Protokoll-Nr. 19/18

19. Wahlperiode Ausschuss für Gesundheit

Wortprotokoll der 18. Sitzung

Ausschuss für Gesundheit Berlin, den 27. Juni 2018, 14.00 Uhr 10557 Berlin, Adele-Schreiber-Krieger-Straße 1 Marie-Elisabeth-Lüders-Haus Anhörungssaal 3 101

Vorsitz: Erwin Rüddel, MdB

Tagesordnung - Öffentliche Anhörung

Tagesordnungspunkt Seite 5 a) Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Kirsten Kap- Federführend: Ausschuss für Gesundheit pert-Gonther, Katja Dörner, Maria Klein-Schmeink, Mitberatend: weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS Auswärtiger Ausschuss 90/DIE GRÜNEN Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes Finanzausschuss (CannKG) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft BT-Drucksache 19/819 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung

b) Antrag der Abgeordneten Dr. Wieland Schinnen- Federführend: Ausschuss für Gesundheit burg, , Dr. Marie-Agnes Strack-

Zimmermann, weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der FDP Cannabis-Modellprojekte ermöglichen BT-Drucksache 19/515

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c) Antrag der Abgeordneten , Niema Movas- Federführend: Ausschuss für Gesundheit sat, , weiterer Abgeordneter und Mitberatend: der Fraktion DIE LINKE. Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Gesundheitsschutz statt Strafverfolgung – Für ei- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz nen progressiven Umgang mit Cannabiskonsum Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie BT-Drucksache 19/832 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung

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Mitglieder des Ausschusses Ordentliche Mitglieder Stellvertretende Mitglieder CDU/CSU Henke, Rudolf Albani, Stephan Hennrich, Michael Brehmer, Heike Irlstorfer, Erich Hauptmann, Mark Kippels, Dr. Georg Knoerig, Axel Krauß, Alexander Lezius, Antje Kühne, Dr. Roy Nüßlein, Dr. Georg Maag, Karin Pantel, Sylvia Monstadt, Dietrich Schummer, Uwe Pilsinger, , Stephan Riebsamen, Lothar Straubinger, Max Rüddel, Erwin Tiemann, Dr. Dietlind Schmidtke, Dr. Claudia Weiß (Emmendingen), Peter Sorge, Tino Zimmer, Dr. Matthias Zeulner, Emmi SPD Baehrens, Heike Bahr, Ulrike Bas, Bärbel Freese, Ulrich Dittmar, Sabine Katzmarek, Gabriele Franke, Dr. Edgar Lauterbach, Dr. Karl Heidenblut, Dirk Steffen, Sonja Amalie Mattheis, Hilde Tack, Kerstin Moll, Claudia Völlers, Marja-Liisa Müller, Bettina Westphal, Bernd Stamm-Fibich, Martina Ziegler, Dagmar AfD Gehrke, Dr. Axel Braun, Jürgen Podolay, Paul Viktor Hemmelgarn, Udo Theodor Schlund, Dr. Robby Oehme, Ulrich Schneider, Jörg Wildberg, Dr. Heiko Spangenberg, Detlev Wirth, Dr. Christian FDP Aschenberg-Dugnus, Christine Alt, Renata Helling-Plahr, Katrin Beeck, Jens Schinnenburg, Dr. Wieland Kober, Pascal Ullmann, Dr. Andrew Theurer, Michael Westig, Nicole Willkomm, Katharina DIE LINKE. Gabelmann, Sylvia Krellmann, Jutta Kessler, Dr. Achim Movassat, Niema Weinberg, Harald Vogler, Kathrin Zimmermann, Pia Wagner, Andreas BÜNDNIS 90/DIE Hoffmann, Dr. Bettina Dörner, Katja GRÜNEN Kappert-Gonther, Dr. Kirsten Kurth, Markus Klein-Schmeink, Maria Rottmann, Dr. Manuela Schulz-Asche, Kordula Rüffer, Corinna

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Die Anwesenheitslisten liegen dem Originalprotokoll bei.

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Beginn der Sitzung: 14.03 Uhr Fragen zum Umgang mit Cannabis haben uns bereits in der letzten Legislaturperiode sehr inten- Tagesordnungspunkt siv beschäftigt und wir haben sehr interessiert die Entwicklung auf internationaler Ebene beobachtet – a) Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Kirsten jüngst in Kanada und vor einiger Zeit in Uruguay. Kappert-Gonther, Katja Dörner, Maria Klein- Der heute anzuhörende Gesetzentwurf und die Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion zwei Anträge der Oppositionsfraktionen greifen das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thema erneut auf. Ihnen ist gemeinsam, dass sie Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes die Drogenpolitik im Bereich Cannabis als geschei- (CannKG) tert ansehen. Die Lösungsansätze sind aber sehr unterschiedlich. Während die Fraktion BÜND- BT-Drucksache 19/819 NIS 90/DIE GRÜNEN unter anderem vorschlägt, Cannabis aus den strafrechtlichen Regelungen des in Verbindung mit Betäubungsmittelgesetzes herauszunehmen und einen strikt kontrollierten Markt für Cannabis zu b) Antrag der Abgeordneten Dr. Wieland Schinnen- schaffen, fordert die Fraktion der FDP die Bundes- burg, Konstantin Kuhle, Dr. Marie-Agnes Strack- regierung auf, Grundlagen für die Genehmigung Zimmermann, weiterer Abgeordneter und der Frak- von Modellprojekten zur Erforschung der kontrol- tion der FDP lierten Abgabe von Cannabis zu schaffen. Die Frak- Cannabis-Modellprojekte ermöglichen tion DIE LINKE. möchte, dass von einer strafrecht- lichen Verfolgung bei Volljährigen abgesehen wird, BT-Drucksache 19/515 wenn der Besitz 15 Gramm Cannabis nicht über- schreitet. Ich freue mich auf die Diskussion und die in Verbindung mit Auseinandersetzung mit diesem Thema. Bevor wir in die Diskussion einsteigen, möchte ich c) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Niema einen kleinen Appell an die Zuschauer richten. Wir Movassat, Sylvia Gabelmann, weiterer Abgeordne- wissen, dass das Thema sehr emotional diskutiert ter und der Fraktion DIE LINKE. wird. Trotzdem bitte ich die Zuhörerinnen und Gesundheitsschutz statt Strafverfolgung – Für Zuhörer auf Meinungsäußerungen jeder Art zu ver- einen progressiven Umgang mit Cannabiskonsum zichten. Ich habe zudem noch einige Erläuterungen zum Anhörungsverfahren: Die Anhörung dauert BT-Drucksache 19/832 90 Minuten. Wir werden in einer festgelegten Rei- henfolge Fragen stellen. Die Reihenfolge richtet Der Vorsitzende, Abg. Erwin Rüddel (CDU/CSU): sich nach der Stärke der Fraktionen im . Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer Anhö- Es wird jeweils eine Frage von einem Abgeordne- rung zum Thema Cannabis. Ich denke, es ist heute ten an einen Sachverständigen gestellt. Nach ganz wichtig, dass wir pünktlich anfangen, damit 90 Minuten werde ich die Anhörung schließen. Ich wir nicht Gefahr laufen, dass die Anhörung noch bitte darum, dass die Fragen und Antworten mög- nicht beendet ist, wenn um 16.00 Uhr der Anstoß lichst kurz gehalten werden, damit wir viele Fragen zum WM-Spiel stattfindet. Ich freue mich, dass Sie und Antworten hören können. Ich bitte die Sach- als Sachverständige bei uns sind. Ich will die Parla- verständigen, bei der Beantwortung der Fragen das mentarische Staatssekretärin Sabine Weiss begrü- Mikrofon zu benutzen und Name und Verband zu ßen, die mit wenigen Minuten Verspätung zu uns nennen. Das erleichtert einerseits das Protokollie- kommen wird. Sie ist noch in der Fragerunde im ren. Andererseits können die Zuschauer auf der Plenum. Wir beschäftigen uns heute mit dem Tribüne und jene, die über andere Medien die Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anhörung verfolgen, besser nachvollziehen, wer NEN „Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes“, Fragen stellt und wer diese beantwortet. Ich darf dem Antrag der Fraktion der FDP „Cannabis- mich bei den Experten, die eine schriftliche Stel- Modellprojekte ermöglichen“ sowie dem Antrag lungnahme abgegeben haben, bedanken. Mobiltele- der Fraktion DIE LINKE. „Gesundheitsschutz statt fone dürfen nicht vom Vorsitzenden oder dem Sek- Strafverfolgung – Für einen progressiven Umgang retariat bemerkt werden. Werden sie bemerkt, mit Cannabiskonsum“. Meine Damen und Herren,

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müssen fünf Euro für einen guten Zweck gespendet festgestellt. Ebenso hat diese Kommission festge- werden. Ich weise darauf hin, dass die Anhörung stellt, dass international nochmals 16 bis 33 Pro- digital aufgezeichnet und zeitversetzt im Parla- zent der regelmäßigen Cannabis-User mindestens mentsfernsehen übertragen wird. Außerdem kann eine Episode eines Cannabis-Entzugssyndroms die Anhörung in der Mediathek des Deutschen erleben. Das erleben wir auch immer häufiger in Bundestages angesehen werden. Es wird ein Wort- der Klinik. Das heißt, dass die Patienten nach protokoll der Anhörung im Internet veröffentlicht. einem Konsumstopp oder einer Reduktion des Can- Damit habe ich jetzt alle Formalien vorgetragen nabiskonsums ein behandlungsbedürftiges, klini- und die erste Frage stellt Abg. sches Entzugssyndrom entwickeln können – wohl- von der CDU/CSU-Fraktion. gemerkt, meine Stellungnahme als Klinikerin bezieht sich natürlich auf die klinischen Aspekte und die klinischen Fälle. Die Beschwerden können Abg. Michael Hennrich (CDU/CSU): Ich richte dem Schrifttum nach zwei bis sechs Tage, aber meine Frage an die Einzelsachverständige Frau auch bis zu einem Monat anhalten, gegebenenfalls Prof. Dr. Havemann-Reinecke. Wie hoch schätzen auch länger, wie neue Untersuchungen zeigen. Vor Sie die Risiken des Missbrauchs und der Abhängig- etwa zehn Jahren war diese Form eines Cannabis- keit durch den Konsum von Cannabis als Genuss- Entzugssyndroms in dieser Weise noch nicht mittel ein und können Sie Aussagen über die aktu- bekannt. Vielleicht muss man zusätzlich erwähnen, elle Studienlage machen? dass, wenn wir von cannabisbezogenen Störungen sprechen, sehr häufig Alkoholabhängigkeitssyn- ESVe Prof. Dr. Ursula Havemann-Reinecke: Ich drome oder Störungen durch Tabakkonsum dazu- bin Professorin für Psychiatrie mit Schwerpunkt zurechnen sind, da die Patienten in der Regel nicht Suchtmedizin und Suchtforschung. Durch die For- nur von Cannabis, sondern auch von Alkohol und schungsergebnisse der NIDA, des National Institute Tabak abhängig sind. Nach internationalen Daten of Drug Abuse, hat sich herausgestellt, dass ca. sind das je nach Kollektiv 20 bis 34 Prozent. Nach zehn Prozent aller Cannabiskonsumenten über ihre Daten der Deutschen Suchthilfe ist das im ambu- Lebenszeit eine Cannabisabhängigkeit gemäß den lanten Setting durchaus die Hälfte der Patienten. internationalen Diagnosekriterien entwickeln. Zum Abschluss möchte ich noch darauf hinweisen, Diese Rate beträgt 17 Prozent, wenn der Can- dass mir zwei Dinge wichtig sind: erstens, dass die nabiskonsum in der Adoleszenz beginnt und 25 bis cannabisbezogenen Störungen, der Missbrauch und 50 Prozent, wenn Cannabis täglich konsumiert die Abhängigkeit in der Regel, d. h. bei 50 bis wird. In Europa und Deutschland sind cannabisbe- 90 Prozent aller cannabisabhängigen Patienten, mit zogene Störungen die häufigste Ursache für eine einer anderen psychischen Störung einhergehen. erste Suchtbehandlung. Der Hochrisikokonsum, Wir haben gegenwärtig nur wenige Kenntnisse über d. h. der tägliche Konsum, steigt, wie die Europäi- die Gründe der interindividuellen Unterschiede für sche Drogenbeobachtungsbehörde festgestellt hat. das Auftreten von cannabisbezogenen Störungen Dies trifft auch für Deutschland zu. Für die anstei- und die Risikofaktoren. Hier muss aus unserer genden Zahlen von cannabisbezogenen Störungen Sicht und aus Sicht der Wissenschaft und insbe- werden sowohl von der WHO als auch von der sondere der klinischen Wissenschaft noch wesent- Europäischen Drogenbeobachtungsbehörde der lich mehr geforscht werden. Wir können derzeit angestiegene THC-Konsum (Tetrahydrocannabinol) nicht vorhersagen, ob es den einen Menschen trifft verantwortlich gemacht. Dieser ist in Marihuana in und den anderen nicht. den letzten acht bis zehn Jahren von zwei Prozent auf neun bis 12 Prozent gestiegen, der THC-Gehalt Der Vorsitzende: Ich möchte nochmals auf das von Haschisch ist von ca. sieben Prozent auf 14 bis Besondere dieser Form der Anhörung hinweisen: 21 Prozent gestiegen. Es können natürlich, das Die Antwort geht immer zulasten der Fragezeit der betont besonders die WHO, auch andere, noch anderen Fraktionen, weil wir keinen Zeitblock nicht bekannte Substanzen in Cannabis für diese haben. Daran wollte ich nochmal erinnern. Damit Entwicklung verantwortlich sein. Das wurde 2018 keine Ungerechtigkeiten entstehen, sollte man sich in einer wissenschaftlichen Bewertung des Expert möglichst kurz fassen. Committee on Drug Dependence der WHO

