Ouargla heute

Karl Suter

Ouargla ist seit 1957 Hauptort des «Departement laufenden Hauptstraßen. Die «leeren» Zwischen¬ des Oasis», des östlichen Abschnittes der algeri¬ räume im Straßennetz wurden mit der Zeit durch schen , dem die folgenden neun Provinzen Bauten verschiedener Art ausgefüllt, so mit Villen, angehören: Ouargla, , , Lag- Verwaltungsgebäuden, Schulen,Kauf laden, der Post, houat, , El Golea, , der Kirche, dem Spital und dem saharischen Mu¬ und Djanet1. Schon in früheren Jahrhunderten kam seum; doch blieben größere Plätze von Überbau¬ ihm eine größere Bedeutung zu, war es doch eines ung frei. Diese werden zum Teil von Mauerwerk in der wichtigsten Zentren des saharischen Karawa¬ pseudosudanesischem Stil, das heißt mit aufgesetz¬ nenverkehrs. Dieses alte Ouargla ist noch erhalten, ten kleinen Pyramiden und Kegeln, umschlossen. und zwar im Ksar, das heißt der befestigten, mau¬ Diese neue Stadt mit dem Grün ihrer Gärten und erumschlossenen Siedlung mit ihrem Labyrinth der Weite ihrer Anlage bildet das ausgesprochene enger, winkliger Gassen, darunter auch vieler Gegenstück zum Ksar. Trotz den starken Verände¬ Sack- und Tunnelgassen, und ihrer Schar niedri¬ rungen des Siedlungsbildes blieb aber Ouargla im¬ ger, aus gipshaltigem Gestein oder luftgetrockne¬ mer noch eine stille, ja verschlafene, doch äußerst ten Lehmziegeln (Tub) bestehender Hofhäuser. Den reizvolle Oase. Mittelpunkt des Ksar bildet der große viereckige Bis 1956. Von diesem Zeitpunkt an verwandelte es Marktplatz mit den beiden an ihn grenzenden Mo¬ sich in ein wahres Heerlager. Den Hauptanstoß da¬ scheen: der Lalla Malkia und der Lalla Azza. Die zu gab die Suche nach Erdöl im nur 90 km entfern¬ erstere ist neu; sie wurde 1965 anstelle einer alten ten Gebiet von . Ouargla stellte für errichtet. Der Ksar stellt immer noch den originell¬ diese Exploration die Arbeiterkontingente. Es wur¬ sten Teil von Ouargla dar. de Rekrutierungsort, darüber hinaus aber Wohn¬ Im Zuge der französischen Eroberung der algeri¬ platz für die zugezogenen Ingenieure, Techniker schen Sahara fiel auch Ouargla. Es mußte sich und Büroangestellten sowie Durchgangs- und End¬ 1853, nachdem bereits (1845), station des stark einsetzenden Fracht- und Perso¬ (1852), Ghardaia (1852) und Touggourt (1853) ein¬ nenwagenverkehrs. Dazu kam das Seßhaftwerden genommen worden waren, ergeben. Es wurde nun zahlreicher Nomaden. Auch ließen sich im Zusam¬ seiner zentralen Lage wegen ein wichtiger Militär¬ menhang mit der Gründung neuer Schulen und der platz. Drei festungsartige Kasernen entstanden, Ernennung von Ouargla zum Hauptort eines De¬ nämlich Bordj Lutaud, Bordj Chandez und Bordj partementes weitere Lehrer und Verwaltungsbe¬ du Genie, alle im Süden des Ksar in freier amte nieder. Überdies wurde tobte doch in jenen Landschaft gelegen. Diese Stelle erschien günstig, Jahren der algerisch-französische Krieg der weil sie ein Höchstmaß an Übersicht und an Schutz Mannschaftsbestand der Garnison sehr stark erhöht. vor möglichen Überraschungsangriffen aus irgend¬ All die vielen Veränderungen brachten sowohl der welcher Richtung bot. Zwischen dem Bordj Lutaud europäischen als auch der einheimischen Bevölke¬ und dem Ksar entwickelte sich nach und nach, be¬ rung, im besondern den Händlern, Handwerkern, sonders aber seit 1927 ¦ dem Jahre, da Colonel Gastwirten, vermehrte Verdienstmöglichkeiten. Ei¬ Carbillet2 das Kommando dieser Militärregion ne rege Bautätigkeit setzte ein, auch bei den Ein¬ übernahm eine neue, hauptsächlich von Euro¬ heimischen, von denen sich viele dank größerer päern bewohnte «Stadt». Vorher galt es aber, das Einnahmen den Bau neuer Häuser leisten konnten. Gelände herzurichten, im besonderen Dünen zu Überhaupt ist zu sagen, daß sich der sehr niedrige entfernen. Das war mit den primitiven Mitteln, die Lebensstandard der einheimischen Bevölkerung dazu zur Verfügung standen Schaufel und Korb merklich hob; der Verbrauch an Lebensmitteln eine Arbeit sondergleichen. Doch sie gelang. stieg und ebenso die Anzahl ihrer Neuanschaffun¬ Hunderte, von Einheimischen legten Hand an, und gen (Radio, Fahrräder, Motorräder usw.). So war zwar gegen bloß eine geringe Entschädigung (Tee, aus dem stillen Ouargla im Handkehrum eine Sied¬ Datteln). Auf diesem eingeebneten Gelände wuchs lung rastloser Betriebsamkeit geworden. Als Alge¬ dann allmählich die neue «Stadt» empor. Sie er¬ rien aber 1962 seine Unabhängigkeit erlangt hatte, hielt einen schachbrettartigen Grundriß mit drei erfolgte wegen des Auszugs vieler Franzosen auf parallel zueinander von Norden nach Süden ver¬ allen Sektoren ein harter Rückschlag. Ouargla

63 macht heute den Eindruck von etwas Unfertigem, In-den-Anfängen-Steckengebliebenem. Aus dem OUARGLA kleinen Ksar von anno dazumal ist eine für saha¬ ^"->^^ Said Otba rische Verhältnisse große Siedlungsagglomeration ~~ n. Ghardaia s. geworden. Diese besteht aus den folgenden fünf Teilsiedlungen: dem Ksar, der neuen Stadt, auch

«Centre» geheißen, und den Niederlassungen der i / Nomadenstämme der Beni Thour, Mekhadma und Said Otba. Dieses Ouargla zählt gegenwärtig unge¬ Ksar fähr 30 000 Einwohner, im Jahre 1975 dürften es ^B nach Schätzungen von sehen der Behörden 40 000 Centre/ bis 50 000 sein. Mekhadma / ¦ 1 \ _n.Touggoun Ksar. Der alte Ksar ist im Umbruch begriffen. 2 9^"^ Viele gewordene Häuser wurden abgeris¬ baufällig ^>*^ Beni Thour sen und durch geräumigere, solidere ersetzt. Ande¬ n. El Golea. ren wartet das gleiche Schicksal. Eine Erneuerung -**^ _ ßorcJj Chandez 2 Lutaud drängt sich auf, schon deshalb, weil die heranwach¬ - Bordj senden Söhne und Töchter in den lichtarmen, nie- dern Häusern nicht mehr wohnen wollen. Nicht Abb. 1 Ouargla mit seinen Quartieren wenige junge Ehepaare zogen es bereits vor, sich in einem Neubau außerhalb des Ksar niederzulas¬ sen. Sie hatten es satt, in diesem Ameisenhaufen zu leben. Die Bevölkerungsdichte ist nämlich groß, kaufsladen oder zu einer Garage umzubauen. Die sie beträgt 350 Menschen pro Hektare. Das ist viel Versuchung lag nahe, auch auf der Gegenseite der zuviel für eine Siedlung, die aus lauter ein- und Ringstraße Garagen und Läden zu erstellen. Das zweigeschossigen Wohnhäusern besteht. Es ist be¬ wurde indessen wegen Beeinträchtigung des Palm¬ absichtigt, die Dichte um fast die Hälfte auf etwa waldes verboten. Nur den Bau öffentlicher, der Be¬ 200 Menschen zu reduzieren und einen größeren völkerung des ganzen Ksar dienender Bauten ließ Teil der Bevölkerung auszusiedeln. Auch sollen ge¬ man zu, wie die Primarschule oder die Ecole Pro- wisse Gassen erweitert und dem Motorfahrzeugver¬ fessionnelle der