19. Wahlperiode Plenarprotokoll 19/99

HESSISCHER LANDTAG 23. 02. 2017

99. Sitzung

Wiesbaden, den 23. Februar 2017

Amtliche Mitteilungen ...... 6931 René Rock ...... 6939 Marcus Bocklet ...... 6939 Entgegengenommen ...... 6931 Marjana Schott ...... 6940 Vizepräsident Frank Lortz ...... 6931 Minister Stefan Grüttner ...... 6942

45. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE 47. Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde Aktuelle Stunde (Opel Rüsselsheim: starker (Die Citybahn in Wiesbaden kommt ins Rol- Standort für Forschung, Entwicklung und len – weil alle bis auf die Dagegen-Partei FDP Produktion – Hessen steht weiterhin fest an es wollen) der Seite der Opel-Beschäftigten) – Drucks. 19/4550 – ...... 6931 – Drucks. 19/4552 – ...... 6943 Abgehalten ...... 6936 Abgehalten ...... 6959 Karin Müller (Kassel) ...... 6931 57. Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP be- Jürgen Lenders ...... 6932 treffend Opel und die weitere Entwicklung Astrid Wallmann ...... 6933 der hessischen Automobilindustrie Janine Wissler ...... 6934 – Drucks. 19/4566 – ...... 6943 Ernst-Ewald Roth ...... 6935 Abgelehnt ...... 6959 Minister Tarek Al-Wazir ...... 6935 59. Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend 46. Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Sicherung der Arbeitsplätze bei Opel ist für Aktuelle Stunde (Gebührenfreie Bildung von die hessische Wirtschaft von zentraler Bedeu- Anfang an – Hessens Eltern entlasten – Hes- tung – Unternehmen benötigt zukunftsfeste sens Kommunen ausreichend unterstützen) Perspektiven – Drucks. 19/4551 – ...... 6937 – Drucks. 19/4568 – ...... 6943 Abgehalten ...... 6943 Angenommen ...... 6959 Gerhard Merz ...... 6937 Ministerpräsident Volker Bouffier ...... 6943, 6954 Bettina Wiesmann ...... 6937 Michael Boddenberg ...... 6945, 6958

Ausgegeben am 30. März 2017 Hessischer Landtag, Postfach 3240, 65022 Wiesbaden 6928 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Thorsten Schäfer-Gümbel ...... 6947, 6952 55. Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD be- Mathias Wagner (Taunus) ...... 6949 treffend Kooperationen von Schulen und Un- Florian Rentsch ...... 6952, 6953, ternehmen transparent und einflussfrei för- 6957 dern Janine Wissler ...... 6956 – Drucks. 19/4562 – ...... 6982 Dem Kulturpolitischen Ausschuss, federführend, 48. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend und dem Ausschuss für Wirtschaft, Energie, eine Aktuelle Stunde (Steuerflucht stoppen: Verkehr und Landesentwicklung, beteiligt, über- Auch Fraport „flie(h)gt“ ins Steuerparadies wiesen ...... 6992 Malta) Wolfgang Greilich ...... 6982, 6991 – Drucks. 19/4553 – ...... 6959 Christoph Degen ...... 6984 Abgehalten ...... 6965 Armin Schwarz ...... 6985, 6992 Gabriele Faulhaber ...... 6987 Janine Wissler ...... 6959 Daniel May ...... 6988 Lena Arnoldt ...... 6960 Minister Prof. Dr. R. Alexander Lorz ...... 6989 Marius Weiß ...... 6961 Sigrid Erfurth ...... 6962 Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn ...... 6963 14. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Staatssekretärin Dr. Bernadette Wey- Rückkehr des Landes Hessen in die Tarifge- land ...... 6964 meinschaft der Länder – Drucks. 19/4498 – ...... 6992 49. Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Abgelehnt ...... 7001 Aktuelle Stunde (Regierung Bouffier muss 58. Dringlicher Entschließungsantrag der Frak- endlich Doppelbezug von öffentlichen Leis- tionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE tungen stoppen – vollständige Registrierung GRÜNEN betreffend Hessen bietet Beschäf- von Flüchtlingen zügig umsetzen und Daten- tigten weiterhin gute Arbeitsbedingungen abgleich ermöglichen) – Drucks. 19/4567 – ...... 6992 – Drucks. 19/4554 – ...... 6965 Angenommen ...... 7001 Abgehalten ...... 6972 Günter Rudolph ...... 6992, 6999 René Rock ...... 6965 Hermann Schaus ...... 6993, 7000 Dr. Ralf-Norbert Bartelt ...... 6966 Christian Heinz ...... 6994 Marcus Bocklet ...... 6967 Jürgen Frömmrich ...... 6995 Gabriele Faulhaber ...... 6967 Wolfgang Greilich ...... 6997 Ernst-Ewald Roth ...... 6968 Minister Peter Beuth ...... 6998 Minister Axel Wintermeyer ...... 6969, 6971 Holger Bellino ...... 7000 Florian Rentsch ...... 6970

17. Antrag der Fraktion der FDP betreffend jun- 23. Entschließungsantrag der Fraktionen der gen Menschen eine Chance geben, sich etwas CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- aufzubauen – Freibetrag bei der Grunder- treffend „Es kommt nicht darauf an, wo du werbsteuer einführen herkommst, sondern wo du hin willst“ – – Drucks. 19/4524 – ...... 7001 deutliche Ausweitung des integrationspoliti- schen Landesprogrammes WIR Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 7001 – Drucks. 19/4530 – ...... 6972 Angenommen ...... 6982 19. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Marcus Bocklet ...... 6973 Frauenrechte stärken – Gleichberechtigung Ismail Tipi ...... 6974 endlich realisieren – auch in Hessen Corrado Di Benedetto ...... 6975 – Drucks. 19/4526 – ...... 7001 Gabriele Faulhaber ...... 6977 Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn ...... 6978 Dem Sozial- und Integrationspolitischen Aus- Minister Stefan Grüttner ...... 6980 schuss überwiesen ...... 7007 Staatssekretär Jo Dreiseitel ...... 6981 60. Dringlicher Entschließungsantrag der Frak- tionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Gleichberechtigung 16. Antrag der Fraktion der FDP betreffend von Frauen und Männern verwirklichen – Gründergeist und Unternehmertum in hessi- Maßnahmen des Landes zeigen bereits Wir- schen Schulen kung – Drucks. 19/4518 – ...... 6982 – Drucks. 19/4572 – ...... 7001 Dem Kulturpolitischen Ausschuss, federführend, Dem Sozial- und Integrationspolitischen Aus- und dem Ausschuss für Wirtschaft, Energie, schuss überwiesen ...... 7007 Verkehr und Landesentwicklung, beteiligt, über- wiesen ...... 6992 Vizepräsidentin Ursula Hammann ...... 6972 Lisa Gnadl ...... 7001, 7006 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6929

Sigrid Erfurth ...... 7002 24. Entschließungsantrag der Fraktionen der René Rock ...... 7003 CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- Marjana Schott ...... 7003 treffend Hessens Gesundheitswirtschaft Ga- Claudia Ravensburg ...... 7005 rant für Wachstum und Arbeitsplätze Minister Stefan Grüttner ...... 7006 – Drucks. 19/4531 – ...... 7015 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 7015 53. Dringlicher Entschließungsantrag der Frak- tion DIE LINKE betreffend Mobilisierung pensionierter Polizeikräfte für Abschiebun- 25. Entschließungsantrag der Fraktionen der gen belegt völlig verfehlte Personalplanung CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- und inhumane Flüchtlingspolitik der Landes- treffend Städtebauprogramme finanziell regierung deutlich gestärkt und breiter aufgestellt – Drucks. 19/4556 – ...... 7007 – Drucks. 19/4532 – ...... 7015 Dem Innenausschuss überwiesen ...... 7015 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 7015 61. Dringlicher Entschließungsantrag der Frak- tionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend ausreisepflichtige Asyl- 26. Entschließungsantrag der Fraktionen der bewerber aus Afghanistan CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- – Drucks. 19/4573 – ...... 7007 treffend kommunaler Schutzschirm des Lan- des wirkt schneller als erwartet – Landkreis Dem Innenausschuss überwiesen ...... 7015 Marburg-Biedenkopf und Stadt Kassel ste- 62. Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD be- hen beispielhaft für die Erfolge der Schutz- treffend Abschiebungen nach Afghanistan schirmkommunen aussetzen – Drucks. 19/4533 – ...... 7015 – Drucks. 19/4574 – ...... 7007 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 7015 Dem Innenausschuss überwiesen ...... 7015 Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken ...... 6982 28. Entschließungsantrag der Fraktionen der Hermann Schaus ...... 7007 CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- Astrid Wallmann ...... 7008 treffend Hessen hat Familiensinn – Stärkung Marcus Bocklet ...... 7009 der Familienfreundlichkeit in Hessen Günter Rudolph ...... 7010 – Drucks. 19/4535 – ...... 7015 Wolfgang Greilich ...... 7011 Minister Peter Beuth ...... 7012 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 7015 Janine Wissler ...... 7013 Gerhard Merz ...... 7014 56. Dringlicher Entschließungsantrag der Frak- tion DIE LINKE betreffend Wohnsitzaufla- 21. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend gen für Flüchtlinge sind mit Menschenrech- Handels- und Investitionsschutz-Abkommen ten unvereinbar und behindern die Integrati- CETA ablehnen on – Hessen darf „diskriminierende“ Rege- – Drucks. 19/4528 – ...... 7015 lung nicht einführen Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 7015 – Drucks. 19/4563 – ...... 7015 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 7015 6930 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Im Präsidium: Präsident Norbert Kartmann Vizepräsidentin Heike Habermann Vizepräsident Frank Lortz Vizepräsidentin Ursula Hammann Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken Vizepräsident Wolfgang Greilich Auf der Regierungsbank: Ministerpräsident Volker Bouffier Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Tarek Al-Wazir Minister und Chef der Staatskanzlei Axel Wintermeyer Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigte des Landes Hessen beim Bund Lucia Puttrich Minister des Innern und für Sport Peter Beuth Minister der Finanzen Dr. Thomas Schäfer Ministerin der Justiz Eva Kühne-Hörmann Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz Minister für Wissenschaft und Kunst Boris Rhein Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Priska Hinz Minister für Soziales und Integration Stefan Grüttner Staatssekretär Michael Bußer Staatssekretär Mark Weinmeister Staatssekretär Mathias Samson Staatssekretär Werner Koch Staatssekretärin Dr. Bernadette Weyland Staatssekretär Thomas Metz Staatssekretär Dr. Manuel Lösel Staatssekretär Ingmar Jung Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser Staatssekretär Jo Dreiseitel Staatssekretär Dr. Wolfgang Dippel Abwesende Abgeordnete: Dirk Landau Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6931

(Beginn: 9:03 Uhr) Umso mehr freuen wir uns, dass die Citybahn, wie sie jetzt heißt, endlich ins Rollen kommt – und hoffentlich dann Vizepräsident Frank Lortz: auch zu einem guten Ergebnis. Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle sehr herz- (Unruhe – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS lich, heiße Sie willkommen zur Plenarsitzung am Donners- 90/DIE GRÜNEN): Psssst!) tag und stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest. Dass das so ist, hängt auch mit dieser Landesregierung zu- (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) sammen, die das Projekt aktiv unterstützt und in da- für um Unterstützung wirbt. Es sind noch Punkte offen: 14, 16, 17, 19, 21, 23 bis 26, 28, 45 bis 49, 53 und 55 bis 59. (Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD)) Wir tagen heute bis 18 Uhr. Mittagspause: eine Stunde. Nicht nur das, sie gibt auch fast 500.000 € an Landesmit- Wir fangen an mit der Aktuellen Stunde. Nach dem Tages- teln für die Planung frei, die jetzt schon freigegeben sind. ordnungspunkt 47 werden die Tagesordnungspunkte 57 (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ und 59 – das ist Opel –, zwei Dringliche Anträge zum The- DIE GRÜNEN und der CDU) ma, ohne Aussprache aufgerufen und sofort abgestimmt. Ohne diese Unterstützung hätte die Citybahn kaum eine (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) Chance gehabt; denn – wir blicken zurück – 2013 hieß der Dann geht es nach der Aktuellen Stunde mit Tagesord- Verkehrsminister Florian Rentsch, und der hat dieses Pro- nungspunkt 23 weiter. jekt aktiv blockiert. Deswegen sind wir froh, dass der Ver- kehrsminister jetzt Tarek Al-Wazir von den GRÜNEN ist Es fehlt heute entschuldigt bis 16:45 Uhr der Staatsminis- und nicht mehr Florian Rentsch von der FDP. Die FDP, die ter Dr. Thomas Schäfer. sich ja als Dagegen-Partei – – Wir haben heute auch Geburtstage im Haus. Zunächst (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und möchte ich unserer Kollegin Karin Wolff ganz herzlich bei Abgeordneten der CDU – Unruhe – Mathias gratulieren und ihr alles Gute wünschen. Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Allgemeiner Beifall – Vizepräsident Frank Lortz Man versteht leider nichts, Herr Präsident! – überreicht einen Blumenstrauß.) Glockenzeichen des Präsidenten) Dann haben wir noch einen runden Geburtstag. Unser Kol- lege Willi van Ooyen kann heute seinen 70. Geburtstag fei- Vizepräsident Frank Lortz: ern. Herzlichen Glückwunsch, lieber Willi, alles Gute. Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit (Allgemeiner Beifall – Abg. Janine Wissler (DIE für die Rednerin. Wir sind erst am Beginn der Aktuellen LINKE) überreicht einen Blumenstrauß. – Vizeprä- Stunde; wir können uns dann noch ein bisschen heiß ma- sident Frank Lortz überreicht mit einem Kuss ein chen. Weinpräsent. – Zurufe: Hui!) (Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD)) – Das habe ich mir gedacht, dass jetzt so eine Reaktion Also, Frau Kollegin Müller, Sie haben das Wort. kommt. Aber ich hatte es vorher abgestimmt, auch mit dem Ministerpräsidenten. Alles in Ordnung. Willi, Glück auf. (Allgemeine Heiterkeit) Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist doch schön, wenn wir während der Plenarsitzungen Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich kann ja verstehen, dass Geburtstage haben. Dass die Geburtstagskinder wegen mir Sie Geburtstag feiern. Aber jetzt feiern wir die Citybahn, kommen, ist eine schöne Sache. und das ist auch ein schöner Anlass. Das wären die amtlichen Geschichten usw. usf. Gibt es (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ noch etwas zur Tagesordnung? – Das ist nicht der Fall. DIE GRÜNEN und der CDU) Dann fangen wir an mit Tagesordnungspunkt 45: Die FDP als Dagegen-Partei hat die Bahn lange erfolgreich blockiert. Damit ist nun Schluss. Im Jahr 2001 hat die FDP Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- erfolgreich Kommunalwahlkampf mit der Bahn gemacht, treffend eine Aktuelle Stunde (Die Citybahn in Wiesba- und der Höhepunkt in der Geschichte war im Jahr 2013 – den kommt ins Rollen – weil alle bis auf die Dagegen- ich habe es eben schon kurz erwähnt –, als Herr Rentsch Partei FDP es wollen) – Drucks. 19/4550 – aus fadenscheinigen Gründen eine Förderung der Stadt- bahn in Wiesbaden abgelehnt hat. So heißt der Titel. Das Wort hat Frau Karin Müller (Kas- sel), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. (Gerhard Merz (SPD): Unerhört!) Damit wollten Sie Landtagswahlkampf machen und sonst nichts; denn selbst Ihre eigene Behörde Hessen Mobil hat Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): damals nach Aussagen der Wiesbadener Dezernentin eine Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Geschichte positive fachliche Bewertung abgegeben. Aber Sie haben der Stadtbahn Wiesbaden ist lang. Sie begann bereits Ende uns auf eine Kleine Anfrage geantwortet, der Systemwech- der Neunzigerjahre. Leider kann ich Ihnen in fünf Minuten sel wäre schwierig, dies und das. – Alles fadenscheinige nicht die komplette Geschichte erzählen, aber einen klei- Begründungen, weil Sie es einfach politisch nicht wollten. nen Einblick will ich Ihnen gerne geben. (Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP)) 6932 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

(Beifall der Abg. Angela Dorn, Mathias Wagner nung ist, von Ihnen ist. Ich glaube, dass das eher aus dem (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Man- Hause des Wirtschaftsministers kommt. fred Pentz (CDU)) (Zuruf des Abg. René Rock (FDP)) Aber zum Glück war der Landtagswahlkampf nicht so er- Man konnte auch sehen, dass der Herr Wirtschaftsminister folgreich. In der glücklichen Situation heute haben wir eine sich jetzt ein Loch in den Bauch gefreut hat wegen Ihrer Mehrheit in der Wiesbadener Stadtverordnetenversamm- Rede. Er freut sich auch darüber, wenn die AfD seinen Ide- lung, die den Beschluss aus 2001 erneuert hat und ein posi- en zustimmt. Es ist schön, worüber er sich freut. Mit Re- tives Votum für die Citybahn gegeben hat. Diesen Be- spekt davor, dass man im politischen Raum in einer Sach- schluss haben alle unterstützt – außer der FDP, die erst mal frage eine andere Meinung hat, hat das jetzt hier überhaupt eine Kosten-Nutzen-Analyse und Fahrgastzahlen will. nichts mehr zu tun. (Zurufe der Abg. René Rock und Florian Rentsch (Beifall bei der FDP) (FDP)) Meine Damen und Herren, Sie haben es schon angespro- Dabei könnte ihr Gedächtnis auch ein bisschen besser sein; chen: In der Sachfrage kritisieren wir, dass es keine aktuel- denn die Fahrgastzahlenerhebung und die Kosten-Nutzen- le Kosten-Nutzen-Rechnung gibt. Frau Müller – dafür ma- Analyse wurden schon 2003 und 2011 durchgeführt, jedes chen Sie den Job zu lange –, das steht am Anfang eines je- Mal mit einem positiven Ergebnis. Also: Damals haben Ih- den Verkehrsinfrastrukturprojekts für die Entscheidung, ob nen die Fakten nichts ausgemacht, um es abzulehnen, und man es will oder nicht. Wenn ich es so richtig sehe, will jetzt schieben Sie fadenscheinige Argumente vor. selbst der Stadtkämmerer der Stadt Wiesbaden eine solche (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Kosten-Nutzen-Rechnung haben und Antworten auf die DIE GRÜNEN und der Abg. Judith Lannert (CDU)) Frage: Gibt es dazu Alternativen? Die Citybahn kann erheblich zur Entlastung der Verkehrs- Frau Müller, wir haben bei der Frage autonomes Fahren, wege beitragen, da ein erhebliches Umstiegspotenzial von Elektromobilität heute moderne Alternativen. Es gibt die dem Individualverkehr auf den öffentlichen Personennah- Fahrzeuge, es gibt die Technik. All das könnten wir in ei- verkehr zu erwarten ist. Aber auch ein erheblicher Beitrag ner Stadt wie Wiesbaden einsetzen. Es gibt Alternativen, zur Minderung der Feinstaubbelastung und zum Klima- die zu prüfen sind: ob der Busverkehr anders zu regeln ist, schutz wird durch die Citybahn geleistet. vielleicht auf Elektromobilität umzustellen ist. All diesen Diskussionen verweigern Sie sich, weil Sie sagen: Es muss Die Citybahn ist ein Schlüsselprojekt für modernen Nah- jetzt wieder eine Straßenbahn in die Stadt Wiesbaden. – verkehr, der jetzt endlich mit Unterstützung des Landes auf Herr Staatsminister, vielleicht sagen Sie einfach einmal die Schiene gesetzt wird. Die FDP ist dagegen die Partei nichts, wenn Sie auf der Regierungsbank sind. von gestern; das haben wir gestern schon gehört. Sie ist ge- gen das Zufußgehen, gegen das Radfahren, gegen die (Beifall bei der FDP) Windkraft und gegen die Straßenbahn, wie sie immer wie- Sagen Sie einfach einmal nichts. Sie haben gleich Gelegen- der deutlich macht. heit zur Antwort. Wir setzen uns genau für diese Zukunftsthemen ein und (Florian Rentsch (FDP): Er kann ja twittern!) sind davon überzeugt, dass diese Themen für die Gesell- schaft viel relevanter sind als Autobahnen und Warnhin- Meine Damen und Herren, wir haben eine gleiche Situati- weise für Blitzer. on, (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) In diesem Sinne freuen wir uns auf die Citybahn, die Wies- wie es bei der Elbphilharmonie oder dem BER in Berlin baden und Mainz verbindet und die Menschen umwelt- war. Auch dort hat Politik Großprojekte durchgesetzt, und freundlich ans Ziel bringt. sie sind am Ende in einem Millionengrab geendet, weil man vorher die Kosten nicht richtig eingeschätzt hat. (Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP)) (Beifall bei der FDP – Thorsten Schäfer-Gümbel Vielleicht entdecken Sie das auch als Ihr Lieblingsprojekt, (SPD): Die Elbphilharmonie ist aber großartig, mit wenn es mit der Brücke nichts wird. Verlaub!) (Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Herr Schäfer-Gümbel, das stimmt. Sie ist toll geworden, NEN – Beifall bei der CDU) aber am Ende wissen wir auch, welche Diskussionen wir hinter uns haben. Vizepräsident Frank Lortz: (Beifall bei der FDP – Gerhard Merz (SPD): Aber Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Das Wort hat Herr sie fährt nicht! – Mathias Wagner (Taunus) (BÜND- Abg. Lenders, FDP-Fraktion. NIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie am Ende zur Ci- tybahn sagen, sie ist toll, ist das in Ordnung! – Wei- tere Zurufe – Glockenzeichen des Präsidenten) Jürgen Lenders (FDP): Frau Müller, es wäre fair, wenn Sie den Menschen sagen, Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin dass die Straßenbahn, die dann fahren wird, die Buslinien Müller, Sie sind eigentlich eine viel zu nette Kollegin, ersetzen wird. Der Charme, den die Taktung des Busver- kehrs in Wiesbaden momentan hat, wenn man beispiels- (Holger Bellino (CDU): Ja, das stimmt!) weise nach Mainz fahren will, ist, dass Sie, ohne zu überle- als dass ich es Ihnen abnehme, dass dieser Frontalangriff gen, einfach in den nächsten Bus steigen können. Die Tak- auf eine Fraktion, die einfach nur sachlich anderer Mei- tung ist so eng – – Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6933

(Janine Wissler (DIE LINKE): Man muss schon den Vorplanungen für das Projekt begonnen werden kann. überlegen, welchen Bus man nimmt! – Mathias Diese Vorplanungen sind essenziell, um eine Umsetzungs- Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): entscheidung für ein so bedeutsames Verkehrsgroßprojekt Das klingt ein bisschen nach Stoiber!) überhaupt im Grundsatz beschließen zu können. Angesichts des Busverkehrs, der in Wiesbaden immer Vizepräsident Frank Lortz: mehr an seine Grenzen gerät, hatten wir das Thema auch schon 2011 diskutiert, damals noch unter dem Titel „Re- Moment, Herr Kollege Lenders. – Meine Damen und Her- giobahn“. Der damalige Verkehrsminister hat sich gegen ren, ich bitte Sie um etwas Aufmerksamkeit. Die Zwi- das Projekt gestellt, sodass es eigentlich nie aus den Start- schenrufe etwas intelligenter, dann sehen wir weiter. schuhen hinausgekommen ist. (Beifall bei der FDP) Mittlerweile – es ist jetzt einige Jahre später – ist es so, und man kann es jeden Tag live in Wiesbaden begutachten, dass der Busverkehr tatsächlich an die Grenzen seiner Jürgen Lenders (FDP): Leistungsfähigkeit gerät. Außerdem haben wir Anforde- Dann müssten Sie den Menschen sagen, dass das ver- rungen der Luftreinhaltung einzuhalten. Deswegen ist es schwinden wird. Diesen Komfort, den man im Moment richtig und wichtig, dass das Thema Citybahn erneut auf hat, wird es dann nicht mehr geben, weil die Straßenbahn der politischen Agenda steht. in einer solch engen Taktung nicht fahren wird. Frau Mül- Herr Lenders, Sie haben eben das Thema Alternativen an- ler, auch das gehört zur Ehrlichkeit hinzu. gesprochen. – Alternativen sind natürlich geprüft worden. Ich will Ihnen noch eines sagen: Wenn Sie nicht auf uns Längere Solobusse, längere Gelenkbusse, Doppeldecker- hören wollen, dann wäre es vielleicht vernünftig, einmal busse, Oberleitungsbusse, sogar ein 24-m-Buszug wurden abzufragen, was die Bürger wollen. Wir haben ähnliche geprüft. Alles wurde durchgespielt. Am Schluss muss man Projekte in Aachen gehabt, ähnliche Ideen, wieder eine aber einfach feststellen, dass in Fragen Umweltfreundlich- Straßenbahn zu installieren. Am Ende gab es eine riesen- keit und Beförderungsqualität keine der Alternativen mit große politische Mehrheit. Auch da war nur die FDP dage- der Citybahn standhalten kann. Ich glaube, das ist auch ei- gen, die Dagegen-Partei, wie Sie so schön sagen. ner der Gründe, warum sich die Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter aus allen Bereichen der ESWE für die Citybahn Was ist am Ende beim Bürgerentscheid herausgekommen? starkmachen und aussprechen. Die Bürger haben es mit zwei Dritteln abgelehnt, weil sie gesagt haben: Das ist eine Technik, die wir heute nicht (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE mehr haben wollen. GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Das Vorhaben soll in einem ersten Schritt auf 12 km Länge von der Theodor-Heuss-Brücke über Mainz-Kastel, den In einer Großstadt wie Aachen oder Wiesbaden im Nach- Ostbahnhof und die Wiesbadener Innenstadt bis zur Hoch- gang eine Straßenbahn zu installieren, hat so viele Proble- schule RheinMain führen. Die Spurweite wird von der me, dass die Menschen es am Ende nicht wollen. Mainzer Straßenbahn übernommen, damit man die Mög- Frau Müller, dieser Diskussion stellen Sie sich nicht. Sie lichkeit hat – es ist am Schluss auch die logische Konse- gehen hierhin und sagen, die FDP sei die Dagegen-Partei. quenz –, die Strecke mit der rheinland-pfälzischen Landes- – Mit rein sachlichen Überlegungen, mit Sachargumenten hauptstadt zu verbinden. kommen wir an dieser Stelle anscheinend nicht weiter. Herr Lenders, Sie haben eben die Taktung der Busse ange- Dann wäre es zumindest wünschenswert, Sie würden ein- sprochen, und was das für den Busverkehr in Wiesbaden mal die Bürger fragen, was sie wirklich wollen. – Vielen bedeutet. Das kann man schon konkret benennen. Dank. Wenn die Citybahn zum Einsatz kommen würde, würde sie (Beifall bei der FDP) 30 Busse ersetzen. Wir bräuchten dann 20 Fahrzeuge für die Citybahn. – Ich glaube, maßgeblich sind die folgenden Vizepräsident Frank Lortz: Zahlen: 82.000 Personen würden die Citybahn täglich nut- zen. Die Zahl, die nun von mir genannt werden wird, finde Vielen Dank, Kollege Lenders. – Das Wort hat die Frau ich beeindruckend: 22.000 Personen davon wären neue Kollegin Astrid Wallmann, CDU-Fraktion. Kunden. Das wären überwiegend Kunden, die im Straßen- verkehr den Pkw nutzen. Das würde eine Reduzierung der Fahrleistung um 116.000 km pro Tag bedeuten. Astrid Wallmann (CDU): Eines kommt noch hinzu: Der Zeitpunkt ist so günstig wie Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen nie. 60 % der Finanzierung würde der Bund über das Bun- und Herren! Die Umsetzung des Projekts Citybahn in desprogramm Schienenverkehrswege übernehmen. Die po- Wiesbaden ist eine Entscheidung, die auf kommunaler litischen Vorzeichen sind so günstig wie nie. Ich möchte Ebene zu treffen ist. Die Kommunalpolitik in Wiesbaden an dieser Stelle ausdrücklich Herrn Staatsminister Tarek beschäftigt das Thema schon seit vielen Jahren, konkret Al-Wazir dafür danken, dass er dieses Projekt von Anfang seit Anfang der Neunzigerjahre. Am vergangenen Don- an so positiv begleitet hat. Er hat auch diese – ich will es nerstag war es dann so weit: Das Wiesbadener Stadtparla- einmal so nennen – Art Startschuss mit begleitet. ment hat getagt, im Vorfeld die zuständigen Fachausschüs- se. Der Landesregierung liegen inzwischen Teilergebnisse der Nutzen-Kosten-Untersuchung von PTV Transport Consult Es ist ein Beschluss gefasst worden. Bis auf die Vertreter sowie eine Machbarkeitsstudie der städtischen Verkehrsbe- der FDP haben alle Stadtverordneten zugestimmt, dass mit triebe vor. 6934 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) und haben damit oftmals keinen Zeitvorteil. Eine Schienenlösung hätte da klare Vorteile, wenn sie, wo im- Auch dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken: Das mer es möglich ist, baulich vom restlichen Verkehr ge- Land wird sich an den Kosten der Vorplanungen mit knapp trennt und ansonsten klar priorisiert durch die Stadt geführt 500.000 € beteiligen. Das Projekt ist auch schon zu einer würde. Förderung im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzie- rungsgesetzes angemeldet. Generell bevorzugen Fahrgäste Bahnen gegenüber Bussen. Für diesen sogenannten Schienenbonus gibt es gute Grün- Zur Ehrlichkeit muss man Folgendes sagen: Die GVFG- de: Die Linien sind im Stadtbild klar erkennbar, die Fahr- Mittel werden zwar über das Jahr 2019 hinaus weiterge- ten sind komfortabler und zuverlässiger, die Bahnen sind führt werden. Sie sind aber bis zum Jahr 2025 auf 330 Mil- geräumiger. lionen € eingefroren. Das Programm ist mehrfach über- zeichnet. Das bedeutet: Wiesbaden muss im Wettbewerb Wir reden hier nicht nur über den Vorteil der Schiene, son- der Infrastrukturprojekte gute Argumente vorbringen, da- dern wir reden vor allem auch über die Elektrifizierung des mit die Förderung nach Wiesbaden geht. Ich glaube aber, Verkehrs. Wiesbaden hat nämlich noch ein anderes Allein- dass wir die werden vorbringen können. stellungsmerkmal unter den hessischen Großstädten, den NO -Baum vor dem Bahnhof. Die Lichtinstallation im Noch fährt die Citybahn in Wiesbaden nicht. Ich finde es x Baum zeigt farbig an, wie es um die Luftqualität in der aber gut und erfreulich, dass wir jetzt den ersten Schritt ge- Stadt steht. In der Wiesbadener Kessellage ist sie beson- gangen sind. Wie gesagt, die Vorplanungen starten jetzt. ders verheerend. Bei Überschreitung des Grenzwertes für Wenn alles so konsequent und zügig weitergeht, dann wäre Stickstoffdioxid in der Luft leuchtet der Baum rot. Dieser die Bahn im Jahr 2022 auf den Schienen. Baum ist leider meistens rot. In diesem Fall ist rot aus- Herr Lenders, da möchte ich noch einmal auf das, was Sie nahmsweise nicht gut. eben kritisch angemerkt haben – – (Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Rot bedeutet immer Gefahr, das ist schon in der Na- Vizepräsident Frank Lortz: tur so!) Frau Kollegin Wallmann, Sie müssen langsam zum Gerüchteweise soll dieser Baum in klaren Nächten einmal Schluss Ihrer Rede kommen. vorübergehend grün leuchten. Aber in der Regel leuchtet er rot und zeigt an, dass wir eine hohe Schadstoffbelastung in der Stadt haben. Astrid Wallmann (CDU): Schuld sind vor allem die Dieselfahrzeuge in der Stadt. Sofort. Ich werde dann aufhören. Das ist wirklich mein Dazu gehören natürlich auch maßgeblich die Busse. Schluss. – Sie haben eben das Thema Bürgerbeteiligung Natürlich braucht es beim Neubau der Stadtbahn die Ein- angesprochen. Ja, da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Es bindung und Beteiligung der Menschen in der Stadt und in ist ganz maßgeblich, dass die Bürger bei einem solch der Region. Es bedarf besonders der Einbindung der be- großen Verkehrsprojekt mitgenommen werden. Das ist troffenen Anwohnerinnen und Anwohner. maßgeblich. Man kann ein solches Projekt nur mit den Bürgern und nicht gegen sie umsetzen. In dem Fall sind Natürlich ist es mit der Stadtbahn nicht getan, will man die wir uns völlig einig. Da sind sich aber auch die neuen Ko- Verkehrswende in der heutigen Autostadt Wiesbaden. operationspartner von CDU, SPD und GRÜNEN im Rat- Dringend notwendig ist z. B. der Ausbau des Radverkehrs. haus ebenso einig. – Vielen Dank. Die Radwege müssen vor dem Zuparken geschützt werden. Das Zuparken in der Stadt ist ein großes Problem. Es geht (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE aber auch um ein kostenloses Leihradsystem. All das könn- GRÜNEN) te dazu führen, dass Wiesbaden ein Stück weit von Lärm und Autos entlastet würde. Vizepräsident Frank Lortz: Ich habe erfreut zur Kenntnis genommen, dass der Wiesba- Astrid Wallmann, vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kolle- dener Verkehrsdezernent auch die kostenfreie Nutzung des gin Janine Wissler für die Fraktion DIE LINKE. ÖPNV als ein Werkzeug im Kampf gegen die Schadstoff- belastung in der Stadt ins Spiel gebracht hat. Auch wir dis- kutieren und fordern den Nulltarif. Von daher freut es Janine Wissler (DIE LINKE): mich, wenn diese Debatte auch bei den verantwortlichen Kommunalpolitikern so geführt wird. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Landes- hauptstadt Wiesbaden ist die einzige der vier größten Städ- Das Beispiel der Stadtbahn Wiesbaden zeigt, wie wichtig te Hessens, die ihren Nahverkehr komplett mit Bussen ab- auch große Investitionen in die kommunale Nahverkehrs- wickelt. Sie ist damit schon längst an ihrer Kapazitätsgren- infrastruktur sind. In der zweiten Hälfte des letzten Jahr- ze angekommen. Zum Beispiel kommen am Bahnhof oft- hunderts wurden viele Großprojekte verwirklicht, in Hes- mals gleichzeitig mehrere Hundert Menschen mit Zügen sen natürlich allem voran die Errichtung der U- und S-Bah- an. Sie quetschen sich dann in wenige Busse. nen in . In der Innenstadt blockieren sich die in dichtem Takt fah- Mittlerweile wird aber nur noch punktuell in neue ÖPNV- renden Busse oft gegenseitig. Oft sind sie überfüllt. Gerade Infrastruktur investiert. Dabei wären auch weiterhin große wenn es zu Verspätungen kommt, laufen die Busse aufein- Visionen und große Investitionen notwendig, die die Kom- ander auf. munen in Zukunft nicht alleine werden stemmen können. Deshalb ist es wichtig, dass der Bund die Gemeindever- Die Busse sind schlecht beschleunigbar. Sie stehen oft im kehre noch mehr als bisher finanziell unterstützt. Aber gleichen Stau und an den gleichen Ampeln wie die Autos Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6935 auch das Land muss unterstützen, um nachhaltige und um- Projekt unterstützen und einen Brief an den amtierenden weltfreundliche Alternativen zum Auto zu schaffen. Wirtschafts- und Verkehrsminister unterschrieben haben, der sich dieses Projekts angenommen und 15 % der Pla- (Beifall bei der LINKEN) nungskosten in Aussicht gestellt hat. Ich könnte jetzt aus Die Errichtung einer Stadtbahn in Wiesbaden ist mehr als meiner Fraktion viele Namen nennen, die sich meinem überfällig. Sie kommt viel zu spät. Fast 20 Jahre wurden Dank anschließen. verloren, weil insbesondere durch die FDP, aber auch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE durch die CDU das Projekt immer wieder sabotiert wurde. GRÜNEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktions- Das muss man auch sagen: Die CDU war, um es mit den los)) Worten der GRÜNEN zu sagen, in diesem Fall auch lange eine Dagegen-Partei. Nach der Kommunalwahl im Jahr Von den vielen Dingen, die von den Vorrednerinnen rich- 2001 – die Finanzierung war zu diesem Zeitpunkt schon tig benannt wurden, will ich wenigstens noch zwei Punkte gesichert – verwarfen CDU und FDP die weit gediehenen nennen. Wir gehen derzeit von einem Fahrgastaufkommen Stadtbahnpläne. Im Jahr 2013 tat der FDP-Verkehrsminis- von 82.000 Personen täglich aus, darunter 22.000 neue, die ter Rentsch noch einmal alles, um das Projekt zu verhin- vom Auto auf den ÖPNV umsteigen. Die anderen Projekte, dern, weswegen die Planungen wieder gestoppt wurden. was die Senkung der Schadstoffbelastung und viele andere Punkte mehr angeht, sind genannt. Jetzt kann die FDP gerade einmal auf keiner Ebene Steine in den Weg werfen. Deshalb muss die Errichtung jetzt an- Ich sage das jetzt an die Adresse der Kolleginnen und Kol- gegangen werden. Dabei geht es nicht nur um die Errich- legen der GRÜNEN: Wir wünschen uns, dass die Citybahn tung einer Linie. Vielmehr brauchen wir ein Stadtbahnnetz ins Rollen kommt, aber wir sind in einem weit entfernten in Wiesbaden. Die angedachten Anbindungen nach Mainz Stadium. Frau Wallmann hat es angesprochen. Die Stadt- und über die Aartalbahn nach Bad Schwalbach wären sehr verordnetenversammlung hat das am 16. Februar Gott sei sinnvoll. Das könnte der Mobilität in der Region neue Im- Dank beschlossen. Mein Wiesbadener Parteivorsitzender pulse geben. Das begrüßen wir ausdrücklich. Das muss hat gesagt: Wir entscheiden heute nicht über die Details jetzt angepackt werden. – Vielen Dank. der Streckenführung, nicht über die Standorte der Hal- testellen, nicht über die Taktung der Bahnen, nicht über (Beifall bei der LINKEN) Rasengleise, nicht über Oberleitungen und nicht darüber, ob der Grundwasserschutz gewahrt ist oder ob und welche Vizepräsident Frank Lortz: Buslinien in Zukunft anders fahren werden. Wir entschei- den heute einzig und allein über eine Vor- und Entwurfs- Frau Kollegin Wissler, vielen Dank. – Das Wort erhält planung, die Vorbereitung der Gründung einer Citybahn Herr Abg. Ernst-Ewald Roth für die SPD-Fraktion. GmbH und die Bereitstellung von Mitteln für dieses Pro- jekt. Ernst-Ewald Roth (SPD): Die Vorplanung ist entschieden. Wir alle wissen aus ande- ren Projekten im Lande Hessen, bei denen schon Bagger Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Wiesbade- gerollt sind, wo wir jetzt stehen. Hier ist es so: Ich hoffe, ner Abgeordneten haben gemeinsam, dass sie stark erkältet dass die Citybahn ins Rollen kommt, aber wir sind noch sind. weit davon entfernt. (Horst Klee (CDU): Nein, ich nicht! Ich sage aus- Ein Punkt unter vielen, der in der Kritik der FDP zu allen drücklich: ich nicht!) Zeiten eine Rolle gespielt hat, war das Schotterbett in die- Zunächst möchte ich auf die Historie dieses Themas zu ser Stadt. Da wird ein Schotterhaufen quer durch die Stadt sprechen kommen. Das wurde von einigen schon ange- gezogen – das kann man vergessen. Mir fallen dabei Hän- sprochen. In den Neunzigerjahren bis Anfang 2000 gab es sel und Gretel ein, die eine Kiesspur gezogen haben im Stadtparlament eine große Mehrheit für die Errichtung (Horst Klee (CDU): Das hatten wir aber in Wiesba- der Stadtbahn. Dann nutzte die FDP im Kommunalwahl- den schon!) kampf 2001 die Gunst der Stunde und hat das zum Wahl- kampfthema gemacht. Sie hat dann in der Tat in dieser – ja, das gab es schon –, damit sie wussten, wie sie von A Stadt stark dazugewonnen. nach B wieder zurückfinden. Herr Kollege Lenders, so wie Sie es gesagt haben, kann man nicht irgendwo in den Bus Kollegin Wissler, das muss in der Tat der Aufrichtigkeit einsteigen. Man muss sich da schon orientieren. – Ich dan- wegen wirklich gesagt werden: Danach gab es eine Gestal- ke Ihnen. tungsmehrheit in dieser Stadt aus CDU, FDP und einem Republikaner, die dieses Projekt dann gestoppt hat. (Beifall bei der SPD) Zweiter Versuch. Vor knapp fünf Jahren gab es eine Neu- auflage unter der Überschrift „Regiobahn“ – eine Initiative Vizepräsident Frank Lortz: der Stadtentwicklungsdezernentin Möricke. Das ist ge- scheitert – in der Tat nicht an der FDP, aber an einem Vielen Dank, lieber Herr Kollege Ernst-Ewald Roth. – Das FDP-Minister, der jetzt hier im Hessischen Landtag Frakti- Wort hat Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. onsvorsitzender ist. (Florian Rentsch (FDP): Auch an der Verkehrsde- Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Ver- zernentin Ihrer Partei!) kehr und Landesentwicklung: Dritter Versuch. ESWE-Verkehr im September 2016 – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! jetzt heißt das ganze Projekt Citybahn. Es ist erfreulich, Die Citybahn in Wiesbaden ist ein zentrales Vorhaben für dass sieben von acht Fraktionen im Stadtparlament dieses einen leistungsfähigen, umweltfreundlichen und zukunfts- 6936 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 fähigen Personennahverkehr in der Stadt Wiesbaden. Es ist Ja, das ist ein gutes Projekt. Es ist teuer. Die geschätzten leistungsfähig, weil Wiesbaden mit der Citybahn in der La- Kosten liegen bei ca. 200 Millionen € zuzüglich ca. 40 ge wäre, das wachsende Fahrgastaufkommen im ÖPNV in Millionen € für die Fortführung nach Mainz, im Falle eines ausreichender Qualität zu bewältigen. Ein weiterer Ausbau Falles dann noch einmal 70 Millionen € für die Verlänge- des Busnetzes würde angesichts der Tatsache, dass die rung ins Aartal bis Bad Schwalbach. Aber es ist ein kluges Busse schon jetzt teilweise sich gegenseitig und auch ande- Projekt. Die Zusammenarbeit mit Mainz führt zu einer re Verkehrsteilnehmer behindern, sicher ein großes Pro- Kostenersparnis auf beiden Seiten, weil man sich dann blem werden und zu einem Dauerstau beitragen. nämlich hier den Betriebshof und die sonstigen Wartungs- einrichtungen sparen könnte. Die Mainzer könnten wieder- Zweitens. Es ist ein umweltfreundliches Projekt, weil eine um ihre Kapazitäten besser auslasten. Ich glaube, dass man Straßenbahn Emissionen von CO und sonstigen Schad- 2 das auf Neudeutsch Win-win-Situation nennt. Wir wollen stoffen vermindert. Das heißt, die Ziele des Klimaschutzes das Projekt unterstützten. Wir als Verkehrsministerium ha- und der Luftreinhalteplanung würden an dieser Stelle ge- ben jetzt die Vorplanung unterstützt, weil es aus unserer fördert, und das wäre ein entscheidender Beitrag zur dauer- Sicht ein besonders förderungswürdiges Projekt ist. Wir haften und – im wahrsten Sinne des Wortes – nachhaltigen haben uns auch jetzt schon an das Bundesverkehrsministe- Schadstoffentlastung in Wiesbaden. Wir haben die absurde rium gewandt und gesagt, dass es wichtig sei, dass wir die Situation, dass Wiesbaden mit die größten Probleme bei Zuschüsse des Bundes bekommen. Sonst ist dieses Projekt der Luftreinhaltung hat und gleichzeitig eine der größten nicht durchführbar. Dieselbusflotten in Hessen betreibt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das passt nicht zusammen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass der Bundesverkehrsminis- ter die Bereitschaft zur Förderung des Vorhabens signali- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE siert hat, aber natürlich nur unter der Bedingung, dass die GRÜNEN) Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Das Projekt ist zukunftsfähig, weil man in der Landes- Deswegen ist das Projekt mit dem Beschluss der Stadtver- hauptstadt zeigen könnte, wie man mit einem guten ordnetenversammlung der vergangenen Woche endlich auf ÖPNV-Projekt die Lebensqualität in der Stadt verbessert. einem guten Weg. Wir begrüßen das ausdrücklich. Eines muss man sagen: Die Menschen – das wissen wir – fahren lieber mit der Bahn als mit dem Bus. Das sagen uns (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Lebenserfahrung und jede Untersuchung. Wenn man bei Abgeordneten der CDU) sich das einmal insgesamt anschaut: Es gab in den Siebzi- Wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu viel gerjahren überall die Situation, dass man Busverkehre neu Zeit verloren. Wenn wir dem Dauerstau und der schlechten eingerichtet und Straßenbahnen teilweise stillgelegt hat. Luft in unseren Städten begegnen wollen, dann müssen wir Man hat gedacht, das funktioniert jetzt alles nur noch auf den öffentlichen Personennahverkehr ganz anders fördern, der Straße. Dann stellte man fest: Es funktioniert eben als das in der Vergangenheit passiert ist, meine sehr ver- nicht, weil die Menschen lieber in die Bahn als in den Bus ehrten Damen und Herren. Wir arbeiten jetzt Schritt für steigen. Deswegen muss man aus meiner Sicht alles dafür Schritt auf, was in der Vergangenheit liegen geblieben ist. tun, dass man auch kommunale ÖPNV-Projekte, die die Das gilt für viele Projekte. Das gilt auch für das Projekt schienengebundenen Verkehre fördern, an dieser Stelle un- Frankfurt Rhein-Main plus. Überlegen Sie einmal, seit terstützt. wann die Ideen zur Stärkung der Schieneninfrastruktur im (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Rhein-Main-Gebiet sowohl kommunal als auch regional GRÜNEN) auf dem Tisch liegen und was in den vergangenen 15 Jah- ren passiert ist. Sie erkennen, da ist nicht genug passiert. Es gibt einen weiteren Punkt, der über die Stadt Wiesbaden Wir versuchen, da jetzt Tempo reinzubringen. hinausgeht – jetzt fangen die Vorplanungen an. Natürlich gibt es einen Teil, an dem das Ganze als länderübergreifen- Deswegen muss ich ausdrücklich sagen: Ich bin froh, dass des Projekt geplant ist. Ich glaube, wir haben in der letzten in der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Wiesbaden Plenarwoche über Brücken zwischen Rheinland-Pfalz und alle bis auf eine Fraktion erkannt haben, dass das dringend Hessen gesprochen. Es wäre eine grenzüberschreitende notwendig ist. Straßenbahn, weil sie nämlich das Mainzer Straßenbahn- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und netz mit benutzen würde. An dieser Stelle würde das si- bei Abgeordneten der CDU) cherlich auch einen Beitrag dazu leisten, in einer solchen Situation die Beziehungen zwischen Mainz und Wiesba- In diesem Sinne, Herr Kollege Rentsch, und weil heute die den, die gerade beim Fasching nicht immer die besten sind, heiße Phase der Kampagne beginnt, kann ich an dieser im wahrsten Sinne des Wortes zu verbessern. Es gibt eben- Stelle nur sagen: Es tobt der Rentsch, es kräht der Hahn, falls – wir sind gespannt darauf, was die Vorplanungen Wiesbaden kriegt die Citybahn. – Vielen Dank. und die weiteren Planungen ergeben werden – noch die Aartalbahn. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) (Beifall des Abg. Marius Weiß (SPD))

Wenn man das Ganze einmal weiterdenkt in Richtung Bad Vizepräsident Frank Lortz: Schwalbach, dann könnte auch das – wenn es klappt, das ist noch nicht sicher – einen Beitrag dazu leisten, die dorti- Vielen Dank, Herr Minister. – Es liegen keine weiteren ge Engpasssituation, Stichwort: B 54 und Eiserne Hand, zu Wortmeldungen vor. entschärfen. (Zuruf von der FDP: Der Minister als Fastnachts- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE prinz!) GRÜNEN) Damit ist Tagesordnungspunkt 45 behandelt. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6937

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) strukturellen Defizite der Kommunen. Allein aus dieser Si- tuation heraus steigt der Druck, die Beiträge zu erhöhen, – Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit. weil das eine der Einnahmen ist, die die Kommunen selbst Ich rufe Tagesordnungspunkt 46 auf: steuern können. Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Im Übrigen wirkt die Kommunalaufsicht in die gleiche Stunde (Gebührenfreie Bildung von Anfang an – Hes- Richtung. Diese fordert die Kommunen landauf, landab sens Eltern entlasten – Hessens Kommunen ausrei- auf, den vollkommen utopischen Anteil von einem Drittel chend unterstützen) – Drucks. 19/4551 – aus den Kindergartenbeiträgen zu erwirtschaften. Das ist zwar utopisch, aber der Druck ist da. Deswegen werden Es beginnt der Kollege Gerhard Merz, SPD-Fraktion. landauf, landab die Kindergartenbeiträge erhöht. Dadurch wird deutlich, dass die Frage der Entlastung von Gerhard Merz (SPD): Familien und die Frage der Entlastung von Kommunen nicht voneinander getrennt werden können. Beides gehört Herr Präsident, meine Damen und Herren! Jetzt wollen wir zusammen, wie wir es im Titel unserer Aktuellen Stunde einmal zu einem Thema kommen, das uns etwas angeht. deutlich gemacht haben. (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) (Beifall bei der SPD) Da ich am vergangenen Dienstag in Anwesenheit zahlrei- Unter dem Aspekt der Entlastung von Familien ist es also cher geistlicher Würdenträger einvernehmlich von dem notwendig, zu einer Gebührenbefreiung zu kommen. Unter Herrn Minister und dem Kollegen Rock zum objektivsten dem Aspekt der regionalen Gleichbehandlung ist dies Landtagsabgeordneten in Hessen ernannt worden bin, will ebenso der Fall. Ich habe die Spannweite in beiden Betreu- ich Ihnen hier jetzt nicht das Märchen von Hänsel und Gre- ungssegmenten deutlich gemacht. Ich könnte jetzt noch et- tel erzählen, sondern ich möchte ein paar objektive Zahlen was zum Hortbereich und zum Pakt für den Nachmittag sa- vortragen. Welche Zahlen könnten objektiver sein als die, gen. Dabei sieht die Situation im Grunde genauso aus. Au- die die Hessische Landesregierung über das Land streut? ßerdem müssen wir – auch das ist hier schon mehrfach er- Ich beginne mit einer Zahl aus dem Evaluationsbericht örtert worden – das unter dem Aspekt der Gleichheit inner- zum KiföG. Danach betrug die Landesförderung für den halb des Bildungssektors betrachten, zu dem der Bereich Betrieb von Kindertagesstätten im Jahr 2015 339 Millio- der Kindertagesstätten ohne jede Frage gehört. nen €. Nach dem Bericht des Statistischen Landesamts be- Lassen Sie mich zum Schluss, nachdem ich so viele objek- trugen die Kosten für den Betrieb von Kindertagesstätten tive Zahlen genannt habe, noch etwas Subjektives sagen: im Jahr 2015 2,14 Milliarden €. Wir wollen Familien mit kleinem Einkommen ent- Wenn man die Zeitreihe bis 2002 zurückgeht – sowohl was lasten. Und das geht kaum noch über Steuerentlas- die Entwicklung der Kosten als auch die Entwicklung der tungen. Ich denke darüber nach, ob wir nicht bun- Landesmittel angeht –, dann kommt man zu dem Ergebnis, desweit Kindergartenplätze für die Drei- bis Sechs- dass durch den Evaluationsbericht deutlich wird, dass der jährigen beitragsfrei anbieten sollten. Das würde Anteil der Landesförderung am Betrieb der Kindertages- 6 Milliarden € kosten, und es wäre gut angelegtes stätten nicht wesentlich gestiegen ist. Dieser ist um etwas Geld. mehr als 2 %, aber nicht wesentlich gestiegen. Das sage aber nicht ich, sondern das sagt Karl-Josef Lau- Angesichts steigender Kosten bedeutet das, dass das Defi- mann, Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse. Recht hat zit der Kommunen aus dem Betrieb von Kindertagesstätten der Mann. automatisch steigen muss; denn 50 % von 1 Milliarde € sind 500 Millionen €, und 50 % von 2 Milliarden € sind (Beifall bei der SPD und des Abg. Hermann Schaus 1 Milliarde €. Das ist nur logisch. (DIE LINKE)) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Frank Lortz: Deswegen kommt es dazu, dass der Elternanteil am Betrieb der Kindertagesstätten auch auf demselben Niveau bleibt. Vielen Dank, Kollege Merz. – Auf der Besuchertribüne be- Damit er bei steigenden Kosten auf dem gleichen Niveau grüße ich unseren langjährigen Kollegen und Freund Vol- bleiben kann, müssen die Elternbeiträge steigen. Das ist ker Hoff. Herzlich willkommen. auch der Fall gewesen. Nach dem Evaluationsbericht ha- (Beifall) ben 45 % der Kommunen in den letzten beiden Jahren ihre Beiträge erhöht. Das Wort hat nun Frau Kollegin Wiesmann, CDU-Frakti- on. Meine Damen und Herren, außerdem haben wir die Situati- on, dass gemäß Evaluationsbericht die Kosten für einen Kinderkrippenplatz zwischen 75 € und 700 € pro Monat Bettina Wiesmann (CDU): liegen. Der Durchschnitt liegt bei 327 €. Die Kosten für einen Kindergartenplatz variieren zwischen 45 € und 300 € Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr pro Monat. Merz, als am Montag der Titel Ihrer Aktuellen Stunde pu- blik wurde, habe ich mich gefragt, was wir heute dazu dis- Meine Damen und Herren, dass dazwischen ein innerer kutieren wollen. Die von Ihnen und der Linkspartei zu die- Zusammenhang besteht, das ist evident. Infolge des stei- ser Frage vorgelegten Gesetzentwürfe haben wir hier schon genden Kostendrucks, der aus der Qualitätsverbesserung ausführlich diskutiert. Man kann zumindest nicht sagen, und der quantitativen Erweiterung resultiert, was wir alle wir hätten sie hier nicht diskutiert. Wir haben sie zwar ab- wollten und was wir alle befürwortet haben, steigen die geräumt, aber das kann man unterschiedlich beurteilen. 6938 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Ich habe mich dann geistig mit mir selbst darauf geeinigt, (Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Gerhard dass Familienpolitik immer aktuell ist. Insofern habe ich Merz (SPD)) mich gefreut, dass wir heute darüber sprechen können. Zweitens. Die Forderung, die Kommunen spürbar zu unter- Jetzt verstehe ich, worauf Sie hinauswollen. Das habe ich stützen, unterschreiben wir, und das machen wir auch: jetzt nachvollzogen. Dennoch ist zu bemerken, dass in 1 Milliarde € aus dem Kommunalinvestitionsprogramm. demselben Evaluationsbericht steht, dass die Elternbeiträge Davon sind zwei Drittel Landesmittel. Ich erspare mir die in den letzten Jahren tatsächlich erhöht worden sind. Es Details, weil Sie sie ja kennen. Demnächst gibt es eine wurde aber auch ausdrücklich festgestellt, dass dies nicht zweite Tranche, um den Schulbau besonders zu unterstüt- in einem kausalen Zusammenhang gesehen wird mit der zen. Einführung des KiföG. Insofern müssen wir da etwas in- Kommunaler Schutzschirm und Kommunaler Finanzaus- tensiver einsteigen. Vielleicht legen Sie einmal einen An- gleich: Noch nie gab es so viel Geld für die Kommunen, trag dazu vor, damit wir das im Ausschuss einmal vertieft und noch nie war – neben allen anderen Vorteilen – das erörtern können. Zunächst einmal steht diese Aussage in Schwankungsrisiko so stark auf der Seite des Landes ver- einem erstaunlichen Gegensatz zu dem, was Sie hier gesagt ankert. haben. (Zurufe von der SPD) (Gerhard Merz (SPD): Frau Kollegin, Sie sollen nicht immer Aussagen widerlegen, die ich nicht ge- Sogar das KiföG hat einen Beitrag zur kommunalen Ent- sagt habe! – Zurufe – Glockenzeichen des Präsiden- lastung geleistet. Auch das steht im Bericht: Rückgang des ten) kommunalen Finanzierungsanteils an den Gesamtbetriebs- kosten um 2,4 %. – Ich glaube, ich habe jetzt das Wort. Drittens – jetzt komme ich zum Kern –: gebührenfreie Bil- Sie haben einen Dreisatz vorgelegt, mit dem Dinge mitein- dung von Anfang an. Das hört sich in Verbindung mit den ander in Verbindung gebracht worden sind. Sie haben ver- schönen Zielen, die wir teilen, natürlich toll an. sucht, das jetzt hier zu erläutern. Diese Dinge stehen aber in überhaupt keinem Zusammenhang zueinander. Ich (Gerhard Merz (SPD): Es ist auch toll!) möchte Ihnen zu allen drei Bestandteilen Ihrer Aktuellen Stunde direkt antworten. Es ist aber der falsche Weg zum Glück. Es ist ein Subven- tionsprogramm für Gut- und Besserverdienende; denn die Erstens: Eltern entlasten. Ja, CDU und GRÜNE verfolgen Schwachen, von denen auch Herr Laumann gesprochen auch dieses Ziel. Deswegen unternehmen wir in der Lan- hat, werden überwiegend von den Gebühren bereits befreit desregierung und in den sie tragenden Fraktionen sehr viel, oder erfahren Gebührenreduzierungen. um dieses Ziel zu erreichen. Wir reden nicht nur davon. Wir tun etwas. Mehr als eine halbe Milliarde Euro inves- (Gerhard Merz (SPD): Das ist falsch! Wie oft muss tieren wir mittlerweile jährlich in Familienleistungen. ich Ihnen das noch erklären?) Auch das bringt eine Entlastung der Eltern. Ich nenne noch Ihre Forderung mag einige Eltern entlasten. Die Rechnung einmal die Stichworte: Ausweitung der Zahl der Kinderbe- zahlen aber die künftigen Generationen. Eine vollständige treuungsplätze und deren Qualität, Familienzentren, Fami- Übernahme des Elternanteils durch das Land würde den lienkarte und vieles mehr. endlich ausgeglichenen Landeshaushalt mit hohen dreistel- Damit wird tatsächlich Enormes für die Familien geleistet; ligen Millionenbeträgen belasten – unvereinbar mit der denn die Eltern haben die Möglichkeit, durch eine inzwi- Schuldenbremse – oder zulasten imaginärer reicher Steuer- schen flächendeckend mögliche Einlösung der Rechtsan- zahler gehen, unter denen am Ende viele derer wären, die sprüche ihren beruflichen Vorstellungen und Zielen nach- Sie zu entlasten vorgeben. Welchen Sinn macht das – au- zugehen. Sie bekommen zudem – das sagt uns übrigens ßer vielleicht, es ist eine verfrühte Wahlkampfspekulation? auch die KiföG-Evaluation – allenthalben mehr Personal, Letzter Punkt. Im Steuerrecht werden die Eltern, die Sie im an vielen Stellen eine stärkere Ausrichtung an Qualitäts- Fokus haben, bereits heute signifikant entlastet. Sie haben standards und eine intensivere Elternbeteiligung. Auch das die Möglichkeit, Kinderbetreuungskosten bis zu 6.000 € sind Ergebnisse der Einführung des KiföG. Das heißt, die pro Kind und Jahr zu zwei Dritteln von der Einkommen- Eltern in Hessen haben heute nicht nur die Sicherheit, steuer abzusetzen. einen Betreuungsplatz zu finden, sondern die guten Min- deststandards geben ihnen darüber hinaus die Gewissheit, dass ihre Kinder nicht verwahrt, sondern systematisch gut Vizepräsident Frank Lortz: betreut und in Zusammenarbeit mit den Eltern erzogen und Frau Kollegin Wiesmann, Sie müssen zum Schluss kom- gebildet werden. Wenn das keine erstklassige Entlastung men. der Eltern ist, dann weiß ich nicht, was wir sonst noch tun sollen. (Beifall bei der CDU) Bettina Wiesmann (CDU): Ich will ein Zweites hinzufügen. Wenn Sie als SPD nicht Wollen Sie den Bund um diesen Aufwand entlasten, um in auf allen Ebenen blindwütig das Betreuungsgeld bekämpft der Folge den Landeshaushalt zu ruinieren? Welchen Sinn hätten, dann hätten sogar die Eltern, die von ihrer Wahl- macht das? freiheit einen anderen Gebrauch machen und ihre Kinder Ich will die allgemeinen Argumente nicht wiederholen, die erst etwas später in die außerfamiliäre Betreuung geben, wir schon tausendmal ausgetauscht haben. Ich fasse zu- ebenfalls ein Stück Entlastung erfahren. Das wollten Sie sammen: Wir entlasten die Eltern, wir unterstützen die nicht, und so ist dieses Stück Entlastung am Ende auch an Kommunen, und es ist keine gute Idee, die Elternbeiträge Ihnen gescheitert. abzuschaffen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6939

