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Eine Untersuchung der Sendungshashtags von Kurz und knapp #annewill, #berichtausberlin, #berlindirekt und • Beim Microblogging-Dienst Twitter gewinnen themenbezogene #wasnun Hashtags im Rahmen der Begleitkommunikation politischer ­Informationssendungen an Bedeutung. Social TV: Twitter-­ • Die Analyse der Sendungshashtags zu „ direkt“/„Was nun, …?“, „Bericht aus Berlin“ und „Anne Will“ zeigte, dass Debatten zu politischen „Anne Will“ am meisten zum Twittern motiviert. Informationssendungen • Für den Erfolg eines Sendungshashtags sind der thematische Bezug, der Personalisierungsgrad der Debatte sowie die Popula­ Von Mathias König* und Wolfgang König* rität der Sendung von Bedeutung. • Geringeren Einfluss auf den Umfang der Twitter-Kommunikation scheinen die Anzahl der Follower einer Sendung und der Sende- Rolle von Twitter Spätestens seit dem Ausgang der US-Präsident- platz zu haben. für öffentliche schaftswahl im November 2016, bei der Donald ­Kommunikation Trump gewann, wird die Relevanz von Twitter als Kommunikationsplattform in Wahlkämpfen deut- Auch politische Informationssendungen setzen Politische lich. Auch für Wahlkämpfe in Deutschland könnte unter anderem auf Twitter, um Nutzer am sonntäg- Infosendungen: Twitter an Relevanz hinzugewinnen. Mit Blick auf lichen „digitalen Lagerfeuer“ an der Meinungsäu- ­Sendungshashtags die Bundestagswahl im Herbst 2017 nimmt zum ßerung und Diskussion zu ihren Formaten zu be- fördern Aufmerk­ Beispiel das Büro für Technikfolgenabschätzung teiligen. Beispiele hierfür sind die Talkshow „Anne samkeit beim Deutschen Bundestag an, dass wichtige und Will“ oder politische Magazine wie „Berlin direkt“ womöglich wahlentscheidende Debatten auch on- und „Bericht aus Berlin“. Gerade im Wahljahr 2017 line geführt werden. Gerade das Medium Twitter sind politische Sendungshashtags von besonde- ist mittlerweile durch das Sendungsbewusstsein rem Interesse, da sie womöglich gezielt Debatten von Politikern, Parteien und Multiplikatoren zu in Twitter forcieren können – ähnlich wie es in an- einem Kanal geworden, der die etablierten Mas- deren Ländern der Fall war bzw. ist. Folgende for- senmedien ergänzt. (1) Neben sozialen Netzwer- schungsleitende Frage steht deshalb im Mittel- ken wie Facebook ist Twitter für den Austausch punkt dieses Beitrags: Wie lässt sich der Erfolg von unter den Nutzern von besonderer Bedeutung, auch Sendungshashtags im Zusammenhang mit politi- über politische Inhalte, da in besonderem Maße schen Fernsehformaten erklären? Meinungsführer und Multiplikatoren den Micro- blogging-Dienst nutzen. Der SPD-Kanzlerkandidat Der Erfolg eines Sendungshashtags wird durch die Zwei Analyseebenen Martin Schulz ist zum Beispiel schon heute sehr Anzahl der aktiven Nutzer und die dazugehörigen zur Messung des aktiv und bekannt auf Twitter: Im Februar 2017 versendeten Tweets definiert. Zwei Analyseebenen ­Erfolgs von Hashtags hatte er unter den Spitzenkandidaten deutscher sind hierbei relevant: Parteien die meisten Follower (351 000). (2) 1. Das Kommunikationsverhalten aktiver Nutzer: Welche Akteure sind bei einem Sendungshash- Social TV: Meinungs- Die massenmediale Bedeutung von Twitter wird tag besonders aktiv, wie kommunizieren diese austausch zu häufig mit dem Stichwort Social TV in Zusammen- während einer Sendung und inwiefern erhalten ­Fernsehsendungen hang gebracht. Durch Diskussionen, angeregt von Nutzer in diesem Zeitraum Aufmerksamkeit durch Zuschauern oder den verantwortlichen Redaktio- Retweets­ oder Erwähnungen von anderen Nut- nen selbst, wird das klassische Fernsehen um den zern? Aspekt der Kommunikation zum Gesehenen in den 2. Welche Rahmenbedingungen tragen zum Erfolg sozialen Netzwerken erweitert. Das gezielte Initiie- eines Sendungshashtags bei? Spielen die Anzahl ren und Bewerben eines Hashtags seitens einer der Follower der Redaktion, das Thema der Sen- Redaktion (Sendungshashtag) lässt sich mit der dung, das Format der Sendung, der Sendeplatz, Aufforderung einer Zeitungsredaktion vergleichen, die Dauer der Sendung und die Einschaltquote je- die ihre Leser zum Schreiben von Leserbriefen zu weils eine bedeutende Rolle? einem bestimmten Thema anregt. Im Unterhal- Beide Analyseebenen wirken sich gleichzeitig tungsbereich gilt etwa die Diskussion in den sozi- auf den Erfolg eines Hashtags aus. In diesem Zu- alen Medien zum Hashtag #tatort am Sonntag- sammenhang ist insbesondere von Interesse, ob abend als prominentes Beispiel. (3) sendungsloyale Nutzer, das heißt Nutzer, die zu allen Messzeitpunkten bei einer analysierten Sen- dung aktiv waren, einen besonderen Effekt auf die ­Aufmerksamkeitswirkung eines Hashtags haben. Diese lassen sich zunächst unter der Analyseebe- ne des Kommunikationsverhaltens verorten. Au- ßerdem zählen sendungsloyale Nutzer gleichzeitig zu den Rahmenbedingungen, da sie quasi als lang- * Institut für Kommunikationspsychologie und Medienpädagogik (IKM)/Institut für Sozialwissenschaft (Abteilung Politikwissen- zeitaktive Follower interpretiert werden können. schaften), Universität Koblenz-Landau. Untersucht wurde die Kommunikation vor, wäh- Social TV: Twitter-­Debatten zu politischen Informationssendungen 261 | Media Perspektiven 5/2017