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Abg. (SPD): Meine Frage geht an sind. Aufgrund der Deklaration kann ich als aufge- den Einzelsachverständigen Herrn Wimber. Canna- klärter Konsument selbst entscheiden, ob mir der bis ist die in Deutschland am meisten konsumierte Konsum eines Produkts gut tut. Das geht auf krimi- illegale Droge. Der illegale Beschaffungsmarkt wird nellen Märkten nicht. Wir haben, das ist, glaube von breiten Gesellschaftsgruppen genutzt und steht ich, auch bekannt, eine Verunreinigung der Wirk- in seiner jetzigen Form auch Kindern und Jugendli- stoffe mit Substanzen, die in der Tat gesundheitsge- chen uneingeschränkt zur Verfügung. Der Bund der fährdend sind. Das Resümee meiner Antwort ist: Deutschen Kriminalbeamten ist daher zu der Fest- Ich stimme der Stellungnahme des Vorsitzenden stellung gekommen, dass die derzeit praktizierte des Bundes Deutscher Kriminalbeamter zu. Verbotspolitik gescheitert ist. Wie bewerten Sie die deutsche Verbotspolitik im Hinblick auf die Gesichtspunkte Prävention, Schadensminimierung Abg. Prof. Dr. (AfD): Meine Frage geht und Stigmatisierung von Betroffenen? an den Einzelsachverständigen Prof. Dr. Thomasius. Die von Ihnen zitierte Studie von Hasin et al. aus dem Jahr 2015 kam zu dem Ergeb- ESV Hubert Wimber: Ich teile die Auffassung, Frau nis, dass in US-Bundesstaaten mit einem liberalen Abgeordnete, die in der Stellungnahme des Bundes Umgang mit Cannabis die Konsumentenzahlen bei Deutscher Kriminalbeamter zum Ausdruck kommt. Zwölftklässlern um 35 Prozent, bei Zehntklässlern Das ist sozusagen die generierte polizeiliche All- um 23 Prozent und bei Achtklässlern um 18 Pro- tagserfahrung im Umgang mit der Drogenszene. Wir zent höher lagen als in Bundesstaaten mit Restrikti- hatten seit Inkrafttreten der Prohibition 60 Jahre onen. Es scheint also die gesellschaftliche Akzep- Zeit, um zu beurteilen, ob die damals vom Bundes- tanz eine Rolle zu spielen. Was müsste Ihrer Mei- gesetzgeber intendierten Wirkungen des Betäu- nung nach in Deutschland unternommen werden, bungsmittelgesetzes wirklich gezogen haben. Die um einer zunehmenden Akzeptanz in der Gesell- gesetzlich intendierten Wirkungen waren erstens schaft entgegenzuwirken? In Bezug auf die gerade die Schadenslinderung, also Gesundheitsversor- geführte Diskussion, was würde sich durch die gung für die Konsumenten, und zweitens der Legalisierung für die Strafverfolgung bei an Jugend- Aspekt der Generalprävention, d. h. die Strafbe- liche abgegebenen Cannabis-Produkten ändern? wehrung. Sie sollte potenzielle User vom Gebrauch illegalen Drogen abhalten. 60 Jahre Erfahrung zei- gen, dass in der Tat keiner dieser vom Gesetzgeber ESV Prof. Dr. Rainer Thomasius: Ich bin Ärztlicher intendierten Zwecke erreicht wurde. Die gesund- Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des heitlichen Risiken für Cannabiskonsumenten beru- Kindes- und Jugendalters. Ich sehe vor allen Din- hen, trotz der Entwicklung zu erhöhten THC-Wer- gen drei ungünstige Auswirkungen einer eventuel- ten, weniger auf den Wirkstoffen der konsumierten len Legalisierung. Die von Ihnen zitierten Daten lie- Droge, als vielmehr auf dem Umstand, dass sie ßen sich durch eine Fülle weiterer Daten aus Schü- unter kriminellen Bedingungen erworben, d. h. auf leruntersuchungen ergänzen, die belegen, dass in einem kriminellen Markt bezogen werden müssen. europäischen und auch US-amerikanischen Län- Eine der Binsenweisheiten aus polizeifachlicher dern mit einer liberalen Cannabis-Politik bzw. mit Sicht ist, dass kriminelle Märkte keinen Jugend- einer Legalisierung, die Konsumzahlen gerade bei schutz kennen. In meiner langjährigen Erfahrung den 12- bis 17-Jährigen deutlich ansteigen. Durch als Polizeipräsident ist mir kein Dealer bekannt eine Legalisierung würde der ausgesprochen erfolg- geworden, der im Zweifel auf der Straße oder auf reiche cannabispolitische Kurs in Deutschland kon- dem Schulhof gefragt hat: „Wie alt bist du denn terkariert werden. Ich möchte darauf hinweisen, überhaupt?“ und der bei Zweifeln gesagt hat: dass die Europäische Beobachtungsstelle für Dro- „Zeige mir deinen Personalausweis.“ Das ist fernab gen und Drogensucht feststellt, dass es in anderen jeglicher Realität. Wir wissen auch, das ist der europäischen Staaten auf der einen Seite kaum so zweite wesentliche Punkt und die Folgewirkung wenige regelmäßige Cannabiskonsumenten gibt wie der Kriminalisierung, dass wir keinerlei Produkt- hierzulande, das sind 0,5 Prozent der Bevölkerung, kontrolle haben. Wir als Konsumenten sehen es in dass sich aber auf der anderen Seite gleichzeitig vielen Bereichen des täglichen Bedarfs als Selbst- kaum so viele Cannabiskonsumenten in Therapie verständlichkeit an, dass die Inhaltsstoffe deklariert befinden, wie das hier bei uns der Fall ist. Hier

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wird von der Europäischen Beobachtungsstelle der wird, hochkompetenter sein wird. Wie wir in den Cannabispolitik in Deutschland eine Bestnote aus- letzten Jahren beobachtet haben, wird der THC- gestellt. Drittens hätte eine Legalisierung oder eine Gehalt weiter ansteigen. Mit dem weiteren Anstieg starke Liberalisierung zur Folge, dass insbesondere des THC-Gehalts und den von Herrn Wimber die Kinder und Jugendlichen aus sozial schwachen genannten eventuellen Beimengungen sind die Kontexten, die mitunter in Wohngegenden mit Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung und ins- hoher Delikthäufigkeit und wenig elterlichem besondere für die jungen Menschen deutlich grö- Monitoring groß werden, die in ihrer Resilienzent- ßer. Für die jungen Menschen müssen wir konsta- wicklung ohnehin benachteiligt und deshalb stark tieren, dass wir einen in der Gesamtheit vielleicht suchtgefährdet sind, von einer Cannabis-Legalisie- nicht zu bemerkenden, aber in den Kurzzeitprä- rung durch die rasche Entwicklung einer Can- valenzen festzustellenden deutlichen Gebrauchsan- nabisabhängigkeit stärker betroffen werden wür- stieg haben. Dieser deutliche Gebrauchsanstieg geht den. Das würde die Spaltung unserer Gesellschaft damit einher, dass langfristige Störungen vor allen beim Aufwachsen weiter befördern. Insofern wäre Dingen im psychischen, psychotischen Bereich zu die Legalisierung ein sozial höchst ungerechter erwarten sind und dass langfristige, nicht rever- Akt. sible Störungen auftreten werden. Das beweist die Studienlage. Ich verweise hier auf Hoch et al. oder die CaPRis-Studie [Cannabis: Potential und Risi- Abg. (CDU/CSU): Ich habe eine ken]. Die langfristigen Folgen für die Entwicklung Frage an die Bundesärztekammer. Wie bewerten der jungen Menschen sind vor allen Dingen im psy- Sie die Risiken und möglichen Folgen einer Aus- chischen und psychosozialen Bereich eher negativ. weitung des Cannabiskonsums im Falle einer Lega- Wir haben mit einem Anstieg von Depressionen zu lisierung von Cannabis als Genussmittel? Bitte rechnen. Wir haben mit einem Anstieg von psycho- gehen Sie dabei insbesondere auf die Folgen eines tischen Erkrankungen zu rechnen und wir haben langfristigen Konsums ein. natürlich schlussendlich damit zu rechnen, dass es sicherlich zu einer Erhöhung der Kriminalität SV Erik Bodendieck (Bundesärztekammer (BÄK)): kommt. Langfristig gesehen fragen wir uns in der Ich bin Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sucht Tat, inwieweit eine Begründung für diese Entwick- und Drogen der Bundesärztekammer. Die Folgen lung darin liegen kann, dass durch die Freigabe der Legalisierung des Konsums von Cannabispro- gegebenenfalls die Kontrollpflichten des Staates dukten würden wir mit folgenden Worten beschrei- vernachlässigt werden. Das sehen wir aber nicht so. ben: Die Legalisierung des Konsums von Cannabis- Der Schwarzmarkt wird bleiben und muss kontrol- produkten hat an erster Stelle eine weitere Ver- liert werden. Es muss kontrolliert werden, ob harmlosung dieses hochkomplexen und hochprob- Jugendliche Cannabis konsumieren. Wir müssen lematischen Stoffes zur Folge. Diese weitere Ver- weiterhin kontrollieren, ob es im Bereich der Fahr- harmlosung führt am Ende dazu, dass Jugendliche tauglichkeit und in anderen Einzelbereichen zu und Heranwachsende leichter zu einem Cannabis- Verfehlungen kommt. Schlussendlich können wir Keks greifen oder sich am Joint des Vaters oder der aber, und das ist genau der Punkt, den wir kritisie- Mutter bedienen. Das Problem ist, dass wir nicht ren, all diese Kontrollen nicht mehr durchführen, sehen, dass der Schwarzmarkt damit ausgetrocknet weil wir nicht wissen können, wer Cannabis legal werden kann. Der Drogendealer wird nicht einfach erworben hat und wer nicht. Es kommt zu einer nach Hause gehen, er wird auch nicht einfach Vermischung des Marktes, die letzten Endes die andere Arbeiten aufnehmen, sondern er wird sich stringente Trennung zwischen verbotenen und frei- weiter finanzgetriggert in diesem Bereich bewegen. gegebenen Substanzen aufhebt. Wir bemühen uns Er wird möglicherweise seinen Schwerpunkt auf seit Jahren mit einigem Erfolg um die Reduktion die im Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des Tabakkonsums. Der Tabakkonsum würde wie- NEN beschriebenen Jugendlichen und Ausgegrenz- der ansteigen, weil Tabak letzten Endes benutzt ten oder auszugrenzenden Jugendlichen legen und werden muss, um einen Cannabis-Joint zu rauchen. verstärkt an die Schulen gehen und dort entspre- chendes Material verteilen. Das ist der eine Punkt. Abg. Dr. (FDP): Ich habe Der zweite Punkt ist, dass das Material, das verteilt eine Frage an Herrn Dr. Konrad Cimander. Welche

