und Versor- wortung tragen, eine bessere Kenntnis der Klientel, um die gung von Flüchtlingen anbelangt, ist das, was Herr Rock man sich bemühen muss, haben als wir im Land. Deswe- gesagt hat, der Kern dessen, was Ihr Handeln gewesen ist. gen brauchen wir nichts zu steuern, sondern wir brauchen Das verdient nach wie vor gewürdigt zu werden. Für diese Zielvereinbarungen. Wir müssen Ziele vereinbaren und Unterstützung kann sich die Landesregierung nur bedan- später nachprüfen, ob diese Ziele erreicht wurden. Wenn ken. sie nicht erreicht wurden, müssen wir uns fragen, ob wir falsche Ziele gesetzt haben oder ob es einen Grund gibt, (Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS weshalb es vor Ort nicht umgesetzt werden kann. Dann 90/DIE GRÜNEN und der FDP) kann man nachjustieren und nachsteuern, wie wir das mit Ich bin dankbar ob der Fürsorge des Kollegen Merz. Ob jeder Zielvereinbarung tun. An diesen Punkt steuern wir ich mich jetzt unter Wert verkauft fühle oder nicht – ich schon, aber in einem partnerschaftlichen Miteinander und denke, dass die Frage der Wertschätzung innerhalb einer in einem partnerschaftlichen Verhältnis mit denen, die es Debatte auch darin zum Ausdruck kommt, ob es in einer vor Ort umsetzen müssen, und nicht in Form einer Gänge- solchen Debatte gelingt, einige grundlegende Unterschiede lei derjenigen, die es vor Ort umsetzen müssen. Das ist herauszuarbeiten, auch in einem Politikfeld, von dem wir schon ein Unterschied. der Überzeugung sind, wenn wir sozialpolitisch handeln, Zur Chancengerechtigkeit. Herr Kollege Rock, natürlich ist dass wir dies im Interesse der hilfebedürftigen Bürgerinnen Sprachförderung im Kindergartenalter die Grundlage für und Bürger tun. Chancengerechtigkeit überhaupt. Wenn Sie sagen, an die- An einer Stelle – das fand ich spannend – wurde sehr deut- ser Stelle sei qualitativ nichts weiter vorangeschritten, sage lich, wo Unterschiede sind. Das war, als Sie, Herr Merz, ich: Ja, wir haben bewusst im Jahr 2013 erstmals ein Kin- gesagt haben: Da wünsche ich mir eine Landesregierung, derförderungsgesetz auf den Weg gebracht, von dem wir einen Staat, der mehr steuernd, der mehr handelnd ein- wissen, dass es bis 2018 Grundlagen festlegt. Aber wir ha- greift. ben in der Zwischenzeit über 50 Millionen € für die Sprachförderung dazugegeben. Wir haben 2015 mit spezi- Ich sage Ihnen: Das ist nicht das Verständnis christdemo- ellen Programmen begonnen. Wir führen Frühstart weiter. kratischer Sozialpolitik, sondern wir sagen, Subsidiarität Wir machen viele Programme zusammen mit Partnern, in ist der Maßstab unseres Handelns. Subsidiarität heißt Hilfe denen wir Chancengerechtigkeit insofern stärken, als wir zur Selbsthilfe, und das bedeutet letztlich, die untersten frühe Bildung von Anfang an in den Kindertagesstätten auf Einheiten entweder in die Lage zu versetzen, sich selbst zu den Weg bringen, und zwar in Zusammenarbeit mit Erzie- betätigen, oder sie aus dem Sumpf herauszuziehen und herinnen und Erziehern und in Zusammenarbeit mit den dann Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren. Eltern. Das ist der entscheidende Punkt. Deshalb sage ich: Subsi- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE diarität, Hilfe zur Selbsthilfe, das ist der Kern der Sozial- GRÜNEN) politik dieser Landesregierung. Die lassen wir an der Stelle nicht aus der Verantwortung. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Es gibt eine Verantwortung der Eltern, dort mitzuwirken. GRÜNEN) Im Übrigen ist das im Projekt Frühstart ganz richtig und Das ist ein anderes Verständnis als das, was Sie erklärt ha- gut angelegt, dass die Elternmitwirkung auf den Weg ben. Ich bin Herrn Dr. Bartelt an der Stelle dankbar, dass kommt. Denn nur über einen solchen Weg haben wir über- er die Grundlagen, die wir im Koalitionsvertrag niederge- haupt eine Chance, einen entsprechenden Ansatz zu finden, legt haben, noch einmal verdeutlicht hat: niemanden aus- Menschen mitzunehmen, auch in der Frage der Gestaltung zugrenzen, zu aktivieren, die Selbstbestimmung zu unter- von Sozialpolitik in unserem Lande. stützen, Chancengerechtigkeit zu leben, und zwar unab- Natürlich unterstützen wir Familien. Familien werden in hängig von sozialer Herkunft, Alter, Geschlecht oder kul- vielfältigen Bereichen unterstützt. Sie werden unterstützt turellem Hintergrund. bei der Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung, bei Ich denke, dass es Sinn macht, nach mehr als zwei Jahren der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Natürlich sind Fa- eine Zwischenbilanz zu ziehen. Dies kann man in Form ei- milienzentren ein wesentlicher Ort für Unterstützungsange- ner Regierungserklärung machen. Man kann das sehr um- bote, für sehr viele Unterstützungsangebote. Wir sind ir- fangreich machen, man kann aber auch in jedem Plenum gendwann mit 46 Familienzentren gestartet. Heute haben einen Setzpunkt machen und einen Antrag mit verschiede- wir 129 Familienzentren in diesem Land. Das sind 129 gut nen Punkten diskutieren. funktionierende Angebote für Familien vor Ort. Ich finde, wir können am heutigen Tag sagen, dass wir mit In diesem Kontext sage ich, Frau Schott: Die Familienkarte dem, was wir innerhalb des Sozialbudgets zusammenge- ist eine Karte, die von den Familien sehr wohl angenom- fasst haben, letztlich Dinge auf den Weg gebracht haben, men wird, und zwar nicht wegen Vergünstigungen, son- die Teilhabemöglichkeiten verbessern und Perspektiven er- dern unter dem Gesichtspunkt, sich Ratschlag geben zu öffnen. lassen. Das ist einer unserer entscheidenden Punkte gewe- 5200 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 sen, dass wir ein Angebot eingepackt haben, das für uns waren nicht einfach. Denn sie wollten natürlich ihre kom- das entscheidende ist, nämlich Eltern, die sich in einer munalen Mittel durch die Landesmittel substituieren. Da- Konfliktsituation befinden, vernünftig beraten zu lassen mit hätten wir keinen weiteren Ausbau der Angebote ge- und dies auf einem Wege wahrnehmen zu können, der für habt, sondern wir wären nur zu einer anderen Finanzie- sie nicht bedeutet, in irgendeiner Art und Weise bei einem rungsart gekommen. So haben wir einen realen Ausbau der Jugendamt vorstellig zu werden, bei einer Behörde vorstel- Angebote einer Personengruppe gegenüber, die unsere Hil- lig zu werden. Vielmehr können wir über den Weg der Fa- fe verdient. milienkarte solche Informationen transportieren. Das ist der entscheidende Punkt. Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Deswegen ist das natürlich ein Beispiel für Unterstützung von Familien. Wenn ich an Teilhabemöglichkeiten denke, Herr Minister, ich erinnere an die Redezeit. dann sage ich: natürlich Teilhabe für alle Menschen. Wir sind vorbildlich in der Umsetzung der UN-Behinderten- rechtskonvention in unserem Lande mit dem Aktionsplan, Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: den wir hierfür aufgelegt haben, mit den Modellregionen, Da setzen wir uns mit den Vertretern der Kommunen aus- mit denen wir inklusives Leben in Hessen vorantreiben. einander. Das steuern wir auch. Aber wir machen das in ei- Mit all diesen Punkten erhöhen wir Teilhabemöglichkeiten nem partnerschaftlichen Miteinander. Die kommunalisier- für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Hier sind wir in ten sozialen Hilfen sind ein deutliches Zeichen des partner- Hessen führend, und wir sind stolz darauf. schaftlichen Miteinanders. Natürlich ist das Förderinstrument „Kompetenzen ent- Sozialpolitik in unserem Land kann immer nur dann gut wickeln – Perspektiven eröffnen“ ein Instrument, das sich funktionieren, wenn man alle mitnimmt. Das sind diejeni- speziell an Mitbürgerinnen und Mitbürger wendet, die eine gen, die Verantwortung haben, die Wohlfahrtsverbände, Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt haben und die spe- die kommunale Seite und die Landesseite. Wir brauchen ziell gefördert werden sollen. Das Spannende ist, dass wir uns da nichts vorwerfen zu lassen. Auf diesem Weg sind damit Strategien entwickeln, die wir wieder ausrollen kön- wir gut vorangekommen. nen. Es ist einfach gut, dass wir jetzt schon elf Projekte ha- ben, die sich übergreifend organisiert haben, Kommunen (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE mit Handwerkskammern und Industrie- und Handelskam- GRÜNEN) mern, Vereine mit Kommunen, Vereine mit Wirtschafts- verbänden. Elf Projekte konnten wir allein in diesem Jahr Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: mit 7 Millionen € auf den Weg bringen und fördern. Wei- tere werden folgen. Herr Minister Grüttner, danke. – Für die SPD-Fraktion hat sich nochmals Herr Merz zu Wort gemeldet. Dann werden wir bis zu 1.000 langzeitarbeitslosen Men- schen eine Perspektive geben, erneut auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und ihren eigenen Lebensunterhalt zu ver- Gerhard Merz (SPD): dienen und damit auch wiederum einen Beitrag für die in- nere Struktur einer Familie zu leisten. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister, Ihre Antwort zeigt genau, dass ich recht hatte. Es wäre (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE schön gewesen, wenn wir eine Regierungserklärung gehabt GRÜNEN) hätten. Denn Sie haben hier noch einmal eine Reihe an Denn wenn es Arbeitslosigkeit in der Familie gibt, dann ist Fragen vertieft, über die zu streiten sich tatsächlich lohnt. das für die gesamte Familie belastend. Es ist für die Kinder Im Kern einer sozialpolitischen Debatte müssten die Sozi- und die Partnerinnen oder Partner belastend. Wenn wir die- al- und Jugendhilfe und das Gemeinwesen in diesem Land sen Menschen eine Perspektive eröffnen und ihnen tatsäch- stehen. Da geht es z. B. um die Frage des Verhältnisses lich die Chance geben, auf dem Arbeitsmarkt wieder aktiv zwischen der operativen Ebene und der Finanzierungsebe- zu sein, dann hat das Auswirkungen auf die Familie. Das ne. Das ist also die Frage der Subsidiarität, die dem mit zu- ist auch ganz bewusst Familienpolitik. Das ist nicht nur grunde liegt. Sie ist aber nicht alles. Arbeitsmarktpolitik. Das fördern wir mit unserem Sozial- Ich habe mich deswegen zu Wort gemeldet, weil ich nicht budget, genauso wie wir in vielfältiger Art Maßnahmen den Vorwurf stehen lassen wollte, es gebe bei den Sozial- unterstützen. und Jugendhilfepolitikern meiner Fraktion irgendeinen Ich sage dann auch: Die kommunalisierten sozialen Hilfen Zweifel an dem Gebot der Subsidiarität und einem wohl- sind letztlich ein ganz entscheidender Beitrag dazu, Sozial- verstandenen auch praktischen Interesse an der Subsidiari- politik vor Ort umzusetzen. Sofern Notlagen vorhanden tät. Den gibt es nicht. sind, können sie mithelfen, diese zu beheben. Den gibt es insbesondere bei mir nicht. Ich bin ein einge- Wir fördern in der Tat die Schuldnerberatung wieder stär- schworener Verfechter der Subsidiarität, sowohl im Hin- ker. Wir fördern die Frauenhäuser massiv stärker. blick auf die Kommunen als auch im Hinblick auf die frei- en Träger. Das haben wir in vielen Debatten hier gesagt, Wir haben sehr viel Ärger mit den Vertretern der Kommu- insbesondere auch im Zusammenhang mit der Kinderbe- nen bekommen, weil wir mit der Förderung verpflichtend treuung. verbunden haben, dass sie ihre eigenen Mittel nicht zu- rückfahren. Vielmehr müssen ihre eigenen Mittel nach wie Ich habe die Frage der Steuerung in dem Kontext erwähnt, vor bestehen bleiben. den Sie am Schluss nannten, nämlich im Zusammenhang mit der Kommunalisierung der sozialen Hilfen. Das haben Glauben Sie mir, die entsprechenden Diskussionen, die wir wir während der Haushaltsberatung bis ins Essgefach hin- mit den Vertretern der Kommunen darüber geführt haben, Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5201 ein diskutiert. Da ging es genau um den Mechanismus, Deswegen kommen wir jetzt zu Tagesordnungspunkt 15: über den Sie geredet haben. Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/ Ich will etwas anderes sagen. Wir als Landesgesetzgeber DIE GRÜNEN betreffend Leitlinien für eine zeitgemä- und insbesondere als Haushaltsgesetzgeber sollten nicht ße Glücksspielregulierung in Deutschland – Drucks. diejenigen sein, die einfach Geld ausgeben. Vielmehr ha- 19/2644 – ben wir sehr wohl ein Interesse an einer Strukturbildung. Zweitens haben wir ein Interesse an der Herstellung glei- Er wird zusammen mit Tagesordnungspunkt 74 aufgeru- cher Lebensverhältnisse im ganzen Land. Das sind unsere fen: beiden großen Aufträge hinsichtlich der Kultur- und Ju- gendhilfepolitik, jenseits der Aufgabe, das Geld zur Verfü- Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der gung zu stellen. Das ist an der Stelle der Punkt. FDP betreffend echter Neustart in der Glücksspielregu- lierung statt Flickschusterei an gescheitertem Staats- Das Spannungsverhältnis kann man eigentlich sehr gut vertrag – Drucks. 19/3414 – deutlich machen. Sie waren auch beim 70. Jubiläum der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen dabei. Da ha- Die vereinbarte Redezeit beträgt fünf Minuten je Fraktion. ben wir den Auftritt des Präsidenten des Hessischen Städ- Zum Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS tetags gehabt, der uns etwas unverblümt erklärt hat. Das 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Bauer für die CDU- war nichts Neues. Das wissen wir. Sie haben das an dem Fraktion das Wort. kleinen Beispiel der Kommunalisierung sozialer Hilfen und der Mechanismen, wofür das Geld verwendet wird, noch einmal vertieft. Alexander Bauer (CDU): Der Präsident des Hessischen Städtetags hat gesagt: Ei- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist ein Glück gentlich wollen wir als Vertreter der Kommunen gar keine für den, der in Hessen derzeit auf dem unregulierten Standards. – Das ist das Spannungsverhältnis, über das ich Glücksspielmarkt tätig ist. Der Glücksspielmarkt wächst geredet habe. Das ist es, zu dem ich sage: Da muss man während dieses rechtlichen Durcheinanders ganz erheblich. ausdiskutieren, was der Steuerungsauftrag des Landes ist, Im vergangenen Jahr haben die Wettunternehmen fast ohne dabei die Funktionsfähigkeit der operativen Einheiten 5 Milliarden € eingenommen. Allein durch das Zocken in zu beeinträchtigen, die für die tatsächliche Ausführung vor den Onlinekasinos entgehen den Ländern rund 230 Millio- Ort verantwortlich sind. Darum geht es. nen € an Steuern. Marktteilnehmer mit Sitz im Ausland führen nämlich keine Steuern an den deutschen Fiskus ab. Solche Debatten sind die, die hier im Landtag zu führen sind, wenn wir über eine zukunftsorientierte und zukunfts- Um gegen unseriöse Anbieter im Internet vorzugehen, feh- fähige Sozialpolitik reden. Wir müssen nicht darüber re- len schlicht die rechtlichen Grundlagen. Das kann so nicht den, ob die Familienkarte jetzt 500.000 Abnehmer hat oder mehr bleiben. ob sie 40.000 zum Zeitpunkt der Rede des Kollegen Bock- (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- let hatte, aus der ich dann doch nicht zitiert habe. Das ist NISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht etwas, über das hier zu reden lohnt. Vielmehr sind das andere die Punkte, über die zu reden lohnt. Vielleicht Wir, die Mitglieder der CDU-Fraktion, begrüßen deshalb können wir das bei nächster Gelegenheit einmal tun. Ich ausdrücklich die klare Position der Hessischen Landesre- wäre darüber froh. Wir sind jederzeit bereit, diese Debatte gierung für eine zeitgemäße Glücksspielregulierung. Die zu führen. Hessische Landesregierung hat an die übrigen Bundeslän- der konkrete Vorschläge gerichtet, auf deren Grundlage (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Staatsvertrag angepasst werden soll. Wir begrüßen diese Vorschläge, da sie dem Jugendschutz, Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: der Bekämpfung der Spielsucht und auch dem Verbrau- cherschutz besser gerecht würden. Ein Problem, das auch Herr Merz, danke. – Meine Damen und Herren, wir sind die Gerichte beschäftigt, ist gerade die Vergabe der Sport- am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. wettenkonzessionen. Die im Glücksspielstaatsvertrag aus Deswegen kommen wir zur Abstimmung über diesen Ent- dem Jahr 2012 vereinbarten 20 Lizenzen für Wettanbieter schließungsantrag, Drucks. 