rend und nach den Sendungen „Bericht aus Ber- Um Aussagen über das Kommunikationsverhalten Kommunikations- lin“ (), „Berlin direkt“ bzw. „Was nun, treffen zu können, ist eine Analyse der Twitter- Evaluation: Twitter- …?“ (ZDF) und „Anne Will“ (Das Erste) anhand „Sprache“ und ihrer technischen Relevanz erfor- „Sprache“ dreier exemplarischer Sonntage. derlich. Jeder angemeldete Nutzer kann bereits publizierte Tweets erneut verbreiten (via Retweet). Überblick des Forschungsstandes Dadurch wird auch ein fremder Tweet auf der ei­ und ­Erläuterung des Messverfahrens genen Timeline und in der Twitter-Suchfunktion Potenzial von Politikwissenschaftliche Studien zum Thema Twit- nochmals publiziert. Verbreiten viele Nutzer einen Twitter in Forschung ter bewerten das Potenzial dieser Plattform für die Tweet durch Retweeten, dann wird von viraler Ver- ­umstritten demokratische Öffentlichkeit sehr unterschiedlich. breitung gesprochen, die als ein Indikator für Auf- Ein Teil der Forscher ist davon überzeugt, dass merksamkeit angesehen wird. Dies ist bei politi- „mit Twitter Wahlen gewonnen“ werden können, schen Diskussionen besonders wichtig, weil bei denn durch Twitter können Politiker „Ego-Brands“ den am stärksten viral verbreiteten Tweets er- aufbauen, indem sie mit ihren Followern digital in kennbar wird, welcher Meinung andere Twitter- einer Art persönlichem Kontakt treten. (4) Nutzer zustimmen (Onlinedemoskopie). Entschei- In der Literatur zum Nutzen von Twitter als Dis- dend ist zudem, dass bei Retweets der ursprüngli- kussionsplattform werden neben den USA auch che Tweet-Text und sein Verfasser immer gemein- Länder wie Pakistan oder Ägypten genannt, in sam angezeigt werden. Der dritte Operator bei der denen die dort geführte öffentliche Debatte als di- Twitter-Nutzung ist das #-Zeichen (Hashtag). Mit rekte und ungefilterte Art des Austauschs dient. Als dem Benutzen des Hashtags sind Tweets zu be- Stichwort wird zudem der sogenannte „Arabische stimmten Themenbezügen von anderen Nutzern Frühling“ in Tunesien angeführt. Gerade die demo- leichter auffindbar. Dies ist folglich für den Mei- kratiefördernde Wirkung und die „Euphorie“ sei- nungsaustausch zu Fernsehsendungen ein bedeu- tens einiger Forscher bezogen auf die Bedeutung tender Faktor. Tweets, die zum Beispiel mit #anne- von Twitter in Schwellen- und Entwicklungslän- will markiert wurden, erscheinen dann in der dern scheint allerdings fraglich, da in diesen die Suchfunktion, die auch benutzt werden kann, ohne Mehrheit der Bevölkerung keinen Internetzugang bei Twitter angemeldet zu sein. Folgerichtig setzen hat. Folglich sieht ein anderer Teil der Politikwis- auch Fernsehsender bzw. Redaktionen auf Hash- senschaftler die „Twitter-Euphorie“ eher kritisch. tags, um zu Diskussionen über Sendungen zu mo- (5) In Deutschland sind laut ARD/ZDF-Onlinestudie tivieren und die Bindung an Formate zu fördern. 2016 lediglich 4 Prozent der deutschen Onliner bei Twitter aktiv. Nur 1 Prozent dieser Nutzer verwen- Der Datenabruf des für den vorliegenden Beitrag Quantifizierung der det den Dienst täglich. (6) Allerdings ergab zum verwendeten Messverfahrens zur Aufmerksam- Aufmerksamkeit bei Beispiel eine Studie zum RTL-„Dschun­gelcamp“ keitsquantifizierung basiert auf konkreten Hash- einzelnen Tweets und dem „Tatort“, dass durchaus ein gewisses Po- tags von Fernsehsendungen. Diese Daten wurden tenzial an breiterer Nutzerbeteiligung vorhanden entsprechend der „Aufmerksamkeitslogik“ klassi- ist, wobei die dominierenden Akteure nicht Privat- fiziert. Diese besagt, dass Akteure das strategi- personen, sondern klassische Multiplikatoren sind, sche Ziel verfolgen, Aufmerksamkeit für sich, an- wie zum Beispiel Zeitungsredaktionen und TV- dere Akteure oder Themen zu generieren. Dies ist Sender. (7) In Studien zu politischen Twitter-Dis- unter anderem in Wahlkampfzeiten besonders re- kussionen zeigt sich ebenfalls eine rege Beteili- levant, da Stimmungen auch im Internet beein- gungen von Politikern, Journalisten und weiteren flusst werden können, die dann im Wechselspiel Multiplikatoren. (8) Untersuchungen zu Social-­ mit den klassischen Massenmedien weiterverbrei- TV-Hashtags, die von politischen Informations- tet werden können. Aufmerksamkeitserfolg ge- sendungen in Deutschland initiiert werden, exis- lingt, indem Akteure gezielt andere Nutzer in ihren tieren hingegen kaum. Tweets erwähnen oder Retweets senden. Auf der Grundsätzlich bietet Twitter vielfältige techni- Ebene der gesendeten Tweets lassen sich letztlich sche Möglichkeiten der Kommunikation, aber auch analytisch vier Sorten von Tweets unterscheiden, der Kommunikationsevaluation. So lässt sich der die auch kombiniert vorkommen: Austausch unter Fernsehzuschauern zur jeweiligen 1. Tweets, die nur Text enthalten. Sendung beobachten. Der Microblogging-Dienst 2. Tweets, die andere Nutzer erwähnen (@-Men­ ermöglicht das Senden und Empfangen von kur- tion-Tweets). Dabei werden im Gegensatz zu zen Nachrichten mit maximal 140 Textzeichen. einem Retweet nur angesprochene Nutzer sowie Diese Nachrichten werden auf der persönlichen die eigenen Follower informiert. Nur wenn ein Twitter-Profilseite (Timeline) öffentlich publiziert, @-Mention-Tweet erneut geteilt wird, erhält ein es sei denn, der jeweilige Nutzer stellt sein Profil @-Mention-Tweet große Aufmerksamkeit. nur für seine Follower (ähnlich der „Freunde“ in 3. Retweets, die die ersten beiden Sorten von Facebook) zur Verfügung. Außerdem können die Tweets weiterverbreiten (virales Verbreiten). Tweets über die Suchfunktion gefunden werden. Follower erhalten die Tweets der Personen, deren Kanal sie abonniert haben. Politiker können zum Beispiel dadurch automatisch ihre Anhänger mit Informationen versorgen. Mathias König/Wolfgang König Media Perspektiven 5/2017 | 262

Tab. 1 Gegebener Aufmerksamkeits-Credit

Retweet @-Adressierung Tweet-Text (Viralitätsperspektive) (Dialogperspektive) Ich schaue gerade #annewill auf ARD – – Ich schaue gerade #annewill auf @ARD – Der Nutzer @ARD erhält eine @-Adressierung Ich schaue gerade #annewill auf @ARD – Die Nutzer @ARD und @ZDF erhalten und nicht auf @ZDF jeweils eine @-Adressierung RT @AnneWillTalk: Ich schaue gerade Dem Nutzer @AnneWillTalk wird – #annewill auf @ARD ein Retweet “gutgeschrieben“. Quelle: Eigene Untersuchung.

4. Tweets, in denen zusätzlich ein Hashtag ver- Fallstudien wendet wird, um in der Twitter-Suchfunktion zu Untersucht wurden die Hashtags zu zwei politi- einem Thema zu erscheinen. schen Magazinen und einer politischen Talkshow. Für das Messverfahren im vorliegenden Beitrag Das Erste strahlt das Politikmagazin „Bericht aus kamen folglich nur Tweets in Frage, in denen ein Berlin“ sonntags von 18.30 bis 18.50 Uhr aus. Das entsprechender Hashtag verwendet wurde. Diese ZDF sendet ebenfalls an diesem Tag circa 20 Mi- bildeten die jeweilige Datenbasis. Daraufhin er- nuten lang ab 19.10 Uhr sein politisches Magazin folgte die Berechnung der Aufmerksamkeit, die ein „Berlin direkt“, wobei die Redaktion die Sendung Nutzer in seinen Tweets anderen Nutzern zukom- bei bestimmten politischen Sonderthemen in „Was men ließ (gegebene Aufmerksamkeit) oder von nun,...?“ umbenennt. Dies führt dazu, dass statt anderen Nutzern erhalten hat (erhaltene Aufmerk- des Hashtags #berindirekt ggf. #wasnun einge- samkeit). Auf Basis dieser Maßzahlen lassen sich setzt wird. Ab 21.45 Uhr strahlt die ARD im Ersten das Sendeverhalten sowie der Aufmerksamkeits- Programm nach dem „Tatort“ eine Stunde lang die erfolg zu den untersuchten TV-Hashtags darstel- Talkshow „Anne Will“ aus. Die Redaktionen der len. Tabelle 1 ermöglicht einen beispielhaften Über- Sendungen sind auch in Twitter vertreten und ver- blick von Tweets und ihren Aufmerksamkeitswir- fügen über viele Follower. Am höchsten ist die kungen (nachfolgend Aufmerksamkeits-Credit ge- ­Anzahl der Abonnenten bei @AnneWillTalk (rund nannt). 43 100, Stand: 18.5.2017), darauf folgt „Bericht aus Berlin“, den die Redaktion mit dem Twitter- Dialog- und Auf Basis der in die Untersuchung einbezogenen Namen @ARD_BaB (rund 37 800) betreut, und ­Viralitätsperspektive Tweets wird eine entsprechende Aufmerksam- schließlich @berlindirekt (rund 36 600). Analysiert keitsquantifizierung ermöglicht, die auf real beob- wurden die Ausgaben an drei Sonntagen (29. Ja- achtbarer Massenkommunikation beruht. Dabei nuar, 5. und 12. März 2017). Zunächst werden im gibt es zwei Ansätze zur Aufmerksamkeitsquantifi- Folgenden die einzelnen Sonntage und ihre The- zierung. Einerseits können die @-Adressierungen mensetzung betrachtet. in den ursprünglichen („Original“-)Tweets betrach- tet werden. Diese sogenannte Dialogperspektive Am 29. Januar 2017 war die offizielle Bekannt­ Analysetag 29.1.2017: wird als Kommunikation unter einzelnen Usern mit gabe der Kanzlerkandidatur von Martin Schulz das Martin Schulz gegenseitiger Nennung definiert. Eine andere zentrale Thema bei den politischen TV-Formaten Form der Aufmerksamkeitsquantifizierung unter- „Bericht aus Berlin“, „Was nun, …?“ und „Anne sucht die Retweets, die einen Tweet weiterverbrei- Will“. Zwei Formate, nämlich „Was nun, …?“ (4,70 ten (Viralitätsperspektive). In der Analyse werden Millionen Zuschauer) und „Anne Will“ (4,68 Millio- folglich immer die quantifizierten @-Mentions und nen), verzeichneten an diesem Sonntag Rekord- Retweets separat ausgewiesen. Hiermit wird ver- Einschaltquoten, während 1,82 Mio. Zuschauer mieden, dass in der Analyse die Dialogperspektive den „Bericht aus Berlin“ sahen (9). Nach der Be- mit der Viralitätsperspektive verschwimmt. Im Be- kanntgabe der Kanzlerkandidatur stiegen in der reich der @-Adressierung werden folglich mögli- Folge die Umfragewerte der SPD – dies wurde che Auswirkungen von Retweets, die entsprechen- „Schulz-Effekt“ (10) genannt. de @-Mentions automatisch verbreiten, nicht be- rücksichtigt. Zusammengefasst bezieht sich die Am 5. März war das dominierende Thema in den Analysetag 5.3.2017: Aufmerksamkeitsquantifizierung auf die Dimensi- untersuchten Sendungen die diplomatischen Span- Diplomatische Krise onen Zeit, Nutzerbeteiligung sowie Inhalt (Viralität nungen mit der Regierung der Türkei. Auslöser mit der Türkei auf der Tweetebene). hierfür war das Verbot von mehreren Wahlkampf- auftritten türkischer Minister, die in Deutschland für die Einführung des Präsidialsystems in der Tür- kei werben wollten. Staatspräsident Erdogan be- schuldigte am Analysetag die Bundesregierung pauschal der Anwendung von „Nazi-Praktiken“. Social TV: Twitter-­Debatten zu politischen Informationssendungen 263 | Media Perspektiven 5/2017

