IN ERINNERUNG AN (1907–1997)

„I just like to do films, that are positive in the sense that they deal with the dignity of human beings.“ Fred Zinnemann1

Wien – Paris – Berlin Die Neue Welt Fred (Alfred) Zinnemann kommt am 29. April 1907 als Sohn Im Herbst 1929 reist Zinnemann an Bord der „Leviathan“ von jüdischer Eltern in Wien zur Welt. Die Familie wohnt in der Weyrgasse Cherbourg in die USA, um dort hoffnungsvoll eine Karriere als 7, im dritten Bezirk. Zinnemanns Vater Oskar ist Arzt, doch bereits Regieassistent und Kurzfilmregisseur zu starten. Die Ankunft in New als Teenager erkennt der Sohn, dass er nicht in dessen berufliche York fällt auf einen äußerst ungünstigen Zeitpunkt: den Schwarzen Fußstapfen treten möchte. In seiner Autobiografie schreibt er: „Born Donnerstag (24. Oktober 1929) und den darauf folgenden Börsen- in Austria in 1907, I had always dreamt of becoming a musician; crash. Nach zwei Wochen in New York beschließt er, in die Stadt des but as a teenager faced with the choice of a profession, I soon Films zu ziehen: Auf nach Hollywood! Dort hält er sich anfänglich mit found out that I had hardly any talent at all. Coming from a family of Kurzauftritten in Filmen über Wasser. Durch einen Freund lernt er physicians, I might have tried to follow in my father’s footsteps, but zufällig Carl Laemmle, den Chef der Universal Studios, kennen, der there was clearly no sense in it: Vienna, where I had grown up during ihn eines Tages fragt: „,Have you been in the Army?‘ (meaning World World War One, was now the capital of a tiny, defeated, impoverished War One of course; the next one was still in the pipeline, ten years country, overflowing with young doctors without patients, who spent away). I said no, I wasn’t that old. He said: ,Well, never mind, you’ll long hours in coffee houses studying newspapers or playing chess.“2 be a German Soldier.‘“8 Und so wird Zinnemann zu einem deutschen Soldaten im Film All Quiet on the Western Front/Im Westen nichts Nach der Matura am Wiener „Bundesrealgymnasium Wien“3 im Neues (Lewis Milestone, USA 1930). Nach einem Streit mit einem Jahre 1925 beginnt Zinnemann, etwas „Anständiges“ zu studieren: rüden Mitarbeiter von Milestone wird Zinnemann entlassen. Als per- Rechtswissenschaften. „It was, of course, considered absolutely sönlicher Assistent von Berthold Viertel lernt er bei einem Essen den necessary to have an academic degree and to be called ,Herr legendären Dokumentarfilmer Robert Flaherty kennen. Einige Woche Doktor‘, no matter what one was a doctor of; in my case, the only später reist Zinnemann nach Berlin, um mit Flaherty ein gemein- practical answer seemed to be to study for a doctorate in law, which sames Projekt zu besprechen. Dieses scheitert aber, vor allem an I duly tried and hated with a passion from the first moment.