katholischen Mission der Weißen kehr erschlossen werden. Leider! Väter. Der Ksar wird von Berbern und den Nachkommen ihrer ehemaligen schwarzen Sklaven bewohnt. Die¬ «Cen/re». Vom heftigen Baufieber wurde in den se Bevölkerung gliedert sich in drei Sippen: in die letzten Jahren das «Centre» ergriffen. Viele Wohn¬ Beni Brahim, die Beni Sissin und die Beni Ouag- häuser, sowohl für Europäer als auch für Einhei¬ guine. Jede Sippe wohnt das ist eine bei den mische, wuchsen empor. Dabei kam durchwegs, Berbern durchwegs verbreitete Siedlungsweise wie auch bei den Neubauten im Ksar, modernes in einem Quartier für sich. Um dieses alte, bewähr¬ Baumaterial zur Verwendung, und zwar für die te Wohnprinzip scheren sich aber die Jungen, wenn Mauern Kunststeine und Eisenbeton, für die Dek- sie aussiedeln, nicht im geringsten. Sie wohnen ken und Hausterrassen Eisenbalken und Zement. dort, wo sie eine billige, schöne Wohnung oder ein Auch wurden bei den Mohammedanern keine billiges Stück Boden für den Bau eines Hauses fin¬ Selbstverständlichkeit anstelle von Luken rich¬ den. Sie betrachten sich nicht mehr in erster Linie tige Fenster eingebaut, von denen ein Teil sogar als Angehörige einer bestimmten Sippe, sondern als gegen die Gasse schaut. Im «Centre» entstand eine Algerier. Ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl Reihe neuer Quartiere, darunter, um wenigstens ein ist erwacht; neue gesellschaftliche Gruppierungen Beispiel zu nennen, die ungefähr 500 m östlich der und Bindungen sind im Entstehen begriffen. Kirche gelegene Cite Selis. Da erheben sich seit Möge der Ksar durch den Umbruchprozeß sein so 1959 mehrere hintereinander gestaffelte vierge¬ typisches Aussehen nicht ganz verlieren! Bereits ist schossige Wohnblöcke lauter Bauten, wie wir er nämlich um sein charakteristischstes Merkmal ge¬ ihnen in den Städten Europas begegnen. Nur mu߬ bracht worden: die Ringmauer. Sie wurde nieder¬ ten, der Eigenart des Klimas Rechnung tragend, gerissen; die äußerste Häuserfront grenzt nun ans gewisse bauliche Vorschriften befolgt werden. So «Leere», das heißt an die den Ksar umziehende, gut gab man zum Beispiel den Bauten eine bestimmte einen Kilometer lange Ringstraße, beziehungsweise Orientierung, und zwar von Osten nach Westen; die den Palmgarten. Diese Wohnhäuser waren mit ei¬ Hauptfassaden schauen also entweder nach Süden nemmal leicht zugänglich. Diese Tatsache bewog oder nach Norden. Die Südfassaden sind inBalkone viele ihrer Besitzer, das Erdgeschoß zu einem Ver- und Loggien unterteilt. Diese Bauelemente sind so

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Abb. 2 Ouargla. Teilansicht des Quartiers Selis mit den neuen viergeschossigen Wohnhäusern

angeordnet, daß die im Winter schräg auffallenden Andere Oasen, wie Touggourt und El Oued, stehen Sonnenstrahlen die anschließenden Hausräume zu nicht zurück, wofür zum Beispiel ihre prachtvollen erreichen und erwärmen vermögen, nicht aber im Spitalbauten beredtes Zeugnis ablegen. Die meisten Sommer. Auch wurden vor den Südfassaden Grün¬ Siedlungen, selbst kleine wie Behima im Souf, kön¬ flächen angelegt, die die Aufgabe haben, einen nen sich rühmen, moderne Schulhäuser zu besitzen. Teil des aufprallenden Sonnenlichts zu absorbie¬ Außenquartiere. Der Nomadismus ist aus ver¬ ren. Solch moderne, zur