(Beifall bei der CDU) Wenn eine Kommune vor der Entscheidung steht, ob sie 10.000 Haushaltungen mit einer Erhöhung der Grundsteuer oder 1.000 Familien durch Erhöhung der Gebühren für die Vizepräsident Frank Lortz: Kinderbetreuung treffen soll, dann gibt es in Hessen leider Vielen Dank, Frau Kollegin Wiesmann. – Das Wort hat der eine Menge Stadtverordnetenversammlungen und Gemein- Abg. René Rock, Seligenstadt, FDP-Fraktion. devertretungen, die sagen: (Gerhard Merz (SPD): „Wir machen beides“!) René Rock (FDP): Wir lassen die 1.000 Familien den Großteil der Sanierung der kommunalen Haushalte tragen; weil das der teure Be- Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! reich im Haushalt ist, sollen die Familien dieses Haushalts- Frau Wiesmann, ich schätze Sie persönlich wirklich, aber loch selbst decken; das ist besser, als dass wir uns mit Sie scheinen nicht zu verstehen – deshalb muss ich es Ih- 10.000 Hauseigentümern in der Kommune anlegen. – Die- nen immer wieder deutlich sagen –, dass die Kinderbetreu- se Haltung ist wirklich nicht familienfreundlich. ung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Rie- sengeschäft für den Staat, nicht für die Familien sind. Das (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Herr Grüttner wird sicherlich wieder etwas zur Finanzie- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) rung sagen. Ich will hier deutlich machen: Das Land Hes- sen gibt in diesem Bereich knapp 500 Millionen € aus. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Menge an Geld, Herr Grüttner, von diesen 500 Millionen € kommen in den die die Familien mehr erwirtschaften können, mehr ist als Kommunen für die Finanzierung der Betreuung der Drei- das, was der Staat aufwendet. Das einzige Problem ist, bis Sechsjährigen vielleicht 200 bis 250 Millionen € an. dass die Kommunen von diesem Mehrwert, der von den Das sind aber weniger als 20 % der bei der Erfüllung die- Familien erwirtschaftet wird, 13 % bekommen, während ser Aufgabe entstehenden Kosten. Das zwingt die Kommu- sich das Land und der Bund den Rest einstecken. Deshalb nen dazu, das Geld irgendwo herzubekommen. Die Kom- haben die Kommunen natürlich den Eindruck, dass sie die munen profitieren von der Vereinbarkeit von Familie und Veranstaltung bezahlen müssen und alle anderen einen fi- Beruf eben nicht in dem Maße, wie das Land und der Bund nanziellen Vorteil davon haben. Versuchen Sie doch ein- davon profitieren. Darum ist zu Recht die Frage zu stellen: mal, zu akzeptieren, dass die Familien den Staat nicht aus- Wie können wir als Land und wie kann der Bund die Kom- beuten, sondern dass die Familien diesen Staat auf ihren munen in dieser für die Gesellschaft wichtigen Aufgabe Schultern tragen. besser unterstützen? (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) Akzeptieren Sie das endlich, und behaupten Sie hier nicht Die Finanzierung dieser Aufgabe durch die Kommunen immer das Gegenteil. und die Höhe der Beiträge kann man logisch nicht trennen. Denken Sie einmal zurück: Es war die CDU, die das dritte Das hängt ganz einfach zusammen. Von daher kann ich die Kindergartenjahr beitragsfrei stellen wollte. Damals haben Einlassungen der Kommunen verstehen. Sie sicherlich ganz anders argumentiert. Ich möchte etwas Grundsätzliches zum Thema Bildung in (Zurufe von der CDU) Kindertagesstätten sagen. Wir müssen die Kindertagesstät- ten in Hessen zu echten Bildungseinrichtungen weiterent- Wie kann eine Partei, die einmal dafür eingetreten ist, das wickeln. Es gibt zwar schon gute Entwicklungen, aber es dritte Kindergartenjahr beitragsfrei zu stellen, mit den hier muss noch besser werden. An dem Tag, an dem Kinderta- vorgetragenen Argumenten gegen solche Initiativen kämp- gesstätten echte Bildungseinrichtungen sind, werden sie fen? Das ist mir intellektuell nicht einsichtig – außer Sie auch kostenfrei sein müssen. sagen, diese Politik war falsch. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) Von daher gesehen, müssen wir diesen Weg konsequent Das habe ich von Ihnen aber nicht gehört, und wenn Sie weitergehen. Hier muss in die jungen Köpfe in unserer Ge- das sagen würden, dann gäbe es, glaube ich, in diesem sellschaft investiert werden. Es geht um Kinder und ihre Haus noch größeren Streit. Bitte hören Sie auf, diese Argu- Lebenschancen. Wir müssten uns deutlich einiger sein, mentation hier vorzutragen. Sie können immer argumentie- dass hier mehr Geld investiert werden muss. Was bisher ren, dass Sie keine Ideologisierung der Familien haben getan wurde, ist zu wenig. wollen. Wer sein Kind selbst erziehen möchte, bekommt größten Respekt; wer sagt, er will arbeiten, bekommt eben- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) falls größten Respekt. Wir schwingen uns nicht auf, den Familien ein Idealbild vorzuschreiben. Das sollten Sie nicht tun, und das sollten auch andere nicht tun. Vizepräsident Frank Lortz: (Beifall bei der FDP) Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Das Wort hat Kollege Bocklet, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Warum ist das Thema Kindergartengebühren in Hessen wieder aktuell? Das liegt ganz einfach an der Finanzpolitik dieser Landesregierung, die die Kommunen indirekt zu Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beitragserhöhungen zwingt. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) Ich bin über Ihren Ansatz freudig überrascht, weil es dies- mal nicht um die Grundsatzfrage „Kostenfreiheit für Kin- dergärten“ geht, die Sie ja auch verfolgen. Diesmal be- 6940 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 schäftigen Sie sich mit der Belastung der Kommunen in ideologische Frage, ob wir für den Kindergartenbesuch dieser Frage. Kostenfreiheit herstellen, sondern es ist eine finanzpoliti- sche Prioritätensetzung. In der Kürze der Zeit konnten wir zwei Zahlen recherchie- ren: Die Gesamtverbundmasse des Kommunalen Finanz- (Nancy Faeser (SPD): Das stimmt!) ausgleichs beträgt dieses Jahr 4,55 Milliarden €. Die Ge- Wenn wir den Nachholbedarf an quantitativem und quali- samtverbundmasse ist im Vergleich zum letzten Jahr – tativem Ausbau gestillt haben, können wir uns fragen, ob 4,36 Milliarden € – um über 200 Millionen € gestiegen. Im wir es uns leisten können – wir haben damals kritisiert, Vergleich dazu: Vor zwei Jahren, als es noch ein anderes dass das dritte Kindergartenjahr beitragsfrei gestellt wird; Abrechnungssystem gab, waren es 4,1 Milliarden €. Die wir hätten die Beitragsfreiheit lieber für das erste Kinder- Kommunen haben also in den letzten Jahren über 400 Mil- gartenjahr gehabt; aber das mag dahingestellt sein –, die lionen € mehr vom Land bekommen. Ich finde, daher kann Eltern so zu entlasten, dass sie weniger für den Kindergar- man nicht davon sprechen, dass wir die Kommunen in ir- tenbesuch ihrer Kinder zahlen müssen. Das ist keine ideo- gendeiner Art und Weise alleinlassen. – Das ist der erste logische, sondern eine finanzpolitische Frage. Aber es ist Punkt. zunächst einmal wichtig, überhaupt einen Betreuungsplatz (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zu finden, der so gut ausgestattet ist, dass man sein Kind der CDU) dort gern hinschickt. Das sind die nackten Zahlen. Was mich auch noch interes- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und siert hat – da wäre ich den Finanzfachleuten ebenfalls für bei Abgeordneten der CDU) einen Hinweis dankbar –, ist, dass die Kosten für die Kin- Wenn die Steuereinnahmen höher sind und die Entlastung derbetreuung ohne Abschläge berechnet worden sind. Die durch den Bund größer ist, wird man über die Prioritäten- Staatssekretärin im Finanzministerium sitzt hier; sie wird setzung natürlich neu diskutieren. es bestimmt besser erklären können, denn ich bin keiner, der jeden Tag in der Haushaltspolitik unterwegs ist. Das Für die GRÜNEN ist es ganz wichtig, dass wir den KiföG- Gesagte bedeutet aber, dass den Kommunen ihre Kosten Bericht ernsthaft evaluieren und herausfinden, welchen bei der Berechnung des Kommunalen Finanzausgleichs Nachsteuerungsbedarf es bei der Betreuungsqualität gibt. voll angerechnet wurden. Auch das wird es nicht zum Nulltarif geben. Auch das wird man nebeneinander auf den Tisch legen und abwägen müs- Herr Merz und Kolleginnen und Kollegen der SPD-Frakti- sen: Ist es uns wichtig, jetzt bedeutende Schritte bei der on, ich finde, das alles muss Ihnen zu denken geben, wenn Qualitätsverbesserung zu gehen, oder ist es uns wichtig, Sie sich die Argumentation zu eigen machen, dass das schon jetzt eine Kostenfreiheit anzustreben? – Über all das Land bei der kommunalen Aufgabe Kinderbetreuung den wird an dieser Stelle zu diskutieren sein. Zuschuss über den Kommunalen Finanzausgleich erhöht, obwohl die Kinderbetreuungskosten in voller Höhe ange- Aus heutiger Sicht haben wir, die Koalition von CDU und rechnet werden. Ich finde, somit fällt Ihre These in wesent- GRÜNEN, uns für Folgendes entschieden: Ausbau von lichen Punkten zusammen. Quantität und Qualität, bessere Bildung und Betreuung von Anfang an. Das werden wir jetzt machen. Wir treten jetzt (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und in die Diskussion über das KiföG ein. Daran wird sich die der CDU) Koalition beteiligen. Ich bin mir sicher, wir werden bei der Herr Rock hat die Frage nach der Beitragsfreiheit aufge- Qualität noch Wege der Nachsteuerung finden, und ich bin worfen – auch die SPD wirft sie immer wieder auf –: kos- mir sicher, früher oder später wird es auch um die Kosten- tenlose Bildung für alle. Lassen Sie mich nur zwei Zahlen freiheit gehen. – Ich bedanke mich. nennen: Seit dem 1. Januar 1996 – also seit 20 Jahren – (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und gibt es den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für bei Abgeordneten der CDU) Kinder ab drei Jahren. Für Kinder unter drei Jahren ist die- ser Rechtsanspruch erst vor wenigen Jahren in Kraft getre- ten. In diesem Bereich geht es um die Qualität der Betreu- Vizepräsident Frank Lortz: ung, um einen quantitativen Ausbau, also darum, dass man überhaupt einen Betreuungsplatz für sein Kind findet – nur Vielen Dank, Kollege Bocklet. – Das Wort hat Frau Abg. wenn Betreuungsplätze vorhanden sind, kann man auch Schott, Fraktion DIE LINKE. deren Qualität verbessern –, um die Möglichkeit einer Ganztagsbetreuung für diejenigen, die sie brauchen, um die Gewährleistung einer guten Qualität im Sinne des Bil- Marjana Schott (DIE LINKE): dungs- und Erziehungsplans und um den Ausbau der Infra- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn ich etwas struktur. nicht machen will, finde ich immer eine Begründung dafür, Man muss das einmal mit dem gesamten Bildungssystem warum ich es nicht tun will. Ob diese der Wahrheit ent- vergleichen. Lassen Sie mich dazu nur eine Sache sagen: spricht oder ob ich mir gerade irgendeinen Vorwand aus- Am 1. Januar 1919 wurde in ganz Deutschland die allge- denke, ist für andere schwer zu durchschauen. Herr Bock- meine Schulpflicht eingeführt. Die allgemeine Schulpflicht let, wenn aber, wie Sie es gerade getan haben – Ihre Kolle- wird also bald 100 Jahre alt. In den Jahren der Weimarer gin hat das in der Vergangenheit auch schon so gemacht –, Republik wurde dieser Bereich massiv ausgebaut: Schulge- über Quantität und Qualität versus Kosten und Kostenüber- bäude, Turnhallen und vieles andere mehr. Wenn wir die nahme durch das Land debattiert wird, ist das fadenschei- Schulinfrastruktur mit der Infrastruktur der Kindergärten nig; denn es ist doch nicht so, dass sich die Qualität durch vergleichen, stellen wir fest, dass wir da einen Nachholbe- Ihr KiföG sehr verbessert hat. Ganz im Gegenteil, Sie müs- darf haben. Quantitativ und qualitativ muss die Kindergar- sen sich einmal anhören, was Ihnen die Menschen erzäh- tenbetreuung noch ausgebaut werden. Für mich ist es keine len, die vor Ort die Arbeit machen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6941

(Zuruf des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN – Marcus Bocklet (BÜND- GRÜNEN)) NIS 90/DIE GRÜNEN): Das Gesetz ist vorher in Kraft getreten!) – Aber Sie waren gar nicht bei der Veranstaltung. Wissen Sie, derzeit finden Veranstaltungen statt, in denen über die – Ja, es ist vorher gemacht worden. Aber Sie hätten die Evaluation gesprochen wird und in denen viele Menschen Möglichkeit gehabt, ihm nicht wieder zuzustimmen. zusammensitzen: die Vertreter von Trägern, von Kommu- (Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nen und in den Einrichtung arbeitenden Menschen. Da Das Gesetz ist vorher in Kraft getreten!) glänzen die Regierungsfraktionen durch Abwesenheit. – Ja, Sie haben ihm nicht zugestimmt. Aber Sie verteidigen (Hermann Schaus (DIE LINKE): Er hört gar nicht es in jeder Situation bis aufs Blut. Das heißt, es geht Ihnen zu!) nicht um dieses Gesetz, sondern einfach nur darum, Teil – Er hört wieder nicht zu; denn zuzuhören fällt ihm extrem dieser Regierung zu sein. schwer. (Beifall bei der LINKEN – Marcus Bocklet (BÜND- (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) NIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön!) Herr Bocklet, wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie gehört, Leider muss ich an der Stelle aber sagen: Auch ich weiß was aus den Kinderkrippen berichtet wird. nicht genau, worum es der SPD geht. Wir haben hier näm- lich ein Jahr lang anhand von zwei Gesetzentwürfen darum (Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gerungen, wie man die Situation in den Kommunen und ist immer das Gleiche, was Sie erzählen!) für die Eltern verbessern kann. Da gab es unseren Entwurf, – Nein, es kann gar nicht das Gleiche sein; in dem es hieß: Wir können die Kommunen und die Eltern enorm entlasten, indem wir die Gebühren für die Eltern ab- (Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – schaffen. – Wenn Ihnen der eine oder andere Punkt an dem Gegenrufe von der LINKEN) Gesetz nicht gefallen hat oder untragbar erschienen ist, hät- denn es ist eine völlig neue Situation, dass die Gruppen te es die Möglichkeit gegeben, darüber zu reden, ihn ge- kleiner Kinder voll besetzt werden und dass es keine Ein- meinsam zu verändern und so zu gestalten, dass wir es hier gewöhnungszeit mehr gibt – früher hat man sich gesagt, mit viel mehr Nachdruck von einer größeren Opposition dass man sich für jedes einzelne Kind Zeit nimmt; bei den und mit viel mehr Nachdruck von einer größeren Gruppe Einjährigen könne jeweils nur ein Kind pro Gruppe hinzu- von Menschen zu tun gehabt hätten, mit deren Hilfe wir kommen –, weil der Druck, den Sie über Ihr KiföG dahin ihn hier hätten vertreten können. gehend ausgeübt haben, dass die Gruppen bis zum Stichtag Das haben Sie dezidiert nicht getan. Sie haben diesen Ge- möglichst voll sind, so hoch ist, weil es hier keine Refinan- setzentwurf abgelehnt. Sie haben vor vielen Wochen in zierung gibt, dass zulasten der Kinder, zulasten des Perso- diesem Haus den Gesetzentwurf abgelehnt, um hier und nals und damit zulasten der Eltern gearbeitet werden muss. heute eine Aktuelle Stunde zu beantragen, die frei von Sich hierhin zu stellen und zu sagen: „Wir verbessern die Vorbereitungsarbeit war, um zu sagen: Wir wollen an die- Qualität, und deswegen können wir die Kommunen nicht ser Stelle eine Veränderung. – Wo und wie wollen Sie die- noch mehr entlasten“, ist ein fadenscheiniger Vorwand. se Veränderung denn haben, nachdem wir ein Jahr lang Das ist einfach nur eine Begründung dafür, weshalb Sie es hier beraten haben? Dann können wir auch sagen: Wir re- nicht machen wollen. petieren und repetieren. – Das führt uns nicht weiter, wenn (Beifall bei der LINKEN) man es nicht wirklich so meint. Sie hätten sich Ihre Redezeit sparen und sagen können: Es gibt auch eine Geschichte, von der man sagt – – Wir wollen es nicht; wir setzen andere Prioritäten in die- (Gerhard Merz (SPD): Frau Kollegin, Sie sagen seit sem Land. – Aber das machen Sie nicht. Wenn ich mir an- einem Jahr das Gleiche!) höre, wie Sie damit umgehen, dass die Kommunen hoch- gradig belastet sind und dass ein enormer Teil dieser kom- Es gibt auch die Möglichkeit, links zu blinken und rechts munalen Belastungen der ist, Kitas zu finanzieren, sage abzubiegen. ich: Auch das ist etwas ganz anderes als das, was die Kom- (Gerhard Merz (SPD): Ei, ei, ei!) munen erleben. Das, was Sie hier tun und sagen, geht einfach auseinander, (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Oh!) und zwar ganz weit. Ich kann nicht mehr nachvollziehen, Auch da hören Sie nicht zu. Sie haben in der Anhörung warum das hier auf diese Weise läuft. nicht zugehört, und Sie haben in der Anhörung keine Fra- Ich möchte mit einem Zitat von Nelson Mandela schließen: gen gestellt. Sie haben den Vertretern der Kommunen nicht zugehört, die gesagt haben: Ja, es würde uns enorm entlas- Eine Gesellschaft offenbart sich nirgendwo deutli- ten. – Sie haben auch nicht zugehört, als es darum ging, cher als in der Art und Weise, wie sie mit ihren Kin- was für ein Aufwand es ist, mit den Gebühren und dieser dern umgeht …, die in einer jeden Gesellschaft zu- ganz unglaublich komplizierten Rechnerei im KiföG um- gleich die verwundbarsten Bürger und deren größter zugehen. Sie hören nicht zu, weil es Sie nicht interessiert. Reichtum sind. Sie haben jetzt, da Sie Teil der Regierung sind, einem Ge- Das ist das Motto unserer Tagung zu Kinder- und Jugend- setz zugestimmt, das Sie vorher abgelehnt haben. Sie fin- rechten, die am 25. März in Frankfurt stattfindet. Sie sind den es jetzt gut, Sie verteidigen es immer wieder, und Sie alle herzlich eingeladen, sich dort an der Debatte mit den haben es auch heute verteidigt, weil Sie jetzt Teil eines Expertinnen und Experten zu beteiligen. – Herzlichen Ganzen sind, das Ihnen wichtiger als die Inhalte ist, näm- Dank. lich der Regierung. (Beifall bei der LINKEN) 6942 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Vizepräsident Frank Lortz: (Beifall bei der CDU) Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Das Wort hat Herr Der Bericht besagt ausdrücklich, dass es an keiner Stelle Staatsminister Grüttner. zu einer Veränderung der Gruppengröße gekommen ist. Auch dies ist keine Feststellung der Landesregierung, son- dern die eines Instituts auf der Grundlage der Befragungen. Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: Sie waren in vielen Teilen mit dabei. Ich finde, das ist auch Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! ein Punkt, wo man sagen kann, ja, das hat der Bericht auch Ich bin der festen Überzeugung, dass dies ein Thema ist, herauskristallisiert: Was ist mit der Umsetzung einer Inklu- das man im Grunde genommen in jeder Plenarrunde aus- sionsvereinbarung zwischen der Liga auf der einen Seite giebigst debattieren kann, zeigt es doch, dass sich alle mit und den kommunalen Vertretern auf der anderen Seite und der Frage auseinandersetzen: Wie schaffen wir es, diejeni- damit mit einer Verringerung der Gruppengröße? – Ja, die- gen, die die Zukunft unserer Gesellschaft darstellen, best- se Vereinbarung wird von den Vereinbarungspartnern möglich in diese Zukunft zu führen? Dazu gehören selbst- nicht eingehalten. Wir werden uns überlegen müssen, wie verständlich auch Kinderbetreuungseinrichtungen. Aber wir damit umgehen, weil es nämlich besonders schützens- das ist ein Punkt, den ich in der Argumentation des Kolle- werte Kinder sind, die mit betroffen sind. gen Rock nie so richtig verstehe; denn Kinderbetreuungs- Für mich als Teilnehmer eines runden Tisches war es einrichtungen sind keine Einrichtungen, die dafür Sorge schon sehr erstaunlich, wie wortreich die Vereinbarungs- tragen, dass Eltern Einkommen erwirtschaften, damit sie partner versucht haben, zu erklären, dass sie mindestens wiederum Steuern bezahlen. ein Kindergartenjahr Anpassungszeit brauchen, um letzt- (Zuruf des Abg. René Rock (FDP)) endlich eine gemeinsam geschlossene Vereinbarung umzu- setzen. Dies müsste im übertragenen Sinne dann auch für Wer eine so verkürzte Sichtweise in Bezug auf die Aufga- alles andere gelten. Dann sind wir irgendwann beim Ver- ben von Kinderbetreuungseinrichtungen hat, wird meines waltungsaufwand und bei vielem anderen mehr. – Natür- Erachtens dem umfassenden Inhalt, auch dem pädagogi- lich haben wir auch festgestellt, dass es mehr Verwaltungs- schen, dem bildungspolitischen Inhalt von Kindertagesstät- aufwand gegeben hat. Aber das ist doch selbstverständlich, ten nicht gerecht. Auch verstehe ich eine solche Diskussion wenn ich ein System umstelle und erstmalig in einen neuen nur schwer, weil wir vor einigen Jahren in der Tat gemein- Bereich komme. sam intensiv darum gerungen und dafür gekämpft haben, wie man mit einem Kinderförderungsgesetz insbesondere Dann stellt sich aber auch die Frage: Wie sieht es mit den auch Fragen der Qualität in die Arbeit der Kindertagesstät- Gebühren und Kosten aus? Wie gehen die Kommunen mit ten mit einbringen kann. verschiedenen Sachen um? Dazu empfehle ich Ihnen, noch einmal den Evaluationsbericht zu lesen. Wenn ein Bürger- Ich finde, darauf gehört auch ein Blick, wenn es um die meister erklärt, dass er im Sinne des Gesetzes die Vorga- Fragestellung geht: Bildung von Anfang an. Dabei stellt ben des Gesetzes als Mindest- und nicht als Maximalvor- sich die Frage: Welche Inhalte versuchen wir denjenigen, aussetzungen sehe, seine bisher gegebenen Leistungen die die Bildungsarbeit machen, tatsächlich an die Hand zu weiter fortführe, in der Bürgermeisterdienstversammlung geben? Wir sind lange und intensiv in der Überlegung ge- aber von seinen Bürgermeisterkollegen sozusagen in eine wesen, ob wir beispielsweise die Arbeit nach dem Bil- Ecke gestellt werde, unter dem Gesichtspunkt: „Das musst dungs- und Erziehungsplan – diesen haben wir zwischen- du doch gar nicht machen. Warum machst du das denn zeitlich seit zwölf Jahren; das ist ein etabliertes Instrument überhaupt?“, dann zeigt dies, dass es keine Frage der Wir- – verpflichtend machen können oder nicht. Es ist klar ge- kung eines Gesetzes ist, sondern des Umsetzens von Min- sagt worden, auch von den Trägern von Kindertagesstät- destvoraussetzungen in kommunales Handeln. Solange ich, ten: Nein, wir wollen nicht, dass es verpflichtend gemacht unter dem Deckmantel des KiföG wegschleichend, versu- wird. – Also haben wir einen finanziellen Anreiz gesetzt, chen kann, Leistungen einzuschränken, die ich vorher ge- damit Kindertagesstätten danach arbeiten. Auch dies war geben habe, mag das ein gängiger Weg sein; dieser hat in der damaligen Diskussion um dieses Gesetz konsensfä- aber nichts mit einer Sonderbelastung der Kommunen zu hig, als es um solche Qualitätspauschalen gegangen ist. tun. An der Stelle gibt es andere Möglichkeiten der Entlas- Letztendlich ist festzustellen, dass das ein echtes Erfolgs- tung als die Fragestellung, die Sie eben aufgeworfen ha- modell ist, auch da man sieht, wie viele Fachkräfte die kos- ben. tenfreien Fortbildungsangebote wahrnehmen. In den Kin- dertagesstätten werden diese Bildungsansätze also schon (Beifall bei der CDU) längst gelebt. Noch ein Letztes dazu. Das war eine der Grundvorausset- Dann ist natürlich auch klar, wenn ein Evaluationsbericht zungen – darüber müssen wir doch gar nicht reden –, vorliegt – ja, das ist ein Auftrag, den der Gesetzgeber der warum wir das dritte Kindergartenjahr beitragsfrei gestellt Landesregierung gegeben hat; der Evaluationsbericht ist haben; denn wir wollten den Übergang von der Kinderta- von einem Institut erarbeitet worden, das kann man nicht gesstätte in die Schule, die Vorbereitung für die Schulzeit, häufig genug sagen, und wird von uns letztlich breit ver- stärken und mit dieser Beitragsfreiheit einen Anreiz setzen, teilt; man kann ihn auch im Internet einsehen –, dass es in dass Kinder in die Kindertagesstätte gehen. Man kann dar- den rund 500 Seiten auch Passagen gibt, von denen man über diskutieren, ob das der richtige Weg ist. Da bin ich sagen kann: Die nehmen wir jetzt heraus, weil sie ein auch gern dabei. Sie wissen, dass ich in manchen Diskus- Stück weit unsere Argumentationslinie unterstützen. – sionen sage: Aufgrund der Erfahrungen hätte man eigent- Wenn man sich aber dann hier hinstellt und sagt: Aufgrund lich das erste Kindergartenjahr beitragsfrei stellen müssen des KiföG ist ein Zwang entstanden, die Gruppen bis zur und können. Grenze zu vergrößern, wie es gerade Frau Schott gemacht Wenn es aber um Entlastungen geht, muss man natürlich hat, dann hat sie schlicht und einfach den Bericht nicht ge- das, was bisher an Vorlagen vorgelegt worden ist, immer lesen, oder aber sie will ihn nicht verstehen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6943 richtig sehen, auch im Verhältnis zur kommunalen Entlas- dent haben. – Es spricht jetzt der Ministerpräsident. Sie ha- tung. Ich kann mich noch gut an einen Gesetzentwurf sei- ben das Wort. tens der SPD-Fraktion im Hinblick auf eine Beitragsentlas- tung erinnern; sie ist ja letztendlich in der Systematik der Freistellung eines dritten Beitragsjahres geblieben. Schau- Volker Bouffier, Ministerpräsident: en Sie sich daher einmal im Vergleich an, was an Entlas- Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Opel ist seit tungen da ist und was von Ihnen an Zahlen im Hinblick auf Generationen ein starkes Stück Hessen. Wir wollen alles die Gebühren genannt wurde; und dann setzen Sie das in dafür tun, dass es auch in Zukunft so bleibt. Relation und fragen: An welcher Stelle wird wer wie hoch entlastet? Auf dieser Ebene können wir dann gern über (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE weitere Schritte diskutieren. Man kann nämlich nicht den GRÜNEN sowie des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel Eindruck erwecken, dass wir mit einer vollständigen Bei- (SPD)) tragsfreistellung das Leck schließen könnten, zwischen den Opel ist ein starker Standort für Forschung, für Entwick- 330 Millionen €, die 2015 aufgewendet worden sind, und lung, für Produktion und Arbeitgeber für viele Tausend den 2 Milliarden € an Gesamtkosten. Menschen und ein herausragender Industriestandort für un- (Zuruf von der SPD) ser Land. Genau darum geht es, zu schauen, wie dies auch zukünftig gesichert werden kann. – Nein, ich sage nur: Man muss in dieser Diskussion auf- passen, dass man nicht den Eindruck erweckt, dass dies das Am Dienstag vor einer Woche wurden die Landesregie- Ziel sei. Dieses wird man an keiner Stelle erreichen kön- rung und, wie sich später herausstellte, auch die Bundesre- nen. gierung, aber auch die Unternehmensleitung von Opel, die Gewerkschaften und Betriebsräte völlig überrascht von der Wenn ein Ziel die Entlastung ist, dann gehört zu einer soli- Meldung, General Motors wolle Opel verkaufen. Sofort den Diskussion, dass man wenigstens einmal sagt, woher kamen nicht nur bei den Beschäftigten Erinnerungen an die man das Geld nehmen will, das dafür aufgewendet werden zurückliegenden Krisen, an die Verkaufsabsichten von Ge- soll. Das ist bisher leider noch im Nebulösen. Die Diskus- neral Motors aus früherer Zeit und die damit verbundenen sion werden wir in den nächsten Wochen und Monaten Verunsicherungen und Veränderungen wieder hoch. noch weiter führen. Die Landesregierung, vertreten durch mich und Herrn Kol- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE legen Al-Wazir, hat bereits an diesem Dienstag selbst mit GRÜNEN) der Unternehmensleitung, also mit dem Vorstandsvorsit- zenden Herrn Dr. Neumann und mit Herrn Dr. Schäfer- Klug, den Gewerkschaften und mit dem Rüsselsheimer Vizepräsident Frank Lortz: Oberbürgermeister, Herrn Burghardt, Kontakt aufgenom- Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt keine weiteren men, um zu erfahren, was eigentlich los ist. Wortmeldungen. Ich habe am gleichen Tag mit der Bundeskanzlerin telefo- Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, be- niert. Wir haben vereinbart, dass wir, Bundesregierung und grüße ich auf der Tribüne den Oberbürgermeister der Stadt Landesregierung – einen Tag später haben wir das auch ge- Rüsselsheim, unseren früheren Kollegen Patrick Burg- meinsam mit Rheinland-Pfalz und Thüringen getan, dort hardt. Herzlich willkommen. sind zwei weitere Standorte –, uns nicht nur gegenseitig in- formieren, sondern auch eng abstimmen, wie es weiterge- (Allgemeiner Beifall) hen soll. Ich rufe Tagesordnungspunkt 47 auf: Am vergangenen Mittwoch, also Mittwoch vor acht Tagen, Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Aktuelle gab es unter Führung der Bundeswirtschaftsministerin die Stunde (Opel Rüsselsheim: starker Standort für For- erste gemeinsame Runde mit der Unternehmensleitung, mit schung, Entwicklung und Produktion – Hessen steht den Betriebsräten und den drei Ministerpräsidenten, um weiterhin fest an der Seite der Opel-Beschäftigten) abzustimmen, wie wir in diesem Prozess miteinander vor- – Drucks. 19/4552 – gehen. Die Bundesregierung hat Wirtschaftsstaatssekretär Machnig zum Koordinator auf der Ebene der Bundesregie- Tagesordnungspunkt 57: rung ernannt. Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend Wir haben vor zwei Tagen gemeinsam bei Opel die Dinge Opel und die weitere Entwicklung der hessischen Auto- sehr intensiv erörtert und uns verständigt, wohin wir wol- mobilindustrie – Drucks. 19/4566 – len. Am Nachmittag habe ich mich noch einmal mit der Bundeskanzlerin verständigt. Das ist bekanntlich der Tag Tagesordnungspunkt 59: gewesen, an dem der Chef von Peugeot, Herr Tavares, mit der Bundeskanzlerin gesprochen hat. Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Sicherung der Meine Damen und Herren, inzwischen sieht man klarer. Arbeitsplätze bei Opel ist für die hessische Wirtschaft General Motors und Peugeot bzw. PSA haben ihre Ver- von zentraler Bedeutung – Unternehmen benötigt zu- kaufsabsicht bestätigt. Ich gehe davon aus, dass in sehr kunftsfeste Perspektiven – Drucks. 19/4568 – überschaubarer Zeit eine grundsätzliche Vereinbarung zwi- schen diesen beiden Konzernen getroffen wird. Das ist das Zunächst wird der Ministerpräsident das Wort erhalten. Ich berühmte Signing, nichts anderes als eine Art Grundver- möchte noch darauf hinweisen: Wir haben vereinbart, dass trag, dass man sich verständigt hat, diesen Verkauf zu voll- alle Fraktionen die gleiche Redezeit wie der Ministerpräsi- ziehen. Nach meiner Einschätzung wird es dann einige Monate dauern, in denen die konkreten Verhandlungen 6944 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 stattfinden, bis es zu dem sogenannten Closing kommt, bei bestehen. Niemand wird mit Sinn und Verstand davon aus- dem man dann weiß, was konkret vereinbart wird. gehen dürfen, dass sich gar nichts verändert. Mit oder ohne Verkauf würden sich die Dinge verändern. Deshalb will Genau da setzt es ein. Genau in dieser Zeit muss alles ge- ich mich nicht bei den Untergangspropheten beteiligen, die tan werden, damit der Standort Rüsselsheim und natürlich in regelmäßiger Reihenfolge immer wieder erklären, wie auch die anderen Standorte nicht nur bis 2020, sondern viele Tausend Arbeitsplätze das alles kosten wird und wel- auch über 2020 hinaus eine Zukunft haben, in der dieses che Standorte geschlossen werden. Unternehmen wettbewerbs- und zukunftsfähig ist. (Beifall bei der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS Ganz wichtig und für die Beschäftigten natürlich von über- 90/DIE GRÜNEN) ragender Bedeutung ist die Frage: Was wird aus ihren Ar- beitsplätzen? – Für mich erfreulich, ich denke, für alle an- Meine Damen und Herren, das sind letztlich Spekulatio- deren auch, ist, dass es am vergangenen Montag zwischen nen, da tröstet mich auch kein Expertentum. Uns kann es dem europäischen Betriebsrat von Opel, dem Vorsitzenden nicht darum gehen, das Elend zu beschreiben, und es kann der IG Metall und Herrn Tavares eine Begegnung gab, in auch nicht darum gehen, die Menschen zu verunsichern. der PSA versicherte, dass man die bisherigen Vereinbarun- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE gen, also das, was General Motors bisher für Opel zugesagt GRÜNEN) hat, einhalten und übernehmen wolle. Das ist aus unserer Sicht zwingend, aber keineswegs selbstverständlich, wenn Es muss darum gehen, einen nüchternen Blick zu bewah- es um eine solche Großtransaktion geht. ren und die Stärken, die Opel hat, entsprechend zu ent- wickeln. Wenn wir uns das näher anschauen, sehen wir, es geht um den Kündigungsschutz und um Investitionsverpflichtun- Meine Damen und Herren, im Rahmen einer Aktuellen gen. Ich gehe davon aus, das ist auch die allgemeine Mei- Stunde und mit begrenzter Redezeit will ich nur einen Hin- nung von den Gewerkschaften bis zur Bundesregierung, weis geben. dass es ernst gemeint ist, wenn PSA sagt: Wir übernehmen diese Verpflichtungen. – Das ist schon einmal gut. Das Das Entwicklungszentrum, das wir in Rüsselsheim haben, führt auch zu einer gewissen Beruhigung. ist das größte der Welt von General Motors. Dort arbeiten 7.000 Ingenieure. 3.000 davon arbeiten zurzeit nur für Ge- Wichtig ist die Frage: Was passiert nach 2020? – Meine neral-Motors-Produkte. Es wird noch Jahre dauern, bis Damen und Herren, deshalb ein Blick auf die Gesamtsitua- man Opel aus dem Konzern General Motors herausgelöst tion. Die Automobilindustrie ist in einem dramatischen und sozusagen in die neue Zukunft integriert hat. Auf bei- Umbruch. Sie muss gleichzeitig eine ganze Reihe von Her- den Seiten des Atlantiks werden noch jahrelang Autos ge- ausforderungen stemmen, die ein einzelnes Unternehmen baut und aus ihren Komponenten zusammengesetzt, die in aller Regel nicht alleine stemmen kann. immer noch unter General Motors laufen. Das wird Jahre dauern. Zur allgemeinen Erinnerung, das ist auch die Abteilung Politik: Wenn wir z. B. Vorgaben machen, dass der Schad- Hier sind viele Experten. Wenn Sie sich allein einmal vor- stoffausstoß immer geringer werden soll, dann muss vor- stellen, wie kompliziert es ist, die IT von zwei Weltkonzer- handene Technik auf immer höherem Niveau entwickelt nen irgendwie kompatibel zu machen, darf man davon aus- werden. Das gilt sowohl für die Ottomotoren wie auch für gehen, dass da noch eine Menge Zeit vergeht. Trotzdem ist die Dieselmotoren. Das bedeutet hohe Aufwendungen in die Herausforderung gewaltig. die bisherige Technik. Warum ist das Entwicklungszentrum so wichtig? – Ich Es kommt aber noch etwas hinzu. Jeder weiß, dass sich die mag mir nicht vorstellen – egal, wie das am Ende im Ein- Zukunft der Automobilindustrie verändern wird. Es ist nur zelnen aussieht –, dass ein Konzern, der auf Zukunft setzt noch nicht so ganz klar, wohin. Wir reden von Elektromo- – und warum sollte es PSA sonst überhaupt machen? – so bilität, von einer Batterietechnik, von Brennstoffzellen- töricht wäre, das Herzstück, das wertvollste Stück der Zu- technologie, von Hybridtechnologie – dies alles gleichzei- kunftsgestaltung, zu opfern. Motoren zusammenschrauben tig und alles nebeneinander. Obendrauf steht die große können Sie überall auf der Welt. Aber forschen, moderne Herausforderung der Digitalisierung, Stichwort: selbst fah- Technologie und moderne Werkstoffe entwickeln und das rendes Auto. in exzellenter Weise zusammenführen braucht viel Exper- tise und viel Erfahrung, viel Know-how und diese exzel- Jede dieser Entwicklungen macht Milliarden Euro an In- lenten Ingenieure, die wir dort haben. Deshalb bin ich zu- vestitionen erforderlich, die kein normales Unternehmen versichtlich, dass Rüsselsheim und Opel auch eine Zukunft alleine stemmen kann. Das kann Opel nicht, und nach all- über 2020 hinaus haben. Dafür wollen wir werben, und das gemeiner Einschätzung auch PSA nicht. Daraus ergibt sich wollen wir unterstützen. Das ist vielleicht die wichtigste dann eine Chance. Wenn die beiden zusammengehen, wird Botschaft dieses Tages. daraus der zweitgrößte Automobilkonzern Europas. Sie er- reichen eine Größe, mit der sie diese Herausforderungen (Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stemmen können, neben vielen anderen Fragen mehr. NEN und der SPD) Wenn man sich das anschaut und insbesondere intensive Es wird einigen von Ihnen so gehen wie mir: Ich werde Gespräche geführt hat, wie ich, dann kann man sagen: Die permanent gefragt, im Fernsehen und anderswo: Was kann Stimmung bei Opel ist heute komplett anders, als sie vor denn die Politik überhaupt machen? – Damit es klar ist: einigen Jahren war, als es auch um die Zukunft von Opel Wir sollten uns nicht wichtiger nehmen, als wir sind. Wir ging. Seinerzeit herrschte Panik, teilweise Verzweiflung. können keine Autos bauen. Wir sollten es auch nicht ver- Das ist heute anders. suchen. Wir könnten wahrscheinlich auch nicht sehr gut einen Weltkonzern führen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch die Unter- Aber drei Dinge können wir tun: nehmensleitung sind der Auffassung, dass hier Chancen Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6945