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gesundheitlichen Risiken werden durch die bishe- veröffentlicht, in dem ein Ende der repressiven rige Politik und insbesondere dadurch, dass Konsu- Cannabis-Politik gefordert wird. Sie haben viele menten in den Schwarzmarkt gedrängt werden, Argumente genannt und insbesondere infrage verursacht? gestellt, ob die Strafrechtsandrohung im Betäu- bungsmittelrecht möglicherweise mit unserer Ver- fassung nicht vereinbar ist. Inwiefern hat sich aus ESV Dr. Konrad F. Cimander: Ich bin niedergelas- Ihrer Sicht die Sachlage seit dem Cannabis- sener Allgemeinmediziner und Leiter des Kompe- Beschluss von 1994, in dem das Verbot grundsätz- tenzzentrums Suchtmedizin und Infektiologie in lich als verfassungsgemäß erachtet wurde, geän- Hannover. Seit 25 Jahren behandeln wir in unse- dert? rem Zentrum tausende von Patienten auf dem Gebiet der illegalen Drogen. Wir haben gesehen, dass gerade Cannabis für viele Drogenpatienten ESV Prof. Dr. Lorenz Böllinger: Ich bin Professor eine der Hauptdrogen ist. Im niedergelassenen für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bereich sehen wir allerdings in der praktischen Bremen. Zu der Frage möchte ich wie folgt Stellung Umsetzung der Suchtmedizin Cannabis als nicht nehmen: Zunächst die Quintessenz dessen, was die sehr problematisch an. Zumal Cannabis auch sehr Strafrechtsprofessorinnen und -professoren mit ih- positive Effekte auf andere Bereiche von somati- rer Resolution von 2013 meinten – inzwischen sind schen Störungen, die diese Patienten häufig zeigen, es noch einige mehr geworden und viele, die sich haben kann. Das Problem ist: Wenn wir diese Pati- früher nicht geäußert haben, würden wahrschein- enten weiterhin in den illegalen Markt treiben, hat lich inzwischen auch dafür stimmen: Das Straf- das immense Folgewirkungen. Wir haben das in recht kann in diesem Bereich nicht wirken. Es kann den letzten 25 Jahren intensiv getan. Es kam zu tau- aus systematischen Gründen nicht wirken. Es gibt senden von Strafverfahren gegen meine Patienten keine Möglichkeit, den Konsum von Cannabis, der und zu hunderten von Jahren Haft nur in unserem von tiefenpsychologisch zu analysierenden Moti- Kompetenzzentrum durch Beschaffungskriminali- ven getragen ist, von gruppendynamischen Prozes- tät, durch Beschaffung von Cannabis oder natürlich sen gefördert und von altersspezifischen Adoles- auch weiterer Drogen mit immensen Folgewirkun- zensproblemen geleitet wird, einzudämmen. Die gen sowohl für die Patienten als auch für die Abschreckung funktioniert schlichtweg nicht. Das Gesellschaft. Die Patienten wurden inhaftiert und ist ein empirischer Fakt, der über die letzten bekamen in der Regel nicht die adäquate suchtme- 60 Jahre zu beobachten ist, Herr Wimber hat das dizinische Behandlung, die sie in Deutschland bereits angesprochen. Man muss sagen, Abschre- ambulant erhalten. Das ist ein Faktor, der aber ckung kann aus heutiger wissenschaftlicher Sicht nicht weiter diskutiert werden soll. Wir sehen nicht wirken. Inzwischen sind sehr viele wissen- natürlich in der illegalen Beschaffung gerade von schaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Cannabis, das sage ich auch als Chemiker, die Praxis dazugekommen. Man kann mit Angst und Nichtkontrollierbarkeit der Qualität von Cannabis. Drohungen nicht abschrecken und damit eine von Es wird häufig durch synthetische Stoffe, durch einer tief innerlichen und aus der individuellen Cannabinoide oder andere Stoffe angereichert, die Psyche resultierende Motivation beeinflussen. Aber in ihrer Wirkung ganz schwer einzuschätzen und das Zentrale der Resolution war, dass ein Verbot extrem schwer zu behandeln sind. Die Illegalität aus verfassungsprinzipiellen und strafrechtstheore- von Cannabis für abhängige Patienten, ich spreche tisch basalen Gründen nicht bestehen dürfte. Wir jetzt als Suchtmediziner, ist ein Riesenproblem und müssen berücksichtigen, dass die klinische Sicht, wird bei Aufhebung dieser Illegalität für viele hun- die hier verschiedentlich zum Ausdruck gekom- derttausend Patienten weiterhin ein großes Prob- men ist, sicherlich sehr ehrenwert ist, wenn tat- lem bleiben. sächlich zehn Prozent der Konsumenten diese schwerwiegenden Probleme haben. Das ist ein gra- vierender Faktor. In deutschen Untersuchungen ist Abg. Niema Movassat (DIE LINKE.): Ich möchte gesichert eigentlich nur von fünf Prozent die Rede. meine Frage an Prof. Dr. Böllinger richten. Herr Dr. Aber akzeptieren wir die Erkenntnisse aus den Böllinger, Sie hatten gemeinsam mit 121 anderen USA, dass zehn Prozent der Konsumenten, insbe- Strafrechtsprofessoren 2013 einen Aufruf sondere junge Menschen, Probleme haben. Es ist

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sicherlich sehr ehrenwert, dafür zu kämpfen, dass anderen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als obers- diese Probleme reduziert werden. Aber das Straf- tem Prinzip der Verfassung. Wir haben die Dogma- recht ist und bleibt das ungeeignete Mittel. Das tik des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Verfas- muss man sich immer wieder vergegenwärtigen. sungsrecht fixiert. Es gibt drei Aspekte, die bei Verfassungsrechtlich muss man sehen, dass hier einem staatlichen Eingriff in die Freiheitsrechte zu ein anderer Problembegriff, ein gewissermaßen nor- untersuchen sind: Geeignetheit, Erforderlichkeit mativer Problembegriff gilt. Das Strafrecht und das und Proportionalität. Zur Geeignetheit habe ich Verfassungsrecht sind Abwägungsrechte. Die schon vorangestellt, dass eine Abschreckungswir- Rechtsgüter, die verletzt sein müssen, damit Straf- kung schlichtweg nicht funktioniert, entgegen den recht legitim ist, müssen einen erheblichen Schwe- Annahmen, die hier von den Klinikern ehrenwert- regrad an Verletzung aufweisen. Es muss nachweis- erweise vorausgesetzt werden. Sie haben nur keine bar sein, dass eine Fremdschädigung vorliegt, dass Ahnung von Kriminologie, das muss ich leider das individuelle Verhalten anderer in einer erhebli- sagen. Wenn man die kriminologischen Untersu- chen Weise beschädigt und dass diese Fremdschä- chungen anschaut, sieht man, dass die Abschre- digung auch zu verantworten ist, d. h. dass sie von ckung aus verschiedenen Gründen erstens nie einem Ursachenverhalten, von Verantwortung gewirkt hat und zweitens auch nicht wirken kann, getragen sein muss. Das ist im Bereich Cannabis so insbesondere unter den heutigen gesellschaftlichen einfach nicht aufrechtzuerhalten. Es ist ein einzig- Bedingungen. Das Strafrecht hat aber nicht nur artiger Fall. Ein Verhalten wird paternalistisch mit keine positive Wirkung, sondern es hat kontrapro- Bevormundung bestraft, obwohl es eigentlich nur duktive Auswirkungen, die von Herrn Wimber selbstschädigend ist. Die Hilfskonstruktion des angesprochen wurden und vielleicht noch weiter Gesetzgebers, dass das Verhalten die Volksgesund- zur Sprache kommen. Die zentrale Schädigung ist heit schädigt, ist heutzutage nicht mehr aufrechtzu- der Schwarzmarkt. Dieser wird aber durch die Kri- erhalten. Es ist zu diffus. Man müsste dann auch minalisierung erst erzeugt. Er würde sicher nicht Alkoholkonsum, Zuckerkonsum und alle mögli- völlig verschwinden, wenn man Legalisierungs- chen Verhaltensweisen bestrafen, weil sie die maßnahmen ergreift. Aber er würde mit Sicherheit Volksgesundheit schädigen. Es ist und bleibt ein reduziert. Zudem würde ein langfristiger Prozess in selbstschädigendes Verhalten, wenn überhaupt nur Richtung bessere Kontrollierbarkeit und zugunsten bei diesen zehn Prozent von Selbstschädigung eines besseren Jugend- und Verbraucherschutzes in gesprochen werden kann. Aber, wie gesagt, das ist die Wege geleitet, wenn man diese Hürde des Straf- ein normativer Schadensbegriff, ein normativer rechts verändern würde. Das heißt nicht, dass man Begriff eines Sozialproblems. Es müssen die Frei- völlig auf das Strafrecht verzichtet. Auch der heit des Bürgers und die Freiheit, sich selber zu Jugendschutz und der Verbraucherschutz müssen schädigen, die grundsätzlich von unserem Men- unter Umständen flankierend, letztlich mit Straf- schenbild im Grundgesetz vorausgesetzt wird, rechtsnormen abgesichert werden. Aber die zent- gegen die Schäden, die im Sinne von Fremdschädi- rale Norm, das Verbot von Besitz, muss entfallen, gung passieren können, abgewogen werden. Diese um endlich eine bessere Gesundheitsförderung und Fremdschädigung gibt es schlichtweg nicht. Sie ist Schutzfunktion des Staates für die Konsumenten aber die Voraussetzung für die strafrechtliche Ahn- zu erreichen. Man muss sich in Erinnerung rufen, dung eines Verhaltens. Deswegen hätten der Can- ein zentrales Verbot … nabiskonsum und -besitz nie unter Strafe gestellt werden dürfen. Es ist ganz wichtig, sich das immer wieder in Erinnerung zu rufen. Deshalb sehen Der Vorsitzende: Wir haben bereits ein Drittel der heute viele Strafrechtsprofessorinnen und -profes- Anhörungszeit verbraucht … soren das als strafrechts- und verfassungswidrig an. Man muss im Sinn behalten, dass zwei essentielle ESV Prof. Dr. Lorenz Böllinger: Nur noch ein Wort: Prinzipien des Verfassungsrechts verletzt sind: Der Staat darf seine Bürger nicht schädigen und das Zum einen das Gleichheitsprinzip – ich sprach findet aktuell statt. schon den Alkohol und möglicherweise andere Formen von Abhängigkeitsverhalten an – und zum