überlieferten Bauweise im schiedenen Gründen (schlechte Weidejahre, Zusam¬ Widerspruch stehende Bauten erheben sich auch menbruch des Karawanenverkehrs, Arbeitsgelegen¬ bereits in andern Oasen, wie Touggourt, Bechar:j, heiten im Bergbau, Straßenbau usw.) seit Jahren im Biskra. Steht man vor ihnen, hat man sich einer Niedergang begriffen. Immer mehr Nomaden wur¬ leichten Melancholie zu erwehren und ebenso, den seßhaft, in Ouargla zum Beispiel die Mekhad¬ wenn man ihre Wohnungen betritt. Anstelle orts¬ ma. Dieses Seßhaftwerden geht gewöhnlich, wie ge¬ eigener handwerklicher Erzeugnisse fast lauter rade dieser Stamm zeigt, in bestimmten Stadien vor europäische Fabrikware. Dies auch schon in den sich: Zuerst wird das Zelt für mehrere Monate in Wohnungen vieler Einheimischer. Statt zum Bei¬ der Nähe des Palmgartens, in welchem der Noma¬ spiel Geschirr aus Ton oder Lehm sieht man de Palmen besitzt, aufgeschlagen, später eine Um¬ nun solches aus Aluminium, Email und Plastikstof¬ zäunung darum herum errichtet und noch später in fen. Auch wird sogar unter den Zelten nicht diese hinein ein kleines Haus mit einem einzigen mehr auf Holz- oder Kohlenfeuer gekocht, sondern Raum gebaut, dem mit der Zeit, wenn es die Geld¬ auf Gasherden; das Butangas kommt aus Algier. mittel erlauben, weitere Räume angefügt werden. Das Radio ist fast durchwegs vorhanden und ge¬ Das Zelt verschwindet schließlich. Auf diese Weise legentlich sogar Kühlschrank für den Sommer und ist allmählich das Quartier der Mekhadma empor¬ Gasofen als Winterheizung. All diese Gegenstände gewachsen. Die miteinander verwandten Familien kann man an Ort und Stelle kaufen. ließen sich eine auch bei den Arabern verbrei¬ Das «Centre» wurde auch durch weitere öffentli¬ tete Sitte nahe beieinander nieder; es entstanden che Bauten bereichert, so durch ein hochmodernes so im Westen und Südwesten des Ksar nach Sippen Gemeindehaus, eine bestens eingerichtete Augen¬ formiert kleine und große Weiler. Diese liegen ein klinik (1961), die sich seit ihrem Bestehen eines bis zwei Kilometer vom Ksar entfernt in einem großen Zuspruchs aus nah und fern erfreut, und von Dünen und kleinen Palmgärten durchsetzten andere. Wie hoch man im Städtebau hinaus will, Gebiet. Das Quartier der Mekhadma erscheint zeigt wohl am besten das 1964 fertig erstellte Sta¬ weiträumig und ungeplant im Gegensatz zu jenem dion. Manch europäische Kleinstadt hätte allen der Beni Thour, das durch seine Geschlossenheit Grund, Ouargla darum zu beneiden. auffällt. Das Quartier der Beni Thour, das sich in

65 kurzer Zeit gebildet hat, schließt im Süden direkt früher ausschließliche Angelegenheit der Eltern, an das «Centre» an. Im Norden des Ksar, von die¬ besonders des Vaters ein Mitspracherecht; ja sem durch den Palmwald getrennt, haben sich die sie schlagen dem Vater oft schon das Mädchen, Said Otba Häuser gebaut: hier ist eine Streusied¬ das sie zu ehelichen wünschen, vor. Liebesheiraten lung entstanden. werden immer häufiger. Diese erfreuliche Tatsache Auch andere Oasen der algerischen Sahara hat die ist mit ein Grund, daß die Mehrehen zugunsten der Bauwut gepackt, so Biskra, Bechar, Touggourt, El Einehen immer stärker zurücktreten. Größeres Ver¬ Oued. In Biskra vor allem, wo sich immer mehr antwortungsbewußtsein der Familie gegenüber, Leute aus den