(11) Zusätzlich belastete die Inhaftierung des Jour- Tab. 2 Vergleich der analysierten Sendetermine nalisten Deniz Yücel die Beziehungen zu Deutsch- zum Hashtag #berichtausberlin land. Gegebener Aufmerksamkeits-Credit Analysetag 12.3.2017: Am 12. März 2017 war der Konflikt mit der Türkei Datum Tweets Retweets @-Adressierungen Zuspitzung der erneut ein wichtiges politisches Thema in den TV- 29.1.2017 16 3 6 ­Diplomatischen Krise Sendungen. Bei „Bericht aus Berlin“ ging es zwar (11 Nutzer) mit der Türkei vordringlich um den verhinderten Anschlag auf das 5.3.2017 18 9 2 Einkaufszentrum in Essen, aber der Interviewpart- (14 Nutzer) ner Bundesinnenminister Thomas de Maizière 12.3.2017 39 18 3 ­äußerte sich auch zur Türkei-Problematik. (12) In (35 Nutzer) „Berlin direkt“ war das erste behandelte Thema Basis: Alle Nutzer (n=56). die Zuspitzung im Türkeikonflikt (13), und bei Quelle: Eigene Berechnung. „Anne Will“ diskutierten in einer Art „TV-Duell“ der Kanzleramtsminister Peter Altmaier und der türki- sche Minister Akif Çagatay Kiliç. (14) Im Folgenden werden nun die einzelnen Sen- Abb. 1 Tweets und Nutzer zum Hashtag #berichtausberlin dungen näher betrachtet. Dabei geht es vor allem Anzahl der aktiven Nutzer und Tweets im Zeitverlauf darum, inwieweit es den einzelnen Formaten ge- "Bericht aus Berlin" vom 29.1.2017 lingt, Aufmerksamkeit zu generieren, und in wel- chem Umfang dabei Elemente der Dialog- und Tweets ­Viralitätskommunikation zum Einsatz kommen. 4 Nutzer #berichtausberlin (Das Erste) 4 Sendung am Die Fernsehsendung „Bericht aus Berlin“ fokus- 333 3 29.1.2017: sierte neben dem Kanzlerkandidaten Martin Schulz Geringe Beteiligung zusätzlich das Thema „Maulkorb für Bundes- 3 3 3 an Twitter-Diskussion wehrsoldaten?“. Lediglich elf Personen beteiligten sich an der öffentlichen Diskussion via Twitter und versendeten insgesamt nur 16 Tweets (vgl. Tabel- 2 le 2). Davon sendeten drei Nutzer drei Retweets. Zwei Retweets erhielt eine Privatperson für ihren Tweet und @ARD_BaB (offizieller Account der Re- daktion) mit dem Tweet: „@MartinSchulz findet manche Einwände gegen ihn arrogant. Um ihn geht‘s auch im #BerichtausBerlin, 18:30 Uhr“. Ei- nige @-Mentions entfielen auf die ARD (@ARDde, 18:30 18:40 18:45 18:50 18:55 3 Nennungen) und die SPD (@spdbt, 2 Nennun- Quelle: Eigene Berechnung. gen). Jeweils einen @-Mention-Tweet erhielten die Nutzer @ARDde, @agnieszka_mdb – wobei es sich um die Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger von Bündnis 90/Die Grünen handelt, mit der im Rahmen der Sendung ein Interview geführt ker Kauder verurteilt Erdogans Vorwürfe gegen wurde – und @MartinSchulz. Abbildung 1 zeigt Deutschland scharf. Das ganze Interview um 18.30 den zeitlichen Verlauf der Beteiligung auf Twitter Uhr im #BerichtausBerlin @DasErste“. Im Zeitver- an diesem Tag. Im Intervall 18.45 Uhr bis 18.50 lauf (vgl. Abbildung 2) zeigt sich, dass lediglich im Uhr waren die meisten Nutzer (n=4) aktiv und ver- Intervall 18.40 Uhr bis 18.45 Uhr kurz vor Sen- sendeten insgesamt vier Tweets. dungsende ein Anstieg der Anzahl aktiver Nutzer Ein Blick auf die Tweets zeigt, dass zu Martin (n=5) zu verzeichnen war. Schulz als Thema der öffentlichen Debatte kein Während der Sendung erhielten nur verifizierte eindeutig positiver Tweet vorliegt. Angesicht der Twitter-Nutzer eine direkte Ansprache in Tweets Nutzungswerte wird außerdem deutlich, dass es durch @-Mentions: @Ard_BaB (Redaktion von Be- an diesem Sonntag nicht gelang, Twitter-Nutzer für richt aus Berlin), @spdde (SPD), die Moderatorin den Hashtag #berichtausberlin zu mobilisieren. @TinaHassel (Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios) und @MartinSchulz. Auch an diesem Sonntag Sendung am Die Sendung „Bericht aus Berlin“ verfolgten an die- blieb die begleitende Twitter-Kommunikation zur 5.3.2017: sem Sonntag 1,93 Millionen Zuschauer. (15) Ledig- Sendung überschaubar. Im Mittelpunkt standen Schulz bzw. SPD lich 14 Nutzer twitterten während der Sendung. Parteien bzw. Politiker und Journalisten. ­erhält Aufmerksam- Insgesamt wurden 18 Tweets versandt, wovon keit, aber auf neun Retweets waren und alle auf einen Tweet des ­geringem Niveau Landesverbandes der AfD in Berlin entfielen, die wiederum auf einen Tweet verwiesen, der von der Redaktion der Sendung abgesetzt wurde: „Vol- Mathias König/Wolfgang König Media Perspektiven 5/2017 | 264