19/3370. haben sich schlichtweg als unzureichend erwiesen. Es gibt Wer ihm die Zustimmung geben will, den bitte ich um das deutlich mehr Unternehmen, die interessiert sind. Sie klag- Handzeichen. – Das sind die Mitglieder der Fraktionen der ten. CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt da- Die quantitative Begrenzung war bekanntlich vor Gericht gegen? – Das sind die Mitglieder der Fraktionen der SPD, nicht zu halten. Da hilft auch eine Verdoppelung auf 40 Li- der FDP und der LINKEN. Damit ist dieser Entschlie- zenzen nichts. Denn schon heute gibt es fast 80 legale An- ßungsantrag angenommen. bieter, die Steuern zahlen. Insofern wird die in einem Ent- Meine Damen und Herren, ich informiere Sie darüber, dass wurf angedachte und vorgeschlagene Verdoppelung der die Initiativen unter den Tagesordnungspunkten 14 und Zahl der Lizenzen dem Problem nicht gerecht und kann 71, die sich mit Energieversorgung, keinem Ausschluss deshalb von Hessen nicht unterstützt werden. von der Energieversorgung, Anreizen zum Stromsparen Wir als Hessen fordern, die quantitative Begrenzung der usw. beschäftigen, zur abschließenden Beratung dem Aus- Konzessionen durch eine qualitative zu ersetzen. Anbieter, schuss für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Ver- die den Jugendschutz, die Bekämpfung der Spielsucht und braucherschutz zugewiesen werden. Mitberatend ist der des Schwarzmarktes gewährleisten können, sollen konzes- Sozial- und Integrationspolitische Ausschuss. sioniert werden. Die Zuverlässigkeit des Anbieters soll ent- scheidend sein. 5202 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Ein weiterer Änderungsvorschlag, den wir unterstützen, Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: betrifft die Höhe der Einsätze. Der Glücksspielstaatsver- Vielen Dank, Herr Bauer. – Für die FDP erteile ich dem trag sieht bekanntlich eine Höchstgrenze des Einsatzes bei Fraktionsvorsitzenden, Herrn Rentsch, das Wort. Internetspielen von 1.000 € monatlich vor. Experten halten jedoch eine monatliche Verlustgrenze für viel effektiver. Diese und eine Selbstlimitierungsmöglichkeit erscheinen Florian Rentsch (FDP): auch uns sehr viel sinnvoller. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Schwachpunkt des bisherigen Verfahrens hat sich auch Herr Kollege van Ooyen, nein, es geht nichts über Glücks- das Glücksspielkollegium in den Ländern erwiesen. Der spiele. Es geht hier beim Glücksspielstaatsvertrag um die VGH Kassel hält dieses Kollegium schlicht für nicht mit Frage, ob wir ein gesetzliches System in Deutschland ha- dem Grundgesetz vereinbar, da sein Handeln weder dem ben, das auf der einen Seite den Jugendschutz festlegt und Bund noch den Ländern zugerechnet werden könne und auf der anderen Seite effizient den Markt reguliert – Sie ihm damit eine ausreichende Legitimation fehle. Mit der sind doch immer für Regulierung, das bin ich in diesem von unserer Landesregierung vorgeschlagenen Schaffung Fall auch. Darüber hinaus brauchen wir ein rechtliches einer gemeinsamen Anstalt des öffentlichen Rechts würde System, das auch anwendbar ist. eine effektivere Zusammenarbeit ermöglicht werden. Deshalb sind die Debatten, die wir über den Glücksspiel- Dass dies der richtige Weg sein kann, beweisen auch unse- staatsvertrag führen, und die Kritik der FDP, die wir in die- re europäischen Nachbarn. Alle großen Länder wie Frank- sem Hause seit Jahren an dem bisher vorgelegten Konzes- reich, Italien, Spanien und Großbritannien arbeiten mit ei- sionsmodell geübt haben, weiterhin topaktuell. Meine Da- genen Aufsichts- und Regulierungsbehörden. Das kann men und Herren, ich bin dem hessischen Innenminister kein falscher Weg sein. Meine Damen und Herren, auch dankbar, dass er jetzt die Initiative ergriffen hat. Das ist si- wir in Hessen und in Deutschland sollten so etwas auf den cherlich richtig gewesen. Weg bringen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN) Ich erinnere mich noch an die Debatten mit dem sehr ge- Überfällig ist auch eine einzige, bundesweit zentrale Sperr- schätzten Kollegen Dr. Rolf Müller vom Landessportbund. datei, die die Spielhallen umfasst. Hier müssen die rechtli- Der hat gesagt: Wenn wir das öffnen, ist das das Ende des chen Grundlagen im Interesse des Spielerschutzes geschaf- Abendlandes. – Der Landessportbund, der massiv von den fen werden. Wir wollen nicht mehr, dass den Ländern Lotto- und Toto-Einnahmen profitiert und gerade bei den durch das unregulierte Zocken in den Kasinos mehrere Sportwetten einen Markt sah, hat das damals sehr besorgt Hundert Millionen Euro an Steuereinnahmen entgehen. wahrgenommen. Ich finde es sehr positiv, dass auch Wir wollen gegen unseriöse Anbieter im Internet vorge- Heinz-Georg Sundermann, der erfolgreiche Geschäftsfüh- hen. Dazu brauchen wir dringend die gesetzlichen Grund- rer unserer Lotto-Gesellschaft, irgendwann gesagt hat: lagen. So wie es derzeit ist, kann es nicht mehr bleiben. Es Freunde, die Prohibition bringt uns an der Stelle nicht wei- muss besser werden, und deshalb muss ein rechtssicherer ter. Vorschlag auf den Tisch. Meine Damen und Herren, Hes- sen hat hier geliefert. Die Spieler, die sich an Sportwetten beteiligt haben und beteiligen, haben gar nicht gewusst, ob es sich um ein Wir werben deshalb dafür, dass sich möglichst alle zügig deutsches Angebot oder um den Service dieses Unterneh- den hessischen Vorstellungen zur Erreichung von Rechts- mens in Gibraltar handelt, wenn sie z. B. das Internetange- sicherheit und -durchsetzbarkeit anschließen. In unserem bot eines namhaften Anbieters – der auch Trikotsponsor Antrag heißt es deshalb auch: war – verwendet haben. Insofern muss man sagen: Die Der Landtag unterstützt die Landesregierung aus- Kunden haben schon längst ihre Entscheidung getroffen, drücklich bei ihren Bemühungen, während die Länder hier noch eine Diskussion führen, die eher in der Steinzeit angesiedelt ist. – man möge besser sagen, bei dem „Werben“ – (Beifall bei der FDP und des Abg. Alexander Bauer mit den anderen Bundesländern eine Neufassung des (CDU)) Glücksspielstaatsvertrages zu vereinbaren. Das Konzessionsmodell ist daran gescheitert. Herr Kollege Wir sagen aber auch deutlich – das betone ich an dieser van Ooyen, das liegt auch daran, dass von den 20 Konzes- Stelle ausdrücklich –: sionen bisher keine einzige erteilt worden ist. Sollten diese Bemühungen mittelfristig nicht zum (Hermann Schaus (DIE LINKE): Warum?) Erfolg führen, fordert der Landtag die Landesregie- rung auf, die Kündigung des existierenden Glücks- Deshalb hat Peter Beuth völlig recht, wenn er sagt: Wir als spielstaatsvertrags zu prüfen. Land Hessen werden einem neuen Vorschlag der Minister- präsidentenkonferenz nicht zustimmen, wenn sich dieser Meine Damen und Herren, wir müssen hier einen Schritt nicht an den Urteilen des EuGH und der vielen Verwal- vorankommen. Wir brauchen eine rechtssichere Lösung. tungsgerichte orientiert, die sich seit Jahren mit dem The- Hessen hat hier die entsprechenden Vorschläge auf den ma beschäftigen. Es ergibt doch keinen Sinn, eine neue Tisch gelegt. – Besten Dank für die Aufmerksamkeit. Rechtsgrundlage zu schaffen, die schon jetzt offensichtlich (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE rechtswidrig ist. GRÜNEN) Deshalb hat der Innenminister recht, wenn er, genauso wie Kollege Bauer, sagt: Wir brauchen eine Rechtsgrundlage, die einerseits nicht wieder von einem Gericht aufgehoben Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5203 wird und die Leitplanke berücksichtigt, die der EuGH und (Beifall bei der FDP und des Abg. Alexander Bauer andere Gerichte festgelegt haben. Andererseits muss sie (CDU)) Bereiche wie den Onlinepoker- und den Onlinekasino- markt, die zurzeit boomen, mit aufnehmen. – Es ergibt doch gar keinen Sinn, wenn wir so tun, als ob das Bereiche Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: sind, die nicht in irgendeiner Form von Kunden stark fre- Danke, Herr Rentsch. – Für das BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- quentiert würden. Im Gegenteil: Wir als Freie Demokraten NEN hat sich Herr Frömmrich zu Wort gemeldet. wollen – wie wohl auch die Kollegen der CDU und der GRÜNEN –, dass es hier einen regulierten Markt gibt, in dem Jugendschutz möglich ist. Meine sehr geehrten Da- Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): men und Herren, das ist einer der zentralen Punkte. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Beifall bei der FDP und des Abg. Alexander Bauer Ich bin froh, dass wir in dieser wichtigen Frage hier im (CDU)) Hause doch auf eine breite Einigkeit zurückgreifen kön- Wir wollen ein Gremium, das letztendlich auch eine Auf- nen. Es ist schon eine never ending Story, was den Glücks- gabe hat, die nachvollziehbar ist, und das nicht im stillen spielstaatsvertrag angeht, mit der wir uns hier beschäftigen. Kämmerlein Entscheidungen trifft, von denen keiner weiß, Bei der damaligen Debatte des Staatsvertrags war schon wie sie zustande gekommen sind. absehbar, dass dieser Vertrag vor die Wand fahren wird und dass wir auf jeden Fall die Kriterien, die die Europäi- Kollege Bauer hat das nett gesagt; ich will es einmal etwas sche Union seinerzeit angelegt hat, damit nicht erfüllen härter formulieren: Ich glaube, dieses Glücksspielgremium würden. Wir wussten, dass das kein kohärenter Vertrag ist das Gegenteil von einem Rechtsstaat. Wenn wir über war, als er geschlossen wurde. Aber das Beharrungsvermö- den Rechtsstaat sprechen, muss als Erstes diese Institution gen einzelner Bundesländer war so groß, dass letztendlich abgeschafft werden. nur dieser Vertrag zustande gekommen ist. (Beifall bei der FDP) Als dieser Staatsvertrag seinerzeit im Hessischen Landtag Es kann nicht sein, dass wenige Leute, die sich als Exper- diskutiert worden ist – das machen Fraktionen nicht so ten definieren, über einen Markt Entscheidungen treffen, oft –, haben wir diesen Staatsvertrag abgelehnt, weil wir durch den jedes Jahr Hunderte von Millionen Euro an damals schon gesagt haben: Es ergibt keinen Sinn, einen Steuergeldern am deutschen Fiskus vorbeigehen. Staatsvertrag zu zeichnen, der letztlich denjenigen, der ihn umsetzen muss – das ist nun einmal bedauerlicherweise Deshalb ist es richtig – und ich will es ausdrücklich lo- der hessische Innenminister –, vor unlösbare Probleme ben –, was ich in der „FAZ“ lesen konnte. Der Chef der stellt und schließlich vor den Gerichten landen wird. Ge- Hessischen Staatskanzlei, Axel Wintermeyer, hat den Kol- nau das ist eingetreten. Wir haben damals diesen Staatsver- legen in den anderen Staatskanzleien klar gesagt: Nein, wir trag abgelehnt. In Richtung des Kollegen Rentsch will ich werden bei einer rechtswidrigen Rechtsgrundlage nicht nur erwähnen, dass Sie dem zugestimmt haben. Aber ich mehr mitmachen. – Genau so ist es richtig. habe gerade bilateral gesagt: Das ist nun einmal so mit Meine Damen und Herren, ich glaube es ist Zeit, dass wir Staatsverträgen – wenn man in der Regierung ist, muss als Land Hessen – wir sind eines der Länder, die das The- man manchmal auf die Zähne beißen und zustimmen. Aber ma immer sehr intensiv diskutiert haben – noch einmal den es ist gut, dass wir in dieser Frage jetzt eine breite Eini- Versuch unternehmen, die anderen Bundesländer auf einen gung haben. rechten Weg zu bringen. Wenn das diesmal nicht funktio- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ niert, sollten wir eine eigene rechtliche Grundlage schaf- DIE GRÜNEN und der CDU) fen, damit wenigstens in Hessen Recht und Gesetz herr- schen und nicht, wie in anderen Bundesländern, Unrecht. Es bestand eine große Einigkeit auch mit dem damaligen Innenminister Boris Rhein, sodass wir den Bereich Glücks- (Beifall bei der FDP) spiel umfänglich im Koalitionsvertrag geregelt haben. Wir Das sollte dann die Grundlage sein. Das würde bedeuten, haben da gesagt, wir wollen kohärente Regelungen schaf- dass wir – ähnlich, wie Schleswig-Holstein es schon ein- fen. Wir wollen weg von dieser eigentlich in keiner Weise mal gemacht hat – einen eigenen Weg mit einer eigenen nachvollziehbaren Lösung, dass man nur auf der quantitati- Rechtsgrundlage gehen müssen. Das, was ich als Entwurf ven Ebene Regelungen schafft, die qualitative Ebene dabei aus dem hessischen Innenministerium kenne, halte ich für aber völlig außen vor lässt – dass man also in einem Staats- eine gute Grundlage. Man kann noch über Details feil- vertrag sagt, wir lassen nur 20 Konzessionen zu, regeln schen, und das sollten wir auch tun. aber den gesamten Bereich Suchtprävention, Spielerschutz, Jugendschutz, Solvenz der Unternehmen, Zuverlässigkeit Meine Damen und Herren, der Weg, der hier beschritten der Anbieter nicht. Es war von vornherein klar, dass dieses wird, ist überfällig. Er ist richtig im Sinne des Fiskus, des Ding vor die Wand fährt – der 21. Bewerber, der nicht ge- Rechtsstaats und des Jugendschutzes. Für all denjenigen, nommen wird, klagt. Vor dieser Situation stehen wir jetzt. die davon profitieren, dass wir diese Einnahmen im Be- reich von Lotto und Sportwetten generieren, ist das eine Deswegen ist es gut, dass wir jetzt einen Schritt