Erstens. Wir können allen Betroffenen unsere Solidarität heute nicht mehr gehen. Aber dass wir alles tun, was wir in vermitteln und ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind. dem beschriebenen Maße tun können, damit Opel in Rüs- selsheim und natürlich auch an den anderen Standorten – Zweitens. Wir können darauf dringen und deutlich ma- aber heute reden wir über Opel in Rüsselsheim, das größte chen, dass wir erwarten, dass die Vereinbarungen, die es Industrieunternehmen, das wir in Hessen haben – eine er- gibt, eingehalten werden und dass die weiteren Verhand- folgreiche Zukunft hat, das ist unsere Agenda. Das ist nicht lungen nach dem deutschen Mitbestimmungsrecht zu voll- nur wegen Opel und nicht nur wegen des Standortes und ziehen sind. der Region, sondern für unser ganzes Land wichtig. (Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich will nicht so weit gehen, zu sagen: Wenn es Opel gut NEN, der SPD und der LINKEN) geht, dann geht es auch Hessen gut. Aber wenn es Opel Ich habe das Gefühl – und nicht nur ich –, dass es klug sein schlecht geht, ist uns das nicht egal, sondern das hat Aus- wird – und Herr Tavares scheint genau diesen Weg zu ge- wirkungen weit über das Unternehmen hinaus. Deshalb ist hen –, diesen Transformationsprozess nicht nur für die bei- es richtig, dass wir heute hier und an vielen anderen Stellen den Unternehmen, sondern in einer ganzen Schlüsselindus- unsere Solidarität zeigen, unsere Hilfsbereitschaft zeigen trie nicht gegen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, und unsere politischen Möglichkeiten so einsetzen, dass sondern mit den Arbeitnehmern zu machen und auch mit wir nicht nur heute, sondern auch morgen noch sagen kön- denen, die vor Ort eine gewisse Verantwortung tragen. nen: Das Werk, die Beschäftigten und dieses Land haben Denn die Herausforderungen sind gigantisch. eine gute Zukunft. – Vielen Dank. Drittens. Was kann Politik tun? – Politik macht eine ganze (Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Menge. Wir setzen Rahmenbedingungen. Man kann sie für NEN und der SPD) richtig oder falsch halten. Aber wir setzen sie. Wer techno- logische Standards vorschreibt, wer eine ständige Reduzie- rung der Schadstoffemissionen vorschreibt, der macht Poli- Vizepräsident Frank Lortz: tik. Das wollen wir. Wir können nicht auf der einen Seite Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Es beginnt die über die Rettung des Klimas reden und auf der anderen Aussprache mit dem Vorsitzenden der CDU-Fraktion, Kol- Seite außer Acht lassen, was das ganz konkret bedeutet. legen Michael Boddenberg. Sie haben 15 Minuten. Dort einen klugen Weg zu gehen und beides im Blick zu haben und das, was sich diese Regierung besonders auf die Fahnen geschrieben hat, nämlich Ökologie und Ökonomie Michael Boddenberg (CDU): zusammenzubringen, das kann und das muss Politik tun. Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kol- Die Frage, ob ein Konzern im globalen Handel die Chance legen! Herzlich willkommen auch an die Vertreter der hat, sich zu positionieren, hängt extrem davon ab, welche Stadt Rüsselsheim auf der Tribüne. Freihandelsabkommen es gibt und wie z. B. die Situation Ich gebe zu: Als wir über die Aktuelle Stunde und die The- im Rahmen des Brexit geklärt wird. Wie werden denn die mensetzung der Aktuellen Stunde nachgedacht haben, war Handelsbeziehungen zwischen dem Vereinigten König- ich kurz im Zweifel, ob wir Opel zum Thema machen soll- reich und Europa sein? Das hängt extrem davon ab, ob es ten – vor dem Hintergrund, dass es in den ersten Tagen – Märkte gibt, die geschlossen oder die offen sind. Das alles der Ministerpräsident hat gerade die Abläufe der letzten ist ohne Politik nicht leistbar. Tage kurz skizziert – durchaus Stimmen gab, die die Frage Wenn es eines Beweises bedürfte: Warum eigentlich hat stellten, was denn die Politik in dieser Frage zu tun hat und Herr Tavares, der Chef von PSA, das Gespräch mit der welche Spielräume und Möglichkeiten sie hat. Der Minis- Bundeskanzlerin gesucht? Weil sich die beiden einmal terpräsident hat gerade, so glaube ich, zu Recht gesagt, treffen wollten? – Das ist doch Unsinn. Jedes große Unter- dass wir sehr wohl eine ganze Reihe von politischen Maß- nehmen weiß, dass seine Zukunftsentwicklung ein ganzes gaben haben. Die Gespräche von Herrn Tavares mit der Stück davon abhängig ist, wie sich die politischen Rah- Kanzlerin, mit Frau May und anderen Politikern zeigen ja, menbedingungen entwickeln. dass auch das Unternehmen erkannt hat, dass es wohl klug ist, sich mit der Politik zu arrangieren. Deshalb sage ich: Wenn wir uns heute im Hessischen Landtag mit dem Thema Opel und seiner weiteren Ent- Trotzdem hat es eine Reihe von Überschriften gegeben, die wicklung beschäftigen, dann tun wir das nicht, um uns das völlig anders sehen. Ich gebe zu, dass ich mich ein wichtig zu machen und um uns zu inszenieren, sondern wir bisschen ärgere. Ich darf das einmal hochhalten: Das ist die machen das deshalb, um deutlich zu machen, dass uns das „Neue Zürcher Zeitung“. Da steht etwas von „profilie- Schicksal von Tausenden Arbeitnehmerinnen und Arbeit- rungssüchtigen Politikern“. Ich stelle mir schon die Frage – nehmern und das Schicksal einer ganzen Region nicht egal und deswegen habe ich auch nur wenige Sekunden zum sind. Deshalb ist es wichtig, dass der Hessische Landtag Nachdenken darüber gebraucht, ob wir das heute hier the- heute ein eindeutiges Signal setzt. matisieren –: Was hätte eigentlich die eine oder andere Journaille geschrieben, wenn wir das hier völlig außer (Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Acht gelassen hätten? NEN, der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hessen und die Hessische Landesregierung haben eine lan- NEN und der SPD – Zuruf von der SPD: So sieht es ge Geschichte in der Begleitung von Opel. Beim letzten aus!) Mal sind wir sogar mit einer sehr namhaften Bürgschaft in die Diskussion gezogen. Sie werden sich vielleicht noch Insofern will ich auch gerade deutlich machen – der Minis- erinnern. Da ging es um die Frage, ob fällige Rechnungen terpräsident hat das eben gesagt –, dass es hier auch um ein überhaupt noch bezahlt werden können. Darum kann es deutliches Signal an die vielen Tausend Beschäftigten geht. Wenn Ludwig Erhard einmal davon gesprochen hat, 6946 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 dass 50 % der Wirtschaft Psychologie sind, dann hat sich, (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE so glaube ich, an diesem Umstand wenig bis gar nichts ge- GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Quanz (SPD)) ändert. Diese Psychologie hat nicht nur etwas mit den Der Ministerpräsident hat die Automobilwirtschaft und die Konsumenten und dem Verhalten von Konsumenten in den Entwicklung dort angesprochen. Ja, wir reden heute nicht Märkten zu tun, sondern sie hat auch etwas mit der Auf- mehr nur über die klassische „Old Economy“ oder die stellung von Unternehmen zu tun. Gerade mit Blick auf klassische Automobilwirtschaft der letzten Jahrzehnte. Die Opel sage ich einmal: Sie hat auch deutlich mit der Frage Produkte, die dort gefertigt werden und die der Markt zu tun, ob ein Unternehmen aus guten Gründen selbstbe- sucht, sind Mobilitätsprodukte. wusst auf diesen Märkten auftritt. Wenn man sich in den etablierten Automobilindustrieun- Wenn man sich einmal die Geschichte der letzten Jahre ternehmen seit Jahren darauf vorbereitet, aber weiß, dass von Opel anschaut – nicht der letzten 88 Jahre, als damals sich Märkte teilweise dramatisch verändern, was die Be- Opel von GM übernommen wurde –, dann muss man zu- schäftigung von Unternehmen mit neuen Produktzweigen nächst eines feststellen: Was dieses Unternehmen und die und Entwicklungen anbelangt, könnte man, wenn es um Beschäftigten gerade in den letzten 16 oder 17 Jahren ge- die Digitalisierung geht – das ist ja nicht nur die Verbesse- leistet haben, ist außergewöhnlich. Das betrifft zum einen rung der Technik im Auto selbst, sondern das ist Satelliten- die betriebswirtschaftliche Seite. Das Unternehmen ist und navigation, das ist Vernetzung von Fahrzeugen untereinan- war jüngst auf einem guten Weg zunächst zu einer schwar- der, die am Ende zu besserer Mobilität und mehr Effizienz zen Null und dann in die Gewinnzone und hat dummerwei- in der Mobilität führen, aber am Ende auch dazu, dass wir se einmal wieder durch äußere Umstände, durch den Bre- uns ökologisch mit den Produkten, die dort unterwegs sind, xit, dort einige Rückschläge hinnehmen müssen. besser aufstellen –, auf die Idee kommen, dass im Silicon Der Opel-Vorstandsvorsitzende hat vor wenigen Monaten Valley einige große Unternehmen sitzen, die sich bisher im auf einer Veranstaltung, die wir gemeinsam hier im Rhein- digitalen Sektor eher im klassischen Bereich beschäftigen Main-Gebiet durchgeführt haben, gesagt: Na ja, wir haben und dort enorme Gewinne und Eigenkapital-Größenord- 85 % Importe der Zulieferer zu Vauxhall in England, also nungen angesammelt haben. Ich nenne einmal Alphabet. nur eine Wertschöpfung von Vauxhall in England von Nur mal als eine Zahl zwischendrin: 150 Milliarden € Ei- 15 %. genkapital bei Alphabet, der Mutter von Google, mit einem Bei einem Verfall des Pfundes – nach dem Brexit hat es hohen Liquiditätsgrad in den Bilanzen, was wiederum be- diesen gegeben – bedeutet dies mehrere 100 Millionen € deutet: Wenn die eines Tages sagen: „Das Einzige, was wir Mehraufwand in der Produktion in England für die dort in der Frage Mobilität noch nicht können, ist das eigentli- produzierten Fahrzeuge. Also ein Umstand, mit dem, glau- che Autobauen“, könnte man ja auf deren Seite auch auf be ich, niemand von uns, aber möglicherweise auch nicht die Idee kommen: Dann kaufen wir uns ein Automobilun- viele Unternehmen gerechnet hatten: dass die Engländer ternehmen. sich so entscheiden würden, wie sie es im Juni getan ha- Ich will das nur mal als mögliche Skizze für das, was da ben. passieren kann, hier in den Raum stellen und sagen: In ei- Dass wir aus ganz anderen geopolitischen Gründen mit den ner solchen Zeit ist es wichtig, dass die klassischen Auto- Russen zurzeit große Auseinandersetzungen haben, die mobilhersteller Ihre Kräfte bündeln. Deswegen ist das eine sich dann aber durch die Maßnahmen der westlichen Welt, oder andere, was in den Zeitungen steht, jedenfalls aus der Europäischen Union und der Amerikaner, im Sinne meiner Sicht plausibel, wenn dort zu lesen ist, dass PSA von Handelsboykotten und -beschränkungen niederschla- als die potenzielle Käuferin in den letzten Jahren die For- gen, hat Opel auf dem Weg in die Märkte der Russischen schungs- und Entwicklungskosten deutlich zurückgeführt Föderation ebenfalls massiv beeinträchtigt und dazu ge- hat, um das Unternehmen betriebswirtschaftlich wieder auf führt, dass sich Opel dort weitestgehend – eigentlich kom- Kurs zu bringen. Andererseits liegt – auch darauf ist eben plett – zurückgezogen hat. von Volker Bouffier hingewiesen worden – gerade dort seit vielen Jahren mit dem Forschungszentrum eine wirk- Um nur einmal zwei Bereiche zu nennen: Obwohl das Un- lich herausragende überdurchschnittliche Schwerpunktset- ternehmen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die For- zung bei Opel in Rüsselsheim. Dann kann man ja vielleicht schungsabteilung tolle Erfolge für sich verbuchen können, auf die Idee kommen, dass die Dinge gar nicht so schlecht sehr fleißig gearbeitet haben, Verzicht geübt haben – ich zueinanderpassen und dass PSA ein hohes Interesse daran erinnere noch einmal daran: um die Jahrtausendwende hat hat, gerade auch das Know-how, das dort entwickelt wor- GM an allen Standorten in Europa 12.000 Beschäftigte ab- den ist, zu erwerben. gebaut –, ist es leider bis heute so, dass auch äußere Um- stände dazu führen können, dass Unternehmen in Schwie- Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will einen rigkeiten geraten. Punkt nicht auslassen. Ich will deutlich sagen, dass wir aber auch nicht aus dem Blick verlieren dürfen, dass es am Umso mehr ist und war uns eines wichtig. Ich bin aus- Ende des Tages bei dem, was sich dort entwickelt, immer drücklich auch den Sozialdemokraten als in dieser Frage darauf ankommen wird, dass unser Land und die Standorte genauso involvierter Oppositionspartei dankbar, dass wir der Unternehmen in unserem Land wettbewerbsfähig blei- heute einen gemeinsamen Antrag verfasst haben, in dem ben. Das erfüllt mich dann schon auch mit der einen oder wir sehr klar zum Ausdruck bringen, dass wir einerseits ein anderen Sorge. Signal an die Beschäftigten und an die Unternehmenslei- tung senden wollen, andererseits aber auch deutlich ma- Da haben Sozialdemokraten und Christdemokraten in den chen wollen: Das, was jetzt passiert, ist ein Wandel, ist ei- nächsten Monaten vieles in einer grundsätzlichen Ausein- ne Veränderung, in der auch Chancen und nicht nur Risi- andersetzung zu tun, nämlich bezüglich der Frage, ob wir ken, Lasten und Unzumutbares liegen. wettbewerbsfähig sind und bleiben. Wenn der Verband der Automobilindustrie erklärt – darauf ist der Ministerpräsi- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6947 dent ebenfalls eingegangen –, wir brauchen eine Balance (Beifall bei der CDU und des Abg. Daniel May zwischen Industriepolitik und dem, was Klimaschutz heißt, (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) dann ist das genauso richtig, wie wenn Sie zu Recht darauf Darauf wird es am Ende des Tages ankommen: dass wir hinweisen, dass in den letzten Jahren viele deutsche Unter- das nicht aus dem Auge verlieren, aber durchaus auch die- nehmen, auch Unternehmen der Automobilindustrie, eine sen Streit führen. Deswegen verstehe ich die Aufregung etwas aufgehende Schere zwischen Produktivitätssteige- überhaupt nicht, dass wir darüber streiten, was dort der rung und Kostensteigerung haben, insbesondere im Be- ausbalancierte Weg ist, der einerseits den Interessen von reich der Arbeitskosten. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gerecht wird, an- Das kann man nun doof finden. Ich glaube, wir sollten es dererseits aber dafür sorgt, dass die deutsche Automobil- ernst nehmen, wenn das als Problem beschrieben wird, was wirtschaft auch zukünftig hier ihre Standorte hat, hier die wiederum bedeutet, wir müssen als Politik darauf achten, Arbeitsplätze stellt, und hier ihre Zukunft hat. – Herzlichen dass die Arbeitskosten in unserem Land wettbewerbsfähig Dank. bleiben. Das heißt nicht Dumpinglöhne. Das heißt aber (Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- auch nicht – da bin ich schon auch ein bisschen im Bun- NIS 90/DIE GRÜNEN) destagswahlkampf, und darüber werden wir streiten müs- sen –, dass der designierte Kanzlerkandidat der SPD unter- wegs ist und Dinge als Tatsachen behauptet, die er ein paar Vizepräsident Frank Lortz: Tage später – Gott sei Dank heute geschehen – zurückneh- men muss, die aber in den Kern dieser Problematik rei- Vielen Dank, Kollege Boddenberg. – Das Wort hat der chen, nämlich beispielsweise zu behaupten, dass 40 % – – Abg. Schäfer-Gümbel, Fraktionsvorsitzender der SPD. (Günter Rudolph (SPD): Was soll denn das jetzt? – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Holger Bellino (CDU): Was denn? – Unruhe bei der SPD und der CDU – Glockenzeichen des Präsiden- Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kol- ten) legen! Ich bin zunächst grundsätzlich dankbar, dass es ge- lungen ist, hier einen gemeinsamen Antrag zu der Frage, – Lassen Sie mich doch einmal. Das ist doch, glaube ich, die uns seit einer Woche beschäftigt, nämlich der Frage der hier statthaft. Zukunft von Opel, am Ende hinzukriegen. Herr Boddenberg, lassen Sie mich das zumindest ganz am Vizepräsident Frank Lortz: Anfang allerdings auch klarstellen: Da Sie ja am Dienstag schon mein Interview im Deutschlandfunk ausgewertet ha- Meine Damen und Herren, einen Moment, bitte. Ich bitte ben – ich habe es ja gesehen –, hätten Sie wissen können, Sie um Aufmerksamkeit. wie die Auflösung des Problems mit den 40 % ist. Und (Zurufe von der SPD und der CDU) wenn Sie mit mir über die Agenda 2010 und möglichen Reformbedarf reden wollen, machen Sie einen eigenen An- trag. Das diskutieren wir am Ende der Tagesordnung. Aber Michael Boddenberg (CDU): wir sollten es nicht bei dem Thema Opel aufrufen. Wenn Sie mich ausreden lassen – Herr Schäfer-Gümbel (Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): kann das ja nachher kommentieren –: Also, wenn dort in Reden Sie mal zum Thema!) den letzten Tagen behauptet – – Damit will ich zum Kern des eigentlichen Themas kom- (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) men. Das ist – ich will das wiederholen – der Klassiker für Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition, des- – Nein, ich komme zum Thema, Herr Kollege. – Also, wegen habe ich unmittelbar nach Bekanntwerden auch mit wenn dort behauptet wird, dass 25- bis 35-Jährige zu 40 % dem Ministerpräsidenten genau zu dieser Frage gespro- befristete Arbeitsverhältnisse haben, und heute die chen: Natürlich nutzen wir wechselseitig alle Kanäle, die „Bild“-Zeitung sagt – Sie können ja sagen, ob das falsch ist uns zur Verfügung stehen, um in dieser Situation Opel zu oder nicht –, eigentlich sind es aber nur 12 %, dann zeigt begleiten, vor allem aus meiner Sicht natürlich auch die das, dass wir Acht geben müssen. Das ist ein Problem, das Betriebsräte, die Gewerkschaft und die Beschäftigten, und ich nicht wegrede. das ist auch notwendig – nicht nur mit Blick auf die Tradi- (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) tion des Unternehmens, sondern auch mit Blick auf die ökonomische und soziale Zukunftsfähigkeit des Unterneh- Ich hätte auch lieber nur dauerhafte und unbefristete Ar- mens und letztlich auch mit Blick darauf, dass Opel derzeit beitsplätze. Aber dann zeigt das doch, dass wir über diese schlicht und einfach gute Autos baut. Fragen reden müssen; denn das haben wir seinerzeit – Agenda 2010 als Stichwort – nicht gemacht, um die Leute Warum beschäftigt sich Politik damit? Denn am Ende ist zu ärgern, es ein privatrechtliches Geschäft, geht es um einen Verkauf von Opel durch GM an PSA. Ich will das deswegen noch (Zurufe von der SPD) einmal unterstreichen: Wir beschäftigen uns damit – ich sondern das haben wir gemacht, um genau die Wettbe- teile alle Argumente, die hier formuliert wurden –, weil es werbsfähigkeit, über die wir jetzt wieder häufiger reden letztlich um Zukunft und Perspektiven der deutschen Auto- müssen, in diesem Land aufrechtzuerhalten. Das Ergebnis mobilindustrie geht. Das hat ein erhebliches Gewicht für kann man besichtigen: Rekordzahlen auf dem Arbeits- die Wohlstandsentwicklung im Land. Deswegen kämpfen markt, aber eben auch großartige Erfolge der deutschen wir für Beschäftigte, für Standorte und die Zukunftsper- Wirtschaft, auch der Automobilwirtschaft. spektiven mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. 6948 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Ich glaube, dass das ein paar mehr sind als nur eine Aktu- Erklärungen sind, am Ende wird das gelten und verbindlich elle Stunde im Hessischen Landtag. sein, was in Verträgen abschließend beschlossen wird. (Beifall bei der SPD) Die intensiven politischen Gespräche dienen der Beglei- tung dieser Vertragsverhandlungen. Es ist schon darauf Ich will dennoch ein paar Bemerkungen zur Einordnung hingewiesen worden – ich will ergänzen –, dass am heuti- machen. Das, was sich General Motors in der letzten Wo- gen Tag Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries mit che wieder einmal geleistet hat, ist mit Blick auf die Wir- ihrem französischen Amtskollegen Sapin, aber in den ver- kung in Richtung der Betriebsräte, der Gewerkschaften, gangenen Tagen auch Bundesarbeitsministerin Andrea der Beschäftigten eine echte Zumutung. Der GM-Zentrale Nahles mit der französischen Amtskollegin El Khomri die- musste man nicht zum ersten Mal erklären, wie die Regeln se Fragen diskutiert haben. Mit Blick darauf, dass PSA zu von Mitbestimmung in unserem Land sind. Sie ignorieren einem substanziellen Teil dem französischen Staat gehört, das seit Jahren konsequent. Es ist ein Dauerärgernis. sind diese Fragen sehr wohl relevant, ebenso diese Gesprä- Deswegen will ich für mich ausdrücklich mit Blick auf die che mit Blick auf das, was passiert. Gespräche sagen: Der Verkauf von Opel an PSA ist eine Deswegen will ich am Ende dieses Abschnitts noch einmal Chance, wenn die Rahmenbedingungen richtig gestellt betonen: Ich glaube, dass am Ende Paris und Rüsselsheim werden. mehr vom europäischen Automarkt und von der betriebli- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der chen Mitbestimmung verstehen als die Vertreterinnen und CDU) Vertreter in Detroit. Der Verkauf von Opel und die Kooperation mit PSA kann (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der ausdrücklich zu einem Beispiel guter und erfolgreicher CDU) europäischer Industriekooperation werden, wie es manch Ich will mit Blick auf die derzeitigen Gespräche und Ver- anderes Beispiel – Stichwort: Airbus – schon gibt. Ich fin- handlungen allerdings auch vier warnende Hinweise ge- de, gerade mit Blick auf das transatlantische Verhältnis ha- ben. ben wir allen Anlass, darüber nachzudenken, wie europäi- sche Industriepolitik aussehen muss, wenn sich bestimmte Erstens will ich ausdrücklich unterstreichen – deswegen Akteure durch Abschottung stärker zu machen versuchen, habe ich auch so engagiert applaudiert, als die Formulie- auch wenn das aus meiner Sicht nicht funktioniert. rung kam –: Diese permanente Besserwisserei sogenannter Fachleute, deren persönliches Geschäftsmodell ein immer Dabei müssen allerdings wesentliche Fragen in den nächs- größeres Horrorszenario für den Beschäftigungsabbau ist, ten Monaten geklärt werden. Ich will ausdrücklich darauf um – das ist zumindest mein Eindruck – mehr ihren eige- hinweisen, auch mit Blick auf die Agenturmeldungen des nen Namen in Publikationen zu lesen, als sich mit den Zu- heutigen Tages: Möglicherweise wird in den nächsten Ta- kunftsperspektiven für Automobilunternehmen zu beschäf- gen ein Memorandum of Unterstanding für eine Kooperati- tigen, ist kontraproduktiv für das, was wir im Moment vor on abgeschlossen. Die eigentlichen Vertragsverhandlungen uns haben. beginnen aber erst danach und werden sich nach allgemei- ner Einschätzung noch über mehrere Monate hinziehen. (Lebhafter Beifall bei der SPD und der CDU – Bei- fall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Die Fragen, die geklärt werden müssen, sind in der Tat die GRÜNEN) Zukunftssicherung von Produktionsstandorten, die Zu- kunftssicherung von Verwaltung, des Entwicklungszen- Ich will zweitens eine Warnung mit Blick auf die politi- trums, die Frage von Patentregelungen, der Pensionsbelas- schen Gespräche aussprechen, die mir im Moment beson- tungen, von Verschuldung bis hin zur Frage, wie wir in ders wichtig ist. Denn wir müssen aufpassen, dass sich Ge- Zukunft mit Exportbeschränkungen drangsaliert werden; neral Motors mit Blick auf die Verhandlungen und Gesprä- denn die GM-Mutter hat in den vergangenen Jahren Ex- che nicht schleichend und stillschweigend aus geltenden portmärkte für Opel geschlossen und sie aus dem amerika- Regeln, Verträgen und Absicherungen zurückzieht. Wir nischen Bereich bedient. Oder aber es gibt Schwierigkeiten werden darauf aufzupassen haben, weil es hinlängliche Er- wie mit dem Brexit. fahrungen aus der Vergangenheit mit den Freundinnen und Freunden aus der Zentrale in Detroit gibt. Das gilt nicht Ich habe übrigens in der ersten Debatte über den Brexit nur für die Übergangszeit der Vertragsverhandlungen zwi- hier darauf hingewiesen, dass das nicht nur eine Frage für schen März 2017 und dem Ende des Jahres 2017, sondern Finanzmarktakteure ist, sondern auch ausdrücklich ein in- auch für die anschließende Zeit. Einige der Problemthemen dustriepolitisches Thema mit Benennung von Opel und habe ich vorhin schon angesprochen. Rüsselsheim. – Zu betrachten ist auch die weitere Entwick- lung auf dem russischen Markt. Da spielt die Frage der Drittens will ich uns gemeinsam dazu ermahnen, immer Sanktionspolitik schon eine gewisse Rolle. den Dreiklang von Produktion, Verwaltung und Entwick- lung zu betonen. Die einseitige Betonung nur eines dieser Wie wir mit all diesen Fragen umgehen, wird uns sicher- Faktoren wird am Ende dazu führen, dass man versuchen lich in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen. wird, diese drei Themen gegeneinanderzustellen. Ich will Ich freue mich ausdrücklich darüber, dass in den letzten gerade mit Blick auf Verwaltung und Produktion sagen, Tagen verschiedene öffentliche Erklärungen auch der die nicht so oft im Zentrum der Debatten stehen, dass wir PSA-Führung in und nach Gesprächen mit politischen Ver- aufpassen müssen, dass die am Ende nicht in zusätzliche antwortungsträgern auf allen Ebenen zu hören sind, dass Schwierigkeiten geraten. all diese Vereinbarungen, die bisher gelten, auch in Zu- kunft gelten sollen. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Die vierte Bemerkung, die mir wichtig ist. Ich bin Wolf- Standort- und Beschäftigungssicherung bis 2020. Aber die gang Schäfer-Klug als Betriebsratsvorsitzendem außeror- substanziellen Fragen sind vor allem diejenigen, die im dentlich dankbar, dass er in den letzten acht Tagen immer Anschluss, nach 2020, folgen. Deswegen: So schön diese wieder darauf hingewiesen hat, dass die Standortländer – Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6949 damit sind die Bundesländer selbst gemeint, aber vor allem serstofffahrzeugen gemeinsam auf den Weg zu bringen. auch die europäischen Standortländer – sich nicht gegen- Toyota und Suzuki haben in der vergangenen Woche eine einander ausspielen lassen und versuchen, jeweils einzeln Industriekooperation mit Blick auf Kleinwagen und SUVs ihre regionalen Standortinteressen mit PSA separat zu ver- beschlossen. Beides sind Konzerne, die technologisch sehr handeln. Ein Wettbewerb Polen gegen Großbritannien, wohl in der Lage sind, Themen massiv voranzutreiben. Hessen gegen Thüringen, Rheinland-Pfalz gegen Spanien Herr Boddenberg, ich will deswegen schon noch einmal wird am Ende nur dazu führen, dass die Standorte gegen- auf Ihre letzten Bemerkungen zu sprechen kommen. All einander ausgespielt werden. Wolfgang Schäfer-Klug hat die Herausforderungen, die für die deutsche Automobilin- gesagt, es geht am Ende um die Zukunft von 40.000 Be- dustrie nur aus dem Inhalt dieser Stichworte entstehen wer- schäftigten in Europa. – Wir sollten das immer als ersten den, werden sich sicherlich nicht allein mit der Frage der Satz voranstellen. Arbeitskosten beantworten lassen. (Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS (Michael Boddenberg (CDU): Sicherlich nicht! Da 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) stimme ich Ihnen zu! Aber auch!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will ganz bewusst die Da haben wir ganz andere Themen zu stemmen. Am Ende letzten fünf Minuten meiner Redezeit nutzen, um die Fra- muss es um eine intensive Kooperation der Politik, der gen anzusprechen, die die FDP in ihrem Antrag aufgerufen Wissenschaft und der Industrie gehen. Denn ansonsten hat, weil natürlich die Frage der Kooperation von PSA und werden wir scheitern. Opel in einem Umfeld stattfindet, das ebenfalls schon mehrfach gestreift wurde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die FDP wirft in ihrem Antrag mehrere klimapolitische Ich will meinen Lieblingssatz wiederholen: Die Energie- und Regulationsfragen auf, und ich finde, dass alle Fragen wende ist die kleine Schwester der Verkehrswende. – Die richtig benannt sind. Ich finde allerdings auch, dass keine Verkehrswende wird uns technologisch, finanziell und einzige der Antworten im FDP-Antrag richtig ist. Trotz- strukturell sehr viel stärker als das fordern, was wir in den dem sind die Fragen völlig richtig, und sie sind übrigens letzten zehn Jahren über die Energiewende diskutiert ha- nicht erst in den letzten Tagen aktuell, sondern sie sind ben, wenn wir das Wohlstandsmodell so halten wollen, wie schon ziemlich lange aktuell. Ich will einige wenige an- es ist. Zum einen will ich das mit Blick auf die Batterie- sprechen. technik beschreiben. Ich will es aber auch noch einmal mit Blick auf die Entscheidung in Stuttgart beschreiben. Ja, die Entwicklung hin zur E-Mobilität wird uns weiterhin fordern. Das ist keine Frage, die sich allein an die Unter- Ich kann es nur begrüßen, dass eine Stadt wie nehmen richtet. Die Frage von Infrastruktur, auch der Be- klipp und klar entschieden hat, dass der öffentliche Perso- zahlbarkeit von Mobilität ist anzugehen. Ein marktgängi- nennahverkehr bis zum Jahr 2020 auf lokal emissionsfreie ges und erfolgreiches E-Auto der Golf-Klasse kostet, wenn Verkehre umgestellt werden wird. Ich wünsche mir ähnli- man es nicht subventioniert, 40.000 €. Das sind für Berufs- che Initiativen bei uns. Denn insbesondere das Thema pendler, die möglicherweise in der Gehaltklasse zwischen Feinstaub betrifft natürlich auch den ÖPNV. Deswegen 30.000 bis 40.000 € Jahresgehalt sind, unerschwingliche wird für uns die Industriepolitik in den nächsten Jahren ei- Preise. ne ziemlich große Rolle spielen. Die Dieselaffäre von VW hat die Dieselstrategie der ge- Das will ich als Selbstverpflichtung nennen und als letzte samten deutschen Automobilindustrie schwer beschädigt. Bemerkung an uns selbst richten: Weder Opel noch sonst Das hat viele Konsequenzen, nicht nur für VW. Wir wer- wer braucht in diesen Tagen Management by Helicopter: den auch mit Blick auf die Debatten zum Thema blaue Pla- einfliegen, Staub aufwirbeln und wieder verschwinden, be- kette, zum Stuttgarter Urteil und zum Vorgehen in Stutt- vor sich der Staub gelegt hat. Das wäre sicherlich falsch gart aufpassen müssen, dass wir den Verbrennungsmotor verstandene Verantwortung gegenüber Zigtausend Be- gerade auch in der Übergangszeit und gerade auch ange- schäftigten und ihren Familien in Rüsselsheim, in Deutsch- sichts der Hybridlösungen nicht derart beschädigen, dass land und in Europa. – Herzlichen Dank. am Ende daraus nicht nur keine Mobilitätsstrategie mehr wird, sondern dass wir dann auch industriepolitisch in er- (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Ab- hebliche Verdrückungen kommen werden. geordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU) Vizepräsidentin Heike Habermann: Ich will Sie dabei ausdrücklich mit drei Industriekoopera- tionen wenigsten informativ beschäftigen, die in den letz- Vielen Dank. – Als Nächster spricht Herr Kollege Wagner ten 14 Tagen öffentlich wurden. Denn das spielt in unseren für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Debatten selten eine Rolle. Honda und Hitachi – das sind zwei Konzerne, die in völlig unterschiedlichen Feldern tä- tig sind – haben in der vergangenen Woche eine Koopera- Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tion zum Thema E-Mobilität beschlossen, und zwar in ei- NEN): nem ziemlich großen Umfang. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben in (Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den diesem Landtag im Jahr 2009 schon einmal diskutiert – mit Vorsitz.) Blick auf das Jahr 2009 sage ich: diskutieren müssen –, dass sich General Motors von Opel trennen wollte und dass Das muss uns aufhorchen lassen: Honda und General Mo- Opel übernommen werden sollte. Damals wie heute ist der tors haben zu Beginn dieses Jahres eine Kooperation be- Umgang von General Motors mit diesem Thema, mit den schlossen, um bis zum Jahr 2020 die Produktion von Was- 6950 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Beschäftigten, mit ihren Sorgen und mit ihren Nöten alles zu minimieren, und unseren Beitrag dazu leisten, dass es andere als angemessen. ein fairer Zusammenschluss von zwei Unternehmen wird. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Abgeordneten der CDU und der SPD sowie der Abg. bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Thorsten Janine Wissler (DIE LINKE)) Schäfer-Gümbel und Timon Gremmels (SPD)) Aber die Situation heute unterscheidet sich glücklicherwei- Vor diesem Hintergrund empfinde ich es als ziemlich zy- se sehr wohltuend von der im Jahr 2009. 2009 hatten wir nisch, dass einige politische Mitbewerber, aber auch Leute, die Situation, dass General Motors und auch Opel akute die uns beobachtend begleiten, die Frage aufwerfen, Liquiditätsprobleme hatten. Das hat damals dazu geführt, warum sich die Politik mit diesem Thema beschäftigt. Sol- dass wir uns als Hessischer Landtag für eine sehr weitrei- len wir die Sorgen der Menschen in diesem Land ignorie- chende Erweiterung des Bürgschaftsrahmens entschieden ren? Soll der Hessische Landtag schweigen, wenn sich die haben. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Opel fragen, was da gerade passiert? Hat diese globalisierte Welt und Ich sage ausdrücklich, dass die Situation heute anders ist. hat dieser Unternehmenszusammenschluss irgendetwas mit Opel hat einen Strategiewechsel eingeleitet. Es verfolgt ei- mir zu tun? Oder werde ich hier Opfer von Interessen, die ne neue Unternehmensstrategie. Es ist nach der Krise im mit mir gar nichts zu tun haben? Soll die Politik, soll die Jahr 2009 gelungen, im Zusammenwirken der Unterneh- Interessenvertretung der Bürgerinnen und Bürger dazu mensführung und des Betriebsrats – ich will das ausdrück- schweigen? lich sagen: und des Betriebsrats – eine neue Strategie zu entwickeln. Das ist eine Strategie, mit der Opel auch als ei- Ich meine Nein. Wir müssen klar Position beziehen. Wir genständiges Unternehmen viele Chancen hätte, auf dem sollten uns nicht überhöhen. Wir sollten nicht so tun, als Automobilmarkt zu bestehen. Das ist ein wesentlicher Un- seien wir in diesem Prozess die Entscheider. Wir sollten terschied zu der Situation im Jahr 2009 und eine große die Verantwortlichkeiten klar benennen. Die Verantwor- Leistung des gemeinsamen Engagements der Arbeitnehmer tung liegt bei den Unternehmensführungen von General und der Arbeitgeber bei Opel. Motors, von Opel und von PSA. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Aber wir dürfen doch als politische Menschen und als In- bei Abgeordneten der CDU) teressenvertreter der Menschen unseres Landes eine Mei- nung dazu haben. Wir dürfen auch alles – und ich finde, Es ist völlig berechtigt, dass auch die neue Debatte über ei- wir müssen auch alles – dafür tun, dass die Interessen der ne Übernahme bei den Beschäftigten große Sorgen und Beschäftigten bei Opel gewahrt werden. Verunsicherung auslöst. Denn bei solchen Übernahmepro- zessen ist keinesfalls entschieden, wie sie am Ende ausge- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und hen. der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD) (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist wohl Deshalb sage ich: Man darf vorsichtig optimistisch sein, wahr!) dass die Anstrengungen, die ergriffen wurden, und die Zu- sagen, die PSA bislang gegeben hat, tatsächlich dazu füh- Es wäre nicht das erste Mal, dass die Arbeitnehmerinnen ren werden, dass das ein Zusammenschluss auf Augenhöhe und Arbeitnehmer die Erfahrung machen, dass es nicht um und zum Nutzen beider werden wird. den Zusammenschluss von zwei Gleichen geht und dass es nicht um ein Projekt geht, bei dem am Ende der Zugewinn Das muss es auch werden. Opel war und ist auf einem gu- und der Nutzen für beide steht, sondern dass es um ein ten Weg mit der neuen Unternehmensstrategie. Es ist nicht Projekt geht, bei dem sich der eine einen Vorteil zulasten der Unternehmensführung und schon gar nicht den Be- des anderen verschafft. schäftigten von Opel anzulasten, dass diese Strategie, die auf einem erfolgreichen Weg war, durch das Votum der Diese Sorgen sind berechtigt. Deshalb war es auch gut, Briten, mit dem Brexit die Europäische Union zu verlas- dass in den vergangenen Tagen über diese Sorgen gespro- sen, einen erheblichen Rückschlag erlitten hat. Natürlich chen wurde. Deshalb ist es auch gut, dass die ersten Zei- hat das Auswirkungen auf Absatzmärkte und auf die chen, die wir von PSA haben, ein anderes Signal senden, Standorte von Opel in Deutschland und Hessen. Wenn die nämlich dass man wirklich einen Zusammenschluss von Leute manchmal fragen: „Was hat diese Europäische Uni- zwei Unternehmen zum Nutzen beider haben will. Das on denn eigentlich mit uns zu tun?“, dann sieht man genau sind erste wichtige Signale bei diesem Prozess. Entschie- an diesem Beispiel, dass sie sehr viel mit uns zu tun hat, den ist das aber noch keinesfalls. weil der Brexit die Chancen von Opel, ihre erfolgreiche Deshalb ist es wichtig, dass dieser Prozess auch von politi- Strategie zu verwirklichen, minimiert hat. Das müssen wir scher Seite begleitet wird. Die Unternehmensführung von in dieser Debatte einmal klarstellen. Meine Damen und Opel, aber vor allem die Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Herren, mehr Europa und der Zusammenhalt von Europa nehmer sollen wissen, dass die deutsche Politik und die sind eine Chance für Opel. Manche Schwierigkeit, die jetzt hessische Politik auf ihrer Seite stehen. Sie wollen die entstanden ist, wäre vielleicht nicht so ausgeprägt aufgetre- Standorte in Hessen, in Deutschland und in Europa erhal- ten. ten. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Es ist wichtig, dass wir das tun. Denn die französische Re- der CDU) gierung macht das auch. Wir sollten nicht so tun, als sei Diese Debatte wirft – gerade was die über- und supranatio- das ein Prozess, aus dem sich die französische Regierung nale Zusammenarbeit angeht – sehr spannende und grund- völlig heraushalten würde. Der französische Staat ist An- sätzliche Fragen auf. Wir haben in Deutschland in den ver- teilseigner bei PSA. Deshalb ist es gut, dass auch wir unse- gangenen Jahren aus guten Gründen eine Haltung vertre- ren Beitrag leisten, die Sorgen der Beschäftigten bei Opel ten, dass sich die öffentliche Hand – der Staat – aus privat- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6951 wirtschaftlichen Unternehmen zurückgezogen hat. Ich sage Sie widmet sich ihnen auch, weil hier der entscheidende ausdrücklich: Wir haben das aus guten Gründen gemacht. Wettbewerbsvorteil liegt. Hier können wir besser sein und Wir haben aus guten Gründen eine Politik vertreten – Kol- früher als andere Antworten geben. Meine Damen und lege Michael Boddenberg hat darauf hingewiesen –, die Herren, hier können wir mit der Innovation einen wesentli- auf einen freien und fairen Welthandel gesetzt hat. Das war chen Beitrag dazu leisten, dass die deutsche Automobilin- ausdrücklich richtig. Wir sollten aber schauen, was gerade dustrie und die Arbeitsplätze bei uns und in Europa erhal- andere Akteure in diesem Welthandelt tun. Wir sollten ten bleiben. nicht aus dem Blick verlieren, dass der französische Staat (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und an PSA Peugeot nicht unerheblich beteiligt ist. Wir sollten der CDU sowie des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel ebenfalls nicht aus dem Blick verlieren, dass das chinesi- (SPD)) sche Staatsunternehmen Dongfeng auch an Peugeot betei- ligt ist. Hier ist es wieder die Aufgabe, politisch wachsam Wer glaubt, mit dem Festhalten am Bestehenden und dem zu sein. Wenn wir uns am Ende zurückhalten oder – wie Festhalten am Verbrennungsmotor sowie der bisherigen mancher politischer Beobachter meint – die Politik gar Technik sei und werde schon alles gut, der verkennt völlig nichts dazu sagen sollte, aber gleichzeitig der Einfluss an- die ökologische Herausforderung, vor der der Individual- derer Staaten über Staatsbeteiligungen an diesen Unterneh- verkehr steht. men zunimmt, (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es!) (Florian Rentsch (FDP): Was heißt das?) Die GRÜNEN haben schon vor 30 Jahren gesagt: Was dann haben wir nichts gewonnen. Das hat dann auch nichts würde passieren, wenn alle Chinesen Autos mit den glei- mit einem fairen und freien Welthandel zu tun. chen Emissionswerten – von vor 30 Jahren – fahren? Herr Kollege Rentsch, deshalb ist es wichtig, Position zu (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das geht gar beziehen nicht!) (Florian Rentsch (FDP): Wollen Sie bei Opel ein- – Herr Kollege Schäfer-Gümbel ruft dazwischen: „Das steigen, oder was?) geht gar nicht!“ Das haben wir vor 30 Jahren schon gesagt. und aufzupassen, dass unsere Haltung, uns aus privatwirt- (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das waren ande- schaftlichen Unternehmen zurückzuziehen, am Ende nicht re!) dazu führt, dass die Chinesen den Einfluss auf diese Unter- nehmen haben Die heutige Situation ist: Alle Chinesen schicken sich an, Auto zu fahren. Es ist auch ihr gutes Recht, dass sie an (Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP)) Mobilität teilhaben wollen. Sie sehen aber auch die Proble- me, die das mit sich bringt. Ich glaube nicht, dass China und uns Technologiefortschritte, die wir haben, vielleicht und andere Staaten unsere Fehler wiederholen wollen. verloren gehen. Das gehört auch in eine politische und Nein, sie werden die Produkte kaufen, die diese Fehler ökonomische Debatte über Opel. nicht wiederholen und die Antworten auf die Schadstoff- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und probleme geben, die man in den Riesenstädten Chinas heu- der CDU) te schon hat. Auch deshalb ist es der richtige Weg, dass die deutsche Automobilindustrie einmal mehr die innovativste In diese Debatte gehört natürlich auch – das haben die Kol- Automobilindustrie ist. Wir glauben nicht, dass wir den legen Vorredner schon angesprochen – die Frage nach der Wettbewerbskampf allein über niedrige Arbeitskosten wer- Zukunft der Automobilindustrie. Deutschland ist das Land, den gewinnen können. Meine Damen und Herren, es muss in dem das Automobil erfunden wurde und in dem die Au- um Innovation gehen. tomobilindustrie eine große, lange und sehr erfolgreiche Tradition hat. Diese erfolgreiche Tradition hat die Auto- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und mobilindustrie in Deutschland, weil sie immer etwas krea- der CDU) tiver und innovativer war und die Tüftler in Deutschland Weil es um Innovation geht, hat Opel bei dieser Übernah- immer ein bisschen besser waren. Das hat den Vorsprung me auch gute Chancen – ich möchte das einmal betonen –, der deutschen Automobilindustrie ausgezeichnet. Das wird diese tatsächlich als Partner unter Gleichen zu gestalten. und muss den Vorsprung der deutschen Automobilindus- Wir haben in Rüsselsheim mit dem Entwicklungszentrum trie auch weiterhin auszeichnen; denn Deutschland als genau die Kompetenzen für diese Technologien, um für hoch entwickeltes Land wird den Wettbewerb allein um diesen Prozess in die Zukunft des Automobils zu schauen. Arbeits- und Produktionskosten wahrscheinlich nicht ge- winnen können. Unser Wettbewerbsvorteil – das, was wir Diese Neuaufstellung und die Produktstrategie des Unter- beitragen können und was unsere Produkte auszeichnet – nehmens wurden in den letzten Jahren von der Unterneh- sind die Innovation und das Faktum, dass wir an techni- mensführung und dem Betriebsrat entwickelt. Das muss schen Prozessen und an gesellschaftlichen Entwicklungen jetzt Früchte tragen und darf nicht verloren gehen. Das hat näher dran sind. Das ist der Vorteil, der die deutsche Auto- Opel beizutragen. Wenn das tatsächlich in den gemeinsa- mobilindustrie wettbewerbsfähig gehalten hat und weiter- men Konzern eingebracht wird, wenn wir als Politik das hin wettbewerbsfähig halten wird. leisten, was wir leisten können, ohne uns zu überhöhen, dann kann das ein Zusammenschluss zum Nutzen von bei- Deshalb sind solche Themen wie Elektromobilität, Auto- den sein. Meine Damen und Herren, daran sollten wir alle mobilkonzerne als Mobilitätsdienstleister, die Entwicklung gemeinsam arbeiten. Wir sollten das heute in diesem Land- rund um die Brennstoffzelle und emissionsarme oder -freie tag mit dem Abstimmungsverhalten zu unserem Antrag Autos natürlich aufgerufen. – Das ist die Zukunft der Au- auch zum Ausdruck bringen. – Ich danke Ihnen für die tomobilindustrie. Diesen technologisch extrem anspruchs- Aufmerksamkeit. vollen Themen muss sich die Automobilindustrie widmen. 6952 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und keinen Business Case mehr ab 2020, im Hessischen Land- der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD) tag die Alarmglocken schrillen lassen muss. Wer keinen Business Case mehr sieht, scheint doch im Umkehrschluss zu sagen, dass die Rahmenbedingungen für die Produktion Vizepräsidentin Heike Habermann: von Automobilen in Europa offenbar nicht mehr so sind, Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Rentsch für wie sie sein sollten, um damit Geld zu verdienen. die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Schauen wir uns einmal an, was der Aufsichtsrat diskutiert Florian Rentsch (FDP): hat. Anhand des Gap to Target, also anhand dessen, was Opel erfüllen muss, um die CO2-Vorgaben und die Fein- Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! staubvorgaben ab 2020 zu erfüllen, die nicht an den produ- Kollege Wagner, es ist richtig, dass uns das Thema Opel zierten, sondern an den verkauften Autos gemessen wer- hier nicht zum ersten Mal beschäftigt. Ich freue mich, dass den, wird deutlich, dass Opel noch einen weiten Weg vor Volker Hoff heute da ist. Wir haben in einer Zeit der Kri- sich hat. sen versucht, nach einer langen Diskussion der damals von CDU und FDP geführten Landesregierung, Rahmenbedin- Man kann zwei Konsequenzen daraus ziehen, Herr Kollege gungen zu schaffen, dass Opel nach der Insolvenz des Wagner. Man kann sagen: Opel hat in den letzten Jahren Mutterkonzerns GM in einer Situation bleiben kann, die eine Entwicklung verschlafen. – Das sagen Sie. Man kann den Fortbestand der Produktion der Marke Opel gewähr- aber auch sagen – und das ist meine Meinung –, dass die leistet. Damals ist aber auch – die Kollegen erinnern sich Vorgaben in Europa, die wir in diesem Bereich machen, an an die Diskussion – durch den Versuch des Verkaufs an vielen Stellen überzogen sind. Magna probiert worden, eine Eigenständigkeitsstrategie zu (Beifall bei der FDP) unterstützen. Sie haben gerade das Beispiel China gebracht. Wenn ich Ich sage für meine Fraktion sehr offen, wir waren damals die chinesische Diskussion über das Thema Automobil an vielen Stellen skeptisch; die Kollegen können sich viel- verfolge, dann stelle ich fest, dass wir eine Binnendiskussi- leicht noch erinnern. Wir haben uns damals auf das Mini- on über Nanopartikel führen. Das finde ich völlig in Ord- mum geeinigt, was möglich war. Ich glaube aber im Nach- nung. Die Verhältnismäßigkeit und der gesunde Men- hinein, dass es kein Fehler war, diese Bürgschaft zu über- schenverstand müssen an dieser Stelle aber ein Stück weit nehmen. Heute müssen wir aber die Diskussion führen. beachtet werden. Deshalb bin ich nicht gerade sehr begeistert über das, was wir hier diskutieren. Nicht, dass wir das bedauern würden Deshalb kann ich nur sagen: Wenn die Antwort der euro- nach dem Motto: „Das ist alles nicht schön“, oder „Wir ha- päischen Industriepolitik nur ist, den Verbrennungsmotor ben Sorgen“. Die Sorge teilen wir. Meine Damen und Her- aus Europa zu vertreiben, dann kann ich dazu nur sagen, ren, die Frage ist aber: Was kann der Hessische Landtag dass die Freien Demokraten alles dafür tun werden, dass tun, damit sich die Situation für den Automobilbau in Hes- das nicht passiert, sen und in Deutschland besser gestaltet als derzeit? (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Thorsten (Beifall bei der FDP) Schäfer-Gümbel (SPD)) Die Frage, ob Peugeot Opel von GM kauft, ist eine unter- weil – und da sind wir uns ja einig – die Wertschöpfungs- nehmerische Entscheidung. Meine Damen und Herren, die kette – – Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen, Frage, warum sie das verkaufen, ist die eigentliche Frage, wenn das beabsichtigt war. die heute hier auf die Tagesordnung gehört. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Heike Habermann: Ich bin überrascht, dass wir über diese Frage wenig disku- Ich glaube, das war beabsichtigt, Herr Rentsch. Sie gestat- tieren. ten die Zwischenfrage offenbar. Erstens kann man feststellen, das Vertrauen von GM in die Politik scheint nicht mehr so groß zu sein. Vor einigen Jah- Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): ren war die Politik sehr frühzeitig eingebunden. Jetzt ist die Politik im Nachhinein hinzugekommen. Das muss Herr Kollege Rentsch, ich habe Ihre Einlassung nicht ganz nicht schädlich sein. Das muss aber auch nicht gut sein. verstanden. Ich habe auf zwei Punkte hingewiesen. Ich ha- be erstens auf die Frage des Übergangs vom Verbren- Zweitens. Richtig ist, dass wir hier darüber diskutieren, nungsmotor zum Hybridantrieb hingewiesen. Meine Frage weil das Auswirkungen auf unseren Standort hat. Ich bitte ist, ob Sie meine Einschätzung teilen, dass das eine mögli- aber auch darum, dass bei diesen Debatten über die Fragen che Lösung ist. diskutiert wird, die wir beeinflussen können. Es sollte nicht eine der vielen Sonntagsreden darüber gehalten werden, Zweitens. Sind Sie wirklich der Überzeugung, dass die Ar- wie schlimm das doch alles ist und welche Gefahren sich gumentation von GM trägt und ehrlich gemeint ist, wenn hier ergeben. Das entwertet letztlich auch ein Stück weit GM gleichzeitig plant, ein Projekt zum Thema Wasser- das Parlament. stoffmotor bis zum Jahr 2020 gemeinsam mit Honda um- zusetzen? Glauben Sie insofern, dass das wirklich die (Beifall bei der FDP) Hauptbegründung für Opel ist? Drittens. Wer sich mit den Opel-Mitarbeitern unterhält – ich denke, das werden alle getan haben –, wird feststellen, dass die Aussage des GM-Aufsichtsrats, man sehe für Opel Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6953

Florian Rentsch (FDP): vom Ende der Industrie in Deutschland ist, meine sehr ge- ehrten Damen und Herren. Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. Ich will gerne darauf eingehen. Ich glaube, dass wir weder bei der ersten (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Michael Bod- noch bei der zweiten Frage in der Einschätzung auseinan- denberg (CDU)) derliegen. Ich muss aber auch feststellen, dass ich das nicht – Herr Kollege Boddenberg, wir haben doch nicht ohne einschätzen kann; denn ich bin Jurist. Ich habe nicht die Grund hier schon dreimal über Kali + Salz diskutieren Kompetenz, einzuschätzen – das scheint bei einigen in die- müssen, nämlich weil Ihre Landesregierung nicht in der sem Raum anders zu sein –, welche Technologien in Zu- Lage ist, ordentliche Rahmenbedingungen für ein wichti- kunft dazu führen werden, dass wir sowohl umweltpoli- ges Unternehmen in Hessen zu schaffen. Das ist doch ein- tisch als auch ökonomisch gute Fahrzeuge herstellen. deutig. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Deshalb möchte ich an dieser Stelle das großartige Inter- Das Gleiche gilt – damit will ich den Ministerpräsidenten view mit Katrin Göring-Eckardt vom vergangenen Wo- wieder in die aktuelle Diskussion zurückholen – auch für chenende zum Thema „Martin Schulz“ erwähnen. In die- diese Landesregierung bei einer aktuellen Frage. Herr Mi- sem Interview sagt Katrin Göring-Eckardt, Martin Schulz nisterpräsident, ist es denn richtig, dass wir hier eine Sonn- sei nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit. Da äu- tagsrede nach der anderen hören, dass wir etwas für den ßert sich Frau Göring-Eckardt, eine grüne Automobilex- Automobilbau in Deutschland tun müssen, während Sie im pertin, auch zum Thema Opel. Sie sagt, der Autokonzern kommenden Monat mit Ihrer Landesregierung einen Kli- habe eine Mitschuld an einer möglichen Übernahme durch maschutz-Aktionsplan vorlegen, der die deutsche und die Peugeot: hessische Industrie massiv belasten wird? Ist das richtig? Die merken erst jetzt, wo es für Opel fast zu spät ist, (Beifall bei der FDP – Angela Dorn (BÜNDNIS dass sie grundlegend umsteuern müssen, … 90/DIE GRÜNEN): Haben Sie das gelesen? – Wei- Frau Göring-Eckardt ist anscheinend eine Technologieex- tere Zurufe) pertin und weiß genau, was Opel zu produzieren hat. Ähn- – Da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Bei Ihnen lich hat sich Herr Al-Wazir in seiner alten Funktion hier sickert alles heraus. Es ist nicht so, dass das bei Ihnen geäußert nach dem Motto: Die müssen ökologischere Au- bleibt, sondern wir haben die Vorlagen wahrscheinlich tos bauen. – Meine Damen und Herren, es kann doch nicht eher als Sie. die Aufgabe der hessischen Landespolitik sein, Opel zu sa- gen, wie Opel seine Autos bauen soll. Wo sind wir denn (Beifall bei der FDP) mittlerweile angekommen? Ich will ein Beispiel hinzufügen. Mir liegt eine Vorlage der (Beifall bei der FDP) nordrhein-westfälischen Landesregierung vor, und zwar des grünen Umweltministers Remmel. Diese ist im Januar Deshalb müssen wir aufpassen, Herr Al-Wazir. Herr Bod- 2017 dort im Kabinett beraten worden: „Weg freimachen denberg hat recht, wenn er sagt, dass 50 % der Wirtschafts- für E-Mobilität: Einführung einer verbindlichen Quote für politik nach Ludwig Erhard Psychologie seien. Die ande- Neufahrzeuge im Markt“. ren 50 % dürfen nicht durch grüne Ideologie ersetzt wer- den nach dem Motto: Ein Vorschlag zur Einführung einer verbindlichen Quote für Neufahrzeuge im Markt ist dem Kabinett von Herrn (Beifall bei der FDP) Remmel vorgelegt worden. Ich bin gespannt, ob das dort In diesem Land gibt es eine Partei, die weiß, was passiert. beschlossen wird oder ob das einen anderen Weg finden – Der Kampf der GRÜNEN gegen den Verbrennungsmo- wird. Wenn das grüne Politik ist, wenn man den Automo- tor ist an vielen Stellen offensichtlich. Es gibt eine Institu- bilstandort Deutschland so voranbringen will, dann wird tion, die Sie immer wieder vorschicken und die eng mit Ih- mir angst und bange um die Industrie in Deutschland. nen verbunden ist. Das ist die Deutsche Umwelthilfe, die (Beifall bei der FDP) an jeder Stelle versucht, einen Kampf gegen Opel zu füh- ren. Das ist sehr spannend. Der grüne Staatssekretär Baake Herr Ministerpräsident, deshalb kommen Sie bei dieser ist einer der Gründerväter. Einer seiner Ziehsöhne ist Herr Frage ins Spiel. Wenn der Klimaschutz-Aktionsplan in Samson, der derzeit Staatssekretär im hessischen Wirt- Hessen ähnlich unsinnige Geschichten vorsieht, wie Herr schaftsministerium ist. Schauen wir uns einmal die Presse- Remmel sie in Nordrhein-Westfalen vorantreibt, dann mitteilungen an, die die Deutsche Umwelthilfe verfasst hat brauchen wir hier keine Sonntagsreden zum Thema Auto- und die sich gegen Opel richten. mobilstandort, sondern wir brauchen Taten, die so etwas nicht ermöglichen, sondern verhindern, meine sehr geehr- (Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE ten Damen und Herren. Das ist der Unterschied. GRÜNEN)) (Beifall bei der FDP) Dann darf ich doch einmal die Frage stellen: Ist das gut für Opel, oder ist es ein Imageschaden, wenn eine deutsche Deshalb kann man lange Debatten darüber führen, wie Organisation so einen Kampf gegen ein wichtiges Automo- schlimm das alles ist oder welche Chancen sich ergeben. bilunternehmen in Deutschland führt? Das ist doch völlig Meine Damen und Herren, GM würde Opel nicht verkau- abstrus, was wir hier machen. fen, wenn – – (Beifall bei der FDP) Ich möchte heute hier über die Frage diskutieren, was wir tun können, damit die Automobilindustrie in Deutschland eine Zukunft hat und damit nicht diese Debatte der Anfang 6954 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Vizepräsidentin Heike Habermann: und bange wird, wenn sie hören, was Sie hier vorhaben. Das kann ich absolut nachvollziehen. Herr Kollege Rentsch, gestatten Sie eine weitere Zwi- schenfrage? (Beifall bei der FDP) Deshalb sage ich abschließend: Krokodilstränen sind nicht Florian Rentsch (FDP): der richtige Weg. Wir müssen uns ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wie wir bessere Rahmenbedingungen Nein. Herr Boddenberg kann ja gleich noch nachlegen. Ich für Opel schaffen können. Die Variante „Wir stehen an der freue mich, wenn die Debatte noch etwas anhält; denn das Seite von Opel“ genügt nicht. Polittourismus hilft Opel ist schließlich ein wichtiges Thema. nichts; Opel helfen nur gute Rahmenbedingungen. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir aufpassen (Beifall bei der FDP) müssen, dass wir bei der Frage der Industriepolitik nicht völlig falsche Zeichen setzen. Ich bin gerne bereit – Frau Kollegin Dorn hat sich vorhin ganz engagiert einge- Vizepräsidentin Heike Habermann: bracht –, über die Frage zu diskutieren, ob die Umweltvor- Vielen Dank. – Das Wort hat Ministerpräsident Bouffier. gaben, die wir in Deutschland und in Europa haben, nicht teilweise überzogen sind. Ich möchte diese Debatte führen. (Beifall bei der FDP) Volker Bouffier, Ministerpräsident: Sie können das gerne kritisieren. Das finde ich völlig in Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ordnung. Ich glaube, dass an vielen Stellen diese Fragen Herr Kollege Rentsch, Sie haben mich angesprochen, also nicht richtig diskutiert werden und dass Ideologie Wissen- führen wir die Debatte. schaft nicht ersetzen kann. Politik kann Wissenschaft auch Was mich immer wieder wundert: Wir waren in der letzten nicht ersetzen. Regierung Kollegen, aber Sie haben offensichtlich alles Herr Wagner, was wollten Sie eigentlich mit Ihren Worten vergessen, was damals war. So lange sind Sie doch noch zum Schluss zum Ausdruck bringen? Sie haben gesagt, in nicht in der Opposition. Frankreich sei der Staat bei Peugeot dabei. Auch die Chi- (Holger Bellino (CDU): Das geht bei denen schnell!) nesen seien dabei. Ist denn Ihre Schlussfolgerung – das würde ich Ihnen sofort zutrauen –, dass sich auch bei uns Auf die Frage: „Was tun wir für Rüsselsheim?“, gibt es ei- der Staat bei Automobilkonzernen engagieren muss, damit ne ganz schlichte Antwort. Sie waren doch dabei. Um es wir sozusagen die ökologische Wende demokratisiert im ganz einfach zu sagen: Wir haben Rüsselsheim zu einem Unternehmen vorantreiben? Ist das Ihre Botschaft? Ich wä- Hochschulstandort mit einem sehr qualifizierten Wissen- re Ihnen dankbar, wenn Sie das klarstellen würden. Es soll- schaftsapparat gemacht, der in unmittelbarer Kooperation te nicht die Botschaft des Hessischen Landtags im Jahr mit Opel sehr gut arbeitet. Das haben wir als Landesregie- 2017 sein, rung damals gemeinsam mit der Stadt gemacht. Wir sollten das, was wir gemeinsam gut gemacht haben, nicht für (Beifall bei der FDP) einen billigen Auftritt in diesem Haus in die Tonne treten. dass in einem gemeinsamen Antrag von Sozialdemokraten, Ich könnte noch jede Menge mehr Beispiele bieten, meine GRÜNEN und Christdemokraten gefordert wird, dass sich Damen und Herren. Hessen bei Opel engagiert. Das wäre der völlig falsche (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Weg, und das würde sicherlich auch nicht dazu führen, GRÜNEN) Herr Boddenberg, dass Opel bessere Autos baut, die am Markt letztlich auch Erfolg haben. Wir sind – spätestens, nachdem Donald Trump Präsident geworden ist – im Zeitalter der Fake-News. Heute haben Das ist für viele Mitarbeiter einer der zentralen Aspekte. wir ein herrliches Beispiel dafür erlebt. Lieber Kollege Opel hat in den letzten Jahren eine Wende hingelegt. Ich Rentsch, was muss eigentlich passieren, dass wir nicht im- glaube, es gibt da viele Punkte, wo man sagen muss: Die mer nach den gleichen Ritualen verfahren? Ich habe mich haben das gut gemacht. daran gewöhnt, dass sich die FDP an den GRÜNEN abar- (Beifall bei der FDP) beitet. Man kann ja quasi die Uhr danach stellen. Das sei Ihnen geschenkt, das ist in Ordnung. Ich hätte mir aber ge- Viele Mitarbeiter haben in Kauf genommen, dass sie über wünscht, dass wir heute nicht in kleinstem parteipoliti- Tarifverträge an der schwierigen Situation beteiligt wer- schem Karo diskutieren, sondern ein überzeugendes ge- den. Sie haben in ihre eigene Zukunft investiert. Sie sind meinsames Votum für Opel und für Rüsselsheim abgeben natürlich nicht begeistert – das zeigen übrigens auch die würden. Das ist leider nicht gelungen. Gespräche, die wir mit Vertretern von Opel geführt ha- ben –, dass die Rahmenbedingungen in Deutschland nicht (Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS pro Automobilindustrie, sondern gegen die Automobilin- 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) dustrie ausgerichtet werden. Herr Boddenberg, zurzeit re- Schauen Sie sich Ihren Antrag an: Er strotzt vor falschen giert in Berlin übrigens keine rot-grüne Regierung, sondern Behauptungen. Die Krönung ist: Sie haben sich intensiv eine schwarz-rote, und Hessen hat eine schwarz-grüne Re- mit dem Klimaschutzplan beschäftigt, den die Hessische gierung. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass wir darüber Landesregierung vorlegen wird. Dieser Plan liegt zwar streiten, was wir hier in Hessen tun können, damit Opel noch gar nicht vor, aber Sie kommen schon heute zu dem bessere Rahmenbedingungen vorfindet. Wenn Ihre Ant- Ergebnis – jetzt zitiere ich, was im Namen des von mir ei- wort auf diese Debatte die Vorlage eines Klimaschutz-Ak- gentlich sehr geschätzten Kollegen Lenders in der gestri- tionsplans ist, der eine grüne Handschrift trägt, dann kann gen Ausgabe der „Fuldaer Zeitung“ veröffentlicht worden ich verstehen, dass den Industriearbeitern in Hessen angst ist –: „Als Sahnehäubchen plant die Landesregierung nun Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6955 einen sogenannten Klimaschutzplan, der im Grunde den ist es so: In Punkt 10 fordert der Bundesrat die Bundesre- Industriestandort Hessen kaputt macht.“ – Meine Damen gierung auf, sich gegen ein pauschales Fahrverbot in In- und Herren, der politische Meinungskampf rechtfertigt nenstädten einzusetzen. – Ihre Behauptungen sind also nicht jeden Unsinn. grundfalsch, und das muss man hier einmal darlegen. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Es kommt aber noch besser. Weil ich vermeiden wollte, GRÜNEN) dass aus meiner Sicht zumindest missverständliche Positio- nen die Zustimmung des Landes Hessen erhalten, hat Hes- Einen Klimaschutzplan gibt es überhaupt noch nicht. Gera- sen diesem Beschluss nicht zugestimmt. Wo haben Sie de deshalb, weil wir gemeinsam regiert haben, sage ich: denn her, dass wir zugestimmt hätten? Sind Sie noch nicht Vergessen Sie sich in Ihrer Verzweiflung, eine Schlagzeile einmal in der Lage, ein Protokoll zu lesen? zu bekommen, bitte nicht. Sie brauchen dieser Regierung doch nicht vorzuwerfen, dass sie den Industriestandort ka- Jetzt kommt der allergrößte Hammer: Die FDP regiert in putt machen wolle. Deutschland in einem einzigen Bundesland mit, nämlich in Rheinland-Pfalz. Dort stellt sie den Wirtschaftsminister. (Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP)) Raten Sie einmal, wie Rheinland-Pfalz an der Stelle ge- Das wollen Sie ja eigentlich gar nicht sagen, aber in der stimmt hat. Rheinland-Pfalz hat zugestimmt. Dort, wo die Sehnsucht, wahrgenommen zu werden, übertreiben Sie je- FDP Verantwortung trägt, stimmt sie zu, aber im Hessi- de Formulierung. Wenn Sie uns vorwerfen, wir machen et- schen Landtag stellt sie die falsche Behauptung auf, wir was falsch, dann akzeptiere ich das; denn darüber kann hätten zugestimmt, was wir gar nicht getan haben. man streiten. Aber einer Regierung, die unter anderem ge- Wir können uns in der Sache streiten. Was ich nicht akzep- schworen hat, dafür zu sorgen, dass in diesem Lande tiere, sind Niedertracht, falsche Behauptungen und die Wohlstand herrscht, vorzuwerfen, sie wolle den Industrie- Hoffnung, mit Stimmungsmache Stimmen zu bekommen. standort kaputt machen, das ist nicht nur falsch, sondern auch niederträchtig, und das weise ich in aller Form zu- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE rück. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, wir ha- GRÜNEN) ben gemeinsam regiert. Ich habe das nicht vergessen. Ich bin so lange in diesem Parlament, dass ich das sehr gut Sie haben es sich nicht anders gewünscht. auseinanderhalten kann. Herr Kollege Rentsch, es tut mir (Florian Rentsch (FDP): Wir antworten noch dar- in der Seele weh, denn wir haben gut zusammengearbeitet; auf!) aber wer mich hier im Plenum auffordert, ich solle zu einer Sache Stellung nehmen, der muss ertragen, wenn er – Dann bitte ich aber, sich künftig sehr sorgfältig vorzube- Falsches behauptet, dass ich sage, dass es falsch ist. Wenn reiten. er uns Niedertracht unterstellt, muss er ertragen, dass ich (Florian Rentsch (FDP): Wir werden das Gleiche tun das zurückweise. wie Sie!) Ich bitte zum wiederholten Mal: Lassen Sie uns in der Sa- In Punkt 3 Ihres Antrags wird der Hessische Landtag auf- che streiten, aber versuchen Sie nicht, hier durch falsche gefordert, zu bedauern, „dass sich durch die Zustimmung Stimmungsmache ein Bild zu erzeugen, das der Sache der Landesregierung zu einem Verbot von Verbrennungs- nicht entspricht. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam für die- motoren sowie durch die Forderung nach einem Fahrverbot ses Land zu arbeiten, um die besten Wege zu ringen. Dabei von Dieselfahrzeugen in Innenstädten das Investitionskli- brauchen wir uns nicht gegenseitig niederzumachen. Ich ma für die Automobilindustrie in Hessen nachhaltig ver- bedauere solche Entwicklungen. schlechtert“. Damit behaupten Sie, wir hätten erstens ei- (Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- nem Verbot von Verbrennungsmotoren und zweitens ei- NIS 90/DIE GRÜNEN) nem Fahrverbot von Dieselfahrzeugen in Innenstädten zu- gestimmt. Ich weiß nicht, wo Sie das herhaben. Das ist schlicht falsch. Vizepräsidentin Heike Habermann: Lieber Herr Lenders, ich weiß nicht, wer Sie spickt, aber Kolleginnen und Kollegen, bevor ich das Wort an Frau jetzt müssen wir schon einmal ernsthaft miteinander reden. Kollegin Wissler weitergebe, noch einige Klärungen zum Es geht um einen Beschluss des Deutschen Bundesrates weiteren Verlauf. vom 23. September 2016. In diesem Beschluss gibt es einen Punkt 4, in dem die Bundesregierung aufgefordert Erstens haben sich alle Fraktionen darauf geeinigt, dass die wird, sich dafür einzusetzen, dass spätestens ab dem Jahre Redner in dieser Aktuellen Stunde entgegen der Bestim- 2030 unionsweit nur noch emissionsfreie Pkw zugelassen mung in unserer Geschäftsordnung nochmals reden dürfen. werden. – Nur der Korrektheit halber: „Emissionsfreie So verfahren wir dann auch. Pkw“ bedeutet kein Verbot von Verbrennungsmotoren. Zweitens würde ich gerne die zusätzlichen Redezeiten be- Man könnte heutzutage auch die bisherige Technik emissi- kannt geben, damit sich die Fraktionen darauf einstellen onsfrei gestalten. Das würde halt einen riesigen Aufwand können. Alle Fraktionen haben noch einmal sieben Minu- erforderlich machen. Genau daran arbeitet man bei Opel ten Redezeit dazubekommen. Insgesamt haben damit die und bei anderen Automobilherstellern. Deshalb ist Ihre Be- CDU elf Minuten und 19 Sekunden, die SPD sieben Minu- hauptung in der Sache falsch. ten, die GRÜNEN acht Minuten und 16 Sekunden, DIE Was aber noch viel schlimmer ist: Sie behaupten, in LINKE 22 Minuten und die FDP acht Minuten und 48 Se- Punkt 10 des Beschlusses des Bundesrats stehe ein Fahr- kunden. verbot für Dieselfahrzeuge in Innenstädten. In Wirklichkeit 6956 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Somit können wir die Debatte fortsetzen. Als Nächste Der französische Staat besitzt immerhin 14 % von PSA. spricht – 22 Minuten Redezeit – Frau Kollegin Wissler, Damit sitzt zumindest ein Beteiligter am Tisch, dem es DIE LINKE. nicht nur um betriebswirtschaftliche Interessen geht oder, sagen wir einmal, zumindest gehen sollte und könnte. Für (Stephan Grüger (SPD): 22 Sekunden!) Opel wurde diese Chance leider verpasst. Die Manager der beteiligten Autokonzerne sehen zuerst Janine Wissler (DIE LINKE): natürlich die Zahlen und nicht das Schicksal der Beschäf- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Erneut ban- tigten und ihrer Familien. Ja, es kann eine Chance sein, gen die Beschäftigten von Opel um ihre Zukunft. Am wenn Opel aus General Motors herausgelöst wird. Es stellt 13. Februar wurde bekannt, dass General Motors mit PSA sich nur die Frage, wie dies am Ende aussieht. Peugeot Citroën über einen Verkauf der Tochter Opel (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Genau!) Vauxhall verhandelt. Betriebsräte und Gewerkschaften er- fuhren davon erst aus den Medien. Ich halte das für ein Es ist ungewiss, ob sich PSA und Opel gut ergänzen wer- Unding. Das ist gegenüber der Belegschaft nicht in Ord- den und wie das Konzept zu einem Zusammenschluss aus- nung. sehen wird. Beide Unternehmen haben Autos mit einem ähnlichen Image, ähnliche Zielgruppen und sind auf Euro- (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des pa fokussiert. Es bleibt aber letztlich abzuwarten, wie sich BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Verhandlungen entwickeln und wie das Konzept am Es sind nämlich die Beschäftigten, die das Unternehmen zu Ende aussehen wird. dem machen, was es ist. Deshalb haben sie natürlich ein Was aber in jedem Fall klargestellt werden muss, ist, dass Recht darauf, vernünftig einbezogen zu werden. Die Be- im Fall einer Übernahme die gemachten Zusagen und Ver- schäftigten bangen nun wieder einmal darum, wie es wei- träge – wie z. B., dass es bis Ende 2018 keinen weiteren tergeht. Das muss man leider sagen. Das ist für die Be- Personalabbau geben soll – weiterhin ihre Gültigkeit ha- schäftigten ganz besonders bitter, die extra aus Bochum ben. umgezogen sind, um weiter bei Opel arbeiten zu können. (Beifall bei der LINKEN) Einer von ihnen ist Paul Fröhlich. Von ihm las ich in der Zeitung Folgendes: Darüber hinaus fordern wir, dass garantiert wird, dass alle Standorte und alle Arbeitsplätze erhalten werden und dass Die haben uns ja immer versprochen, dass nach der die Beschäftigten an den verschiedenen Standorten nicht Schließung in Bochum erst einmal Ruhe ist und gegeneinander ausgespielt werden, wie das in der Vergan- Opel gesund weitermachen kann. Was das wert war, genheit zum Teil passiert ist. sehen wir jetzt. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, die Beschäftigten von Opel ha- ben unsere volle Solidarität. Wir wollen, dass ein möglicher Zusammenschluss nicht auf dem Rücken der Beschäftigten in Deutschland, in (Beifall bei der LINKEN) Frankreich oder anderswo erfolgt. Immerhin wurden mittlerweile die Arbeitnehmervertreter Die Probleme und die Umstrukturierungsprozesse in der in Deutschland und auf europäischer Ebene offiziell infor- Automobilindustrie sind natürlich nicht auf Opel begrenzt. miert. Wir erwarten, dass das auch bei den weiteren Ver- Es stellt sich grundsätzlich die Frage, welche Perspektiven handlungen so passiert. Mitbestimmungsrechte müssen es gibt und wie wir die Arbeitsplätze in dieser Branche zu- eingehalten werden. Darauf hat der Ministerpräsident zu kunftsfest sichern können. Recht hingewiesen. Die derzeitigen Geschäftsmodelle der Autohersteller sind Es ist gut, dass wir uns alle heute darüber einig sind, dass in vielfacher Hinsicht fragwürdig. Überproduktionen wer- wir an der Seite der Beschäftigten von Opel stehen und den angehäuft. Die Automobilindustrie ist natürlich eine dass das Opel-Werk in Rüsselsheim ein wichtiger Betrieb der Branchen, in der weiteres Wachstum im Widerspruch für Hessen ist. Aber leider kann das Land wenig bis gar zu Nachhaltigkeit und zum Klimaschutz steht. Die momen- keinen Einfluss auf die Entwicklung nehmen – zumindest tane Ausrichtung auf immer mehr und immer größere Au- direkt. Diese Chance wurde in den Jahren 2008 und 2009 tos ist fatal. Der technische Fortschritt bei effizienteren leider vertan. Motoren wird oft nicht in weniger Spritverbrauch gesteckt, (Beifall bei der LINKEN) sondern weiter in übermotorisierte und schwere Autos. Meine Damen und Herren, dass mittlerweile Parkplätze Ich will zumindest daran erinnern, dass das Land Hessen in wieder größer gemacht werden müssen, weil die Autos der letzten Opel-Krise die Chance gehabt hätte, sich einen größer sind, passt einfach nicht in diese Zeit. Anteil an dem Unternehmen zu sichern und damit auch Einfluss und Mitspracherecht. Man hätte die staatlichen (Beifall bei der LINKEN) Hilfen, die es damals gab, an Bedingungen knüpfen kön- Selbst wenn von heute auf morgen alle vollelektrisch fah- nen. Dann hätten das Land und der Bund jetzt die Möglich- ren würden – das Thema Elektromobilität ist angesprochen keit, ganz anders Einfluss zu nehmen, nämlich zum Wohle worden –, wäre die Zunahme des motorisierten Individual- und im Interesse der Beschäftigten – natürlich auch im verkehrs weder sinnvoll noch wünschenswert. Ich habe ge- Hinblick auf den dringend notwendigen Umbau der Auto- rade heute Morgen über eine Berliner Studie gelesen, die mobilwirtschaft. Meine Damen und Herren, das ist mehr- besagt: Gerade in der Hauptverkehrszeit, im innerstädti- fach angesprochen worden. schen Bereich, ist das Auto mit durchschnittlich 8 km/h ge- (Beifall bei der LINKEN) genüber der Straßenbahn mit 19 km/h und der U-Bahn mit 30 km/h das langsamste Verkehrsmittel. Daher ist es natür- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6957 lich nicht wünschenswert, dass der motorisierte Individual- uns mehr direkte Mitsprachemöglichkeiten eröffnet hätten. verkehr immer weiter ausgeweitet wird. Aber ich finde, dass diese Entwicklungen, die wir jetzt ha- ben, von der Politik natürlich kritisch beobachtet, aber vor Auch Opel hat zunehmend versucht, in der Liga der Sprit- allem begleitet werden müssen, um Einfluss zu nehmen fresser mitzuspielen. Zusammen mit Peugeot wurde bereits und um vor allem die Arbeitsplätze zu sichern. eine SUV-Plattform gebaut. Opel steht, wie die gesamte Automobilindustrie, vor enormen Umbrüchen und Heraus- Meine Damen und Herren, unsere Solidarität gilt den Be- forderungen. Es muss darum gehen, Opel mittelfristig zu schäftigten bei Opel und bei PSA. Sie dürfen nicht gegen- einem zukunftsfähigen und nachhaltigen Mobilitätsunter- einander ausgespielt und der Gewinnoptimierung geopfert nehmen umzubauen. werden. Wir wünschen den Beschäftigten alles Gute, dass sie bald Gewissheit, Planungssicherheit und vor allem eine (Beifall bei der LINKEN) gesicherte Zukunft bei Opel haben. – Vielen Dank. Herr Rentsch, da muss man nun wirklich kein Technolo- (Beifall bei der LINKEN und der SPD) gieexperte sein. Es ist richtig, dass es Grenzwerte gibt. Sie beklagen, man dürfe den Autobauern nicht vorschreiben, welche Art von Autos sie bauen. Ich bin der Meinung, dass Vizepräsidentin Heike Habermann: es richtig ist, den Automobilkonzernen Grenzwerte vorzu- schreiben, genauso wie es richtig war, dass Katalysatoren Vielen Dank. – Als Nächster hat Kollege Rentsch für die irgendwann zur Pflicht gemacht wurden, weil man Um- FDP-Fraktion das Wort. Sie haben eine Redezeit von acht welt- und Klimaschutz eben nicht allein dem Markt über- Minuten und 48 Sekunden. lassen kann. (Beifall bei der LINKEN) Florian Rentsch (FDP): Ja, das ist ein Eingriff in die Produktion. Es ist ein Eingriff Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frau Präsidentin! in die Produktion im Interesse der Gesundheit und der Le- Herr Ministerpräsident, ich darf vielleicht zunächst einmal bensqualität der Menschen, der Luftreinheit und des Kli- feststellen, weil das schon recht emotional war – so habe maschutzes. ich es jedenfalls empfunden –: Das Letzte, was ich Ihnen Ich muss sagen: Ich kann sehr vielen Worten des Minister- vorwerfen würde, wäre Niedertracht oder „niederträchtig“. präsidenten, die er zu Ihrem Antrag gefunden hat, zustim- Das sage ich für meine Fraktion; das nehme ich für den men. Ich finde auch, dass in Ihrem Antrag – wo immer Kollegen Lenders und mich in Anspruch. Das ist nicht un- wieder geschrieben wird, dass Klimaschutz und Grenzwer- sere Intention, und ich bitte Sie, das zu unterlassen. Das ist, te Arbeitsplätze gefährden – erstens eine Angst geschürt glaube ich, dem Thema nicht angemessen. Das können Sie wird, die völlig irrational ist, und zweitens Arbeitsplätze, ja anders beurteilen, ich glaube aber, dass das kein ange- Klimaschutz und Umweltschutz gegeneinander ausgespielt messener Stil im Umgang miteinander ist. werden. Ich halte das für gefährlich und glaube sehr wohl, (Beifall bei der FDP – René Rock (FDP): Ja, Re- dass wir uns überlegen müssen, wie die Automobilindus- spektkampagne!) trie nachhaltig, umweltfreundlich und allein dadurch auch zukunftsfest gestaltet werden kann. Ich weiß, dass Sie in einer Koalition sind, wo Sie mit ei- nem Koalitionspartner in irgendeiner Form Dinge im Kon- (Beifall bei der LINKEN) sens zusammenbringen können. Das ist Ihr Bündnis; das Es ist doch vollkommen klar: Die Produktion von Autos würde ich nicht als „niederträchtig“ oder sonst in irgendei- wird an ihre Grenzen stoßen. Sie ist es bereits, weil es ner Form beurteilen, sondern es gibt unterschiedliche poli- Überproduktionen gibt und weil sich die Mobilität, aber tische Positionen. Deshalb war es nur meine Bitte, und es auch das Kaufverhalten der Menschen, angesichts von wäre schön, wenn das heute mit Ihrer Rede klargestellt Carsharing und der Entwicklung von selbst fahrenden Au- würde, dass das, was bisher als Klimaschutz-Aktionsplan tos, verändert. Das bedeutet, dass für viele Menschen der vorliegt, was da sozusagen durchsickert und im Umlauf ist, Besitz eines eigenen Autos nicht mehr sinnvoll und nicht so nicht kommt. Wenn heute Ihre Aussage ist: „Das mehr notwendig ist. kommt so nicht; dieser Klimaschutz-Aktionsplan wird in Hessen nicht das Tageslicht erblicken“, dann bin ich froh Diese Gründe, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Lebens- und gehe heute beruhigter aus dieser Debatte. Herr Minis- qualität, machen es sinnvoll, Alternativen zum Auto zu terpräsident, ein Frontalangriff auf mich bringt die Arbeiter stärken. Hier reden wir – Thorsten Schäfer-Gümbel hat es bei Opel keinen Schritt weiter, aber ein Klimaschutz-Akti- bereits angesprochen – über die dringend notwendige Ver- onsplan könnte den Kollegen deutlich weiterhelfen. kehrswende, die wir brauchen. Man kann darüber diskutie- ren, ob ein Unternehmen wie Opel bei der Verkehrswende (Beifall bei der FDP) eine Rolle spielt. Es kann eine Rolle spielen, wenn die Es war ja Ihre Botschaft; wir könnten nicht einmal im Pro- Weichen dafür richtig gestellt werden und wenn Opel tokoll nachlesen. Daher habe ich jetzt ein paar Sachen; da nachhaltig wirtschaftet. müssen wir einmal in die Details gehen. Neben der Tatsa- (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der che, dass Ihr Verkehrsminister, glaube ich, auch Ihrem Ka- SPD) binett angehört, ist die Initiative von Herrn Al-Wazir für die Einführung einer blauen Plakette, die Gott sei Dank auf Ich finde, angesichts der vielen Arbeitsplätze, die dort der Verkehrsministerkonferenz vor drei Monaten krachend dranhängen – allein 15.000 in Hessen; und es hängen indi- gescheitert ist, auch eine Initiative Ihrer Landesregierung rekt noch mehr dran –, kann man sich hier wirklich nicht gewesen, und diese würde übrigens dazu führen, dass 90 % hinstellen und sagen, die Politik soll sich da einfach raus- der Dieselfahrzeuge nicht mehr in die Städte fahren könn- halten. – Ich habe vorhin gesagt, dass ich mir gewünscht ten. hätte, man hätte 2008/2009 Entscheidungen getroffen, die 6958 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