Abb. 2 Tweets und Nutzer zum Hashtag #berichtausberlin Maizière in @ARD_BaB #BerichtausBerlin“. Da- Anzahl der aktiven Nutzer und Tweets im Zeitverlauf nach folgt mit vier Retweets die Redaktion von "Bericht aus Berlin" vom 5.3.2017 „Bericht aus Berlin“ mit dem Tweet: „deMaizière: Ein türkischer Wahlkampf in Deutschland hat hier 55 nichts verloren. #BerichtausBerlin https://t.co/ NYtB1ZL1XS.“ Die einzigen @-Mentions erhielten 5 Tweets 4 die Redaktion von „Bericht aus Berlin“ (@ARD_ BaB, 2 Nennungen) und Gregor Gysy (@Gregor­ Nutzer 4 Gysi, 1 Nennung). Gysy war der zweite Interview- gast. Zusammengefasst diskutierten bei dieser Ausgabe der Sendung insgesamt die meisten Nut- 3 22 zer mit, wobei die Nutzerbeteiligung auch hier auf einem sehr geringen Niveau blieb. 2 2 Beim „Bericht aus Berlin“ wird deutlich, dass eine Insgesamt Stimulation der Twitter-Nutzung durch die Sen- nur ­geringe dung an den drei analysierten Tagen kaum gelun- ­Kommunikation zu gen ist. Dieses Ergebnis überrascht, da die Redak- #berichtausberlin 18:30 18:40 18:45 18:50 18:55 tion von „Bericht aus Berlin“ über rund 31 000 Follower verfügt. Die meisten Tweets (39) wurden Quelle: Eigene Berechnung. am 12. März versandt, wobei hier auch die meis- ten Nutzer (35) aktiv waren. Das Muster des Kom- munikationsverhaltens änderte sich auf der Indivi- dualebene folglich nicht. In der Regel sendeten die Abb. 3 Tweets und Nutzer zum Hashtag #berichtausberlin Nutzer circa einen Tweet pro Sendung. Generell Anzahl der aktiven Nutzer und Tweets im Zeitverlauf wurden insgesamt von allen Nutzern Retweets "Bericht aus Berlin" vom 12.3.2017 oder @-Mention-Tweets in der Kommunikation zu #berichtausberlin kaum eingesetzt. 13 Tweets #berlindirekt/#wasnun (ZDF) In der Sondersendung „Was nun, …?“ am 29. Ja- Sendung am Nutzer 12 nuar wurde der frisch gekürte Kanzlerkandidat der 29.1.2017: 9 9 SPD Martin Schulz interviewt. Er war folglich das Viralste Tweets alleinige Thema der Sendung. Zu #wasnun twitter- ­überwiegend von 9 7 ten 178 Nutzer 311 Tweets, davon sendeten 58 ­Privatpersonen 8 Nutzer 99 Retweets (vgl. Tabelle 3). Während der 7 Sendung war bis 19.20 Uhr ein Ansteigen der An- zahl der aktiven Nutzer und Tweets erkennbar (n=80 im Intervall von 19.20 Uhr bis 19.25 Uhr). Nach dem Ende der Sendung nahm die Nutzerak- 1 tivität deutlich ab (n=38 im Intervall von 19.30 Uhr 1 bis 19.35 Uhr; vgl. Abbildung 4). Die viralsten Tweets stammten überwiegend 18:30 18:40 18:45 18:50 18:55 von Privatpersonen. Massenmedien oder Politiker Quelle: Eigene Berechnung. waren hierbei nicht aktiv. Den erfolgreichsten Tweet sendete eine Privatperson, die Martin Schulz und sein Antwortverhalten kritisierte. In der Ten- denz waren die viralsten Tweets Negativbewer­ Sendung am 1,96 Millionen Zuschauer verfolgten die Sendung tungen zu Schulz. Bei einigen Tweets ist unklar, 12.3.2017: am 12. März. (16) An der Diskussion in Twitter ob diese positiv oder nicht eher ironisch gemeint Tweets des Bundes- ­beteiligten sich 35 Nutzer mit 39 Tweets, davon waren. Unmissverständlich positiv auf Martin innenministeriums sendeten 18 Nutzer 18 Retweets. Der Peak im Schulz bezogen war letztlich keiner der viralen am meisten weiter- Zeitverlauf nach den aktivsten Nutzern (n=12) Tweets. verbreitet bzw. versendeten Tweets lag im Intervall ca. fünf Minuten vor Sendungsende von 18.40 Uhr bis Insgesamt verfolgten 3,96 Millionen Zuschauer Sendung am 18.45 Uhr (vgl. Abbildung 3). Die meisten Retweets diese Sendung. (17) Es twitterten 51 Nutzer zur 5.3.2017: erhielt das Bundesinnenministerium (@BMI_Bund, Sendung und sendeten insgesamt 66 Tweets, Meiste @-Mention- 6 Nennungen) für den Tweet: „Die #Terror-Gefahr davon verbreiteten 28 Personen 29 Retweets. Nennungen erhalten in #Deutschland ist hoch und bleibt hoch.“ #de- Gegen Ende der Sendung, im Intervall von 19.20 Account der Uhr bis 19.25 Uhr, war die Nutzeraktivität am Sendung und ZDF höchsten (n=23) und gab dann wieder deutlich nach (n=5 im Intervall von 19.30 Uhr bis 19.35 Uhr; vgl. Abbildung 5). Die virale Verbreitung ge- Social TV: Twitter-­Debatten zu politischen Informationssendungen 265 | Media Perspektiven 5/2017

lang besonders bei Tweets eines Twitter-Accounts Tab. 3 Vergleich der analysierten Sendetermine (15 Retweets),­ der vorwiegend in türkischer Spra- zum Hashtag #berlindirekt bzw. #wasnun che zur Sendung twitterte. Darauf folgt die Redak- Gegebener tion von „Berlin direkt“ (6 Retweets). Aufmerksamkeits-Credit Die meisten der insgesamt nur acht Adressie- Datum Tweets Retweets @-Adressierungen rungen mit @-Mentions erhielten der Account der 29.1.2017 311 99 56 Sendung (n=4) und das ZDF (@ZDF, 3 Nennungen). (178 Nutzer) Den erfolgreichsten Tweet sendete wie bereits er- 5.3.2017 66 29 11 wähnt der türkischsprachige Account (159 Nen- (51 Nutzer) nungen). Danach folgen Tweets aus der Redaktion 12.3.2017 76 19 19 von „Berlin direkt“ (@berlindirekt), die die Sen- (53 Nutzer) dung und deren Inhalte ankündigen. Basis: Alle Nutzer (n=266). Quelle: Eigene Berechnung. Sendung am Zu „Berlin direkt“ schalteten am 12. März 4,17 12.3.2017: Millionen Zuschauer ein. (18) Themen dieser Sen- Privatpersonen bei dung waren die Zuspitzung im Türkei-Konflikt, Mer- dieser Ausgabe kels Reise zu Trump, ein Interview mit Wirtschafts- Abb. 4 Tweets und Nutzer zum Hashtag #wasnun sehr aktiv ministerin Brigitte Zypries, „Haushalt: Schwarze Anzahl der aktiven Nutzer und Tweets im Zeitverlauf "Was nun,...?" vom 29.1.2017 Null über alles?“, sowie ein Interview mit Finanz- minister Wolfgang Schäuble. Insgesamt twitterten 53 Nutzer 76 Tweets, davon sendeten 18 Nutzer Tweets 19 Retweets. Gegen Ende der Sendung wurden die 80 Nutzer meisten Tweets versendet (n=22 im Intervall von 77 19.25 bis 19.30 Uhr; vgl. Abbildung 6). Die meisten Tweets sendeten eine Privatperson 63 (n=9), der FDP-Politiker @RobertBlaesing (n=5), 61 58 57 wiederum gefolgt von einer Privatperson (n=4). 45 Deutlich wird hierbei, dass die Aktivität auch bei 38 den Top-Absendern nicht sehr hoch war. Retweets erhielten eine Privatperson sowie eine proeuropä- 31 ische Bewegung (@EuropeElects, beide 3 Ret- weets). Danach folgen eine Privatperson sowie die 8 21 Redaktion von „Berlin direkt“ (beide 2 Retweets). 7 Bei den @-Mentions ist erkennbar, dass nur acht 19:10 19:15 19:20 19:25 19:30 19:35 Nutzer (alles Multiplikatoren) adressiert wurden: Das ZDF erhielt die meisten @-Mentions (9 Nen- Quelle: Eigene Berechnung. nungen), gefolgt vom stellvertretenden Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios Berlin Thomas Walder (@ ThomasWalde, 3 Nennungen) und der Redaktion von „Berlin direkt“ (2 Nennungen). lin“, dass die zahlreichen Follower der Sendung im Den erfolgreichsten Tweet sendete die proeu- Zeitverlauf der beobachteten Stichproben nicht ropäische Initiative @EuropeElects (3 Nennungen), motiviert waren, sich während der Sendung an die auf die Wahl in den Niederlanden verwies. Da- einer Diskussion zu beteiligen. Bis auf die Sonder- nach folgen ein Tweet der Redaktion @berlindi- sendung „Was nun, …?“ waren die Aktiven je- rekt: „ ‚Pressefreiheit‘ in der Türkei: 150 Journalis- weils eher zum Sendungsende hin am aktivsten. ten inhaftiert, Platz 151 auf der Rangliste der Pres- sefreiheit. Mehr dazu 19:10 #berlindirekt“ und ein Werden die 1,5 Prozent der Nutzer betrachtet, die Sendungsloyale Tweet einer Privatperson (jeweils 2 Nennungen). zu allen untersuchten Sendungen Nachrichten ge- ­Nutzer sendet haben (sendungsloyale Nutzer), dann wird Interviewformat „Berlin direkt“ hatte bei der Sondersendung „Was deutlich, dass dies lediglich vier Personen sind. „Was nun, …?“ nun, …?“ den größten Erfolg hinsichtlich der Er- Zur Sondersendung „Was nun, …?“ waren diese motiviert zu deutlich wähnungen bei Twitter: 178 Nutzer beteiligten sich vier Personen zudem besonders aktiv: Sie sende- mehr Twitter-­ während der Sendung. Diese sendeten bei der ten im Durschnitt 2,5 Tweets und verwendeten Aktionen als Sondersendung im Schnitt rund zwei Tweets. Übli- circa zwei @-Mentions, vom Gesamtauditorium „Berlin direkt“ che „Berlin direkt“-Sendungen, die nicht nur aus erhielten sie vier Retweets. Anders stellte es sich einem Interview einer Schlüsselperson bestehen, bei den üblichen Ausgaben von „Berlin ­direkt“ dar. zeigten eine deutlich andere Nutzerbeteiligung Hier sendeten diese Nutzer im Schnitt nur 1,25 (51 bis 53 Nutzer) und Aktivität (66 bis 76 Tweets). Tweets und keine Retweets. @-Mentions wurden Pro Nutzer wurde dann etwa ein Tweet versandt. nur zur Sondersendung „Was nun, …?“ einge- Retweets oder @-Mention-Tweets spielten in der setzt. Kommunikation der durchschnittlichen Nutzer kaum eine Rolle. Mit einer Beteiligungsrate von maximal 178 Nutzern zeigt sich analog zu „Bericht aus Ber- Mathias König/Wolfgang König Media Perspektiven 5/2017 | 266