weiter- wichtige Einnahmequelle. In Hessen kommen diese Ein- kommen. Ich will es ausdrücklich loben, dass jetzt auch die nahmen der Jugend, der Kunst und dem Sport zugute. Wir Landesregierung so weit ist und den anderen Bundeslän- sollten alles dafür tun, damit das nicht wieder durch eine dern sagt: Entweder schaffen wir jetzt eine rechtskonforme rechtswidrige Rechtsgrundlage und einen rechtswidrigen Lösung, oder wir kündigen diesen Vertrag und verabschie- Staatsvertrag ausgehöhlt wird. Das sollte das Anliegen die- den in Hessen ein eigenes Glücksspielgesetz. ses Hauses sein. – Vielen Dank. 5204 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP)) DIE GRÜNEN und der CDU – Präsident Norbert Schuld daran war die damals dort mitregierende FDP, Kartmann übernimmt den Vorsitz.) (Florian Rentsch (FDP): Sehr gut!) Es ist doch überhaupt nicht einsehbar, warum wir auf Ein- nahmen in Millionenhöhe verzichten. Zum Spielemarkt die unbedingt eigene Wege gehen wollte und als einziges gibt es unterschiedliche Zahlen – da werden zwischen 5 Bundesland zwölf Sportwettenkonzessionen vergab. Dies und 7 Milliarden € umgesetzt. Daran partizipiert der Staat setzte die anderen Bundesländer, die zu Recht noch ge- fast überhaupt nicht: keine Steuereinnahmen, keine Abga- meinsam nach klar definierten Kriterien probeweise für ben. Auf der anderen Seite aber diskutieren wir in den Par- sieben Jahre bis zu 20 Konzessionen vergeben wollten, na- lamenten andauernd darüber, dass wir die Einnahmen der türlich unter Druck. öffentlichen Haushalte verbessern müssen. Hier haben wir nun die Möglichkeit, etwas zu regulieren – ich will aus- Hessen und damit seinem Innenminister wurde die Zustän- drücklich nicht sagen „zu liberalisieren“; auch diese Debat- digkeit für die bundesweite Konzessionsvergabe übertra- te ist einmal geführt worden. Nein, wir sollten klare Regeln gen, und damit begann des Dramas zweiter Teil. Denn die festlegen, unter denen die Anbieter am Markt teilnehmen Aufgaben wurden offensichtlich nicht korrekt und auch können. Dann ist es egal, ob das 20, 25 oder 50 sind – sie nicht sorgfältig ausgeführt. Das hat z. B. das Verwaltungs- müssen nur die Regeln einhalten. Meine Damen und Her- gericht Wiesbaden in seiner Entscheidung vom 11. Mai ren, das finde ich einen richtigen Weg. 2015 festgestellt. Abgesehen davon, dass offenbar im Staatsvertrag selbst Regelungen vereinbart wurden, die (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ europarechtliche Probleme beinhalten, hat das Verwal- DIE GRÜNEN und der CDU) tungsgericht Wiesbaden aber auch festgestellt, dass das bisherige Verwaltungsverfahren zur Auswahl der Bewer- Ich möchte die Landesregierung nochmals ausdrücklich ber die verschiedensten Rechtsverstöße und Ausführungs- unterstützen. Der Chef der Staatskanzlei hat einen Brief an mängel aufweist. seine Kolleginnen und Kollegen geschrieben – ich darf daraus zitieren –: „Das Land Hessen wird nur einer verfas- Diese Aussage der 5. Kammer ist unstreitig eine dicke sungsgemäßen bzw. rechtmäßigen Änderung des Glücks- Ohrfeige für die Landesverwaltung und den amtierenden spielstaatsvertrags zustimmen.“ Damit haben Sie ausdrück- Innenminister, aber auch für den früheren, bis Anfang lich unsere Rückendeckung. Sie sagen in diesem Brief 2014 amtierenden Innenminister Rhein; den wollen wir an auch, welche Punkte dabei erfüllt werden müssen. dieser Stelle nicht vergessen, denn er hat dieses Verfahren mit eingeleitet. Ich meine, diese Punkte müssen in einem ordentlichen Ge- setz geregelt werden: Die Höchstzahl der Konzessionen Also, meine Herren Innenminister, Sie haben es nicht hin- muss aufgehoben werden; das Problem der Online- und bekommen, innerhalb von mehreren Jahren ein Auswahl- Pokerspiele muss geregelt werden. Das ist doch absurd: Da verfahren durchzuführen, das den rechtlichen Anforderun- gibt es im Internet einen großen Markt, und wir tun so, als gen entspricht. Sie schieben die Schuld auf andere – und gäbe es ihn überhaupt nicht, sondern überlassen ihn ein- wollen jetzt auch noch die Begrenzung der Konzessionen fach denen, die aus dem Ausland heraus diese Spiele an- aufheben. bieten. Ich finde, eine größere Bankrotterklärung kann man sich Daher glaube ich, wir sind auf einem guten Weg. Man soll- selbst nicht ausstellen. te hier nochmals sehr deutlich sagen – und das hat die Lan- desregierung, das hat auch der Chef der Staatskanzlei ge- (Beifall bei der LINKEN – Jürgen Frömmrich sagt –: Entweder kommen wir mit den anderen Bundeslän- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Peinlich!) dern zu einer ordentlichen Lösung – da müssen sich die an- Wenn dadurch zukünftig den privaten Sportwettenbetrei- deren Bundesländer bewegen –, oder Hessen steigt aus, bern Tür und Tor geöffnet werden muss und unsere staatli- und wir machen ein eigenes Glücksspielgesetz. Das wird che Lotterie in Mitleidenschaft gezogen wird, mit all den dann auf jeden Fall verfassungsgemäß und rechtskonform negativen Folgen für die Destinatäre, dann kennen und sein. – Vielen Dank. nennen wir auch die Hauptverantwortlichen; darauf kön- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und nen Sie sich verlassen. der CDU sowie des Abg. Florian Rentsch (FDP)) Wenn wir aber aus der Zeitung erfahren müssen, dass der Streit unter den Bundesländern derzeit so groß ist, dass die Hessische Landesregierung nun schon öffentlich mit einem Präsident Norbert Kartmann: Alleingang droht und damit – wie seinerzeit unter Für die Fraktion DIE LINKE Herr Schaus, bitte. Schwarz-Gelb im Land Schleswig-Holstein – noch mehr Streit auslöst, dann werden wir diesen Weg nicht mitge- hen. Hermann Schaus (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Florian Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Rentsch (FDP)) Die Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags bleibt, was Die Hessische Landesregierung hat einen großen Anteil am die Vergabe der Sportwettenkonzessionen angeht, auch derzeitigen Zustand und am Streit unter den Bundeslän- nach Jahren eine Pleiten-Pech-und-Pannen-Geschichte. dern. Deshalb erwarten wir, dass Sie diesen komplizierten Schon von Beginn an stand der Glücksspieländerungs- Prozess endlich verantwortungsvoll organisieren, sodass staatsvertrag, als er am 1. Juli 2012 in Kraft trat, unter ei- sich am Ende sämtliche Bundesländer verständigen. Das nem schlechten Stern. Denn ein Bundesland – und das ist Ihre Aufgabe. Das ist Aufgabe der Hessischen Landes- wollen wir nicht vergessen –, Schleswig-Holstein, wollte regierung und des Innenministers. auf keinen Fall mitmachen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5205

Dies erreicht man bekanntlich nicht mit der Drohung, aus- bei Sportwetten auf 20 funktioniert. Dies scheint nicht der zusteigen. Ein Ausstieg aus einer gemeinsamen Glücks- Fall zu sein. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. spielregelung der Bundesländer wäre eine Katastrophe, Meine Damen und Herren, das Bundesland Hessen hat sich und die werden wir nicht mittragen. Herr Minister, in die- – nach meinen Kenntnissen – damals regelrecht danach ge- sem Sinne fordern wir Sie auf, tätig zu werden. drängt, die Konzessionierung, die Vergabe vorzunehmen. (Horst Klee (CDU): Wenn es aber doch keine Eini- Das war, im Nachhinein gesehen, vielleicht ein Fehler, und gung gibt?) diverse Urteile von Verwaltungsgerichten zeigen ja auch, dass man administrativ nicht nur gut gearbeitet hat. – Ja, aber die muss hergestellt werden. (Widerspruch des Ministers Axel Wintermeyer) (Horst Klee (CDU): Wie denn?) – Herr Wintermeyer, es mag so sein, dass Sie das anders Denn wir können es uns nicht leisten, dass in jedem einzel- sehen. Die Urteile belegen aber klare administrative Feh- nen Bundesland unterschiedliche Regelungen für die Kon- ler. Geschenkt. Jetzt geht es darum: Wie geht man mit die- zessionen angewendet werden. Das wäre eine Katastrophe sem Tatbestand um? und das Ende der staatlichen Lotterie. (Zuruf des Ministers Axel Wintermeyer) (Horst Klee (CDU): Dafür sind aber doch nicht wir verantwortlich!) – Das ist schon lange die Position der FDP, die damals üb- rigens „gezwungen“ wurde, dem Staatsvertrag zuzustim- – Herr Klee, natürlich sind wir dafür verantwortlich, denn men. Sie haben als Koalition gut verhandelt, Herr Rentsch wir haben hier die Federführung. hat widerstrebend zugestimmt. Er weinte, aber er nahm das (Beifall bei der LINKEN) mit. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Präsident Norbert Kartmann: Deswegen geht es darum: Wie gehen wir mit dem Tatbe- Das Wort hat der Abg. Rudolph für die SPD-Fraktion. stand um, dass wir mehr Anbieter haben? Aber wenn Sie hier die Backen so aufblasen und sagen, Sie würden not- falls einen hessischen Sonderweg gehen, ist die Frage: Wie Günter Rudolph (SPD): wollen Sie das denn gewährleisten? Wie kanalisieren wir mögliche Einnahmen für den Staat aus Sportwetten? Wie Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! gewährleisten wir – wie beim Toto-Lotto-Monopol – die Der im Jahr 2012 von allen Bundesländern außer Schles- Einnahmen, damit wir für Destinatäre – vom Sport bis zur wig-Holstein abgeschlossene Glücksspielstaatsvertrag hat- Wissenschaft – keine Steuergelder aufwenden müssen, te folgende Zielsetzung. Ich will das nochmals sagen, denn sondern davon profitieren? Wie verhindern wir, dass sich gelegentlich entsteht in der Diskussion der Eindruck, der bestimmte Anbieter, z. B. „bet and win“ oder andere, die in gesamte Glücksspielstaatsvertrag sei Murks, und das Bun- Gibraltar oder auf Malta sitzen und relativ wenig bis keine desland Hessen sei gewissermaßen gezwungen worden, Steuern zahlen, ihrer gesellschaftspolitischen Verantwor- ihm zuzustimmen. Ich weiß noch, wie der damalige Chef tung entziehen? Wie erreichen wir da etwas, ohne das zu der Staatskanzlei hier im Landtag dazu Stellung genom- skandalisieren? men hat. Ich finde es auch interessant, wenn der Sprecher der GRÜNEN sagt: Na ja, man kann seine Position einmal Kriegen Sie das hin, indem Sie den Markt öffnen, wie ändern, man muss flexibel sein. – Dafür könnte man auch FDP, GRÜNE und die CDU das behaupten? Ich wäre sehr „wendig“ oder andere Begriffe verwenden. dafür, wenn es uns gelänge, diesen Markt zu ordnen. Da- vor stehen aber hohe Hürden. Deshalb ist der Ansatz rich- (Heiterkeit des Abg. Heinz Lotz (SPD) – Zuruf des tig, dass die Bundesländer gemeinsam etwas zu tun versu- Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE)) chen. Ich könnte Ihnen übrigens die Presseerklärung des Das sind an dieser Stelle ganz nette Formulierungen in damaligen und heutigen Hessischen Ministerpräsidenten Richtung FDP – wenn man bei den GRÜNEN die Meinung Bouffier zum Abschluss des Staatsvertrages vorlegen. Er permanent ändert. hat den Abschluss des Staatsvertrages ausdrücklich be- grüßt. Dabei stand er nicht unter einem Zwang, der von der Meine Damen und Herren, beim Glücksspielstaatsvertrag SPD oder den LINKEN ausgeübt worden ist, sondern er geht es darum, die Wettsucht zu verhindern, die Vorausset- hat es freiwillig getan. Deshalb sollten Sie so fair sein, zu zungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen, sagen: Wir haben uns grundlegend geirrt, das, was wir da- den natürlichen Spieltrieb des Menschen in geordnete Bah- mals gemacht haben, war falsch, aber wir haben es halt ge- nen zu lenken, den Jugend- und Spielerschutz zu gewähr- macht. – Auch das gehört zu einer redlichen Diskussion. leisten, die Spielerinnen und Spieler vor betrügerischen Machenschaften und Begleitkriminalität zu schützen und Wir sollen heute einem Antrag von CDU und BÜNDNIS die Integrität des Sports vor den Gefahren durch Sportwet- 90/DIE GRÜNEN vom letzten Herbst zustimmen und da- ten zu bewahren. mit Leitlinien der Landesregierung begrüßen und unterstüt- zen. Diese Leitlinien liegen dem Landtag aber noch gar Meine Damen und Herren, das ist nach wie vor eine richti- nicht vor. Es geht hier auch um den Stil, wie Sie mit dem ge Zielsetzung dieses Glücksspielstaatsvertrags. Die ver- Landtag umgehen. schiedenen Berichte an die EU-Kommission haben auch belegt, dass diese Folgen zu einem großen Teil schon ein- (Zurufe von der CDU) getreten sind. – Jetzt sagen Sie: Schaut auf der Internetseite des Innenmi- Richtig ist: Es gibt Streit über die Wirksamkeit, die Effek- nisteriums nach. – Ich finde, wenn man etwas vom Parla- tivität und darüber, ob die Begrenzung der Konzessionen ment verlangt, dann erfordert ein sachgerechter Umgang 5206 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 mit dem Parlament, ihm diese Leitlinien offiziell zuzulei- musste, dass das, was wir da gemacht haben, nicht so toll ten. Das ist mehr als eine Stilfrage. ist, war zu erkennen, dass das, was im Glücksspielstaats- vertrag festgelegt worden ist, nicht vernünftig ist und daher (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zurufe von geändert werden muss. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Günter Rudolph (SPD): Zum Thema Sportwetten!) – Dass Herr Frömmrich Probleme hat, wenn es um Fragen des Stils geht, sei geschenkt. Das interessiert mich an der Ein Fehler im Aufmarschplan zieht sich eben durch die Stelle nicht. Aber ich kann nichts begrüßen, was mir nicht komplette Schlacht. So ist es, und deshalb ist seitens unse- vorliegt. res Landes in den Verhandlungen mit den anderen Ländern schon damals deutlich gemacht worden, dass wir, was die Herr Innenminister, die spannende Frage ist: Wie wollen Bestimmungen zu Sportwetten angeht, erhebliche Beden- Sie das umsetzen? Wie wollen Sie suchtfördernde Angebo- ken gegenüber dem hatten, was die Mehrheit der Länder te, insbesondere Onlinepoker, Kasinospiele sowie Live-Er- festgelegt hat. gebniswetten beim Sport unterbinden? Man kann heutzuta- ge auf jeden möglichen Blödsinn wetten, z. B. darauf, ob Sportwetten finden statt. Sie finden formell, aber illegal in der letzten Minute eines Fußballspiels ein Tor fällt. Das statt. Damit sind wir mitten im Problem. Im Moment sind fördert in der Tat die Spielsucht und kann auch nicht im In- die Ziele, die wir im Glücksspielstaatsvertrag festgelegt teresse des Sports sein. Die Frage ist: Wie bekommen wir haben, insbesondere was die Sportwetten angeht, aber auch solche Auswüchse kanalisiert? was das Onlinespiel angeht, ineffektiv und funktionieren nicht: Die Suchtbekämpfung funktioniert nicht, Kanalisati- Ich will einen weiteren Punkt anführen. Was tut der hessi- on und Schwarzmarktbekämpfung funktionieren ebenfalls sche Innenminister eigentlich, wenn es darum geht, konse- nicht, ein Jugend- und Spielerschutz findet nicht statt, die quent nicht erlaubnisfähige Glücksspielangebote und ille- Betrugs- und Manipulationsvermeidung ist nicht sicherge- gale Spielhallen zu bekämpfen? Auf diese Frage sagen Sie stellt, und eine Wahrung der Integrität des Sports – das ist immer, Ihnen seien die Hände gebunden. Auf der anderen das fünfte Ziel – ist ebenfalls nicht vernünftig möglich. Seite sagen Sie, bei den Sportwetten müsse man nur die Konzessionierungen aufheben, schon sei der Markt gere- Das heißt, wir haben im Moment die Situation, dass wir gelt. die Ziele, die Sie eben noch einmal dargestellt haben, Herr Kollege Rudolph, mit dem Glücksspielstaatsvertrag, den (Zurufe von der CDU) wir im Moment haben, nicht erreichen. Deshalb müssen – Herr Kollege Klee, gehen wir einmal gemeinsam durch wir ihn ändern. die Wiesbadener Innenstadt, oder gehen wir durch Frank- (Beifall bei Abgeordneten der CDU, des BÜNDNIS- furt. Insbesondere sehen wir Geschäfte, deren Scheiben ab- SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) gedunkelt sind. Das sind die klassischen Anbieter, Tipico, oder wie sie heißen mögen. Die müssen wir bekämpfen, Hinzu kommt, dass uns darüber hinaus Steuereinnahmen denn von diesen Einrichtungen, von deren Spielangeboten entgehen – auch das ist in den Redebeiträgen deutlich ge- geht eine große Gefahr aus, genauso wie von Internetange- worden –, und zwar in einem nennenswerten Umfang. Es boten. Herr Innenminister, wie lauten dazu Ihre Vorschlä- entgehen uns aber auch Einnahmemöglichkeiten, die sich ge? insbesondere der deutsche Sport erhofft hat. Es gibt näm- lich einen staatlichen Anbieter, ODS, der sich gerne am Sportwettenmarkt beteiligen würde. Das kann er aber im Präsident Norbert Kartmann: Moment nicht tun, weil diese Wetten nach dem Gesetz for- Herr Kollege, Ihre Redezeit ist um. mell illegal sind und der Staat sich nicht an illegalen Ge- schäften beteiligen kann. Der Deutsche Fußballbund und der Deutsche Olympische Sportbund haben sich vorge- Günter Rudolph (SPD): stellt, dass sie von den Wetten für ihren Sport profitieren können. Das ist nicht möglich, und deswegen sagen wir: Ich wollte gerade zum Schluss kommen, Herr Präsident. – Wir müssen das Problem endlich lösen. Wir sind im Mo- Herr Innenminister, deshalb sind wir sehr dafür, dass sich ment dabei, das zu tun. die Bundesländer verständigen, gemeinsam Lösungen fin- den. Wenn Sie einen hessischen Sonderweg gehen wollen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU, des BÜNDNIS- dann müssen Sie gegenüber dem Parlament darlegen, wie SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) Sie das praktisch umsetzen wollen. So einfach, wie Sie es Wir wollen einen transparenten, diskriminierungsfreien sich machen, funktioniert es nicht. Wenn Sie den Landtag und vor allem europarechtskonformen Rahmen für den einbinden wollen: Wir sind gern dabei. Glücksspielmarkt in Deutschland schaffen. Der Vorschlag, (Beifall bei der SPD) den wir gemacht haben, bietet einige Vorteile: Erstens eine Auflösung des Stillstands in diesem Bereich, Präsident Norbert Kartmann: wie wir ihn im Moment haben. Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Innenminister Beuth. Zweitens. Wir können mit unseren Vorschlägen die we- sentlichen Mängel an den fünf Leitlinien, die ich genannt habe, beseitigen. Das ist unser Angebot an die anderen Peter Beuth, Minister des Innern und für Sport: Länder – übrigens nicht erst heute gemacht, sondern schon im vergangenen Herbst. Ich will Ihnen aber gleich sagen, Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! was wir an der Stelle noch gemacht haben. Der Glücksspielstaatsvertrag ist gescheitert. Das kann man eindeutig so feststellen. Sogar in dem verschwurbelten Re- Wir können das staatliche Lotteriemonopol – am Lotterie- debeitrag des Kollegen Rudolph, der irgendwie darstellen markt haben viele ein großes Interesse – nur auf diese Art Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5207 und Weise erhalten. Wenn wir so weitermachen wie bis- (Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- her, dann wird der Glücksspielmarkt am Ende europa- NEN und der FDP) rechtskonform von den europäischen Gerichten festgestellt werden, und damit hätten wir am Ende vor allen Dingen den Destinatären des staatlichen Lotteriemonopols gescha- Präsident Norbert Kartmann: det. Herr Kollege, die Fraktionsredezeit ist beendet. Wir haben die Chance, neben einem liberalisierten Sport- wettenmarkt und einem liberalisierten Bereich „Internet- spiel“ das staatliche Lotteriemonopol zu erhalten, weil nur Peter Beuth, Minister des Innern und für Sport: der Staat die Vermeidung von Betrug und Manipulation Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Es gehört offen- am Ende so darstellen kann, dass sie im Sinne des Glücks- sichtlich zu den Regeln; ich kann es ertragen, wenn Sie den spielstaatsvertrags trägt. Deswegen sind wir der Auffas- Minister kritisieren. Aber seien Sie mir nicht böse, wenn sung, dass wir das Lotteriemonopol auf der einen Seite und ich auch einmal sagen möchte: Die Mitarbeiterinnen und einen liberalisierten Glücksspielmarkt auf der anderen Sei- Mitarbeiter bei uns im Glücksspielreferat haben in den te verbinden können – im Interesse der Steuerzahler, aber letzten Jahren Hunderte oder Tausende von Ordnern und z. B. auch im Interesse der Sportfamilie. Das ist unser Vor- von Seiten mit Geschäftsplänen und mit Konzessionsunter- schlag. lagen, die von Unternehmen eingereicht worden sind, bear- (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- beitet. Sie haben nach bestem Wissen und Gewissen dafür NISSES 90/DIE GRÜNEN) gesorgt, dass wir diese Bestenauslese – in dem bescheide- nen Rahmen, den der Glücksspielstaatsvertrag gegeben hat Wir wollen den Zielen des Glücksspielstaatsvertrages mit – auf die Reihe bekommen haben. unseren Vorschlägen Geltung verschaffen. Ich habe schon gesagt: Wir streben eine Regelung an, die europarechts- (Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): konform ist. Unsere Planung beinhaltet auch, die Vorschlä- Die Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerführer ge, die wir gemacht haben, bis zum 1. Juli des nächsten von ver.di!) Jahres in Recht und Gesetz umzusetzen. Ich finde es einfach ungehörig, wenn die Mitarbeiterinnen Meine Damen und Herren, Kollege Rudolph hat die Frage und Mitarbeiter dafür angegriffen werden. Sie haben ihre gestellt, wie wir die Wettsucht und Ähnliches in den Be- Arbeit ordentlich gemacht. Dass sie nicht zum Erfolg ge- reich der Regulierung von Kasino und Pokerspiel aufneh- kommen sind, liegt schlicht und ergreifend daran, dass die men wollen. Ich glaube, dass die Spielerinnen und Spieler Regeln, die wir gemacht haben – diese haben Politiker ge- in unserem Lande vor allen Dingen nach legalen Möglich- macht –, nicht getragen haben, um dieses Konzessionsver- keiten des Spiels suchen. Diejenigen, die das betreiben fahren am Ende zum Erfolg zu bringen. – Vielen Dank. möchten, wollen legale Angebote. Wir können sie ihnen (Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aber im Moment nicht bieten, weil das Ganze sozusagen NEN und der FDP – Hermann Schaus (DIE LIN- im nicht regulierten Rahmen, eben im illegalen Rahmen, KE), an Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE stattfindet. GRÜNEN) gewandt: Warst du denn da?) Deswegen müssen wir das in die Legalität holen. Dann können wir mit den Anbietern z. B. auch die Wettsucht be- Präsident Norbert Kartmann: kämpfen und den Jugendschutz herstellen. Das ist unser Ziel, und dafür müssen wir die Regeln im Lande ändern. Vielen Dank. – Die Aussprache ist beendet. Meine Damen und Herren, es sind bereits viele Punkte an- Ich gehe davon aus, dass dieser Antrag inklusive des Ent- gesprochen worden. Deswegen will ich mich nur darauf schließungsantrags an den Innenausschuss überwiesen beschränken, Ihnen zu sagen, dass wir bei der Vergabe der wird. – Okay. Es gibt keinen Widerspruch, dann ist es so Sportwettkonzessionen von Anfang an auf dieses Desaster beschlossen. Beide Anträge gehen an den Innenausschuss. zugelaufen sind. Herr Kollege Schaus, Sie haben vorhin (Zurufe) gefragt, was wir gemacht haben. – Wir haben doch Zeit. Die Eintracht spielt erst um 20:30 (Hermann Schaus (DIE LINKE): Ja!) Uhr. Von der ersten Sekunde an, in der ich im Amt war, haben Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: wir versucht, auf die anderen Beteiligten einzuwirken, da- mit wir die Aufhebung der quantitativen Begrenzung von Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/ 20 Konzessionen erreichen können. DIE GRÜNEN betreffend Einigung bei Finanzierung Es war klar, dass, wenn wir am Ende dieses Konzessions- für den öffentlichen Nahverkehr – Kompromiss nutzt verfahrens – in dem wir 79 Anbieter von Sportwetten ha- der Verkehrsdrehscheibe Hessen – Drucks. 19/2645 – ben, die in unserem Lande sogar Steuern bezahlen – z. B. zusammen mit Tagesordnungspunkt 22: die besten 20, wie auch immer, auswählen, der 21. natür- lich dagegen klagen wird. In diesem Fall wird am Ende Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Nahver- keine Konzession vergeben. Das müssen wir auflösen, in- kehr stärken, Angebot ausbauen, Preise senken – neue dem wir sagen: Nein, in diesem Lande kann nur derjenige Finanzierungsmöglichkeiten für Bus und Bahn schaffen Sportwetten anbieten, der sich an die Regeln des Glücks- – Drucks. 19/3066 – spielstaatsvertrags hält, die wir formuliert haben. – Das reicht uns. Das ist hinreichend. Deswegen müssen wir von Wir eröffnen die Aussprache. Das Wort hat zunächst Frau dieser quantitativen Begrenzung unbedingt wegkommen. Kollegin Müller von den GRÜNEN. Bitte schön. Das ist unser Ziel. 5208 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ges können wir unterschreiben. Zum Beispiel ist Punkt 2 Ihres Antrags fast identisch mit Punkt 1 unseres Antrags, Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als wir den An- von daher gibt es da keinen Dissens. trag im November eingebracht haben, waren wir im Land- tag alle froh über die Einigung im Bund: Die Regionalisie- Bei der Steigerung des ÖPNV-Anteils im Rad- und Fuß- rungsmittel sind bis 2031 gesichert; und es gab eine Eini- verkehr sind wir ebenfalls einer Meinung. Da tut diese gung der Verkehrsminister – unter Mithilfe von Hessen –, Landesregierung bereits einiges. Wir haben z. B. im März einen Schlüssel für die Verteilung der Mittel herzustellen. 2016 die AG Nahmobilität gegründet. Hier werden die Kommunen unterstützt, bei Themen wie Barrierefreiheit, Jetzt ist Zeit ins Land gegangen, und wir sehen, es gibt Rad- und Fußverkehr oder integrierte Stadtentwicklung noch ein bisschen zu tun; denn der Bund hat den Verteiler- mehr zu machen. Man kann natürlich immer noch mehr schlüssel bis jetzt nicht festgelegt. Nach einem Gutachten machen, aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg. waren 8,5 Milliarden € gefordert. Man hatte sich auf 8 Mil- liarden € verständigt. Unter dieser Prämisse hatten auch die (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Ostländer zugestimmt. Jetzt sind es 8 Milliarden €; wir se- der CDU) hen das als einen guten Kompromiss an. Das Thema Nutznießerfinanzierung – welches Sie ange- Allerdings wird die Verteilung schwierig. Da die Länder sprochen haben – ist kein leichtes. Wir haben es auch im das untereinander nicht hinbekommen werden, ist der Koalitionsvertrag als Prüfantrag stehen. Bund gefordert, einen Vorschlag zu machen, damit die Re- (Zuruf) gionalisierungsmittel endlich an die Länder weitergeleitet werden können und es zu den entsprechenden Finanzie- – Ja, das tun wir, und wir werden das auch umsetzen. – Es rungsverträgen kommt. Deswegen ist es gut, dass wir heute gibt bereits mehrere Gutachten des Landes, und wir haben darüber reden und ein starkes Signal an den Bund senden. Veranstaltungen dazu gemacht. Natürlich liegt hier die Frage immer im Detail: Die Kommunen wollen oftmals et- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und was anderes als die Nutzerinnen und Nutzer. Wenn man der CDU) neue Einnahmequellen generiert, muss man darauf aufpas- Der ÖPNV ist nämlich nicht nur das Rückgrat der Mobili- sen, dass die Einnahmen nicht wieder aufgefressen werden, tät – für das Rhein-Main-Gebiet, die ländlichen Räume und indem man an anderer Stelle kürzt. Das ist kein leichtes Nordhessen –, sondern auch Teil der Energiewende. Ohne Thema, aber auch da sind wir dran. Dabei haben wir im- eine Verlagerung des Individualverkehrs auf den öffentli- mer im Blick, dass es einen Mehrwert für alle Nutzerinnen chen Verkehr werden wir die Energiewende nicht schaffen. und Nutzer haben muss. Es ist im Moment so, dass wir dafür einen weiteren Aus- Zum Thema Arbeitskreis. Wenn du nicht mehr weiter bau brauchen. Dabei sollten wir aber die Verknüpfung in weißt, gründe einen Arbeitskreis. – Es hat schon einige Ar- den Blick nehmen: Wir sollten nicht nur die Verkehrsträ- beitskreise zum Thema ÖPNV-Finanzierung gegeben. Das ger betrachten, sondern auch, wie der Weg von A nach B wird uns auch weiter beschäftigen. zu gestalten ist. Hierbei ist der ÖPNV das Rückgrat. In Nordrhein-Westfalen hat eine Zukunftskommission ge- Diese Erfolgsgeschichte haben wir im Landtag schon ge- tagt, die Handlungsempfehlungen gegeben hat. Das muss feiert. Der RMV ist letztes Jahr 20 Jahre alt geworden. Die man sich alles anschauen und dann auch umsetzen. Wir Fahrgastzahlen sind seit 1996 von 530 Millionen auf 722 werden uns den Herausforderungen stellen, und wir freuen Millionen gestiegen. Das zeigt: Wir haben ein attraktives uns über jegliche Unterstützung, zunächst einmal über die Angebot. Unterstützung unseres Antrags. – Vielen Dank. Wir brauchen einen Ausbau. Die Ausbauprojekte kennen (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Sie alle, z. B. die Nordmainische S-Bahn und die Regio- der CDU sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LIN- naltangente West. Auch die Reaktivierung der Strecke KE)) Frankenberg – Korbach ist eine Erfolgsgeschichte. Die Fahrgastzahlen sind höher als erwartet. All das muss ver- lässlich finanziert werden, nicht nur die Infrastruktur, son- Präsident Norbert Kartmann: dern auch die Betriebskosten. Deswegen ist der Kompro- miss gut, aber eine weitere Entscheidung muss kommen. Das Wort hat Frau Kollegin Wissler, Fraktion DIE LINKE. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und (Janine Wissler (DIE LINKE), zu den übrigen Frak- der CDU) tionen gewandt: Es wäre schön, wenn ich auch eine Fraktion hier hätte! Es kann ja jemand von euch Bei dem Kompromiss waren vor allen Dingen auch die klatschen!) Stations- und Trassenpreise enthalten, die immer überpro- portional gestiegen sind. Die Dynamisierung lag bei 1,5 %. Jetzt ist sie bei 1,8 %. Die Stations- und Trassenpreise sind Janine Wissler (DIE LINKE): um ein Mehrfaches gestiegen. Deswegen war in dem Kom- promiss auch festgelegt worden, dass diese gedeckelt wer- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zuerst einmal den sollten. Auch da hat der Bund noch nicht die ge- vielen Dank für die freundlichen Worte zu unserem An- wünschte Entscheidung getroffen. Wenn es nicht zu Ände- trag, Frau Müller. Es freut mich, dass Sie in den meisten rungen kommt, werden die erhöhten Stations- und Trassen- oder sogar in allen Punkten zustimmen können. Dann freut preise die erhöhte Dynamisierung ganz schnell wieder auf- es mich, dass wir hier auch einmal einen Antrag der LIN- fressen. KEN beschließen können. Ich will noch etwas zum Antrag der LINKEN sagen: Sie Natürlich ist es gut, dass der Bund hier seiner Verpflich- fordern einiges Richtiges, aber nicht alles ist richtig. Eini- tung nachkommt und die Regionalisierungsmittel wenigs- tens um den Inflationsausgleich angepasst werden, auch Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5209 wenn die Einigungen durchaus etwas dubios zustande ka- gestaffeltes Bürgerticket sein, sodass jeder Haushalt 10 bis men – im Rahmen der Bund-Länder-Verhandlungen um 20 € im Monat zahlt. Es kann sein, dass man die Gewerbe- das Asylpaket. treibenden einbezieht, die auch etwas davon haben, wenn ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch ihre Kun- (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Stimmt!) den sie besser erreichen können. Aber es ist natürlich notwendig, gerade weil das Land wei- Ich glaube, da haben wir keine Patentlösungen, mit denen terhin leider keine originären Landesmittel zur Verfügung wir sagen können, so kann das funktionieren. Aber es wäre stellt. Die GRÜNEN hatten das vor der Wahl einmal ver- gut, wenn sich Bund, Länder, die Kommunen, aber natür- sprochen, aber haben es leider bis heute nicht umgesetzt. lich auch die Verbünde an der Stelle zusammensetzen wür- Deswegen bleibt unsere Forderung natürlich, dass auch den; denn wir haben ein Problem in der ÖPNV-Finanzie- Landesmittel in den ÖPNV gesteckt werden müssen. rung. Das ist ganz offensichtlich. Wir haben eine Finanzie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. rungslücke. Da der ÖPNV eine gesamtgesellschaftliche Jürgen Lenders (FDP) – Jürgen Lenders (FDP): Wir Aufgabe ist, sollten wir auch versuchen, neue Wege in der gleichen das mit aus! – Weitere Zurufe von der Finanzierung zu finden. Ich glaube, es wäre sinnvoll, das SPD) zu prüfen und zu schauen, wie man den ÖPNV besser fi- nanzieren kann. – Vielen Dank. Es reicht auch, wenn ihr zu fünft klatscht; mehr bin ich ja in der Regel nicht gewohnt. – Aber ich Das ist natürlich ein Thema in den Städten, wo der ÖPNV glaube, diese Mittel werden nicht ausreichen, nicht für das, überlastet ist. Aber das ist in allererster Linie auch ein The- was eigentlich dringend notwendig ist, nämlich die Ver- ma für den ländlichen Raum; wir wissen nämlich, dass im- kehrswende. Die hat eine soziale und eine ökologische Di- mer mehr Kommunen im ländlichen Raum faktisch vom mension, die natürlich auch ineinander übergehen. ÖPNV-Angebot abgehängt sind. Das stärkt natürlich nicht den ländlichen Raum, sondern das macht ihn weniger at- Wir haben heute Morgen viel über den Klimaschutz disku- traktiv. tiert, und wir wollen auf der anderen Seite natürlich Mobi- lität für alle gewährleisten. Die Teilhabe am gesellschaftli- (Beifall des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE) chen Leben muss unabhängig vom Geldbeutel und vom und bei der SPD) Besitz des eigenen Autos gewährleistet sein. Deshalb muss Deswegen glaube ich, gleichwertige Lebensverhältnisse in man natürlich auch die Verkehrsmittel wie Bus und Bahn Stadt und Land heißen eben auch ein gutes ÖPNV-Ange- stärken. bot. – Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE) Wenn wir die internationalen Klimaschutzabkommen ein- und bei der SPD) halten wollen, müssen wir die Verkehrspolitik drastisch verändern und den Anteil des Pkw-Verkehrs reduzieren, d. h. also attraktive Möglichkeiten zum eigenen Auto fin- Präsident Norbert Kartmann: den. Vielen Dank, Frau Wissler. Nicht dass Sie erschrecken bei Wenn man die Menschen zum Umsteigen auf den ÖPNV so viel Beifall. Aber es war ein rein unterstützender. bewegen will, braucht es aber ein gutes Angebot: bessere (Zuruf von der SPD: Das ändert sich auch wieder!) Zeiten, verlässliche und flexible Takt-Angebote. Das heißt, wir brauchen natürlich erhebliche Investitionen auch in den – Wahrscheinlich. Da kann Dr. Wilken bei euch mitklat- Angebotsausbau. schen. – Ich rufe als nächsten Redner Herrn Abg. Eckert für die SPD-Fraktion auf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gleichzeitig brauchen wir aber auch niedrigere Preise; die alljährlichen Preiserhöhungen vor allem im RMV liegen Tobias Eckert (SPD): weit über der Inflationsrate und machen natürlich effektiv Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! den ÖPNV immer teurer und damit eben nicht attraktiver. Herzlichen Dank für die beiden Anträge – Ihr Antrag ist et- Ich finde, wir müssen uns die Frage stellen, wie wir zu was älter; Frau Kollegin Müller hat es ja schon angespro- mehr Investitionen, aber gleichzeitig auch zu niedrigeren chen –, um sich noch einmal mit der Frage der ÖPNV-Fi- Preisen kommen. Deshalb glauben wir, dass das Streben nanzierung zu beschäftigen; denn am Ende des Tages hat nach einem immer höheren Kostendeckungsgrad, was be- sich an dem Grundproblem nach wie vor nichts verändert. deutet, dass die Nutzer immer mehr selbst zur Finanzie- Deswegen komme ich nachher im Detail noch einmal zum rung beitragen, ein Problem ist. einen oder anderen Aspekt, den man begrüßt und über den Deshalb haben wir einen Antrag eingebracht, zu prüfen, man sich freut. Ich weiß nicht, ob wir heute schon an dem wie neue Wege in der ÖPNV-Finanzierung aussehen kön- Zeitpunkt sind, um etwas zu begrüßen und uns zu freuen; nen. Da gibt es ganz gute Beispiele, z. B. aus Frankreich. denn am Ende des Tages liegt noch Arbeit vor uns. Dort gibt es seit Jahrzehnten eine Transportsteuer, die Un- Wie ist die Situation in der Finanzierung des öffentlichen ternehmen für ihre Beschäftigten an die Kommunen abfüh- Personennahverkehrs in Hessen, und über was debattieren ren müssen. Das sorgt für erheblich geringere Kosten für wir im Hessischen Landtag auch immer wieder bei der Fra- Busse und Bahnen im ganzen Land. In 18 französischen ge, wie wir dazu kommen, dass wir nicht nur den Status Verkehrsverbünden sind Busse und Bahnen sogar kosten- quo halten, sondern den ÖPNV besser machen? Das The- los. ma des ländlichen Raums hat die Kollegin Wissler ange- Ich glaube, da gibt es verschiedene Modelle, über die man sprochen. Der Aspekt des Ballungsraums ist angesprochen auch in Deutschland nachdenken kann. Das kann ein sozial worden. All diese Debatten beschäftigen uns schon seit Langem. 5210 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016

Ich habe diese Woche vom Kollegen Rudolph gelernt: tig. Aber eine solche Flexibilität in der eigenen inhaltlichen Wenn Minister Al-Wazir einmal etwas gesagt hat, dann ist Position schadet am Ende dem eigenen Anliegen, gerade das so, und dann ist das auch richtig. – Herr Minister, in dann, wenn es ein solcher Kernbestandteil von Verkehrs- dem Punkt sind wir uns hier alle einig: 2014 haben Sie ge- politik für das Bundesland Hessen ist. Deswegen, Herr Mi- sagt, der Nahverkehr soll nicht schlechter werden, sondern nister: Wenn Sie 2014 beim Kompromiss der Verkehrsmi- wir bemühen uns, dass er besser wird. Am Ende dieses Ab- nisterkonferenz deutlich gemacht haben, dass das das Maß satzes kommt das, was ich zitieren will. Da bin ich nämlich ist, was wir in Hessen als Minimum brauchen, um unseren bei dem großen Dissens hier. Herr Minister, Sie sagen, wir ÖPNV solide zu finanzieren und ausbauen zu können, der bräuchten in Hessen mehr Mittel und nicht weniger Mittel, Bund-Länder-Kompromiss aber hinter dem zurückbleibt, um die Aufgaben erfüllen zu können – recht haben Sie. dann müssen Sie erklären, wie Sie das qualitativ entspre- chend voranbringen, und dann sind wir bei der Frage der Die Frage ist aber doch entsprechend: Gehen Sie da von Finanzierung, bei dem, was das Land Hessen hier zu leis- dem Beschluss der Verkehrsministerkonferenz 2014 aus, ten hat. wozu wir sagen, das ist noch gar nicht das, was wir eigent- lich bräuchten, aber ein guter Weg? Wenn wir das hinbe- Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt viele kommen, haben wir, was die Verteilung der Regionalisie- richtige und wichtige Beschreibungen – das wird in beiden rungsmittel angeht, für Hessen einen guten Schritt ge- Anträgen mit angesprochen – der Bedeutung des öffentli- macht. Das Ergebnis, das 2015 herausgekommen ist, liegt chen Personennahverkehrs. All diese Punkte sprechen Sie noch einmal deutlich unter dem, was Sie damals so vehe- mit an: die Bedeutung von Teilhabe, von Mobilität insbe- ment als das Minimum verteidigt haben, das wir unbedingt sondere im ländlichen Raum, aber auch die Verkehrssitua- brauchen, um den ÖPNV in Hessen ausbauen und weiter tion im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main. Frau Kolle- vorantreiben zu können. gin Wissler, ich bin sehr gespannt auf eine Debatte über die Frage einer grundsätzlichen Veränderung der Finanzie- Frau Müller, deswegen hätte ich mich gefreut, wenn in Ih- rung des öffentlichen Personennahverkehrs und über ähnli- rem Antrag auch einmal irgendein Wort dazu kommen che Dinge mehr. Darauf sind wir sehr gespannt, wenn denn würde, was denn am Ende des Tages die Verantwortung jetzt Schwarz-Grün mitmacht, sich einmal anzuschauen, des Landes Hessen ist, angesichts dieser Lage im Moment wie sich das verändert. Am Ende aber in ihrem eigenen nach 2015 – das ist der Kompromiss zwischen den Län- Antrag nur zu begrüßen, was im ÖPNV-Gesetz steht, dern und dem Bund – und der Frage, was nachher in Hes- sen dafür zur Verfügung stehen wird. Ich hätte mich ge- freut, wenn Sie sich endlich einmal wieder zu dem beken- Präsident Norbert Kartmann: nen, was Sie immer wieder völlig zu Recht gefordert ha- ben, worin wir uns einander gegenseitig unterstützt haben Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege. und wozu früher einmal auch der Minister befürwortend Position bezogen hat: dem Punkt, dass das Land Hessen das mit eigenen Mitteln vorantreiben muss. Tobias Eckert (SPD): Da brauche ich keine Prüfaufträge. Das ist das, was Sie im dass die Regionalisierungsmittel an die Verkehrsverbünde Koalitionsvertrag geschrieben haben. Am Ende sagen Sie: durchgereicht werden, ist für einen Antrag von Schwarz- Wir diskutieren darüber und schauen einmal, was wir dann Grün ein bisschen wenig. brauchen. Wir prüfen. – Wenn Sie es schneller haben wol- (Günter Rudoph (SPD): Ja!) len, gehen Sie einmal zu den Verbünden und fragen dort konkret, was an Defiziten vorliegt und wo die Lücken sind, Deswegen: Es ist schön, dass wir darüber gesprochen ha- um den Service ausbauen zu können, ihn aufrechterhalten ben. Aber, Herr Minister, Sie haben noch eine ganze Men- zu können, in all der Qualität und dem Ausbau der Quali- ge Arbeit vor sich. Am Ende wird es nur mit eigenen Lan- tät, wie wir es uns hier vorstellen. desmitteln gehen und nicht ohne. – Herzlichen Dank. Dann sehen Sie, dass wir die ganze Frage am Ende des Ta- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) ges nur damit lösen können, dass wir sagen können: Es gibt einen Kompromiss auf Bundesebene. Mit diesen Mit- Präsident Norbert Kartmann: teln haben wir eine Grundlage zur Finanzierung des ÖPNV in Hessen geschaffen. Aber am Ende des Tages wissen wir, Das Wort hat Herr Abg. Lenders für die Fraktion der FDP. dass das nicht der letzte Schritt sein kann, weil wir mit ei- genen Mitteln diesen Weg vorangehen können. Deswegen wäre es richtig gewesen, wenn Sie das letztes Jahr schon Jürgen Lenders (FDP): im Herbst hier beantragt hätten. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Kollegin- Wenn Sie uns bei unseren Haushaltsanträgen zum Haushalt nen und Kollegen, am Ende einer Plenarwoche wäre es 2016, wo wir gesagt haben: „Wir wissen, dass wir da eine dumm, hier noch irgendwelche großen Konflikte aufzuma- Lücke haben, und deswegen gehen wir mit dem Vorschlag chen. rein, das mit 10 Millionen € an originären Landesmitteln (Zuruf von der SPD: Warum?) zu versehen“, einfach einmal unterstützt und zugestimmt hätten, dann wären wir in diesem Bereich heute in Hessen Ich glaube, dass alle Redner die Aufgaben des ÖPNV gut sicherlich schon weiter. beschrieben haben. Klar, aus unserer Sicht besteht die Her- ausforderung gerade darin, den ÖPNV im ländlichen Raum (Beifall bei der SPD und der LINKEN) bezahlbar zu halten und vor allen Dingen das Angebot auf- Kollege Frömmrich hat eben in der Debatte gesagt: rechtzuerhalten. Am Ende wird es sich immer darum dre- Manchmal muss man in der Regierung flexibler sein. – hen: Wie können wir den ÖPNV finanzieren? Flexibilität durch Mobilität ist sicherlich richtig und wich- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5211