(René Rock (FDP): Hört, hört!) setzen, die sie im Land hält und nicht vertreibt. Herr Mi- nisterpräsident, da ist der Ball bei Ihnen. Kommt der Kli- Ich glaube, das ist ein Punkt, wo wir gemeinsam der Auf- maschutz-Aktionsplan so, wie wir ihn kennen, oder kommt fassung sind, dass das wenig Sinn macht. Das ist der erste er nicht? Das ist die entscheidende Frage. Damit können Punkt. Sie heute aufräumen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Zweiter Punkt. Der Bundesrat hat mit hessischen Stimmen das Verbot des Verbrennungsmotors ab 2030 beschlossen. Das ist eine Initiative gewesen, der Hessen in Punkt 4 zu- Vizepräsidentin Heike Habermann: gestimmt hat. Bei aller Liebe, Herr Ministerpräsident, auch Vielen Dank. – Als Nächster hat Kollege Boddenberg für das ist ein Punkt, bei dem Sie sagen können – ich habe die die CDU das Wort. Sie haben elf Minuten und 19 Sekun- Protokolle da; es gab mehrere Initiativen zu diesem The- den Redezeit. ma –: 2030 ist noch weit entfernt. – Es ist aber doch ein klares Zeichen dafür, dass die Politik in Deutschland nicht mehr auf den Verbrennungsmotor setzt, der in seiner Wert- Michael Boddenberg (CDU): schöpfungskette, anders als die Batterietechnik, sozusagen die ganzen Wertschöpfungsstufen erreicht, die wir mit der Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Elektromobilität aber nicht erreichen. Deshalb geht es bei Keine Sorge, so lange brauche ich nicht. Aber, Herr Kolle- dieser Debatte – ich hätte mich gefreut, Sie hätten dazu et- ge Rentsch, ich will die Dinge hier schon noch einmal auf was gesagt – doch nicht nur um Opel, sondern es geht auch den Punkt bringen. Sie sagen zu Recht, dass das Abstim- um die Hunderten von Zulieferunternehmen mit Tausen- mungsverhalten im Bundesrat nicht festgehalten wird. Das den von Mitarbeitern in der Region, stimmt. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass es in den jeweiligen Runden in der Reihe der A-Länder, der (Beifall bei der FDP) B-Länder und jetzt der GRÜNEN immer so war, dass vor die ganz wesentlich sind für die Frage – wir erinnern uns den Sitzungen des Bundesrats völlig klar war, wer wel- an die Magna-Debatte –: Welche Wertschöpfung bleibt in chem Antrag zustimmen wird. Sie haben behauptet, die Hessen, und was bleibt nicht in Hessen? Landesregierung in Hessen hätte dem Verbot von Verbren- nungsmotoren zugestimmt. Dann zu einem Punkt, der mir wichtig ist, weil wir das im Hauptausschuss, mittlerweile ist es auffällig, immer wieder (Florian Rentsch (FDP): Ja, am 23. September vorantreiben. Sie haben uns gerade dafür kritisiert – wir 2016!) müssen das immer aufwendig recherchieren; ich nehme die Wenn Sie eine solche Behauptung aufstellen, müssen Sie Kritik des Ministerpräsidenten immer ernsthaft auf –, wir sie belegen können. hätten das Abstimmungsverhalten nicht nachgelesen. Aber genau diese Abstimmungsverhältnisse werden im Bundes- (Florian Rentsch (FDP): Habe ich doch!) ratsprotokoll nicht notiert. Ich bin dankbar, wenn wir uns Sie können sie schon allein deswegen nicht belegen, weil dafür gemeinsam einsetzen; wir fragen das jetzt immer Sie eben selbst erklärt haben, das Abstimmungsverhalten nach, weil wir – ich muss es leider sagen – der Landesre- würde gar nicht festgehalten. Aber ich sage Ihnen noch gierung nicht trauen. Das werden Sie mir nachsehen; das einmal – wir beide kennen das Verfahren; ich war, wie Sie Vertrauen ist nicht so weit gediehen, dass ich sage: Sie ma- wissen, fünf Jahre lang dort, und Sie kamen auch irgend- chen das immer richtig. – Wenn das demnächst so kommt, wann dazu –, und das wissen wir alle, dass die Frage: „Wer dann freue ich mich darüber. Aber bei der entscheidenden stimmt welchen Anträgen zu?“, schon vorher feststeht und Bundesratsinitiative hat das Land Hessen zugestimmt. in den jeweiligen Runden, in den Vorbesprechungen, fest- Bei aller Liebe, Herr Ministerpräsident, gestatten Sie mir gehalten wird. das zum Schluss auch in Respekt vor Ihrer Persönlichkeit (Florian Rentsch (FDP): 23. September 2016!) und Ihrem Amt: Da die Landesregierung in den letzten drei Jahren an verschiedenen Stellen wichtige Punkte anders Damit haben Sie heute das getan, was wir nicht tun dürfen: sieht, die wir einmal genauso gesehen haben, ob das die Sie haben etwas behauptet, was definitiv falsch ist. Das Themen Jagdverordnung, Landwirtschaft oder Windener- Schlimme ist, Sie wissen auch noch, dass das falsch ist. gie sind, wo Sie noch versprochen haben, sie werde nicht Herr Rentsch, ich will aber noch ein paar andere Punkte mit der Bereitschaftspolizei gebracht, haben wir mittler- aufgreifen, weil Sie so tun, als sei die Automobilwirtschaft weile Zweifel daran, ob Ihre Aussagen so gelten, wie sie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit nun völlig isoliert unter- noch vor drei Jahren gegolten haben. Das dürfen Sie uns wegs, und weil Sie hier den Eindruck erweckt haben, als nicht vorwerfen; das ist ein Resultat Ihrer eigenen Politik hätte Opel die Entwicklung verschlafen. Zunächst einmal und der eigenen Realität, die in Hessen mittlerweile wollen wir feststellen: Sie haben von dem Zeitpunkt der herrscht. Krise 2009/2010 gesprochen, dass die Unternehmen GM (Beifall bei der FDP) und Opel damals eine sehr wechselhafte Beziehung hatten. Zum einen war es so, dass in dem Forschungszentrum in Deshalb darf ich zum Abschluss sagen: Ich glaube, wir Rüsselsheim, das heute schon mehrfach angesprochen wor- können gern hart in der Sache streiten. Ich glaube auch, den ist, für den Mutterkonzern Leistungen produziert wor- dass wir das, was wir in Rüsselsheim gemeinsam im Wis- den sind, die nur in Teilen in Rechnung gestellt bzw. be- senschaftsbereich gemacht haben, richtig war. Aber ich sa- zahlt worden sind. ge noch einmal: Ich wünsche und erwarte, dass wir hier keine Krokodilstränendebatten führen, nach dem Motto: Eines der großen Probleme, das Opel seinerzeit hatte, war, „Es ist alles schlimm“, sondern dass wir es schaffen, für dass die amerikanische Mutter krank gewesen ist und zwi- die Automobilindustrie endlich Rahmenbedingungen zu schenzeitlich – das wissen Sie –, im Verlauf der Folgejah- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6959 re, mit insgesamt 50 Milliarden $ an Steuergeldern aufge- (Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP) – Vizepräsi- fangen werden musste. Wir reden über GM und darüber, dent Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.) dass dieses Unternehmen einen lupenreinen Insolvenzan- Sie haben sich aus all dem, was moderne Technologien in trag gestellt hat und am Ende dazu gekommen ist, dass diesem Bereich anbelangt, vollkommen verabschiedet. Das über 72 % der Anteile von GM in den Händen der US-Re- sollten Sie sagen: Wir, die Freien Demokraten, haben mit gierung und der Regierung in Kanada gewesen sind. Also: Klimaschutz nichts am Hut, haben mit regenerativer Ener- Von wegen der Staat sollte sich raushalten. Dieses Unter- gie nichts am Hut, und am Ende steigen wir wieder in die nehmen gäbe es heute gar nicht mehr und damit das Unter- Kernenergie ein, damit wir zurückfallen auf Los, nehmen Opel. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, Herr Kollege Rentsch. ins Jahr 2010, als wir gemeinsam diesen großen Wurf, auch auf Ihre Veranlassung hin und mit Ihrer Unterstüt- (Unruhe bei der FDP) zung, auf den Weg gebracht haben. – Herr Kollege – Wenn Sie denn Zeit haben, dann reden wir auch über den Rentsch, bleiben Sie ehrlich. – Herzlichen Dank. Klimaschutzplan. – Die erste Bemerkung ist, Sie lesen (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE einen Klimaschutzplan – Herr Kollege Lenders hat sich da- GRÜNEN) zu geäußert –, den es noch gar nicht gibt. Können wir das auch einmal festhalten? Es gibt noch keinen Klimaschutz- plan, den Sie kommentieren könnten. Vizepräsident Wolfgang Greilich: (René Rock (FDP): Er ist angekündigt worden!) Vielen Dank, Herr Kollege Boddenberg. – Weitere Wort- Zweite Bemerkung. An der Erarbeitung der Entwurfspa- meldungen liegen mir nicht vor. Damit sind wir am Ende piere und der Diskussion hätten Sie ja teilnehmen können. der Aussprache zu dieser Aktuellen Stunde. Das haben Sie nicht gemacht, weil Sie angeblich nicht ein- Wenn ich es richtige sehe, sollen die Anträge abgestimmt geladen worden sind. werden. (Florian Rentsch (FDP): Genauso wie die SPD und Dann stimmen wir über den Dringlichen Antrag der Frakti- DIE LINKE!) on der FDP betreffend Opel und die weitere Entwicklung Es ist Ihnen mehrfach nachgewiesen worden, dass Sie von der hessischen Automobilindustrie, Drucks. 19/4566, ab. der Umweltministerin ausdrücklich in diese Runden einge- Ich bitte um das Zeichen, wer dem Antrag zustimmt. – Das laden worden waren. Sie sind nur nicht hingegangen. ist die FDP-Fraktion. Gegenstimmen? – Soweit ich es se- he, ist das der Rest des Hauses. Ich frage zur Kontrolle: (Florian Rentsch (FDP): Fake-News!) Enthaltungen? – Keine, das heißt, der Rest des Hauses Heute zu erklären, dass es alles ganz schlimm sei, ohne zu stimmt gegen diesen Antrag. Damit ist dieser Antrag abge- wissen, was drinsteht, und sich selbst der Debatte entzogen lehnt. zu haben, finde ich ein starkes Stück, und das ist unredlich. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Dringlichen (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD und BÜNDNIS GRÜNEN) 90/DIE GRÜNEN betreffend Sicherung der Arbeitsplätze bei Opel ist für die hessische Wirtschaft von zentraler Be- Herr Kollege Rentsch, eine letzte Bemerkung will ich noch deutung – Unternehmen benötigt zukunftsfeste Perspekti- machen. Wir haben heute viel über diesen Teil der Wirt- ven, Drucks. 19/4568. Wer diesem Antrag zustimmt, den schaft gesprochen, über ökologische Fragen, über das, was bitte ich um das Zeichen. – Das sind die Fraktionen von wir in Brüssel gemeinsam beschlossen haben, Stichwort: CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LIN- Klimaschutz, und über das, was in Paris auf der großen KE. Gegenstimmen? – Keine. Enthaltungen? – Die Frakti- Umweltkonferenz beschlossen worden ist. Man kann ja sa- on der Freien Demokraten. Damit ist dieser Antrag bei gen, dass einen das alles nicht interessiert. Das ist jeden- Enthaltung der Fraktion der Freien Demokraten ansonsten falls der Eindruck, den ich von Ihnen und von Ihren Partei- einstimmig beschlossen. freunden in den letzten Jahren gewonnen habe. Man sollte dann aber auch sagen, dass man die Dinge noch anders ge- Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde, sehen hat, als man noch Verantwortung getragen hat. Ich Tagesordnungspunkt 47, abgehalten. weise Ihnen in Dutzenden Zitaten nach, wie Sie sich im Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 48: Jahr 2011 zur Energiewende verhalten haben. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktu- (Florian Rentsch (FDP): Geht es um die FDP?) elle Stunde (Steuerflucht stoppen: Auch Fraport Sie haben selbst erklärt, die Energiewende und alles, was „flie(h)gt“ ins Steuerparadies Malta) – Drucks. damit verbunden sei, habe in Hessen eine wirtschaftliche 19/4553 – Heimat. Das haben wir gemeinsam gemacht. Daraus haben sich tolle Ideen, tolle Entwicklungen in allen Branchen, Das Wort hat Frau Kollegin Wissler. Bitte sehr. insbesondere auch in der Automobilindustrie, entwickelt. Das können wir doch nicht außer Acht lassen. Wir sehen Janine Wissler (DIE LINKE): auch und gerade in der Entwicklung der Ökologiewende und der Energiewende riesengroße Chancen – und nicht Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine Studie des wie Sie nur Unbill und Kosten, die zum Verlust der Wett- DIW kam vor einiger Zeit zu dem Schluss, dass deutsche bewerbsfähigkeit führen. Unternehmen dem Staat jährlich etwa 92 Milliarden € an Steuern durch Tricksereien und durch geschickte Verlage- rung von Gewinnen ins Ausland vorenthalten. Sie rechnen 6960 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 sich arm und gründen in sogenannten Steueroasen Brief- In der Steueroase Luxemburg hat Fraport eine Tochterge- kastenfirmen. Dabei handelt es sich nicht nur um Länder sellschaft mit vier Mitarbeitern und null Euro Umsatz – wie Panama und die Britischen Jungferninseln, nein, Steu- nach Beteiligungsbericht des Landes –, angeblich mit dem eroasen gibt es auch innerhalb der EU, beispielsweise in Ziel, den Betrieb eines Flughafens im Senegal zu überneh- Luxemburg oder auf Malta. men. Da frage ich mich: Warum gründet ein hessisches Unternehmen eine Gesellschaft in Luxemburg, um einen So sind im maltesischen Firmenregister über 70.000 Unter- Flughafen im Senegal zu betreiben, zumal das Unterneh- nehmen eingetragen; in einem Land, das nicht einmal men im Senegal eine eigene Tochtergesellschaft hat? 450.000 Einwohner hat. Unternehmen leiten einen Teil ih- rer Gewinne an ihre Tochterunternehmen weiter, die so Wer den Staat abzockt, den muss der Staat überwa- tun, als würden sie auf Malta wirklich Geschäfte betreiben; chen dürfen. tatsächlich sparen sie aber Steuern. (Beifall bei der LINKEN) Zwar fallen auch auf Malta Steuern auf Gewinne an, aber So stand es in einer Presseerklärung des hessischen Fi- ausländische Firmenbesitzer können sich vom Finanzamt nanzministers zu einer Bundesratsinitiative, die darauf ab- mehr als 80 % zurückholen. Dieses Geld geht den Staaten, zielte, in besonders schweren Fällen der Steuerhinterzie- in denen es eigentlich erwirtschaftet wurde, verloren. hung sogar Mittel der Telekommunikationsüberwachung Schätzungen zufolge sind es allein durch die Steueroase einzusetzen. Malta bis zu 4 Milliarden € pro Jahr. Meine Damen und Herren, diese Praktiken müssen beendet werden. Die Steu- Dabei ist es mit dem Überwachen in vielen Fällen viel ein- eroasen müssen endlich trockengelegt werden. facher. Etwa dann, wenn es sich um ein Unternehmen han- delt, dass mehrheitlich im öffentlichen Besitz ist, das Auf- (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der sichtsgremien hat, die das Land mit besetzen darf. Im Fra- SPD) port-Aufsichtsrat sind unter anderem der ehemalige Fi- Es ist schlimm genug, wenn Unternehmen im Privatbesitz nanzminister Weimar, der Frankfurter Oberbürgermeister so vorgehen. Wenn es sich aber noch um Unternehmen Feldmann und eben auch Herr Kaufmann von den GRÜ- handelt, die sich mehrheitlich im öffentlichen Besitz befin- NEN. Es kann doch nicht sein, dass eine Landesregierung den, wird es vollends absurd. Da bin ich beim Flughafen- sogar zu Abhörmaßnahmen gegen Steuerhinterziehung betreiber Fraport, einem Unternehmen, das mehrheitlich greifen will, aber bei Briefkastenfirmen der Fraport einfach der Stadt Frankfurt und dem Land Hessen gehört, ange- wegschaut. langt. Mein Eindruck ist, der Politikwechsel in der Flughafenpo- Auch Fraport unterhält auf Malta Briefkastenfirmen. Da- litik, den die GRÜNEN vor der Wahl versprochen haben, durch entgeht dem deutschen Fiskus Steuergeld. Weder die ist ausgefallen. Außer einem personellen Wechsel im Fra- Stadt Frankfurt noch das Land Hessen scheint irgendein port-Aufsichtsrat hat sich nichts geändert. Das Terminal 3 Problem darin zu sehen. Das ist keine Neuigkeit, sondern wird gebaut, das Nachtflugverbot gibt es nicht, und auch seit Jahren bekannt. beim Thema Steuervermeidung bleibt die Regierung offen- bar tatenlos. Letzter Satz: Wir fordern die Landesregierung Im Jahr 2013 fragte der Abgeordnete der GRÜNEN, Frank auf, dass sie im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steu- Kaufmann, damals noch Opposition, in einer Kleinen An- erzahler klar Stellung bezieht und darauf hinwirkt, dass frage bei der Landesregierung nach, was die Gründe dafür diese Praxis beendet wird. – Vielen Dank. seien, dass Fraport auf Malta offensichtlich Briefkastenfir- men betreibe. Die unverhohlene Antwort der damaligen (Beifall bei der LINKEN) Landesregierung war, dass um eine „Optimierung der Steuerposition“ der Fraport gehe. Sprich: Das mehrheitlich in öffentlicher Hand befindliche Unternehmen Fraport Vizepräsident Wolfgang Greilich: spart Steuern. Ein Problem sah die damalige schwarz-gelbe Vielen Dank, Frau Wissler. – Als Nächste hat sich Frau Landesregierung darin nicht. Kollegin Arnoldt für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Wie wir durch die Berichterstattung des Magazins „Moni- Bitte sehr, Sie haben das Wort. tor“ und der „Süddeutschen Zeitung“ erfahren haben, hat sich offensichtlich an dieser Praxis nichts geändert, obwohl mittlerweile Schwarz-Grün regiert und der besagte Herr Lena Arnoldt (CDU): Kaufmann jetzt Mitglied im Aufsichtsrat der Fraport und Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! sogar Mitglied im Beteiligungs- und Investitionsausschuss Ich gehe davon aus, dass Sie den Bericht der Sendung ist – wenn ich richtig informiert bin. „Monitor“ „Malta: Besuch im Steuerparadies“ gesehen ha- Uns würde interessieren, ob die Landesregierung in dieser ben. Frau Wissler, Sie haben darüber auch berichtet. Sie Praxis ein Problem sieht und, wenn ja, was sie gedenkt, da- haben diesen Bericht – und auch andere Quellen, ich kom- gegen zu tun, dass Fraport offensichtlich einzig und allein me darauf zurück – zum Anlass genommen, diese Aktuelle mit dem Ziel, Steuern zu sparen, Firmen in Malta unter- Stunde abzuhalten. hält. Ich gebe Ihnen recht: Dieser Bericht ist aktuell. Das streite Es bleibt nicht bei der Gesellschaft in Malta mit vier Mitar- ich nicht ab. Er ist am 16. Februar ausgestrahlt worden. Je- beitern und null Euro Umsatz, laut Beteiligungsbericht des doch muss man auch einmal anmerken, dass es in dem elf- Landes. Fraport hat auch in anderen Ländern zahlreiche minütigen Bericht größtenteils um ein spezielles Leasing- Unternehmen. Aus dem Beteiligungsbericht des Landes er- modell von Jachten geht, geben sich weitere Fragen. So ist die besagte maltesische (Janine Wissler (DIE LINKE): Richtig!) Gesellschaft an einer Managementfirma in Saudi-Arabien beteiligt, die ebenfalls Fraport gehört. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6961 um die dadurch anfallende Mehrwertsteuer auf bis zu Die EU-Finanzminister haben sich kürzlich auf Regeln 5,4 % zu senken. Was das nun mit der Fraport AG zu tun verständigt, um sogenannten hybriden Steuergestaltungen haben soll, ist mir auf den ersten Blick nicht ersichtlich. in der EU zu begegnen. Auch Hessen unternimmt viel. Ich will Sie hier beispielsweise an die Initiativen des Finanz- (Janine Wissler (DIE LINKE): Deswegen habe ich ministers Dr. Schäfer erinnern hinsichtlich der Begegnung dazu auch nichts gesagt!) von Sharedeals, der Ausweitung der Telekommunikations- Ebenfalls wird in dem Bericht ausgeführt, dass es Unter- überwachung zur Verfolgung von Steuerkriminalität oder nehmen gebe, die nennenswerte Beteiligungen an Firmen im Hinblick auf Lizenzboxen. in Malta haben, diese aber verheimlichen. „Monitor“ be- Außerdem haben wir in Hessen mit dem Maßnahmenpaket richtete auch, dass auch die Fraport Tochterfirmen in Malta zur verstärkten Bekämpfung der Steuerkriminalität und der besitzt. Fraport hat aber diese nicht verheimlicht. internationalen Steuerflucht sowie dem Sicherheitspaket (Janine Wissler (DIE LINKE): Habe ich auch nicht die Arbeit gegen Trickser und Betrüger weiter intensiviert. behauptet! Das wäre ja auch noch schöner!) Bereits im Jahr 2013 hat die damalige Landesregierung mit dem Fünfpunkteprogramm zur verstärkten Bekämpfung Denn schaut man genauso wie Sie in den Geschäftsbericht der Steuer- und Wirtschaftskriminalität die Weichen in die der Fraport AG, findet man dort zwei Tochtergesellschaf- richtige Richtung gestellt und entschlossen gehandelt. Es ten der Fraport mit Sitz in Malta. Dies ist also transparent wurde und wird also viel getan. ausgewiesen und somit auch den Finanzbehörden bekannt. Wie man erfahren konnte, gehören zu der Firma in Malta Ihre Aktuelle Stunde bietet – ich wiederhole mich gern – nicht nur ein Briefkasten, sondern auch Mitarbeiter. nichts Neues und ist leider mal wieder ein Beispiel dafür, dass es Ihnen nur um Polemik geht und keinerlei Substanz (Janine Wissler (DIE LINKE): Vier Beschäftigte!) festzustellen ist. Aber noch ein weiterer Aspekt ist sehr interessant: Die Fra- (Hermann Schaus (DIE LINKE): Diesen Textbau- port AG ist mitnichten nur in Deutschland und Malta enga- stein sollten Sie einmal lassen!) giert. Sie hat beispielsweise auch Tochterunternehmen in Griechenland, in Bulgarien – – Anschließend möchte ich auch noch feststellen, dass im Allgemeinen doch auch gilt: Nicht jede Firma, die über (Janine Wissler (DIE LINKE): Aber da betreiben die einen Briefkasten verfügt, ist eine dubiose Briefkastenfir- auch einen Flughafen!) ma. – Vielen Dank. – Frau Wissler, ich habe Ihnen zugehört, vielleicht hören (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Sie mir auch zu. – Es gibt Tochterunternehmen in Sloweni- GRÜNEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Aber en, in den USA, in Saudi-Arabien, in Peru usw. Die Fra- sie spart Steuern zu unseren Lasten!) port AG ist also selbstverständlich international aufgestellt, und dies ist nichts Ungewöhnliches. Aber wenn wir über die Aktualität Ihrer Aktuellen Stunde Vizepräsident Wolfgang Greilich: reden, dann muss ich Sie ebenfalls enttäuschen. Sie haben Vielen Dank, Frau Abg. Arnoldt. – Als Nächster hat sich das auch erwähnt. Nicht nur aus dem Geschäftsbericht der für die Fraktion der Sozialdemokraten Herr Kollege Mari- Fraport AG ist das Engagement in Malta seit Langem be- us Weiß zu Wort gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort. kannt, auch der Hessische Landtag ist hierüber spätestens seit 2013 durch die Antwort des Finanzministeriums auf die damalige Kleine Anfrage des Abg. Kaufmann infor- Marius Weiß (SPD): miert. Ihre Aktuelle Stunde bietet also keine wirkliche Neuigkeit. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ von letzter Woche (Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Ablenkung!) blinken mit „Fraport“ und „Steuervermeidung“ gleich zwei Wenn Sie sich dann auch noch mit der Materie inhaltlich Selektoren im Themensuchprogramm der LINKEN für ih- befasst hätten, anstatt hier immer nur Ihre Polemik an den re Aktuelle Stunde auf. Sie haben aus Ihrer Sicht so gut zu- Tag zu legen, dann hätten Sie sich vielleicht auch ein ande- sammengepasst wie Hänsel und Gretel, und deswegen ha- res Thema gesucht. Die Firmenstrategie der Fraport AG ben Sie hier auch gleich zugegriffen. obliegt dem Verantwortungsbereich des Vorstands. Der Leider, liebe Frau Wissler, haben Sie hier eben auch etwas heute diskutierte Sachverhalt der Fraport AG und ihrer in durcheinandergebracht, was ich versuchen will wieder zu Malta ansässigen Töchter ist aus steuerrechtlicher Sicht ordnen. Die Fraport hat zwei Gesellschaften auf Malta. Ge- vollkommen legal. schäftszweck ist, neue Mehrheits- und/oder Joint-Venture- Aber natürlich gibt es andere, die sich nicht an die gelten- Beteiligungen für die Unternehmensgruppe im Ausland zu den Steuergesetze halten. Gegen diese werden zu Recht gründen bzw. zu erwerben und zu managen. Es geht bei Maßnahmen ergriffen. So hat beispielsweise die Bundesre- diesen Gesellschaften also allein um Konzernfinanzierung. gierung erst gestern den Gesetzentwurf für die Umsetzung Der Sitz ist auf Malta, weil dort durch ein Steueranreizsys- der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie beschlossen. Damit tem der Körperschaftsteuersatz auf unter 10 % reduziert werden die Präventionsmaßnahmen gegen Geldwäsche und werden kann. Terrorismusfinanzierung gestärkt und auch die Vorausset- (Janine Wissler (DIE LINKE): Also doch!) zungen für ein elektronisches Transparenzregister geschaf- fen. Die Tochtergesellschaften auf Malta wurden von der Fra- port in den Geschäftsberichten gemäß HGB veröffentlicht, (Norbert Schmitt (SPD): Das, was Google macht, ist und die deutschen Finanzbehörden wurden jederzeit dar- möglicherweise auch legal!) über informiert. Unstreitig ist das Handeln legal. Das muss aber nicht heißen, dass es auch legitim ist. 6962 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Janine (Beifall bei der SPD) Wissler (DIE LINKE): Nichts anderes habe ich ge- Wir müssen das Ziel haben, dass Unternehmen die Steuern sagt! Ich habe nicht gesagt, dass es nicht legal ist!) wieder dort zahlen, wo die Gewinne erwirtschaftet werden. Auch wenn aktienrechtlich klar ist – da komme ich wieder (Janine Wissler (DIE LINKE): Genau!) zu Ihnen, Frau Wissler –, dass für diese Frage nicht der Aufsichtsrat und schon gar nicht der Hessische Landtag, Dazu müssen sie offenlegen, wo sie welche Gewinne erzie- sondern allein der Vorstand zuständig ist, so kann man na- len und welche Steuern entrichten. Wir brauchen auf euro- türlich als Anteilseigner hier eine Bewertung zu diesem päischer Ebene eine gemeinsame Bemessungsgrundlage Handeln abgeben. Für uns lautet diese Bewertung: Wir für die Körperschaftsteuer. Damit wird sichergestellt, dass sind der Meinung, dass ein Unternehmen, das mehrheitlich Unternehmen nicht alles Mögliche und Unmögliche von in öffentlicher Hand ist und an dem das Land Hessen der der Steuer absetzen. Und wir brauchen endlich eine größte Eigentümer ist, sich nicht dadurch hervortun sollte, schwarze Liste auf der Basis weiterentwickelter objektiver dass es durch Minimierungsmodelle im Ausland dem deut- und umfassender Kriterien. Diese müssen universell sein, schen Fiskus möglichst wenig Steuern zahlt. also auch auf EU-Mitgliedstaaten anwendbar. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- Als Letztes müssen wir auch koordiniert Sanktionen gegen KEN) Steueroasen verhängen können, damit wir diese Punkte auch durchsetzen können. Nur so entsteht mehr Steuerge- Das kann man hier sagen, weil wir der Meinung sind, dass rechtigkeit. – Vielen Dank. an ein Unternehmen, das mehrheitlich in öffentlicher Hand ist, besondere Maßstäbe angelegt werden. Das gilt für die (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- Steuerstrategie ebenso wie für die Arbeitsbedingungen. KEN) Wir haben uns hier auch schon beispielsweise über die An- siedlung von Ryanair unterhalten. Wir wissen aber auch, dass die Fraport als globales Unternehmen im weltweiten Vizepräsident Wolfgang Greilich: Wettbewerb steht und dass sie, um wettbewerbsfähig zu Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Als Nächste spricht bleiben, die gleichen Möglichkeit des Wirtschaftens haben Frau Abg. Erfurth für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE muss wie ihre Wettbewerber. GRÜNEN. Bitte schön. Es kann uns von daher nicht darum gehen, dass nur die (Hermann Schaus (DIE LINKE): Nicht der Kollege Fraport ein Engagement in Malta unterlässt, sondern es Kaufmann? – Norbert Schmitt (SPD): Ich hätte lie- muss darum gehen, dass die EU-Staaten steuerliche Rah- ber den Herrn Kaufmann gehabt, ehrlich gesagt!) menbedingungen schaffen, die es allen Unternehmen un- möglich machen, ihren Steueranteil auf einen nicht akzep- tablen Wert zu verringern. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch künstliche Gewinnverlagerungen multinationaler Herr Kollege Schaus, um Ihre Frage zu beantworten: Das Unternehmen in Länder mit niedrigen Steuersätzen entge- ist ein Steuerthema, und von daher werden wir uns auch hen den EU-Staaten nach Erkenntnissen des Europaparla- genau zu diesen Fragen äußern. ments Einnahmen von bis zu 190 Milliarden €. Das ist (Hermann Schaus (DIE LINKE): Da hat der Kollege mehr als der Haushalt der EU für 2015. Die entgangenen Kaufmann aber Glück gehabt!) Einnahmen fehlen für wichtige Investitionen, etwa in ver- besserte öffentliche Dienstleistungen, Gesundheitsversor- Ich glaube, ich bin auch sehr nah bei dem, was der Kollege gung und Bildung. Weiß und auch die Kollegin Arnoldt eben gesagt haben. Wir müssen uns in Europa sehr gut darauf verständigen, Unabhängig davon ist das eine durch nichts zu rechtferti- Steuerschlupflöcher zu stopfen und Steueroasen trockenzu- gende Besserstellung der großen multinationalen Konzerne legen, um solche Mechanismen künftig außer Kraft zu set- gegenüber allen, die die Möglichkeit einer solchen Steuer- zen, die hier greifen. optimierung nicht nutzen können. Umso ärgerlicher ist es, dass es Wolfgang Schäuble und seine 27 EU-Kollegen vor- (Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD)) gestern wieder einmal nicht geschafft haben, eine Liste je- Ich glaube, das muss das große übergeordnete Ziel sein. ner Regionen zusammenzustellen, die solche Niedrigsteu- Meine Damen und Herren, der Vorgang, den DIE LINKE erparadiese sind. Jetzt hat man sich erneut bis Ende 2017 hier aufgegriffen hat, ist ja lange bekannt. Der ist nicht vertagt. Ich habe dafür kein Verständnis. Denn in den neu. meisten Mitgliedstaaten gibt es bereits schwarze Listen, die lediglich miteinander in Einklang gebracht werden (Janine Wissler (DIE LINKE): Das sagt ja keiner! müssen. Nach dem Skandal um Luxleaks und die Panama- Es gibt viele Dinge, die nicht neu sind! – Weitere Papers ist es nicht länger hinnehmbar, dass europäische Zurufe von der LINKEN) Regierungen hier noch immer auf der Bremse stehen, liebe Das ist nichts Neues. Jetzt kann man das aus den Ge- Kolleginnen und Kollegen. schäftsberichten ablesen, und das kann man aus dem Betei- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- ligungsbericht ablesen, den wir ja auch immer im Unter- KEN) ausschuss besprechen. All diese Vorgänge sind bekannt, und Herr Kollege Kaufmann, der eben schon einmal eine Solche Fälle wie in Malta oder im portugiesischen Madei- Rolle gespielt hat, hat das auch in einer Kleinen Anfrage ra, was ebenfalls ein Steuerparadies mit Abgabensätzen 2013 schon einmal vom Finanzministerium abgefragt. von unter 5 % ist, darf es in Europa nicht mehr geben. (Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE)) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6963

In dieser Antwort auf die Kleine Anfrage kann man sehr (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und deutlich lesen, dass auch das Finanzministerium sagt, es bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Janine war ein Potpourri von Entscheidungen, die dazu geführt Wissler (DIE LINKE) – Zuruf von der LINKEN: haben, dass in Malta diese Tochtergesellschaften gegründet Das macht es auch nicht besser!) worden sind, und eine davon war auch eine steuerliche Dieser Satz ist in diesem Haus schon öfter gefallen: Nicht Frage. alles, was steuerrechtlich legal ist und steuerrechtlich ge- In dieser Antwort wird auch gar nicht drum herumge- dreht werden kann, ist legitim und moralisch richtig. Auch schwurbelt. Es wird durchaus gesagt: Ja, in Malta werden dieser Satz stimmt. weniger Steuern entrichtet als in Deutschland, und diese (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Belastung wird dadurch insgesamt gesenkt. – Das ist also wie bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD) kein Geheimnis. Das ist alles längst bekannt. Die Kollegin Arnoldt hat ja darauf hingewiesen, in welch (Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE)) vielfältiger Weise die schwarz-grüne Landesregierung sich Was wir alle wissen, ist: Die Fraport gehört zu 51 % den dafür einsetzt, solche Lücken im Steuerrecht zu schließen öffentlichen Händen, nämlich 31 % dem Land Hessen und und dafür zu sorgen, dass Steuerrecht auch vernünftig voll- 20 % der Stadt Frankfurt. Auch das darf man, glaube ich, zogen wird und keine Schlupflöcher bietet für Menschen, nicht außer Acht lassen. die ihre Steuerrechtsgestaltungen danach vornehmen wol- len, möglichst wenig Steuern zu zahlen. Es wäre auch gut, (Janine Wissler (DIE LINKE): Genau!) wenn wir endlich klare Regeln hätten. 49 % gehören privaten Anteilseignern, und da gibt es im- Dann würden wir nämlich auch den Unternehmen, die in mer auch – ich sage einmal – widerstreitende Interessen, öffentlichem Miteigentum stehen, diesen Spagat erleich- wie eine Geschäftsführung am langen Ende zu agieren hat. tern. Dann hätten sie nicht mehr diesen Interessenkonflikt, Dann hat eine Geschäftsführung auch den Aktionären die dafür zu sorgen: Wie spare ich Steuern? Wie sorge ich da- Frage zu beantworten, wie es mit den Gewinnen aussieht. für, dass meine Aktionäre zufrieden sind? Wie erfülle ich Habt ihr Steueroptimierung betrieben? Auch das sind Fra- meine Vorbildfunktion als öffentliches Unternehmen? – gen, die immer gestellt werden, und die sind nicht immer Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, dass wir wei- unbedingt mit dem identisch, was öffentliche Hände sich ter daran arbeiten müssen, Steuerharmonisierung auf der vorstellen. Wir sollten auch nicht so tun, als wäre das nur europäischen Ebene hinzubekommen. bei Fraport der Fall. (Janine Wissler (DIE LINKE): Nein, nein!) Vizepräsident Wolfgang Greilich: Das gibt es auch in verschiedensten anderen Unternehmen. Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. (Janine Wissler (DIE LINKE): Leider ja! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das macht es aber nicht bes- ser!) Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – Das macht es nicht besser. Da gebe ich Ihnen recht. – Danke für den Hinweis, Herr Präsident. Aber das ist durchaus auch in Stadtwerken ein Thema. Das ist durchaus auch in Sparkassen ein Thema. Das ist Wenn nationale Egoismen – aus welchen Gründen auch durchaus bei der Commerzbank oder bei Volkswagen ein immer – dazu beitragen, dass diese Harmonisierung nicht Thema, also nichts, was nur das Unternehmen Fraport be- gelingt, dann tragen wir auch dazu bei, dass solche Steuer- trifft, oasen weiter Bestand haben. Ich glaube, es ist eine wichti- ge Aufgabe, diese Egoismen zurückzuschrauben und dafür (Janine Wissler (DIE LINKE): Da haben Sie völlig zu sorgen, dass das endlich aufhört und es auch richtig und recht!) legitim ist, was am Ende passiert. – Ich danke Ihnen. sondern immer wieder ein Thema, wo sich öffentliche Auf- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und träge und, ich sage mal, Steuergestaltungsmöglichkeiten bei Abgeordneten der CDU) widersprechen und wo durchaus auch – ich bin ja auch schon lange kommunalpolitisch aktiv – in kommunalen Entscheidungsgremien gefragt wird: Haben wir auch alle Vizepräsident Wolfgang Greilich: Steuerrechtsvorteile ausgeschöpft? – Wir sollten da nicht Vielen Dank, Frau Erfurth. – Als Nächster spricht Herr so tun, als wäre das sozusagen irgendetwas, was in kom- Kollege Jörg-Uwe Hahn für die Fraktion der Freien Demo- munalen Gebietskörperschaften nicht stattfindet. Ich habe kraten. Bitte sehr. es jedenfalls schon so erlebt. (Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja! – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE)) Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Deshalb finde ich, bei diesem moralischen Zeigefinger Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kolle- muss man immer aufpassen, wo er dann hinzeigt. gen! Mir geht es ein bisschen wie meinem Fraktionsvorsit- zenden Florian Rentsch in der Debatte, die wir vorhin ge- (Janine Wissler (DIE LINKE): Aber wir sind ja kein führt haben: Ich fühle mich ein bisschen arg allein bei dem Kreistag hier!) Thema des Wettbewerbs. Ich fühle mich dahin gehend ein – Wir sind kein Kreistag. – Aber ich wollte damit nur deut- bisschen arg allein – natürlich nicht in meiner Fraktion, lich machen, dass das nichts Weltfremdes ist und dass wir sondern meine Fraktion im Hinblick auf Sie alle –, dass Regeln schaffen müssen, diese Mechanismen zu beseiti- man meint, alles müsse harmonisiert und alles müsse vom gen. Das ist doch der Punkt. Staat, egal auf welcher Ebene, reguliert werden. 6964 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

(Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU): Ooh! – Janine im Wettbewerb möglich ist. So sichern wir Arbeitsplätze in Wissler (DIE LINKE): Die ganze Fraktion fühlt sich diesem Lande – nicht mit weiterer Regulierung. – Vielen alleine!) herzlichen Dank. Wir haben ein anderes Menschenbild. (Beifall bei der FDP – Hermann Schaus (DIE LIN- KE): Was für eine Logik!) (Beifall bei der FDP) Wir haben ein anderes ordnungspolitisches Bild. Ich will Ihnen sagen: Wenn Sie Ihre Argumentation weiter beden- Vizepräsident Wolfgang Greilich: ken, die gerade auch von Ihnen, Frau Erfurth, angeklungen Vielen Dank, Herr Kollege Hahn. – Für die Landesregie- ist, aber natürlich noch viel intensiver von dem Kollegen rung spricht Frau Staatssekretärin Weyland. Bitte sehr, Sie Weiß und auch von Frau Wissler, heißt das: Wir sollten haben das Wort. doch den Kommunen verbieten, dass sie selbstständig noch die Hebesätze bei Grundsteuer und Gewerbesteuer be- schließen. Wir wollen doch überall, dass es keinen Wettbe- Dr. Bernadette Weyland, Staatssekretärin im Ministe- werb gibt. rium der Finanzen: (Hermann Schaus (DIE LINKE): Das kommt noch, Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! das Thema!) Eigentlich ist das Steuerrecht eine nüchterne Angelegen- Marius, du musst dich jetzt schon entscheiden, was du heit und weniger interessant. Aber wenn es um Steuerge- willst. rechtigkeit geht, dann betrifft es jeden von uns. Dann wird dieses Thema nicht nur rational, sondern oft auch emotio- (Zurufe der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE nal diskutiert. Dafür habe ich deshalb Verständnis, weil GRÜNEN) und Marius Weiß (SPD)) derjenige, der keine Steuern bezahlt, unserem Rechtsstaat Ist das Verhalten der Deutschen Börse vor einigen Jahren, etwas nimmt, was wir dringend brauchen. zur Minimierung der Gewerbesteuerzahlungen von Frank- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten furt nach Eschborn zu gehen, etwas anderes? Wieso ist das der CDU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE etwas anderes? – Das ist genau dasselbe System. Man hat GRÜNEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Auch einen Wettbewerb, und diesem Wettbewerb muss sich je- die Deutsche Börse, wenn sie von Frankfurt nach des Management selbst neu stellen. Das damalige Manage- Eschborn geht!) ment der Deutschen Börse hat beschlossen: Wir wollen die hohen Gewerbesteuerzahlungen in Frankfurt nicht mehr – Ich komme gleich noch dazu. – Jeder, der Steuern zahlt, leisten, sondern die geringeren in Eschborn. Deshalb zie- finanziert damit alles, was wir uns im öffentlichen Bereich hen wir um. leisten können. Das ist wichtig, und deshalb müssen wir darauf achten, dass eine Steuergerechtigkeit gegeben ist. (Beifall bei der FDP) Ich sagte aber auch schon: Dieses Thema ist nicht neu. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist gesund. Frau Wissler hatte darauf hingewiesen, es gab bereits eine Aber wenn Sie weiterdenken, was Sie eben gesagt haben, Kleine Anfrage aus dem Jahr 2013. Das war nicht nur eine, dann wird das jetzt abgeschafft. sondern dieses Thema beschäftigt uns immer wieder. Das (Marius Weiß (SPD): Bei der Gewerbesteuer gibt es ist auch richtig. einen Spitzensatz!) Erlauben Sie mir deshalb, auf diesen Sachverhalt, bezogen Sie können sich da gar nicht herausreden. Bei der Logik auf Fraport, einzugehen; denn Sie wissen auch, dass für gibt es nur einen einzigen Weg: Entweder wir lassen den Fraport das gilt, was für alle gilt. Derjenige, der Steuern Wettbewerb zu, oder nicht. Bei den Kommunen wird Wett- zahlt, hat einen Anspruch darauf, dass das Steuergeheimnis bewerb zugelassen – ja. Wieso wird er auf anderer Ebene gewahrt wird. Das geht jedem so, weil jeder von Ihnen nicht zugelassen? – Die rationale Begründung ist mir voll- nicht möchte, dass Ihr konkreter Sachverhalt in der Öffent- kommen fremd. Wir als Freie Demokraten können sie je- lichkeit mit konkreten Zahlen benannt wird. denfalls nicht nachvollziehen. (Janine Wissler (DIE LINKE): Ich bin aber keine (Beifall bei der FDP) Aktiengesellschaft!) Zweite Bemerkung, und dann bin ich auch schon fertig. Deshalb kann ich auch – ich möchte nur meine Position Legal, legitim, illegitim – jedenfalls für ein Unternehmen, von Anfang an klarstellen – nicht auf konkrete Zahlen ein- das mehrheitlich in öffentlicher Hand ist. Sie können sich gehen, sondern ich kann nur auf das eingehen, was die Öf- daran erinnern, dass aus verschiedenen Gründen und auch fentlichkeit aus zugänglichen Quellen erhalten hat, und aus diesem Grunde heraus die FDP-Fraktion in diesem selbstverständlich auf das, was uns die Fraport an Zahlen Hause und bei den Haushaltsberatungen für 2017 angeregt liefert. hat, dass wir in einen weiteren Privatisierungsschritt der Zur Klarstellung. Das Land Hessen ist derzeit mit 31,32 % Fraport AG gehen. an der Fraport AG beteiligt. Bei der Fraport AG handelt es Dieses Unternehmen – eines der größten hier in der Regi- sich – das weiß jeder – um eine börsennotierte Aktienge- on, mit der größten Arbeitsstätte, die wir in Deutschland sellschaft, die ihren Aktionären verpflichtet ist und die am haben – nicht im Wettbewerb gleichzustellen mit anderen, allgemeinen wirtschaftlichen Wettbewerb teilnimmt. sondern moralische Keulen zu schwingen, das können wir Die Fraport hat – das wurde mehrfach gesagt – diverse Ge- auch nicht nachvollziehen. Deshalb verabschieden wir uns sellschaften auf Malta gegründet. Diese wurden zwecks doch davon, dass die Fraport ein mehrheitlich öffentliches Erwerbs, Errichtung, Managements sowie finanzieller Aus- Unternehmen ist. Dann können die legal arbeiten, wie das gestaltung von Beteiligungen errichtet. Ausschlaggebend Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6965 für die Gründung einer von der Fraport AG getrennten (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE rechtlichen Einheit zur Durchführung dieser Geschäftstä- GRÜNEN) tigkeiten auf Malta waren sowohl – das ist für Unterneh- men bezeichnend – organisatorische und strukturelle Grün- de als natürlich auch Finanzierungsaspekte und steuerliche Vizepräsident Wolfgang Greilich: Überlegungen. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin Weyland. – Weitere Dabei sind insbesondere die niedrige lokale Kostenbasis Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen sowie ein vorteilhaftes regulatorisches Umfeld zu erwäh- nicht vor. Damit ist auch diese Aktuelle Stunde abgehalten. nen. Ja, durch die Gründung der Tochtergesellschaften Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 49: konnten auch die Finanzierungskosten besonders der aus- ländischen Tochtergesellschaften der Fraport wesentlich Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Aktuelle gesenkt werden. Mithin wird sehr deutlich, dass dies alles Stunde (Regierung Bouffier muss endlich Doppelbezug unternehmerische Erwägungen sind, die für die Gesell- von öffentlichen Leistungen stoppen – vollständige Re- schaft ausschlaggebend sind. gistrierung von Flüchtlingen zügig umsetzen und Da- tenabgleich ermöglichen) – Drucks. 19/4554 – Was ist aber entscheidend? Die in Malta angesiedelten Ge- sellschaften erfüllen sämtliche erforderlichen Compliance- Hier hat sich für die antragstellende Fraktion, die Freien Verpflichtungen – das ist wichtig – in Deutschland und in Demokraten, Herr Abg. Rock zu Wort gemeldet. Bitte Malta aus regulatorischer, gesellschaftsrechtlicher, bilanzi- sehr, Sie haben das Wort. eller und selbstverständlich aus steuerlicher Sicht. Die deutschen Finanzbehörden werden jährlich über sämtliche Aktivitäten der maltesischen Gesellschaften im Rahmen René Rock (FDP): der Steuererklärungspflichten der maltesischen Gesell- schaften und der Fraport AG umfassend informiert. Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! „Wir erle- ben massenhaften Asylmissbrauch“, Einige Zahlen in diesem Zusammenhang. Der international agierende Fraport-Konzern weist für 2015 mit einem welt- (Janine Wissler (DIE LINKE): Was?) weiten Ertragsteueraufwand von ca. 137 Millionen € eine das sagt Andreas Scheuer. „Wer betrügt, der fliegt“, „Die Konzernsteuerquote von 31,5 % auf, die auch in Vorjahren Koalition will Sozialmissbrauch mit Einreisesperren bele- vergleichbar hoch war. Zum Vergleich: Die weltweite gen“, das kommt aus der CSU. „Niedersachsen. Sozialbe- Konzernsteuerquote ist damit nahezu identisch mit dem ef- trug durch Flüchtlinge – CDU fordert Aufklärung“, das ist fektiven Gesamtsteuersatz der Fraport AG in Deutschland vom 24.01. dieses Jahres; „Sozialbetrug durch Flüchtlinge: in Höhe von 32,4 %. 31 Verdächtige“; (Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD)) (Janine Wissler (DIE LINKE): Sei doch froh, dass Sie sehen, das geht nicht weit auseinander von 31,5 % zu wir keine CSU in Hessen haben!) 32,4 %. Diese Steuerquote zeigt deutlich, dass von einer „Sozialmissbrauch muss bekämpft werden“. „EU-Auslän- Vermeidung des deutschen Besteuerungsniveaus und damit dern Kindergeld kürzen“, das sagt Herr Schäuble, unter- von Steuerflucht wirklich keine Rede sein kann. stützt von Herrn Gabriel, (Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was Vizepräsident Wolfgang Greilich: sagen Sie?) Frau Staatssekretärin, ich darf Sie auf die vereinbarte Re- und Frau Nahles legt einen Gesetzentwurf vor, dass EU- dezeit hinweisen. Ausländer erst nach fünf Jahren Anspruch auf Leistungen in unserem Land bekommen sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist das, womit unsere Dr. Bernadette Weyland, Staatssekretärin im Ministe- Bevölkerung in Überschriften tagtäglich konfrontiert wird. rium der Finanzen: Das ist das, was Menschen in den Zeitungen lesen und was Ja. – Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Hessi- durch die Medien transportiert wird. sche Landesregierung setzt sich seit vielen Jahren gegen (Beifall bei der FDP) Steuerflucht ein. Es gibt Modelle, die von der Hessischen Landesregierung entwickelt wurden. Es geht um das The- Das erzeugt Bilder in der Bevölkerung. Es scheint so zu ma Zinsschranke, es geht um das Thema Lizenzschranke. sein, dass es Parteien in Parlamenten und vor allem auch Das sind Beispiele, die wir auf internationaler und auf na- außerhalb von Parlamenten ganz recht ist, dass es diese tionaler Ebene weiter vorangetrieben haben. Überschriften gibt, weil versucht wird, damit Politik zu machen. Steuern sollen dem Staat zustehen, in dem die Wertschöp- fung verantwortlich generiert wurde. Das ist unser Thema. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir etwas unter- Das machen wir mit BEPS, als Stichwort. Das machen wir nehmen wollen, wenn wir den Menschen in irgendeiner mit Country-by-Country-Reporting. Das sind Themen, die Art und Weise deutlich machen wollen, dass es da viel- Hessen im Wesentlichen nach vorne gebracht hat, nur als leicht nur um kleine Gruppen geht, dann muss der Staat Beispiel. handeln. Dann muss der Staat deutlich machen, dass wir ein Rechtsstaat sind, dass es Einzelfälle sind und dass es (Beifall der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE nicht dauerhaft zu solchen Versäumnissen kommen kann. GRÜNEN)) In einigen Fällen muss man ja von Betrug sprechen. Ich könnte länger reden, aber ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. 6966 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Da steht die Frage im Raum, und man kann es eigentlich Ich bin einmal darauf gespannt, was wir hier wieder erzählt nicht fassen: Im 21. Jahrhundert, wo jeder über Digitalisie- bekommen werden. Das, was wir bisher schriftlich bekom- rung spricht, Globalisierung, Informationszeitalter, leben men haben, war jedenfalls nicht ausreichend. – Vielen in unserem Rechtsstaat, auf den wir immer so stolz waren Dank. und der hervorragend verwaltet ist, offenbar Menschen, (Beifall bei der FDP) von denen wir gar nicht wissen, dass sie da sind, die nicht registriert sind – oder die mehrfach registriert sind, die an- scheinend mehrfach Leistungen erhalten können. Vizepräsident Wolfgang Greilich: Es ist ganz klar, den Schwarzen Peter für diesen Umstand Herr Kollege Rock, vielen Dank. – Als Nächster hat sich bekommt die Mehrzahl der Flüchtlinge, die Mehrzahl der Herr Kollege Dr. Bartelt für die CDU-Fraktion zu Wort ge- Menschen, die im Sozialbereich Bezüge erhalten, zuge- meldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort. schoben. Sie bekommen den Schwarzen Peter deshalb zu- geschoben, weil der Staat nicht in der Lage ist, mit den In- formationen, die er hat, vernünftig umzugehen. Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU): (Beifall bei der FDP) Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann es nicht mehr hören. Nachher wird der Minister Die Registrierung der biometrischen Daten aller Asylbe- hier nach vorn gehen. Dann wird er wieder sagen: Ich habe werber ist ein notwendiger Bestandteil der erkennungs- vor zwei Jahren schon einmal einen Brief geschrieben. Ich dienstlichen Erfassung. Sie ist für ein zügiges Asylverfah- habe in der Konferenz schon einmal das und das erzählt. – ren, für die Prävention gegen Missbrauch und gegen den Wenn man „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ Mehrfachbezug der Leistungen nach dem Asylbewerber- hört, ist man schon immer ein bisschen schockiert und leistungsgesetz notwendig. fragt sich: Oh Gott, was kommt jetzt wieder für eine Hi- In Hessen werden seit Mai 2016 alle neu ankommenden obsbotschaft? Was für eine bürokratische Vorschrift oder Flüchtlinge erkennungsdienstlich erfasst. Bei zuvor einge- unflexible Vorgabe kommt jetzt schon wieder? reisten Flüchtlingen – insbesondere bei denen aus dem Jahr Aber es nützt doch niemandem etwas, wenn die öffentli- 2015 – werden die notwendigen Daten nachträglich erho- chen Stellen und die Regierungen immer wieder Schwarzer ben und registriert. Peter spielen. Sie spielen Schwarzer Peter, ganz genau. Es muss klargestellt werden, dass für die Registrierung das Wir werden hier vom Minister wahrscheinlich wieder hö- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und für den Be- ren, wer alles schuld ist und warum etwas nicht geht. Die zug der Leistungen der Flüchtlinge das Bundesministerium Menschen draußen interessiert das einfach nicht. Sie kön- für Arbeit und Soziales zuständig sind. Insofern ist der Ti- nen das nicht verstehen. tel der Aktuellen Stunde der FDP – ich will es vorsichtig (Beifall bei der FDP) ausdrücken – nicht ganz exakt formuliert. Lieber René Rock, auch die eben gehaltene Rede beruht größtenteils auf Sie können nicht verstehen, dass wir nicht in der Lage Vermutungen und Hypothesen. Bei einem so sensiblen sind, Flüchtlinge zu registrieren, und dass wir nicht in der Thema sollte man sich überlegen, ob man hier so vorträgt. Lage sind, einen Datenabgleich herbeizuführen. Die staat- lichen Stellen können das nicht überprüfen. (Beifall des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) (Beifall bei der FDP) Wir wissen aus Erfahrung: In Hessen arbeiten die Staats- Die Landesregierung schiebt die Schuld auf die Kommu- minister der Landesregierung und die Mitglieder der Re- nen. Die Kommunen schieben die Schuld auf die Landes- gierungsfraktionen erfolgreich und harmonisch zusammen. regierung. Dann schiebt die Landesregierung die Schuld Das wissen wir aus Erfahrung. auf das Bundesamt. Die Bundesregierung schiebt dann die Schuld auf die Kommunen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU) Das können wir doch alles lesen. Schauen Sie doch einmal Auf der Bundesebene ist das während der Endphase der in die Zeitungen. Darum haben wir diese Aktuelle Stunde Legislaturperiode nicht immer der Fall. So war die Kom- für heute gewählt. Wir wollen endlich wissen, wann das munikation in dieser Frage bedauerlicherweise nicht ein- abgestellt werden wird und ab wann sichergestellt werden heitlich. Der Bundesentwicklungsminister forderte die kann, dass es zu diesen doppelten Bezügen nicht mehr nachträgliche biometrische Registrierung der Flüchtlinge kommt. Wir wollen wissen, wie lange das noch dauert. aus den Maghreb-Staaten. Das Bundesinnenministerium entgegnete über den Sprecher des Bundesamtes für Migra- Ich kann nur darum bitten, dass dieses Schwarzer-Peter- tion und Flüchtlinge, dies sei bereits erfolgt, weitere Maß- Spiel endlich aufhört und dass das in Hessen alles ordent- nahmen seien nicht nötig. Das Bundessozialministerium lich umgesetzt wird. Denn es ist schwer zu ertragen, all erklärte, dass ihnen von einem Doppelbezug der Leistun- diese Überschriften immer wieder zu lesen. Wir wissen gen aufgrund mangelhafter Registrierungen nichts bekannt doch genau, dass der Großteil der Menschen, die zu uns sei. Alle diese Erklärungen erfolgten im Januar dieses Jah- gekommen sind, sich ordentlich benimmt. Bei solchen res. Themen werden sie dann mit den anderen in einen Topf geworfen. Aufgrund dieser Verwirrungen sind wir der Landesregie- rung dankbar, dass sie die Fakten für Hessen zur erken- Das muss endlich einmal ordentlich geregelt werden. Die nungsdienstlichen Erfassung einschließlich der biometri- schwarzen Schafe müssen aussortiert werden. Da muss na- schen Erfassung dargelegt hat. Wir erinnern auch an das türlich auch die öffentliche Hand ihre Hausaufgaben ma- Engagement der Landesregierung auf der Arbeits- und So- chen. zialministerkonferenz zur Umsetzung der Leistungsge- setze. Das ist auch deshalb wichtig, weil in Niedersachsen Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6967 die Kriminalpolizei in Braunschweig wegen des Verdachts ihren hinterlegten vollständigen biometrischen Daten regis- auf Doppelbezug der staatlichen Leistungen der Asylbe- triert. Das ist das, was in Hessen zunächst passiert. werber ermittelt. Die Ermittlungen beziehen sich nicht nur In Hessen ist kein Doppelbezug der Leistungen bekannt auf Vorkommnisse in diesem Bundesland. geworden. Das steht da auch drinnen. Herr Kollege Rock, Die Klärung des Sachverhalts ist notwendig. Sie ist auch jetzt kommt der spannende Teil. Da steht geschrieben: deshalb notwendig, um in der Bevölkerung die Akzeptanz Auch können die Sozialbehörden/Jobcenter einen des staatlichen Engagements für die Aufnahme und Inte- Abgleich mit den im Ausländerzentralregister hinter- gration zu festigen. In diesem Zusammenhang ist zu beto- legten Fingerabdrücken nicht vornehmen, da diese nen, dass Hessen durch eine vorbildliche Organisation der die zu übermittelnden Daten aufgrund bundesgesetz- Erstaufnahme, durch eine enge Zusammenarbeit und durch licher Regelungen nicht auslesen können. Vereinbarungen mit der kommunalen Familie und durch einen weitsichtigen Aktionsplan zur Integration von Es gibt also bundesgesetzliche Regelungen, die diese Ko- Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zu- operation behindert. Das steht in dem Brief. sammenhalts diesen Konsens in der Bevölkerung sichert. Abhilfe schaffen könnte in allen genannten Fällen Wir sollten diese Frage eindeutig klären. Die Hessische nur der Bund, da bei diesem die Gesetzgebungskom- Landesregierung hat ihren Beitrag dazu geleistet. Wir soll- petenz … liegt. ten nicht versuchen, durch irgendwelche Vermutungen und Hypothesen diesen Konsens in unserer Gesellschaft aufs Das wollte ich erst einmal als Feststellung sagen. Es ist al- Spiel zu setzen. – Vielen Dank. so nicht die Regierung Bouffier schuld. Hier verschleppt es keiner. Hier ignoriert es keiner. Vielmehr benennen wir es. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Es gibt ein Problem, das dazu führt, dass es dazu kommen GRÜNEN) könnte. Wenn Sie es ändern wollten, bräuchten wir eine bundesgesetzliche Regelung. Das war ad 1. Vizepräsident Wolfgang Greilich: Frau Kollegin, Sie können gerne klatschen. Sie haben recht. Herr Dr. Bartelt, vielen Dank. – Als Nächster spricht Herr Abg. Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN. Bitte schön. Zweitens hört man schon im Hintergrund hallen: Hat die Hessische Landesregierung auch wirklich genug getan? – Auch das kann man bejahen, wenn man in der Lage ist, Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): diesen Brief zu lesen. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Hessen hat bereits auf der letzten Arbeitsministerkonferenz René Rock, ich fand den Redebeitrag eigentlich überzoge- einen entsprechenden Antrag an die Bundesregierung ge- ner, als er angesichts des eigentlichen Anliegens hätte sein stellt, können. (Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP)) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD) der von den Bundesländern einstimmig mitgetragen wurde. Für die gesetzliche Umsetzung ist das federführende Mi- Ich will es einmal so sagen: Die Überschrift lautet: nisterium für Arbeit und Soziales auf Bundesebene zustän- Regierung Bouffier muss endlich Doppelbezug … dig. – Sie haben doch den Brief. stoppen (Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!) Wenn man das für sich isoliert betrachtet und danach Sie wissen, dass es die Bundesgesetzgebung ist, die das sucht, was für ein sachliches Problem dahinter liegt und ob erst ermöglicht. Sie wissen, dass Hessen aktiv war. Sie man das bearbeiten kann, dann, finde ich, muss man sich wissen das alles. Und dann verfassen Sie die Überschrift der Sache stellen. Das ist bis dahin erst einmal nichts Un- „Doppelbezug“ – so nach dem Motto: „Überall sind Sozi- anständiges. Unanständiges findet sich dann doch schon, alhilfebetrüger.“ Ich finde das unanständig. wenn man darüber fabuliert und erklärt, wie Sozialmiss- brauch entstehen könnte. Ich finde, das ist ein sehr populis- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und tisches In-Verbindung-Bringen. der CDU) Herr Kollege Rock, ich will mich der Sache nicht entzie- hen. Es geht in der Tat darum, dass man diesen Doppelbe- Vizepräsident Wolfgang Greilich: zug stoppt. Sie kennen den Brief des hessischen Ministers vom 13. Februar 2017, der an alle Fraktionen ging. Wenn Vielen Dank, Herr Bocklet. – Als Nächste spricht Frau man diesen Brief gelesen hat, kann man eigentlich nicht Kollegin Faulhaber für die Fraktion DIE LINKE. mehr so einen Tagesordnungspunkt einreichen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Gabriele Faulhaber (DIE LINKE): bei Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Ernst- Ewald Roth (SPD)) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die erste Frage, die ich mir gestellt habe, als ich diesen Antrag der FDP las, Ich möchte Ihnen das noch beantworten. Denn ich finde, war: Was soll dieser Antrag bewirken? Was sind die Ziele alle Zuschauerinnen und Zuschauer, aber auch die Kolle- dieses Antrags? Leider sind mir nur ziemlich unschöne ginnen und Kollegen haben das Recht, zu erfahren, was in Antworten eingefallen. Hessen passiert. Alle in Hessen neu ankommenden Asylsu- chenden werden erkennungsdienstlich behandelt und mit 6968 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Meine Damen und Herren, wenn einige Hunderttausend nungshof nämlich 2.400 Fälle mit einem Schaden von 6,5 Menschen ins Land kommen, sind natürlich auch welche Millionen € auf. Warum kümmert sich die SPD nicht ein- darunter, die nicht ehrlich sind. Ja, es kann auch sein, dass mal darum? die Registrierung unorganisiert und überlastet ist. Das bie- (Zurufe von der SPD: Die FDP!) tet Schlupflöcher. Es gibt das alte – ich betone: alte – deut- sche Sprichwort: „Gelegenheit macht Diebe.“ Das zeigt – Entschuldigung. Das tut mir sehr leid. Können Sie mir schon, dass es sich um kein Phänomen handelt, das nur noch einmal verzeihen? Flüchtlinge betrifft. Das gab es schon immer und zu jeder Zeit, und das gilt für alle Völker. (Beifall bei der LINKEN – Florian Rentsch (FDP): Das passiert schon einmal, selbst bei den LINKEN!) Damit Sie mich jetzt nicht falsch verstehen: Natürlich müs- sen Asylsuchende registriert werden, und natürlich sehe Noch etwas: In diesem Antrag kommt eine ordentliche auch ich die Sozialversorgung nicht als Selbstbedienungs- Portion Doppelmoral zum Vorschein. Die FDP regt sich laden an. Aber dieser Antrag lässt die Annahme aufkom- über die Betrügereien armer Schlucker auf. Sie findet aber men, es wimmele nur so von Betrügern unter den Geflüch- nichts dabei, wenn Steuerflüchtlinge dem Fiskus Millionen teten; denn endlich sollen die vollständige Registrierung entziehen. Da ist von der FDP nämlich überhaupt nichts zu und ein Datenabgleich erfolgen. Ich bin jetzt keine glühen- hören. de Verehrerin dieser Landesregierung, (Florian Rentsch (FDP): Doch!) (Zuruf von der SPD: Das gilt für uns auch!) Da wird keine Aktuelle Stunde beantragt und von der Lan- aber Sie, meine Dame und die Herren von der FDP, sugge- desregierung gefordert, endlich Steuerschlupflöcher und rieren mit Ihren Formulierungen, der Mehrfachbezug von Kapitaltransfers ins Ausland zu stoppen. Sozialleistungen sei in Hessen ein von oben geduldetes (Florian Rentsch (FDP): Doch, wir reden darüber) Phänomen. Tatsächlich ist in Hessen kein einziger Fall von Doppelbezug von Sozialleistungen durch Geflüchtete be- – Wir haben Ihre Rede doch eben gehört. kannt. Das wurde gerade hier vorgetragen. Darauf hat Mi- (Beifall bei der LINKEN) nister Grüttner hingewiesen. Dieses Schreiben liegt auch der FDP vor. Vizepräsident Wolfgang Greilich: Aus der aktuellen Polizeilichen Kriminalstatistik für Hes- sen lassen sich keinerlei Hinweise in diese Richtung ent- Frau Kollegin, auch wenn Sie gerade so schön in Fahrt nehmen. Die Statistik wurde erst vor zwei Wochen vorge- sind: Ihre Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum stellt. Sozialleistungsbetrug von Geflüchteten wird mit kei- Ende. ner Silbe erwähnt. Es ist auch nicht richtig, zu unterstellen, Geflüchtete würden in Hessen nicht registriert. Dazu hat Herr Bocklet gerade gesprochen. Da kann ich etwas Rede- Gabriele Faulhaber (DIE LINKE): zeit sparen. Diese Steuerflüchtlinge kosten ein Vielfaches dessen, was Es gibt einen Begriff für eine politische Strategie, die die die Flüchtlinge kosten. Der Fiskus verliert dabei jedes Jahr Fakten ignoriert und Emotionen inszeniert. Man nennt es 100 Millionen €. Das ist ein wirklich wichtiges Thema, das Populismus. Meine Damen und Herren von der FDP, Sie hier einmal zur Sprache gebracht werden sollte. – Ich dan- versuchen sich auf Kosten von Minderheiten zu profilie- ke für Ihre Aufmerksamkeit. ren. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Gegen den Versuch, datenschutzrechtlich bedenkliche Re- Vizepräsident Wolfgang Greilich: gelungen in den Jobcentern einzuführen, muss man sich Vielen Dank, Frau Faulhaber. – Es spricht jetzt Herr Kolle- mit großem Nachdruck wenden. Es ist kein legitimes Mit- ge Ernst-Ewald Roth für die Fraktion der Sozialdemokra- tel, im Jobcenter Fingerabdrücke zu nehmen, weil man un- ten. Bitte sehr, Sie haben das Wort. terstellt, dass es irgendeinen Sozialbetrug geben könnte. Jeder, der mit den Jobcentern zu tun hat, weiß, dass die Flüchtlinge, die dorthin kommen, sowieso registriert sind. Ernst-Ewald Roth (SPD): Sie sind anerkannt. Deshalb gibt es auch überhaupt keinen Grund, so etwas zu tun. So etwas ist ein Abbau des Daten- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich sage es der schutzes. Vollständigkeit halber schon einmal am Anfang. Ich glau- be, ich bin in den letzten neun Jahren hier keiner flücht- (Beifall bei der LINKEN) lingspolitischen Debatte ausgewichen. Als ich diese Aktu- Es gab vor drei Jahren schon einmal eine Paralleldiskussi- elle Stunde heute gesehen habe, habe ich mich aber ge- on um den angeblich massenhaften Sozialleistungsbetrug fragt: Um was geht es da? Es gibt keinen Antrag. Dann durch Rumänen und Bulgaren. Monatelang hat sich die muss man sich mit der Überschrift zufriedengeben. Aber Große Koalition damit beschäftigt, die angebliche Zuwan- die spricht Bände: „Regierung Bouffier muss endlich Dop- derung in Sozialsysteme bzw. den Missbrauch von Sozial- pelbezug von öffentlichen Leistungen stoppen“. – Dann leistungen durch EU-Bürger zu thematisieren und anzu- kommt der Zusammenhang. Das ist das eigentlich Perfide prangern. Aber auch damals drifteten Faktenlage und frem- und Unerträgliche. „Vollständige Registrierung von denfeindliche Inszenierung weit auseinander. Flüchtlingen zügig umsetzen und Datenabgleich ermögli- chen“ – natürlich brauchen wir das Zweite. Das ist in den Tatsächlich war der Kindergeldbetrug durch deutsche Be- Debatten der letzten Monate immer wieder Thema gewe- amte das größere Problem. 2009 deckte der Bundesrech- sen. Aber den Zusammenhang herzustellen, dass es mas- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6969 senhaften Missbrauch – Doppelbezug – gebe, und den mit Vizepräsident Wolfgang Greilich: den Flüchtlingen in Verbindung zu bringen, ist unerträg- Gestatten Sie eine Zwischenfrage? lich. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der Axel Wintermeyer, Minister und Chef der Staatskanz- CDU) lei: Die Frage spielte bereits in der letzten Sitzung des Sozial- Nein. Herr Rock kann ja gern noch einmal ans Rednerpult und Integrationspolitischen Ausschusses eine Rolle. Dar- gehen. aufhin gab es eine Antwort des Ministers in Form eines (Florian Rentsch (FDP): Nein! Kann er nicht!) Briefes an alle Fraktionen. Er ist von den Vorrednern schon genannt worden. Der Brief beantwortet für mich die Ich liefere mir gern noch eine weitere Auseinandersetzung Fragen. Er sagt auch, wo noch Klärungspunkte sind; aber mit ihm. er erwähnt auch, dass die nicht vom Hessischen Landtag Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, es ist meiner zur klären sind. Meinung nach klar, dass es Ihnen nicht um Fakten und Lö- sungsansätze geht, sondern wohl auch um das Aufgreifen Vizepräsident Wolfgang Greilich: populistischer Stimmungsmuster. Die Lautstärke von Herrn Rock zeigt, dass wir ins Schwarze getroffen haben. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Rock? Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Her- ren, bevor ich hier seitens der Landesregierung die Fakten klarstelle, nutze ich als Flüchtlingskoordinator der Hessi- Ernst-Ewald Roth (SPD): schen Landesregierung gern die Gelegenheit, meinen Kol- legen, Herrn Sozialminister Grüttner und Herrn Innenmi- Nein. – Ich will das deshalb sagen. Ich musste von meinem nister Beuth, zu danken, Arbeitskreiskreis – – (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE (René Rock (FDP): „Massenhaft“! Wo steht hier GRÜNEN) „massenhaft“?) dass sie sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der – Das suggerieren Sie. – Ich musste von meinem Arbeits- Ressorts wirklich Gutes geleistet haben bei der Erstaufnah- kreissprecher buchstäblich genötigt werden, zu diesem me und der Unterbringung der Flüchtlinge, bei der Regis- Punkt zu reden. trierung, bei der Sicherheit sowie bei Start- und Integrati- (Gerhard Merz (SPD): Na, na, na!) onshilfen. Das, was geleistet wurde, ist herausragend. Hes- sen hat die Herausforderungen der Flüchtlingskrise tatkräf- Ich hätte heute am liebsten keine Wortmeldung abgegeben, tig gemeistert. Das Land ist handlungsfähig. Meine Damen weil ich mich an diesem Spiel, das hier passiert, an der und Herren, das gilt es hier auch einmal im Hessischen Stelle nicht beteiligten wollte. – Danke schön. Landtag zu würdigen und nicht in Abrede zu stellen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE NEN und der LINKEN) GRÜNEN) Ich habe noch die kleine Hoffnung, dass der FDP-Antrag Vizepräsident Wolfgang Greilich: zur Aktuellen Stunde eher aus Unkenntnis resultiert als aus einer populistischen Absicht. Das beste Rezept gegen bei- Vielen Dank, Herr Roth. – Für die Landesregierung spricht des sind glasklare Fakten. Herr Staatsminister Wintermeyer. Bitte sehr. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Axel Wintermeyer, Minister und Chef der Staatskanz- lei: Fakt 1: Seit Inbetriebnahme des Ankunftszentrums in Gie- ßen Ende Mail 2016 werden alle neu in Hessen ankom- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich danke mei- menden Asylsuchenden schon im Rahmen der Erstaufnah- nen Vorrednern, dass sie schon einiges klargestellt haben. me erkennungsdienstlich behandelt und registriert, und Herr Rock, Sie haben zeitnah umfänglich Auskunft von zwar mit vollständigen biometrischen Daten. Das heißt, ei- Herrn Staatsminister Grüttner erhalten. ne Doppelregistrierung ist in Hessen seitdem nicht mög- (Florian Rentsch (FDP): Das wollen wir auch einmal lich. Die Daten sind im Ausländerzentralregister hinterlegt. loben, weil das sonst nicht der Fall ist!) Auch diejenigen, die in der großen Fluchtbewegung 2015 und Anfang 2016 zu uns gekommen sind, wurden im Rah- Auch wir haben uns gefragt: Was soll das? – Ihre Unter- men des EASY-Gap-Abbaus des vergangenen Jahres regis- stellung, der Doppelbezug von öffentlichen Leistungen triert und biometrisch erfasst. müsse endlich gestoppt werden, suggeriert, dass es einen solchen Doppelbezug in Hessen gibt. Das suggeriert außer- Bei den unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden sind dem, wir würden nichts dagegen tun. Beides weise ich aus- die Altfälle ebenfalls erkennungsdienstlich behandelt. Bei drücklich zurück. den neu ankommenden unbegleiteten minderjährigen Asyl- suchenden soll die erkennungsdienstliche Erfassung zeit- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE nah im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme erfolgen. GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sozial- und Innenministerium erarbeiten derzeit eine Handlungsempfehlung, um im Dialog mit den zuständigen Kommunen die Abläufe noch weiter zu verbessern. 6970 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Fakt ist, meine Damen und Herren: Hessen ist hier gut auf- keitsrechte so hoch getragen hat, Herr Rock, sollte dies gestellt und weiter als viele andere Bundesländer. wissen. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- GRÜNEN) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Lieber Herr Rock, wenn Sie heute die vollständige Regis- Herr Kollege Grüttner hat in diesen Tagen die zuständige trierung in Hessen fordern und gleichzeitig damit den Ein- SPD-Bundesministerin noch einmal eindringlich auf den druck erwecken, es gäbe große Lücken, dann ist dies Gesetzgebungsbedarf hingewiesen. Dies drängt, da im schlichtweg Unfug und eine böswillige Verdrehung der Verlauf des Jahres mit einer steigenden Zahl anerkannter Tatsachen. Asylbewerber und auch einer steigenden Zahl von Leis- tungsbeziehern nach dem SGB II zu rechnen ist. Das Bun- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE deskabinett hat gestern in unserem Sinne entschieden. GRÜNEN) Diese gesetzliche Regelung des automatisierten Datenab- Fakt 2: Im Rahmen des EASY-Gap-Abbaus sind bei der gleichs mit dem Ausländerzentralregister ist unabdingbar, Registrierung und erkennungsdienstlichen Behandlung der nicht nur um Missbrauchsfälle zu unterbinden, sondern rund 95.000 aufgenommenen Flüchtlinge in Hessen ledig- auch um unsägliche Generalverdächtigungen, auch die, lich 54 Doppelidentitäten für die Jahre 2015 und 2016 fest- über die wir heute diskutieren, zurückweisen zu können. gestellt worden. Meine Damen und Herren, wir reden über ein halbes Promille an Fällen, die durch gewissenhafte Prü- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE fung und Registrierung der Behörden aufgedeckt wurden. GRÜNEN) Sie suggerieren hier aber in populistischer Weise einen An diesem Punkt zeigt sich die besondere Qualität des massenhaften Missbrauch von Identitäten. Das entspricht Themas der heutigen Aktuellen Stunde. Sie bringen in die- nicht den Tatsachen und ist politisch nicht verantwortlich. ser zum Teil schon hoch emotional geführten Debatte noch (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE zusätzlich ungerechtfertigte Pauschalierungen gegen GRÜNEN – Zuruf des Abg. René Rock (FDP)) Flüchtlinge. Sie untergraben das Vertrauen in die Hand- lungsfähigkeit des Staates, der längst tätig geworden ist, Für die Hessische Landesregierung kann ich nachdrücklich bevor Sie sich auch nur ansatzweise sachkundig gemacht unterstreichen, dass die Kolleginnen und Kollegen im An- haben. Beides ist unsäglich und untragbar. kunftszentrum und in den Ausländerbehörden alles daran- setzen, solche Fälle schnell und vorbehaltlos aufzudecken. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Ihnen gehören unser aller Dank und unsere Anerkennung. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Meine Damen und Herren, die Hessische Landesregierung GRÜNEN) und die sie tragenden Fraktionen werden bei der Flücht- lingsaufnahme und -integration ihren erfolgreichen und konsequenten Kurs weiter beibehalten, und zwar mit Au- Vizepräsident Wolfgang Greilich: genmaß, Tatkraft und Verantwortungsbereitschaft für die- Herr Minister, ich darf Sie auf die vereinbarte Redezeit sen Staat und die ihn tragende Werte- und Rechtsordnung. hinweisen. Wir sind es dem gesellschaftlichen Zusammenhalt schul- dig. – Vielen Dank. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Axel Wintermeyer, Minister und Chef der Staatskanz- GRÜNEN) lei: Fakt 3: Ihre Forderung, dass die Regierung Bouffier den Datenabgleich ermöglichen solle, lässt mich endgültig Vizepräsident Wolfgang Greilich: zweifeln, ob Sie auf der Höhe der Zeit sind und sich infor- Vielen Dank, Herr Minister Wintermeyer. – Als Nächster miert haben. Diese Landesregierung hat federführend – spricht der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten, und das müsste Ihnen bekannt sein – einen Antrag für Florian Rentsch. Bitte sehr. einen besseren Datenabgleich zwischen den Ausländer- und Sozialbehörden auf der letzten Arbeits- und Sozialmi- (Günter Rudolph (SPD): Wie viel Redezeit haben nisterkonferenz eingebracht. Dabei wurde bereits Anfang die Fraktionen noch, Herr Präsident?) Dezember beschlossen, die Bestimmungen des § 52 Abs. 2 – Fünf Minuten. Zweite Runde. des SGB II und weiterer Vorschriften zu erweitern und die Abfrage des Ausländerzentralregisters in den automatisier- (Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD)) ten Datenabgleich der Sozialbehörden aufzunehmen. Erst durch diese Möglichkeit einer überprüften Identifikation können Mehrfachanträge eines Antragstellers tatsächlich Florian Rentsch (FDP): ausgeschlossen werden. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Fakt ist: Ohne verfassungskonforme Rechtsgrundlage gibt Vielleicht können die Geschäftsführer die Debatte dort es keinen Datenabgleich dieser Art. Die Gesetzgebungs- führen, wo sie hingehört. Ich möchte gerne beim Thema kompetenz hierfür liegt beim Bund. weitermachen, weil uns das Thema wichtig ist. Wer beim Thema Vorratsdatenspeicherung oder beim The- Herr Staatsminister Wintermeyer, die Landesregierung ma „Digitales Hessen“ alle Register gezogen und hier im versteigt sich heute in Superlativen und spricht von „un- Plenum die Fackel des Datenschutzes und der Persönlich- säglich“. Ich finde es unsäglich, wenn es eine Landesregie- rung nicht schafft, Anfragen des Parlaments zeitnah zu be- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6971 arbeiten, wenn das Parlament sozusagen auf die lange Vizepräsident Wolfgang Greilich: Bank geschoben wird. Ich wäre dankbar, wenn von allen Seiten etwas mehr Ruhe Jetzt frage ich Sie einmal, warum Sie überhaupt aktiv ge- wäre, wir weniger Zwischenrufe und Dialoge mit der Re- worden sind, wenn es da gar kein Problem gibt. Das ist ja gierungsbank hätten. interessant. Auf der einen Seite sagen Sie, Sie könnten aus- Herr Kollege Rentsch, ich will mich bei der Gelegenheit schließen, dass es da ein Problem gibt. Das können Sie korrigieren: Sie haben vier Minuten Redezeit. Ich habe überhaupt nicht ausschließen, Herr Staatsminister Winter- fälschlicherweise gesagt, es seien fünf Minuten. meyer, weil Sie zurzeit keinen Datenabgleich machen. Deshalb können Sie nicht ausschließen, dass es einen Dop- pelbezug gibt. Florian Rentsch (FDP): (Beifall bei der FDP) Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich bin gerne bereit, mit je- Sie loben sich dafür jedoch in Ihrer Rede, die offenbar dem in diesem Parlament zu diskutieren. Das macht aber schon schriftlich vorgefertigt wurde, in der stand, dass es nur dann Sinn, wenn man sich sieht und wenn man nicht heute eine hoch emotionale Debatte wird. Die Debatte war ständig in den Rücken gesprochen bekommt. Das ist auch gar nicht so emotional. Wir haben versucht, die Debatte nicht unbedingt der parlamentarische Standard, den man sehr sachlich anzulegen. erwarten darf. Der Punkt ist: Warum wird die Landesregierung überhaupt (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) tätig, wenn sie gar kein Problem sieht? Sie müssen sich Wir werden das Thema weiterverfolgen. Wir werden Ihnen entscheiden: Entweder gibt es ein Problem, dann müssen nicht durchgehen lassen, dass Sie mit der Aussage: „Wir Sie aktiv werden; oder es gibt kein Problem. Dann hätte haben einen Brief geschrieben“, das ganze Thema auf dem der Kollege Grüttner gar keinen Brief schreiben und auch Weg nach Berlin versacken lassen. Sie haben recht: Die bei der Arbeits- und Sozialministerkonferenz nicht aktiv Zuständigkeit liegt beim Bund. Herr Kollege Grüttner, die werden müssen. CDU stellt zwar nicht die Ministerin für Arbeit und Sozia- Fakt ist – darin sind wir uns doch einig –: Bisher gibt es les in Berlin, aber die CDU stellt die Bundeskanzlerin und keine Struktur, um abzugleichen, ob Menschen in Hessen einen tragenden Teil der Bundesregierung. Deshalb ist das oder in einem anderen Land doppelt Bezüge erhalten. Ich Spiel, der Bund tue nichts oder handle zu langsam, in die- denke, darin sind wir uns einig. Dass die vielen, die es sem Bereich nicht akzeptabel. richtig machen und die den Staat nicht ausnutzen, nicht mit Wenn wir wollen, das kein falsches Licht auf diejenigen den schwarzen Schafen in einen Topf gesteckt werden, das fällt, die aus guten Gründen Leistungen, die ihnen gesetz- sollte unser gemeinsames Anliegen sein. Ich verstehe des- lich zustehen, in Anspruch nehmen, dann sollten wir auch halb gar nicht, wo die Emotionalität auf der einen und der dafür sorgen, dass ein Missbrauch dieser Leistungen, den anderen Seite herkommt. Wer die populistischen Äußerun- Sie aufgrund fehlender gesetzlicher Grundlagen nicht aus- gen von CSU-Abgeordneten in Bayern, aber auch von schließen können, meine Damen und Herren – das wollen CDU-Abgeordneten in Niedersachsen und anderswo hört – wir heute noch einmal festhalten –, nicht eintritt. Ich hoffe, auf die bezogen sich die Hinweise des Kollegen Rock –, dass es in den nächsten Monaten nicht noch zu Fällen der sollte doch sagen: Wir brauchen jetzt die gesetzlichen kommen wird, die Missbräuche bestätigen. Grundlagen dafür, dass ein Abgleich gemacht werden kann. Ich nehme erst einmal hin, dass Staatsminister Wintermey- er hier behauptet hat, er könne einen Missbrauch ausschlie- (Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ßen. Ich denke, wir können das nicht wirklich ausschlie- Herr Kollege Grüttner, ich finde es sehr gut, dass Sie aktiv ßen, aber ich hoffe, dass gegenteilige Fälle nicht noch be- geworden sind, nachdem wir bei diesem Thema nachge- kannt werden, weil damit denjenigen, die dieses Thema fragt haben. populistisch ausnutzen, auch noch recht gegeben würde. (Lachen bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP) GRÜNEN – Minister Peter Beuth: Das ist lächer- lich!) Vizepräsident Wolfgang Greilich: – Herr Kollege Beuth, ich bin mittlerweile von dieser Lan- desregierung gewöhnt, dass Sie alle sich hier nicht beneh- Vielen Dank, Herr Kollege Rentsch. – Für die Landesre- men können. gierung spricht erneut Herr Staatsminister Wintermeyer. (Lachen bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Axel Wintermeyer, Minister und Chef der Staatskanz- lei: Aber wenn Sie schon mal da sind: Halten Sie sich endlich einmal zurück. Ich habe langsam die Nase voll. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es tut mir leid, dass ich nochmals ans Rednerpult gehen muss und damit (Zuruf des Ministers Peter Beuth) den Eintritt in die Mittagspause verzögere. Ich lasse mir – Setzen Sie sich in die Reihen der Abgeordneten. Sie sind aber von Ihnen, lieber Kollege Rentsch, und auch von kei- doch Mitglied des Parlaments. Diskutieren Sie von dort. nem anderen Abgeordneten des Hessischen Landtags Wor- Wenn die Landesregierung schon einmal da ist und kein te in den Mund legen, die ich nicht gesagt habe. Sie haben Benehmen hat, sind irgendwann die Grenzen erreicht. mir als Regierungsvertreter die Aussage in den Mund ge- legt, ich könne ausschließen, dass es einen Doppelbezug (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) von öffentlichen Leistungen gibt. 6972 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

(René Rock (FDP): Sie haben den Eindruck er- (Günter Rudolph (SPD): In Hessen ist immer alles weckt!) bestens, das wissen wir schon!) – Lieber Herr Rock, Sie erwecken den Eindruck, unflätig Wir kämpfen – das kann ich Ihnen sagen, da ich im Bun- zu sein. Ständig schreien Sie hier etwas herein. Das richtet deskanzleramt bei den Ministerpräsidentenkonferenzen im- sich meiner Meinung nach von selbst. mer mit dabei bin und auch Informationen aus den Sozial- ministerkonferenzen habe – seit Monaten mit der zuständi- Ich sage dem Kollegen Rentsch und dem gesamten Haus, gen Ministerin, dass ein rechtsstaatlich einwandfreier Ab- dass ich nicht ausschließen kann – auch die Hessische Lan- gleich zwischen den Sozialbehörden und den Ausländerbe- desregierung kann das nicht ausschließen –, dass es Fälle hörden ermöglicht wird. Das Bundeskabinett hat gestern von Doppelbezug gibt. Das habe ich auch nie anders be- einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Dafür hauptet. Herr Fraktionsvorsitzender, Sie haben eben ver- sind wir sehr dankbar. Gehen Sie davon aus, dass die Sozi- sucht, mir diese Äußerung in den Mund zu legen, um in albehörden spätestens in der 13. Woche dieses Jahres Fin- der nächsten Aktuellen Stunde, wenn irgendwo doch ein gerprint-Maschinen haben werden und noch vor dem In- solcher Fall auftreten sollte, sagen zu können: Guck mal, krafttreten des Gesetzes technisch entsprechend ausgestat- die haben damals etwas Falsches gesagt. – Das können Sie tet sind. mit mir nicht machen. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN – René Rock (FDP): Wir lesen nach, was Sie gesagt haben!) Zweite Bemerkung. Wir können sagen, dass uns kein Fall Vizepräsident Wolfgang Greilich: von Doppelbezug in Hessen bekannt ist. Ich kann Ihnen sa- Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir liegen keine gen, dass es vier Fälle von Sozialleistungsbetrug in Hessen Wortmeldungen mehr vor. Damit ist auch diese Aktuelle gegeben hat. Aufgedeckt wurden diese in der Erstaufnah- Stunde abgehalten. me: zwei Fälle im Jahr 2015, zwei Fälle im Jahr 2016. Da- bei ging es um den Doppelbezug von Taschengeld. In die- Mir ist mitgeteilt worden, dass sich die parlamentarischen sen vier Fällen wurde Strafanzeige gestellt und entspre- Geschäftsführer darauf geeinigt haben, dass wir jetzt in die chend gehandelt. Im SGB-II-Bereich sind uns keine nach- Mittagspause eintreten. Der Setzpunkt der GRÜNEN wird gewiesenen Missbrauchsfälle bekannt. Ausschließen kann unmittelbar nach der Mittagspause aufgerufen, danach der ich sie nicht. Setzpunkt der Freien Demokraten. Dritte Bemerkung. Lieber Kollege Rentsch, ich greife noch Wir gehen jetzt in die Mittagspause und setzen die Sitzung einmal – wie auch Herr Roth – den Titel Ihrer Aktuellen um 14:20 Uhr fort. Stunde auf. (Unterbrechung von 13:18 bis 14:22 Uhr) (Zuruf des Abg. René Rock (FDP)) Sie sprechen in Ihrem Antrag die Regierung Bouffier kon- Vizepräsidentin Ursula Hammann: kret an: diese müsse endlich den Doppelbezug öffentlicher Leistungen stoppen. – Kommen Sie hierher ans Pult, und Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die Sitzung nennen Sie uns die Fälle, die es in Hessen gegeben hat, die fortsetzen. die Hessische Landesregierung stoppen soll. Ich mache Sie auf Folgendes aufmerksam: Noch eingegan- (Lebhafter Beifall bei der CDU, der SPD, dem gen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Ent- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) schließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Gleichberechtigung von Nennen Sie uns am besten auch die Namen. Dann küm- Frauen und Männern verwirklichen – Maßnahmen des mern wir uns sofort darum – im Interesse aller anständigen Landes zeigen bereits Wirkung, Drucks. 19/4572. Wird die Menschen. Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird der Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 60 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tages- Vizepräsident Wolfgang Greilich: ordnungspunkt 19 aufgerufen werden. – Dann machen wir Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? das so. Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf: Axel Wintermeyer, Minister und Chef der Staatskanz- Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und lei: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend „Es kommt Nein. – Sie fordern die Regierung außerdem auf, die voll- nicht darauf an, wo du herkommst, sondern wo du hin ständige Registrierung von Flüchtlingen zügig umzusetzen. willst“ – deutliche Ausweitung des integrationspoliti- Die Fakten hierzu habe ich Ihnen vorhin vorgetragen. Wir schen Landesprogrammes WIR – Drucks. 19/4530 – haben die nachträgliche Registrierung umgesetzt, und bei Als erster Redner hat sich Kollege Bocklet von der Frakti- denjenigen, die jetzt noch zu uns kommen, setzen wir sie on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet. Die sofort um. Sie können sich ja in anderen Bundesländern vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Herr Kollege, einmal anschauen, wie es dort läuft. Beispielsweise den Sie haben das Wort. Wahlkämpfern in Nordrhein-Westfalen könnte ich viele Fakten aus Hessen liefern, weil es nämlich in Nordrhein- Westfalen noch nicht so toll läuft wie bei uns in Hessen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6973

Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): so gelingt eine schnelle Integration. Eine schnelle Integra- tion entlastet natürlich auch die öffentlichen Haushalte. Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Deswegen sind diese Fallmanager ein neues innovatives liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute das Instrument und sehr wichtig. WIR-Programm zum Setzpunkt gemacht, weil wir zeigen wollten, dass wir spätestens seit dem Herbst 2015 vor im- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und mens großen Herausforderungen stehen, da bis zum heuti- bei Abgeordneten der CDU) gen Zeitpunkt etwa 115.000 Menschen nach Hessen ge- Sie werden allen 33 Landkreisen, kreisfreien Städten und flüchtet sind. Sonderstatusstädten zur Verfügung stehen. Ich bin sehr ge- (Zurufe von der CDU: Nur?) spannt, wie schnell das umgesetzt werden kann, wenn nun die Ausschreibungen beginnen. Ich bin mir sicher, dass es Wir standen vor den Fragen, wie wir diese Menschen gut keine überhöhte Hoffnung ist, wenn wir davon sprechen, versorgen, wie wir sie unterbringen und wie wir es errei- dass Integration dann noch schneller und leichter gelingen chen, dass sie später tatsächlich in die Gesellschaft inte- kann. griert werden können, sodass ihnen eine selbstständige Teilhabe möglich ist. Vor dieser Herausforderung standen In der Fortschreibung des Aktionsplans I zum Aktions- alle Parteien – die Regierungsfraktionen natürlich in be- plan II sind die Mittel von 1,3 Milliarden € auf 1,6 Milliar- sonderem Maße –, weil es darum ging, Verantwortung zu den € aufgestockt worden. Davon profitierte auch das übernehmen. WIR-Programm. Ich will nicht ohne Stolz erwähnen, dass wir bestimmte Schwachpunkte noch einmal unter die Lupe An dieser Stelle möchte ich allen Beteiligten ausdrücklich genommen haben. dafür danken, dass wir mit dem Aktionsplan zur Integrati- on von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Uns ist aufgefallen, dass insbesondere geflüchtete Frauen Zusammenhalts in diesem Land einen immensen Meilen- und Mädchen an bestimmten Integrationsmaßnahmen häu- stein mit über 1,3 Milliarden € im ersten Schritt gesetzt ha- fig nicht teilgenommen haben. Es kann uns nicht zufrie- ben. Meine Damen und Herren, dieser Aktionsplan ist bun- denstellen, darüber zu spekulieren, ob das auf die Kultur desweit einmalig und trägt entscheidend dazu bei, dass ei- oder auf andere Gründe zurückzuführen ist. Wichtig ist, ne mögliche Integration gelingen kann. dass wir diese Probleme sehen und sie angehen. Deswegen möchte ich noch einmal hervorheben, dass wir mit Mitteln (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und in Höhe von 500.000 € Modellprojekte in den Fokus neh- der CDU) men, mit denen insbesondere die Integrationschancen von Wir wissen, dass Integration ein Prozess ist. Wir wissen, geflüchteten Frauen verbessert werden sollen. Ich finde, dass das nicht automatisch gelingt. Wir wissen, dass Men- das ist eine hervorragende Initiative. schen mit Migrationshintergrund und Flüchtlinge den Weg (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und in die komplizierten Strukturen unserer Gesellschaft nicht bei Abgeordneten der CDU) alleine finden. Deswegen waren wir klug beraten, ein Pro- gramm weiterzuentwickeln. Gestatten Sie mir an dieser 400.000 € stehen für die Qualifizierung von Migrantenor- Stelle einen Gruß an die letzte Reihe der FDP. ganisationen zur Verfügung. So sollen diese Menschen das, was sie erlebt haben, in einem Peergroup-System wei- (Heiterkeit des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP)) tergeben können. 400.000 € sind dafür vorgesehen. Ja, wir wissen, dass das WIR-Programm damals tatsächlich Ein weiterer Punkt ist sehr wichtig, nämlich das Sprachför- schon von Jörg-Uwe Hahn mit initiiert wurde. So viel Zeit derprogramm „MitSprache – Deutsch4U“, ein niedrig- muss sein. Ich glaube aber, dass der entscheidende Fort- schwelliges Sprachförderprogramm, für das 1,2 Millio- schritt mit dem Aktionsprogramm gelang, in dem wir die nen € mehr vorgesehen sind. Dieses Programm wurde nun finanziellen Mittel von 3,1 Millionen € auf 8,9 Millionen € durch die Möglichkeit der Kinderbetreuung verbessert. nahezu verdreifacht haben. Ich finde, das ist ein besonders wichtiger Schritt. Wir wissen, dass beispielsweise viele Frauen nicht mehr an Sprachkursen des Bundesamtes für Migration und Flücht- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und linge teilnehmen konnten, weil sie bemerkt haben, dass der CDU) dort die Kinderbetreuung nicht mehr stattfindet. Wie auch Dieses Programm ist vielfältig. Es ist gut ausgebaut und immer man das beurteilen mag, es ist Fakt. Diese Frauen neu strukturiert worden. Lassen Sie mich deshalb die wich- sind nicht mehr zu den Sprachkursen gekommen. tigsten Dinge benennen: Es gab bereits WIR-Koordinato- Da Hessen jetzt zusätzlich zu dem Sprachförderprogramm ren, die dafür gesorgt haben, dass die vorhandenen Integra- „MitSprache – Deutsch4U“ auch Kinderbetreuung anbietet tionsangebote von Sportvereinen und von anderen gut ko- – natürlich eine niederschwellige Kinderbetreuung, die ordiniert werden. Nun gibt es eine zweite Aufstockung der nicht vergleichbar ist mit einer Kinderbetreuung nach dem Zahl dieser Koordinatoren. Wir nennen sie die WIR-Fall- KJHG –, ist diesen Frauen damit die Teilnahme an den manager. Sprachkursen möglich. Wir haben einen richtigen Akzent Ich glaube, die WIR-Fallmanager werden zu einer neuen gesetzt, da wir die Erlernung der Sprache allen Migranten Qualität vor Ort führen. Uns ist aufgefallen, dass viele und Flüchtlingen ermöglichen wollen und nicht nur denen, Flüchtlinge, nachdem sie aus der Erstaufnahmeeinrichtung die ohne Kinder nach Deutschland gekommen sind. den Gemeinschaftsunterkünften der Kommunen zugewie- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sen wurden, uns – ich sage das einmal so salopp – leicht der CDU) verloren gehen. Bestimmte Zugänge zu Behörden, zu Job- centern und zu Sprachkursen werden nur schwer gefunden. Außerdem ist die Förderung von Integrationslotsen vorge- Wir müssen jedoch ein öffentliches Interesse daran haben, sehen. Insgesamt beweist das WIR-Programm, dass wir dass die Geflüchteten diese Kontakte schnell finden. Nur wollen, dass Integration stattfindet. 6974 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Wir reden in diesen Tagen oft von Sorgen, die die Geflüch- CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen wir dar, teten den Menschen in Deutschland bereiten. Diese Sorgen welchen wichtigen Beitrag das Landesprogramm WIR zur können wir ihnen nehmen, wenn wir als Landesregierung Integration in Hessen leistet. Daher haben wir seit 2014 signalisieren, dass Zuwanderung und Integration große hierfür die Mittel stetig angehoben und sie in diesem Jahr Herausforderungen sind. Dies geschieht nicht von alleine. fast verdoppelt – von 4,6 Millionen € auf etwa 8,9 Millio- Die Regierungen im Bund, im Land und in den Städten nen €. Damit haben wir das Programm an die neuen Her- nehmen das in die Hand. ausforderungen im Bereich der Integration angepasst. Wir können als Landesregierung und als die sie tragenden Warum erachten wir das als wichtig? Zunächst einmal Fraktionen signalisieren: Wir haben nicht nur den Aktions- möchte ich ein paar Sätze zu diesem Programm sagen. Das plan II auf den Weg gebracht, der viele Probleme angeht. Landesprogramm WIR wurde bereits im Jahr 2014 ins Le- Vor allem haben wir bei Migranten und Geflüchteten den ben gerufen, also noch vor der großen Flüchtlingswelle. Fokus explizit darauf gerichtet, dass sie schnell integriert Das ist ein langer Zeitraum, in dem es die Gelegenheit gab, werden und ihnen schnell eine Teilhabe gelingt. Ich glau- das Programm und dessen Entwicklung zu beobachten. In be, mit diesem WIR-Programm haben wir bundesweit dieser Zeit haben wir feststellen können, dass es unsere Er- einen Leuchtturm geschaffen, um den uns andere Bundes- wartungen erfüllt hat. Dieser Erfolg rührt daher, dass das länder beneiden. Programm nicht nur die Integrationspolitik vor Ort stärkt, sondern gleichzeitig auch die Arbeit der Träger und Kom- (Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE)) munen unterstützt. Wir haben die Mittel immer wieder auf- Mit dem WIR-Programm, dessen Mittel wir verdreifacht gestockt, vor allem nachdem zahlreiche Flüchtlinge in un- haben, haben wir viele neue innovative Qualitätsmerkmale ser Land sowie in unsere Städte und Kommunen gekom- installiert. men sind. Wir haben das Programm stetig erweitert, ausge- baut und damit an die neuen Bedingungen angepasst. Viele andere Bundesländer schauen neidvoll auf uns und sagen: Wenn es bundesweit so laufen würde, wie es bei Die Anforderungen an die Integrationsarbeit waren schon euch in Hessen läuft, hätten wir viele rechtspopulistische immer sehr hoch. In den letzten beiden Jahren sind diese Stimmungen überhaupt nicht gehabt. Eine regierungsfähi- noch einmal massiv größer geworden. Durch Beschleuni- ge Bundesregierung hätte dann nämlich von Anfang an gungen im ausländerrechtlichen Verfahren und die Ver- zum Ausdruck gebracht: Wir haben eine Herausforderung, schärfung des Aufenthaltsrechts wird in Deutschland alles wir haben Probleme, aber wir schaffen auch einen bundes- unternommen, um Menschen ohne Bleiberechtsperspektive weiten Aktionsplan, um diese Probleme anzugehen. schnell wieder zurück in ihr Heimatland zu führen. Dieje- nigen, die eine Bleiberechtsperspektive haben, müssen wir Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin fest da- auffordern, die deutsche Sprache als den zentralen und von überzeugt, würde es so einen Aktionsplan geben, hät- wichtigsten Schlüssel für die Integration schnell zu erwer- ten wir solche WIR-Programme in Fülle, dann wären viele ben. Ich bin froh, dass dies mittlerweile allgemeiner Kon- rechtspopulistische Stimmungen erst gar nicht entstanden. sens im politischen Diskurs unseres Landes ist. Hessen war (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und hierbei in unserer Regierungsverantwortung ein Vorreiter. bei Abgeordneten der CDU) (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Abschließend noch eine Kommentierung: Ja, ich weiß, GRÜNEN) dass es manchmal ein bisschen nach Lobhudelei klingt, Ein wichtiger Teil des Forderns ist zum einen die uneinge- aber es ist in der Tat wichtig, auch positive Beispiele von schränkte Akzeptanz unserer verfassungsrechtlich ge- Integrationspolitik zu benennen, weil wir als Regierende schützten Werte, meine Damen und Herren. Zum anderen damit Handlungsfähigkeit und -willigkeit zeigen. müssen wir die zu integrierenden Menschen selbstver- Wir zeigen, dass wir die Probleme und Herausforderungen ständlich fördern und ihnen hierzu entsprechende Angebo- sehen, dass wir darauf reagieren wollen, dass wir das struk- te bieten. Hierzu leistet das WIR-Programm einen wichti- turiert und flächendeckend machen, nicht nur mal eben mit gen Beitrag. einem Projekt zu einem Modell, sondern strukturiert, dass Daher lassen Sie mich einmal zusammenfassen, was dieses wir es auf die nächsten Jahre abgesichert haben und darauf Programm alles beinhaltet: Es gibt die sogenannten WIR- hinwirken, dass tatsächlich jeder, der sein will, auch Koordinatorinnen und -Koordinatoren. Ihre Aufgabe ist es, Hesse wird. – Ich danke Ihnen, meine sehr verehrten Da- vor allem die interkulturelle Öffnung voranzutreiben und men und Herren. neue Konzepte für eine Willkommens- und Anerkennungs- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und kultur zu entwickeln. Es ist das Ziel, die Integration vor der CDU – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Nein, ihr Ort bestmöglich zu fördern. Dazu müssen Behörden, Ver- habt doch nach Afghanistan abgeschoben!) eine, Verbände und Migrationsorganisationen ihre Ange- bote und Leistungen auch auf die Vielfalt der Menschen ausrichten. Beteiligte müssen eingebunden und informiert Vizepräsidentin Ursula Hammann: werden. Eine Vernetzung aller kommunalen Akteure ist Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Als nächster Redner ebenso von zentraler Bedeutung. All diese Herausforderun- spricht nun Herr Kollege Tipi von der Fraktion der CDU. gen können nur vor Ort gelöst werden und müssen in einer Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort. Hand liegen. Eine erfolgreiche Integration kann nicht von der Politik verordnet werden. Sie kann nur gemeinsam mit den Menschen vor Ort gelingen. Ismail Tipi (CDU): (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit GRÜNEN) dem vorliegenden Entschließungsantrag der Koalition aus Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6975

Dafür sind die WIR-Koordinatorinnen und -Koordinatoren ge erreichen: Zum einen sollen vor allem auch Frauen an- wichtig. Wir lassen sie damit nicht allein. Gemeinsam mit gesprochen werden, denn sie leisten einen besonderen Bei- dem Integrationsministerium gibt es regelmäßige Informa- trag zur Integration ihrer Kinder und unterstützen sie auf tions- und Arbeitstreffen. Nicht vergessen dürfen wir auch, ihrem Bildungsweg. dass eine gelungene Willkommens- und Anerkennungskul- (Beifall der Abg. Claudia Ravensburg (CDU)) tur Diskriminierung und Extremismus vorbeugen kann. Gerade in einer Zeit zunehmender rassistisch motivierter Gleichzeitig machen wir es damit möglich, zusätzlich zu Gewalt müssen wir entschlossen handeln und dafür sorgen, den Sprachkursen auch die Kinderbetreuung während der dass die Menschen, die hierher geflüchtet sind, in unserer Kurse zu finanzieren, um noch mehr Frauen und Müttern Gesellschaft erfolgreich aufgenommen werden. den Zugang zu erleichtern. Ich denke, eines ist hier deut- lich geworden: Hessen hat im Bereich der Integrationspoli- Doch jede Stadt und Gemeinde hat ihre Struktur, spezielle tik bereits viel getan und setzt sich dafür weiterhin uner- Wohngebiete oder Stadtteile. Daher ist es wichtig, dass die müdlich ein. Hessen ist und bleibt Integrationsmotor. Dar- Konzepte auch darauf abgestimmt sind. Es müssen Mög- auf können wir alle stolz sein. lichkeiten für die Begegnung von Menschen geschaffen werden und Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Nur (Zuruf von der CDU: Sehr gut!) dann kann so eine große Herausforderung langfristig gelin- gen und Diskriminierung vorgebeugt werden. Ich bin der Jeder kann sich in unserem Land frei entfalten und an der festen Überzeugung, dass dieses Programm genau diese Gesellschaft teilhaben, unabhängig von Herkunft und Reli- Möglichkeiten bietet und extremistischen Strömungen ent- gion. Mit den beschriebenen Maßnahmen und mit der er- gegenwirkt. Menschen, die wir fest in unsere Gesellschaft neuten finanziellen Aufstockung des Programms WIR tra- einbinden und denen wir das Gefühl des Willkommenseins gen wir wesentlich dazu bei. geben, sind immun gegenüber extremistischen Anschauun- Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich mei- gen. nen Dank aussprechen. Die Kommunen leisten vor Ort Ein neuer Kernpunkt der zusätzlichen Förderung sind die sehr viel, um Integration erfolgreich zu gestalten. Auch neu geschaffenen WIR-Fallmanager für Flüchtlinge. Sie den zahlreichen ehrenamtlichen Menschen, die sich in der sollen einen Überblick über die bestehenden Angebote ge- Integrationsarbeit engagieren, möchte ich danken. Ihnen ben und auf kommunaler Ebene Lotsen- bzw. Patennetz- allen gelten mein Dank und mein größter Respekt. Meine werke aufbauen. Gemeinsam mit den WIR-Koordinatorin- Damen und Herren, es kommt nicht darauf an, wo du her- nen und -Koordinatoren wollen wir dafür sorgen, dass sich kommst, sondern wo du hin willst. – Vielen Dank für die die Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund Aufmerksamkeit. bei uns wohlfühlen und sich zurechtfinden. Migranten, die (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE über ihre Arbeitsleistung einen wichtigen Beitrag zur Ge- GRÜNEN) sellschaft leisten, müssen sich in unserem Land wohlfüh- len, damit sie sich über ihre Arbeit hinaus an der Gesell- schaft beteiligen. Das und ein positives Lebensgefühl müs- Vizepräsidentin Ursula Hammann: sen wir fördern. Mit der Erweiterung des Landespro- Vielen Dank, Herr Kollege Tipi. – Als nächster Redner gramms wollen wir genau das erreichen. Personal, innova- spricht nun Kollege Di Benedetto von der Fraktion der tive Projekte, Sprachförderung und die Qualifikation eh- SPD. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort. renamtlicher Integrationslotsen gehören dazu. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Corrado Di Benedetto (SPD): Bereits im Jahr 2016 haben wir mit dem Programm „Mit- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich kann es Sprache – Deutsch4U“ eine Möglichkeit geschaffen, Ihnen nicht ersparen, aber ich muss jetzt doch eine andere Flüchtlingen besonders niedrigschwellig und lebenswelt- Platte auflegen. nah die deutsche Sprache zu vermitteln. Damit bilden wir (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Dr. Ulrich eine Ergänzung zu den Integrationskursen des Bundes für Wilken (DIE LINKE): Das ist auch gut so!) diejenigen, die sich dauerhaft und rechtmäßig in Hessen aufhalten und keinen Anspruch auf Förderung oder keine Dass es vonseiten der Regierungskoalition zu einer deutli- Zulassung zu den Bundesintegrationskursen haben. Wir chen Ausweitung des integrationspolitischen Landespro- wollen eine nachhaltige Verbesserung der Integrations- gramms WIR kommen musste, haben wir Sozialdemokra- chancen erreichen. Denn klar ist auch, meine Damen und ten schon geahnt. Mit Blick auf die Handlungsempfehlun- Herren: Beherrscht man die Sprache seiner neuen Heimat gen und Ergebnisse der Enquetekommission „Migration nicht, kann es zu Parallelgesellschaften kommen. Sie wür- und Integration“, die bereits in der letzten Legislaturperi- den sich zurückziehen und unter sich bleiben. Das halte ich ode eine sehr gute Arbeit geleistet hat, ist es in der Tat an nicht nur für falsch, sondern auch für sehr gefährlich. Das der Zeit, insgesamt die Integrationspolitik unseres Bundes- sind Brutherde für Konflikte, Diskriminierung und Extre- landes bei allen bisher erzielten Fortschritten den reellen mismus. Deswegen dürfen wir die Bedeutung der Sprache Gegebenheiten anzupassen. nicht unterschätzen. Sie ist einer der wichtigsten Schlüssel (Beifall bei der SPD) zur Integration. Es ist sogar höchste Zeit, gerade wenn man die vergange- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE nen eineinhalb Jahre Revue passieren lässt, die für uns GRÜNEN) wahrlich nicht einfach waren, auch in diesem Hause nicht. Mit der Aufstockung der Mittel auf insgesamt 2,7 Millio- Wir haben in diesem Landtag parteiübergreifend, gerade nen € für das Sprachförderprogramm wollen wir zwei Din- vor dem Hintergrund dieser schwierigen Zeit, immer wie- der und, wie ich finde, auch zu Recht hervorgehoben, dass 6976 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 wir die integrationspolitischen Fehler der vergangenen Landtag hätte ganz bestimmt keine Enquetekommission Jahrzehnte nicht wiederholen wollen. Wie soll es das Land „Migration und Integration“, erst recht nicht mit den Stim- Hessen allein durch die schwarz-grün angelegte Projektitis men aller Fraktionen in diesem Hause, beschlossen und verhindern, nicht schon wieder in dieses Fahrwasser zu ge- eingesetzt, wenn es nicht schon lange vor den Neuzuzügen raten? in unserem Bundesland große Integrationsdefizite gegeben hätte. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Wer in Sachen Migration und Integration mittel- und lang- fristig positive Veränderungen für die Gesamtgesellschaft Wir haben uns nachvollziehbarerweise in den vergangenen erwirken will, muss zuallererst und ein für alle Mal weg eineinhalb Jahren auf die Flüchtlinge konzentriert. Dabei von dieser unsäglichen Projektitispraxis. Integrationsarbeit haben wir die sogenannten Bestandsausländer mehr oder muss auf Dauer angelegt werden. Es dürfen nicht immer weniger aus dem Blick verloren. Das will ich auch selbst- wieder scheinbar neue Modellprojekte aus dem Hut gezau- kritisch anmerken. bert werden, die als „passende Instrumente mit innovativen (Beifall des Abg. René Rock (FDP)) Ansätzen“ – was auch immer damit gemeint ist – verkauft werden, die am Ende gar nicht nachhaltig sein können. Das müssen wir wieder aufgreifen. Allerdings brauchen wir eine andere, neue Strategie, die nachhaltig wirken (Beifall bei der SPD) muss. Meine Fraktion hat deshalb versucht, im Dezember- Natürlich begrüßt meine Fraktion die notwendige Auf- Plenum eine Diskussion über einen Hessenplan nach Zinns stockung der Mittel für das Programm WIR. Ich will hin- Vorbild anzustoßen, um die eigentliche Dimension der an- zufügen, dass es in Ihrem Entschließungsantrag im Grunde stehenden Herausforderungen in unserem Bundesland auf- fast nichts gibt, was wir nicht mittragen könnten. Das ha- zuzeigen. ben wir aber auf unterschiedlichste Weise in den verschie- (Beifall bei der SPD) densten Gremien, Beiräten, Gipfeln und Kommissionen al- les schon durchgekaut. Wir können in Ihrem Antrag beim Leider sind wir mit unserem Ansinnen gescheitert. Den- besten Willen nichts Neues finden. Vor allem können wir noch kann ich Ihnen sagen, dass wir in Hessen früher oder keine Strategie erkennen, die den anstehenden Herausfor- später darauf zurückkommen werden müssen, auf welche derungen als Ganzes gerecht werden soll. Weise auch immer. Da ist es mit der Ausweitung des WIR- Programms ganz gewiss nicht getan. In Ihrem Antrag steht: (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Die gelingende Gestaltung von Migration und Inte- gration ist mitentscheidend für den Zusammenhalt Meine Damen und Herren der Koalition, ich kann es auch und die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen nicht glauben, wenn Sie in Ihrem Antrag über die Auswei- Perspektiven unserer Gesellschaft. tung des WIR-Programms von einem „zentralen Bestand- teil hessischer Integrationspolitik“ sprechen, aber dabei die Mit anderen Worten: Sie drücken mit dieser Passage aus, Migrationsdienste völlig außen vor lassen. Diese Dienste dass es um nichts Geringeres geht als um die Zukunft un- werden darin nicht ein einziges Mal erwähnt, nicht einmal seres Landes und dass sie im Wesentlichen davon abhän- wenn es um die notwendige und koordinierte Zusammen- gig ist, wie wir, gerade vor dem Hintergrund der Entwick- arbeit der integrationspolitischen Akteure vor Ort geht. lung der vergangenen Monate, Migration und Integration Das ist letztendlich schlicht das Ziel des Landespro- gestalten und organisieren. – Meine Damen und Herren der gramms. Dies ist für mich einfach unfassbar. Koalition, so verstehe ich Sie. Diese Sichtweise teilen mei- ne Fraktion und ich uneingeschränkt. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Ich muss Sie leider auch daran erinnern, dass im Zuge der „Operation düstere Zukunft“ von heute auf morgen in einer Es stellt sich uns nur die Frage, ob wir zur Bewältigung Nacht-und-Nebel-Aktion und ohne Not die Migrations- dieser epochalen Aufgabe, wie sie auch so oft in diesem dienste hessenweit auf brutalstmögliche Weise beschnitten Hohen Haus beschrieben worden ist, adäquat gerüstet und worden sind. Sie mussten massiv abgebaut werden, weil aufgestellt sind. Dazu sagen wir Sozialdemokraten: Nein, das Land Hessen nicht mehr bereit war, die bescheidenen das sind wir nicht, trotz aller erfreulichen Fortschritte, die Komplementärmittel zur Verfügung zu stellen. Somit ha- ich keineswegs kleinreden will. – Herr Sozialminister, das ben Sie bewusst auf die bis dahin jahrzehntelang garantier- sage ich ganz bewusst. te Hauptfinanzierung des Bundes verzichtet. Meine Damen und Herren der Koalition, es ist gerade Ihr (Beifall bei der SPD und der LINKEN) heutiger Antrag, der offenbart, dass unser Bundesland inte- grationspolitisch im Grunde genommen hinterherhängt. Meine Damen und Herren, wenn wir uns ernsthaft den in- Dass es nahezu zu einer Verdreifachung der Mittel für das tegrationspolitischen Herausforderungen der kommenden Programm WIR innerhalb einer relativ kurzen Zeit gekom- Jahrzehnte stellen wollen und dabei sowohl den Zusam- men ist, bedeutet doch nichts anderes, als dass die bisher menhalt und das Wohl aller in unserem Land lebenden bereitgestellten Ressourcen und vor allem die Strategien Menschen als auch unsere Ökonomie berücksichtigen wol- nicht ausreichend bzw. nicht richtig waren und es immer len, so muss in allererster Linie alles dafür getan werden, noch nicht sind. im weitesten Sinne die Regelangebote weiterzuentwickeln, zu stärken und zu verstetigen. Da ist es mit gut gemeinten (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Projektchen hier und dort nicht getan. Meine Damen und Herren, sie hätten auch dann nicht aus- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) gereicht, wenn wir nicht die hohe Zahl der Zuzüge der ver- gangenen eineinhalb Jahre nicht gehabt hätten. Der letzte Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6977