Abb. 5 Tweets und Nutzer zum Hashtag #berlindirekt #annewill (Das Erste) Anzahl der aktiven Nutzer und Tweets im Zeitverlauf Analog zum ZDF-Magazin „Was nun, …?“ wurde Sendung am "Berlin direkt" vom 5.3.2017 am 29. Januar auch in der ARD-Talkshow „Anne 29.1.2017: 23 Will“ Martin Schulz interviewt. Er war auch hier Medienvertreter das zentrale Thema, denn er war der einzige Gast und Politiker am 20 der Talkshow – das Format also korrespondierend ­häufigsten in Tweets 21 zu „Was nun, …?“ ein Interview über die gesamte Tweets erwähnt Sendezeit. Insgesamt sahen 4,68 Millionen Zu- Nutzer schauer die Sendung. Zum Hashtag #annewill 16 twitterten 2 630 Nutzer (vgl. Tabelle 4). Insgesamt 10 wurden 7 813 Tweets gesendet. Die meisten Tweets wurden gegen Ende der Sendung versen- 7 10 det (n=848 im Intervall von 22.30 Uhr bis 22.35 5 Uhr; vgl. Abbildung 7). 6 Damit wird schon einmal deutlich, dass „Anne 1 5 Will“ deutlich mehr Zuschauer zu einem Twitter- 1 Kommentar anregte als die inhaltlich, wie von den 19:10 19:15 19:20 19:25 19:30 19:35 Zuschauerzahlen vergleichbare Ausgabe von „Was nun, …?“ an diesem Tag. Die meisten Retweets Quelle: Eigene Berechnung. erhielt der Account der Sendung (@AnneWillTalk, 110 Retweets). Mit deutlichem Abstand landete auf Platz 2 der Account der ARD (@DasErste, 94). Medienvertreter sowie Vertreter der AfD standen Abb. 6 Tweets und Nutzer zum Hashtag #berlindirekt im Mittelpunkt der Twitter-Kommunikation zur Anzahl der aktiven Nutzer und Tweets im Zeitverlauf Sendung. Letztere versendeten selbst sehr viele "Berlin direkt" vom 12.3.2017 Tweets und erhielten dementsprechend viele Re­ tweets. Die Medienvertreter sendeten hingegen in 22 Maßen, ihre Nachrichten wurden daraufhin aber Tweets 19 sehr häufig weiterverbreitet. Inhaltlich betrachtet zeigt sich, dass die meis- Nutzer ten Nutzer Martin Schulz adressieren (@Martin- 15 17 17 Schulz, 440 Nennungen), der sich selbst nicht an 12 der Twitter-Diskussion beteiligte, da er in der Sen- 14 dung live vor Ort war. Mit weitem Abstand landete auf Platz 2 bei den Adressierungen wieder der 10 7 ­Account der Sendung „Anne Will“ (91 Nennungen), dann folgen die SPD (71) und Das Erste (15). Wie 7 bei der Sendung „Was nun, …?“ wollten die Nut- zer offensichtlich vor allem Martin Schulz, die SPD 1 sowie Das Erste ansprechen. 1 Einige der Absender der häufig weiterverbreite- 19:10 19:15 19:20 19:25 19:30 19:35 ten Tweets merken an, dass in der Sendung zu wenig kritisch nachgefragt worden sei und die Quelle: Eigene Berechnung. Moderatorin Anne Will für den Kandidaten Schulz „werben“ würde. Unter den viralsten Tweets ist keiner erkennbar, der Martin Schulz klar positiv bewertete. Bis auf die Tweets der Redaktion von Tab. 4 Vergleich der analysierten Sendetermine „Anne Will“ stammten die meistverbreiteten Tweets zum Hashtag #annewill von Privatpersonen, Fernsehsendern, der AfD und Gegebener anderen Politikern. So kritisierte beispielsweise Aufmerksamkeits-Credit der Bundestagsabgeordnete der CSU Hans-Peter Sendung Tweets Retweets @-Adressierungen Friedrich: „Wenn @MartinSchulz der Hoffnungs- 29.1.2017 7 813 3 184 793 träger der #SPD ist, ist die Hoffnungslosigkeit in (2 630 Nutzer) dieser Partei ja dramatisch! #annewill“ (26 Nen- 5.3.2017 4 453 2 004 320 nungen). (1 452 Nutzer) 12.3.2017 9 427 4 013 673 Das Thema der Talkshow „Anne Will“ lautete am Sendung am (2 867 Nutzer) 5. März: „Krise zwischen Berlin und Ankara – Wie 5.3.2017: Basis: Alle Nutzer (n=5 698). umgehen mit Erdogans Türkei?“. Es diskutierten Privatpersonen am Quelle: Eigene Berechnung. Ilkay Yücel (Schwester des in der Türkei inhaftier- aktivsten, meiste ten Journalisten Deniz Yücel), Bundesjustizminis- Nennungen erhält ter Heiko Maas, Can Dündar (türkischer Journa- Heiko Maas list), Günter Verheugen (ehemaliger EU-Erweite- Social TV: Twitter-­Debatten zu politischen Informationssendungen 267 | Media Perspektiven 5/2017

Abb. 7 Tweets und Nutzer zum Hashtag #annewill Anzahl der aktiven Nutzer und Tweets im Zeitverlauf "Anne Will" vom 29.1.2017

848

Tweets 751 735 699 Nutzer 665 660 610 624 583 531 597 443 525 491 495 485 474 463 298 423 419 389 336 233 133 235 176 123

21:45 21:50 21:55 22:00 22:05 22:10 22:15 22:20 22:25 22:30 22:35 22:40 22:45 22:50

Quelle: Eigene Berechnung.

Abb. 8 Tweets und Nutzer zum Hashtag #annewill Anzahl der aktiven Nutzer und Tweets im Zeitverlauf "Anne Will" vom 5.3.2017

Tweets 453 405 410 400 Nutzer 383 391 390 362 332 332

275 315 292 295 294 277 267 249 255 159 233 222 205 112

49 121 85 45

21:45 21:50 21:55 22:00 22:05 22:10 22:15 22:20 22:25 22:30 22:35 22:40 22:45 22:50

Quelle: Eigene Berechnung.

rungskommissar), Sevim Dagdelen (Mitglied des Tweets. Journalisten oder Politiker waren nicht Deutschen Bundestages; Die Linke) und Armin unter den aktivsten Nutzern. Die meisten Retweets Laschet (Vorsitzender der CDU Nordrhein-Westfa- (93) erhielt ein (selbsternannter) Menschenrecht- len) (19). Letzterer befand sich zu dem Zeitpunkt ler, gefolgt von einem Journalisten (79 Retweets) im Landtagswahlkampf von Nordrhein-Westfalen. und der Redaktion von „Anne Will“ (72). Unter den 4,50 Millionen Zuschauer verfolgten diese Sen- Top 3, gemessen an der Viralität von Tweets, waren dung. (20) wieder Multiplikatoren bzw. Journalisten dominie- Während der Sendung versendeten 1 452 Nut- rend. Auch ein YouTuber ist in dieser Rangreihe zer 4 453 Tweets, davon sendeten 760 Nutzer vertreten (41 Retweets). 2 004 Retweets. Zu Beginn der Sendung wurde An der Spitze bei den @-Mention-Erwähnun- am meisten getwittert (n=453 im Intervall von gen war der Bundesjustizminister (@HeikoMaas, 22.05 Uhr bis 22.10 Uhr; vgl. Abbildung 8). Gegen 82 Nennungen), dann folgte mit Abstand die Sen- Sendungsende lag die Anzahl der gesendeten Tweets bei lediglich 112. Besonders aktiv waren während der Talksendung Privatpersonen. Die ak- tivsten drei von ihnen sendeten 53, 50 und 35 Mathias König/Wolfgang König Media Perspektiven 5/2017 | 268

Abb. 9 Tweets und Nutzer zum Hashtag #annewill Anzahl der aktiven Nutzer und Tweets im Zeitverlauf "Anne Will" vom 12.3.2017

942 Tweets 868 830 829 842 802 813 Nutzer 770 713

590 537 645 584 594 427 570 568 557 557 504 499 381 431 380 300 294 83 71

21:45 21:50 21:55 22:00 22:05 22:10 22:15 22:20 22:25 22:30 22:35 22:40 22:45 22:50

Quelle: Eigene Berechnung.