Bergdörfern des nahen Aures-Gebir- Überlegungen wirtschaftlicher Natur, Veränderun¬ ges ansiedeln, schössen größere neue Quartiere em¬ gen in der Lebenseinstellung und auch gewisse so¬ por, namentlich im Südwesten der «Ville moder¬ zialpolitische Maßnahmen wie die, daß bei Aus¬ ne». Ein ebenso imponierendes Wachstum hat El richtung von Unterstützungen nur eine einzige Oued, der Hauptort des Souf, des berühmten Dü¬ Frau der Familie mitberücksichtigt wird, tragen das nengebietes des Großen Östlichen Erg, zu ver¬ Ihre dazu bei. Je länger desto mehr wird auch die zeichnen. Es verdankt dieses in erster Linie dem Großfamilie durch die Kleinfamilie nach europäi¬ Seßhaftwerden der Nomaden, sodann noch der schem Vorbild abgelöst. Dieser Vorgang steht im Rückwanderung vieler Souafa, die während des al¬ Zusammenhang mit dem Wunsche der jungen Ehe¬ gerisch-französischen Krieges nach Tunesien ge¬ paare nach Unabhängigkeit und Selbständigkeit; flüchtet waren. Die Zahl der Rückwanderer wird das Autoritätsprinzip der patriarchalischen Familie von der Behörde auf 26 000 geschätzt. In unmittel¬ wird nicht mehr unbedingt anerkannt. barer Nähe von El Oued, inmitten großer Dünen Auf die Fortschritte, die sich in hygienischer Hin¬ und zahlreicher, zwischen diese eingesenkter Palm¬ sicht etwa in der Ausstattung der neuen Wohn¬ schüsseln, ist eine ganze Anzahl von Weilern häuser mit Fenstern, WC, Duschen und fließendem (, Nezlet) entstanden. Der Weiler war hier, Wasser vollzogen haben, wurde schon hinge¬ wo es an ebenem Platz fehlt, der gegebene Sied¬ wiesen. Auch in der Ernährung sind Fortschritte lungstyp. zu verzeichnen. Die Bevölkerung lebt heute nicht mehr ausschließlich von Datteln, Brot und Kuskus, Bevölkerung. Auch in bezug auf die sozialen sie konsumiert auch Lebensmittel, die eingeführt Strukturen zeichnen sich in Ouargla tiefgreifende und in den Läden verkauft werden, wie Teigwaren, Veränderungen ab. So haben zum Beispiel die jun¬ Gemüse- und Fruchtkonserven, Konfitüren und gen Leute jahrhundertealte Rangordnungen, die anderes. Um alle diese Dinge zu erstehen, braucht das Leben im Ksar beherrschten, über den Haufen es aber Geld. Daß manch eine Familie heute über geworfen. Die Rassen- und Kastenunterschiede Geldbeträge, wie bescheiden diese auch immer halten sie für überholt. In ihren Augen ist es heute noch sein mögen, verfügt, ist unter anderem dem eine Selbstverständlichkeit, daß Weißer (Araber, Umstände zuzuschreiben, daß die Naturalwirtschaft Berber) und Schwarzer, Vornehmer und Knecht, allmählich von der Geldwirtschaft abgelöst wurde. nebeneinander arbeiten oder miteinander ausgehen Geleistete Arbeit wird heute kaum mehr in Natu¬ und im Cafe beisammensitzen. Doch sind Heiraten ralien (Datteln, Korn), sondern in klingender Mün¬ zwischen Weißen und Schwarzen immer noch ver¬ ze entschädigt. Die Ernährung ist also gegenüber pönt. Die veränderte Geisteshaltung zeigt sich über¬ früher abwechslungsreicher geworden. dies darin, daß die Jungen, wie bereits erwähnt, Einen Anhaltspunkt über die Anzahl der Einwoh¬ außerhalb des Ksar nicht mehr nach Sippenzuge¬ ner geben die Statistiken der Prohuza4. Darnach hörigkeit wohnen. Auch die Trennung nach Ge¬ lebten 1960 im Ortskern (Ksar und Centre) 11 279 schlechtern halten sie nicht mehr für zeitgemäß. So und in seiner