Unser Land ist künftig weiterhin auf inner- und außereuro- verdeutlichen, wie wichtig eine zukunftsgerichtete Integra- päische Zuwanderung angewiesen – sowohl aus demogra- tionspolitik in Hessen ist. fischer Sicht als auch aus Gründen der Fachkräftesiche- Diese Politik muss Diskriminierungen beseitigen. Sie muss rung. Ich glaube, dass das in diesem Haus unbestritten ist. inklusiv angelegt sein, um die volle gesellschaftliche Teil- Da braucht es feste Strukturen, die auf Dauer angelegt und habe von Migrantinnen und Migranten zu ermöglichen. natürlich auch finanziert werden müssen, um Integration Das ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit. Es ist auch erfolgreich zu gestalten. eine Frage der Demokratie. Denn Gleichheit und Bürger- Ein bisschen musste ich schmunzeln, als ich diesen Ent- rechte sind Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. schließungsantrag zum ersten Mal bekommen habe. Ich (Beifall bei der LINKEN) musste daran denken, dass das Land Hessen schon 2015 die Integrationskonferenz eingerichtet hat – eine, wie ich – Ja, da kann man klatschen. – Angesichts der demografi- finde, gute Einrichtung, um endlich zu Potte zu kommen. schen Situation und der weiteren demografischen Entwick- Der Auftrag dieser Integrationskonferenz war und ist, lung in Hessen sind Integration und Teilhabe auch unver- einen Integrationsplan zu erstellen. Die Integrationskonfe- zichtbar für den gesellschaftlichen Frieden im Land. renz hat im vergangenen Jahr – ich denke, es war Mitte vergangenen Jahres – einen Entwurf abgegeben. Er sollte Viele Helferinnen und Helfer leisten auf kommunaler Ebe- Ende des letzten Jahres in den Ressorts überarbeitet und ne einen unentbehrlichen Beitrag, um die gesellschaftliche dann gegebenenfalls hier eingebracht werden. Mein Ein- Teilhabe von Migrantinnen und Migranten zu fördern. Sie druck ist – das werde ich einfach nicht los –, dass dieser unterstützen beim Spracherwerb, beim Gang zum Arzt, in Setzpunkt auch ein bisschen davon ablenken will, dass wir der Schule, bei Behörden oder bei der Qualifizierung für hier mit dem notwendigen Integrationsplan, aus welchen den Arbeitsmarkt. Sie tun es vielfach ehrenamtlich und op- Gründen auch immer, nicht zu Potte kommen. fern einen großen Teil ihrer Freizeit für die Integration die- ser Neuhessinnen und Neuhessen. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN) Wenn in Hessen überhaupt von Willkommenskultur die Rede sein kann, dann leistet das dieses bürgerschaftliche Ich habe selbst in einigen Arbeitsgruppen mitgearbeitet. Engagement vor Ort, das nach wie vor ungebrochen ist. Ich weiß, dass es Knackpunkte gibt, die für bestimmte Bei diesen engagierten Menschen möchte ich mich bei die- Fraktionen schon schmerzlich sind – Stichwort: kommuna- ser Gelegenheit herzlich bedanken. les Wahlrecht oder die Forderung nach einem Landes-An- tidiskriminierungsgesetz. (Beifall bei der LINKEN) Das Landesprogramm WIR kann auf der kommunalen Ebene eine Unterstützung sein. Das wollen wir gar nicht Vizepräsidentin Ursula Hammann: bestreiten. Mit den bereitgestellten Fördermitteln können Herr Kollege, Sie müssten zum Ende kommen. ehrenamtliche Netzwerke gestärkt und institutionalisiert werden. Das zentrale Problem des Landesprogramms ist aber die Corrado Di Benedetto (SPD): fehlende politisch-konzeptionelle Einbettung der bereitge- Vielen Dank, Frau Präsidentin, ich komme gleich zum stellten Fördermittel. Das hat die LINKE schon vor zwei Schluss. Jahren moniert, als der fast gleiche Antrag hier diskutiert wurde. Wir als Fraktion werden – das kann ich Ihnen garantieren – weiterhin auf die Zusammenarbeit mit Ihnen setzen, ver- Nach wie vor ist das Programm auf der Suche nach Mo- trauensvoll und auch konstruktiv und verantwortungsvoll, dellprojekten oder nach Projekten mit neuen innovativen und sind deshalb auch ein bisschen irritiert, dass wir bei Ansätzen. Dabei muss man eigentlich gar nicht viel tun, dem Aktionsprogramm II gar nicht gefragt worden sind, um die strukturellen Defizite zu erkennen, die einer sozia- obwohl alle gelobt haben, dass wir das erste Programm ge- len und gesellschaftlichen Teilhabe von Migrantinnen und meinsam auf den Weg gebracht haben. Ich glaube, das hät- Migranten entgegenstehen. Im Bildungsbereich und auf te nicht sein müssen. Wie gesagt, wir haben bis heute noch dem Arbeitsmarkt sind Migrantinnen und Migranten er- keine Antwort, warum das so kommen musste. – Ich danke heblich benachteiligt. Auch das Armutsrisiko ist wesent- Ihnen für die Aufmerksamkeit. lich höher als bei Menschen ohne Migrationshintergrund. (Anhaltender Beifall bei der SPD und der LINKEN) Leider ist Hessens Bildungssystem nicht wirklich in der Lage, so etwas wie Chancengerechtigkeit herzustellen. Nach wie vor hängt der Bildungserfolg stark von der sozia- Vizepräsidentin Ursula Hammann: len Herkunft ab. Danke, Herr Kollege Di Benedetto. – Als nächste Rednerin Wie erreichen wir aber ein inklusives Schulsystem, das die spricht nun Frau Kollegin Faulhaber von der Fraktion DIE diskriminierend wirkende Mehrgliedrigkeit überwindet? LINKE. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort. Wie können wir eine bessere Sprachförderung anbieten, insbesondere auch in der Muttersprache? Wie kriegen wir eine Betreuung von unter Dreijährigen hin, die auch Kin- Gabriele Faulhaber (DIE LINKE): dern aus sozial benachteiligten Familien den Besuch von Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Von den Kindertagesstätten ermöglicht? – Hier liegen – um nur ein knapp 6 Millionen Hessen sind ein Viertel Menschen mit paar Beispiele zu nennen – Reformansätze für mehr Bil- einem sogenannten Migrationshintergrund. In den jüngsten dungs- und Chancengleichheit in Hessen. Altersgruppen gibt es sogar deutlich mehr Migrantinnen (Beifall bei der LINKEN) und Migranten. Diese Zahlen zur Bevölkerungsstatistik 6978 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

In dem Antrag der Regierungsfraktionen hätte ich dazu (Beifall bei der LINKEN) auch gern ein paar Zeilen gelesen. Schaffen Sie keine unsichtbaren Mauern um die Ballungs- Das Förderprogram WIR wird diesen Herausforderungen räume. Zuzugsverbote und Wohnsitzauflagen sind diskri- nicht gerecht. Es ist ein großes Problem in Hessen, dass die minierend und behindern die Integration. Es ist richtig, Landesregierung hier ihrer Pflicht nicht wirklich nach- dass bezahlbarer Wohnraum knapp ist. Aber die Folgen der kommt, sondern Lösungen aktueller Probleme der Einwan- verfehlten Wohnungspolitik der vergangenen Jahrzehnte derungsgesellschaft an kommunale Akteure delegiert. Die dürfen nicht auf dem Rücken von Migranten ausgetragen Integrationspolitik des Landes darf sich aber keinesfalls werden. auf die Förderung kommunaler Projekte beschränkten, mö- (Beifall bei der LINKEN) gen sie auch noch so innovativ sein. Daher meine Bitte und Aufforderung an die Landesregie- Die Integrationspolitik des Landes muss ein Gesamtkon- rung: Wenn Sie es ernst meinen mit der Integration, dann zept haben, das auf Chancengleichheit abzielt. Sie muss als verhindern Sie die diskriminierenden Wohnsitzauflagen. Querschnittsaufgabe in die Sozial-, Bildungs- und Innen- Machen Sie sich Gedanken, wie strukturelle Benachteili- politik eingebettet sein. Sonst kann Integration nicht funk- gungen von Migrantinnen und Migranten angegangen wer- tionieren. den können, und stecken Sie mehr Zeit und Geld in huma- (Beifall bei der LINKEN) nitäre Aufnahmestrukturen statt in rücksichtslose Abschie- bepolitik. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Das Landesprogramm WIR ist ganz offensichtlich das Flaggschiff schwarz-grüner Integrationspolitik. Hier ist (Beifall bei der LINKEN) ganz sicher auch so etwas wie eine grüne Handschrift zu erkennen. Es verwundert daher nicht, dass wir heute auf Antrag der Regierungsfraktionen zum zweiten Mal über Vizepräsidentin Ursula Hammann: das Programm sprechen. Vielen Dank, Frau Kollegin Faulhaber. – Als nächster In Zeiten, in denen das grüne Selbstverständnis als Men- Redner spricht nun Kollege Hahn von der FDP-Fraktion. schenrechtspartei leidet, weil auch diese grüne Landtags- Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort. fraktion Menschen in Kriegsgebiete abschiebt, verstehe ich sehr gut, dass die GRÜNEN nun dieses Förderprogramm hochhalten wollen. Offensichtlich soll auf diese Weise Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): nach außen suggeriert werden: Auch wenn wir Menschen Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in Lebensgefahr und existenzielle Not schicken, tun wir Situationen in einer knapp 30-jährigen hauptberuflichen dennoch etwas für Migrantinnen und Migranten. Tätigkeit in diesem Landtag, in denen man ein bisschen in Aber die Aufstockung des Landesprogramms WIR kann das dankbare Schmunzeln kommt. Das ist für mich jetzt nicht über die inhumanen Auswüchse der hessischen Asyl- gerade so eine Situation. Ich freue mich schon, dass die politik hinwegtäuschen. derzeit regierende Koalition von CDU und GRÜNEN das Programm, das in meiner Verantwortungszeit begonnen (Beifall bei der LINKEN) wurde, nicht nur lobt, sondern es intensiv ausgebaut hat. Viele Menschen in Hessen sind verunsichert, weil sie Ich will jetzt auch gar keine Vaterschaftstests machen, Angst haben, die nächsten Opfer einer Massenabschiebung (Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD)) zu sein. Schulkinder haben Angst, weil Hessen keine Skru- pel hat, aus der Schule heraus abzuschieben. In einem sol- sondern an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Gäbe es den chen Klima der Angst kann keine Integrationspolitik funk- ehemaligen Leiter der Abteilung Integration, Herrn Dr. tionieren. Kindermann, nicht, gäbe es nicht das WIR-Programm. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP – Karin Wolff (CDU): Das stimmt! – Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken über- Wir fordern daher die Landesregierung auf: Stoppen Sie nimmt den Vorsitz.) Ihre Politik der Massenabschiebungen, und schaffen Sie ein Klima des Vertrauens, damit sich Zugewanderte bei Es war seine Idee gewesen, wie wir ab dem Jahre 2009 zu- uns willkommen und sicher fühlen können. nächst die inhaltlichen Vorgaben organisieren mussten. Es lag leider nicht viel vor, sodass wir mit dem Prinzip der (Beifall bei der LINKEN) Modellregion Integration erst einmal in 6 plus 1 Zonen – Zuletzt möchte ich hier noch ein Problem ansprechen, das das 6 plus 1 sind Hanau und der Main-Kinzig-Kreis – eine ebenfalls der Integration wesentlich im Wege steht. Mit Best-Practice-Arbeit machen mussten, um dann die Ergeb- dem im August 2016 in Kraft getretenen Integrationsgesetz nisse, von Hochschulen evaluiert, umzusetzen und landes- wurde die Freizügigkeit anerkannter Flüchtlinge massiv weit mit dem WIR-Programm auszurollen. eingeschränkt. Anerkannte Flüchtlinge sind nun verpflich- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage aus- tet, drei Jahre lang in dem Bundesland zu wohnen, in das drücklich Danke an die Mannschaft, die das unter Dr. Kin- sie zugewiesen worden sind. Die Landesregierung kann dermann erarbeitet hat und sich intellektuell überlegt hat. hier noch weitere landesrechtliche Regelungen treffen. Davon profitieren wir jetzt natürlich in einer besonderen Flüchtlinge können z. B. verpflichtet werden, an einem Situation, die mit den Flüchtlingen zusammenhängt. Mein ganz bestimmten Ort zu wohnen oder an einem Ort eben Bedürfnis ist es, dies noch einmal ausdrücklich zu sagen, nicht zu wohnen. weil auch Minister und Staatssekretäre immer nur so gut Wir fordern die Landesregierung deshalb auf, keine lan- sind, wie es ihre verantwortlichen operativen Berater sind. desrechtliche Regelung zu erlassen, die die Freizügigkeit Das war in diesem Fall der ehemalige Abteilungsleiter. Ich von Flüchtlingen weiter einschränkt. bin ein bisschen traurig darüber, dass diese Vorgeschichte Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6979 von meinem ehemaligen Koalitionspartner, lieber Ismael (Beifall bei der FDP und des Abg. Turgut Yüksel Tipi, noch nicht einmal in einem Satz, noch nicht einmal in (SPD)) einem Wort, zitiert wurde. Ich will nicht sagen, dass es zwei verschiedene Paar Schu- (Günter Rudolph (SPD): Aus den Augen, aus dem he sind. Aber Sie wissen, dass ich in Hessen Anfang der Sinn!) Siebzigerjahre Mengenlehre lernen musste, und die sich überschneidenden Teilmengen sind da sehr überschaubar. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Herrn Bocklet, der das Es sind verschiedene Aufgaben – ich will jetzt nicht „Pro- ehrlicherweise am Anfang gesagt hat. Liebe Kollegen von bleme“ sagen –, die zu erfüllen sind. der Union, ich habe das Gefühl, wir müssen uns überlegen, dass das, was gerade von Ihrer Seite geprobt wird, nämlich Also: bitte nicht immer wieder auch in der öffentlichen die gemeinsamen Leistungen der Regierungszeit von 2009 Kommunikation die Reduzierung ausschließlich auf die bis 2013 schlicht auszublenden, nicht gerade der Stil ist, Flüchtlinge. Da muss auch etwas getan werden – vollkom- der zu der Abteilung Respekt gehört, den die Landesregie- men klar. Aber die Hauptaufgabe liegt vor der Flüchtlings- rung doch gerade auf den Gipfel ihrer neuen Argumentati- welle und nach der Flüchtlingswelle bei denjenigen, die on gesetzt hat. schon in zweiter und dritter Generation in Hessen sind und schon zu Hessen gehören, aber leider nicht überall mitma- (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Walter chen können. Arnold (CDU)) (Beifall bei der FDP) Viele Sachen sind sehr gut. Lassen Sie mich deshalb, ohne dass ich jetzt hier groß herumkritteln will – den Eindruck Dritte Bemerkung. Es gibt zu viele Gipfel. will ich nicht vermitteln, das sage ich vorneweg –, auf (Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD)) zwei, drei Themen hinweisen, wo nach meiner Meinung noch ein bisschen mehr gemacht werden könnte. Das eine Es gibt zu viel Parallelarbeit. Ich muss Ihnen gestehen, ir- ist das Thema frühkindliche Bildung. Ich nehme das be- gendwann haben der Kollege Rock und ich, weil wir uns wusst an den Anfang. Sie wissen, Kollege Rock hat heute, das, wie Sie merken, ein bisschen aufteilen, gar nicht mehr als das auch schon einmal diskutiert worden ist, darauf hin- gewusst, zu welchem Themenbereich das jetzt gehört: ob gewiesen, dass so früh wie möglich die Chance genutzt da der Flüchtlingssprecher Rock oder der Integrationsspre- werden muss, dass die Kinder altersgerecht Deutsch kön- cher Hahn zuständig ist. Denn die Tagesordnungen waren nen. auch fast immer identisch. Ich will ein bisschen flapsig for- mulieren: Ob man nun zum Flüchtlingsgipfel ging oder ob Das gilt natürlich nicht nur für die Flüchtlingskinder, son- man nun im Integrationsbeirat saß – it’s the same procedu- dern noch viel mehr für die Kinder von Migrantenfamilien re. Aber leider nicht jedes Jahr, sondern alle drei Monate in der zweiten und dritten Generation. Wir haben dort – oder so. das haben die Statistiken immer wieder bewiesen – das Problem, dass insbesondere, aber nicht nur bei türkeistäm- So wirklich viel Spaß macht das jedenfalls dann auch nicht migen Mitbewohnern in unserem Lande die Deutschkennt- mehr. Wenn teilweise die Vorlagen – ich kann mich an ei- nis in der Kindheit nicht altersgerecht ist. Dagegen müssen ne erinnern, eine hervorragende Vorlage der Handwerks- wir etwas unternehmen; denn wenn die Schultüte aus der kammer von meinem Freund Bernd Ehinger – überall auf- Hand gelegt wird, es in der ersten Klasse an die Arbeit tauchen, merkt man, dass irgendwo die Übersicht ein geht und man nicht altersgerecht Deutsch versteht, dann ist bisschen verloren gegangen ist. Also: weniger Gipfel, mehr man nicht nur in Deutsch nicht gut, sondern eigentlich konkrete Arbeit. überall – es sei denn, man macht Sport oder betreibt ein Musikinstrument. Dann der vierte Punkt: eine um Längen intensivere Ver- zahnung mit den Kommunen. Ich weiß, wovon ich spre- Es ist doch vollkommen klar: Wenn ich nicht richtig ver- che. Gerade heute Morgen beim Kaffee oder Tee hat mir stehe, dann kann ich auch Mathematik oder Rechnen nicht die Sozialdezernentin einer 33.000-Einwohner-Stadt noch richtig verstehen, dann kann ich das und das und das nicht einmal gesagt: „Sag doch bitte mal, dass wir in den Kom- richtig verstehen. Ich bin sehr traurig darüber: Wir – gera- munen eigentlich fast nichts abbekommen“. Ich rede jetzt de Kollege Grüttner und ich – hatten in der letzten Legisla- nicht von den Kreisen. Da ist die Situation offensichtlich turperiode immer ein bisschen dafür gekämpft, dass Bil- um Längen besser. Aber so eine kleine Kommune wie Bad dungssysteme und auch Vergleichbarkeiten für Kinder im Vilbel kriegt eigentlich von dem ganzen Segen nichts ab, frühkindlichen Alter intensiver eingesetzt werden müssen. außer dass sie die Flüchtlinge hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, was Das kann auch nicht das Richtige sein. Deshalb meine ich als Liberaler, als Freier Demokrat jetzt sage. Aber ich herzliche Bitte: Denken Sie nicht nur an die Kommunalen könnte mir vorstellen: Wenn das altersgerechte Deutsch Spitzenverbände, sondern denken Sie auch an die Mitglie- bei einem viereinhalb- oder fünfjährigen Kind nicht vor- der der Kommunalen Spitzenverbände, auch wenn in die- handen ist, könnte man auch eine Kindergartenpflicht ein- sem Falle mein Bürgermeister auch gleichzeitig erster führen. Das Kind muss die Möglichkeit dazu haben, alters- stellvertretender Präsident des Hessischen Städte- und Ge- gerecht Deutsch zu lernen. Das kann es nicht, wenn die El- meindebundes ist. tern das Kind nicht mit diesem Angebot konfrontieren. Eine letzte Bemerkung, zu der mich Kollege Di Benedetto (Beifall bei der FDP) veranlasst hat: Sie wollen immer Weihrauch schwenken. Das habe ich schon vom Kollegen Joseph Martin Fischer Zweites Thema. Das habe ich eben indirekt schon ange- vor knapp 30 Jahren gelernt, dass das eine besonders kluge sprochen: Bitte verkürzen Sie die Integrationsarbeit nicht Art der Politik sei. Meine sehr verehrten Damen und Her- auf die Flüchtlingsproblematik. Das ist so was von falsch. ren, aber den eigenen Weihrauch sollte man wenigstens da- zustellen, und das ist die Arbeit der Enquetekommission. 6980 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Wir hatten in der letzten Legislaturperiode eine intensive angenommen und umgesetzt werden. An der Stelle ist auch Auseinandersetzung in diesem Hause unter der Leitung die Enquetekommission nicht vergessen. von Herrn Banzer. Sie als Parlamentarier – in der letzten Eine dieser Fortschreibungen ist, dass man in der vergan- Legislaturperiode war meine Rolle ein bisschen anders – genen Legislaturperiode Integrationskonferenzen einge- haben in dieser Enquetekommission entsprechende Vor- richtet hat. Eine der wesentlichen und wichtigsten Fortent- stellungen und Ideen aufgeschrieben. wicklungen an dieser Stelle unter Verantwortung von Dass keiner der beiden Redner der Regierungsfraktionen Herrn Dreiseitel ist, dass wir über diese Integrationskonfe- auch nur ansatzweise das Wort in den Mund genommen renzen zur Erarbeitung eines Integrationsplans kommen. hat, macht mir deutlich, dass Sie es offensichtlich entweder Seien Sie gewiss, er wird in den nächsten Wochen und vergessen haben oder nicht als so wichtig empfinden, wie Monaten entsprechend präsentiert werden. Dann kann man ich, wie es die Freien Demokraten tun. sich auch damit auseinandersetzen. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Ernst-Ewald Insofern gibt es keine Modelleritis. Es kann auch schon Roth und Gerhard Merz (SPD)) keine Modelleritis sein, weil viele der Maßnahmen auf Dauer angelegt sind. Sie können nicht, wenn Sie spezielle Langer Rede kurzer Sinn: Es ist auch von dieser Regierung Arbeitsmarktförderprogramme zur Integration auflegen, ein weiterer Fortschritt in der ehemals brachliegenden Inte- sagen, dass das nur ein Modell ist. Diese Programme lau- grationsarbeit in unserem Lande erfolgt. Das Wichtigste fen vielmehr über mehrere Jahre, weil schlicht und einfach ist, sich um die Menschen, die in der zweiten und dritten die Ausbildungszeit eine entsprechende Dauer hat. Inso- Generation hier wohnen, zu kümmern; denn sie sind viel fern ist an dieser Stelle eine hohe Konstanz. mehr. Die Flüchtlinge müssen anders integriert werden, wenn überhaupt. Viele bleiben nicht hier. An einer Stelle gebe ich Herrn Hahn auch recht. Wir dür- fen die Integration – das machen wir an diesem Punkt auch Bitte machen Sie eine intensivere Arbeit in der frühkindli- nicht – nicht ausschließlich auf die Flüchtlinge konzentrie- chen Bildung, weniger Gipfel und mehr mit den Kommu- ren. Herr Di Benedetto hat den Begriff Bestandsausländer nen zusammen. Dann würden wir mit noch größerer Über- gebracht. Das gefällt mir. – Genau das ist der Punkt. Des- zeugung Ihrem Antrag zustimmen. – Vielen herzlichen wegen führt eine Weiterentwicklung des Programms WIR Dank. dazu, dass wir genau den Ursprung nicht vergessen, son- (Beifall bei der FDP) dern ihn verstärken, aber zusätzlich neue Herausforderun- gen annehmen, und dabei spielt die Verzahnung mit den Kommunen sicherlich eine Rolle. Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Noch zwei Sätze im allgemeinen Bereich. Ich möchte dar- Danke, Herr Hahn. – Für die Landesregierung erteile ich auf eingehen, weil das eine Diskussion ist, die ich mit Herrn Staatsminister Grüttner das Wort. Jörg-Uwe Hahn schon mehrfach geführt habe. Er kennt meine Auffassung zu einer Kindertagesstättenpflicht. Wir brauchen an dieser Stelle nicht auszudiskutieren, dass ich Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: das ablehne. Aber natürlich ist ein entscheidender Punkt Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! der Integrationsarbeit die Sprachförderung in den Kinder- Ich will ein paar allgemeine Bemerkungen am Beginn ma- tagesstätten. chen, würde dann aber darum bitten, dass der Herr Präsi- Es ist an dieser Stelle auch notwendig – deswegen muss dent Herrn Staatssekretär Dreiseitel, der das WIR-Pro- man sehen, was wir als Koalition jetzt auch beschlossen gramm im Wesentlichen weiterentwickelt hat, einiges dazu haben –, wenn wir Sprachstandserfassungen im Hinblick ausführen lässt. auf die Beschulungsfähigkeit machen, das auszudehnen auf Sehr geehrter, lieber Herr Kollege Hahn, es hätte nicht der Kinder, die in unseren Kindertagesstätten sind und für die Aufforderung bedurft; denn von mir wäre es gekommen, das obligatorische Instrument der Sprachstandserfassung um an dieser Stelle zu verdeutlichen, wie Integrationspoli- gar nicht greifen kann, weil sie nicht Deutsch können. tik in Hessen eine Tradition hat und wer an dieser Stelle Vielmehr müssen wir nach anderen Instrumenten und We- ganz entscheidend mitgewirkt hat, nicht nur bei der Erar- gen suchen, um hier Hilfestellungen in der Sprachvermitt- beitung des WIR-Programms. Dabei ist man immer ange- lung zu geben. Die notwendigen Haushaltsmittel haben wir wiesen auf gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber die dafür eingestellt. Tatsache des Aufbaus einer eigenständigen Abteilung, der Das ist keine Sache, die man einfach aus dem Ärmel schüt- Hervorhebung der Integrationsaufgabe im Ministeriumsna- telt, sondern da brauchen wir noch eine gewisse Zeit. WIR men, das ist auf Jörg-Uwe Hahn zurückzuführen. ist sozusagen die Klammer, mit dem vieles an dieser Stelle Weil es in dieser Frage eine konsequente Fortsetzung gibt, gemacht wird. – Mit Erlaubnis des Präsidenten kann der kann ich dem Punkt, den Herr Di Benedetto genannt hat, Herr Staatssekretär einmal darstellen, wie und mit welchen überhaupt nicht folgen, dass es an dieser Stelle eine Mo- Modellen wir im Moment weiter vorangehen. delleritis gibt, sondern wir haben eine Konstanz, und wir (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE haben einen Plan in unserer Integrationspolitik, deren GRÜNEN) Grund vor vielen Jahren gelegt worden ist und die fortge- schrieben wird. (Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Danke, Herr Grüttner. – Gerne komme ich der Bitte nach An dem Programm WIR sieht man das auch in aller Deut- und erteile Herrn Dreiseitel das Wort. lichkeit. Natürlich müssen auch neue Herausforderungen Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6981

Jo Dreiseitel, Staatssekretär im Ministerium für Sozia- Was diese Anteile angeht, sind wir damit seit einiger Zeit les und Integration: an der Spitze aller Flächenländer. Daraus leiten wir auch unsere besondere Verantwortung ab, diese Vielfalt für Vielen Dank, Herr Minister, vielen Dank, Herr Präsident. – Staat und Gesellschaft aktiv zu gestalten. Sehr geehrter Herr Hahn, meine Damen und Herren! Auch ich fühle mich herausgefordert, einige Vorbemerkungen zu Im Gegensatz zu Ihrer Aussage haben wir nicht nur die machen in Bezug auf Sie, Herr Di Benedetto. Nicht durch- Migranten im Blick. Vielmehr haben wir alle Menschen im gängig in Ihrer Rede, aber zu einem erheblichen Teil haben Blick und wollen Perspektiven eröffnen, und zwar völlig Sie meiner Meinung nach ein absolutes Zerrbild der Inte- unabhängig von der Herkunft, der Religion oder der Welt- grationswirklichkeit in Hessen dargestellt. anschauung. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und GRÜNEN) bei Abgeordneten der CDU) Wenn Sie davon reden, die Integration hinke in Hessen Alle sollen gleichberechtigt an der gesellschaftlichen Ent- hinterher, dann blenden Sie die Realität in allen anderen wicklung teilhaben. Niemand darf ausgegrenzt werden. Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland völlig aus. Wenn Barrieren bestehen, müssen sie überwunden werden. Es gibt hier, beispielhaft für ganz Deutschland, eine Fort- Dieser Integrationsprozess ist lang andauernd. Er funktio- schreibung des Aktionsplans zur Integration der Flüchtlin- niert nicht von selbst. Er muss weiterhin aktiv gestaltet und ge und – das ist mir wichtig – zum Zusammenhalt der Ge- gefördert werden. Unser Landesprogramm beschreibt das sellschaft. Der wurde, obwohl die Flüchtlingszahlen von Ziel: 75.000 im letzten Jahr auf etwas mehr als 20.000 zurück- gefallen sind, sogar um 300 Millionen € auf 1,6 Milliar- Vom IHR zum gemeinsamen WIR den € erhöht, um nicht nur für die Flüchtlinge die Regelan- gebote auszugestalten, zu verstetigen und, was Sie infrage Wir wollen eine gemeinsame Identität und das Gefühl der gestellt haben, weiterzuentwickeln. Zusammengehörigkeit entwickeln. Das 2014 eingeführte Programm stärkt die vertrauensvolle und enge Zusammen- Es gibt kein Bundesland, das wie wir in zehn zentralen ge- arbeit, die Partnerschaft mit den Kommunen und der Zivil- sellschaftlichen Bereichen so viel in die Menschen inves- gesellschaft. Gemeinsam und nicht nur mit Projekten set- tiert, die zu uns gekommen sind, aber auch in die einheimi- zen wir schwerpunktmäßig auf die Etablierung einer Kul- sche Bevölkerung. Wir haben mehrere Tausend Ar- tur des Miteinanders und der interkulturellen Öffnung der beitsplätze darüber neu geschaffen, vor allem im Bildungs- Verwaltung und der Vereine. bereich. Wer davon spricht, es gehe dabei nur um Projekte, der diskreditiert die vielfach qualitätsvolle Arbeit direkt Wir haben bisher schon mit diesem Programm vieles ge- vor Ort. leistet. Allen Sonderstatusstädten und kreisfreien Städten sowie den Landkreisen finanzieren wir an 33 Orten eine (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE WIR-Koordinationsfachkraft, die mit uns gemeinsam ein GRÜNEN) lokales Integrationsmanagement aufbaut. Wir fördern mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren jährlich 200 innovati- In den Kommunen findet genau das Gegenteil von Projek- ve Projekte unterschiedlichster gesellschaftspolitischer ten statt. Dort wird in engstem Schulterschluss mit dem Themen. Wir bieten niedrigschwellige Sprachkurse an. Land Hessen an der Veränderung der Strukturen gearbei- tet, an innovativen Entwicklungen jenseits von Projekten. Das ist das Hauptmerkmal unter anderem des WIR-Lan- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: desprogramms oder auch des Aktionsplans. Herr Dreiseitel, ich darf an die Redezeit erinnern. Wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten nicht die gesamte Mi- grantengesellschaft im Blick, da muss ich Ihnen widerspre- chen. Ich will beispielsweise den „Hessischen Integrations- Jo Dreiseitel, Staatssekretär im Ministerium für Sozia- monitor“ benennen, kürzlich wieder in der Fortschreibung les und Integration: veröffentlicht. 17 zentrale Bereiche Hessens mit 50 Indika- toren untersucht er seit vielen Jahren. Unter anderem wird Wir haben in diesem Bereich enorme Leistungen voll- dort festgestellt, dass die Menschen mit Migrationshinter- bracht. Ich bin dankbar, dass das Parlament die Verdreifa- grund in Hessen sich zu 97 % bei uns absolut wohlfühlen, chung der Mittel beschlossen hat. Ich bedanke mich bei im Vergleich zu 96 % der einheimischen Bevölkerung. Der den Mitgliedern aller Fraktionen. Denn während der Haus- Monitor stellt fest, es gibt überall, in allen Bereichen, keine haltsberatung im Dezember 2016 wurde diese Aufstockung Rückwärtsentwicklung, sondern eine stetige, wenn auch und Verdreifachung einstimmig gefasst. Das ist auch gut langsame Weiterentwicklung. Das sind ermutigende Signa- so. le. (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE NISSES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN) Weil ich schon über der Zeit bin und diese Projekte im De- Lassen Sie mich feststellen: Hessen ist schon lange ein tail bereits vorgestellt habe, will ich zusammenfassend Land der Vielfalt. Bei uns leben Menschen aus fast 200 feststellen: Das bundesweit einmalige WIR-Landespro- Nationen. 28,4 % unserer Bevölkerung sind Menschen mit gramm verfügt jetzt über neun statt wie bisher vier Säulen. Migrationshintergrund. Bei den 6- bis 18-Jährigen liegt der Es verstärkt die bisherige enge Partnerschaft des Landes Anteil bei über 43 %, bei den bis zu 6-Jährigen bei über mit den Kommunen und der Zivilgesellschaft. Es öffnet 48 %. sich jetzt für alle Bevölkerungsgruppen und damit auch für die Flüchtlinge. Es geht vor allem im Kernbestand auch um die unmittelbare Vermittlung unserer demokratischen 6982 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Werte und damit um den Zusammenhalt der Gesellschaft. Wolfgang Greilich (FDP): Wir werden weiterhin mit hoher Intensität für ein Gesell- Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! schaftsklima der gegenseitigen Wertschätzung und des Re- Die Gründer in Hessen sind mit der Politik unzufrieden. spekts arbeiten. So bewahren wir den sozialen Frieden und Der vom Bundesverband Deutsche Start-ups in der Grün- tragen zur Verhinderung von Parallelgesellschaften bei. derszene erhobene Befund zeigt, dass nur noch in Branden- Lassen Sie mich abschließend sagen: Unsere Integrations- burg die Gründer unzufriedener als jene in Hessen sind. politik ist dann besonders erfolgreich, wenn immer mehr Auch bei der Zahl der Gründungen bekleckert sich Hessen Bürgerinnen und Bürger davon überzeugt sind, dass nicht nicht mit Ruhm. In diesem Bundesland wurden nach dieser die Herkunft, sondern vor allem die gemeinsame Zukunft Untersuchung nur 5,4 % der gesamten Neugründungen in aller Menschen in Hessen zählt. Lassen Sie uns bitte frakti- Deutschland verzeichnet. Allein Hamburg kam auf 6,4 %. onsübergreifend an diesem Ziel arbeiten. – Herzlichen Die Stadt München kam auf 7 %. Dank. In Hessen dagegen stagniert die Zahl der Gewerbeanmel- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE dungen. Nach dem Report der Arbeitsgemeinschaft hessi- GRÜNEN) scher Industrie- und Handelskammern waren es im Jahr 2015 63.583. Es waren 63.583. Ich darf darauf hinweisen: Noch im Jahr 2010 wurden in Hessen mehr als 80.000 Ge- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: werbeanmeldungen registriert. Herr Staatssekretär, danke. – Mir liegen keine weiteren Das muss natürlich ein Weckruf, ein Alarmruf für uns alle Wortmeldungen vor. in diesem Haus sein. Das wird durch die Untersuchung des Das heißt, wir kommen zur Abstimmung über den Ent- Digitalverbandes Bitkom unterstrichen. Er hat in einer schließungsantrag Drucks. 19/4530. Wer dem Entschlie- Umfrage unter Deutschlehrern herausgearbeitet, dass rund ßungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das zwei Drittel aller Lehrer ihren Schülern davon abraten Handzeichen. – Das sind die Mitglieder der Fraktionen der würden, nach der Ausbildung ein innovatives Unterneh- CDU, der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer men zu gründen. Gerade einmal jeder vierte Lehrer würde lehnt ab? – Das tut niemand. Wer enthält sich? – Das sind eine Gründung unter bestimmten Umständen empfehlen. die Mitglieder der Fraktionen der SPD und der LINKEN. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Damit ist der Entschließungsantrag angenommen. Das ist ein schlechtes Zeichen für die Zukunftsfähigkeit Meine Damen und Herren, noch eingegangen und an Ihren unseres Landes. Daran müssen wir arbeiten. Deswegen ha- Plätzen verteilt ist der Dringliche Entschließungsantrag der ben wir Ihnen unseren Antrag vorgelegt. Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- treffend ausreisepflichtige Asylbewerber aus Afghanistan, (Beifall bei der FDP) Drucks. 19/4573. – Die Dringlichkeit wird bejaht. Damit Wenn wir die nächsten Gründergenerationen darin bestär- wird der Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungs- ken wollen, die Chancen freien Unternehmertums zu nut- punkt 61 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, zen und die damit verbundenen Herausforderungen zu mit Tagesordnungspunkt 53 aufgerufen werden. meistern, dann muss die Vermittlung unternehmerischer (Hermann Schaus (DIE LINKE): Schweren Her- Kompetenzen an unseren Schulen einen angemessenen zens!) Platz einnehmen. Es erhebt sich kein Widerspruch? – Dann machen wir das (Willi van Ooyen (DIE LINKE): Am besten in der so. Grundschule!) Außerdem ist eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt – Herr Kollege van Ooyen, eines haben Sie verstanden: In der Dringliche Antrag der Fraktion der SPD betreffend Ab- der Tat fängt die Bildung in der Grundschule an. Das sollte schiebungen nach Afghanistan aussetzen, Drucks. 19/4574. in der Tat auch für Sie wichtig sein. – Auch hier wird die Dringlichkeit bejaht. Dann wird die- (Beifall bei der FDP) ser Tagesordnungspunkt 62 und kann, wenn dem nicht wi- dersprochen wird, ebenfalls mit Tagesordnungspunkt 53 Vor diesem Hintergrund halten wir es für eine Fehlent- aufgerufen werden. – Das machen wir dann so. wicklung, dass die Tendenz erkennbar wird, wirtschaftli- che Themengebiete im Fach Politik und Wirtschaft sowie Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt Tagesordnungs- im Fach Wirtschaftswissenschaften zu reduzieren und punkt 16 auf: durch gesellschaftspolitische Fragestellungen zu ersetzen. Wir fordern hingegen eine stärkere Betonung und eine in- Antrag der Fraktion der FDP betreffend Gründergeist terdisziplinäre Einbettung der Wirtschaftsthemen, die in und Unternehmertum in hessischen Schulen – Drucks. geeigneter Art und Weise in andere Fächer integriert wer- 19/4518 – den müssen. Zusammen damit rufe ich Tagesordnungspunkt 55 auf: Gerade auch Hessen braucht mehr Gründergeist. So sollte die schwarz-grüne Landesregierung das Engagement priva- Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend ter Initiativen und Sponsoren begrüßen, die bestrebt sind, Kooperationen von Schulen und Unternehmen transpa- durch die Entwicklung und kostenfreie Überlassung der rent und einflussfrei fördern – Drucks. 19/4562 – Unterrichtsmaterialien den Stellenwert der Bildung hin- Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. sichtlich wirtschaftlicher Betätigung und Unternehmertum Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Greilich das Wort. im Schulunterricht zu verbessern und junge Menschen zur selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermuntern. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6983

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Herr Greilich, las- nehmen und Verbänden sowie Kammern maßgeblich er- sen Sie die Kinder erst einmal Kinder sein!) schwert und somit die Öffnung der Schule für außerschuli- sche Lernorte konterkariert wird, wollen wir eine Förde- – Herr Kollege van Ooyen, es ist viel besser, wenn wir un- rung der Kooperation mit Angeboten von außerhalb der sere Kinder in einer freien Marktwirtschaft Kinder sein las- Schulen. Wir wollen die Ansiedlung des Ermessensspiel- sen, als wenn sie in der Ordnung leben würden, für die Sie raums beim Sponsoring – das ist ein ganz wesentlicher gelebt haben und für die Sie heute anscheinend noch als Punkt – auch weiterhin auf Schul- und nicht auf Ministe- Ewiggestriger stehen. rialebene; sonst können wir das in der Tat gleich verges- (Beifall bei der FDP – Willi van Ooyen (DIE LIN- sen. KE): Sie sollen sich als Kinder wirklich frei ent- (Beifall bei der FDP) wickeln können!) Ein schönes Beispiel aus der Vergangenheit ist – die Ten- Die massive Kritik der Vertreter der Berufsschulen und der denz scheint sich fortzusetzen; ich hoffe, dass sie irgend- Wirtschaftsverbände in der Anhörung des Schulausschus- wann gestoppt wird –, dass die Bereiche im Hessischen ses zur Novelle des Schulgesetzes bestätigt, dass die Kultusministerium, die mit dem Thema befasst sind, einer schwarz-grüne Novelle des Schulgesetzes genau diese För- GEW-Kampagne auf den Leim gegangen sind und dort dermöglichkeiten erschweren wird. Offensichtlich gibt es entsprechend agieren. Meine Damen und Herren, das sind in der CDU und bei den GRÜNEN überhaupt kein entspre- Dinge, die wir nicht hinnehmen dürfen. chendes Problembewusstsein. Wir Freie Demokraten hal- ten es für erforderlich, ein Umsteuern und Umdenken in Ich will an dieser Stelle einmal sehr deutlich etwas Positi- dem Sinne anzustoßen, dass die objektiven Rahmenbedin- ves hervorheben. Der Ministerpräsident hat leider keine gungen selbstständiger wirtschaftlicher Betätigung mit al- Zeit, dieser Debatte zu folgen. Das wird daran liegen, dass len Risiken, vor allem aber auch mit den Chancen des wirt- er andere wichtige Staatsgeschäfte zu erfüllen hat. Aber ich schaftlichen und persönlichen Erfolgs an hessischen will das ganz positiv hervorheben: Der Ministerpräsident Schulen vermittelt werden. zeigt, wie es richtig geht und wie man es gut macht. Ich habe mit großer Freude im „Darmstädter Echo“ gelesen – Hierfür benötigen wir einen Unterricht, der Gründergeist es stand auch in anderen Zeitungen –, die Firma Merck aus nicht bekämpft, sondern zielgerichtet fördert. Aus diesem Darmstadt – dem einen oder anderen hier ist sie sicherlich Grund haben wir unseren Antrag vorgelegt, aus dem ich bekannt – habe bekannt gegeben, dass sie die Schule Ihnen einige Schwerpunkte erläutern will. Schloss Hansenberg künftig als Praktikumspartnerunter- So sagen wir, dass Aspekte wie Existenzgründung und Un- nehmen fördern werde. Dann wurde eine Vereinbarung ternehmertum bereits in der Lehreraus- und –weiterbil- durch die Firma Merck auf der einen Seite und den Hessi- dung, unabhängig von Schulform und Bildungsgang, ange- schen Ministerpräsidenten Volker Bouffier auf der anderen messen vermittelt werden müssen. Seite unterzeichnet. Das ist ein klares positives Zeichen. So muss es funktionieren. Das ist sinnvolle Zusammenar- Ein zweiter Punkt, der in der hessischen Praxis viel zu kurz beit zwischen Wirtschaft und Schulen. Ich begrüße das kommt, ist: Wir als Freie Demokraten sagen – und wir als ausdrücklich. Landtag sollten das insgesamt tun –, dass Lehrerinnen und Lehrer ermuntert werden sollten, selbst den Arbeitsalltag, (Beifall bei der FDP) insbesondere in jungen Unternehmen, durch Besuche oder Das zeigt wieder einmal: Wenn der Ministerpräsident et- Praktika näher kennenzulernen. was selbst in die Hand nimmt, dann funktioniert das im (Beifall bei der FDP) Regelfall auch. Das Problem ist, dass er seine Regierung nicht im Griff hat. Herr Kollege Schwarz, die Vermittlung von finanziellen, ökonomischen sowie unternehmerischen Kompetenzen soll (Beifall bei der FDP – Clemens Reif (CDU): Dass in den Kerncurricula stärker berücksichtigt werden, um Sie das erst einmal im Griff haben!) Schülern frühzeitig ökonomisches Wissen zu vermitteln – Das tut mir leid. – Das zeigt sich bei der Novelle des und somit den Mut und die Bereitschaft zur Verantwor- Hessischen Schulgesetzes, in dem dieser Unfug zum Wer- tungsübernahme zu fördern. beverbot steht. Herr Kollege Schwarz, wir haben es heute Hinweise auf Unternehmen, Kammern oder Wirtschaftsin- früh diskutiert. Wir haben es doch alle noch in Erinnerung. stitutionen in kostenfreien Druckerzeugnissen, die Schulen Sie in Ihrer Fraktion wissen ganz genau, wie hoch es beim zur Förderung der Wirtschaftskompetenz überlassen wer- Klimaschutzplan hergeht. Das hatten wir heute früh auch den, dürfen nicht pauschal als Verstoß gegen das Werbe- schon. Der Ministerpräsident muss es immer wieder rich- verbot an Schulen gewertet werden. Gleiche Maßstäbe ten, weil es sonst aus dem Ruder läuft. Das ist das Problem müssen darüber hinaus für Gewerkschaften, Verbände und in dieser Koalition. Organisationen gelten, insbesondere wenn sich diese auch (Beifall bei der FDP – Clemens Reif (CDU): Nee, wirtschaftlich betätigen. Es gibt da einige Beispiele aus nee, nee! – Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS dem Umweltbereich. Wenn ich mir den von der SPD vor- 90/DIE GRÜNEN)) gelegten Antrag anschaue, stelle ich fest, da fehlt dieser Aspekt natürlich vollständig – bei der ansonsten geforder- – Frau Kollegin Dorn, vielleicht sollten Sie einmal mit den ten Untersagung jeglicher Werbung. Das passt auch nicht richtigen Leuten reden. in die Ideologie. (Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das (Beifall bei der FDP) habe ich doch gemacht!) Meine Damen und Herren, entgegen der von Schwarz- Die vielen Rückmeldungen zum Thema Wirtschaft und Grün beabsichtigten Änderung des Werbeverbots im Schule, die wir seitens der Wirtschaft und der Schulen er- Schulgesetz, mit der die Kooperation mit Wirtschaftsunter- halten haben, und die Ergebnisse der Anhörung bestätigen 6984 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 uns in unserem Engagement für eine Stärkung der Wirt- Meine Damen und Herren, genauso brauchen wir auch die schaftskompetenz und die Förderung des Gründergeists im Verstärkung der dualen Ausbildung. Es ist aber nicht Auf- Unterricht. So wollen wir mit unseren konkreten Hand- gabe von Schule und staatlicher Allgemeinbildung, einzel- lungsvorschlägen dazu beitragen, dass durch entsprechen- ne berufliche Verwirklichungsformen stärker als andere zu de Unterrichtsangebote Gründergeist künftig bereits in der forcieren. Schülerinnen und Schüler müssen alle Optionen Schule geweckt werden kann. kennen, die sie in ihrem Leben haben. Bildung dient in ers- ter Linie der Selbstentfaltung und Stärkung der Menschen (Florian Rentsch (FDP): Sehr gut!) und nicht primär der ökonomischen Verwertbarkeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das will ich ab- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) schließend sagen: Wirtschaft ist nicht alles. Das wissen wir sehr genau. Aber ohne Wirtschaft ist alles nichts. Der FDP-Antrag bringt einiges durcheinander und ist be- sonders in Bezug auf die Frage des Werbeverbots recht un- (Beifall bei der FDP) differenziert und auch ein Stück weit blauäugig. Deswegen Gerade wir in Hessen leben nicht von Sozialtransfers und haben wir das zum Anlass genommen, einen eigenen An- hoher Staatsquote, sondern von Leistung, der Leistungsbe- trag zu formulieren, der sich speziell mit diesem Punkt reitschaft und dem Mut der vielen Menschen in unserem auseinandersetzt, dem wir überhaupt nicht zustimmen kön- Land, die im privaten Sektor unternehmerisch oder in den nen. dort bestehenden produktiven Unternehmen als Mitarbeiter Es geht darum, dass Werbung an Schulen deutlich zu- tätig sind und es mit ihrer Arbeit erst ermöglichen, dass wir nimmt. Das zeigen Studien, z. B. von der Universität hier über staatliche Leistungen ein leistungsfähiges Schul- Augsburg. Schülerinnen und Schüler sind nun einmal als system und tragfähige soziale Sicherungssysteme unterhal- künftige Wähler und Konsumenten für Lobbyisten interes- ten können. sant. In der Hoffnung, auf die Beeinflussung von Kindern Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Losung für und Jugendlichen einwirken zu können, weil diese ein Le- ein zukunftsfähiges Hessen muss deshalb lauten: Hessens ben lang wirkt, muss man sich Werbung an Schulen beson- Schulen machen Mut statt German Angst. Lasst uns ein ders verantwortungsbewusst anschauen. Meine Damen und Land der Gründer sein. Herren, es gibt inzwischen sogar – das ist kein Witz – Agenturen, die darauf spezialisiert sind, Werbung so zu ge- (Beifall bei der FDP) stalten, dass sie trotz des eigentlich geltenden Werbever- bots an Schulen akzeptiert wird. Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Ich will das ausdrücklich sagen: Wir haben viele Kritik- Danke, Herr Greilich. – Für die SPD-Fraktion erteile ich punkte am Schulgesetz – ob der Landesregierung oder der Herrn Degen das Wort. regierungstragenden Fraktionen. Einer der Punkte, den wir begrüßt haben – wir haben es auch so empfunden, dass das in der Anhörung begrüßt worden ist –, betrifft die Präzisie- Christoph Degen (SPD): rung des Werbeverbots, das gar nicht so neu ist, nun aber von der Erlassebene ins Schulgesetz gehoben werden soll. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eines der An- sinnen der FDP – es geht in dem Antrag einiges durchein- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) ander –, nämlich die Vielfalt der Arbeitswelt in der Schule Von der Universität Augsburg sind die Lehr- und Lernma- abzubilden und vor allem die Begeisterung zu wecken, terialien untersucht worden, die oftmals kostenlos zur Ver- Praktika zu machen und in Kontakt mit der Arbeitswelt zu fügung gestellt werden und in denen Sachverhalte nicht kommen, unterstützen wir erst einmal ausdrücklich. immer ganz objektiv dargestellt werden. Ich will ausdrück- (Beifall bei der SPD und der FDP) lich sagen, dass es viele gute solcher Materialien gibt, übri- gens nicht nur von Unternehmen, sondern auch von Nicht- Schule, die nur in der Schule stattfindet, kann nur schwer regierungsorganisationen, von Gewerkschaften usw. Es die außerschulische Lebens- und Arbeitswelt vermitteln. gibt eine sehr große Bandbreite. Im Jahr 2012 gab es rund Wir brauchen diesen Austausch und diese Kooperation mit 882.000 solcher Materialien, meine Damen und Herren, den Unternehmen für Praktika, für Boys‘ und Girls‘ Days und die Zahl steigt ständig. Aber nicht alle dieser Materia- und für vieles mehr. Es gibt viele gute und innovative lien sind gut, und dementsprechend ist ein Werbeverbot er- Schulprojekte, die auch die wichtigsten Verhaltensregeln forderlich, um hier klar hinschauen zu können. an Schulen respektieren. Wir haben viele Kooperationen zwischen Schulen und Unternehmen, die keineswegs dem Es passiert immer wieder, dass Experten an Schulen ge- Werbeverbot widersprechen. Meine Damen und Herren, schickt werden. Wir haben das im Rahmen von mehreren hier überhaupt diesen Widerspruch zwischen Kooperatio- Anfragen aufgegriffen. Das betrifft z. B. die Finanz- und nen mit Unternehmen und dem Werbeverbot aufzumachen, Vermögensberater als ehrenamtliche Lehrkräfte. Man muss halte ich nicht für angemessen. skeptisch hinschauen, was da wirklich passiert. (Beifall bei der SPD) In einer der nächsten Sitzungen des Kulturpolitischen Aus- schusses werden uns Wettbewerbe und Spiele beschäfti- Diese Kooperationen sind wichtig für die Berufsorientie- gen, die an Schulen stattfinden. Exemplarisch will ich rung, gerade auch für die Berufsorientierung an allen speed4 nennen. Das ist ein Wettbewerb, bei dem Schüle- Schulformen. Ich glaube, wir waren uns schon damals im rinnen und Schüler einen Laufparcours laufen. Dabei be- Rahmen des Bildungsgipfels einig, dass die Berufsorientie- kommen sie Belohnungszettel, auf denen oben der Spon- rung, gerade auch an Gymnasien, so wichtig ist, um den sorname steht. jungen Leuten aufzuzeigen, dass das Studium nach dem Abitur nicht der einzige Weg sein muss. Dazu brauchen Dazu haben wir nachgefragt. Wir haben deshalb danach wir diesen Kontakt und diesen Austausch. gefragt, weil eine der beteiligten Firmen auf ihrer Home- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6985 page explizit damit wirbt – an dieser Stelle bitte ich Sie zu- versum-Verlag, der seinen Sitz in Wiesbaden hat und der zuhören –, dass dieser Wettbewerb einen Marketingfaktor zumindest damals zu 50 % der FDP gehört hat, dabei eine habe. Da heißt es: Rolle gespielt hat. Der Verlag habe eine merkwürdige Art entwickelt, sich Aufträge zu beschaffen, so der Autor des Wahrnehmung der Sponsoren als Förderer des Artikels in der „Süddeutschen“. Sports und der Gesundheit von Kindern bei Schulen, Eltern, Politikern und generell in der Presse. Abspei- Ich weiß nicht, ob die FDP heute noch an diesem Verlag cherung des Sponsors im Kopf des Kindes durch das beteiligt ist, aber ich denke, man sollte das wissen; denn erfolgreiche und emotionale Erlebnis. Völlig neues das hat schon ein Geschmäckle, meine Damen und Herren. Kundenbindungsinstrument, welches dafür sorgt, Schließlich können Lehrkräfte nur dann gut beurteilen, was dass jedes Kind und Eltern zu Ihnen geführt wird. sie einsetzen und welche Materialien sie verwenden, wenn Verstärkung des Nachhaltigkeitseffektes durch die sie entsprechend geschult sind. An dieser Stelle muss ich Online-Community. mich noch einmal kritisch an die Landesregierung wenden. Meine Damen und Herren, an dieser Stelle muss eine Es ist eigentlich ein Unding, dass so viele Lehrkräfte, die Grenze gezogen werden. Das ist in diesem Fall nicht okay, Wirtschaft, Politik oder Arbeitslehre unterrichten, fach- wenn es um Kooperationen geht. fremd sind. Herr Kultusminister, da braucht es mehr Initia- tiven, um gegen den fachfremden Unterricht vorzugehen. (Beifall bei der SPD) Die Lehrkräfte müssen in der Lehreraus- und -weiterbil- Ich bin dem Kultusministerium dankbar, dass es in Anleh- dung entsprechend qualifiziert werden. So können wir nung an die Qualitätskriterien für Schülerwettbewerbe der auch das Problem des Lehrermangels angehen. Kultusministerkonferenz ausdrücklich sagt, dass das Kul- In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere Beratung tusministerium an dieser Stelle nicht informiert worden ist, im Ausschuss. Ich kann bereits jetzt sagen, dass wir auf- wie dies gefordert wurde, und vor allem dass der Träger grund des undifferenzierten Umgangs der FDP mit dem dieses Wettbewerbs eine GmbH ist, bei der laut dem Kul- Thema Werbung bei allem Goodwill und bei aller Begeis- tusministerium vorliegenden Informationen davon auszu- terung für das Thema Berufsorientierung dem FDP-Antrag gehen ist, dass diese Firma kommerzielle Interessen ver- nicht zustimmen werden, zumal wir zum Thema Werbung folgt. So etwas fällt aber auch erst dann auf, wenn man ge- etwas Eigenes vorgelegt haben. – In diesem Sinne bedanke nau hinschaut und wenn man nachfragt. Dementsprechend ich mich für die Aufmerksamkeit. begrüßen wir dieses Werbeverbot. (Beifall bei der SPD) Ich will an dieser Stelle deutlich machen, dass ein Werbe- verbot nicht heißt, dass es keine Materialien und kein Sponsoring mehr gibt. Vielmehr geht es darum, dass man Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: einfach klarer definieren muss, was Werbung ist. Danke, Herr Degen. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Deswegen schlagen wir vor – ähnlich wie es der Hauptper- Herrn Schwarz das Wort. sonalrat der Lehrerinnen und Lehrer und der Verbraucher- schutz vorgeschlagen haben –, eine sogenannte Monito- (Willi van Ooyen (DIE LINKE): Nicht noch mehr ringstelle einzurichten, die optimalerweise bundesländer- Bundeswehr an den Schulen!) übergreifend organisiert ist, weil es sich um Materialien handelt, die in allen Bundesländern eingesetzt werden. Solch eine Stelle kann gut beurteilen, ob ein Material Wer- Armin Schwarz (CDU): bung ist. Dementsprechend relativiert sich das mit dem Herr Präsident, verehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kolle- Werbeverbot ein Stück weit. gen! Der Antrag der FDP ist der gewohnte Rundumschlag. Anlass für das Ganze ist leider auch, dass Schulen immer Bei der SPD bleibt es, wie so häufig, etwas vage, in welche empfänglicher werden für Werbung. Das hat etwas damit Richtung die Reise gehen soll. Deswegen möchte ich ein zu tun, dass die Aufgaben an Schulen zunehmen. Wenn paar Dinge zur Sache sagen. sich Lehrkräfte überlastet fühlen, greifen sie natürlich ger- (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das wäre etwas ne auch einmal auf ein solches Material zurück. Dement- Neues!) sprechend ist eine solche Koordinierungsstelle auch ein Hilfsinstrument für Lehrkräfte, weil man sie nicht alleine Neben vielen Zielen umfasst der Bildungs- und Erzie- lässt mit den Materialien, sondern weil man Beratung an- hungsauftrag auch die Berufsorientierung und die Vorbe- bietet. Wenn man als Lehrkraft etwas findet, das man ger- reitung auf die Berufswahl. Meine Damen und Herren, das ne einsetzen möchte, kann man sich dorthin wenden. Dann ist uns wichtig. Ziel ist es, Schüler mit wirtschaftlichen und bekommt man eine Einschätzung. Dementsprechend muss unternehmerischen Strukturen vertraut zu machen. Ziel ist nicht jeder das Rad neu erfinden, sondern das kann am En- es, das Interesse am Unternehmertum zu wecken. Ziel ist de allen zugutekommen. es, die Motivation zur Beteiligung der Schülerinnen und Schüler am Wirtschaftsleben zu fördern. Das sei zunächst Ich will noch einen Punkt ansprechen. Bei meiner Recher- einmal vor die Klammer gezogen. che zu Ihrer Initiative, Herr Kollege Greilich, bin ich auf einen Artikel in der „Süddeutschen“ gestoßen. Dabei geht Der Schüler fragt aus gutem Grund: Welche Möglichkeiten es um einen Antrag der FDP im Thüringer Landtag aus habe ich denn, wenn ich aus der Schule komme? Welche dem Jahr 2010. Dieser Antrag ist Ihrem Antrag gar nicht beruflichen Zukunftschancen habe ich? Welche Perspekti- unähnlich. ven bieten sich mir? – Da schauen wir einmal genau hin. Damals ging es darum, das Lehrmaterial „Traumberuf Herr Kollege Greilich, nach dem, was Sie hier beschrieben Chef“ in den Lehrplan der Thüringer Schulen zu integrie- haben, bin ich mir nicht sicher, ob Sie tatsächlich das in ren. Die „Süddeutsche“ schreibt, dass der FDP-nahe Uni- 6986 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 den Blick genommen haben, was an hessischen Schulen hoch. Darauf sind wir stolz, und das setzen wir auch so Realität ist. Wir haben hier nämlich viel zu bieten. fort. Der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, unterstellt, an (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des hessischen Schulen würden ökonomische Bildung und die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zusammenarbeit mit Unternehmen keine Rolle spielen. Ich Ich lade Sie ein, eine Reise zu den Mittelpunktschulen und will hier ausdrücklich feststellen, dass das nicht der Le- zu den integrierten Gesamtschulen im schönen Waldeck- benswirklichkeit entspricht. Das entspricht nicht der unter- Frankenberger Land zu machen, sich z. B. die Kooperation richtlichen Realität. der Mittelpunktschule Sachsenhausen mit sechs Unterneh- Wir haben das Fach Politik und Wirtschaft bzw. Arbeits- men vor Ort anzuschauen. Die sechs Unternehmen holen lehre mit der Vermittlung von wirtschaftlichen Zusammen- ihre Auszubildenden direkt aus der Schule. Das ist doch hängen seit dem Jahr 2002, und zwar flächendeckend an fantastisch. Besser kann es kaum laufen. Das ist vorbild- Gymnasien, an Haupt- und Realschulen und an Gesamt- lich. Ich weiß, dass es – jenseits von Sachsenhausen im schulen. Kreis Waldeck; nur damit klar ist, wo wir uns gerade be- finden – auch an anderen Schulen prima läuft. Das finden Darüber hinaus haben wir eine zweistellige Zahl Gymnasi- wir gut, und das wollen wir unterstützen. en, die Wirtschaftswissenschaften mit Grundkursen und Leistungskursen in diesem Bereich anbieten. Der eine oder (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des andere hat vielleicht nicht mitbekommen – weil man nicht BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) so häufig an den Schulen ist und weil man dort nicht so Auch die Projekte zur Berufs- und Studienorientierung, viele Gespräche führt –, dass wir obligatorische Praktika KomPo7 bzw. „Duales Studium Hessen“, sind Beispiele an der gymnasialen Oberstufe haben mit dem Erlass zur dafür, was wir alles machen. Wir sind gern bereit, das zu Ausgestaltung der Berufs- und Studienordnung in allen optimieren; denn der natürliche Feind des richtig Guten ist Bildungsgängen sowie eine starke Verankerung der ökono- das noch Bessere. Wir arbeiten mit den Schulen gemein- mischen Bildung auch in den Kerncurricula, unter anderem schaftlich daran, funktionale Brücken zur und direkte An- in der Hauptschule. bindungen an die Wirtschaft zu haben – so, wie sich das (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des gehört. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt will ich zum Schulgesetz kommen, weil uns der Kol- Meine Damen, meine Herren, das will ich deutlich sagen: lege Greilich dazu einen Vortrag gehalten hat. Herr Kolle- Wir bauen hier ausdrücklich auf die Kooperation mit der ge Greilich, ich bin ganz ehrlich, ich habe das Gefühl, dass Wirtschaft. Wir bauen hier ausdrücklich auf das Engage- Sie bei einer völlig anderen Anhörung waren als die bil- ment der Wirtschaft in Schulen. Wir wünschen uns, dass dungspolitischen Akteure in diesem Hause. Vertreter von Unternehmen in Schulen gehen, beispiels- Ich stelle fest: Die selbst ernannte Wirtschaftspartei FDP weise mit ökonomischen Planspielen. Das ist abgestimmt; stimmt offensichtlich 99,9 % der über 100 Änderungen am so etwas gibt es. Diese Kooperationen sind gut, sie sind Hessischen Schulgesetz zu, die vorgeschlagen worden uns wichtig, und es gilt, sie fortzusetzen. sind. Herr Kollege Greilich, das Einzige, was die FDP ge- (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des funden hat, sind die Themen Werbeverbot und Sponsoring. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich rufe Ihnen zu: Bei Lichte betrachtet, hat sich rechtlich überhaupt nichts geändert. Das wurde im Übrigen auch Ich möchte ein paar Beispiele nennen. Wir haben eine ganz von Herrn Feuchthofen von der Vereinigung der hessi- Reihe von Kooperationen: die Landesarbeitsgemeinschaft schen Unternehmerverbände und von anderen Vertretern, Schule-Wirtschaft, jedem bekannt, ein Renner. Mir ist kei- z. B. denen der IHK, bestätigt. Falls es noch Unklarheiten ne Schule bekannt, wo diese Kooperation nicht läuft. Wir geben sollte, sind wir gerne bereit, im Rahmen einer Ge- haben das Netzwerk Finanzkompetenz. Wir haben das setzesbegründung die Rechtsgrundlage zu präzisieren. Netzwerk MINT-Region Südhessen, Mittelhessen, Nord- hessen. Wir haben die IHK-Initiativen, die uns allen wich- Im Übrigen hat die FDP die rechtlichen Grundlagen ge- tig sind. Wir haben „Mathematik zum Anfassen“. Wir ha- meinsam mit uns geschaffen. Die ehemalige Kultusminis- ben eine Kooperation mit den Kreishandwerkerschaften terin Henzler hat eine Dienstordnung für Lehrkräfte, und eine Kooperation mit den Sparkassen. Ich habe mich Schulleiter und Mitarbeiter auf den Weg gebracht. Darin erkundigt, ob es beispielsweise bei der Gießener Sparkasse steht: Produktwerbung an Schulen ist unzulässig. so wie in Waldeck-Frankenberg läuft, wo die Sparkassen (Nicola Beer (FDP): Ja!) das Planspiel Börse vorhalten, ob es Ausbildungsmessen gibt, ob dort Spenden für Schulprojekte generiert werden. – Frau Kollegin Beer, zu Ihnen komme ich gleich. – Im Der Kollege Klaus Peter Möller aus Gießen, der im Ver- Jahre 2011 wurde ein Runderlass herausgegeben, der das waltungsrat der Sparkasse sitzt, hat mir das bestätigt. Wir Werbeverbot nach § 3 und § 86 Hessisches Schulgesetz haben die Programme „Ausbildung in Schule und Beruf“, noch einmal bestätigt. Das wurde in Ihrer Regierungszeit SchuB, bzw. die Förderprogramme „Praxis und Schule“, nie infrage gestellt. PuSch. (Nicola Beer (FDP): Darum geht es gar nicht, Herr Wir verknüpfen den Unterricht mit der betrieblichen Pra- Schwarz!) xis. Weswegen ist uns das so wichtig? – Damit die Jugend- lichen frühzeitig eine Orientierung bekommen, einen Blick Frau Kollegin Beer, als Sie Kultusministerin waren, haben auf die Möglichkeiten, die sie nach Beendigung der Schule Sie schwer auf die Bremse getreten, als REWE – ich glau- haben. Nach allem, was ich aus diesen Projekten höre, be, ich darf das sagen, ohne hier Werbung zu machen, Herr läuft das vorzüglich, und die Quote derer, die aus den Präsident – Äpfel an Schulen verteilt hat. Darauf war ein Schulen direkt in die Ausbildung kommen, ist erklecklich kleines Abziehbild mit dem Aufdruck REWE. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6987