dungsredaktion (@AnneWillTalk, 41 Nennungen) neWillTalk, 122 Nennungen) und Akif Çagatay Kiliç und die Politikerin der Partei Die Linke Sevim Dag- (@ackilic76, 36 Nennungen). Danach folgen unter- delen (@sevimdagdelen, 39 Nennungen). Interes- schiedliche Accounts der ARD, Jan Böhmermann sant ist zudem, dass der in der Türkei inhaftierte und andere Medien sowie eine Privatperson und Journalist Deniz Yücel @Besser_Deniz ebenfalls ein Blogger. Den am häufigsten zitierten und wei- öfter adressiert wurde (10 Nennungen). Sein terverbreiteten Tweet versendete Jan Böhmer- Schicksal wurde in der Talkrunde thematisiert. Der mann (170 Retweets), der wegen seiner juristi- Blick auf die viralsten Tweets zeigt, dass ein relativ schen Auseinandersetzungen mit dem Staatsprä- ausgewogenes Verhältnis zwischen klassischen sidenten der Türkei einen besonderen Bezug zur Multiplikatoren und Privatpersonen bestand. Thematik hatte und sarkastisch twitterte: „Mir drängt sich immer mehr die Frage auf, ob eigent- Sendung am Über die Krise mit der türkischen Regierung disku- lich alle Brandschutzauflagen im #annewill Studio 12.3.2017: tierten bei „Anne Will“ am 12. März Kanzleramts- eingehalten werden.“ Er ist zudem mit einem wei- ­Böhmermanns Tweet minister Peter Altmaier und der türkische Minister teren Tweet bei den Top 10 vertreten, darauf folgen wird rund 250-mal Akif Çagatay Kiliç. (21) 4,20 Millionen Zuschauer Privatpersonen und Journalisten. weiterverbreitet verfolgten die Sendung. (22) Insgesamt twitterten 2 867 Nutzer und sendeten 9 427 Tweets, davon Zum ersten Messzeitpunkt interviewte Anne Will Am stärksten verbreiteten 1 465 Nutzer 4 013 Retweets und 415 in ihrer Talksendung Martin Schulz, beim zweiten ­personalisierte Nutzer verwendeten 673 mal @-Mentions. Die Messzeitpunkt folgte die Sendung dem klassi- ­Ausgabe erzeugte Nutzer waren während der Sendung aktiv und schen Talkshow-Format mit mehreren Gästen zum meiste Twitter-­ twitterten besonders häufig am Ende (n=942 im Türkei-Konflikt und zum dritten Termin gab es eine Kommunikation Intervall von 22.40 Uhr bis 22.45 Uhr; vgl. Abbil- Art „TV-Duell“ zu diesem Thema. Am häufigsten dung 9). Nach der Sendung nahm die Aktivität konnten die Sendungen mit der meisten Persona- deutlich ab. lisierung zum Twittern motivieren: Die Sendung Die Nachrichten des ZDF-Satirikers Jan Böh- mit Altmaier und Kiliç (2 867 aktive Nutzer) führte mermann wurden besonders häufig verbreitet bei der Nutzerbeteiligung via Twitter vor dem (@janboehm, 246 Retweets). Danach folgten eini- Schulz-Interview (2 630 Nutzer). Im Durchschnitt ge Privatpersonen mit teilweise bis zu 200 Re­ sendeten beim „TV-Duell“ die Nutzer im Schnitt tweets, aber auch Journalisten und die Redaktion circa drei Tweets, beim Schulz-Interview waren es von „Anne Will“ (50). Die Aufmerksamkeit durch zwar etwas weniger, aber im Schnitt ebenso drei. Retweets teilten sich also während dieser Sen- Eine deutliche Abnahme der Anzahl der Tweets dung Privatpersonen und Medienschaffende. Die (4 453) und Nutzer (1 452) zeigte sich beim „übli- Verteilung der @-Mentions zeigt wiederum deut- chen“ Talk-Format. Im Durchschnitt sendeten aber lich, dass die Akteure des „TV-Duells“ im Mittel- auch hier die Nutzer circa drei Tweets während der punkt standen: Peter Altmaier (@peteraltmaier Sendung. Bei den Retweets ist das Bild etwas ab- 275 Nennungen), der Account der Sendung (@An- weichend: Zum Schulz-Interview wurde im Schnitt ein Retweet gesendet. Bei der Sendung mit Altmei- er und Kiliç waren es etwas mehr, aber im Schnitt lag die Retweet-Rate auch bei einem Tweet, eben- Social TV: Twitter-­Debatten zu politischen Informationssendungen 269 | Media Perspektiven 5/2017

Tab. 5 Top-10-Nutzer nach erhaltenen Retweets zum Hashtag #annewill

Gegebener Erhaltener Aufmerksamkeits-Credit Aufmerksamkeits-Credit Nutzer Tweets Retweets @-Adressierungen Retweets @-Adressierungen Privatperson 1 11 0 0 278 3 janboehm* 4 1 0 246 15 krk979* 7 0 0 239 8 AnneWillTalk* 13 0 13 232 254 Privatperson 2 18 1 2 192 9 AliCologne* 8 1 4 146 3 Privatperson 3 33 5 6 114 0 DasErste* 16 4 1 102 54 Privatperson 4 36 2 4 99 5 Privatperson 5 36 9 0 99 2 * verifizierter Nutzer. Basis: Alle Sendungen von „Anne Will“. Quelle: Eigene Berechnung.

Tab. 6 Top-10-Nutzer nach erhaltenen @-Adressierungen zum Hashtag #annewill

Gegebener Erhaltener Aufmerksamkeits-Credit Aufmerksamkeits-Credit Nutzer Tweets Retweets @-Adressierungen Retweets @-Adressierungen MartinSchulz* 0 0 0 0 441 peteraltmaier* 0 0 0 0 275 AnneWillTalk* 13 0 13 232 254 HeikoMaas* 1 1 0 4 82 spdde* 3 1 2 17 74 DasErste* 16 4 1 102 54 SevimDagdelen* 2 0 0 30 42 ArminLaschet* 3 3 0 0 36 ackilic76* 0 0 0 0 36 ARDde* 0 0 0 0 33 * verifizierter Nutzer. Basis: Alle Sendungen von „Anne Will“. Quelle: Eigene Berechnung.

so wie beim Talk-Format. In allen Sendungen @-Mentions spielten insgesamt eine geringe Rolle. spielten die @-Mentions nur eine untergeordnete Interessant ist die sehr hohe Zahl bei den erhalte- Rolle. In der Regel waren die Nutzer circa 10 Minu- nen Reetweets (1 364) dieser Nutzergruppe wäh- ten nach Beginn und am Ende einer Sendung am rend des „TV-Duells“. Im Vergleich zu der Gesamt- aktivsten. In den Tabellen 5 und 6 sind die Top- zahl der an Diskussionen via Twitter teilnehmen- 10-Rangreihen der Twitter-Nutzer dargestellt, die den Nutzer (n= 2 867) wurden die sendungsloya- über alle drei Sendetermine von „Anne Will“ hin- len Nutzer besonders häufig „zitiert“: So erhielten weg die meiste Aufmerksamkeit, gemessen an der die sendungsloyalen Nutzer ein Drittel (1 364) aller Anzahl der Retweets bzw. @-Adressierungen, von insgesamt vergebenen Retweets (4 013) und ein anderen Twitter-Nutzern erhalten haben. Viertel (171) aller insgesamt vergebenen @-Ad- ressierungen (673). Sendungsloyale Werden die 4 Prozent der sendungsloyalen Nutzer ­Nutzer twittern (n=241) von „Anne Will“ betrachtet, ist das Bild Drei Privatpersonen waren bei allen „Berlin direkt“/ Gemeinsame Nutzer kontinuierlich und ähnlich: Sie unterschieden sich in ihrem Kommu- „Was nun, …?“- und „Anne Will“-Sendungen aktiv. von „Anne Will“ und umfangreich nikationsverhalten kaum zwischen den einzelnen Diese im Folgenden „gemeinsame Nutzer“ ge- „Berlin direkt“ Sendungen. Allerdings waren sie im Vergleich zu allen anderen Nutzern viel aktiver. Im Durchschnitt wurden zwischen fünf und sieben Tweets von ihnen versandt sowie rund zwei bis drei Retweets. Mathias König/Wolfgang König Media Perspektiven 5/2017 | 270

Tab. 7 Gemeinsame Nutzer der Sendungen „Berlin direkt“/„Was nun...?“ und „Anne Will“ Nutzer, die zu allen Sendeterminen aktiv waren Gegebener Erhaltener Aufmerksamkeits-Credit Aufmerksamkeits-Credit Sender Tweets Retweets @-Adressierungen Retweets @-Adressierungen Privatperson 1 68 4 15 5 0 Privatperson 2 29 0 10 16 0 Privatperson 3 23 0 12 4 0 Privatperson 4 120 4 37 25 0 Basis: Alle Sendungen von „Berlin direkt“/„Was nun...?“ und „Anne Will“; gemeinsame Nutzer (n=3). Quelle: Eigene Berechnung.