Umgebung 19 989 Menschen, näm¬ kommt es heute schon gelegentlich vor, daß sich lich 12 520 Chaamba Beni Thour und 7469 Said junge, miteinander befreundete Ehepaare gegen¬ Otba und Mekhadma; das macht für Ouargla eine seitig besuchen oder gemeinsam in die Ferien rei¬ Gesamtbevölkerung von 31 268. sen, ja am Meer gar miteinander baden. Die Frau emanzipiert sich. Sie hat auch im Augenblick, da Wasser. Für die stark zunehmende Bevölkerung Algerien seine Unabhängigkeit erlangte, das Stimm¬ mußten neue Wasserreserven erschlossen werden. recht erhalten. Viele Töchter Evas kommen in Der alte Brunnen, der die in die Sande des Miozäns Ouargla wer hätte das vor wenigen Jahren auch eingebettete, in 35 bis 70 Metern Tiefe gelegene nur gedacht! unverschleiert und nach europäi- Grundwasserschicht ausnutzt, vermochte den wach¬ ischer Art gekleidet daher. Und was die jungen senden Wasserbedarf nicht mehr zu decken. Auch Männer anbetrifft, ahmen sie die Europäer in Klei¬ hatte er seinen artesischen Charakter verloren; das dung, Gehaben und Umgangsformen stramm nach. Wasser muß also heute heraufgepumpt werden. Im Noch mehr. Sie verlangen, haben sie das heirats¬ Jahre 1956 sah sich die Verwaltung gezwungen, fähige Alter erreicht, bei der Wahl der Braut eine weitere Bohrung in die Wege zu leiten. Als 66 der wenige Kilometer außerhalb der Siedlung die Straße nach Ouargla (191 km) abzweigt, nach Sü¬ den fort bis El Golea (270 km). Es ist vorgesehen,

Alger Constanti sie mit der Zeit nach In Salah und Tamanrasset und nach dem Saida elfa (Hoggar-Gebirge) vielleicht sogar Toze Sudan Lagh zu verlängern. Mccheria Oued Ouargla ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. AinV 4 Sefra Me Touggou« Ghardai H Messaoud Von ihm aus geht außer der bereits erwähnten ua^gl Büchar 6-Tß Uc^ Straße nach Ghardaia eine Straße nach Hassi Mes¬ Abadia GxoW Golea et« i saoud (90 km) mit Fortsetzung nach an \Timimoun,--*' o^x FounrS, Gf° der libyschen Grenze (800 km) und eine weitere cl Kheneg j'Adrar nach Touggourt (161 km). Diese Siedlung ist ihrer¬ Edjeleh seits durch geteerte Straßen über Biskra (233 km) V-' Reggane mit Ostalgerien und über El Oued (95 km) mit Südtunesien, im besondern mit den Oasen Nefta Djanet und Tozeur, verbunden. Die Strecke Touggourt

'¦«Tamanrassei El Oued war bis vor kurzem nur für Kamelkara¬ wanen begehbar. Daß es gelang, selbst hier eine asphaltierte Straße anzulegen, macht dem franzö¬ sischen Straßenbau alle Ehre. Diese Straße sucht ; selbstverständlich die Dünen nach Möglichkeit zu meiden. Sie zieht in den sandfreieren Niederungen, Abb. 3 Straßenkarte, hergestellt nach der Karte Mulden und Korridoren dahin, aber, wo «Infrastructure Routiere» des Organisme tech- überquert es nicht anders die Dünen. Durch diese Stra¬ nique de mise en valeur des richesses du sous-sol geht, saharien. M 1:4 000 000, 1964 ßen ist das Reisen ungemein erleichtert worden. Das allem die alten Pistenfahrer zu Kräftig ausgezogene Linien geteerte Straßen vermögen vor (Stand Ende 1964) ermessen, die Tausende von Kilometern am Tag und Gestrichelte Linien Pisten bei Nacht auf ausgefahrenen, von Schlaglöchern durchsetzten und von Sand bedeckten Pisten zu¬ rückgelegt haben. Das Reisen war gewiß oft eine Qual, doch spannungsgeladen und abwechslungs¬ Bohrstelle wurde der höchste, beim Bordj