“4 Immer Geldmangel. häufiger schwänzt er Vorlesungen, um im Kino Ablenkung zu finden. Besonders beeindrucken ihn Filme von Erich von Stroheim (Greed, Lehrjahre als Regisseur USA 1924), King Vidor (The Big Parade, USA 1925) und Sergei M. 1933 erhält Zinnemann seine erste Möglichkeit, als Regisseur zu Eisenstein (Potemkin, SU 1925). „Dimly and excitedly I sensed that arbeiten. Er dreht ein Auftragswerk der mexikanischen Regierung: film, like music, offered a direct way to people’s emotions: fascina- Redes/The Wave (MX 1934/35), einen Dokumentarfilm über Fischer ting them, making them laugh or cry, feel jubilant or angry.“5 an der Golfküste Mexikos. Als Assistent des Regisseurs Henry Hatha- way lernt Zinnemann die britische Kostümbildnerin Renée Bartlett Schonend versucht er seinen Eltern Anna und Oskar beizubringen, kennen. Die beiden heiraten 1935, und fünf Jahre später kommt dass er nun seine Zukunftsperspektive in der Welt der Lichtspiele Sohn Tim zur Welt.9 sieht. Die Reaktion der Familie ist zunächst blankes Entsetzen. Nach dem ersten Schock erlaubt der Vater seinem Sohn 1927 eine Kame- Im Jahre 1936 erhält Zinnemann die amerikanische Staatsbürger- raausbildung an der Pariser „L’Ecole Technique de Photographie et schaft und arbeitet ab 1937 für die Produktionsfirma Metro-Gold- de Cinématographie“ („Technische Hochschule für Fotografie und wyn-Mayer (MGM). Innerhalb von drei Jahren dreht er 18 Kurzfilme, Film“) zu beginnen. Nach eineinhalb Jahren in Paris läuft sein Visum darunter ein Porträt des Arztes Ignaz Semmelweis, That Mothers ab, und Zinnemann zieht es in eine weitere Kinometropole: Berlin. Might Live, für das er 1938 seinen ersten Academy Award erhält. Dort arbeitet er als Kameraassistent, zum Beispiel für Ich küsse Ihre Hand, Madame (Robert Land, 1929), mit einer jungen und vielver- Im Sommer 1938 kommt Zinnemanns achtzehnjähriger Bruder Geor- sprechenden Darstellerin namens Marlene Dietrich. Bei Menschen ge nach Los Angeles. Die Eltern bleiben in Wien. Anna Zinnemann am Sonntag (Robert Siodmak, D 1930) ist es seine Aufgabe, „to stirbt im Jahre 1943 im polnischen Rzeszów – der Stadt, in der sie carry the camera and to stay out of trouble“6. Das Drehbuch stammt und ihr Mann geboren wurden. Oskar Zinnemann kommt im Dezem- von seinem Jugendfreund Billy Wilder. Die Beziehung der beiden hält ber 1941 im Konzentrationslager Belzec ums Leben.10 ein Leben lang. „Wie geht’s, mein alter Zwetschkenröster?“7, hat Zinnemann seinen Freund stets begrüßt.