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Der Vorsitzende: Die Chance, dass man ein zweites zung ist so, dass einige Zuchtlinien tatsächlich psy- Mal mit einer Frage und einer Beantwortung aufge- chose- und angstauslösend sein können. Das kön- rufen wird, steigt, wenn die Frage kurz beantwortet nen die Konsumenten aber vor der Einnahme nicht wird. Wir haben insgesamt rund fünfzig Fragen wissen. Das heißt, wir haben in den letzten 20 Jah- vorbereitet. Wenn Sie alle sich kurz fassen, kom- ren beobachten und feststellen können, dass unter men viele Aspekte zur Geltung. Die nächste Frage dem Strich mehr Schaden als Nutzen entstanden stellt Frau Dr. Kappert-Gonther von der Fraktion ist. Das war in diesem Umfang bis vor 20 Jahren, Die Grünen. Frau Prof. Dr. Havemann sagte, bis vor zehn Jahren, auch in den klinischen Abteilungen nicht bekannt. Das ist ungefähr die Zeit, die benötigt wurde, bis Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/ der Schwarzmarkt die neuen Zuchtlinien entwi- DIE GRÜNEN): Ich frage Herrn Meyer-Thompson. ckelt hat. Wie die Schäden zu beurteilen sind, Wie bewerten Sie als Suchtmediziner den Unter- haben vor drei Jahren Prof. Dr. Thomasius und schied der potenziellen Gefährdung durch Canna- Frau Hoch sehr deutlich und sehr prägnant formu- bis unter den Bedingungen der Prohibition und des liert. Ich zitiere aus dem Deutschen Ärzteblatt von Schwarzmarktes, also den aktuellen Bedingungen, 2015: „Empirisch mittlerweile sehr gut belegt ist, zur Gefährdung unter den Bedingungen einer kon- dass biografisch früher hochdosierter, langjähriger trollierten Freigabe von Cannabis? Wie bewerten und regelmäßiger Cannabisgebrauch das Risiko für Sie unter der Zielstellung eines bestmöglichen unterschiedliche Störungen der psychischen und Gesundheits- und Jugendschutzes die vorliegenden körperlichen Gesundheit und der altersgerechten politischen Anträge? Entwicklung erhöht.“ Also, kurzgefasst, je früher, desto stärker und je regelmäßiger, umso gefährli- ESV Hans-Günter Meyer-Thompson: Ich komme cher. Aber weder die Ärzte in dieser Veröffentli- aus Hamburg und bin Arzt und Suchtmediziner. chung noch die CaPRis-Studie des Bundesministe- Die Drogenbeauftragte, Frau Abg. Mortler hat ges- riums für Gesundheit vom vergangenen Jahr beant- tern in einer Erklärung zum Weltdrogentag den worten eigentlich die Frage: Wie ist es bei Erwach- Satz geprägt: „Das Cannabis von heute hat mit der senen mit ausgereiften Gehirnen und kontrollier- vergleichsweise schwachen Droge von vor 20 Jah- tem, moderaten Konsum? Für diese Gruppe von ren wenig gemein.“ Vor 20 Jahren hieß es in einer Konsumenten darf mit Fug und Recht behauptet Expertise des Bundesministeriums für Gesundheit, werden, dass der Schaden, verglichen mit anderen ich zitiere: „Die Konsequenzen des Cannabiskon- zugelassenen illegalen wie legalen Drogen, ver- sums haben sich als weniger dramatisch und gleichsweise gering ist. Ich sage nicht, dass der gefährlich erwiesen, als dies überwiegend noch Konsum harmlos ist, ich sage nicht, dass er angenommen wird. Die akute Toxizität ist gering, unschädlich ist, sondern ich stelle einen Vergleich tödliche Überdosierungen sind bisher nicht an und sage, er ist weniger schädlich. Trotzdem bekannt geworden.“ Man hat damals nicht die Kon- werden zehn Prozent, vielleicht mehr, vielleicht sequenz gezogen und überlegt, wie man eine Form weniger, der Konsumenten in ein problematisches von Kontrolle herstellen kann, die so wenig wie Muster oder sogar in ein abhängiges Muster gera- möglich schädlich ist, sondern hat an dem strikten ten. Das heißt aber auch, bei 90 Prozent wird das Verbot festgehalten. Man hat auch das Urteil des nicht der Fall sein. Das sind Menschen wie Sie und Bundesverfassungsgerichts nicht umgesetzt. Die ich, Erwachsene mit Familie, mit Ausbildung, mit Auswirkungen zeigen sich tatsächlich heute bis in Beruf, steuerzahlend, arm und reich. Deren einziger die Suchtmedizin, die -beratung und -therapie hin- Unterschied ist, dass ihr Vergnügen darin besteht, ein. Verschiedene Vorredner und Vorrednerinnen gelegentlich oder einmal im Jahr, Cannabis zu kon- haben es bereits angedeutet: Erstens haben wir sumieren. So gerechnet sind es drei Millionen heutzutage mehr Konsumenten, die Hilfe benöti- Menschen oder noch einige mehr, die weiterhin gen. Wir haben inzwischen auf einem Schwarz- kriminalisiert und in die Nähe des Wahnsinns markt eine Substanz, die sich hinsichtlich der gerückt werden. Das ist völlig absurd. Es weiß auch Stärke zu den früheren Produktionen wie beispiels- jeder, dass das völlig absurd ist. Aber es ist die weise Portwein zu Sekt verhält. Die Zusammenset- Begründung dafür, diesen Menschen, d. h. einer großen Gruppe von Konsumenten, die damit völlig

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unproblematisch umgeht, weiterhin den Konsum Raum, z. B. in der Schweiz und in Portugal. Diese zu verbieten, um die Jugend zu schützen. Die Zah- Länder haben gesagt: „Cannabis bleibt weiter ille- len zeigen aber, dass das nicht funktioniert hat. Der gal, das entspricht auch den internationalen Geset- Markt hat Produktionsergebnisse gezeigt. Sie haben zen. Aber wir stufen den Konsum von der Strafbar- heute auch in Kleinstädten keine Versorgungsprob- keit auf eine Ordnungswidrigkeit herab. Dann kön- leme. Die Versorgung funktioniert in den ländli- nen wir das mit Bußgeldern belegen und diejeni- chen Regionen unkompliziert. Das Verbot bedeutet gen, die erwischt werden, verpflichten, sich bera- aber auch, dass in der Beratung, beispielsweise in ten zu lassen, Hilfe in Anspruch zu nehmen oder Schulen, kaum differenziert dargestellt oder gar was auch immer“. Das wäre ein Kompromissvor- vermittelt werden kann, dass so konsumiert wer- schlag. Ich hoffe, man kann darüber weiter disku- den sollte, dass möglichst wenig Schaden entsteht. tieren. Denn ein Elternratsmitglied sagt sofort: „Das ist Verharmlosung. Das ist Propaganda. Das geht so nicht!“. Das Verbot verhindert auch, dass beispiels- Abg. (SPD): Meine Frage geht an weise die Bundeszentrale für Gesundheitliche Auf- Herrn Dr. Gaßmann. Neben den derzeit gemachten klärung Ratgeber mit dem Tenor: „Wenn Sie denn Erfahrungen im Ausland verfügen wir in der Bun- konsumieren, dann vermeiden Sie möglichst diese desrepublik eigentlich über keine Erfahrungen im Schäden“, wie es bei Alkohol und Zigaretten längst Umgang mit Cannabis als Genussmittel. In einem üblich und erfolgreich ist, herausgeben kann. Drit- der Anträge geht es auch um die Frage der Einrich- tens wissen wir wegen der Illegalisierung nach wie tung von Modellprojekten. Die DHS [Deutsche vor nicht, welche Substanzen in Deutschland auf Hauptstelle für Suchtfragen e. V.] hat sich ebenfalls dem Markt sind, was eigentlich passiert und wie dafür ausgesprochen. Könnten Sie diese Forderung sich das entwickelt. Wir können keine Frühwar- begründen und vielleicht kurz die Mindestanforde- nung herausgeben. Das ist äußerst misslich. Das rungen für solche Projekte benennen? heißt, auch aus suchtmedizinischer und beratungs- therapeutischer Sicht glaube oder behaupte ich, ESV Dr. Raphael Gaßmann: Wir hatten gestern am dass man zumindest die Frage stellen muss, ob die 26. Juni, es ist schon erwähnt worden, den Welt- weitere Kriminalisierung nützlich ist. Den Vor- drogentag. Zum Weltdrogentag mussten wir fest- schlag der FDP, Modellversuche zu starten, um stellen, das haben Sie auch in der Presse als offizi- endlich einen Überblick zu erhalten und um eine elle Veröffentlichung gelesen, dass die Can- solch rasche Entwicklung, wie jetzt in den USA in nabiskonsumzahlen gerade in der problematischen einzelnen Bundesstaaten zu beobachten ist, zu ver- Gruppe der 18- bis 25-Jährigen deutlich gestiegen hindern, halte ich für sinnvoll. Das Zweite ist, was sind. 2016 haben 16,8 Prozent konsumiert, 2008 die Linke vorschlägt: Ja, es muss darauf hinauslau- waren es 11,6 Prozent. Das ist ein enormer Anstieg fen, dass erwachsenen Menschen der Konsum und ein echtes Problem unter den Rahmenbedin- nicht mit der Begründung, Jugendliche können gungen der gegenwärtigen juristischen Regulierun- gefährdet werden, verboten wird. Denn das hat bis- gen, die sich in diesen Jahren nicht geändert haben. her unter illegalen Bedingungen auch nicht funkti- Die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklä- oniert. Das, was die Grünen vorschlagen, ist letzt- rung sagt dazu: „Es bleibt weiterhin wichtig, über lich der konsequente Schritt zu sagen, weil der ille- die gesundheitlichen Risiken des Cannabiskon- gale Markt die Regie übernommen und Politik, Jus- sums zu informieren.“. Das ist sicher richtig, kann tiz sowie Polizei und letztlich auch die Medizin in aber nicht die ganze Antwort sein. Wir haben die die Defensive gedrängt hat, muss der Staat die Kon- Situation, dass sich das Bundesverfassungsgericht trolle wieder übernehmen. Weil nur dann tatsäch- 1993 zu Cannabis eindeutig geäußert und damit die lich Jugend- und Verbraucherschutz funktionieren Frage, ob es ein Recht auf Rausch gibt, beantwortet kann, und zwar besser als auf dem illegalen Markt. hat. Eine sehr theoretische Frage, die inzwischen Wir wissen, dass es funktioniert, weil weniger nicht mehr diskutiert wird. Aber vieles andere, das Jugendliche rauchen und auch das Rauschtrinken sich aus diesem Urteil ergab, ist bislang unberück- zurückgegangen ist. Es gibt neben den drei Vor- sichtigt geblieben. Vor allem der Auftrag, die schlägen, die hier als Anträge oder Gesetzesvor- gegenwärtige Cannabis-Politik und -Situation zu schlag vorliegen, Entwicklungen im europäischen evaluieren, also zu schauen, zu welchen Folgen das

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Gesetz und die Rechtspraxis führen, ist bis heute Unsere Forderung nach Modellprojekten begründet nicht erledigt. Ein Auftrag, den das Verfassungsge- sich damit, dass wir etwas tun und Erfahrungen richt vor ca. 25 Jahren ausgesprochen hat. Vor gewinnen müssen. Die gegenwärtige Situation 15 Jahren, 2003, hat die Deutsche Hauptstelle für nutzt Niemandem, weder den Konsumierenden Suchtfragen ein Buch mit dem Titel: „Cannabis – noch den Nichtkonsumierenden, zumindest gibt es Neue Beiträge zu einer alten Diskussion“ herausge- dafür keinen Beleg. Das sage ich nicht aus einer bracht. Es ist inzwischen vergriffen. Alles, was einzelnen Expertise heraus, sondern das ist eine darin steht, wird heute noch mit denselben Argu- Feststellung der EBDD [Europäischen Beobach- menten diskutiert. 2012 hatten wir in diesem Aus- tungsstelle für Drogen und Drogensucht], die sie in schuss eine Anhörung mit mindestens 50 Prozent ihrem Jahresbericht 2011 getroffen hat, und die ich der hier versammelten Expertinnen und Experten, 2012 vorgestellt habe. Geänderte juristische Situati- die damals in derselben Funktion waren und von onen in den EU-Ländern, sei es eine Verschärfung denselben Fraktionen berufen worden waren. Es der Cannabis-Gesetzgebung oder eine Entspannung, wurden dieselben Argumente ausgetauscht. Es hat führen zu keinen feststellbaren Veränderungen sich überhaupt nichts geändert. Früher wurde ein- beim Konsum. Er geht mal rauf, mal runter oder mal von einem Cannabis-Flashback gesprochen, bleibt mal gleich. Dr. Roland Simon, bis vor ein den es angeblich gab, der aber bis heute nicht oder zwei Jahren hochrangiger Mitarbeiter der belegt ist und den es wohl auch nicht gibt. Aller- EBDD, hat vor zwei oder drei Jahren in einem viel- dings ist die heutige Anhörung ein Flashback für beachteten Beitrag festgestellt, dass in Deutschland uns Experten. Im Ausland gibt es derzeit eine ganze die Situation stagniert und dass das nicht so blei- Menge an Erfahrungen. Erfahrungen gibt es seit ben kann, sondern dringende Änderungen erforder- Jahrzehnten in den Niederlanden, und heute in lich sind. Über diese Änderungen müssen wir Uruguay, in Spanien, in Portugal und in vielen US- selbstverständlich reden. Die Modellprojekte könn- Bundesstaaten. Sie haben gesagt, außer über diese ten Antworten geben. Sie haben nach den Mindest- Erfahrungen verfügt die Bundesrepublik über keine anforderungen gefragt. Ich sage, lasst uns aus den Erfahrungen. Ich beklage zunächst, dass die auslän- Fehlern lernen. Auch hier haben wir Erfahrungen. dischen Erfahrungen überhaupt nicht ernsthaft Aus den Fehlern lernen heißt, dass wir natürlich betrachtet und gewürdigt werden. Wir würdigen einen funktionierenden Jugendschutz benötigen. nicht, dass z. B. in den Niederlanden, einer mit Der Jugendschutz funktioniert beim Alkohol nicht, Deutschland vergleichbaren Gesellschaft, wir müs- weil nicht anständig überwacht und nicht anstän- sen nicht nach Übersee gehen, seit Jahrzehnten dig sanktioniert wird. Sie können so oft wie Sie eine andere rechtliche Situation besteht. Wir wollen in denselben Tankstellen, Geschäften oder berücksichtigen auch nicht, dass in den Niederlan- Supermärkten kontrollieren. In Niedersachsen den der Konsum sowohl der älteren als auch der geschieht das behördlicherseits, in jedem dritten jüngeren Erwachsenen, der natürlich kritisch ist Fall wird der Jugendschutz gebrochen. Warum? Es und sein kann, einige Jahre etwas über und einige gibt keine Sanktionen. Eine Sanktion wäre ganz Zeit etwas unter dem Konsum in Deutschland lag einfach: Den Verkauf zu untersagen. Es gab eine und liegt. Das schwankt. Wir müssen dringend Diskussion zu den Cannabis-Sozialklubs in Spa- etwas tun. Ich gehe davon aus, dass alle versam- nien. Dem Modell wurde vorgehalten, es sei ein melten Expertinnen und Experten dieser Ansicht Sozialklub wegen des Verstoßes gegen den Jugend- sind. Auch die Regierungen der letzten Legislatur- schutz geschlossen worden. Hier funktionierte der perioden waren dieser Ansicht, da sie sich ansons- Jugendschutz. Das Geschäft oder das Lokal ist ten nicht immer wieder mit diesem Thema beschäf- geschlossen worden. Das ist wunderbar. Wir brau- tigt hätten. De facto aber hat sich überhaupt nichts chen einen Jugendschutz, d. h. keinen Verkauf an geändert. Selbst der Auftrag des Bundesverfas- unter 18-Jährige. Wir brauchen eine Begrenzung sungsgerichts von 1993, die Grenzwerte des gering- der Abgabemengen, d. h. nicht jeder kann zu jeder fügigen Konsums zu vereinheitlichen, ist bis heute Zeit jede gewünschte Menge kaufen. Wir brauchen nicht erledigt. 25 Jahre später gibt es immer noch eine Begrenzung der Verfügbarkeit, d. h. man kann völlig uneinheitliche Grenzwerte. Zwischendurch nicht rund um die Uhr an jeder Ecke kaufen. Das gab es einen Versuch der Länder, der ist aber sind alles Dinge, die in Deutschland beim Alkohol gescheitert. Das ist 15 Jahre her. Jetzt zu der Frage: problematisch sind. Bei den Zigaretten ist es