nannte Gruppe ist für die Analyse der Aktivität auf Die Redaktion von „Bericht aus Berlin“ (@ARD_ Anzahl der Twitter interessant, da zwei Drittel dieser Nutzer in BaB, rund 37 800 Follower) weist eine größere Follower lässt keine den Top-10-Listen des verwendeten Messverfah- Anzahl an Abonnenten auf als die Redaktion von Rückschlüsse auf rens zur Aufmerksamkeitsquantifizierung mehr- „Berlin direkt“ (@berlindirekt, rund 36 600). Letz- Umfang der Twitter- fach in Erscheinung treten. Letztlich sendete die tere konnte die Zuschauer aber etwas intensiver Kommunikation zu Gruppe der gemeinsamen Nutzer zwischen 23 und zum Twittern motivieren. Die Redaktion von „Anne 68 Tweets (vgl. Tabelle 7). Von diesen 120 Tweets Will“ (@AnneWillTalk, rund 43 100 Follower) hat sendete lediglich eine Privatperson vier Retweets. zwar die meisten Abonnenten und damit rund Im Durchschnitt benutzten die gemeinsamen Nut- 9 Prozent mehr als die Sendung „Berlin direkt“, zer circa 12 @-Mentions in ihren Tweets und äh- aber dies steht in keinem Verhältnis zum bis zu nelten sich in dieser Kategorie bei der Aufmerk- 124-fach höheren Tweet-Aufkommen im Vergleich samkeitsquantifizierung am meisten. Der direkte zu „Berlin direkt“. In diesem Zusammenhang ist zu Sendungsvergleich zeigt, dass insgesamt die Grup- erwähnen, dass sich die Anzahl der Follower im pe der gemeinsamen Nutzer bei „Anne Will“ sie- Laufe dieser Studie auch nicht als Indikator für benmal aktiver war, als bei „Berlin direkt“/„Was eine „sichere Fanbase“ von Martin Schulz erwie- nun, …?“. Die drei Nutzer waren bei den Sendun- sen haben, und damit auch sein „Twitter -Brand“ gen zum Thema Martin Schulz sowie zum „TV- in den untersuchten Fällen nicht erfolgreich war. Duell“ am aktivsten. Am 29. Januar 2017 ließ sich keine bedeutsame virale Verbreitung von Retweets feststellen, die Fazit Martin Schulz eindeutig positiv bewerteten. Dies #annewill generiert Bilanzierend zeigt sich, dass besonders der Sen- überrascht, da er über circa 351 000 Follower ver- mit Abstand die dungshashtag #annewill eine erfolgreiche Nutzer- fügt. Bei dem Hashtag #annewill hätten 26 Follo- meisten Tweets, Ret- kommunikation generiert. Hier twitterten die Nut- wer „ausgereicht“, um einen Tweet viral zu ver- weets und @-Adres- zer zu Beginn und am Ende der Sendung beson- breiten. Dann wäre dieser in den Top 10 der Ret- sierungen ders intensiv. Es wird deutlich, dass Martin Schulz weets gelistet worden. Bei „Berlin direkt“/„Was am häufigsten via @-Mention-Tweets erwähnt nun, …?“ wären zwei und bei „Bericht aus Berlin“ wurde und dadurch seine Präsenz ebenfalls im nur ein Follower hierfür nötig gewesen. Kommunikationsraum der untersuchten Hashtags erhöht war. Ein positiver „Schulz-Effekt“ ist aller- Bei annähernd gleich hoher Zuschauerzahl am Zuschauerzahl dings bei keinem der untersuchten Hashtags in 29. Januar („Was nun, …?“ 4,70 Millionen; „Anne ­ebenfalls kein Bezug auf die viralsten Tweets erkennbar. In allen Will“ 4,68 Millionen) löste der Hashtag #annewill ­Indikator für untersuchten Fällen trat keine Partei besonders in ein 25-fach höheres Tweet-Aufkommen aus als ­Twitter-Erfolg Erscheinung. Bezogen auf die viralsten Tweets do- der Hashtag #wasnun. Werden „Anne Will“-Sen- minierten Journalisten, der Satiriker Böhmermann dungen bezüglich der Einschaltquoten betrachtet, (nur bei „Anne Will“), aber auch Privatpersonen zeigt sich, dass die Zuschauerzahl kein guter Indi- den Kommunikationsraum. kator für den Erfolg eines Sendungshashtags ist. Ziel dieser Studie war, den Erfolg, gemessen an So ist beispielsweise die Zuschauerzahl bei der der Aufmerksamkeitswirkung in Twitter, von ver- „Anne-Will“-Sendung mit Peter Altmaier und Akif schiedenen politischen Sendungshashtags zu mes- Çagatay Kiliç mit 4,20 Millionen Personen am sen und entsprechende Erfolgsfaktoren zu identifi- niedrigsten unter den drei beobachteten „Anne- zieren. Dabei wird zunächst deutlich, dass folgen- Will“-Sendungen. Die Twitter-Kommunikation wäh- de Rahmenbedingungen empirisch keine relevan- rend dieser Sendung war aber mit Abstand am ten Einflussfaktoren sind: höchsten (9 427 Tweets).

Zwar ist die Sendung „Anne Will“ dreimal so lang Dauer der Sendung wie die beiden Vergleichssendungen, allerdings steht das bis zu 124-fach höhere Tweet-Aufkom- men in keinem angemessen Verhältnis zur länge- Social TV: Twitter-­Debatten zu politischen Informationssendungen 271 | Media Perspektiven 5/2017

ren Sendezeit. Grundsätzlich ist bei der Talksen- war für bis zu 27 Prozent der Gesamtzahl der dung aber erkennbar, dass die Twitter-Aktivität Tweets verantwortlich (je nach Ausgabe der Sen- meist etwa 10 bis 15 Minuten nach Beginn der dung betrug die Spannweite 1 bis 27 %). Die vier Sendung und dann, etwa 30 Minuten später, gegen sendungsloyalen Nutzer von „Berlin direkt“ (rund Ende besonders hoch ist. Bei „Berlin direkt“ war 2 % aller Nutzer) haben zwischen 3 Prozent und jeweils ein deutlicher Peak meist am Ende der 8 Prozent aller themenbezogenen Tweets ver- Sendung zu verzeichnen. Die Sendungsdauer könn- schickt. Die 241 sendungsloyalen Nutzer von Anne te in anderen Kontexten womöglich ein relevanter Will (4 % aller Nutzer) sendeten zwischen 17 Pro- Indikator sein. zent und 27 Prozent aller Tweets. Im Durchschnitt generierte also allein diese Gruppe bei „Anne Will“ Kriterien für Der Erfolg von Social-TV-Hashtags politischer TV- ein Tweet-Aufkommen, das 9,5-mal höher war, ­umfangreiche Sendungen ließ sich in dieser Studie letztlich nicht als das, das alle Nutzer bei „Berlin direkt“ im Twitter-­ durch das Heranziehen der Anzahl der Follower der Durchschnitt erreichten. Die Anzahl sendungsloya- Kommunikation Redaktionen oder durch die Parameter Einschalt- ler Nutzer ist folglich ein zentraler Indikator für die quote oder Sendedauer bestimmen. Für den Erfolg Messung des Erfolgs eines Sendungshashtags. scheinen vielmehr die folgenden Indikatoren ge- Bei „Anne Will“ zeigt sich dies am deutlichsten am eignet: 12. März 2017: Sendungsloyale Nutzer erhielten 1. Showformate scheinen sich in Deutschland be- hier von allen Nutzern insgesamt (2 867) beson- sonders gut zur Twitter-Diskussion zu eignen. (23) ders viel Aufmerksamkeit. Ein Drittel (1 364) aller So ist es plausibel, dass die Talkshow „Anne Will“ insgesamt verbreiteten Retweets (4 013) und ein bei der gemessenen Tweet-Anzahl im Vergleich Viertel (171) aller insgesamt vergebenen @-Ad- zu den politischen Magazinen besonders gut ab- ressierungen (673). schneidet. Fans von (Talk-)Showformaten sind eher 6. Die Prominenz der Sendung bzw. des Sende- an aktive Twitter-Diskussionen gewöhnt, die teil- platzes scheint ein weiterer Indikator für den Er- weise auch im politischen Feuilleton der klassi- folg eines Sendungshashtags zu sein. Besonders schen Medien aufgegriffen werden. Das Twittern die rege Aktivität der Twitter-Nutzer bei der Sen- scheint hier für die User „lohnenswerter“, da die dung „Anne Will“ zeigt, dass die Ausstrahlung an Chance besteht, dass Tweets medial thematisiert einem Stammplatz des politischen Talks (bereits werden. Inwiefern dies für weitere (Talk-)Formate seit 1998 mit der Moderatorin ) zutrifft, bedarf weiterer Forschung. die meiste crossmediale Aufmerksamkeit nach sich 2. Sendungen, die von ihrem „normalen“ Format zieht. Aussagen darüber, ob und inwiefern Twitter- abweichen und stark personalisieren, führen zu ge- Nutzer, ob klassische Multiplikatoren oder Privat- steigerter Kommunikation auf Twitter, denn der personen, strategisch planen, bei welcher Sendung „Show-Charakter“ wird hierdurch gestärkt: Dies ist sie bei Twitter kommentieren, bedürfen weiterer bei zwei Sendungen von „Anne Will“ und dem „Ber- Forschung. lin direkt“-Sondersendungsformat „Was nun, …?“ 7. Für viele Retweets sorgen besonders kritische der Fall. Hier lassen sich hinsichtlich des Tweet- Tweets. Die lose Akteurskonstellation von aktiven Aufkommens deutliche Ausschläge beobachten. Kritikern hat folglich einen Einfluss auf den Erfolg, Die meisten Tweets ließen sich bei „Anne Will“ mit da ihre Tweets am meisten weiterverbreitet wer- einer Art „TV-Duell“ generieren. Mit anderen Wor- den und dadurch das Tweet-Aufkommen eines Sen- ten sind polarisierende Formate ein besonders dungshashtags massiv gesteigert wird. Mit ande- vielversprechender Diskussionsstimulus. ren Worten zeigt sich, dass insgesamt nicht der 3. Thematisch betrachtet zeigt sich, dass die an- Status der Akteure (Privatpersonen, Medienschaf- stehende Bundestagswahl, verbunden mit einem fende, Parteien und Politiker usw.) für die Verbrei- hohen Personalisierungsgrad, offenbar ein hohes tung von Tweets entscheidend ist. Vielmehr deuten Tweet-Aufkommen sowie Nutzerbeteiligung gene- die Ergebnisse auf einen generell kritischen Bias riert. Die Martin-Schulz-Interviews führten zum der Tweet-Viralität hin. Das heißt, Tweets, die in höchsten Tweet-Aufkommen bei „Berlin direkt“ unterschiedlicher Form Politiker, Regierungen, Par- und zum zweithöchsten bei „Anne Will“. teien, Medien usw. kritisieren und einen negativen, 4. Dass der Personalisierungsgrad eines der zent- ironischen, oder satirischen Charakter haben, wer- ralen Erfolgskriterien ist, zeigt ebenfalls der diplo- den am meisten weiterverbreitet. Dies könnte ein matische Konflikt mit der Regierung der Türkei. Die Hinweis darauf sein, dass via Twitter sowohl mün- Twitter-Kommunikation bei der Sendung „Anne dige (teils kritische) Bürger als auch die sogenann- Will“ stieg an, als es zu einem „deutsch-türkischen te politische Gegenöffentlichkeit (z. B. AfD-Sympa- TV-Duell“ in der Sendung kam. In der vorherigen thisanten) besonders aktiv sind. Sie nutzen Twitter Sendung ging es ebenfalls um diesen Konflikt, als publizistischen Alternativkanal. ­allerdings im klassischen Talkshow-Format mit Abschließend lässt sich festhalten, dass die mehreren Gästen und deutlich geringerer Beteili- Gruppe der gemeinsamen Nutzer von „Anne Will“ gung auf Twitter. und „Berlin direkt“/„Was nun, …?“ ebenfalls einen 5. Sendungsloyale Nutzer sind ein bedeutender zumindest groben Indikator für den Erfolg eines Faktor, der auf den Erfolg eines Sendungshashtags Einfluss nimmt: Der einzige sendungsloyale Nutzer von „Bericht aus Berlin“ (rund 2 % aller Nutzer) Mathias König/Wolfgang König Media Perspektiven 5/2017 | 272