1) Gabriel Miller (ed.): Fred Zinnemann. Interviews. Jackson 2005, s. l. 8) F. Zinnemann: An Autobiography, S. 19 2) Fred Zinnemann: An Autobiography. London 1992, S. 7 9) Nach Jahren in Filmgeschäft ist Tim Zinnemann seit 1992 als Fotograf tätig: 3) Heute: Stubenbastei; www.stubenbastei.at/absolventen.htm; 1. 6. 2007 www.timzinnemann.com 4) F. Zinnemann: An Autobiography, S. 8 10) Siehe: www.yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome 5) ebd., S. 9f 6) ebd., S. 16 7) Hellmuth Karasek: Billy Wilder. Eine Nahaufnahme von Hellmuth Karasek. Hamburg 1992, S. 117

26 27 Ausbildung zum Kameramann in Paris, 1927

Nach dem B-Picture (USA 1942) entsteht 1944 Schon seit längerem sträubt sich Zinnemann gegen das rigide Zinnemanns erstes A-Picture: The Seventh Cross/Das siebte Kreuz Studiosystem. Als sein Vertrag mit MGM 1948 ausläuft, wird er auf (Siehe Katalog, Seite 48). Das Drehbuch basiert auf Anna Seghers beidseitigem Wunsch nicht mehr verlängert. gleichnamigem Roman, der 1938 im Exil entstand und dessen erstes Kapitel in der Moskauer Zeitschrift „Internationale Literatur“ Unabhängigkeit erschienen ist. 1942 wird das komplette Werk in den USA in eng- Zinnemann knüpft Kontakte zu den zwei unabhängigen Filmema- lischer Sprache und im mexikanischen Exilverlag „El Libro Libre“ auf chern Stanley Kramer und Carl Foreman. Mit ihnen dreht er The Deutsch veröffentlicht. Die Hauptrolle des Filmes übernimmt Spencer Men/Die Männer (USA 1950). Die Hauptrolle, Ken „Bud“ Wilchek, Tracy, der den jungen Regisseur sehr schätzt und unterstützt. Zinne- der als Soldat während des Zweiten Weltkriegs verwundet wird und mann über ihn: „(...) he simply was there, always creating the feeling querschnittsgelähmt bleibt, verkörpert ein junger Broadway-Schau- of truthfulness about what he did. He was the ideal film actor and spieler namens Marlon Brando. one of the two or three finest I have ever worked with.“11 Wie schon und The Men, behandelt auch Teresa (USA Der Schweizer Filmproduzent Lazar Wechsler12 bereist die USA, um 1951) menschliche Schicksale und Folgen des Kriegs. Der Amerika- einen Film über Kinder, die während des Zweiten Weltkrieges zu ner Philipp bringt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seine ita- Waisen wurden oder sich von ihren Familien trennen mussten, zu lienische Frau Teresa nach New York. Die junge Frau muss mit einer drehen. Da Wechsler The Seventh Cross gesehen hat, möchte er dominanten Schwiegermutter und dem unbekannten Großstadtleben Zinnemann als Regisseur bei MGM „ausleihen“. Das Arrangement in New York fertig werden. kommt zustande. In Deutschland erhalten Wechsler und Zinnemann die Erlaubnis, für den geplanten Film The Search/Die Gezeichneten, Der Westernklassiker /Zwölf Uhr mittags (USA 1952) österreichischer Verleihtitel: Suchende Herzen (siehe Katalog, Seite wird mit vier Academy Awards ausgezeichnet. Dennoch bekommen 47) mit InsassInnen und MitarbeiterInnen von UNRRA-Lagern13 in einige an der Produktion Beteiligte große Schwierigkeiten, weil der Kontakt zu treten. Zu diesem Zeitpunkt sind fast nur mehr jüdische Film in der McCarthy-Ära als „unamerikanisch“ angesehen wird. Vor Kinder in den Lagern. Sie spielen freiwillig im Film mit, doch es allem der Drehbuchautor Carl Foreman ist stark betroffen, da er als kommt zu erschütternden Szenen, als ihnen die Haare abrasiert wer- Mitglied der American Communist Party (Amerikanische Kommunis- den und sie KZ-Kleidung anziehen müssen.14 Die Außenaufnahmen tische Partei) auf der Schwarzen Liste steht. 15 werden in München und Nürnberg gefilmt.

11) F. Zinnemann: An Autobiography, S. 51 15) Später zieht Carl Foreman mit seiner Familie nach Großbritannien, wo er unter Pseu- 12) geboren: 28. Juni 1896 in Petrikau, Galizien (Österr-Ungarn), gest.: 8.8.1981 in Zürich donym mehrere Drehbücher verfasst; vgl. Jeremy Byman: Showdown at High Noon. 13) UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) war eine Hilfsorgani- Witch-Hunts, Critics and the End of the Western. Lanham/Toronto/Oxford 2004, S. 90 sation, die bereits während des Zweiten Weltkrieges am 9. November 1943 auf Initi- ative der USA, der Sowjetunion, Großbritanniens und Chinas gegründet wurde. Nach Kriegsende wurde sie von der UNO übernommen. 14) vgl. Neil Sinyard: Fred Zinnemann. Films of Character and Conscience. Jefferson/ London, S. 32