Chan¬ reich, mit einem Schuß Romantik. Das Vordrin¬ dez gelegene Punkt der Siedlung gewählt. Diese gen des Asphalts hat die Wüste entzaubert. Bohrung ging bis in eine Tiefe von 1450 m, das heißt in das grundwasserführende Alb (Untere Die Straßen des Souf sind aber vom Sande be¬ Kreide). Sie bedeutete einen vollen Erfolg, liefert droht. Immer wieder weht der Wind, einmal da, sie doch seither 15 000 Liter in der Minute (Was¬ einmal dort, Sand auf sie. Dieser Sand muß natür¬ serdruck an der Erdoberfläche 25 Atmosphären). lich beseitigt werden; ständig sind deshalb Straßen¬ Da das Wasser aber 50° warm ist, muß es für den wärter unterwegs. Um die Versandung zu verhin¬ Hausgebrauch und für die Bewässerung des Gar¬ dern, wurden schon verschiedene Verfahren aus¬ tens abgekühlt werden. Während der kalten Win¬ probiert; doch keinem war ein durchschlagender termonate wird es zu Heizzwecken vielen Häusern Erfolg beschieden. Eines dieser Verfahren besteht zugeleitet. darin, eiserne oder hölzerne Schutzwände unweit Straßen. Ouargla kann heute von Algier aus auf der Straße als Sandfänger aufzustellen; um diese geteerter Straße, der Route Nationale No 1, über herum kommt es mit der Zeit zur Bildung kleine¬ , Laghouat und Ghardaia in kurzer Zeit er¬ rer Dünen. Auch wurde versucht, die in der Nähe reicht werden (811 km). Fahrgeschwindigkeiten von der Straße gelegenen Dünen zu fixieren, sei es 80100 km gelten als durchaus zulässig und nor¬ durch Bedecken mit grobem Gesteinsmaterial, sei mal. In allen größeren Ortschaften sind Tankstellen es durch Verkitten der Sandteilchen zu einer den vorhanden, in Laghouat zum Beispiel deren vier Angriffen des Windes trotzenden Kruste mit Hilfe (Beryl, Total, Esso, Shell). Sie liegen im Norden bestimmter Flüssigkeiten, etwa Erdöl. Das Allheil¬ der Stadt, und zwar da, wo die von ihr kommende mittel gegen das Wandern der Dünen in der Wüste Straße in die Route Nationale einmündet. Der in ist aber immer noch nicht erfunden. amerikanischem Tempo vorangetriebene Straßen¬ Mit dem Bau von Straßen hat der Motorfahrzeug¬ bau steht in engem Zusammenhang mit der Suche verkehr stark zugenommen. Nicht nur ortsansässige nach Erdöl und Erdgas in Hassi R'Mel, Hassi Mes¬ Europäer, sondern auch Einheimische, falls sie es saoud und im Becken von Polignac (Edjeleh). In sich leisten können, schaffen sich, schon aus Re¬ Ghardaia setzt sich die Route Nationale No 1, von nommiersucht und Prestigegründen, einen Wagen

67 an. Das Fahren lernen sie in der Autofahrschule Fußnoten ihrer Oase. Wer als Tourist ohne Wagen reist, wird beinahe als Hinterwäldler angesehen. Vorwärtszu¬ 1 Die Ortsnamen werden in der ortsüblichen fran¬ zösischen Schreibweise Siehe auch kommen ist dann nicht immer gar leicht. Vielleicht wiedergegeben. Karte voies de communication de findet man ein Taxi, das einen mitnimmt. Nur heißt «Principales l'Afrique du Nord», M 1 : 2 000 000. Institut Geo¬ es oft stundenlang warten, bis das Taxi wörtlich graphique National. Paris 1955. mit Leuten ist. Die genommen vollgepfropft 2 Commandant Godard: L'oasis moderne. Alger Postkurse sind und stark eingeschränkt, gewisse 1954. Über Ouargla S. 141144, siehe auch Su¬ Strecken werden von den öffentlichen Verkehrs¬ ter, K.: Ouargla, Geographica Helvetica, 1956, S. mitteln, weil es an Kundschaft