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besser, darum wird weniger geraucht. Wir brau- waren, bevor sie zu uns kamen, gefragt: „Stellt euch chen natürlich keine Werbung. Das definitiv beste vor, es kommt ein neuer Player in den Markt, der am gegenwärtigen Betäubungsmittelgesetz ist das verkauft Cannabis in Fachgeschäften.“. Ich habe die Verbot von Werbung für illegale Drogen. Wir brau- von Dr. Gaßmann genannten Voraussetzungen chen Preise, die nicht extrem niedrig sind, d. h. sie beschrieben: „Es gibt ganz feste Zeiten, an denen sollen nicht taschengeldkompatibel sein und natür- verkauft wird. Es gibt ganz bestimmte Produkte, die lich brauchen wir zusätzlich eine Überwachung der verkauft werden mit ganz bestimmten prozentualen Produktqualität. Wir haben Millionen Konsumie- Wirkstoffen. Es wird ganz streng auf den Jugend- rende, egal ob sie ein Mal im Jahr oder zehn Mal schutz geachtet und man kann nur ganz bestimmte am Tag konsumieren. Diese sind einem Produkt- Mengen kaufen.“. Die 17-jährige Eva, sie hat ihren markt ausgeliefert, auf dem sie nicht wissen, was Konsum mit dem Cannabis-Verkauf an der Schule sie kaufen. Nicht nur der THC-Gehalt hat sich ver- finanziert, sagte dazu: „Das ist für mich kein Prob- ändert, sondern auch die Beimengungen. Blei, Glas lem. Ich wende mich mit meinem kleinen Geschäft und so weiter sind Bestandteile, die gesundheits- an die Jüngeren und verkauf es an sie. Außerdem schädlicher sind als Cannabis an sich. Und wir bringe ich noch Chemie in die Schule mit.“. Damit brauchen eine wissenschaftliche Evaluation. meinte sie Crystal und Ecstasy. Also, wenn die 17- jährige Eva auf die Idee kommt, wie man diesen Abg. Alexander Krauß (CDU/CSU): Ich möchte Plan umgehen kann, dann wundere ich mich, wie eine Frage an den Einzelsachverständigen insbesondere die Fraktion der FDP, die doch von Herrn Wicha stellen. Die drei Initiativen zielen Marktwirtschaft eine Ahnung haben sollte, das darauf ab oder geben als vermeintliches Ziel an, nicht verstehen kann. Ich habe noch mehr Klienten durch die kontrollierte Abgabe von Cannabis als befragt. Ich habe einen Klienten gefragt, der schon Genussmittel gesundheitliche Gefahren zu vermin- viel länger im Geschäft ist und der sehr viel profes- dern. Was halten Sie von dieser Argumentation? sioneller als die 17-jährige Eva arbeitete. Dieser hat geantwortet: „Dann muss ich erstens mein Portfolio ausweiten. Zweitens muss ich meine Zielgruppen ESV Uwe Wicha: Ich bin Leiter einer Fachklinik anders ansprechen und ich muss preiswerter wer- zur Behandlung von Abhängigkeitskranken. Es geht den als das Fachgeschäft und dabei Cannabis mit um Menschen, die von illegalen Drogen, auch Can- höherem Wirkstoffgehalt anbieten. Also bei mir nabis, abhängig sind. Das ist ein Teil unserer Pati- kriegt man dann zukünftig mehr für weniger entenschaft, der in den letzten Jahren deutlich Geld.“. Meine Damen und Herren, damit haben Sie anwächst. Ich kann die meisten der Lösungen, die nicht gewonnen. Ich habe noch einen Dritten sich die Befürworter einer Legalisierung erhoffen, befragt. Er hat gesagt: „Das ist eine super Sache. Ein nicht sehen. Dieser Schritt wird kein Problem solches Fachgeschäft gibt mir die Möglichkeit, lösen, welches Sie glauben, damit lösen zu können. wenn ich davor stehe, die Menschen zu identifizie- Der Stoff wird nicht weniger gefährlich werden ren, die potentielle Kunden sind. Ich muss nicht und das Einstiegsalter wird sich nicht verändern. mehr wahllos Menschen ansprechen, sondern ich Wenn Sie darauf abheben, dass Sie damit einen kann sie erkennen.“ Dieser Vorschlag, den Sie kontrollierten Markt schaffen, dann sollten Sie das ansprechen, meine Damen und Herren, ist so reali- zunächst für Alkohol machen. Dann setzen Sie erst- tätsfremd, dass ich mich wirklich frage, wie man mal durch, dass der Jugendschutz für Alkohol immer und immer wieder auf so eine Idee kommen funktioniert. Machen Sie doch zunächst eine kann. Ich möchte noch kurz etwas zu dem Punkt ordentliche Suchtprävention für Alkohol. Wenn Suchtprävention sagen. Ich mache Suchtprävention wir das geschafft haben und entsprechend deutli- in Schulklassen. Wenn Sie über Alkohol sprechen, che Rückgänge bei den Alkoholabhängigen ver- sagen die Jugendlichen: „Das kann doch kein Prob- zeichnen, könnten wir uns dem anderen Problem lem sein, das ist legal.“. Das werden sie auch sagen, widmen und könnten vielleicht über eine Legalisie- wenn Sie Cannabis legalisiert haben. Der Glaube, rung von Cannabis sprechen. Ich möchte ganz dass es eine gute Suchtprävention gibt, ist falsch. besonders auf einen Punkt eingehen. Es wurde Das können wir in den Niederlanden anschauen, gesagt, die Kliniker sind ehrenwert, haben aber wo die Kollegen berichten, dass es nicht funktio- keine Ahnung von Kriminalitätsforschung. Ich niert. habe unsere Klienten, die im Drogenhandel tätig

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Abg. Dr. (CDU/CSU): Meine 16 Prozent der Fälle toxikologische Cannabisnach- Frage geht an den Einzelsachverständigen Herrn weise. Bei jungen Menschen überstiegen die Sui- Prof. Dr. Thomasius. Wir haben mehrfach über die zide unter Cannabiseinfluss damit erstmalig den USA gesprochen. Meine konkrete Frage: In einigen Anteil der Suizide unter Alkoholeinfluss oder dem US-Bundesstaaten ist das Verbot des Konsums von Einfluss anderer Substanzen. Das sind alles ausge- Cannabis als Genussmittel aufgehoben worden. Hat sprochen ungünstige Entwicklungen. dies zu einem veränderten Konsum- und Gesund- heitsverhalten bei Jugendlichen und Erwachsenen geführt? Abg. (AfD): Aufgrund des Vor- trags von Prof. Dr. Böllinger muss ich meine Frage ändern. Herr Prof. Dr. Böllinger, Sie hatten gesagt, ESV Prof. Dr. Rainer Thomasius: Fünf Zahlen Verbote nützen nichts. Das war die Aussage. Mei- möchte ich in aller Kürze nennen. Erstens sehen nen Sie nicht, dass eine psychologische Wirkung wir deutliche Konsumsteigerungen in US-Bundes- vorhanden ist? Wenn jemand vernünftig erzogen staaten mit einer Legalisierung. Allerdings entwi- wurde und aus einem ordentlichen Elternhaus ckelte sich dieser Trend bereits geraume Zeit vor kommt, weiß er, dass es verboten ist und er hält der gesetzlichen Umstellung. Entscheidend ist sich daran. Das wäre die erste Frage. Sie sagen, das offenbar die soziale Akzeptanz der Substanz in der Strafrecht kann nicht wirken. Warum haben wir Gesellschaft. Das wurde schon von mehreren Vor- überhaupt ein Strafrecht, wenn es nicht wirkt? Das rednern angesprochen. Der National Survey on wäre meine zweite Frage. Sie sagen, eine Fremd- Drug Use and Health zeigt, bereits im Jahr 2014 lag schädigung muss vorliegen. Wir haben zumindest der aktuelle Cannabiskonsum in der Gruppe der eine indirekte Fremdschädigung durch die Kosten, 12- bis 17-Jährigen in Colorado annähernd doppelt die durch die Behandlung dieser Geschädigten auf- so hoch wie im Durchschnitt der US-Bundesstaa- gebracht werden müssen. Ich möchten Sie an das ten. Hohe Steigerungsquoten sieht man unter den Beispiel der Anschnallpflicht im Auto erinnern. aktuellen Konsumenten aber auch in der Gruppe Dort spricht man von einer Fremdschädigung, der 18- bis 25-Jährigen sowie bei den älter als wenn Sie beispielsweise einem anderen nicht hel- 25-Jährigen. Die aktuellen Prävalenzraten für Can- fen können, weil Sie selber verletzt sind. Also, das nabis in Colorado und Washington stehen auf ist mir nicht ganz klar, vielleicht können Sie mir Platz eins und zwei aller US-Bundesstaaten. Was das beantworten. uns Klinikern besondere Sorge bereitet, sind die regelmäßigen Cannabiskonsumenten. Hier liegt die Zahl in Alaska, Colorado, Oregon und Washington, Der Vorsitzende: Herr Prof. Dr. Böllinger, Sie kön- alles Staaten mit einer Legalisierung, um etwa nen sich zur Beantwortung aus den drei Fragen 30 Prozent höher als im Durchschnitt aller US-Bun- eine aussuchen, da wir zu Beginn der Anhörung desstaaten. Zweitens: Die Vergiftungszentralen eine Frage und eine Antwort vereinbart hatten. Colorados erhalten immer mehr Notrufe wegen einer Cannabis-Intoxikation. Der Unterschied im ESV Prof. Dr. Lorenz Böllinger: Ich muss gestehen, Vierjahresdurchschnitt vor und nach der Legalisie- dass ich die erste Frage nicht behalten habe. Kön- rung betrug 210 Prozent. Drittens: Die Anzahl can- nen Sie diese kurz wiederholen? nabisbezogener Notfallbehandlungen in Colorado hat sich in der Zeit von 2011 bis 2014 mehr als ver- doppelt. Ähnlich hohe Steigerungsquoten bei can- Abg. Detlev Spangenberg (AfD): Zuerst hatten Sie nabisbezogenen Notfallbehandlungen werden aus festgestellt, dass Verbote nichts nützen. Ich war der Oregon berichtet. Viertens: Der Anteil der bis 4-jäh- Meinung, ob nicht ein Verbot eine psychologische rigen Kinder mit cannabisbezogenen Vergiftungen Wirkung für die hat, die vernünftig erzogen wurden lag in Colorado im Zeitraum 2006 bis 2009, gemes- und gesetzestreue Bürger sind. sen am Gesamt aller Vergiftungen, noch bei 8 Pro- zent und stieg im Zeitraum bis 2015 auf 18 Prozent an. Letzte Zahl: Unter den Suiziden in der Alters- ESV Prof. Dr. Lorenz Böllinger: Mein Spezialgebiet gruppe der 10- bis 19-Jährigen ergaben sich in im Bereich der Kriminologie ist die Kriminalpsy- chologie. In meinem Zweitberuf bin ich Therapeut.