(Nicola Beer (FDP): Dabei ging es um gesunde Er- ne Weiterbildung in Existenzgründung und Unternehmer- nährung!) tum erhalten sollen: Die Lehrerinnen und Lehrer sind in erster Linie Pädagogen und keine Unternehmensberater. Da haben Sie gesagt – ich zitiere Kultusministerin Nicola Als Pädagogen bilden sie in der Sekundarstufe I nicht klei- Beer –: Werbung hat an hessischen Schulen nichts verlo- ne Unternehmer aus, sondern ermöglichen ihren Schülern ren. eine möglichst vielseitige und fundierte Grundbildung. (Nicola Beer (FDP): Wollen Sie das ändern, Herr (Beifall bei der LINKEN) Kollege?) Sie erziehen die Kinder zu Menschen, die sich sozial ver- – Ich wollte das nur in Erinnerung rufen. halten und im Team arbeiten können. Das sind nämlich die Völlig unberührt davon ist das Thema Sponsoring zu be- wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass sich junge Men- trachten. Sponsoring ist ausdrücklich gewünscht und auch schen nach der Schule in der Arbeitswelt und im Leben zu- erforderlich. Ich nenne immer wieder gern folgendes Bei- rechtfinden können. spiel: Wenn berufliche Schulen keine modernen Autos zur Ich würde auch gerne einmal geklärt haben, welchen Stel- Verfügung gestellt bekommen, an denen sie Mechatroniker lenwert und welchen Umfang „die Vermittlung unterneh- ausbilden können – Stichwort: E-Mobilität –, würde es merischer Kompetenzen“, wie es unter Punkt 2 des FDP- sehr schwierig. Insofern sind wir gerne bereit – es hat sich Antrags heißt, im Schulunterricht haben soll. Ich gehe da- rechtlich faktisch nichts geändert –, in einer Gesetzesbe- von aus, dass auch Sie, meine Dame und meine Herren von gründung die rechtlichen Grundlagen nachzuschärfen. der FDP-Fraktion, niemandem raten wollen, ohne Berufs- (Nicola Beer (FDP): Waren Sie bei der Anhörung ausbildung oder Studienabschluss, frisch von der Schul- dabei?) bank entlassen, ein Unternehmen zu gründen. Das kann nicht ernsthaft Ihr Ansatz sein. Leider fehlt mir die Zeit, die vielen Punkte, die Sie in Ih- rem Antrag formuliert haben, durchzudeklinieren und im (Beifall bei der LINKEN) Einzelnen darzulegen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Es ist Eine solche Gründerorientierung macht doch erst dann viel Wind um nichts. Wir werden die entsprechenden Rah- Sinn, wenn die Basis dafür gelegt ist und in einer Berufs- menbedingungen schaffen. ausbildung oder einem Studium Grundlagen dafür erwor- Deshalb sage ich abschließend, verehrte Kollegin, sehr ge- ben wurden. ehrte Kollegen von der FDP: Kooperationen mit Unterneh- Meine Damen und Herren, natürlich braucht man Kennt- men sind ausdrücklich gewünscht, Sponsoring durch Un- nisse über wirtschaftliche Zusammenhänge. Natürlich ternehmen ist ausdrücklich gewünscht, und Gründergeist- müssen diese auch Teil des Schulunterrichts sein. Aber förderung ist ausdrücklich richtig und gut. Das wollen wir hier fordert die FDP, dass die unternehmerischen Kompe- im Unterricht ermöglichen. Werbung machen wir aller- tenzen in den Kerncurricula stärker berücksichtigt werden dings nicht. Herr Kollege Greilich, wir fühlen uns von Ih- sollen, weil sonst die gesellschaftspolitische die wirtschaft- nen bestätigt, dass ein guter Entwurf zur Änderung des liche Bildung verdrängen würde. Schulgesetzes auf dem Weg ist. – Von daher: Glück auf und vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vor- sitz.) (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was soll denn genau in Politik und Wirtschaft gelehrt wer- den? Betriebswirtschaft, z. B. Rechnungswesen, Marketing und Personalführung? Sollte das ernsthaft der Stoff der Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Klassen 5 bis 10 sein? Es sind doch vor allem die ökono- Danke, Herr Schwarz. – Für die Fraktion DIE LINKE er- mischen, sozialen und politischen Inhalte, die vermittelt teile ich Frau Faulhaber das Wort. werden müssen. Die Wirtschaft agiert global. Es bestehen Abhängigkeiten, und es entstehen Probleme, die sich von gesellschaftlichen und sozialen Fragestellungen nicht ent- Gabriele Faulhaber (DIE LINKE): koppeln lassen. Im Gegenteil, ein wacher und kritischer Verstand wäre in diesem Zusammenhang nicht falsch. Herr Präsident, meine Damen und Herren! In diesem An- trag wird eine ganze Reihe von Forderungen vermischt, die (Beifall bei der LINKEN) nach Ansicht der FDP-Fraktion das freie Unternehmertum Auf der Pressekonferenz, die Sie letzte Woche einberufen stärken sollen. haben, um den Antrag vorzustellen, habe ich gehört, dass Zuerst geht es um eine Studie des Branchenverbandes Bit- Sie nicht einmal ein Beispiel nennen konnten, wie gesell- kom. Darin wird als eine Unzulänglichkeit dargestellt, dass schaftpolitische Fragestellungen wirtschaftliches Grund- nur ein Viertel der Lehrerinnen und Lehrer ihren Schülern wissen verdrängen. Es tut mir leid, aber Ihre Argumentati- raten würde, ein Start-up-Unternehmen zu gründen. Ich on erscheint mir ziemlich abstrus. muss Ihnen sagen: Ich wundere mich, dass überhaupt eine (Beifall bei der LINKEN) Lehrerin oder ein Lehrer der Sekundarstufe I rät, ein Start- up-Unternehmen zu gründen. Ich halte es für verantwor- In den darauffolgenden Punkten Ihres Antrags haben Sie tungslos, Schülern der 5., 6. oder auch 9. Klasse als Lehre- die Kurve geschlagen, um auch noch Sponsoring und Wer- rin zur Gründung irgendeines Unternehmens zu raten. bung an den Schulen unterzubringen. Ich bin durchaus der Meinung, dass man bei der Neufassung des Schulgesetzes (Beifall bei der LINKEN) genau hinsehen muss, was dort formuliert ist. Im Gegen- Selbst wenn Sie fordern, meine Damen und meine Herren satz zu Ihnen denke ich aber nicht, dass das Kultusministe- von der FDP-Fraktion, dass die Lehrerinnen und Lehrer ei- rium jede Spende des Fördervereins oder des Dorfbäckers 6988 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 für eine Sportveranstaltung genehmigen möchte. Dass (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Schulpaten beispielsweise die Schulhöfe mitgestalten und der CDU) auch etwas spenden, ist, hoffe ich, weiterhin im Interesse Es ist auch nicht klar geworden, wie Sie zu der Vermutung des Kultusministeriums. kommen, dass wirtschaftliche Fragestellungen im Unter- Was aber nicht sein kann, ist, dass McDonald‘s Schulbü- richt zurückgedrängt werden. Ebenso unverständlich ist die cher über gesunde Ernährung zur Verfügung stellt oder ei- Vermutung, dass wirtschaftliche Fragestellungen, die bei- ne Versicherung über die private Eigenvorsorge informiert. spielsweise die Selbstständigkeit und die Gründung betref- Das klingt in Ihrem Antrag an. fen, in den Kerncurricula nicht vorkommen würden. Ein Blick in die Kerncurricula beweist das Gegenteil. Ich zitie- (Janine Wissler (DIE LINKE): Allerdings!) re aus dem Kerncurriculum für Politik und Wirtschaft für Eine solche Art von Beeinflussung hat an Schulen nichts den mittleren Abschluss. Dort heißt es: zu suchen – Punkt. Da ist es gut, dass das Kultusministeri- Die Angebote der Wirtschaft werden aus verschiede- um genauer hinschaut. nen Perspektiven betrachtet (kritische Verbrauche- (Beifall bei der LINKEN) rin/kritischer Verbraucher und zukünftige Teilneh- merin/zukünftiger Teilnehmer am Erwerbsleben mit Allerdings wünsche ich mir vom Kultusminister an dieser den Möglichkeiten der Selbstständigkeit oder der ab- Stelle auch, dass er seine Lehrkräfte auffordert, darauf zu hängigen Beschäftigung). verzichten, beispielsweise Wasserfarben nur von Pelikan und Buntstifte nur von Faber-Castell einzufordern. Zu je- Das zeigt sehr deutlich, dass das, was Sie jetzt fordern, ei- dem neuen Schuljahr werden nämlich Anschaffungslisten gentlich kalter Kaffee ist. Ihre Initiative ist nicht nur ausgeteilt, und auf vielen Listen ist der gewünschte Mar- schlecht begründet, sondern auch schlecht recherchiert. kenname mit erwähnt. Herr Minister, das geht auch nicht. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Das ist mir Jahr für Jahr ein Dorn im Auge. der CDU) Zurück zum Antrag: Wir lehnen diesen Antrag ab. – Vie- Ferner sparen Sie in Ihrem Antrag einen wichtigen Be- len Dank. standteil aus. Der Kollege Degen und der Kollege Schwarz (Beifall bei der LINKEN) sind dankenswerterweise bereits darauf eingegangen, dass, wenn man über Selbstständigkeit sprechen möchte, das nicht abstrakt erfolgen kann, sondern die Schülerinnen und Präsident Norbert Kartmann: Schüler müssen dies natürlich am lebenden Beispiel erfah- Vielen Dank. – Nächste Wortmeldung, Herr Kollege May ren. Deswegen ist die Berufsorientierung auch so wichtig. für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich möchte nur den Hinweis geben, dass erst kürzlich als Ergebnis des Bildungsgipfels – im Einvernehmen mit den Wirtschaftsverbänden einerseits und mit den Gewerk- Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schaftsverbänden andererseits – das Thema Berufsorientie- Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kolle- rung an hessischen Schulen ganz neu verankert wurde. Da gen! Dass die hessische Landespolitik und damit auch die haben wir sehr viel erreicht. Auch daran sehen Sie, dass schwarz-grüne Koalition ein lebhaftes Interesse daran ha- das Thema Selbstständigkeit und damit auch Unterneh- ben müssen, dass sich Gründerinnen und Gründer in Hes- mensgründung im Kontext schulischer Praxis längst ange- sen wohlfühlen, ist, glaube ich, vollkommen klar und sollte kommen ist. nicht bestritten werden. Ich glaube, dass damit auch klar (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sein sollte, dass sich die Bildungspolitik diesem Ziel ver- bei Abgeordneten der CDU) bunden fühlen muss. Ich möchte mich energisch gegen das in Punkt 1 bemühte Offen bleibt, ob es das Problem tatsächlich gibt, dessen Vorurteil wenden, dass Lehrerinnen und Lehrer keinen sich die FDP-Fraktion heute annehmen möchte. Ich glaube, Austausch mit der Wirtschaft suchen würden. Nach mei- dass eine Umfrage, die auf Bundesebene durchgeführt nen Erfahrungen ist genau das Gegenteil der Fall. Kollege wurde und die vom Frageformat her etwas unpräzise ist, Schwarz hat schon auf die Landesarbeitsgemeinschaft nicht ausreichend ist, um hier ein Klagelied anzustimmen Schule-Wirtschaft hingewiesen. Ich kenne das im Zusam- oder die Situation in Hessen zu kritisieren, wie Sie das ge- menhang mit Waldeck-Frankenberg auch sehr gut. Da ar- tan haben. Ich glaube, da müssten Sie sich als Begründung beiten die Lehrerinnen und Lehrer sehr engagiert mit. Ich mehr einfallen lassen, liebe Kollegen von der FDP. finde, Sie tun sich keinen Gefallen, wenn Sie dieses Enga- Nun zu den von Ihnen dargestellten Daten, mit denen sie gement der Lehrerinnen und Lehrer nicht wertschätzen. belegen wollen, dass das mit den Gründungen in Hessen so (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und schlecht sei. Hierzu möchte ich auf die Fakten des „KfW- der CDU – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP)) Gründungsmonitors 2016“ verweisen. Auf Seite 3 finden Sie eine Tabelle mit dem Ranking der Bundesländer. Mit Nun habe ich viel Zeit darauf verwandt, zu sagen, dass Be- 23 Gründungen je 1.000 Erwerbsfähigen steht Hessen auf rufsorientierung und Einblick in das Wirtschaftsleben und dem dritten Platz und nimmt damit einen Spitzenplatz in damit auch die Selbstständigkeit wichtige Bestandteile der Deutschland ein. Daher kann ich die Argumente nicht Schule sein müssen. In diesem Kontext ist es mir wichtig, nachvollziehen, die Sie hier vorgebracht haben. zu sagen, dass man an dieser Stelle nicht die Tendenz ha- ben sollte, bestimmte Sachverhalte einseitig zu überhöhen, Das genaue Gegenteil ist der Fall. Wir sollten uns eher dar- wie beispielsweise die Berufsvorbereitung und die Kennt- über freuen, dass Hessen ein wirtschaftlich so vitales Land nisse der Wirtschaft. ist. Daher sehe ich die Begründung für Ihren Antrag als äu- ßert zweifelhaft an. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6989

Ich glaube, dass schulische Bildung viel umfassender sein Da Sie an dieser Stelle so viel Kritik üben, muss sich der muss. Es ist nicht unsere Auffassung, dass Unterrichtsin- Eindruck aufdrängen, dass Sie eine Kehrtwende wollen, halte – so wie das jetzt im FDP-Antrag skizziert ist – maß- dass Sie der Werbung Tür und Tor öffnen wollen. Dazu sa- geblich an der ökonomischen Verwertbarkeit orientiert gen wir deutlich Nein. werden sollten. Daher erscheint mir das mehr als fraglich, Das wird auch an einer anderen Stelle deutlich, und zwar wenn Sie in diesem Kontext davon sprechen, die Schule bei dem Buch der Vereinigung NFTE, wo wir im letzten müsse unternehmerische Kompetenz fördern. Darunter Jahr erlebt haben, dass nach sorgfältiger Prüfung durch das kann man sicherlich auch sinnvolle Dinge subsumieren, Kultusministerium klar wurde, dass an 50 Stellen Werbung z. B. dass Schülerinnen und Schüler ausreichend mathema- enthalten war, und Herr Kultusminister Lorz dieses Buch tische Kenntnisse erwerben, um später beispielsweise wirt- deswegen vollkommen zu Recht aus dem Verkehr gezogen schaftswissenschaftliche Sachverhalte besser aufnehmen hat; denn ein solches Werk ist mit der Neutralitätspflicht zu können. Darunter können aber auch gesellschaftspoli- der Schulen unvereinbar. tisch einseitige Darstellungen verstanden werden. Das liegt bei der FDP leider nahe. Denken wir einmal an das Span- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und nungsfeld zwischen Arbeitnehmerrechten und unternehme- der CDU sowie des Abg. Christoph Degen (SPD)) rischer Freiheit. Es bleibt mir auch verschlossen, warum es den Gründer- Daran wird auch ganz klar, dass gesellschaftliche Frage- geist von Schülerinnen und Schülern oder Lehrerinnen und stellungen eben nicht durch wirtschaftliche Fragestellun- Lehrern anregen soll, wenn wir so etwas gestatten. Es sorgt gen ersetzt werden können. Ich bin der Auffassung, dass doch vor allen Dingen dafür, dass nur sehr große Unter- Schule den umfassenden Auftrag hat, beide Sichtweisen zu nehmen in den Genuss kommen, über Lehrwerke Werbung verankern. an Schulen zu machen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und (Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!) des Abg. Armin Schwarz (CDU)) Das mag für das jeweilige Unternehmen ganz gut sein, Daher glaube ich, dass Schule viel mehr sein muss. In der wenn dort auf große Firmen, sei es Coca-Cola, McDo- Schule müssen alle Inhalte und alle Felder des Lebens eine nald’s oder die Deutsche Bank, hingewiesen würde. Wie Rolle spielen. Das fängt damit an, dass die Schule den Kin- das die Selbstständigkeit anregen soll, bleibt, glaube ich, dern die Möglichkeit eröffnen muss, Verständnis für Na- das Geheimnis der FDP. turwissenschaft und Technik zu haben, damit sie über tech- nische Möglichkeiten und deren Chancen und Risiken dis- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und kutieren können. Schule sollte aber auch die Möglichkeit des Abg. Armin Schwarz (CDU)) bieten, Erfahrungen in Kunst, Kultur und Musik zu sam- Für uns ist klar, an einer staatlichen Schule muss es ein meln. umfassendes Werbeverbot geben. Es ist in hohem Maße Dann komme ich zum zweiten Thema Ihrer Initiative, zum bedauerlich, dass sich die FDP jetzt aufmacht, diesen über- Werbeverbot an Schulen, das jetzt im Zusammenhang mit parteilichen Konsens zu verlassen. Es ist hingegen gut, dem Schulgesetz diskutiert wird. Sie wittern eine große wenn wir als Koalition dort eine rechtliche Klarheit schaf- Verschwörung dahin gehend, dass beispielsweise beste- fen und das Werbeverbot prominent im Schulgesetz veran- hende Kooperationen zwischen Betrieben und Schulen – kern. insbesondere im Bereich der beruflichen Schulen sind die- Ich komme zum Schluss. Die Initiative der FDP-Fraktion se sehr sinnvoll – behindert werden sollen. Daher schauen erscheint uns daher überflüssig. Sie stützt sich auf fragwür- wir doch einmal, über was wir eigentlich verhandeln. Auch dige Annahmen und blendet Fakten aus. Das Anliegen, die da gilt: Ein Blick ins Gesetz spart viel Geschwätz. In die- Werbung an Schulen zu erleichtern, geht vollständig am sem Fall ist es die Begründung des Gesetzentwurfs der notwendigen Neutralitätsgebot vorbei. Für uns GRÜNE ist Fraktionen von CDU und GRÜNEN. Dort finden Sie unter klar: Auch in Zukunft werden wir sinnvolle Kooperationen Nr. 2 d die Begründung: zwischen Wirtschaft und Schule ermöglichen und begrü- Aufgrund der Neutralitätspflicht der Schule ist Wer- ßen. Einer unbegrenzten Ökonomisierung der schulischen bung in Schule und Unterricht nicht zulässig. Bis- Bildung, wie sie die FDP vorhat, erteilen wir eine Absage. lang findet sich eine entsprechende Regelung ledig- – Vielen Dank. lich im untergesetzlichen Normkontext … (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dort heißt es weiter: der CDU) Da es sich bei der Frage der schulischen Neutrali- tätspflicht und des Werbeverbots um ein grundsätz- Präsident Norbert Kartmann: lich zu regelndes Problem handelt, ist es erforder- Das Wort hat Herr Staatsminister Prof. Dr. Lorz. lich, dies auf der Ebene des Gesetzes zu regeln und damit klarzustellen. Sie sehen also, es handelt sich dabei nicht um eine radikale Prof. Dr. R. Alexander Lorz, Kultusminister: Kehrtwende in der Frage der Werbung an Schulen, sondern Herr Präsident, meine Damen und Herren! um ein Klarstellen und Bestärken von dem, was schon bis- lang schulgesetzlich vorgesehen war. Wir sollten uns nicht so gebärden, als ob das Erken- nen volkswirtschaftlicher Zusammenhänge nur den (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Gralshütern vorbehalten bliebe, die auf der einen des Abg. Armin Schwarz (CDU)) Seite wissenschaftlich, auf der anderen Seite dem- agogisch ihre verhärteten Standpunkte vortragen. Nein, jeder Bürger unseres Staates muss um die 6990 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

wirtschaftlichen Zusammenhänge wissen und zu ei- sorgen wir. Die Öffnung von Schule hierfür ist nach dem nem Urteil befähigt sein, denn es handelt sich hier Hessischen Schulgesetz gewünscht und wurde durch den um Fragen unserer politischen Ordnung, deren Sta- Erlass zur Ausgestaltung der Berufs- und Studienorientie- bilität zu sichern uns aufgegeben ist. rung vom Juni 2015 nachhaltig gestärkt. Nach diesem Er- lass soll jede Schule mindestens eine Kooperation mit ei- Diese Worte feiern gerade 60-jähriges Jubiläum. Sie stam- nem Unternehmen, einem Betrieb oder einer Hochschule men aus dem Buch „Wohlstand für Alle“ von Ludwig Er- eingehen. Es gibt ganz viele, die viel mehr tun als das. Ich hard. Sie dürfen davon ausgehen, dass diese Grundidee für habe hier eine Liste mit Beispielen gemacht, die ich Ihnen mich in der bildungspolitischen Frage der Rolle ökonomi- vortragen könnte. Herr Abg. Schwarz hat seine eigene Lis- scher Bildung bis heute von unverminderter Aktualität ist. te gemacht; Persönlich schon deshalb, weil die Grundgedanken des Va- ters der sozialen Marktwirtschaft für jeden gestandenen (Tobias Eckert (SPD): Das ist die schwarzsche Lis- Christdemokraten zum Kern seiner politischen DNA gehö- te!) ren, aber vor allem natürlich deswegen, weil grundlegende wir haben uns nicht abgesprochen, meine Liste enthält an- ökonomische Kenntnisse für die Lebenswirklichkeit und dere Beispiele; ich will darauf jetzt aus Zeitgründen ver- Zukunft unserer jungen Menschen im Berufsleben, aber zichten. Aber es gibt ganz viele Beispiele von Schulen, die auch als mündige Bürger unseres Gemeinwesens von mit sehr vielen Industrieunternehmen, aber auch etwa mit großer Bedeutung sind. Apotheken, Sparkassen, den Industrie- und Handelskam- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE mern usw. zusammenarbeiten, und das ist gut so. GRÜNEN) Es gibt auch mehr Betriebspraktika als früher. Auch das ist Demzufolge genießt die ökonomische Bildung auch in ein Ergebnis des Erlasses zur Berufs- und Studienorientie- Hessen in den Schulen eine hohe Wertschätzung. Das Fach rung. Schülerfirmen stehen in dem Erlass ebenfalls aus- Politik und Wirtschaft heißt nicht umsonst so. Meine Da- drücklich drin. Sie gehören heute wie selbstverständlich men und Herren, es heißt so, weil wir davon ausgehen, zum modernen Erscheinungsbild vieler Schulen. Viele hes- dass Politik und Wirtschaft in einer so engen gegenseitigen sische Schulen sind in den Arbeitskreisen Schule-Wirt- Abhängigkeit zueinander stehen, dass man weder Politik schaft aktiv und arbeiten dort mit örtlichen Wirtschaftsun- ohne Ökonomie noch Ökonomie ohne Politik verstehen ternehmen, Banken und Betrieben zusammen. Auch gibt es kann. Das ist übrigens auch genau das, was das Zitat von zahlreiche Wettbewerbe, die unternehmerisches Denken Ludwig Erhard meint. Wirtschafts- und Finanzthemen wer- fördern und in denen sich unsere Schulen stark engagieren. den außerdem an den Haupt- und Realschulen im Fach Ar- Also, meine Damen und Herren, was bringt die FDP ei- beitslehre unterrichtet. Sie können aber natürlich auch in gentlich dazu, daraus heute einen Setzpunkt zu machen, Fächern wie Geschichte, Erdkunde oder Mathematik be- dessen einziges Ziel darin besteht, die Landesregierung ir- handelt werden. An einer zunehmenden Zahl von Gymna- gendwie zu kritisieren? sien wird mittlerweile sogar das Fach Wirtschaftswissen- (Florian Rentsch (FDP): Keine Kritik; es soll ein schaften als solches in der Oberstufe unterrichtet, und seit Hinweis sein!) diesem Schuljahr ist dies übrigens alternativ zu Politik und Wirtschaft möglich, was eine Aufwertung dieses Fachs be- Es gibt die Bitkom-Umfrage – auf diese hat Herr Abg. deutet. Greilich zu Beginn hingewiesen –; dazu sage ich gleich noch mehr. Aber das allein wäre ein bisschen wenig. Es Aber auch innerhalb von Politik und Wirtschaft hat sich waren 500 Lehrerinnen und Lehrer. Aus einer Umfrage un- mit der Einführung der Kerncurricula der Anteil der öko- ter 500 Lehrerinnen und Lehrern auf den Geisteszustand nomischen Themen bzw. der darin zu erwerbenden Kom- von 800.000 Lehrerinnen und Lehrern bundesweit rückzu- petenzen in den letzten Jahren deutlich erhöht. Es gibt kei- schließen, ist zumindest ein etwas kühnes Unterfangen. ne Jahrgangsstufe im gymnasialen Bildungsgang, in der Und weil das allein etwas wenig ist, wird jetzt seit Mona- nicht auch ökonomische Fragen im Fokus stünden. In der ten der Popanz des Werbeverbots in Schulen aufgebaut. gymnasialen Oberstufe weisen sogar die meisten Kurshalb- Das ist aus mehreren Gründen ein Popanz: jahre in Politik und Wirtschaft wirtschaftliche, typischer- weise natürlich volkswirtschaftliche, Themenstellungen Erstens. Ich habe bisher noch keinen Widerspruch dazu ge- auf; und ein Drittel der Schüler, die in Politik und Wirt- hört, dass kommerzielle Produktwerbung und Reklame schaft Abitur machen, hat in den letzten drei Jahren den nicht in die Schule gehören. Das würde auch dem Verfas- Abiturvorschlag mit wirtschaftswissenschaftlichem sungsgebot der Neutralität des staatlichen Schulwesens wi- Schwerpunkt gewählt. dersprechen. Ich weiß also gar nicht, worüber wir uns hier eigentlich streiten. Diese Entwicklung spricht im positiven Sinne Bände. Es denkt auch niemand daran, das etwa wieder zu reduzieren. Zweitens. Durch die Novelle des Hessischen Schulgesetzes Aber natürlich gilt auch für den Unterricht in diesem The- wird sich in der Sache gar nichts ändern – nichts. Es wird menfeld der Beutelsbacher Konsens mit dem Überwälti- nur einmal an der richtigen Stelle klargestellt und eine gungsverbot und mit dem Kontroversitätsgebot, was be- Grundlage dafür geschaffen, was untergesetzlich sowieso deutet, dass ein Thema wie beispielsweise die Globalisie- schon längst greift. rung in beide Richtungen objektiv und unideologisch dar- gelegt werden muss. Es ist völlig klar, dass die von mir genannten Kooperatio- nen von Schulen mit Wirtschaftsunternehmen ebenso un- Meine Damen und Herren, der Unterricht ist das eine, aber berührt bleiben wie das übliche Sponsoring. um einen wirklich realistischen Eindruck von der Berufs- und Arbeitswelt und damit von den Charakteristika unter- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE nehmerischen Handelns zu bekommen, müssen Schülerin- GRÜNEN) nen und Schüler Kontakt zur Außenwelt haben. Auch dafür Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6991

Es ist auch schon gesagt worden: Wir sind gerne bereit, cher Punkt und eine ganz wesentliche Grundlage, wie wir uns als Ergebnis der Anhörung in der Novelle auf eine kla- mit solchen Inhalten umzugehen haben. Ich glaube, das rere Formulierung zu einigen, damit auch wirklich klar ist, können wir hier unstreitig stellen. Das muss so sein. dass das und nichts anderes gemeint ist. Natürlich kommt es immer darauf an, in einem reflektier- Am Ende kommt es sowieso auf die Lehrerinnen und Leh- ten Unterricht alle Aspekte zu beleuchten. Deswegen habe rer an. Deswegen komme ich noch einmal auf diese Um- ich beispielsweise bei dem Aspekt, unternehmerische Ver- frage zurück. Auch hier investieren wir. Wir haben ein antwortung in den Unterricht zu integrieren, gesagt, dass neues umfassendes Fortbildungskonzept zur Berufs- und Chancen wie Risiken beleuchtet werden müssen. Das ge- Studienorientierung erarbeitet. Wir sitzen auch an einer hört alles dazu, das ist alles völlig unstreitig, das ist zwin- neuen Konzeption für die ökonomische Bildung. Wir bau- gend. Das sollte die Botschaft sein, mit der wir hier auch en unser hessenweites Multiplikatorennetzwerk für Lehre- herausgehen. rinnen und Lehrer aus. Wir halten an dem Betriebsprakti- (Beifall bei der FDP) kum für angehende Lehrkräfte fest, und wir stärken die Wirtschaftswissenschaften auch im Bereich der Lehramts- Herr Kollege Schwarz, Herr Kollege May, teilweise habe studiengänge. So hat die Universität Frankfurt eine neue ich nicht verstanden, was Sie gesagt haben. Das betrifft Professur speziell für die Didaktik der Wirtschaftswissen- auch den Minister. Sie haben letztlich bestätigt, dass Sie ei- schaften eingerichtet. gentlich alles für richtig halten, was wir fordern, dass sich nämlich die Unterrichtsinhalte mit unternehmerischen Tä- Meine Damen und Herren, die Behauptung, die in diesem tigkeiten beschäftigen müssen. Dann sollte man aber keine Antrag geäußert wird, das Kultusministerium sei wirt- künstliche Kontroverse aufbauen. Wir wollen, dass die schaftskritisch und in den letzten Jahren immer wirt- Praxis an den hessischen Schulen verbessert, aber nicht zu- schaftskritischer geworden, entbehrt deshalb jeder Grund- rückgedreht wird. lage. Wenn Sie mit diesem Schulgesetz keine Änderung wollen, (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE dann müssen wir uns in der Tat noch darüber unterhalten – GRÜNEN) ich habe das sehr wohl am Schluss Ihrer Rede gehört –, Sie gehört, wie so vieles heutzutage, in die Welt der alter- wie man an dieser Stelle im Hessischen Schulgesetzt nach- nativen Fakten. Früher hätte man einfach gesagt: in das bessert. Reich der Märchen oder der Fabel. (Beifall bei der FDP) (Günter Rudolph (SPD): „Hänsel und Gretel“!) Eines können wir hier nicht stehen lassen. Das ist der ei- – Ich weiß nicht, ob „Hänsel und Gretel“ das richtige Mär- gentliche Grund für meine Wortmeldung. Es wird immer chen ist, dazu müssten wir die Brüder Grimm noch ein so getan, als würde sich durch den jetzt vorgelegten Ge- bisschen näher analysieren. setzentwurf nichts ändern. Dann müssten wir es auch nicht nachbessern, wenn es so wäre. (Günter Rudolph (SPD): Aber ein Märchen ist es!) (Beifall bei der FDP – Nicola Beer (FDP): Warum Auf jeden Fall bin ich mit Bezug auf den heutigen Tag ver- machen sie es dann?) sucht zu sagen – auch wenn man mir heute ausgerechnet schon die Freiheitsstatue abgeschnitten hat –: Das muss ein Herr Kollege Schwarz, es ändert sich etwas. Was die For- Faschingsscherz gewesen sein, ich habe nur den Witz nicht mulierung von Herrn May, „Gesetz – Geschwätz“, angeht, verstanden. – Helau. lohnt es sich immer wieder, einmal nachzuschauen, was wo im Gesetz steht. Bis jetzt steht im Gesetz dazu gar (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE nichts. Wir sind uns aber alle einig, dass zu dem Gesamt- GRÜNEN) bild der Aufgabe der Schule gehört, dass wir keinerlei Pro- duktwerbung in den Schulen zulassen. Das hat kein Präsident Norbert Kartmann: Mensch jemals anders vorgetragen, das wollen auch wir nicht. Das sollte nach wie vor uneingeschränkt gelten. Das Wort hat Herr Abg. Greilich für die FDP-Fraktion. Was wir aber bis jetzt haben, ist eine Ausgestaltung dieser Botschaft, die ungeschrieben im Schulgesetz steht. In der Wolfgang Greilich (FDP): Dienstordnung für Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schul- leiter und sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitar- Ich bin in der Tat etwas erstaunt, wie sich das jetzt dar- beiter des Landes Hessen heißt es, wie ich finde, zu positiv stellt. Ich glaube, ich habe in der zweiten Runde fünf Mi- formuliert, in § 10 Abs. 2: nuten Redezeit. Die werde ich trotzdem nicht brauchen. Geschäftliche Werbung ist in der Schule … zulässig. „Rechthaber“ ist aus der richtigen Ecke der Kommentar. Herr Minister, ich will auch eines sagen: Sie haben so viel Dazwischen stehen lediglich die Worte „mit folgender Richtiges gesagt, so vieles, bei dem ich ausdrücklich auf Maßgabe“. Werbung ist demnach zulässig, das steht in der den Konsens hinweisen will, dass ich gar nicht verstehe, Dienstordnung, Herr Kollege Schwarz. Dann werden die warum Sie das, was Sie gesagt haben, zum Schluss mit Ih- Einschränkungen aufgezählt, wie das zu definieren ist. Das rem „Helau“ ins Lächerliche gezogen haben. Dazu war das ist völlig richtig. Der Schlusssatz dieser Vorschrift ist sehr alles viel zu richtig und zu wichtig. wichtig, er lautet: (Beifall bei der FDP – René Rock (FDP): Kein Re- Unzulässig ist eine über die Nennung der zuwenden- spekt!) den Person oder Einrichtung, der Art und des Um- fangs der Zuwendung hinausgehende Produktwer- Ich will genau an dieser Stelle festhalten, Sie haben den bung. Beutelsbacher Konsens genannt. Das ist ein ganz wesentli- 6992 Hessischer Landtag · 19. 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Die Produktwerbung ist genau der Punkt, um den es geht. schuss überwiesen. – Dem widerspricht keiner, dann ist Das wollen wir beibehalten. Das, was Sie vorgelegt haben, das so beschlossen. ist etwas anderes. In Ihrem Gesetzentwurf steht kurz und (Unruhe – Günter Rudolph (SPD): Wolfgang, es knackig mit insgesamt sechs Worten als neuer Abs. 15 in geht um unseren Antrag, der Präsident wartet! Herr § 3: „Werbung ist in der Schule unzulässig.“ – Punkt, Präsident, es ging gerade um die Bratwurst in Kas- Schluss, aus und vorbei, ohne jede Einschränkung und oh- sel!) ne jede Öffnung. – Das ist in Ordnung, da hätte ich auch gerne zugehört. (Beifall bei der FDP) Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Herr Kollege Schwarz, Herr Kollege May, in der Anhö- rung wurde das sehr deutlich kritisiert, Sie waren doch da. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Rückkehr des Das wurde unter anderem vom Handwerk kritisiert. Mit Landes Hessen in die Tarifgemeinschaft der Länder diesem Satz ist selbst Werbung – denn Werbung ist Wer- – Drucks. 19/4498 – bung – für die duale Ausbildung in der Schule unzulässig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das kann doch zusammen mit Tagesordnungspunkt 58: wohl nicht Ihr Ernst sein. Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der (Beifall bei der FDP) CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Hes- Lassen Sie uns daran arbeiten, eine Lösung zu finden, die sen bietet Beschäftigten weiterhin gute Arbeitsbedin- klarstellt, was gewollt ist. Dabei müssen Sie keine unnöti- gungen – Drucks. 19/4567 – gen Kontroversen aufbauen. Bleiben Sie einfach einmal Die vereinbarte Redezeit beträgt fünf Minuten pro Frakti- dabei, dass wir an der Sache diskutieren. Dann kommen on. Das Wort hat Herr Abg. Rudolph für die SPD-Fraktion. wir auch zu einem Ergebnis. (Beifall bei der FDP) Günter Rudolph (SPD): Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Präsident Norbert Kartmann: Weil der Kollege etwas erstaunt schaute: Das Thema, ob Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Schwarz, CDU-Frak- man eine Bratwurst essen darf oder nicht, ist in Kassel – tion. und ich glaube, nicht nur in Kassel – ein wichtiges Thema. Genauso ein wichtiges Thema ist die Rückkehr des Landes Hessen in die Tarifgemeinschaft der Länder. Armin Schwarz (CDU): (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Grei- KEN) lich, die versöhnlichen Worte zum Schluss waren ja ganz nett. In der Sache haben Sie trotzdem nicht herausarbeiten 15 von 16 Bundesländern haben sich in der Tarifgemein- können, wo Sie jetzt konkret die Gefahr für eine Verände- schaft der Länder zusammengeschlossen, um über die Ge- rung für Dinge sehen, die zukünftig nicht mehr an hessi- haltsentwicklungen und die Arbeitsbedingungen der Be- schen Schulen möglich sind. Das ist der eine Punkt, den schäftigten des öffentlichen Dienstes gemeinsam zu ver- ich hier noch einmal unterlegen möchte. handeln. Nur das Land Hessen ist da seit dem Jahr 2003 aus ideologischer Verbohrtheit des damaligen Ministerprä- (Nicola Beer (FDP): Das hat er doch gerade gesagt!) sidenten Koch ausgeschieden. Als zweiten Punkt möchte ich unterstreichen, dass wir in (Beifall bei der SPD) der Anhörung im Gespräch deutlich gemacht haben, dass wir in der Gesetzesbegründung diese Ausgestaltungsmög- Es gibt im Übrigen keine sachliche Notwendigkeit hierfür. lichkeiten gerne darlegen. Das ist nichts Neues. Ich sage es Eigene Verhandlungen sind zudem zeitintensiver, und sie an dieser Stelle heute zum zweiten Mal. Ich sage es auch kosten auch noch Geld. Deswegen ist das, was Hessen gegenüber Herrn Feuchthofen, gegenüber der IHK Darm- macht, falsch. stadt usw. usf. Den Handwerkerschaften dieses Landes ha- Es ist geboten und, so glaube ich, auch sinnvoll, wenn alle ben wir es ebenso deutlich gemacht. Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes gemeinsam verhan- Unter dem Strich möchte ich sagen, dieses Thema wird uns deln. In den nächsten Jahren werden wieder mehr Ar- noch weiter beschäftigen. Herr Kollege Greilich, in der Sa- beitsplätze im öffentlichen Dienst notwendig sein. Da gibt che haben Sie leider vorbeigeschossen. Wir machen nichts, es einen Wettbewerb. Da macht es, so glaube ich, schon was unvernünftig ist, sondern heben einen bestehenden Sinn, auch die Gehaltsstrukturen gemeinsam auf den Weg Sachverhalt auf Gesetzesebene, nicht mehr und nicht weni- zu bringen. Deswegen gibt es für den hessischen Sonder- ger. weg überhaupt kein Verständnis und keine Notwendigkeit. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Wer Mitarbeiter im öffentlichen Dienst qualifiziert be- GRÜNEN) schäftigen will, muss sie angemessen bezahlen. Das gilt für Tarifbeschäftigte, aber das gilt genauso konsequent für die Beamtinnen und Beamten des Landes, was wir ausdrück- Präsident Norbert Kartmann: lich einfordern. Jetzt liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Die beiden Anträge werden federführend an den Kulturpo- Nun gibt es ja den originellen Antrag der Koalition, in dem litischen Ausschuss und beteiligt an den Wirtschaftsaus- drinsteht, im Wesentlichen seien die Tarifabschlüsse von Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6993

TdL, Tarifgemeinschaft der Länder, und des Landes, (Beifall bei der SPD) TV-H, gleich. Ja, das ist richtig. Es gab dann immer einmal Sagen, was man tut, und tun, was man sagt – das sollte interessante Unterschiede. Das muss man an dieser Stelle auch ein Anspruch an die GRÜNEN sein, die durchaus, schon sehr deutlich sagen. Im Jahr 2013 schließt die TdL wenn es um das Thema Moral und Glaubwürdigkeit in der eine Erhöhung von 2,65 % ab, das Land Hessen von 2,8 %. Politik geht, eher noch öfter anderen den Spiegel vorhal- Hessen zahlt mehr. Ein Jahr später sind es bei der TdL ten, als wir das hier an dieser Stelle gerade tun. Da habe 2,95 % und beim Land Hessen 2,8 %. Also sind die 0,15 % ich jetzt die freundliche Variante gewählt. aus dem letzten Jahr wieder genau ausgeglichen. Im Jahr 2015 sind es bei der TdL 2,1 % und beim Land Hessen (Heiterkeit bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten 2 %. Ein Jahr später gibt es beim Land Hessen wieder der CDU) 0,1 % mehr. Das Ergebnis ist also: Die Rückkehr in die Tarifgemein- Das heißt, im Ergebnis besteht überhaupt keine sachliche schaft der Länder ist sachlich geboten. Es gibt keinen Notwendigkeit, das zu machen. Dann kommt immer dieses Grund, dass es einen hessischen Sonderweg gibt. Deswe- Argument – ich sage das, Herr Heinz, damit Sie das nicht gen ist dieser Antrag gut und notwendig. Die Bediensteten vorbringen müssen, und außerdem steht es im Antrag –, in der Länder bekommen jetzt 2,0 % in diesem Jahr und Hessen gebe es einen Kinderzuschlag. – Stimmt. Dafür 2,35 % im nächsten Jahr. Nächste Woche will der Innen- gibt es aber bei der Tarifgemeinschaft der Länder bei- minister verhandeln. Deswegen fordern wir die Übertra- spielsweise bei der Jahressonderzahlung – in Klammern: gung dieses Tarifergebnisses für die Tarifbeschäftigten und Weihnachtsgeld – einen höheren Prozentsatz. Für die Ent- anschließend auch für die Beamtinnen und Beamten. – geltgruppen 1 bis 8 gibt es 95 %, beim Land Hessen 90 %. Vielen Dank. Für die Entgeltgruppen 9 bis 11 gibt es bei der Tarifge- meinschaft der Länder 80 %, beim Land Hessen 60 %. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ergebnisgibt es kaum Unterschiede und damit keine sachliche Notwendigkeit für Präsident Norbert Kartmann: unterschiedliche Tarifstrukturen. Das Wort hat Herr Kollege Schaus für die Fraktion DIE (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- LINKE. KEN) Denn, wie gesagt, es sind eigene Verhandlungen nötig. Sie Hermann Schaus (DIE LINKE): müssen Hotels buchen, Konferenzräume bezahlen, der In- nenminister muss wertvolle Arbeitszeit opfern. All das wä- Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! re gar nicht nötig, wenn man im Konzert der weiteren 15 Im Sommer 2008 hat der Landtag mehrheitlich mit den Bundesländer dabei wäre. Stimmen der GRÜNEN beschlossen, dass Hessen wieder Mitglied in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder wird. Das sieht die SPD vom Grundsatz her schon immer so. Das sehen auch eigentlich merkwürdigerweise – – Nein, falsch, (Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU)) das muss ich zurückziehen. Das haben die GRÜNEN bis- Der Kollege Rudolph hat einen Antrag der GRÜNEN an- her immer so gesehen. Es gibt einen schönen Antrag der gesprochen. Ich muss ihn da leider korrigieren. Das war Landtagsfraktion der GRÜNEN aus dem Jahr 2008, wo- unser erster Antrag, den wir am 5. April 2008, nämlich am nach man in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückkeh- Tag der Konstituierung des Hessischen Landtags einge- ren sollte. bracht haben – Drucks. 17/21. (Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD)) GRÜNEN)) Da können Sie das nachlesen. Und, Frau Kollegin, zu meiner besonderen Freude auch für Sie findet sich auf dieser berühmt-berüchtigten CD Folgen- (Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU)) des vom Beamtentag 2013 in Fulda: Der nicht anwesende Gleichzeitig hat der Hessische Landtag seinerzeit einen Wirtschaftsminister und damalige Fraktionsvorsitzende Al- entsprechenden Antrag der CDU/FDP-Minderheit, Drucks. Wazir – – 17/35, zu einem separaten Tarifvertrag in Hessen mehr- (Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE heitlich abgelehnt. GRÜNEN)) Dass wir heute noch darüber diskutieren, hat etwas damit – Sie kommt schon. Ich habe sie so oft in der Hand, sie zu tun, dass dieser Beschluss des Landtags über die Rück- fällt schon auseinander. kehr in die TdL von der seinerzeit geschäftsführenden Re- gierung Koch einfach nicht umgesetzt wurde. Sonst hätten (Der Redner hält eine CD hoch.) wir die Diskussion heute nämlich nicht. Sie hat die gleiche Halbwertszeit wie die Wahlversprechen (Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU)) der GRÜNEN. DIE LINKE hatte damals gleichzeitig die Reduzierung der (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf der Arbeitszeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) wie der Beamtinnen und Beamten auf einheitlich 39 Stun- Der damalige Fraktionsvorsitzende hat Gott und die Welt den pro Woche gefordert. Das wurde im Übrigen – das ge- versprochen. Eine dieser Forderungen war die Rückkehr hört dazu – von allen anderen Fraktionen damals abge- des Landes Hessen in die Tarifgemeinschaft der Länder. lehnt. Ich finde: Was vor der Wahl gilt, kann nach der Wahl nicht (Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU)) falsch sein. 6994 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Wir fordern seit Jahren immer wieder – hören Sie doch (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der einfach einmal zu, Herr Kollege – die Rückkehr in die TdL SPD – Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU)) wie auch die Reduzierung der Arbeitszeiten der Beamtin- Erzählen Sie uns das nicht mehr, und nehmen Sie das nicht nen und Beamten auf die 40-Stunden-Woche. als ein Argument, das sozusagen abzuwehren; denn das ist Es ist nicht gerechtfertigt, dass lediglich aus ideologischen nur vorgeschoben. Wir unterstützen die vollständige Über- Gründen in Hessen ein Sonderweg begangen wird – weder tragung des Tarifergebnisses der TdL vom vergangenen bei den Tarifverträgen der Angestellten noch bei den Rege- Freitag auf Hessen sowie die Übertragung dieses Tarifer- lungen der Beamtinnen und Beamten. gebnisses zeit- und inhaltsgleich auf alle hessischen Beam- tinnen und Beamten. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass in allen anderen Bundesländern gleiche Tarifbedingungen Grundlage der (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Holger Arbeitsverhältnisse sind. Hessen muss endlich wieder in Bellino (CDU)) die TdL zurückkehren, und dafür werden wir uns auch weiter im Landtag einsetzen. Präsident Norbert Kartmann: (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD) Kommen Sie jetzt bitte zum Ende. Wir begrüßen es, dass die Gewerkschaften im Einklang mit der bundesweiten Tarifverhandlung auch in Hessen die Hermann Schaus (DIE LINKE): gleichen Forderungen erhoben haben. Bis 2010 mussten die Beschäftigten des Landes Hessen auf Einkommenser- Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Dieses Relikt aus höhungen verzichten. Daran will ich auch erinnern. Denn der „Operation düstere Zukunft“ muss endlich fallen. In es gab ja lange einen tariflosen Zustand – von 2004 bis ein- dieser Tarifauseinandersetzung stehen wir – wie bisher – schließlich 2009. an der Seite der Landesbeschäftigten und der Gewerk- schaften. 2009, also vor dem Abschluss des eigenständigen Tarifver- trages für Hessen, erklärte der damalige Innenminister, (Beifall bei der LINKEN – Zurufe der Abg. Horst warum man eine eigenständige Lösung anstrebe. Ziel sei Klee (CDU) und Norbert Schmitt (SPD)) es, „einen Abschluss, der Arbeitnehmer in Hessen fair be- handelt“, zu erzielen. Präsident Norbert Kartmann: Ich frage Sie heute: Ist es denn unfair, wenn die Angestell- Das Wort hat der Kollege Heinz für die CDU-Fraktion. ten des Landes Hessen die gleichen Tariferhöhungen und die gleichen Tarifbedingungen erhalten wie alle anderen (Norbert Schmitt (SPD): Die Immobilien verkauft Angestellten in den 15 Bundesländern? Ist das unfair? – und die Beamten geschröpft! Das ist schändlich!) Nein. Unfair ist per se, dass die hessischen Angestellten le- diglich aus real nicht nachvollziehbaren und verbohrten ideologischen Gründen anders behandelt werden als der Christian Heinz (CDU): Rest der Republik. Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kol- (Beifall bei der LINKEN und der SPD) leginnen und Kollegen! Der öffentliche Dienst in Hessen ist leistungsstark. Die hessischen Bediensteten sind leis- Den Starrsinn der CDU haben sich 2013 die GRÜNEN tungsstark. Die Landesregierung ist selbstverständlich auch auch zu eigen gemacht und haben auf ihre Forderung nach leistungsstark. Rückkehr in die TdL still und heimlich verzichtet. (Holger Bellino (CDU): Das Parlament erst!) (Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU)) Das als Feststellung vorab. Wir haben ungefähr 45.000 Ta- Weil in dem gemeinsamen Antrag von CDU und GRÜ- rifbeschäftigte in Hessen, und derzeit verhandelt die Lan- NEN jetzt als Begründung immer wieder herhalten muss, desregierung mit den Gewerkschaften über einen neuen dass es in den hessischen Regelungen eine Vorteilsrege- Tarifvertrag für Hessen. Nicht mehr und nicht weniger ist lung gebe, nämlich die Kinderzulage, will ich Sie als je- derzeit der Fall. Die Entscheidung, was mit den Beamten mand, der mit Tarifverträgen auch des öffentlichen passiert, sollte man hier heute nicht reinmischen. Das steht Dienstes viele Jahrzehnte zu tun hatte, auf Folgendes hin- nicht an. Auch die Frage, was 2008 war, beschäftigt Herrn weisen, Herr Minister: Rudolph, der uns immer vorwirft, wir wären irgendwie Im BAT, der Mitte der Sechzigerjahre für die Angestellten verbohrt und rückwärtsgewandt. Also, von Ihnen höre ich im öffentlichen Dienst geschaffen wurde, gab es einen immer nur – – § 70. In diesen § 70 wurden alle separaten Einzelrege- (Günter Rudolph (SPD): Ich zitiere Ihre eigene Aus- lungen, die es vor Inkrafttreten des BAT in den unter- sage! Das ist auch schon verboten! – Zuruf des Abg. schiedlichen Bundesländern gab, aufgenommen und als Torsten Warnecke (SPD) – Gegenruf des Abg. Cle- Besitzstand geregelt. Bis zum Ende des BAT gab es eine mens Reif (CDU)) besondere Urlaubsregelung für die Hessen, weil es die schon vor Beginn des BAT gab und sie fortgesetzt wurde. Sie beschäftigen sich mit 2008. Herr Schaus beschäftigt sich mit den Sechzigerjahren. Also, wer rückwärtsgewandt (Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU)) ist und wer vorwärtsgewandt ist, möchte ich an der Stelle Wenn Ihnen die Kinderzulage so viel wert ist, erzählen Sie stehen lassen. uns nicht, dass sie nicht im Rahmen einer Sonderregelung (Zurufe von der LINKEN) in der TdL in den Tarifvertrag mit aufgenommen werden könnte. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6995