Social-TV-Hashtags darstellen kann. Das Tweet- 4) Vgl. König, Mathias/Wolfgang König: #Mythos Twitter. Verhalten zeigt eindeutig die Dominanz der Sen- Chancen und Grenzen eines sozialen Mediums (OBS- Arbeitspapier 24). Quelle: https://www.otto-brenner- dung „Anne Will“ gegenüber „Berlin direkt“/„Was shop.de/publikationen/obs-arbeitspapiere/shop/obs-­ nun, …?“ und die Ausschläge korrespondieren mit arbeitspapier-nr-24-mythostwitter.html (abgerufen am der Gruppe der gesamten Nutzer. Dies könnte dar- 6.5.2017). 5) Vgl. König, Mathias/Wolfgang König: Web 2.0 und der auf hindeuten, dass spezielle „Twitter-Fokusgrup- SPD-Mitgliederentscheid zur „GroKo“. Twitter-Kommu- pen“ einen aufwändigen Datenerhebungsprozess nikation als Qualitätsmerkmal digitaler Demokratie? der Gesamterhebung womöglich ersetzen könn- In: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft ten. Um dies genauer zu beleuchten, sind jedoch 2/2016, S. 151-178. 6) Vgl. http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/fileadmin/ weitere Untersuchungen über längere Zeiträume Onlinestudie_2016/Kern-Ergebnisse_ARDZDF-Online- hinweg notwendig. studie_2016.pdf (abgerufen am 3.5.2017). Zur Twitter- Nutzung von Onlinenutzern vgl. Koch, Wolfgang/Beate Frees: Dynamische Entwicklung bei mobiler Internet­ Motivationspotenzial Darüber hinaus deutet sich an, dass in Twitter nutzung sowie Audios und Videos. Ergebnisse der ARD/ von Privatpersonen durchaus Privatpersonen für politische Diskussio- ZDF-Onlinestudie 2016. In: Media Perspektiven 9/2016, möglicherweise nen begeistert werden können. Immerhin beteili- S. 418-437, hier S. 434 f. ­ereignisabhängig gen sich insgesamt an drei „Anne-Will“-Sendun- 7) Vgl. König, Mathias/Wolfgang König (Anm. 3). 8) Vgl. dies. (Anm. 4). gen 5 698 Nutzer. Inwieweit sich die Beteiligung zu 9) Quelle: AGF in Zusammenarbeit mit GfK, TV-Scope, Landtags- oder Bundestagswahlen, zum Beispiel Fernsehpanel (D+EU). bei TV-Duellen, verändert, ist eine relevante For- 10) Vgl. http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/ schungsfrage. schulz-effekt-spd-verbucht-mehr-als-10-000-neue- parteimitglieder/19465240.html (abgerufen am 2.5.2017). 11) Vgl. http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/abgesagte- Anmerkungen: auftritte-erdogan-wirft-deutschland-nazi-praktiken- vor-14910367.html (abgerufen am 6.5.2017). 1) Vgl. Thesenpapier zum öffentlichen Fachgespräch 12) Vgl. http://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ ­„Social Bots – Diskussion und Validierung von Zwi- bab/bab-3943~_bab-sendung-359.html (abgerufen am schenergebnissen“ am 26. Januar 2017 im Deutschen 10.5.2017). Bundestag. Quelle: http://www.bundestag.de/blob/ 13) Vgl. https://www.zdf.de/politik/berlin-direkt/berlin-­ 488564/4a87d2d5b867b0464ef457831fb8e642/ direkt-vom-12-maerz-2017-100.html (abgerufen am thesenpapier-data.pdf (abgerufen am 3.5.2017). 10.5.2017). 2) Vgl. http://www.horizont.net/medien/nachrichten/ 14) Vgl. http://www.ardmediathek.de/tv/Anne-Will/Minister- Bundestagswahlkampf-Wie-Merkel-Schulz-und-Co.-in- Gipfel-bei-ANNE-WILL-Welcher-W/Das-Erste/Video? den-sozialen-Medien-performen-146227 (abgerufen bcastId=328454&documentId=41406220 (abgerufen am 1.4.2017). am 10.5.2017). 3) Vgl. König, Mathias/Wolfgang König: Potenziale von 15) Vgl. AGF (Anm. 9). Twitter für Social TV. Fallstudie zu parallelen Nutzerak­ 16) Vgl. ebd. tivitäten bei Fernsehsendungen am Beispiel von ARD- 17) Vgl. ebd. „Tatort“ und RTL-„Dschungelcamp“ sowie politischen 18) Vgl. ebd. Themen. In: Media Perspektiven 11/2016, S. 557-569. 19) Vgl. http://daserste.ndr.de/annewill/archiv/Krise-­ zwischen-Berlin-und-Ankara-Wie-umgehen-mit-­ Erdoans-Tuerkei,diskussiontuerkei100.html (abgerufen am 10.5.2017). 20) Vgl. AGF (Anm. 9). 21) Vgl. http://daserste.ndr.de/annewill/Minister-Gipfel-bei- ANNE-WILL-Welcher-Weg-fuehrt-aus-der-Krise-mit- der-Tuerkei,annewill5116.html (abgerufen am 14.3.2017). 22) Vgl. AGF (Anm. 9). 23) Vgl. Wolf, Anna-Lena/Christopher Buschow/Beate Schneider: Die strategische Bedeutung von Social TV. Eine Untersuchung der Social-TV-Aktivitäten zu Sen- dungen im deutschen Fernsehen. In: Medien Journal, 3/2015, S. 30-43.