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Ich hatte viele Drogenabhängige in Therapie und Public Health-Ansatz für alle Bevölkerungsschich- habe insofern auch viel geforscht. Durchweg ist ten in allen Lebenslagen zu leisten. Ich bin ebenso klar geworden, dass sich niemand durch ein forma- erschüttert, dass wir nach so langer Zeit immer les Verbot abschrecken lässt. Es bedarf bei jegli- noch hier sitzen und uns bemühen. Wir wissen, die chem Verhalten, das vom Strafrecht verboten wird, Abschreckung – die Konsumzahlen sind gestiegen eines Sinnverstehens. Man muss den Sinn des Ver- – funktioniert nicht. Wir reden aber gar nicht über bots verstehen, d. h. man muss so etwas wie eine die Motive. Was hat eigentlich die gesellschaftliche Empathiefähigkeit besitzen, um zu realisieren, ich Realität mit dem Motiv des Cannabiskonsums zu schädige jemanden, wenn ich diese oder jene tun? Warum steigen die Zahlen? Wir sammeln epi- Handlung begehe und deswegen muss ich akzeptie- demiologische Erkenntnisse und sind ganz gern ren, dass sie verboten ist. Natürlich gibt es indivi- auch an quantitativer Forschung interessiert. Dann duelle Motive, warum über die Empathieschwelle schauen wir uns noch die klinischen Fälle an, die hinweggegangen wird. Bei Drogen jedenfalls ist Probleme mit Cannabiskonsum bekommen haben. erkennbar, es fehlt ein Sinnverstehen dafür, dass Ich finde es sehr viel interessanter, breite Bevölke- der Konsum irgendjemanden schädigen könnte. rungsschichten nach dem Warum zu befragen. Was Wenn überhaupt, dann wissen die Leute, dass sie ist das Motiv? Was ist gelernt worden? Welche sich selber und vielleicht ihre Gesundheit gefähr- Wünsche und Ziele werden mit dem Cannabiskon- den. Aber alle gehen davon aus, niemanden ande- sum verfolgt? Das möchte ich voranstellen. Ich ren zu schädigen. Dass man einen Rest von Einfüh- denke, die heutige Drogenpolitik ist für die Masse lungsvermögen hat, ist eine entscheidende Voraus- der Bevölkerung und zwar sowohl für ältere als setzung für Abschreckung. Natürlich gibt es überall auch für junge Erwachsene unglaubwürdig. Die Psychopathen, die keine Einfühlung haben. Aber Politik schadet sich mit der derzeitigen Cannabis- das ist eine ganz geringe Quote derjenigen, die mit Regelung aus meiner Sicht erheblich, weil die Spat- Cannabis Probleme haben. Das sind vielleicht zen von den Dächern pfeifen, dass viele nicht wis- allenfalls die Großdealer, die unter der Oberfläche sen, dass es noch verboten ist. Ich mache regelmä- aktiv sind. ßig auch unter Studierenden Befragungen. Diese denken, die Diskussion ist weiter und der Konsum wird nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Das ist Abg. Martina Stamm-Fibich (SPD): Meine Frage fatal, weil wir eine Sanktionierung und strafrechtli- geht an die Einzelsachverständige Frau Jüngling. che Verfolgung des Cannabiskonsums haben. Das Inwiefern besteht ein Widerspruch zwischen den hat aber bei jenen, die sagen: „Ja, das wissen wir Zielen einer wirksamen Prävention und eines wirk- noch.“, z. B. der Schule oder den Eltern, bei Bezir- samen Jugend- und Gesundheitsschutzes auf der ken und Bundesländern, mit denen wir gut ver- einen Seite und der Kriminalisierung von Can- netzt sind und die wir schulen möchten, zur Folge, nabiskonsumenten auf der anderen Seite, von der dass diese keine Prävention haben. Sie sagen ein- insbesondere junge Menschen mit den entspre- fach: „Ich bin doch nicht verrückt. Ich werde doch chend negativen Auswirkungen auf ihr weiteres nicht mein Gymnasium oder meine integrierte Leben betroffen sind? Sekundarschule zu einer sogenannten Cannabis- Schule stempeln lassen, indem ich ganz offiziell ESVe Kerstin Jüngling: Ich bin Präventions- und sage, dass jahrgangsübergreifend eine Diskussion Gesundheitsförderungsexpertin bei der Fachstelle an der Schule oder Berufsschule oder im Arbeitsle- für Suchprävention Berlin. Ich bin Herrn Dr. Gaß- ben oder an den Unis unter dem Titel „Wie funkti- mann sehr, sehr dankbar für den Gedanken des oniert ein risikoarmer Cannabiskonsum? Wie kann Flashbacks bei der Diskussion und nicht des Flash- ich kompetent und mit wenigen Schäden Cannabis backs beim Cannabiskonsum. Ich würde diesen konsumieren?“ gestartet wird. Das macht keiner. gerne zur Beantwortung der Frage voranstellen. So Deswegen empfiehlt die Prävention und empfiehlt viele Jahre nach dem sogenannten Cannabis- auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Auf- Beschluss sitze ich wieder hier – ich bin dankens- klärung immer wieder zu informieren. Das Straf- werterweise wieder als Präventionsexpertin, also recht hat nicht gewirkt, das wissen wir. Auch wenn nicht als Klinikerin, eingeladen. Mein Auftrag ist Sie noch so viele, wie immer wieder sehr polari- es, 40 Stunden die Woche Prävention nach dem sierte Fakten aufzählen. Fakt ist, es funktioniert

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nicht. Fakt ist, das wissen die Menschen. Präven- den Staaten, die Cannabis legalisiert haben, heraus- tion, die bei einer so hohen Konsumzahlen drin- gegeben wird, untersucht. Sie fanden heraus, dass gend notwendig wäre, wird durch Kriminalisierung die Zusammensetzung des Cannabis, das in den verhindert, weil damit ein Stigma entsteht, das auf Ländern bzw. an den Standorten, an denen Canna- Institutionen, Elternhäuser, Kommunen und Stadt- bis von privaten Anbietern mit staatlicher Lizenz teile zu fallen droht. Ich möchte mit einem Zitat ausgegeben wurde, komplett divergent zum staat- einer Elternsprecherin und einem letzten Satz lich produzierten Cannabis war. Sie stehen jetzt vor schließen. Das Zitat der Elternsprecherin ist: „Ich der Situation, dass sie gar nicht wissen, wie sie die- bin in einen Bezirk gezogen, weil ich dachte, dort ses Problem lösen sollen. Das sagt uns zwei Dinge: gibt es möglicherweise weniger Cannabiskonsum Erstens, dass die Vorstellung, man könnte einen und stelle nun fest, das war ein Irrglaube.“ Wir Verbraucherschutz nach den Kriterien Dosis, Wir- brauchen eine Auseinandersetzung unter Eltern. kung, Nebenwirkung, Inhaltsstoffe festlegen, zu Wir müssen Haltungen überprüfen. Wir müssen vereinfacht ist. Hier muss man klar sagen, das kön- wissen, was tun wir und was wir den Kindern bei- nen wir nicht. Das zweite Ergebnis, zu dem die Stu- bringen. Und zwar denen, die Probierkonsumenten die kommt, ist, dass es zwar vielleicht das staatlich sind. Meine Bitte an Sie alle wäre, ein Stück des produzierte Cannabis geben mag, aber dass man Alten aufzugeben und ein Stück Mut, sich neue noch lange nicht weiß, was der Markt damit macht. Schritte in der Drogenpolitik durch die auf dem Die WHO warnt oder empfiehlt ganz aktuell, Tisch liegenden Vorschläge zuzutrauen. Damit wesentlich genauer hinzuschauen, welche anderen kann den Menschen wieder etwas mehr Vertrauen Substanzen im Cannabis enthalten sind und wel- gegeben werden, damit die Drogenpolitik tatsäch- che Wirkungen sie haben. Um Ihre Frage abschlie- lich an den Bedürfnissen und Lebenslagen der ßend zu beantworten: Aus meiner Sicht können wir deutschen Bevölkerung ansetzt. aktuell den Kriterien des Verbraucherschutzes nicht entsprechen.

Abg. Dr. (CDU/CSU): Die Frage rich- tet sich an die Einzelsachverständige Frau Prof. Abg. Dr. Wieland Schinnenburg (FDP): Ich habe Dr. Havemann-Reinecke. Die Antragsteller und Ini- eine Frage an Herrn Prof. Justus Haucap. Die Frage tiatoren des vorliegenden Gesetzentwurfes argu- lautet: Welche positiven und welche negativen mentieren, dass der Verbraucherschutz für Konsu- Effekte hätte voraussichtlich eine kontrollierte menten von Cannabis als Genussmittel durch das Abgabe, wohlgemerkt eine kontrollierte Abgabe derzeitige Verbot verhindert wird. Wie beurteilen und keine Freigabe, von Cannabis? Sie diese Aussage?

ESV Prof. Dr. Justus Haucap: Ich habe wenigstens ESVe Prof. Dr. Ursula Havemann-Reinecke: Das kein Déjà-vu, weil ich vor ein paar Jahren noch Problem ist, dass nach neuesten Publikationen Can- nicht hier war. Der Effekt der momentanen Prohibi- nabis aktuell aus mindestens 80 Cannabinoiden tion ist, dass es uns tatsächlich nicht gelungen ist, und insbesondere die Blüten der Hanfpflanze aus den Konsum von Cannabis merklich zurückzufüh- zusätzlich 560 pflanzlichen Substanzen besteht. ren. Wir haben aber allerlei unerwünschte Nebenef- Man muss sagen, wir kennen von diesen Cannabi- fekte. Das fängt mit einem Schwarzmarkt mit einem noiden drei, maximal vier. Ein bisschen wissen wir Volumen von mindestens 2,5 Milliarden Euro über die Wirkung von THC. Ein bisschen wissen Umsatz an. Dieser wird momentan genutzt, um ille- wir über die Wirkung von Cannabidiol, das eher gale Aktivitäten zu finanzieren. Wir haben die Kos- das unschädlichere sein soll, und Cannabinol. ten der Justiz und der polizeilichen Ermittlungsar- Dann gibt es noch andere Cannabichromen, das beit, die häufig im Sande verläuft. Also auch hier sind noch völlig unbekannte Substanzen, deren eine relativ intensive Ressourcenverschwendung. Wirkung wir überhaupt nicht kennen. Eine neue Wir haben keinen wirksamen Verbraucherschutz. Studie der Universität Colorado Boulder hat die Herr Dr. Gaßmann und Herr Wimber haben das Zusammensetzung des staatlich initiierten Canna- bereits ausgeführt. Das geht von der Verunreini- bis und die des Cannabis, das in den lizenzierten gung der Cannabisprodukte bis hin zu anderen Ausgabestellen an verschiedenen Standorten in Phänomenen. Die Kriminalisierung und die