Meine Damen und Herren, Staatsminister Al-Wazir hat die und von keinen anderen. Das hat auch ein bisschen etwas Dynamisierung der Bundesmittel groß angekündigt; da war mit Ehrlichkeit zu tun, wenn man über den ÖPNV spricht. einmal von 2,5 % die Rede; ausgehend von 1,5 % sind wir (Beifall bei der FDP) dann bei 1,8 % gelandet, immerhin 0,3 Prozentpunkte mehr. Respekt, das ist trotzdem ein Erfolg. Aber nun zu Meine Damen und Herren, wir sind gern dabei, konstruktiv dem, was meine Vorredner schon gesagt haben: Wie sieht mitzuarbeiten. Die vorliegenden Anträge scheinen uns aber es denn eigentlich mit der Dynamisierung der eigenen Lan- nicht besonders ausgewogen zu sein. Darin schließe ich desmittel, der eigenen Anteile, aus? Wo kommt denn dann mich durchaus den Vorrednern von der SPD an. – Vielen eigenes Landesgeld her? Der ÖPNV speist sich zum Teil Dank. auch aus den KFA-Mitteln. Wenn man sich das einmal an- schaut, dann muss man feststellen: Eine Dynamisierung (Beifall bei der FDP) beim KFA ist überhaupt nicht vorgesehen. Das hätte die Landesregierung schon längst ändern können. Die Frage: Präsident Norbert Kartmann: „Wie viel an eigenen Landesmitteln stellen wir denn zur Verfügung?“, wollen wir ganz klar auch daran festmachen, Das Wort hat Herr Abg. Caspar für die CDU-Fraktion. wie hoch denn der tatsächliche Bedarf ist und wo noch Einsparpotenziale liegen. Für die FDP kann ich deutlich sagen: Ja, wir sind auch bereit, eigene Landesmittel zur Ulrich Caspar (CDU): Verfügung zu stellen. Herr Präsident, meine Damen und Herren! In Hessen ist (Beifall bei der FDP und des Abg. Thorsten Schäfer- Mobilität für die Menschen von besonderer Bedeutung. Gümbel (SPD)) Für Hessen ist es auch sehr wichtig, dass wir eine gute Verkehrsinfrastruktur haben. Das gilt sowohl für den Be- Wir wissen, dass die Finanzierung durchaus auskömmlich reich des Warentransports als auch für die Mobilität der geplant war. Wenn man sich aber einmal die Zeitachse und Menschen. Die Mobilität der Menschen ist sowohl im den Finanzierungsbedarf des ÖPNV genau anschaut, dann ländlichen Raum als auch im Ballungsraum wichtig. Wäh- stellt man eben fest, dass es selbst beim besten Szenario rend wir im ländlichen Raum allerdings die Probleme ha- spätestens 2018/2019 nicht mehr reichen wird, und dann ben, dass es durch die Reduzierung der Bevölkerungszahl bin ich, Frau Kollegin Wissler, noch gar nicht dabei, dass immer schwieriger wird, ein gutes Angebot aufrechtzuer- man das Angebot ausweiten will, wie Sie das fordern, son- halten, haben wir in den Ballungsräumen die Herausforde- dern es geht nur darum, das Angebot zu halten. rung, das Mehr an Mobilität aufzufangen, und zwar mit ei- (Janine Wissler (DIE LINKE): Ja!) nem besseren Angebot an öffentlichem Personennahver- kehr. Wir wissen, dass das nicht mehr auskömmlich ist, was im Moment an Mitteln zur Verfügung steht. Daher werden wir Deswegen sind wir in Hessen sehr froh, dass unsere Ver- nicht drum herumkommen, die Frage zu beantworten: Ist handlungsführer auf Bundesebene, insbesondere Herr das Land bereit, nicht nur immer schönen Worten Folge zu Staatsminister Al-Wazir, erreichen konnten, dass die Re- leisten, sondern auch einmal eigenes Geld in die Hand zu gionalisierungsmittel, die wir vom Bund bekommen, er- nehmen? – Wir sind hierzu ausdrücklich bereit. höht worden sind. Die Länder bekommen insgesamt 8 Mil- liarden €, und das indexiert. Wenn man sich die Indexie- (Beifall bei der FDP und der SPD sowie der Abg. Ja- rung anschaut, kann man schnell ausrechnen, dass aus den nine Wissler (DIE LINKE)) 8 Milliarden € in sechs weiteren Jahren 9 Milliarden € wer- Es ist aus unserer Sicht allerdings so – das ist der Um- den, und in fünf weiteren Jahren werden aus den 9 Milliar- kehrschluss –, dass man sich auch einmal die strukturellen den € 10 Milliarden €. Mit der Indexierung haben wir inso- Reformen anschauen muss. Wir haben in unserer Regie- fern auch eine Perspektive für die weitere Entwicklung rungsverantwortung versucht, die Einsparpotenziale der dieser Mittel. Verbünde zu heben. Auf freiwilliger Basis sollten Synergi- Was wir noch nicht abschließend wissen, ist, in welcher en genutzt werden. Wir haben auch klar gesagt: Diese Ein- Form die genaue Aufteilung erfolgen wird. Dazu bedarf es sparpotenziale, die dort gehoben werden, sollen aber im noch der Verordnung des Bundes, die der Bund im Einver- Angebot bleiben. Es darf nicht sein, dass diese Einsparpo- nehmen mit den Ländern ebenfalls erstellen will. Aller- tenziale dazu führen, dass dann die Zuwendungen des Lan- dings würde das für Hessen keinen großen Unterschied des gekürzt werden, sondern diese sollen im Angebot ver- machen. Es geht nämlich darum, ob die Mittel entweder bleiben. nach dem Königsteiner Schlüssel oder, was die Länder ein- Ich befürchte nun einfach, dass diese Freiwilligkeit, mit mal in diesem Zusammenhang vorgeschlagen hatten, nach der man versucht hat, diese Synergien zu heben, bisher dem Kieler Schlüssel verteilt werden. In beiden Fällen noch nicht allzu weit geführt hat. Ich glaube, dass wir die würden sich die Mittel für Hessen etwa zwischen 7,3 % Zusammenarbeit von NVV und RMV im Sinne der Fahr- und 7,8 % bewegen, je nachdem, wie die wirtschaftliche gäste nutzen müssen und dass wir diese Synergien stärker Entwicklung in den nächsten Jahren sein wird. heben müssen. Ohne die Bereitschaft, eigenes Geld in die Da brauchen wir zwar noch Klarheit, aber von der Größen- Hand zu nehmen, ohne die Einsparpotenziale, die vor allen ordnung her ist das nicht das Entscheidende. Deswegen Dingen in der Verwaltung, im Management, in der Struk- war es völlig richtig, dass die Landesregierung, nachdem tur, im Wasserkopf liegen, zu heben, wird es am Ende zu der Bund diese Vereinbarung mit den Ländern getroffen Einschränkungen kommen, und zwar zu Einschränkungen hat und wir wussten, dass sich die Mittel für den ÖPNV der Fahrgäste. Kein anderer ist betroffen als derjenige, der damit erheblich erhöhen können, den Verkehrsverbünden den Bus, die Straßenbahn benutzt. Das sind die Pendler, mitgeteilt hat, dass ihnen diese Mittel 1 : 1 zur Verfügung die jeden Tag zur Arbeit fahren müssen; das sind viele gestellt werden. Das ist eine sehr gute Entscheidung, weil Schülerinnen und Schüler. Von diesen Menschen reden wir 5212 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 damit den Verkehrsverbünden auch Planungssicherheit ge- Ich kämpfe dafür, dass wir bald Klarheit bekommen. Wir geben ist. wollen eine neue Finanzierungsvereinbarung mit einer Laufzeit von fünf Jahren von 2017 bis 2021 abschließen. Alles in allem kann man feststellen: ein gutes Verhand- Daran arbeiten wir mit Hochdruck. lungsergebnis, das in Hessen auch hervorragend umgesetzt wird. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einen Punkt will ich noch erwähnen: die Infrastrukturkos- ten, nämlich die Trassen- und Stationspreise. Da hat der Bund bisher nicht geliefert. Wir haben uns geeinigt, dass Präsident Norbert Kartmann: sichergestellt werden muss, dass diese Trassen- und Stati- Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Staatsminister Al-Wa- onspreise nicht immer stärker steigen. zir. Wir bestehen darauf, dass die Steigerung bei den Trassen- und Stationspreisen, also bei dem, was Schienenfahrzeuge sozusagen an Maut bezahlen müssen – um das einmal mit Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Ver- dem Lkw-Verkehr zu vergleichen –, nicht mehr als 1,8 % kehr und Landesentwicklung: im Jahr sein darf. Wir sind mit dem, was uns der Bund bis- Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! her vorgelegt hat bzw. was er nicht vorgelegt hat, und mit Wir wollen eine Verkehrswende hin zu umweltgerechter dem, was bisher im Eisenbahnregulierungsgesetz steht, und klimaschonender Mobilität. Wir wollen es attraktiver sehr unzufrieden. Wir müssen dringend dafür sorgen, dass machen, dass Menschen auf Alternativen zum Auto um- es mit den exorbitanten Steigerungen nicht weitergeht, die steigen. Dafür brauchen wir gute alternative Angebote und am Ende für die Verkehrsleistungen fehlen. Verkehrskonzepte. Dazu gehört auch die Förderung des Wenn wir gerade dabei sind, Stichwort: Infrastrukturförde- Fuß- und Radverkehrs. Wir unterstützen das mit der neu rung. Wir wollen, dass es auch schnell Klarheit über die geschaffenen AG Nahmobilität. Wir brauchen aber vor al- Frage des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes des len Dingen auch einen attraktiven öffentlichen Personen- Bundes gibt, also über den Anteil der Kosten, den der nahverkehr. Der kostet Geld. Bund für Investitionskosten in den Ländern zur Verfügung Wir haben auf Bundesebene für die Aufstockung der Fi- stellt. Die Verkehrsministerkonferenz hat sich im letzten nanzierung des Regionalverkehrs gekämpft. Wir waren er- Monat darauf geeinigt – übrigens einstimmig –, zu sagen, folgreich. Ich will aber ausdrücklich sagen: Natürlich dass 500 Millionen € pro Jahr benötigt werden und auch könnte man sich immer noch mehr wünschen. Es ist auch dort eine Dynamisierung benötigt wird. Das ist gerade für nicht so, dass die getroffenen Vereinbarungen zu den Re- Hessen exorbitant wichtig, weil wir ohne die Mittel aus gionalisierungsmitteln zwischen Bund und Ländern bedeu- dem GVFG die nötigen Ausgaben für die Main-Weser- ten, dass jetzt paradiesische Zustände eintreten. Bahn, den Ausbau der S 6, die Nordmainische S-Bahn, die Regionaltangente West und die großen Stadtbahnprojekte Es ist aber ein vernünftiger Kompromiss: 8 Milliarden € in und um Frankfurt nicht hinbekommen. Deswegen brau- für die Bundesländer insgesamt, 1,8 % Erhöhung jedes chen wir schnell Klarheit. Jahr. Das schafft eine verlässliche und langfristig belastba- re Grundlage für die Finanzierung, insbesondere des Letzter Punkt, Stichwort: Entflechtungsgesetz. Auch hier Schienenpersonennahverkehrs. Das könnte Planungssi- haben wir keine Klarheit, wie es weitergeht. Die Bund- cherheit in diesem Bereich bis zum Jahr 2031 bringen, Länder-Finanzbeziehungen sind noch ungeklärt. wenn wir endlich wüssten, nach welchem Schlüssel das Das bedeutet, wir haben einen weiter wachsenden Finan- Ganze verteilt wird. zierungsbedarf im öffentlichen Personennahverkehr, den Deswegen auch von dieser Stelle aus: Wir brauchen wir decken müssen. Wir haben mit dem ÖPNV einen ho- Rechtssicherheit, und wir brauchen einen Verteilungs- hen Nutzen für die Allgemeinheit, für die Anlieger und schlüssel, den das Bundesverkehrsministerium jetzt vorle- auch für die Unternehmen. Frau Wissler, deswegen prüfen gen muss, damit wir Klarheit haben, wer wie viel be- wir ergebnisoffen auch die Möglichkeit einer Finanzie- kommt. rungsbeteiligung Dritter an den ÖPNV-Erschließungskos- ten. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Janine Wissler (DIE LINKE): Dann prüft doch, ob Um Ihnen einmal zu verdeutlichen, wie die momentane Si- ihr dem Antrag zustimmen könnt!) tuation ist: Bis Juni, also bis nächsten Monat, verteilt der Bund lediglich den Betrag aus dem Jahr 2015 von 7,4 Mil- Ich sage aber ausdrücklich: ergebnisoffen. Wir wissen, liarden € nach dem alten Schlüssel. Er sagt, dass es eine dass es in der Wirklichkeit am Ende meistens nicht so ein- endgültige Verrechnung später geben wird. Wir wissen bis fach ist, wie in den Anträgen der Linksfraktion. heute nicht, wie eine solche Verrechnung aussehen könnte. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir an dieser Stelle Schritt Deswegen sage ich sehr deutlich: Ja, wir verhandeln mit für Schritt vorankommen den Verbünden, das ist klar. Es ist völlig klar, dass wir im (Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD)) Jahr 2016 kein Problem haben. Wir haben noch einen lau- fenden Finanzierungsvertrag, und die Verbünde haben ge- und dafür sorgen können, dass die ÖPNV-Finanzierung in sagt, NVV und VRN, dass sie mit dem gegenwärtigen Hessen auf eine langfristige und gute Grundlage gestellt Geld auskommen. Der RMV kommt nicht aus. Deswegen wird. Ich hoffe, dass wir an dieser Stelle die Unterstützung haben wir ihm mit Zustimmung der anderen Verbünde des ganzen Hauses bekommen werden. – Vielen Dank. einen Vorabzuschlag zugesagt. Die Bestellungen für das nächste Jahr werden aber jetzt ausgelöst. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5213

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE müssen dringend instand gesetzt werden. Mit den zur Ver- GRÜNEN) fügung gestellten Mitteln ist es nun möglich, Pflaster neu zu verlegen, Toiletten zu bauen, Treppen instand zu setzen, Brücken zu sanieren, besondere Ausstellungen einzurich- Präsident Norbert Kartmann: ten und vieles mehr. Die Barrierefreiheit soll bei diesem Vielen Dank, Herr Minister. – Wir beenden damit die Aus- Programm ebenfalls nicht zu kurz kommen; denn es ist uns sprache und überweisen beide Anträge zur weiteren Bera- wichtig, dass auch alten und behinderten Menschen Zu- tung an den Wirtschaftsausschuss. – Keiner widerspricht, gang zu Kunst und Kultur möglich ist. dann ist das so beschlossen. (Unruhe) Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: – Ich finde die Unruhe hier sehr schade; denn es ist ein wegweisendes Programm, und ich glaube, die Hälfte be- Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und kommt hier gar nicht mit, was ich sage. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Schlösser, Gärten und Burgen in Hessen als kulturelles Erbe er- (Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- halten – Drucks. 19/2646 – NEN und der FDP) Das Wort hat Frau Abg. Lannert, CDU. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Hessen ist ein Land mit einzigartigen Traditionen, mit 14 großen Schlossanlagen, mit 23 Burgen und etlichen Ruinen, mit Judith Lannert (CDU): Kirchen, Klöstern, Bauern- und Gutshäusern sowie mit mehreren Tausend Hektar historischer Parkanlagen. Dies Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen alles besitzt einen hohen Stellenwert für die jeweilige re- und Herren! Hessen lässt seine bedeutenden kunst- und gionale, aber auch für die kulturelle Identität unseres Hes- kulturhistorischen Schätze nicht verfallen, sondern inves- senlandes. Dieses wertvolle kulturelle Erbe unseres Landes tiert 10 Millionen € im Zeitraum von 2015 bis 2019 zusätz- bleibt erhalten, bleibt erlebbar für die uns nachfolgenden lich in Schlösser, Gärten und Burgen. Generationen, aber es dient auch der Steigerung und Erhal- Mit dem von uns eingebrachten Antrag begrüßen wir die tung unserer touristischen Attraktivität. Neuauflage des hessischen Kulturinvestitionsprogramms (Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ende des vergangenen Jahres. Es ist eine gute und richtige NEN und der FDP) Entscheidung, Investitionen in der genannten Größenord- nung möglich zu machen. Unsere Schlösser und Burgen, Mit diesem Investitionsprogramm ist es nun möglich, in unsere kunst- und kulturhistorischen Schätze erhöhen die ganz Hessen Maßnahmen zur Werterhaltung unserer Attraktivität unseres Landes für uns alle, für unsere Ein- Schätze einzuleiten, in dem Bewusstsein, dass es sich im- wohner, aber auch für Zugewanderte, um ihnen unsere mer nur um generationenübergreifende Aufgaben handelt, Kultur näherzubringen. Sie sind ein wichtiger Anziehungs- die niemals vollständig erfüllt sein können. punkt für unseren Tourismus. Abschließend möchte ich mich noch einmal ganz herzlich (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE bei der Landesregierung und Herrn Minister Rhein für die GRÜNEN) Schwerpunktsetzung in diesem Bereich bedanken. – Ich bedanke mich ebenfalls für Ihre geteilte Aufmerksamkeit. Für kulturelle Identität ist es von herausgehobener Bedeu- tung, wie ein Land mit seinen baulichen Schätzen umgeht. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Lässt es sie verfallen, kürzt es die Mittel für die Bauunter- GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) haltung und Denkmalpflege, oder investiert es voraus- schauend? Wir können sagen: Hessen investiert voraus- schauend. Wo andere kürzen, legen wir ein Programm von Präsident Norbert Kartmann: 10 Millionen € für die nächsten drei Jahre fest. Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Abg. Beer, Das KIP erstreckt sich über ganz Hessen, in vielen unter- FDP-Fraktion. schiedlichen Maßnahmen und Standorten. Ich greife ein- fach einmal drei Maßnahmen aus insgesamt 28 heraus, da- mit noch einmal deutlich wird, wofür der Geldsegen im Nicola Beer (FDP): Einzelnen Verwendung findet. Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein hessisches Kleinod ist die romanische Klosterkirche im Kunst und Kultur machen die Seele eines jeden Landes – Kloster Konradsdorf aus dem 12. Jahrhundert: derzeit in nicht nur unseres Bundeslandes – aus. Ich gebe der Kolle- einem miserablen baulichen Zustand, künftig restauriert, gin Lannert recht, dass man es angesichts der Lautstärke der Öffentlichkeit zugänglich und barrierefrei. hier nicht so richtig nachempfinden konnte; das war eine andere Form der Kultur, die hier gerade gepflegt wurde. Die zweite große Summe aus dem Programm dient der Deswegen versuche auch ich, einen Gang schneller zu Einrichtung des Odenwälder Elfenbeinmuseums und wei- schalten. teren Umbauten im landeseigenen Schloss Erbach, was mit über 1 Million € zu Buche schlägt. – Als Odenwälder Ab- (Zuruf von der SPD: Noch schneller?) geordnete musste ich mir dieses Beispiel herausgreifen, Sie – Ja, ich bemühe mich. Sie kennen mich ja. Ich hadere eher werden es mir verzeihen. mit dem Präsidenten hinsichtlich der Redezeit. – Ich will Oder, weithin sichtbar auf einem Berghügel stehend und darauf verweisen, dass das Land Hessen eine ganz beson- dadurch besonders Wind und Wetter ausgesetzt, die Burg dere Tradition in der Pflege, der Bewahrung und dem Aus- Münzenberg. Mauerkronen und Geländer des Wehrgangs bau seines kulturellen Angebots hat, haben wir doch in un- serer Hessischen Verfassung ein Kulturstaatsgebot, das 5214 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 dies von der Stunde null dieses Bundeslandes an quasi fest- Summa summarum: Gut, dass es diese 10 Millionen € zu- legt. Insofern ist es sehr schön, dass wir nun ein weiteres sätzlich gibt, gut, dass wir sie entsprechend sinnvoll einset- Programm für diese Legislaturperiode haben, das mit 10 zen. Es sind auch 1 Million € als zusätzliche 10-prozentige Millionen € dotiert worden ist, Herr Minister und meine Reserve für kleinere Maßnahmen vorgesehen. Damit ver- Damen und Herren der Regierungsfraktionen. Ich finde es binde ich schlicht die Hoffnung, dass nicht die bislang in etwas schade, dass davon nur Landesliegenschaften profi- der Liste ausgewählten Maßnahmen diese Reserve auffres- tieren werden, auch wenn ich weiß, dass es sehr viele, sehr sen mögen, sondern dass es uns gelingt, davon weitere wichtige und sehr bedeutende sind. Aber Sie können sich Maßnahmen zu fördern – seien sie nun aus den weiteren vorstellen, dass ich als Freie Demokratin es ganz schön ge- Vorschlägen Ihres Ministeriums oder vielleicht doch von funden hätte, wenn auch das ehrenamtliche Engagement Privaten, Herr Minister. – Herzlichen Dank. bei der Kulturpflege im Denkmalbereich – wir sind ja (Beifall bei der FDP) dankbar, dass es so viele Hessinnen und Hessen gibt, die sich auch privat darum kümmern – in irgendeiner Weise hätte profitieren können, zumal man wohl zugeben muss, Präsident Norbert Kartmann: dass man aus dieser Summe über einen gewissen Hebel so- gar noch mehr Investitionen und noch mehr Liegenschaf- Nächste Wortmeldung von Frau Kollegin Feldmayer für ten hätte erreichen können. die GRÜNEN. Möglicherweise sahen Sie sich angesichts der Dotierung in Höhe von 10 Millionen € auf fünf Jahre auch nicht wirk- Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lich in der Lage, diese – ich will nicht sagen: durchaus überschaubare – Summe auch noch auf Private mit aufzu- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Koalition teilen, Herr Minister. Wenn man einmal in Ihren Haushalt von Schwarz-Grün hat es sich zum Ziel gesetzt, den kultu- schaut, sieht man, dass allein das Produkt „Erhaltung, Nut- rellen Reichtum Hessens zu bewahren und zu fördern. zung und Präsentation der landeseigenen, geschichtlich be- Hierzu gehört auch der Erhalt des kulturellen Erbes. deutsamen Kulturdenkmäler und Gesamtanlagen“ im Kapi- Der Erhalt des kulturellen Erbes ist so wichtig, weil es uns tel „Historisches Erbe“ im Haushalt 2016 20 Millionen € zeigt, woher wir kommen, weil es zur Identitätsstiftung beträgt. Man hätte die 2 Millionen € pro Jahr einfach noch beiträgt und die kulturelle Vielfalt abbildet – da schließe dort reinpacken können, aber ein Kulturinvestitionspro- ich mich auch den Worten von Frau Lannert und von Frau gramm hat ja einen guten Ruf. Sie knüpfen an das Erbe Ih- Beer an. rer Vorvorvorgängerin Ruth Wagner an, die allerdings da- mals für einen nahezu gleich langen Zeitraum 265 Millio- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und nen € zur Verfügung hatte – das war schon ein bisschen der FDP) mehr. Daher konnten damals auch knapp 5 Millionen € an In Zeiten wie diesen, in denen Rechtspopulisten von der Vorhaben anderer, auch privater Träger im landeskulturpo- AfD oder andere meinen, dass unsere Kultur nur aus dem litischen Interesse gehen. besteht, was sie unter Pflege der sogenannten deutschen (Beifall bei der FDP und des Abg. Michael Siebel Leitkultur verstehen, finde ich es auch wichtig, in dieser (SPD)) Debatte noch einmal zu betonen, dass unser reichhaltiges Kulturerbe auch in Hessen so nicht existieren würde, wenn Aber selbst wenn es nicht die größten Summen aller Zeiten es nicht diese Vielfalt an Religionen, Traditionen und kei- sind, die hier zur Verfügung stehen, kann man vor Ort ne Migrationsbewegungen gegeben hätte und geben würde. durchaus Sinnvolles damit anfangen. Frau Kollegin Lan- nert hat auf eine ganze Reihe von Projekten hingewiesen, (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die damit vorangetrieben werden: Kloster Konradsdorf, der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE)) oder auch unser Sorgenkind Schloss Erbach findet jetzt mit Auch da ist es gut, dass wir ein Kulturinvestitionspro- der Geschichte des Elfenbeinmuseums eine sinnvolle Nut- gramm von 10 Millionen € zusätzlich bis 2019 aufgelegt zung; das ist auch eine lange Diskussion, was dort passie- haben und dass Mittel für den Erhalt und die Sanierung ren soll. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die Frage von Baudenkmälern bereitgestellt werden. des Substanzerhalts und der Verkehrssicherung diese 10 Millionen € – ich will es vorsichtig einmal so ausdrücken – Ich will zwei Beispiele herausgreifen, die ich besonders ein bisschen dominiert. Wesentlich sympathischer ist mir prägnant finde. Zum einen ist es das romanische Kloster da die Idee der Nutzbarmachung leer stehender oder nicht Konradsdorf, von dem schon berichtet worden ist. Es ist zugänglicher Denkmäler; denn am Ende ist es in meinen extrem baufällig – ich habe mich vor Ort davon überzeu- Augen ein besonderer Mehrwert, ein Denkmal mit Leben gen können –, sodass man es von innen gar nicht mehr be- zu erfüllen. Wir wissen, dass Investitionen in den Denk- gehen kann. In dieser Stätte fanden auch Theateraufführun- malschutz nicht nur Investitionen in die Tourismusförde- gen statt. Diese Stätte wurde für Museumspädagogik ge- rung, sondern gleichzeitig auch in die regionale Wirtschaft nutzt. Sie kann schon länger nicht mehr so genutzt werden. sind. Das wird entsprechend vor Ort in Handwerk und Ge- Ich denke auch, dass es gut ist, wenn man Kulturstätten werbe umgesetzt. wieder nutzbar macht. Genau das soll mit dem Kulturin- vestitionsprogramm geschehen. (Beifall bei der FDP) Diese vor 900 Jahren errichtete Anlage wird in den nächs- Es sind auch Investitionen in die Kulturwirtschaft, jenseits ten Jahren mit 1,5 Millionen € saniert werden. Meine Da- der Frage des Kulturstaatsgebots und der Seele eines Lan- men und Herren, ich finde, das ist gut angelegtes Geld. des – Sie erinnern sich an den Anfang meiner Ausführun- gen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5215

Ich komme zum zweiten Beispiel, dem Deutschen Elfen- Christoph Degen (SPD): beinmuseum, auch sehr prägnant. Es hat eine interessante Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! und schwierige Geschichte. Wir wissen, dieses Elfenbein- Ich will gleich zum Punkt kommen. Kulturelles Erbe ist museum ist weltweit einzigartig. Es stand auf der Roten wichtig, finden wir super. Es muss erhalten werden. Liste der bedrohten Kultureinrichtungen, wie Sie vielleicht wissen. Dieses Museum konnte von der Stadt Erbach nicht (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mehr komplett selbst finanziert werden. Es kommt jetzt, NEN und der FDP) wie gesagt, in das Schloss Erbach. Im Sommer soll es neu eröffnet werden, und ich freue mich ausdrücklich jetzt Ich glaube, damit habe ich vieles, was vorher gesagt wur- schon darauf, bei dieser Eröffnung dabei sein zu können, de, zusammengefasst. wenn ich denn eingeladen werde. Wenn man dabei noch in Bildung investiert – ich denke, Auch diese Investition wird mit 1 Million € unterstützt, al- viele Schulklassen besuchen diese vielen Orte, in die jetzt so gerettet. Der Erhalt ist natürlich wichtig für das Muse- Millionen investiert werden –, dann investieren wir auch in um selbst. Für das traditionsreiche Schnitzhandwerk ist es Köpfe. Auch das ist prima. Ob es Köpfe von Schülern sind sehr wichtig, aber auch für die Wirtschaft und den Touris- oder Hirschgeweihe im Odenwald, die SPD-Fraktion un- mus in Erbach, für den Odenwaldkreis und für ganz Hes- terstützt das ausdrücklich. sen. Frau Beer hat schon darauf hingewiesen, dass Kultur (Beifall bei der SPD – Holger Bellino (CDU): Keine nicht nur für Kultur wichtig ist, sondern dass Kultur die Schärfe!) Stärkung eines Wirtschaftsstandorts betreibt und dass Kul- tur ein Tourismusstandbein sein kann. Ich will aber etwas Wasser in den Wein gießen. Auch Wein soll ja früher in diesen Bauwerken geflossen sein. All das, was hier passiert, zeigt, dass die kulturellen Bedin- Ich sammle viele Zeitungsartikel. Herr Präsident, ich habe gungen in Hessen wichtig sind, dass sie genauso wichtig vom Ende letzten Jahres einen Artikel aus der „FAZ“. sind wie die wirtschaftlichen Bedingungen, wie die sozia- Einen kleinen Absatz daraus würde ich gerne zitieren: len Bedingungen und einen hohen Stellenwert bei Schwarz-Grün haben. Bei Ortenberg in der Wetterau verfällt eine romani- sche Kirche, nicht weit entfernt davon bröckelt die Meine Damen und Herren, historische Gebäude verschö- Ruine der Burg Münzenberg, am Römerkastell Saal- nern nicht nur das Stadtbild und erzählen von vergangenen burg verwittern Mauerreste, im Schloss Weilburg Zeiten. Um diese Kulturstätten zu bewahren, ist natürlich sind die Treppenanlagen reparaturbedürftig, und im auch eine fachgerechte Denkmalpflege notwendig. Dabei Staatspark Hanau-Wilhelmsbad nagt der Zahn der muss und wird jetzt verstärkt darauf geachtet werden, dass Zeit an Brücke, Grotte und Brunnentempel. Ganz of- die Kulturerbestätten auch barrierefrei erreichbar sind, fensichtlich wächst aufgrund leerer öffentlicher Kas- ganz im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Da sen nicht nur bei Straßen und Schulgebäuden, son- bin ich Minister Boris Rhein sehr dankbar, dass er genau dern auch bei den vom Land verwalteten Baudenk- dieses Kriterium festgelegt hat. mälern der Sanierungsstau. Meine Damen und Herren, unsere Debatte wird in ein paar Meine Damen und Herren, der Sanierungsstau ist ziemlich Jahren vielleicht überhaupt keine Rolle mehr spielen. Ich groß – von der Kaiserwohnung in Bad Homburg will ich möchte nicht despektierlich sein, bitte verstehen Sie mich gar nicht reden –, sodass sich das KIP, so schön es ist, als nicht falsch, Herr Landtagspräsident. Aber möglicherweise ein KIPchen entpuppt. interessiert das, worüber wir heute debattieren, in einigen Jahren niemanden mehr. Ich hoffe natürlich, dass es nicht (Holger Bellino (CDU): Nonsens!) so ist. – Herr Bellino, das ist kein Nonsens. Aber unser Kulturerbe, das 900 oder 500 Jahre alt ist, und (Holger Bellino (CDU): Schauen Sie sich einmal die alles, was davon zeugt, dass die Menschen früher herausra- Saalburg an und das Schloss!) gende gesellschaftliche Leistungen erbracht haben, zeigt doch, dass es einen Wert hat und dass es möglich ist, über Schauen Sie sich einmal an, wie hoch der Sanierungsbe- Generationen hinweg Dinge zu transportieren, und dass darf ist. Dazu gibt es auch eine Kleine Anfrage, die wir verpflichtet sind, darauf zu achten. Drucks. 19/3188. Ich hoffe, dass ich mit meiner Rede dazu beitragen konnte, (Fortgesetzte Zurufe des Abg. Holger Bellino dass das Kulturerbe weiter erhalten wird, und vielleicht (CDU)) auch, dass die Debatte mehr Bedeutung bekommt. – Vielen – Störe ich Sie beim Reden? Dank. (Holger Bellino (CDU): Ja!) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD) – Dann melden Sie sich bitte. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP) Präsident Norbert Kartmann: Ich finde es gut, dass wir hier offen darüber reden, dass der Sanierungsstau immens ist. Dass 10 Millionen € ein Bei- Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Das Wort hat Herr Kol- trag sind, das wollen wir gar nicht infrage stellen. Aber es lege Degen für die SPD-Fraktion. ist im Grunde nur ein Tropfen auf den heißen Stein. (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Jetzt kommen die Meine Damen und Herren, auf meine Frage in der Kleinen stimmungsvollen Beiträge!) Anfrage Drucks. 19/3188 hat man ausdrücklich vermieden, zu antworten, wie hoch er eigentlich ist, weil das am Ende 5216 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 wahrscheinlich deutlich machen würde, wie hoch die Kos- nen € in diesem Zusammenhang keine große Summe. Es ten sind, die man angeben müsste. ist bereits angesprochen worden: Es geht hier um 28 Maß- nahmen, obwohl wir hessenweit von 535 Gebäuden spre- (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Gleich erklärt der chen. Minister, wie viel er braucht! Oder weiß er es nicht? – Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD)) Eine Einordnung der jetzt zusätzlich zur Verfügung ge- stellten Mittel im Verhältnis zu dem erforderlichen Bedarf Ich meine, im Grunde ist das eine Farce. Wir wissen, dass vermag das Ministerium gar nicht vorzunehmen. Denn das KIP nicht für Kulturinvestitionsprogramm steht, sondern Ministerium hat in seiner Antwort vom 13. April 2016 auf für „Koalition investiert in PR-Programm“. Denn wenn Sie die Kleine Anfrage des Herrn Kollegen Degen zweimal es ernst meinten, würden Sie nicht 10 Millionen € nehmen, hervorgehoben, dass es sich bei den Kulturinvestitionspro- die über fünf Jahre gestreckt sind – jedes Jahr 2 Millio- grammmitteln um solche der Bauerhaltung handelt und nen € –, sondern würden den Etat für die Bauunterhaltung nicht um welche für substanzielle Maßnahmen, die für die entsprechend um 2 Millionen € aufstocken. Das wäre eine Sanierung der Gebäude notwendig wären. ernsthafte Sache. Bloß, dann könnte man keine schöne Pressemitteilung verschicken und hätte keinen Anlass, hier Die Frage des Kollegen Degen nach dem Sanierungsbedarf Debatten aufzumachen, um sich in der Öffentlichkeit als hat der Minister erst gar nicht beantwortet. Das heißt, wir die großen Kultursanierer in Hessen darzustellen. wissen gar nicht, wie wenig diese 2 Millionen € wirklich im Vergleich zu dem sind, was eigentlich gebraucht wird. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf des Das ist natürlich schade. Aber das deutet darauf hin, dass Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE)) die im Haushalt vorgesehenen Mittel nicht ausreichen wer- – Ich mag Zahlen. – Immerhin stand in der Antwort auf die den, weder für die Bauerhaltung noch für die Sanierungs- Kleine Anfrage, wir haben in Hessen 535 Gebäude an 60 maßnahmen, die notwendig sind, und schon gar nicht für Standorten. Nur damit Sie eine Größenordnung haben, wo den zukunftsorientierten Ausbau vorhandener Einrich- wir investieren: Das KIP bezieht sich auf 28 Maßnahmen tungen. an 21 Standorten. Ich habe jetzt nicht prozentual ausge- Das will ich deutlich sagen: Wir begrüßen ausdrücklich, rechnet, wie viel das ist. dass immerhin 700.000 € unter dem Stichwort Barrierefrei- Meine Damen und Herren, das KIP ist ein KIPchen, und heit für die Verbesserung des Zugangs zu den Gebäuden der Antrag ist eigentlich überflüssig. Wir finden alle kultu- aufgewendet werden sollen, damit alle Menschen Zugang relles Erbe gut und wichtig und investieren gerne dort hin- zu den kulturellen Schätzen haben. Aber auch hier sei die ein. Aber das hier so öffentlichkeitswirksam zu verkaufen Frage erlaubt: Braucht es wirklich ein Sonderinvestitions- ist überflüssig. Deswegen werden wir diese PR-Kampagne programm, um das eigentlich Selbstverständliche sicherzu- nicht unterstützen und werden uns bei diesem Antrag ent- stellen, nämlich den gleichen Zugang für alle Menschen zu halten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. öffentlichen Einrichtungen des Landes? (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Gegen 10 Millionen € mehr für Investitionen in die Kultur Präsident Norbert Kartmann: kann keiner etwas haben. Auch für uns gilt: Wir finden Hessens Schlösser, Burgen und Gärten super. Wir wollen, Das Wort hat Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE dass sie erhalten werden. LINKE. Entscheidend ist aber, dass die Zuschüsse verstetigt wer- (Zuruf des Abg. Ernst-Ewald Roth (SPD) – Weitere den, dass die Mittel dauerhaft eingestellt werden, damit Zurufe von der SPD) man keine Sonderprogramme braucht, um einen Sanie- – Meine Damen und Herren, wenn Sie sich geeinigt haben, rungsstau aufzuheben, der entstanden ist. bei wem Sie klatschen, können wir Frau Wissler zu Wort Herr Minister, etwas zu bewahren – lateinisch: conserva- kommen lassen. re –, ist eine dauerhafte Aufgabe. Das sollte man den Kon- servativen eigentlich nicht erklären müssen. – Vielen Dank. Janine Wissler (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ja, es ist erfreu- lich, dass die Landesregierung mehr Geld für die Bauerhal- tung von Schlössern, Burgen und Gärten in Hessen in den Präsident Norbert Kartmann: nächsten Jahren bereitstellt. Aber ob jährlich 2 Millionen € für die Sicherung von Mauerkronen und Mauerwerk wirk- Vielen Dank. – Herr Staatsminister Rhein, Sie haben das lich den hochtrabenden Titel Kulturinvestitionsprogramm Wort. rechtfertigen, dahinter würde ich, ähnlich wie mein Vor- redner, ein Fragezeichen setzen, ob das nicht vielleicht ei- Boris Rhein, Minister für Wissenschaft und Kunst: ne Nummer zu groß ist. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der LINKEN und der SPD – Günter Ru- Mit Blick auf die Zeit will ich auf weitere Zitate Ho Chi dolph (SPD): Der Minister macht aus weniger Minhs verzichten. mehr!) (Zurufe: Oh! – Janine Wissler (DIE LINKE): Es gab Selbst die frühere schwarz-gelbe Landesregierung – die Ärger in der Fraktion!) Kollegin Beer hat es angesprochen – war vor nicht allzu langer Zeit in der Lage, für Kulturinvestitionen 33 Millio- Ich weiß, dass das heute der letzte Tagesordnungspunkt ist nen € jährlich bereitzustellen. Von daher sind die 2 Millio- und ich wahrscheinlich der letzte Redner sein werde. Ich Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 5217 darf das deswegen vielleicht auf das nächste Mal vertagen. der heute hier anwesend ist und dem ich stellvertretend für Sei es darum. sein Team, also für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ein ganz herzliches Dankeschön für die großartige Arbeit, Ich will gleich noch einmal auf die 10 Millionen € zu spre- die dort geleistet wird, sagen möchte. chen kommen. Wie insbesondere Herr Degen, aber auch Frau Wissler über 10 Millionen € reden, erstaunt mich (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- schon. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Land Hessen hat wirklich ein reiches kulturelles, aber Eines will ich noch einmal sehr deutlich hervorheben: Lie- auch ein reiches historisches Erbe. Darauf sind wir sehr ber Herr Degen, verehrte Frau Wissler, es zeigt sich, dass stolz. Das konnte man allen Redebeiträgen deutlich ent- bis zu 18 Jahre Opposition Ihnen wirklich den Anschluss nehmen. an die Realität geraubt haben. Wer sind Sie denn, wer sind wir denn, dass man sich über 10 Millionen € lustig machen Aber natürlich verpflichtet ein solches historisches und kann? Sie haben überhaupt keine Ahnung mehr, was 10 kulturelles Erbe auch. Deswegen hat die Landesregierung Millionen € bedeuten und was 10 Millionen € wert sind. Verantwortung übernommen und hat im vergangenen Jahr Das hat sich in den bis zu 18 Jahren der Opposition so ent- dieses heute diskutierte Kulturinvestitionsprogramm mit wickelt. einem Gesamtvolumen von 10 Millionen € gestartet. Es geht nicht nur um die Erhaltung. Vielmehr kümmern wir Ich frage Sie: Wo ist denn der Änderungsantrag der SPD- uns neben dem Erhalt der Substanz auch um die Themen Fraktion in den vergangenen Jahren zum Kulturinvestiti- Verkehrssicherheit, Präsentation, Besucherservice, Pflege onsprogramm oder zu dem, was wir für den Mandanten der Grünanlagen, aber auch der historischen Parkanlagen. „Historisches Erbe“ machen, gewesen? Herr Degen, haben Sie den geschrieben? Ich habe ihn bisher nicht lesen kön- Ich bin Frau Feldmayer sehr dankbar, dass sie explizit dar- nen. Deshalb seien Sie doch ein wenig zurückhaltend, auf hingewiesen hat: Natürlich legen wir dabei auch Wert wenn es um die Bewertung und Beurteilung von 10 Millio- auf die Verbesserung der Barrierefreiheit. Ich will da zwei nen € plus mehr geht. besonders gut geeignete Beispiele herausgreifen. Das ist das Schloss in Bad Homburg. Es ist das Kloster Seligen- (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des stadt. Sie sind wirklich schöne Beispiele dafür. Denn im BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neu verlegten Pflasterbelag haben wir abgeflachte Geh- Ich will das einmal in eine Relation setzen. Denn dieses streifen installiert, damit alle Besucher unsere Denkmäler Geld – – gut erreichen und erkunden können. (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Was für ein Es ist eben nicht nur die Aufgabe der Verbesserung der Schauspieler!) Barrierefreiheit, die wir haben. Natürlich gehört dazu auch der entsprechende Empfang der Besucherinnen und Besu- – Herr Schäfer-Gümbel, ausgerechnet von Ihnen verbitte cher. Hier ist ein gutes Beispiel, von dem ich mich vor we- ich mir die Titulierung „Schauspieler“. nigen Tagen vor Ort überzeugen konnte, Kassel-Calden. Dort sind es die Wachhäuser des wunderbaren Rokoko- (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ehrlich?) Schlosses Wilhelmstal, die wir zu einem Besucherzentrum Ein Polit-Schauspieler vor dem Herrn wie Sie sagt das zu umbauen. mir. Ich finde, das ist nun wirklich ein fantastisches Ereig- (Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE)) nis. – Frau Wissler, ich wusste, dass das Wort „Kassel-Calden“ (Beifall bei Abgeordneten der CDU) bei Ihnen einen pawlowschen Reflex auslöst. Wir beide wollen doch vermeiden, dass es um 17:26 Uhr (Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE)) noch zu einer Sitzung des Ältestenrates kommt. Sei es dar- um. – Das ist mir schon klar. – Wir können sie damit wieder ih- rer ursprünglichen Bestimmung zuführen, nämlich als Ich will doch noch einmal eines hervorheben. Dieses Geld, Empfangsgebäude. von dem wir hier sprechen – – Das Kulturinvestitionsprogramm läuft bis zum Jahr 2019. (Unruhe) Insgesamt planen wir derzeit 28 Baumaßnahmen an 21 Kulturdenkmälern. Wie Frau Lannert dargestellt hat, er- Präsident Norbert Kartmann: streckt sich das von Erbach im Odenwald bis nach Nord- hessen – ich nannte eben Calden – und von Rüdesheim im Meine Damen und Herren! Westen bis nach Bad-Hersfeld. Das zeigt, dass jeder Land- kreis, dass wirklich jede Region und dass ganz Hessen von diesem Programm profitiert. Boris Rhein, Minister für Wissenschaft und Kunst: Daneben spielen auch Themen wie Verkehrssicherung und Das Geld, von dem wir hier sprechen, ist doch welches, gärtnerische Gestaltung, natürlich aber auch unsere fantas- das wir auf die regulären Bauunterhaltungsraten bei dem tischen und zahlreichen Burgruinen eine große Rolle. Ich Mandanten „Historisches Erbe“ in Hessen obendrauf le- nenne die Ruine Münzenberg in der Wetterau. Ich nenne gen. Es gibt rund 6 Millionen € für die regulären Bauunter- die Ruine in Oberreifenberg. Ich nenne den Katharinen- haltungsmaßnahmen. 2 Millionen € kommen pro Jahr turm in Bad Hersfeld. obendrauf. Entschuldigung, ich finde nicht, dass man sich bei dieser Relation über die Erhöhung des Ansatzes bekla- Die Ruine Münzenberg habe ich erst vor wenigen Tagen gen kann. gemeinsam mit dem Direktor der Verwaltung der Staatli- chen Schlösser und Gärten Hessen, Herrn Weber, besucht, Eines ist mir ganz wichtig. Frau Beer hat darauf hingewie- sen. Dieses Kulturinvestitionsprogramm bietet uns wirk- 5218 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 74. Sitzung · 19. Mai 2016 lich die gute Gelegenheit, heute noch leer stehende denk- Präsident Norbert Kartmann: malgeschützte Gebäude wieder einer öffentlichen Nutzung Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wort- zuzuführen. Ich sehe das genauso wie Sie. Solche Denk- meldungen vor. mäler leben natürlich davon, dass Menschen drinnen sind, die sie besichtigen können. Wir können damit den Be- Ich gehe davon aus, dass wir über den Entschließungsan- kanntheitsgrad unserer Schätze erhöhen. trag abstimmen. – Das ist der Fall. Wer dem Entschlie- ßungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS Das Beispiel Kloster Konradsdorf wurde genannt. Ich habe 90/DIE GRÜNEN zustimmen kann, den bitte ich um das mir die Ruinen, die eine wirklich wertvolle romanische Handzeichen. – Das sind die CDU, BÜNDNIS 90/DIE Bausubstanz aufweisen, vor ungefähr einem Jahr ange- GRÜNEN und die FDP. Wer ist dagegen? – Wer enthält schaut. Ich habe in der Diskussion mit den Leuten vor Ort sich der Stimme? – Die SPD und DIE LINKE enthalten gesehen, die zahlreich da waren – mein Kollege Klaus sich. Damit ist dieser Antrag angenommen. Diez war auch dabei –, wie sehr sich die Menschen in der Region für ihre Kunstschätze engagieren. Genau das wer- (Gerhard Merz (SPD): Er redet hier schon von den wir mit dem Kulturinvestitionsprogramm weiterhin Abendessen!) möglich machen. – Herr Kollege Merz, wir sind doch gleich fertig. Ich nenne das Schloss Steinau. Herr Degen, ich weiß nicht, ob das Ihr Wahlkreis ist. Ich weiß aber, dass es der Wahl- Wir haben Konsens, Punkt 18 an das nächste Plenum zu kreis meines geschätzten Kollegen Michael Reul ist, der überweisen. Ich gehe davon aus, dass auch alle übrigen mich begleitet hat. Auch das ist ein gutes Beispiel für das, Punkte – ich lese sie gleich vor – in das nächste Plenum was wir gemacht haben. Denn auch dort haben wir es mit gehen. Das sind die Punkte 19, 20, 21, 23, 24, 26, 27, 28, dem Kulturinvestitionsprogramm durch die Herrichtung 29, 30, 31, 32, 33, 34, 36, 38, 40, 47, 48 und 62. der Räume, aber auch durch die Neugestaltung der Aus- (Wortmeldung des Abg. Günter Rudolph (SPD)) stellung erst möglich gemacht, dass dieses Denkmal wie- der erlebt werden kann. – Herr Kollege Rudolph? Insoweit kann man, wenn man einen Schlussstrich ziehen (Günter Rudolph (SPD): Ich habe der Landtagsver- will, sagen: Dieses Kulturinvestitionsprogramm ist ein ech- waltung mitgeteilt, dass wir bestimmte Anträge in ter Segen für die kulturellen Schätze in unserem Land. die Ausschüsse geben! Es tut mir leid, dass die Diejenigen, die sich über 10 Millionen € lustig machen, Kommunikation nicht klappt! Die Punkte 23 und 36 werden sich noch einmal daran erinnern, wenn sie selbst in sollten in die Ausschüsse!) die Verantwortung kommen und irgendetwas auf die Beine Ich stelle fest, dass Tagesordnungspunkt 23 zur abschlie- stellen müssen. ßenden Beratung dem Rechtspolitischen Ausschuss über- (Minister Stefan Grüttner: Nein! – Weitere Zurufe: wiesen wird. Nein!) Tagesordnungspunkt 36 soll an den Ausschuss für Um- Sie hätten wenigstens einen Änderungsantrag zum Haus- welt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz haltsentwurf stellen können. Aber ich glaube, Sie werden zur abschließenden Beratung überwiesen werden. hier nie in Verantwortung kommen. Ist das so in Ordnung? – Alles andere geht in das nächste Plenum. Präsident Norbert Kartmann: Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir freuen uns al- le, dass Wehen und Darmstadt in der Klasse geblieben Herr Minister, die für die Fraktionen vorgesehene Redezeit sind. Wir bedauern, dass Bornheim abgestiegen ist. Aber ist zu Ende. ich bitte Sie alle, der Eintracht die Daumen zu drücken. (Zuruf von der SPD: Bornheim?) Boris Rhein, Minister für Wissenschaft und Kunst: – Der FSV Frankfurt aus der 2. Liga. Herr Präsident, ich will zu meinen letzten Sätzen kommen. Wir sehen uns alle in der nächsten Woche auf dem Hessen- – Dieses neue Kulturinvestitionsprogramm sichert mit 10 tag wieder. Ich bitte Sie alle, zu kommen. – Bis dann, Millionen €, dass wir unser kulturelles Erbe für die nach- Tschüs. folgenden Generationen erhalten können. Insofern sage ich hier auch das, was ich gerne und überall sage: Besuchen (Schluss: 17:32 Uhr) Sie unsere Kulturdenkmäler. Herr Degen, reden Sie nicht nur darüber, sondern besuchen Sie sie. Schauen Sie sie ein- mal an. Es hat sich heute bei dieser Debatte gezeigt, dass Ihnen das guttun würde. Denn es lohnt sich in der Tat. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)