fehlt, überhaupt 242254. nicht befahren. Vielleicht hat man das Glück, von s Colomb-Bechar heißt seit der Unabhängigkeit einem Frachtwagen mitgenommen zu werden. Algeriens (1962) einfach wieder Bechar. Die Erin¬ die französische des Ortes im Diese sind ja ständig unterwegs; sie führen Datteln nerung an Besetzung November 1903 durch den Marschall nach dem Norden und Mehl, Zucker, Tee, Kaffee, späteren Lyautey, der den errichteten Militärposten Colomb Zement nach dem Süden. Größere Transportunter¬ nannte, sollte im Ortsnamen ausgelöscht werden. nehmen sind gezwungen, eigene Reparaturwerk¬ Der französische General de Colomb hatte als er¬ stätten zu unterhalten. Berliet zum Beispiel läßt ster in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Region seine 150 Wagen, die im östlichen Teil der algeri¬ von Bechar durchzogen. schen Sahara rollen, in seiner Werkstatt in Toug¬ 4 Prohuza: La population des departements saha- gourt überholen und reparieren; die Werkstatt be¬ riens. Paris 1961. schäftigt 120 Mann.

Resume Wichtige Straßen wurden auch im Departement de la Saoura erstellt. So wurde Bechar, sein Haupt¬ Ouargla aujourd'hui ort, 1958 über Ain-Sefra, Mecheria und Saida an Depuis 1956, Ouargla a subi de grandes evolutions das Straßennetz des Teil angeschlossen. (Strecke dues avant tout ä l'exploitation petroliere. La cons¬ 534 läßt sich BecharSaida km). Von Bechar aus truction d'edifices et de routes, la sedentarisation auf geteerter Straße auch der Süden erreichen, und de nombreux nomades, etc. ont occasionne d'im- zwar Adrar (518 km). Diese Straße, die sich viele portantes modifications economiques, sociales et Kilometer, zum Beispiel zwischen Guerzim und demographiques. La population a atteint le chiffre Kerzaz, dem Großen Westlichen Erg entlang¬ de 31 000. Ouargla se compose aujourd'hui de 5 1. le vieux Ksar zieht, durchquert verschiedene, normalerweise aus¬ quartiers: qui change d'aspect peu ä peu (demolition de l'ancien mur d'enceinte, reno- getrocknete Wadis. Führen diese nach einem hefti¬ vation de nombreuses maisons); 2. la Ville Nou¬ Regenguß einmal Wasser, dann gilt es, den gen velle (centre), vaste quartier dans le style colonial, mit aller Vorsicht durch das Bett zu steu¬ Wagen coupe en echiquier par des rues regulieres et com¬ ern. Kommen aber mächtige Wasserfluten daher, prenant aussi des parties plus recentes aux grands so ist das Durchqueren des Bettes nicht mehr mög¬ blocs d'habitation ultra-modernes; 3. ä l'Ouest du lich, und die Straße wird für einige Tage polizei¬ Ksar le quartier des Mekhadma devenus seden- lich gesperrt. Im an Regen relativ reichen Winter taires, 4. au Sud celui de la tribu nomade des Beni et 5. le des Said Otba. Les 1964/65 war das wiederholt der Fall. Thour au Nord quartier anciennes differences sociales, les distinctions entre tribus ou castes s'evanouissent successivement. Eine zweite wichtige im Bau begriffene Straße geht Une Perforation s'avancant jusque dans l'albien 101 km ihm von Bechar, beziehungsweise vom von fournit depuis 1956 une quantite d'eau potable süf¬ nach im Westen (Be¬ entfernten Abadla fisant aux besoins croissants de la ville. Un reseau charTindouf 942 km). de routes goudronnees relie Ouargla aux principales oasis du Sahara algerien.

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