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Illegalität der Cannabisabgabe führen dazu, dass es wir dem Braten gar nicht trauen, um das so auszu- auf dem Markt zu Innovationen kommt, die wir uns drücken, und nicht glauben, dass die Zahlen aus nicht wünschen. Das ist insbesondere die Steige- den USA und aus anderen Ländern übertragbar rung des THC-Gehalts, die Erfindung neuer Streck- sind, sollten wir wenigstens Modellversuche star- mittel oder Phänomene wie Legal Highs, durch die ten, damit wir nicht noch in zehn Jahren hier sitzen immer wieder versucht wird, der Illegalität auszu- und sagen: „Die Ergebnisse aus anderen Ländern weichen. Dies fällt häufig mit größeren gesundheit- sind nicht übertragbar, aber Modellversuche lichen Folgeschäden zusammen. Wir können davon machen wir auch keine.“ Denn dann werden wir ausgehen, dass durch eine legale Abgabe der nie etwas dazulernen und dann habe ich vielleicht Schwarzmarkt zwar nicht verschwinden, aber doch ebenfalls ein Déjà-vu-Erlebnis, wenn ich in zehn erheblich zusammenbrechen würde. Ich folge auch Jahren noch einmal hier sein sollte. nicht der Analyse des Sachverständigen Wicha, der gesagt hat, Klein-Eva wird einfach versuchen, etwas Neues, noch Schädlicheres zu finden. Es Abg. Niema Movassat (DIE LINKE.): Meine Frage kann zwar durchaus sein, dass sie es versucht. geht an Herrn Wurth vom Deutschen Hanfverband. Aber letztendlich muss man sehen: Wenn heute die Wir beraten heute drei Oppositionsanträge, die alle Gelegenheit besteht, mit einer illegalen Aktivität in der Drogenpolitik in eine bestimmte Richtung Geld zu verdienen und dies attraktiv genug ist, gehen. Es gibt auch in der SPD Stimmen, die eine dann werden das Leute auch tun. Die Behauptung, Veränderung in der Drogenpolitik fordern. Es gibt dass es eine Art Ehrenkodex der Drogendealer gibt Frau Abg. Mortler, die Drogenbeauftragte der Bun- aufgrund dessen diese sagen: „Wir verkaufen jetzt desregierung, die vorgeschlagen hat, sich bei Kon- nur das am wenigsten schädliche Zeug und kon- sumierenden vom Strafrecht zu entfernen und ein zentrieren uns nicht auf schädlichere Dinge.“, halte Wahlrecht zwischen Bußgeld und Beratung einzu- ich für mindestens so naiv wie die Vorstellungen führen. Es gibt anscheinend immer mehr Stimmen, von Marktwirtschaftlern, die zitiert wurden. Denn die eine Veränderung fordern und es gibt offen- es wird bereits heute passieren, dass jemand diese sichtlich einen Reformdruck. Gleichzeitig findet Geschäftsmöglichkeit, so nenne ich das mal, sich im Koalitionsvertrag keine Aussage zur Dro- ergreift. Man muss aber auch die Nachfrager fin- genpolitik. Mich würde interessieren, wie Sie die den. Dass ich diese Nachfrager finde, wenn es eine drogenpolitische Debatte einschätzen und was Sie legale Ausweichmöglichkeit gibt, halte ich für in dieser neuen Legislaturperiode für Veränderun- besonders unplausibel. Die unerwünschten Neben- gen in der Drogenpolitik erwarten oder erhoffen. wirkungen sind hoch. Die Anzeichen aus Staaten, in denen die Abgabe legal ist, wie Colorado, finde ESV Georg Wurth: Ich bin Vertreter des Deutschen ich ermutigend. Die Zahlen, die mir aus dem Natio- Hanfverbandes. Ich bin ebenfalls ein Flashback- nal Survey on Drug Use and Health vorliegen, die Opfer, denn auch ich sitze schon seit Jahren immer ich in meiner Stellungnahme zitiert habe und die wieder hier und führe dieselbe Diskussion. Wenn in der Washington Post und anderen seriösen gefragt wird, wie sich die Debatte entwickelt hat, Medien zitiert wurden, zeigen, dass seit der Legali- kann ich dies zumindest für die letzten 22 Jahre sierung insbesondere der Teen Pot Use, also der beurteilen. De facto hat sich nichts getan. Rechtlich Gebrauch der 12- bis 17-Jährigen, in Colorado im gesehen gibt es keinerlei Liberalisierungsschritte. Vergleich zum amerikanischen Durchschnitt gesun- Ganz im Gegenteil, wir haben mit 166 000 konsum- ken ist. Das ist ermutigend, denn das ist genau der bezogenen Strafverfahren Rekordwerte bei der Kon- Konsum, der uns Sorge bereitet. In welche Rich- sumentenverfolgung erreicht, wie wir sie noch nie tung sollten wir gehen? Legale Abgabe, Sie haben gehabt haben. Trotzdem ist in der Debatte Bewe- völlig recht, Herr Dr. Schinnenburg, ist genau der gung. Sie haben konkret die SPD angesprochen. Sie Weg. Wenn wir uns nicht trauen, den ganz mutigen ist eigentlich ein gutes Beispiel dafür, was sich Sprung nach vorne zu wagen, so wie es die Grünen gesellschaftlich tut, weil sich bei ihr in dieser Zeit im Cannabiskontrollgesetz vorschlagen, müssen viel verändert hat. Noch zu Zeiten von Schily und wir eben einen kleineren Schritt machen. Dann Schröder und der rot-grünen Koalition war die SPD beginnen wir vielleicht zuerst mit der Entkriminali- völlig unbeweglich. Jetzt spüren wir doch sehr viel sierung wie es die Linke vorschlägt. Oder, wenn mehr Bewegung in der Debatte. Zum Beispiel

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haben die SPD-Landesverbände Sachsen und Bay- zuvor. Auch Ökonomen wie Prof. Dr. Haucap, der ern einen Beschluss zur Legalisierung von Canna- zum ersten Mal am Tisch sitzt, ändern ihre Mei- bis gefasst. Aus der Debatte im Januar hören wir, nung. Es ist tatsächlich eine Veränderung, dass dass die anwesenden SPD-Kollegen sich für auch diese Profession mit am Tisch sitzt und sich Modellprojekte in den Kommunen ausgesprochen für die Legalisierung ausspricht. Nach meinem haben. Das geht mit vielen anderen Entwicklungen Dafürhalten ist wenigstens die Entkriminalisierung einher. Die Grünen waren in den 90er Jahren die der Konsumenten zumindest in gewisser Ausprä- Einzigen, die für die Legalisierung waren. Dann gung praktisch Konsens. Die Veränderung geht bis kamen die Linken dazu und zuletzt die FDP. Jetzt zu jemandem wie Prof. Dr. Thomasius, der insge- folgt die SPD zumindest bei einzelnen Schritten, samt sehr cannabiskritisch und auch gegen die die auf dem Tisch liegen. Das geht mit einer gesell- Legalisierung ist, der aber in den letzten Jahren ver- schaftlichen Entwicklung einher. Es gibt immer mehrt wiederholt hat, dass er sich eine gewisse mehr Menschen, die diese Schizophrenie zwischen Entkriminalisierung der Konsumenten und insbe- Alkohol und Cannabis erkennen und feststellen, sondere erwachsener Konsumenten durchaus vor- dass diese bisher überhaupt keine Rolle gespielt stellen kann. Das ist, glaube ich, letztendlich der hat. Es geht immer nur um die Frage: Ist Cannabis Punkt. Warum kriminalisieren wir überwiegend gefährlich oder nicht? Ja, es ist gefährlich. Deswe- erwachsene Konsumenten, die zu 90 Prozent mit gen muss es verboten sein. Das versteht erstmal ihrem Konsum überhaupt kein Problem haben, um jeder als Argument. Diese zehn Prozent problemati- Jugendliche zu schützen? Das ist ein Sachverhalt, scher Cannabiskonsumenten gibt es. Aber jeder der, glaube ich, in allen Bereichen, die ich genannt weiß auch, Alkohol ist unter dem Strich die gefähr- habe, in den Parteien, in der Gesellschaft, bei den lichere Substanz. Das wird vermutlich jeder hier Sachverständigen, auf immer mehr Widerstand am Tisch unterschreiben. An Alkohol und Tabak stößt. sterben die Menschen in Deutschland wie die Flie- gen, an Cannabis stirbt niemand. Das verstehen immer mehr Menschen. Es gibt eine Mehrheit für Abg. Stephan Pilsinger (CDU/CSU): Ich habe eine die Entkriminalisierung von Cannabis. Das ermit- Frage an Prof. Dr. Thomasius. Welche Auswirkun- teln die Umfrageinstitute jedes Jahr. Wir haben eine gen würden Sie von einer Legalisierung von Canna- Mehrheit, die davon ausgeht, dass Cannabis in bis als Genussmittel in Verbindung mit einer mög- absehbarer Zeit legalisiert wird. Unsere Petition zur lichen Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Legalisierung von Cannabis im letzten Jahr war die erwarten und liegen dazu Erfahrungen aus anderen unterschriftenstärkste. Auch das ist ein Zeichen, Ländern vor? wie sich die Gesellschaft verändert hat. Die Medien haben meiner Meinung nach ihre Einstellung mas- ESV Prof. Dr. Rainer Thomasius: Herr Abgeordne- siv geändert und sind prohibitionskritisch gewor- ter, ich muss über Ihre Begrifflichkeit Cannabis als den. Sie sehen immer mehr die Schwachpunkte Genussmittel etwas schmunzeln. Cannabis ist kein und das Scheitern dieser Repressionspolitik. Ich Genussmittel, sondern ein Rauschmittel, das bei erkenne dies auch immer mehr bei den Sachver- jedem Joint zu dosisabhängigen Beeinträchtigungen ständigen, die über Flashback-Erfahrungen und bei den kognitiven Fähigkeiten, also der Aufmerk- dass bereits alles diskutiert wurde, sprechen. samkeit, der Konzentration, der Reaktionsge- Damals gab es aber tatsächlich andere Mehrheiten schwindigkeit, bei psychomotorischen Funktionen hier am Tisch. Mittlerweile habe ich den Eindruck, und bei der Fahrtüchtigkeit führt. In der Studie von dass sich in ganz vielen Professionen der Wind Kauert und Iwersen-Bergmann zeigt sich, zwei Drit- gedreht hat, dass z. B. Drogenberatungsstellen tel der Verkehrsunfälle mit Cannabis-Mono-Befun- immer mehr dazu übergehen, andere Wege in der den ereignen sich bei relativ niedrigen Blutkon- Drogenpolitik zu fordern. Wir haben große Mehr- zentrationen von weniger als fünf Nanogramm pro heiten bei den Drogenberatungsstellen in Berlin Milliliter THC. Davon geht knapp ein Drittel töd- und Hamburg und bei der Deutschen Hauptstelle lich aus. Herr Prof. Dr. Böllinger, ein Drittel mit für Suchtfragen, die sich andere Wege wünschen, tödlichem Ausgang. Es geht nicht nur um die sowie bei Sozialwissenschaftlern. Soweit ich das Selbstschädigung in Anführungsstrichen durch sehe, gibt es bei der Polizei eine Diskussion wie nie Cannabis, sondern auch um die Fremdgefahr. Bei