26 27 Seinen endgültigen Durchbruch als Regisseur feiert Zinnemann mit Folgende Spielfilme von Fred Zinnemann werden /Verdammt in alle Ewigkeit (USA 1953). Beim heuer gezeigt: Filmmusical Oklahoma! (USA 1955) ist er der erste Regisseur, der mit dem nach seinem Erfinder Mike Todd benannten, neu entwi- The Seventh Cross/Das siebte Kreuz (USA 1944): ckelten „Todd-AO-Process“16 dreht. (USA 1957), eine Metro Kino, Montag, 12. November, 18.00 Uhr Geschichte über einen morphiumsüchtigen Heimkehrer aus dem Filmhauskino, Montag, 19. November, 17.30 Uhr Koreakrieg, ist der letzte Film, den Zinnemann in den USA dreht. Es folgen weitere Klassiker: The Nun’s Story/Geschichte einer Nonne The Search/Die Gezeichneten (Dt. Titel)/ (USA 1959), The Sundowners/Der endlose Horizont (GB/AUS 1960), Suchende Herzen (Österr. Titel) (USA/CH 1947/1948): Behold a Pale Horse/Deine Zeit ist um (USA 1964), A Man for All Metro Kino, Sonntag, 11. November, 18.00 Uhr Seasons/Ein Mann für alle Jahreszeiten (UK 1966) und The Day of Filmhauskino, Montag, 19. November, 20.00 Uhr the Jackal/Der Schakal (UK/F 1973). Neben vielen Ehrungen erhält er 1970 den „D. W. Griffith Award“, die Julia (USA 1976): höchste Auszeichnung der Directors Guild of America. Metro Kino, Mittwoch, 14. November 22.00 Uhr Filmhauskino, Sonntag, 18. November, 17.30 Uhr Im Jahre 1973 veröffentlicht die amerikanische Schriftstellerin Lil- lian Hellman ihr Buch Pentimento. A Book of Portraits, das aus fünf autobiografischen Erzählungen besteht. Eine davon ist Julia, eine Geschichte über die Freundschaft von zwei Frauen namens Lillian und Julia vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus. Zinnemann, der von der Erzählung sehr beeindruckt ist, denkt zunächst nicht an eine Verfilmung. „First, I was interested in the relationship bet- ween the two women, who were great friends from childhood, and secondly in Lillian’s problem when she was put in a situation of great peril and, not being a very courageous person, had to cope with it: the particular problem interested me very much. 17 Auf Drängen des jungen und ambitionierten Produzenten Richard Roth entsteht Julia (Siehe Katalog, S. 47).

1982 folgt sein letzter Film als Regisseur: Five Days One Summer/ Am Rande des Abgrunds (USA).

Am 14. März 1997 stirbt Fred Zinnemann in London. „His work was distinguished by the one unfashionably high-minded attribute of which ,the movies‘ have ever been, or perceived to have been, bereft – a hyperactive (and on occasion self-regarding) social conscience.“18

In seinem Nachruf auf Fred Zinnemann in „Die Zeit“ erinnert sich Norbert Grob an ein Treffen mit ihm im Jahre 1986, als die Filmfest- spiele Berlin dem Regisseur eine Retrospektive widmeten. „Auf alle Fragen nach seinen Filmen antwortete er eher unwillig. Es wurde schnell klar, dass ihn die alten Zeiten langweilten. So stellte plötzlich er immer häufiger die Fragen. Und wir hatten unsere eigenen Ant- worten zu haben. Fred Zinnemann, damals fast achtzig Jahre alt, ist mir deshalb in Erinnerung als ein Mann, der es ablehnte, in der Ver- gangenheit zu leben, der es stattdessen vorzog, ,in tune‘ zu bleiben, neugierig auf alles Entlegene, offen für alles Ungewöhnliche.“19

Monika Kaczek

16) Michael Todd wird am 22. Juni 1907 als Avrom Hirsch Goldbogen in Minneapolis geboren. Er heiratet Elizabeth Taylor, die leider am 22. März 1958 Witwe wird, da er bei einem Flugzeugabsturz stirbt. Als Erfinder gelingt ihm eine Weiterentwicklung des 1952 entwickelten Breitbildformats Cinerama. Er setzt nun eine einzige Kamera (statt drei) ein, die mit 30 B/Sec den 65mm-Film belichtet. Die Bilder, die mit einer eigens dafür konzipierten Fischaugenlinse aufgenommen werden, bestechen durch einen ungewöhnlichen Eindruck der Tiefe. 17) Gordon Gow: Individualism Against Machinery. In: Gabriel Miller (ed.): Fred Zinnemann. Interviews. Jackson 2005, S. 55. 18) Gilbert Adair, Obituary: Fred Zinnemann, The Independent, March 17, 1997 19) Norbert Grob: Zum Tode des amerikanischen Filmemachers Fred Zinnemann. In: Die Zeit 13/1997

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