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einem weiteren Drittel gibt es schweren Personen- LEAP Deutschland [Law Enforcement Against Pro- schaden. Auch nach der Untersuchung von Kuipers hibition Deutschland]. Was das ist, kann man im und Kollegen steigt das Unfallverursachungsrisiko Internet nachlesen. Nun zur Beantwortung Ihrer bei einer Dosierung von nur zwei Nanogramm pro Frage. Nein, es gibt nach meinem Kenntnisstand Milliliter im Serum sprunghaft an. Eine sehr aktu- keine validen Belege für die Behauptung, dass der elle Metaanalyse von Axbridge mit einer hohen Schwarzmarkt nach einer Legalisierung weiterhin Studienqualität zeigt, dass sich das Risiko für die einen deutlichen Marktanteil haben wird. Diese Verursachung eines Verkehrsunfalls unter Cannabi- Behauptung wird immer wieder ohne Beleg ins seinfluss um das 1,9-fache bzw. bei Zugrundele- Feld geführt. Sie reiht sich nach meiner Überzeu- gung allein der wissenschaftlich hochwertigen Fall- gung in eine Vielzahl von Diskussionsbeiträgen ein, kontrollstudien um das 2,8-fache erhöht. Das sehen die mit Fehlinformationen, irreführenden Zitaten wir im Moment in Colorado. Im Jahr 2006 wurde und rhetorischen Wendungen einen Schein von bei den Verkehrstoten noch ein Zusammenhang empirischer Validität zu erzeugen versuchen. Ein von sieben Prozent der Fälle festgestellt. Im Beispiel dafür ist, es tut mir leid, auch die schriftli- Jahr 2015 waren es bereits 21 Prozent der Verkehrs- che Stellungnahme der Bundesärztekammer. In ihr toten, die im Zusammenhang mit Cannabiskonsum wird ohne irgendeinen Beleg die These aufgestellt, standen. Der Anteil cannabisbezogener Verkehrsto- dass sich der Schwarzmarkt sehr schnell auf die ten stieg im Vergleich der Vierjahreszeiträume vor neuen Gegebenheiten eines regulierten Marktes und nach der Legalisierung um 66 Prozent. Die einstellen und sich insbesondere dem Markt für Zahl der in Colorado getesteten Verkehrsteilnehmer Kinder und Jugendliche zuwenden wird. Für diese mit positivem Cannabisbefund ist auf aktuell These gibt es keinen empirischen Befund. Ich 25 Prozent angestiegen. Schlussendlich würde eine würde gerne die Frage dahingehend beantworten, Änderung der Straßenverkehrsordnung in Deutsch- dass es bei einer Regulierung keinen Schwarzmarkt land gemäß des Entwurfs für ein Cannabiskontroll- mehr gibt. Aber so einfach kann ich mir die Beant- gesetz (CannKG) zu einer Erhöhung des Unfallrisi- wortung der Frage nicht machen. Wir wissen es kos und zu einer Straßenverkehrsgefährdung durch definitiv nicht. Wir haben keine Prä- oder Postun- cannabisintoxikierte bzw. -restintoxikierte Fahrer tersuchungen, die uns aufzeigen, wie sich der führen. Markt verändern wird. Aber ich glaube, es gibt einige Plausibilitäten und auch wenige Erfahrungs- werte, die meine These stützen, dass bei einem Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/ regulierten, staatlich kontrollierten Markt der DIE GRÜNEN): Meine Frage geht an Herrn Wimber, Schwarzmarkt nur noch für eine Übergangszeit als aber zuvor möchte ich kommentieren: Herr Prof. Nischenmarkt existieren wird. Die Plausibilitäten Dr. Thomasius, Sie reden als Kinder- und Jugend- für diese Annahme sind, hier unterscheide ich psychiater. Ich als Erwachsenenpsychiaterin inter- mich deutlich von Prof. Dr. Thomasius, dass die pretiere die Daten vollständig anders. Die aktuelle ganz überwiegende Zahl der Wissenschaftler, die Datenlage spricht dafür, dass es sinnvoll ist, zwi- sich mit diesem Thema beschäftigt, keinen Zusam- schen Jugendlichen und Cannabis Barrieren einzu- menhang zwischen Strafbewehrung und Prävalenz- führen, die es im Moment nicht ausreichend gibt. raten erkennen kann. Sie ist relativ strafunabhän- Das ist auch der Grund, warum Kanada mit diesem gig. Die Einflussfaktoren sind schon genannt wor- zentralen Argument die kontrollierte Freigabe ein- den: veränderte Lebensstile und die Einschätzung führt. Meine Frage an Herrn Wimber lautet: Wie der durch den Konsum verursachten Risiken, die würde sich aus Ihrer Sicht als ehemaliger Polizei- vielleicht auf der Grundlage von Transparenz präsident der Schwarzmarkt unter den Bedingun- bezüglich der Inhaltsstoffe beruhen. Die Existenz gen der kontrollierten Freigabe entwickeln? eines regulierten Marktes wird nach meiner Über- zeugung dazu führen, dass rational handelnde Kon- ESV Hubert Wimber: Ich habe es verabsäumt, mich sumenten unauffällig damit umgehen. Wir haben es bei der Beantwortung der Frage der Abgeordneten bereits mehrmals gehört, es geht nicht um die Dittmar vorzustellen. Mein Name ist Hubert Wim- zehn Prozent, die einen risikobehafteten Konsum ber, ich war bis 2015 18 Jahre Polizeipräsident in haben, sondern um die restlichen 90 Prozent. Die Münster und bin seit drei Jahren Vorsitzender von Konsumenten werden sich auf dem legalen Markt

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versorgen, weil die Vorteile einfach evident sind: Verfahren haben als Haupteinnahmequelle Drogen. Transparenz der Inhaltsstoffe, Produktkontrolle, Das ist auch nachvollziehbar, weil in keinem ande- man weiß, was man einkauft. Jeder Kauf in einem ren Geschäftsfeld der organisierten Kriminalität lizensierten Fachgeschäft mindert den Umsatz des Anbau, Distribution und Handel so einfach zu orga- illegalen Marktes. So viel kann man feststellen. nisieren und die Profitraten so exorbitant hoch Zwei Faktoren müssten allerdings nach meiner sind. Also, einfache Ausweichbewegungen wird es Überzeugung im Zusammenhang mit der Beantwor- nicht geben. Wir sollten alles daransetzen, das ist tung dieser Frage bedacht werden. Erstens ist die mein letzter Satz, der organisierten Drogenkrimina- Preisstruktur so zu gestalten, dass der Schwarz- lität diese exorbitanten Gewinne durch einen lega- marktverkauf unattraktiv wird. Das ist sozusagen len, regulierten Markt streitig zu machen. das ökonomische Einmaleins. Die Verkaufspreise müssen ähnlich denen des Schwarzmarktes sein. Wir sehen es am Schwarzmarkt für Zigaretten. Abg. Bettina Müller (SPD): Ich habe eine Frage an Wenn durch Einsparen der Zollgebühren deutlich Herrn Dr. Gaßmann von der DHS. Es gibt für das billigere Zigaretten angeboten werden können, ent- Führen eines Kfz keine Grenzwerte für den Kon- steht ein Schwarzmarkt und es gibt keine Nach- sum von Cannabis im Gegensatz zum Konsum von frage auf dem regulären Markt. Der legale Markt Alkohol. Es gilt ein striktes Verbot. Wären Grenz- muss auf Dauer in der Lage sein, die Nachfrage zu werte aus Ihrer Sicht denkbar, praktikabel bzw. befriedigen. Denn völlig unabhängig davon, wie auch notwendig? wir zu den Risiken stehen, gibt es keine Erfah- rungswerte dazu, ob es in Zukunft Märkte geben ESV Dr. Raphael Gaßmann: Ja, eindeutig. Denkbar wird, auf denen psychoaktive Substanzen nachge- sind sie selbstverständlich. Ihre Funktion, ihre fragt werden. Vielleicht ganz kurz zu den Erfah- Auswirkungen und so weiter kennen wir ganz aus- rungswerten: In den letzten Wochen ist in Kanada gezeichnet aus dem Alkoholbereich. Denkbar ist das Gesetzgebungsverfahren zur Legalisierung bzw. ein Grenzwert. Praktikabel? Auch ein eindeutiges Entkriminalisierung von Cannabis gelaufen. In der Ja, denn in den letzten zehn bis 15 Jahren sind die parlamentarischen Diskussion im Abgeordneten- Test- und Nachweisverfahren für Cannabis und haus ist als Beispiel immer wieder die zweijährige andere illegale Drogen so einfach und so aussage- Erfahrung von Colorado und Washington herange- kräftig, so preiswert und so schnell geworden, dass zogen worden. Eine dieser Erfahrungen ist, dass in mit sehr hoher Zuverlässigkeit und auch noch diesen US-Bundesstaaten mit der längsten Praxiser- preiswert und praktikabel getestet werden kann. fahrung die Haftstrafen deutlich gemacht haben, Der dritte Teil der Frage: Sind sie notwendig? Ja, dass die Verurteilungen wegen des illegalen Ver- selbstverständlich sind sie dringend notwendig. kaufs von Hanf nach relativ kurzer Zeit drastisch Denn wir haben heute unter den vielen Aspekten gesunken sind, weil jetzt der legale Markt diesen gehört, dass wir in der Realität eine große Zahl Bereich abgedeckt. Und zum Zweiten, das ist jetzt erwachsener Konsumenten haben, die in der Regel allerding schon ein paar Jahre her: Vor 85 Jahren ist einen Führerschein haben. Selbstverständlich sind in den USA die Alkoholprohibition beendet wor- Grenzwerte notwendig, weil gerade Cannabis sehr den, nachdem der Alkohol gut zehn Jahre verboten lange nachgewiesen werden kann. Sie können den war. Während dieser zehn Jahre – im Karl-Marx- Cannabiskonsum über einen Zeitraum von Wochen Jahr kann man das vielleicht mal sagen – gab es in und Monaten in einem Messbereich nachweisen, den USA eine Akkumulation von Kapital innerhalb der mit allergrößter Sicherheit in keiner Weise der organisierten Kriminalität. Das war ihre ökono- mehr Einfluss auf die Fähigkeit zum Führen eines mische Basis. Der Schwarzmarkt ist nach Aufhe- Fahrzeuges hat. Derzeit gilt de facto jeder nachge- bung der Prohibition relativ schnell aus den wiesene Cannabiskonsum als Einschränkung der genannten Vernunftsgründen zusammengebrochen. Fahrtauglichkeit. Entweder ist man wegen des Kon- Vielleicht noch ein Hinweis: Nach dem Bundesla- sums einer illegalen Substanz aus medizinischen gebild Organisierte Kriminalität des Bundeskrimi- Gründen oder aus charakterlichen Gründen nicht nalamtes hat mehr als jedes dritte Ermittlungsver- zum Führen eines Fahrzeuges geeignet. So wird fahren bundesdeutscher Polizeibehörden das seit vielen Jahren ganz nebenbei das Führerschein- Hauptgeschäftsfeld Drogen. 36,2 Prozent aller recht zum Ersatzstrafrecht. Vor allem aber müssen

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wir die vielen Konsumenten sehen, die Autos und in der Säule der Repression engagieren. Hier haben Führerscheine besitzen und auch fahren. Für sie wir uns in den letzten Jahrzehnten zu sehr zurück- gibt es unter den gegenwärtigen Bedingungen gehalten. Jetzt rufen alle, die dafür gesorgt haben: rechtlich überhaupt kein Motiv, weniger zu konsu- „Guck mal, es hat doch nicht geklappt.“ Das halte mieren oder in den abklingenden Wirkungen des ich geradezu für absurd. Konsums nicht Auto zu fahren, außer sie folgen ihrer eigenen Vernunft. Davon darf man in den meisten Fällen ausgehen. Die meisten Menschen Vorsitzender, Abg. Erwin Rüddel (CDU/CSU): Vie- sind so vernünftig, nicht betrunken Auto zu fahren len Dank. Die Zeit ist abgelaufen. Ich darf mich bei und die meisten Cannabiskonsumenten werden allen ganz herzlich bedanken und bin gespannt, auch so vernünftig sein, nicht bekifft Auto zu fah- wann wir in dieser oder ähnlicher Runde zum glei- ren. Aber grundsätzlich gibt es kein Motiv, hierauf chen Thema wieder zusammensitzen. Wir haben besonders zu achten, denn die Folgen, dass sie an uns auf jeden Fall diese Woche in der Obleute- einer MPU [Medizinisch-Psychologische Untersu- runde dazu entschlossen, dass wir im September chung] teilnehmen müssen, dass ihnen der Führer- beim Tag der offenen Tür hier im Parlament das schein entzogen wird usw., sind ziemlich gleich, Thema Cannabis in einer Podiumsdiskussion des egal, ob sie vor zwei Wochen oder vor zwei Mona- Gesundheitsausschusses mit der Bevölkerung dis- ten Cannabis konsumiert haben und das nachge- kutieren wollen. wiesen wird oder ob sie tatsächlich unter dem Ein- fluss von Cannabis am Straßenverkehr teilnehmen. Also, einfache Antwort: denkbar – ja, praktikabel ja, – notwendig – dringend. Schluss der Sitzung: 15.40 Uhr

Abg. (CDU): Meine Frage geht an Herrn Wicha. Wie beurteilen Sie die Behaup- tung, dass die Drogenpolitik im Bereich Cannabis gescheitert ist und die Konsumenten durch straf- rechtliche Sanktionierungen nicht vom Konsum von Cannabis abgehalten werden?

gez. ESV Uwe Wicha: Nein, ich kann nicht erkennen, Erwin Rüddel, MdB dass die Drogenpolitik gescheitert ist. Ich sehe viel- Vorsitzender mehr die Notwendigkeit, dass wir uns viel stärker

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