Seit 2008 ist in Hessen in der Tat einiges politisch passiert. schale Erschwerniszulagen, und in Hessen haben wir bei Was Sie immer unterschlagen, ist, dass wir zwischendrin der letzten Tarifrunde sogar über eine eigene Ehrenamts- erstmals auch einen eigenen TV-H als Land verhandelt komponente gesprochen; auch das ist einmalig in Deutsch- hatten und es jetzt seit Jahren eine bewährte Praxis ist, dass land und sogar vorbildhaft. die Landesregierung über den neuen Tarifvertrag Hessen (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. hier souverän und selbstständig verhandelt. Dieser eigen- Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) ständige TV-H ist Ergebnis der Tarifverhandlung und da- mit Ausfluss der Tarifautonomie. Früher – da Sie sich im- Ganz im Ergebnis kann man sagen: Es gibt bei diesem mer mit früher beschäftigen – haben sich auch Sozialde- Punkt heute keinerlei Neuigkeitswert. mokraten und Sozialisten für Tarifautonomie starkge- macht. Heute soll der Landtag den Tarifparteien mitteilen, (Günter Rudolph (SPD): Für Ihre Rede allemal was sie auszuhandeln haben. nicht! – Gegenruf des Abg. Holger Bellino (CDU)) Dieser eigene Tarifvertrag für Hessen schwächt weder den Das Einzige, woran wir vielleicht gelegentlich erinnern Einfluss der Gewerkschaften noch der Landesregierung. sollten, ist, dass wir nicht mehr im Jahr 2008 leben, auch Ganz im Gegenteil: Er öffnet sogar mehr Möglichkeiten nicht in den Sechzigerjahren, sondern im Jahr 2017. Wir für Hessen. Hessen sollte sich – – haben Tarifverhandlungen zwischen der Landesregierung und selbstbewussten Gewerkschaften. Die werden am En- (Janine Wissler (DIE LINKE): Herr Heinz, das ist de ein gutes und vernünftiges Ergebnis bringen, mit dem doch unter Ihrem Niveau! – Weitere Zurufe von der beide Seiten leben können. LINKEN) Danach werden alle weiteren Fragen, die noch anstehen, – Früher war es auch üblich, dass Redner dann zumindest sofern sie den Landtag betreffen, in aller Ruhe auch hier auch einmal zugehört haben, nachdem sie sich selbst ge- beraten werden. Im Moment gibt es keinerlei Anlass für meldet hatten. diesen Punkt. Wir sind gespannt auf das Ergebnis. Und als Parlament werden wir uns dann um alles Weitere küm- (Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU)) mern, was uns inhaltlich angeht. – Herzlichen Dank. Früher waren wir einmal Mitglied in der Tarifgemeinschaft (Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Günter Ru- der Länder. Aber heute verhandeln wir eigenständig, und dolph (SPD)) das Land Hessen sollte sich auch nicht kleiner machen, als es ist. Es ist ein großes, bedeutendes und starkes Land. (Norbert Schmitt (SPD): Bayern und Baden-Würt- Präsident Norbert Kartmann: temberg auch!) Das Wort hat der Abg. Frömmrich für die GRÜNEN. Auch die Gewerkschaften sollten das nicht tun, uns kleiner zu machen, und die tun das auch nicht. Wer das immer tut, ist die Opposition im Landtag. Aber bei den Gewerkschaf- Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ten habe ich in den letzten Jahren nicht das Gefühl gehabt, Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! dass sie unzufrieden waren mit dem, was sie ausgehandelt Es war ein bisschen klar, dass der Kollege Rudolph hier in haben. der Frage der TdL ein Feuerwerk abbrennen wird. Das hat (Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zurufe der er auch gemacht – in aller Bescheidenheit, wie das sein Stil Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) und Norbert ist. Schmitt (SPD)) (Günter Rudolph (SPD): Das stimmt! – Beifall des Auch am Ende von Tarifverhandlungen haben in deren Er- Abg. Torsten Warnecke (SPD)) gebnis beide Seiten eingeschlagen. Und das Ergebnis war In aller Bescheidenheit – sage ich ja –, wie das sein Stil ist, dann zum Nachteil von keiner Seite, sondern nur zum Vor- hat er das hier getan, und das ist natürlich der erneute Ver- teil. Am wichtigsten ist, wie die Beschäftigten das sehen. such des Kollegen Rudolph, in dieser Frage einen Keil Für die Beschäftigten bringt der Tarifvertrag Hessen über- zwischen die Koalitionsfraktionen zu treiben. haupt keine Nachteile. Im Gegenteil: Er bringt sogar ganz erhebliche Vorteile – dankenswerterweise schon genannt (Zurufe von der SPD: Nein! – Zuruf des Abg. Willi worden –: bessere Leistungen für Familien als in allen an- van Ooyen (DIE LINKE)) deren Ländern in Deutschland. Aber ich glaube, diese Frage haben wir schon mehrfach (Beifall bei Abgeordneten der CDU) miteinander diskutiert. Derzeit erhält eine Familie mit zwei Kindern – das ist ja (Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD)) nicht so unüblich im Beschäftigtenkreis – monatlich 200 € Aus Sicht der Gewerkschaften, Herr Kollege Rudolph, mehr als Kinderzuschlag, und meine Frage zurück ist doch kann ich den Wunsch durchaus nachvollziehen, dass man einfach: Wollen Sie diesen Familien diese 200 € mir ein einheitliches Tarifgefüge haben und das in der Tarifge- nichts, dir nichts wieder wegnehmen? meinschaft der Länder gemeinsam verhandeln will. Das (Hermann Schaus (DIE LINKE): Nein! Haben Sie kann ich nachvollziehen – aus Sicht der Gewerkschaften. zugehört, was ich gesagt habe? – Gegenruf des Abg. (Beifall der Abg. Norbert Schmitt und Günter Ru- Holger Bellino (CDU) – Norbert Schmitt (SPD): dolph (SPD)) Was ist mit dem Weihnachtsgeld?) Herr Kollege Rudolph, Sie wissen auch, dass unsere Auf- Wollen Sie das wieder wegnehmen? Wenn Sie sagen „1 : 1 fassung war, dass wir wieder in die TdL zurückkehren soll- TdL“, heißt das für Familien weniger. Das kann man erst ten. Wir haben aber hier eine Koalitionsregierung. Wir ha- mal festhalten. Außerdem gewährt Hessen auch noch pau- ben einen sehr fairen Koalitionsvertrag miteinander be- 6996 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 schlossen und haben uns auf anderes vereinbart. Diese Präsident Norbert Kartmann: Vereinbarung gilt natürlich auch bis zum Ende der Legisla- Herr Kollege Schaus, bitte. turperiode. Da helfen auch Anträge, wie Sie sie gerade vor- gelegt haben, nicht weiter. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf des Abg. Ti- Zweiter Punkt. mon Gremmels (SPD)) (Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist nicht mehr Zweiter Punkt. Wir haben ja einen Tarifvertrag, den Tarif- stichhaltig! Das ist veraltet!) vertrag Hessen. Dieser Tarifvertrag unterscheidet sich in vielen Bereichen nicht von dem, was die TdL macht. Das ist ja gerade in verschiedenen Redebeiträgen auch gesagt Präsident Norbert Kartmann: worden. Herr Frömmrich, einen Augenblick. – Herr Kollege (Janine Wissler (DIE LINKE): Warum brauchen wir Schaus, wir wollen uns friedlich einigen, dass Sie jetzt zu- einen eigenen? – Zurufe der Abg. Norbert Schmitt hören. Danke schön. und Günter Rudolph (SPD))

Aber, Herr Kollege Rudolph, da ist dann eben schon die Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frage in solch einer komplexen Materie: Wenn Sie denn wirklich inhaltlich wollen, dass man in die Tarifgemein- Der zweite Punkt ist die Frage der Tabellenentgelte. Da schaft der Länder zurückkehrt, dann sollten Sie auch sa- gibt es in Hessen Unterschiede zu dem, was die TdL ver- gen, wie man das inhaltlich zustande bringt. einbart hat. Das ist eine Größenordnung von 2 Millionen €. Die Jahressonderzahlungen hat der Kollege Rudolph ange- (Janine Wissler (DIE LINKE): Das haben die GRÜ- sprochen. Das ist richtig, da gibt es unterschiedliche Ver- NEN auch mal anders gesehen! – Zurufe der Abg. einbarungen. Aber da gibt es, wenn man die Vereinbarung Norbert Schmitt und Günter Rudolph (SPD)) der TdL nehmen würde, nicht nur Gewinner, wie Sie gera- Inhaltlich ist das in der Tat etwas komplexer, als Sie das de dargestellt haben, sondern es würde auch Verlierer ge- hier in einem Zweizeiler dem Hessischen Landtag versu- ben. Insgesamt reden wir hier über ein Volumen von 10 chen deutlich zu machen. Ich will einmal versuchen, an ein Millionen €. paar Punkten deutlich zu machen, wo wir uns mit dem TV- Dann haben wir die pauschalierten Erschwerniszulagen. H deutlich von dem unterscheiden, was im TV-L verein- Das betrifft 1.300 Beschäftigte im Bereich Unterhaltungs- bart wurde. und Instandsetzungsdienste des Außendienstes der Stra- Erst mal zur Grundlage: Es geht um 45.000 Mitarbeiterin- ßen- und Verkehrsverwaltung. Dann müssten Sie den nen und Mitarbeiter. Wir haben die Kinderzulage. Ich fin- 1.300 Beschäftigten sagen, dass das in Zukunft nicht mehr de, es ist schon einigermaßen erstaunlich, was hier zu die- so ist. ser Kinderzulage auch vonseiten der Opposition gesagt Ein weiterer Punkt ist der Urlaub. Bei uns haben sie einen worden ist. Ich finde diese Kinderkomponente im TV-H ei- Anspruch auf 33 Tage Urlaub, bei der TdL auf 30. Dann ne sehr gute Entscheidung – es stärkt die Familien. Ich fin- müssten Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sagen, de, da sollte man nicht mal gerade so drüber weggehen. dass sie in Zukunft auf drei Tage Urlaub verzichten müs- (Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE)) sen. – Herr Kollege Schaus, das geht mir wirklich auf die Ner- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ven. Eben, als es Zwischenrufe vom Kollegen Klee gab, der CDU) haben Sie darauf bestanden, dass Ihnen zugehört wird, und Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind Kosten Sie sabbeln andauernd dazwischen. Vielleicht hören Sie in der Größenordnung von 9 Millionen €. mal ein paar Argumenten zu, Herr Kollege Schaus. Ich habe ein paar Punkte aufgezählt, bei denen sich das in (Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des der Tat unterscheidet. Ich weiß, dass es bei der Linkspartei Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE)) nach dem Motto gehen wird: Wir wollen das Gute aus bei- Dann können Sie sich ja noch einmal zu Wort melden. Ich den Welten, wir wollen das Gute aus dem TdL, und wir will mal sagen, worum es geht. wollen natürlich das Gute des TV-H übernehmen. – Aber wenn Sie nach dieser Prämisse vorgehen, ist das nicht der (Zurufe des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) TV-L, sondern ein TV-L de luxe, und das ist nicht das, was und von der CDU) Sie eigentlich fordern. Bei der Kinderzulage geht es, wenn Sie 1 : 1 den TV-L (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und übernehmen, um ungefähr 8,8 Millionen €. Also 8,8 Mil- der CDU) lionen €, die Sie den Beschäftigten des Landes Hessen wegnehmen würden, die zurzeit davon profitieren – das sind 5.100 Beschäftigte. Da müssen Sie sagen, ob Sie das Präsident Norbert Kartmann: wollen, Herr Kollege Schaus. Ich will es zumindest nicht. Kommen Sie bitte zum Ende. (Hermann Schaus (DIE LINKE): Sie haben nicht zu- gehört! Ich habe doch einen Weg aufgezeigt!) Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wenn Sie aber wollen, dass wir den TV-L dann auch anwenden, müssen Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6997

Sie bei den Beträgen, die wir hier genannt haben, sagen: dass der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Darauf sollen die 45.000 Beschäftigten des Landes Hessen Länder (TV-L) und der Tarifvertrag für Hessen (TV-H) in ihren wesentlichen Strukturelementen vergleichbar sind. Insbesondere bei der Gesamtwir- Präsident Norbert Kartmann: kung der Tariferhöhungen gab es in den vergange- Herr Kollege, bitte. nen Jahren eine ähnliche Entwicklung zwischen den Tarifabschlüssen des TV-L und des TV-H. (Beifall des Abg. Norbert Schmitt (SPD)) Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es war halt unter dem Strich ähnlich, nur ein bisschen we- in Zukunft verzichten. Das wollen wir nicht. Deswegen sa- niger. gen wir: Wir haben eine Koalitionsvereinbarung – – Zweitens, der TV-H enthält „für die Beschäftigten vorteil- hafte Regelungen gegenüber dem TV-L“. Das hat der Kol- Präsident Norbert Kartmann: lege Frömmrich eben noch einmal dargestellt. „So enthält Herr Kollege, ich schalte Ihnen jetzt das Mikrofon ab. – die hessische Regelung eine Kinderzulage“, und „hessische Danke schön. Beschäftigte im Unterhaltungs- und Instandsetzungsdienst … [erhalten] pauschalierte Erschwerniszuschläge“. – Das (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sind die Punkte, wo es bei den anderen Ländern ein der CDU – Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten bisschen billiger ist. Hier wird es ein bisschen teurer für der SPD und des Abg. Florian Rentsch (FDP)) das Land Hessen. Unterm Strich kommt es, was die Kos- Herr Kollege Greilich für die FDP-Fraktion. tenentwicklung angeht, aufs Gleiche heraus. Dann schreibt uns die Koalition noch in diesen Antrag: Wolfgang Greilich (FDP): Der Landtag stellt fest, dass in allen 16 Bundeslän- dern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öf- Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! fentlichen Dienstes auf Grundlage von Tarifverträ- Am 17. Februar, also vor knapp einer Woche, sind die Ta- gen beschäftigt sind. rifverhandlungen im öffentlichen Dienst der Länder abge- schlossen worden. Das Ergebnis: Rückwirkend zum 1. Ja- Richtig. nuar 2017 gibt es nach dem in der Tarifautonomie gefun- In keinem Bundesland gibt es einen tariflosen Zu- denen Ergebnis für die Beschäftigten 2 %, ab dem 1. Janu- stand. ar 2018 nochmals 2,35 % mehr Geld, mindestens 75 € für untere Entgeltgruppen, im Schnitt 150 € mehr für eine be- Was soll uns das sagen? sonders betroffene Personengruppe. (Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD)) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist das Er- Gleichzeitig nimmt der Landtag zur Kenntnis, dass gebnis der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst au- für die Gewerkschaften die bundesweite Tarifeinheit ßerhalb Hessens. ein hohes Gut ist Sie sehen, nach den Forderungen, die auch öffentlich – da bin ich voll dabei – gestellt worden sind, ist dieser Abschluss maßvoll. Sie sollten ihn für die hessischen Mitarbeiterinnen und sie deshalb eine Rückkehr Hessens in die Tarif- und Mitarbeiter übernehmen. gemeinschaft der Länder fordern. Ich muss es vorlesen, weil es nicht meine Worte sind, son- Das schreibt die Koalition. Mir fehlt irgendwie die Conclu- dern die des Kollegen Frömmrich am 5. März 2009. Aber sio, die Folgerung, die man daraus zieht. wahrscheinlich stimmen sie diesmal auch. (Lebhafter Beifall bei der FDP, der SPD und der Jetzt müssen wir überlegen. Wir haben einen Antrag der LINKEN) SPD vorliegen. Wir kennen das Thema. Es kommt regel- Anscheinend war man nicht in der Lage, sich darauf zu mäßig wieder ins Parlament. verständigen, was man eigentlich will, und hat wie immer (Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD)) eine solche Nullnummer vorgelegt. Die Landesregierung wird aufgefordert, (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückzukehren Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle fest: und umgehend Verhandlungen hierüber mit den Der hessische Sonderweg in der Tarifpolitik war ein loh- Ländern aufzunehmen. nender, ein guter Versuch. Aber wie sich aus dem Antrag der Koalition ergibt, hat er zu nichts geführt. Da müssen wir uns, wie jedes Mal, ernsthaft mit der Frage beschäftigen, ob wir das tun sollen. Das wäre eine Rich- (Beifall bei der FDP und der SPD) tungsänderung in Hessen, eine ganz klare Richtungsände- Er hat unter dem Strich nichts gebracht. Wenn wir dies rung. Deswegen haben wir intensiv darüber nachgedacht. nach einer so langen Phase des Experimentierens mit dem Ich habe mit Freude gelesen, die Koalition hat das offen- hessischen Sonderweg feststellen, was muss man dann tun, sichtlich auch getan. In ihrem Antrag sieht man, es ist auf- wenn man nicht völlig verbohrt ist? Man muss seine Positi- gelistet – das ist keine klare Aussage, wo es langgehen on revidieren, da muss man etwas anderes tun. soll –, um welche Fragen man sich kümmern muss. Ich stelle zum einen fest, dass wir zur Kenntnis nehmen müs- (Lebhafter Beifall bei der FDP, der SPD und der sen, LINKEN) 6998 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Deswegen sollten wir uns den Aufwand, den wir in Hessen liches. In diese Kategorie gehört der Antrag, den Sie hier treiben – der arme Innenminister muss jetzt wieder sinnlo- vorgelegt haben. se Verhandlungen führen, um ein paar kleine kosmetische (Beifall bei Abgeordneten der CDU – Thorsten Korrekturen anzubringen –, sparen. Geben Sie sich den Schäfer-Gümbel (SPD): Uiuiui! – Vizepräsident Ruck, weil Sie längst erkannt haben: Wir müssen es verän- Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.) dern. Deswegen muss man irgendwann einmal sagen: Okay, jetzt springen wir. Alles, was mit dem Tarifvertrag Hessen erreicht wurde, spricht gegen eine Rückkehr in die Tarifgemeinschaft der Deswegen, Herr Kollege Decker, bleiben wir dabei: Wir Länder. Ich bin dem Kollegen Heinz und dem Kollegen werden Ihrem Antrag zustimmen. Frömmrich dankbar, die diese Errungenschaften hier be- (Lebhafter Beifall bei der FDP und der SPD) reits vorgetragen haben. Ich sage in die Richtung der Koalition: Wir werden auch Alle Tarifparteien des öffentlichen Dienstes haben übri- dem Koalitionsantrag zustimmen, weil er eine hervorra- gens bundesweit in den vergangenen Jahren den Vorteil ei- gende Begründung für den SPD-Antrag liefert. ner eigenen Regelungskompetenz erstens erkannt und ihn sich zweitens auch zu Nutze gemacht. Herr Kollege (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD) Schaus, die Verhandlungsgemeinschaft der Arbeitgeber Als solcher ist er zustimmungsfähig, ansonsten leider zum Bundesangestelltentarifvertrag, von dem Sie eben ge- nicht. sprochen haben, existiert seit 2003 nicht mehr. Seit 2003 gibt es diese Gemeinschaft nicht mehr. Vielmehr verhan- (Anhaltender lebhafter Beifall bei der FDP und der deln der Bund und die Kommunen auf der einen Seite, aber SPD) nicht mehr die Länder. Wir haben die Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die auf der anderen Seite über die Inter- Präsident Norbert Kartmann: essen der Länder verhandelt. Denn es konnte eben nicht mehr so zusammengebunden werden, wie es in der Ver- Das Wort hat der hessische Innenminister, Herr Beuth. gangenheit vor dem Jahr 2003 war. Herr Kollege Schmitt, der Marburger Bund hat ver.di das Peter Beuth, Minister des Innern und für Sport: Mandat im Jahr 2005 entzogen. Seitdem verhandeln die Ärzte ihren eigenen Tarifvertrag. Zuletzt hat im Jahr 2015 Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! der Deutsche Beamtenbund der Tarifgemeinschaft deut- Ich will die Vorbemerkung machen: Ihre Fürsorge für scher Länder das Mandat entzogen, für die Entgeltverhand- mich rührt mich nicht wirklich. Herr Kollege Greilich, Ihr lungen der Lehrerinnen und Lehrer zuständig zu sein. Mei- Redebeitrag hat mich nicht an die Bratwurst, die der Kolle- ne Damen und Herren, das sind die Fakten in der Tarif- ge Rudolph eingeführt hat, erinnert, sondern mehr an die- welt. Das ist nicht das, was Sie mit Ihrer Gewerkschafts- ses Fähnchen im Wind, rhetorik gerade eben hier vorgetragen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- (Beifall bei der CDU sowie der Abg. Sigrid Erfurth NISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP: und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Oh!) NEN) – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LIN- sozusagen wo die Debatte gerade einmal passt. KE)) Meine Damen und Herren, ich habe in dieser Debatte – es – Das Gegenargument ist, dass wir nicht den Gewerk- tut mir leid –, außer dass wir das einzige Bundesland sind, schaftsfunktionären von irgendwo, sondern den Beschäf- das nicht Mitglied in der TdL ist, und dass das irgendwie tigten des Landes verpflichtet sind. Das ist das Gegenargu- aus Sicht des einen oder anderen hier nicht klug sei, kein ment. einziges inhaltliches Argument gehört, warum wir in die Ich will Ihnen nur kurz die Vorteile des Tarifvertrags Hes- Tarifgemeinschaft der deutschen Länder zurückkehren sen skizzieren. Zur Familienzulage wurde hier bereits vor- sollten. getragen. Sollen wir dem Familienvater mit drei Kindern Meine Damen und Herren von den Oppositionsfraktionen, erklären, dass er in Zukunft auf 350 € Zulage verzichten wir haben hier außer Gewerkschaftsrhetorik nichts, aber soll? Ich will das nicht. Meine Damen und Herren, Sie auch kein einziges Argument gehört. wollen das aber offensichtlich so haben. (Lachen bei der SPD und der FDP – Glockenzeichen Es gibt im Tarifvertrag Hessen eine günstigere Stufenlauf- des Präsidenten) zeit bei der Anwendung der Elternzeit. Auch das ist eine familienpolitische Komponente, die es nur bei uns gibt. Im Gegenteil, wenn ich mir den Antrag anschaue, den die Das ist doch eine schöne Errungenschaft. Warum sollten SPD vorgelegt hat, lese ich das Argument, es sei nicht wir in Zukunft darauf verzichten? sinnvoll und nicht notwendig, einen eigenen Tarif zu ha- ben. Es sei nicht sinnvoll und nicht notwendig – es fehlt je- (Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. der Begründungssatz. Meine Damen und Herren, das ist so Eva Goldbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) inhaltsarm und so substanzlos, dass man es an dieser Stelle Die Forstbeschäftigten haben eine hessenspezifische, eine kaum debattieren mag. maßgeschneiderte, eine eigene Entgeltordnung. Da gibt es (Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Norbert z. B. die kleine Entgeltgruppe 9. Die Entgeltgruppe 8 ist Schmitt (SPD)) die höchste, die in der Tarifgemeinschaft der Länder er- reicht werden kann. Wollen wir den Forstmitarbeitern etwa Das fällt ein bisschen in die Kategorie Phantominitiativen den Tarifvertrag der Tarifgemeinschaft der Länder vorle- der Sozialdemokraten wie unlängst die Gesetzesinitiative der Frau Nahles zur Verlängerung der Kurzarbeit und Ähn- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 6999 gen, mit dem sie eine konkrete Verschlechterung hätten? – Wenn die Gewerkschaften das so wollen, dann müssen sie Nein, ich möchte das nicht. das ihren Mitgliedern auch erklären. Deswegen müssen Sie sich keine Sorgen darüber machen, ob da eine Regelung Wir haben für die Archivare und für die in Bibliotheken, vielleicht günstiger oder nicht ist. Unter dem Strich können Büchereien und in den Museen Tätigen eine eigene Ein- wir eines feststellen. Das ist die Erkenntnis der Mitglieder gruppierungsregelung getroffen, die es in der Tarifgemein- der FDP-Fraktion. Das kann man kritisieren. Aber wenn schaft der Länder nicht gibt. Wir haben einen hessenspezi- jemand vernünftiger wird, finde ich, sollte man das nicht fischen Ärztetarif und einen einzigartigen Zahnärztetarif. kritisieren. Vielmehr sollte man sagen: Danke FDP, so (Norbert Schmitt (SPD): Deswegen fordern die Ge- kann man weitermachen. werkschaften, dass wir zurückkehren!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das sind die Errungenschaften des TV-Hessen. Das sind Sie können den Mitgliedern der FDP-Fraktion viel vorwer- die Errungenschaften, die wir bei uns erreicht haben. Ich fen. Aber das mit Gewerkschaftsrhetorik, das passt nun bedauere, dass die Mitglieder der FDP, die ursprünglich wirklich nicht. diesen Weg einmal mitgegangen sind, sich hier einfach so nonchalant mit dem Fähnchen im Wind davon verabschie- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) det haben. Das ist traurig, traurig, traurig. Das können Sie uns und den Mitgliedern der LINKEN vor- (Beifall bei der CDU) werfen. Das möchten die Mitglieder der FDP auch gar nicht. Wir werden in der kommenden Woche einen Tarifvertrag zum Wohl der Beschäftigten in Hessen aushandeln. Das (Demonstrativer Beifall bei der FDP) wird auf der Basis geschehen, die wir seit dem Jahr 2005 Wir begrüßen es, dass die Mitglieder der FDP erkannt ha- in Hessen haben. Das wird für die Beschäftigten gut sein. ben: Der Weg, den wir einmal gegangen sind, ist nicht Da bin ich mir sicher. mehr zielführend. Wenn er nicht zielführend ist und man Die Gewerkschaftsrhetorik sollten wir hier herauslassen. zu der Erkenntnis kommt, man kann es auch anders und Wie gesagt, von den Mitgliedern der FDP hätte ich sie erst besser machen, kann man die notwendigen Konsequenzen gar nicht erwartet. ziehen. (Beifall bei der CDU) Den Eindruck hat man bei Schwarz-Grün überhaupt nicht. Da gilt: Die Wand ist dick. Der Kopf ist schon leicht lä- diert. Dann rennt man noch einmal gegen die Wand. Vizepräsident Frank Lortz: Herr Beuth, Ihre Bilanz für den öffentlichen Dienst ist Herr Minister, vielen Dank. – Das Wort erhält Herr Abg. nicht nur für die Tarifbeschäftigten „herausragend“. Ich Günter Rudolph von der SPD-Fraktion. habe den Eindruck, Sie leiden unter politischem Autismus. Sie nehmen die Welt nicht mehr so wahr, wie sie ist. Das ist nicht mein Problem. Sie leben in einer Scheinwelt. Günter Rudolph (SPD): (Holger Bellino (CDU): Unerhört!) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Innenminister, traurig war er, Ihr Beitrag. Warum be- – Was ist daran unerhört? Der Innenminister sagt, er habe schimpfen Sie eigentlich die Gewerkschaften, die die legi- eine hervorragende Bilanz. timen Interessen ihrer Mitglieder und anderer Beschäftigter (Holger Bellino (CDU): Das ist eine Beleidigung!) vertreten? Warum beschimpfen Sie sie eigentlich? – Nein. Ich sage Ihnen: Er nimmt die Welt nicht so (Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen wahr – – (DIE LINKE)) Sie sind doch sonst nicht so kleinlich. Sie sind doch sonst nicht so kleinlich, wenn die VhU oder Herr Fasbender eine Vizepräsident Frank Lortz: Pressemitteilung macht und die Landesregierung lobt, ob- Herr Kollege Rudolph, „Heuchelei“, „politischer Autis- wohl das Gegenteil angesagt wäre. Da sind Sie doch auch mus“: Ich würde Sie bitten, etwas zurückzugehen, damit nicht so kleinlich und sagen, das sei ein Interessenverband. Sie mich nicht veranlassen, Sie rügen zu müssen. Seien Sie Herr Innenminister Beuth, hören Sie mit dieser Heuchelei so lieb. auf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Günter Rudolph (SPD): Willi van Ooyen (DIE LINKE)) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will etwas zum Ablauf sagen. Denn ich habe nicht den Wenn man die Realität nicht so wahrnimmt, wie sie ist, Eindruck, dass der eine oder andere weiß, wie das abläuft. dann muss man darauf hinweisen. Herr Kollege Bellino, da Wenn die Landesregierung den Beschluss des Landtags können Sie sich aufblasen, wie Sie wollen. Der Minister umsetzen würde, würde das bedeuten, dass es zu einem sagt, er habe eine hervorragende Bilanz. Wir stellen dann mehrjährigen Verfahren kommt. Das Land Hessen müsste fest, wie die Bilanz für den öffentlichen Dienst aussieht. Es dann den Antrag stellen. Die anderen Mitglieder der Tarif- gibt eine hohe Unzufriedenheit in der hessischen Landes- gemeinschaft der Länder müssten dann darüber entschei- verwaltung. Es gibt einen hohen Krankheitsstand. Es gibt den. Es würde dann eine längere Übergangsphase geben. bei der Einkommensentwicklung einen deutlichen Ab- Das wäre ein ganz normaler Prozess mit Besitzstandswah- stand. Es gibt die 42-Stunden-Woche. In vielen Bereichen rung. Das würde nicht von heute auf morgen gehen. hinkt der öffentliche Dienst in Hessen hinterher. Dass Sie das als hervorragend bezeichnen, ist Ihr Problem. 7000 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Es wäre deswegen richtig, in die Solidargemeinschaft der – Moment, zum Herrn Minister. Länder zurückzukehren. Deswegen werden wir heute über (Klaus Peter Möller (CDU): Dann können Sie das unseren Antrag abstimmen. Wenn Sie ihn ablehnen, wer- auch privat sagen! – Unruhe – Glockenzeichen des den die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes es zu würdi- Präsidenten) gen wissen. Die Stimmung ist ohnehin auf dem Nullpunkt. Dann wird das Bild rund. – Vielen Dank. Es mag ja sein, dass Sie jetzt nicht zuhören wollen. Aber so ist das im Parlamentarismus. Manchmal muss man auch (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Willi van den unangenehmen – – Ooyen und Hermann Schaus (DIE LINKE)) (Fortgesetzte Zurufe von der CDU) Vizepräsident Frank Lortz: Vizepräsident Frank Lortz: Zur Geschäftsordnung erhält Herr Kollege Bellino das Wort. Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, wieder et- was zur Ruhe zu kommen. Der Redner kann reden, wohin er will, und jeder kann zuhören, wem er will. – Herr Kolle- Holger Bellino (CDU): ge Schaus hat das Wort. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich blase mich nicht auf, wie Herr Kollege Rudolph das Hermann Schaus (DIE LINKE): vermutet hat oder meinte, es darstellen zu müssen. Ich bin empört über den Begriff „politischer Autismus“, der in Ich kann es nur wiederholen. Herr Kollege, manchmal ist Richtung der Landesregierung und des Innenministers das mit dem Parlamentarismus so. Man muss auch den ging. Ich bin der Meinung, dass das nicht parlamentarisch Wahrheiten, denen man nicht ins Auge blicken will, ins ist, auch nicht am Weiberfasching. Auge blicken und vielleicht auch einmal zuhören. Aber das fällt Ihnen im Moment sehr schwer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU) Ich will das sofort noch einmal erläutern. Als der Bundes- Angestelltentarifvertrag geschaffen wurde, gab es eine Vizepräsident Frank Lortz: Vielzahl unterschiedlichster Regelungen für die Angestell- Herr Kollege Bellino, ich stelle fest, dass ich Herrn Kolle- ten in den einzelnen Bundesländern – also genau das, was gen Rudolph mitgeteilt habe, dass ich diese Formulierung hier vorgetragen wurde. Da gab es Sonderregelungen, z. B. für nicht angemessen halte. Das habe ich bereits gemacht. für Kinder, Erschwerniszuschläge für bestimmte Gruppen, und es gab Urlaubsregelungen, die in den einzelnen Bun- Herr Kollege Schaus, Sie haben das Wort. desländern unterschiedlich waren. Damals hat man sich darauf verständigt, dass diese Regelungen nicht nur in der Übergangszeit, sondern auf Dauer bestehen bleiben. Hermann Schaus (DIE LINKE): Hessen hatte sich in den Sechzigerjahren z. B. dafür ent- Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! schieden, dass die Urlaubsregelung – auf die sich Herr Wenn man dem Herrn Innenminister zugehört hat, dann Frömmrich bezogen hat – Bestandteil des Tarifvertrags konnte jemand, der da unbefangen herangeht, den Ein- wurde. Deswegen war es bis zum Auslaufen des BAT im- druck gewinnen, als stelle sich der Innenminister vor seine mer so, dass für hessische Beschäftigte eine andere, günsti- Angestellten, um sie vor den Gewerkschaften und ihren gere Urlaubsregelung galt als in den anderen Bundeslän- Forderungen zu schützen. Herr Minister, das können Sie dern. niemandem weismachen. Denn seit Jahr und Tag fordern die Gewerkschaften – im Übrigen auch der Beamtenbund, Sie gehen her und sagen: „Wir können dies nicht machen“, da ist der DBG nicht allein – unisono die Rückkehr in die oder: „Ihr wollt den Beschäftigten dieses oder jenes weg- Tarifgemeinschaft deutscher Länder. Das tun sie unisono. nehmen“. – Das wissen Sie gar nicht. Sie wissen gar nicht, welche Anforderungen die Gewerkschaften an Überlei- (Beifall der Abg. Willi van Ooyen und Marjana tungstarifverträge haben und welche Ergebnisse sie erzielt Schott (DIE LINKE) sowie bei Abgeordneten der haben. Sie stellen sich allwissend hierhin und sagen: „Das SPD) soll weggenommen werden“. Nehmen Sie einmal zur Ich sage das, damit klar ist, wer auf welcher Seite steht. Kenntnis, dass Ihr Argument, irgendjemand von uns wolle jetzt die Kinderzulage wegnehmen – und Sie stellen sich Ich will das einmal mit Argumenten angehen. Sie haben schützend vor die Kinderzulage –, nicht zutreffend ist, weil mich bewusst missverstanden. Ich weiß, Sie haben mich an ich ein Instrument dargelegt und aufgezeigt habe, das es in der Stelle genau verstanden, aber Sie haben es in der Dar- der Tarifwelt des öffentlichen Dienstes über Jahrzehnte be- stellung bewusst missverstanden. Ich als jemand, der seit währt gegeben hat. Herr Minister und Herr Frömmrich, das über 30 Jahren mit den Tarifverträgen im öffentlichen Instrument gibt Ihnen die Möglichkeit, diese von Ihnen so Dienst zu tun hat, weiß, dass es den BAT nicht mehr gibt. hoch gelobte Kinderzulage auch in Zukunft zu erhalten, Ich kenne noch den BAT und den MTL für die Arbeiter wenn Sie das wollen. Unterstellen Sie uns doch nicht das des Landes oder den BMT-G für die Arbeiter der Gemein- Argument, wir würden die Zulage abschaffen wollen, den. Das ist jetzt anders. Der Bund und die Kommunen ha- wenn Sie eigentlich diejenigen sind, die das betreiben. Das ben einen eigenständigen Manteltarifvertrag, den TVöD, muss nur noch als Argument herhalten, um einen Tarifver- und 15 Bundesländer haben den TV-L – nur Hessen nicht. trag, einen Alleingang des Landes Hessen, hier darzustel- Das ist Fakt. len und weiter voranzutreiben. Das ist und bleibt nichts an- (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Hallo, mit wem spre- deres – ich bleibe dabei – als eine Starrsinnigkeit, auf die chen Sie eigentlich?) sich die CDU einmal eingelassen hat. Die FDP ist davon Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 7001 abgekommen. Die GRÜNEN haben sich dieser Starrsin- tieren – ebenso auch die Quotenregelung in Aufsichtsräten. nigkeit aber mittlerweise angeschlossen. Die befürchteten Nachteile sind samt und sonders ausge- blieben. (Beifall bei der LINKEN) Aktuell steht das Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen noch an, das ein weiterer wichtiger Vizepräsident Frank Lortz: Baustein zur Bekämpfung der Lohnungleichheit sein wird. Vielen Dank, Kollege Schaus. – Es gibt keine weitere (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Wortmeldung. Ebenso steht das Gesetz zur Rückkehr von Teilzeit auf Ich habe verstanden, es sollen beide Anträge sofort abge- Vollzeit an. Etwa 80 % der mehr als 11 Millionen Teilzeit- stimmt werden. beschäftigten sind Frauen. Es muss eine rechtliche Vorga- Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf, Antrag der Fraktion be geben, damit Frauen aus dieser Teilzeitfalle endlich her- der SPD, Drucks. 19/4498. Wer stimmt zu? – SPD, FDP, auskommen. Fraktion DIE LINKE. Wer ist dagegen? – CDU, BÜND- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Antrag abgelehnt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Widerstände Dann rufe ich den Dringlichen Entschließungsantrag der bei allen frauenpolitischen Maßnahmen sind nach wie vor Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sehr groß. Das sehen wir aktuell bei dem Gesetz zur Lohn- Drucks. 19/4567, auf. Wer ist dafür? – CDU, BÜNDNIS transparenz. Immer wieder müssen wir uns anhören, dass 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? – SPD, Fraktion DIE das alles viel zu bürokratisch sei. LINKE. Wer enthält sich? – Die FDP. Dann ist dieser An- trag beschlossen. (Alexander Bauer (CDU): Ja!) Wir haben gesagt, Tagesordnungspunkt 17 wird nicht be- Sehr verehrter Herr Bauer, dieses Argument kennen wir handelt. auch aus Hessen. Genau das Gleiche wurde der SPD vor- geworfen, als es um eine Novellierung des Hessischen Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 19: Gleichberechtigungsgesetzes ging. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Frauenrechte (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Alexander stärken – Gleichberechtigung endlich realisieren – auch Bauer (CDU)) in Hessen – Drucks. 19/4526 – Die Chance, in Hessen mit gutem Beispiel voranzugehen, mit dem Tagesordnungspunkt 60: hat Schwarz-Grün verpasst. Das HGlG wurde zwar novel- liert. Aber auch in seiner jetzigen Fassung gehört es noch Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der immer zu den halbherzigen Lösungen. CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend (Beifall bei der SPD) Gleichberechtigung von Frauen und Männern verwirk- lichen – Maßnahmen des Landes zeigen bereits Wir- Frauenbeauftragte haben nach wie vor eine schlechte Aus- kung – Drucks. 19/4572 – stattung und keine Instrumente, Gleichberechtigung im öf- fentlichen Dienst tatsächlich durchzusetzen. Das Gesetz Das Wort hat Frau Kollegin Gnadl, SPD-Fraktion. hat deshalb auch keine Wirkung gezeigt im Hinblick auf den Geltungsbereich und auf die Gremienbesetzung nach der Kommunalwahl hier in Hessen. Lisa Gnadl (SPD): (Beifall bei der SPD) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen feststellen, dass die seit 1949 verfassungs- Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen for- rechtlich garantierte Gleichberechtigung von Frauen und dern wir die Beseitigung der bestehenden Nachteile, ein Männern immer noch nicht gesellschaftliche Realität ge- fortschrittliches HGlG und die vermehrte Besetzung von worden ist. Die Aufforderung zur freiwilligen Umsetzung Führungspositionen mit Frauen. von erforderlichen Maßnahmen zur Gleichberechtigung Wir fordern flexiblere Betreuungsangebote und vor allen war in den letzten Jahrzehnten von wenig Erfolg gekrönt. Dingen auch in Hessen echte Ganztagsschulen, damit die Das zeigt uns auch die jüngste OECD-Studie. Die Folgen Vereinbarkeit von Familie und Beruf endlich auch hier in dieses halbherzigen Umgangs mit einem Verfassungsrecht Hessen Realität wird. sehen wir heute deutlich. Eine große Kluft von 21 % bei den Löhnen zwischen Frauen und Männern ist zu verzeich- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) nen, und das bedingt eine noch größere Kluft in der Rente. Die bittere Realität ist: Mehr Frauen leben in Armut, auch Wir fordern die Aufwertung insbesondere der sozialen Be- im Alter. rufe. Denn bisher sind diese weder gesellschaftlich hoch angesehen noch finanziell ausreichend ausgestattet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, um gesetzliche Regelungen zur Verwirklichung von Gleichberechtigung Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muss endlich kommen wir nicht herum. Schluss sein mit dem Rollen- und Frauenbild, das wir aus dem Märchen „Hänsel und Gretel“ von 1812 kennen, in (Beifall bei der SPD und der LINKEN) dem die Frau dargestellt wird als grausame Mutter, die ihre Kinder in den Wald schickt, als menschenfressende Hexe Deutliche Verbesserungen für Frauen konnten durch die oder als Mädchen, das zur Dienstmagd gemacht wird. SPD in der Bundesregierung erzielt werden, beispielsweise Frauen verdienen mehr, nämlich Anerkennung und Wert- bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, von schätzung ihrer Arbeit, auch finanziell. Gleicher Lohn für dem insbesondere auch Frauen im Niedriglohnsektor profi- gleiche Arbeit. 7002 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

(Beifall bei der SPD) noch einmal in Ruhe liest, wird man es vielleicht auch merken – Führung in Teilzeit ermöglicht werden. Auch das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichberechtigung Vizepräsident Frank Lortz: und gleiche Chancen. Frau Kollegin Gnadl, Sie müssen zum Schluss kommen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU) Lisa Gnadl (SPD): Ich habe es im Zusammenhang mit frauenpolitischen The- men hier schon öfter gesagt: Vieles lässt sich regeln, aber Ich komme zum Schluss. – Es geht um die Verwirklichung nicht alles lässt sich gesetzlich verordnen. Vieles ist eine der verfassungsrechtlich garantierten Gleichberechtigung. Frage des öffentlichen Bewusstseins und auch des prakti- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) schen Handelns. So ähnlich hat sich auch Frau Schwesig bei ihrem Frauenempfang ausgedrückt. In Teilen findet sich das in Ihrem Antrag genau so wieder. Vizepräsident Frank Lortz: Gehen Sie doch einmal in Gedanken all die Vorstände Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Erfurth, durch, die Ihnen in Vereinen und Verbänden gegenübersit- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. zen, wenn Sie vor Ort Termine haben. Ist Geschlechterpa- rität in den Vorständen hergestellt? Das sind ehrenamtliche Strukturen. Da können Sie nichts verordnen. Sie können Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nur durch Bewusstseinsbildung dafür sorgen, dass Frauen Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! und Männer auch in solchen Bereichen gleichberechtigt Es ist gut, in zeitlicher Nähe zum Frauentag, zum Aktions- teilhaben. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. tag „One Billion Rising“ und zum „Equal Pay Day“ im (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Hessischen Landtag über Anspruch und Wirklichkeit einer der CDU) echten Geschlechterparität zu sprechen. Meine Damen und Herren, wir haben in das Kommunal- Die schwarz-grüne Regierungskoalition nimmt den Auf- wahlgesetz den Appell aufgenommen, bei der Aufstellung trag, der sich aus Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes und aus von Listen für die Kommunalwahl Frauen und Männer zu Art. 1 der Hessischen Verfassung ergibt, sehr ernst. Es ist gleichen Teilen zu berücksichtigen. Dass das nicht immer immer wieder gut, dorthin zu schauen, wo es Defizite gibt. einfach ist, weiß ich auch, da ich schon lange kommunal- Welche Stellschrauben müssen bedient werden, um noch politisch unterwegs bin. Ich halte auch immer Ausschau vorhandene Defizite abzubauen? Unstreitig helfen auch nach Frauen, die man unterstützen muss, damit sie moti- Dinge, die auf Bundesebene angeschoben worden sind, viert sind, auf kommunaler Ebene politisch tätig zu wer- weitere Defizite bei der Geschlechtergerechtigkeit abzu- den. bauen. Wir alle wissen, dass die Wählerinnen und Wähler die Lis- Weil wir uns sehr bewusst sind, dass es bei der Herstellung ten durch Kumulieren und Panaschieren verändern. Im einer tatsächlichen Geschlechterparität noch Defizite gibt, Werra-Meißner-Kreis hat das dazu geführt, dass in meiner haben wir zu Beginn der gemeinsamen Regierungszeit be- Kreistagsfraktion nur noch ein Mann ist. Alle Frauen wur- gonnen, ganz praktische Dinge zu tun. Denken Sie an das den nach oben gewählt. Das ist so. Das ist auch ein schö- Sozialbudget. Wir haben im Rahmen des Sozialbudgets da- nes Ergebnis. Ich weiß, dass es aber auch andersherum für gesorgt, dass Frauenhäuser finanziell abgesichert sind passieren kann, dass die Männer hochgewählt werden. und dass von Gewalt bedrohte Frauen erstmals flächen- Auch das können Sie nicht verordnen, sondern das ist eine deckend in ganz Hessen die Möglichkeit haben, sich an In- Frage des Bewusstseins und des gesellschaftlichen Wan- terventions- und Beratungsstellen zu wenden. Das ist prak- dels. Ich glaube, es ist richtig, darüber zu reden, dass hier tische Politik für Frauen. ein Wandel eintreten muss. Mit der Änderung des Kommu- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und nalwahlgesetzes haben wir hierfür eine Weiche gestellt. der CDU) Die Gremienbesetzung wird immer wieder – auch von Ih- Ein wichtiger Schritt war die Novellierung des Hessischen nen – angesprochen. Das ist ein Punkt, der einer ganz be- Gleichberechtigungsgesetzes, auch wenn Sie, liebe Kolle- sonderen Aufmerksamkeit bedarf. Deshalb haben wir bei gin Gnadl, in Ihrem Antrag all die Forderungen wieder der Änderung der Hessischen Gemeindeordnung im Jahr aufgewärmt haben, die wir aus guten Gründen bei der No- 2015 darauf gedrungen, dass in Aufsichtsgremien der vellierung des Hessischen Gleichberechtigungsgesetzes Kommunen Männer und Frauen möglichst zu gleichen Tei- nicht mit aufgenommen haben. len entsandt werden und die Gremien zu gleichen Teilen besetzt werden. Ich finde es schade, dass die Verkehrsde- Sie müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass wir mit diesem zernentin der Stadt Wiesbaden abgesetzt wurde, damit Gesetz eine ganz wichtige Neuausrichtung vorgenommen Platz für zwei Männer da ist. haben. Diese Neuausrichtung zielt darauf ab, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen und deshalb die Verein- (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist ja unglaublich!) barkeit von Familienaufgaben und Beruf zu verbessern. Ich spreche bewusst von Familienaufgaben, weil das nicht nur die Kindererziehung, sondern auch die Pflege umfasst, die Vizepräsident Frank Lortz: Frauen heutzutage sehr bedrückt und belastet. Diese Ver- Frau Kollegin, bitte kommen Sie allmählich zum Schluss. einbarkeit muss für Frauen und auch für Männer besser er- reicht werden. Das ist Kern des Hessischen Gleichberechti- gungsgesetzes. Außerdem soll dadurch – wenn man es Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 7003

Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lation zu dem Ziel, eine Verminderung der Ungerechtigkeit zu erreichen? Das, was Sie an Konflikt in Unternehmen Ich danke Ihnen für den freundlichen Hinweis. – Auch das tragen, was vielleicht an Verwaltungstätigkeit und anderem ist Realität und Praxis. erforderlich wird: Ist das der richtige Weg, oder kann man (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vielleicht versuchen, das Unternehmen als Partner zu se- hen, die Verwaltung als eine Organisationeinheit zu sehen, Ganz zum Schluss möchte ich meine große Freude darüber die diese Haltung eigentlich teilt? zum Ausdruck bringen, dass die Änderung bei der Beset- zung des Rundfunkrats dazu geführt hat, dass der Frauen- Der Umgang mit dem Ziel der Gleichberechtigung muss anteil fast verdoppelt worden ist. Statt sieben sind es nun sich nicht konflikthaft darstellen. Ich denke, dass uns die zwölf Frauen. Instrumente, die Sie gerade in der Bundesregierung immer wieder zu schärfen versuchen, dem Ziel, das wir haben, (Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD)) nicht wirklich signifikant näher bringen – jedenfalls nicht Durch den klugen Änderungsmechanismus, wofür ich den im Verhältnis zu dem Aufwand, den Sie den Unternehmen Macherinnen und Machern des Gesetzes herzlich danken und anderen auflasten. Ich wünschte mir, Sie würden ein- möchte, werden wir erreichen, dass auch der Rundfunkrat mal versuchen, einen anderen Weg zu gehen, nämlich aus viel weiblicher wird. Das finde ich eine super Idee. – Vie- einer nicht konflikthaften Sicht heraus zu fragen: Wie kann len Dank. man diesen Weg im Einvernehmen gehen? – Wir sind der Meinung, dass die Lösung, die die Koalition uns vorgelegt (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und hat, immer noch zu stark eingreift. Aber der Versuch, auf bei Abgeordneten der CDU) Konsens und auf Überzeugung zu setzen, ist in dem Stadi- um der Diskussion, in dem wir uns in dieser Gesellschaft Vizepräsident Frank Lortz: befinden, sinnvoller, als immer weiter Zuspitzungen und Konflikte in den Mittelpunkt zu stellen. Vielen Dank, Kollegin Erfurth. – Das Wort hat der Abg. René Rock, FDP-Fraktion, Seligenstadt. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU) (Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP)) Jetzt können Sie natürlich sagen: Da steht wieder der Mann von der FDP-Fraktion, der weiß gar nicht, wovon er redet. René Rock (FDP): (Lisa Gnadl (SPD): So ist es!) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Sie sollten mir glauben, dass auch ich eine Familie habe, Gnadl, meine Vorrednerin, hat Ihnen bereits erklärt, dass dass zu dieser Familie auch Frauen und Töchter gehören, wir die Debatte, die wir hier führen, auch sehr intensiv zu dass man sich selbstverständlich über diese Themen aus- Ihrem Gesetzentwurf geführt haben und dass vieles, was einandersetzt und dass ich die Botschaften, die ich aus die- im Antrag steht, sich ein Stück weit wiederholt. sem Umfeld erhalte, nicht mit den Beobachtungen in Über- (Beifall der Abg. Claudia Ravensburg (CDU)) einstimmung bringen kann, die Sie hier oftmals vortragen. Ich fand es verheißungsvoll, wie Sie in die Debatte einge- (Beifall bei der FDP) stiegen sind. Sie haben damit begonnen, über die Verfas- Frau Gnadl, ich möchte jetzt nicht mit Ihnen in einen Kon- sung zu sprechen. Die SPD ist zweifelsfrei die Partei in flikt eintreten; dieses Erleben ist vielleicht ganz einfach Deutschland, die sich mit Blick auf die Durchsetzung von dem Umfeld geschuldet. Ich würde Sie trotzdem bitten, Frauenrechten große Verdienste erworben hat. Elisabeth den harten, konflikthaften Kurs, den Sie in der Frage der Selbert ist einfach ein Denkmal, eine herausragende Per- Gleichberechtigung fahren, noch einmal zu überdenken sönlichkeit, die viel geleistet hat. Insofern genießt sie An- und zu überlegen, ob Sie wirklich glauben, damit ans Ziel erkennung in allen Fraktionen und in allen Parteien. zu kommen in einer Gesellschaft, in der im Grundsatz ein Ich glaube, bei der Frage der Gleichberechtigung sind wir Konsens besteht und eigentlich nur noch die Frage ist, wie hier im Großen und Ganzen einer Meinung. Ich teile auch wir den Konsens gerade im unternehmerischen Bereich Ihre Analyse, dass die gesellschaftliche Realität der noch besser in die Realität umsetzen können. Gleichberechtigung noch nicht dort angekommen ist, wo (Beifall bei der FDP – Lisa Gnadl (SPD): Wo ist der sie eigentlich ankommen müsste. Ich teile allerdings nicht Konsens bei der Forderung nach gleichem Lohn für die Analyse der Lösung dieser Realität, mit der wir leben. gleiche Arbeit?) Ich möchte das noch etwas grundsätzlicher ausführen. Wir sehen dieses Thema als einen Konflikt in der Gesellschaft, der ausgetragen werden muss zwischen Frauen und Män- Vizepräsident Frank Lortz: nern, zwischen Karrierechancen von Frauen und Unterneh- Vielen Dank, Kollege Rock. – Das Wort hat Frau Abg. men, zwischen der Leitung einer Behörde und Frauen, die Schott, Fraktion DIE LINKE. gute Positionen anstreben. Diese Konflikthaftigkeit, die aus jeder Phase Ihrer politischen Überlegung durchdringt: (Unruhe) Ich weiß nicht, ob diese Art des Versuchs, die Gleichbe- rechtigung in der Gesellschaft besser zu verankern, der Marjana Schott (DIE LINKE): richtige Weg ist. Ich dachte, wir hätten uns darauf verständigt, dass Kom- Ich will nicht bestreiten, dass es sicherlich Möglichkeiten mentare unterbleiben, wenn Abgeordnete ans Pult gehen. gibt, auf gesetzlichem Wege ein Stück voranzukommen. Es wäre schön, wenn sich auch Herr Irmer daran halten Die Frage, die man sich allerdings stellen sollte, lautet: würde. Steht der Aufwand, den man da treibt, in der richtigen Re- 7004 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wir haben gar nicht von hung ihrer Kinder nicht unter einen Hut bringen können Ihnen gesprochen! So bedeutend sind Sie nicht!) oder weil die Rahmenbedingungen so schlecht für sie sind, dass das Erwerbstätigsein nicht zielführend ist, um eine Besserung ihrer Lebenssituation zu erreichen. Vizepräsident Frank Lortz: (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich bitte Sie alle, etwas friedli- cher zu werden. Wenn wir die Situation haben, dass jetzt zwar länger Un- terhaltsvorschuss gezahlt wird, die Regelung aber so kom- pliziert und so ausgrenzend ist, dass die Frauen, von denen Marjana Schott (DIE LINKE): ich hier spreche, ohnehin wieder nicht davon profitieren, weil sie ausgeschlossen sind, dann ist auch das nicht ziel- Lieber Kollege Rock, die Gleichberechtigung ist eine führend, um die Armut von Frauen und ihren Kindern zu Schnecke. Das muss man sagen, wenn man sich die Ent- bekämpfen. Die Ausweitung der Bezugsdauer des Unter- wicklung in den letzten Jahrhunderten anschaut. Wir Frau- haltsvorschusses kommt den Frauen natürlich zugute. Eine en haben ein bisschen die Nase voll davon, die Gleichbe- längere Bezugsdauer und Zahlungen bis zum 18. Lebens- rechtigung im Schneckentempo zu erreichen. jahr der Kinder sind zwar gut, aber da gibt es eine große (Holger Bellino (CDU): Schließen Sie nicht von sich Kröte, die von der SPD geschluckt wurde: Zur Beantra- auf andere!) gung des Unterhaltsvorschusses nach dem 12. Geburtstag eines Kindes müssen die Bescheide des Jobcenters bei den Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dann wird es auch Unterhaltsvorschussstellen vorgelegt werden. Das heißt, in absehbarer Zeit nichts damit werden, das umzusetzen, bis zu 140.000 Jugendliche kommen nach dem 12. Ge- was in unserem Grundgesetz schon seit vielen Jahren ver- burtstag gar nicht in den Genuss von Zahlungen, in den sie ankert ist – dank einer Frau, die dafür mit ihrer persönli- kommen könnten. Das ist doch wirklich nichts, wofür wir chen politischen Karriere gezahlt hat; denn die war damit uns hier beklatschen können. zu Ende. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dann wer- den wir alle, die wir hier im Saale sitzen, die Umsetzung Der Gesetzentwurf zur Förderung der Transparenz von nicht mehr erleben. Das ist ein Zustand, der so nicht geht. Entgeltstrukturen ist aus unserer Sicht ein Placebo, das Es muss mit mehr Nachdruck vorangehen. nicht wirken wird. Wenn ich meinen Chef fragen darf, wie viel meine männlichen Kollegen verdienen, dann ist das (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der einfach zu wenig. In allen Betrieben sollte Transparenz bei SPD) den Löhnen und Gehältern bestehen; dann kommen die Wir haben zwei Anträge vorliegen, die sich in dem einen Frauen gar nicht erst in die Situation, fragen zu müssen. Fall damit beschäftigen, ganz viel Regierungstätigkeit in (Beifall bei der LINKEN) Berlin zu loben, in dem anderen Fall damit, ganz viel Re- gierungstätigkeit hier in Hessen zu loben. Ob das zielfüh- Unabhängig von der Behandlung dieses Gesetzentwurfs rend ist, wage ich zu bezweifeln; denn es wäre doch span- klagt zurzeit eine Redakteurin gegen das ZDF, weil sie für nend, sich anzuschauen, was nicht funktioniert und was gleiche Arbeit viel weniger verdient als ihre männlichen man tun muss, darüber eine Debatte zu führen, was man Kollegen, die netto teilweise mehr haben als sie brutto. An tun muss, damit die Gleichberechtigung in diesem Lande sich ist es bereits ein Skandal, dass das bei einem öffent- endlich voranschreitet, und zwar in dem Tempo, das es lich-rechtlichen Sender passiert. Dieser Skandal wird aller- braucht, damit wir – oder zumindest unsere Kinder – erle- dings von den Aussagen des Richters getoppt, wenn wir ben, dass Frauen und Männer in dieser Gesellschaft tat- der „“ glauben dürfen. Der Richter sächlich gleichgestellt sind, die gleichen Chancen haben, erläuterte der kinderlosen Klägerin, dass Schwangerschaf- und es nicht mehr so ist, wie es jetzt ist. Zurzeit kann man ten dazu beitrügen, dass Frauen eine geringere Berufser- schlichtweg sagen: Armut ist weiblich, Altersarmut ist erst fahrung hätten. Auf die Frage, warum es Männer in der recht weiblich. Es gibt zwar eine Tendenz, dass auch Män- Redaktion gebe, die weniger Berufserfahrung hätten als sie ner zunehmend arm sind; das ist aber nicht die Zielrich- und trotzdem mehr verdienten, fragte er zurück: „Weil der tung, die wir haben sollten. Die Zielrichtung müsste viel- Kollege besser verhandelt hat? Das ist Kapitalismus.“ Das mehr sein, dass wir die Armut abschaffen oder zumindest ist auf jeden Fall ein Grund mehr, den Kapitalismus abzu- zurückfahren, statt dass die Männer bei der Armut „aufho- schaffen. len“ und es auf diese Weise zu einem Ausgleich kommt. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Zurufe (Beifall bei der LINKEN) von der CDU) Wenn ich mir anschaue, was vielen der Maßnahmen, die der Bund macht, innewohnt, dann muss ich sagen: Das hat Vizepräsident Frank Lortz: ganz viel mit der Gleichberechtigung in den Chefetagen zu tun. Es freut mich, wenn das auch dort gelingt. Für die Frau Kollegin Schott, Sie müssen zum Schluss kommen. Mehrheit der Frauen bringt das allerdings keine Verbesse- rungen. Es bringt auch nicht unbedingt eine Verbesserung, Marjana Schott (DIE LINKE): wenn in den Führungsetagen irgendwann einmal mehr Frauen als Männer sitzen; denn die Masse der Frauen ar- Allerdings sollten wir bereits jetzt daran arbeiten, dass beitet im Geringverdienersektor, die Masse der Frauen pro- Lohngleichheit hergestellt wird. Die Landesregierung hätte fitiert vom Mindestlohn – auch wenn der viel zu gering ist, eine gute Gelegenheit, damit anzufangen, indem sie die aber immerhin gibt es ihn –, die Mehrheit der Frauen arbei- Gehälter der Grundschullehrer endlich auf A 13 anhebt. In tet in Bereichen, in denen nach wie vor sehr schlecht ver- den Grundschulen sind zu 90 % Frauen beschäftigt, die die dient wird, oder sie sind alleinerziehend und arbeiten häu- gleiche Ausbildung haben wie die Kollegen an den Haupt- fig gar nicht, weil sie das Erwerbstätigsein und die Erzie- und Mittelschulen, aber schlechter bezahlt werden. Hier Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 7005 haben Sie es in der Hand, zu beweisen, dass Sie es ernst bereits. Genau deshalb ist nämlich der Girls‘ Day jetzt zum meinen. Girls‘ and Boys‘ Day umbenannt worden. (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Die Grundschullehrer Noch ein Wort zu Ihren Forderungen nach echten Ganz- verdienen das Gleiche wie die Grundschullehrerin- tagsangeboten: Sagen Sie doch ehrlicherweise lieber „ver- nen!) pflichtende“ Ganztagsschulen. Das klingt zwar nicht so schön, aber so sind nun einmal die Fakten. Wir bauen die – Die 10 % männlichen Grundschullehrer dürfen gerne die Ganztagsschulen kontinuierlich, aber auf freiwilliger Basis gleiche Besoldung haben. Wir Frauen haben überhaupt aus – nichts dagegen; denn wir sind für Gleichberechtigung. (Hans-Jürgen Irmer (CDU): So ist es!) (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) übrigens mit Zustimmung der SPD; denn schließlich hat sie in Verbindung mit dem Etat 2016, um diesen um über 6 Vizepräsident Frank Lortz: Millionen € aufzuwerten, Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Das Wort hat die (Christoph Degen (SPD): Es gibt viel mehr Gründe!) Frau Abg. Claudia Ravensburg, CDU. für den Ganztag mit gestimmt. Wir sorgen mit dem Pakt für den Nachmittag für mehr Claudia Ravensburg (CDU): Vereinbarkeit in der Grundschulzeit und während der Feri- Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kolle- en. gen! Frau Gnadl, Ihr Antrag ist ein schöner Beweis dafür, (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE dass schwarz-grüne Frauenpolitik in Hessen sehr erfolg- GRÜNEN) reich ist. Sie aber ignorieren die Fakten. Das hat Ihnen Mathias Sie sehen es wahrscheinlich anders, aber schauen wir uns Wagner schon einmal deutlich erklärt. Ich sage es noch doch einmal Ihren Antrag an. Dieser hat fünf Punkte. Die einmal: Alle Anträge von Schulträgern auf gebundene ersten beiden sind verfassungsrechtliche Feststellungen. Ganztagsgrundschulen wurden auch genehmigt. „Wo ist Punkt 3 ist Bundespolitik; darauf gehe ich gern ein. Ja, die denn da der Mangel?“, frage ich mich. Deshalb bleibt von schwarz-rote Bundesregierung hat wichtige frauenpoliti- Ihrem Antrag eben nichts übrig. Ich sage: Stimmen Sie sche Maßnahmen in Angriff genommen, Maßnahmen, die heute besser unserem Antrag zu. Schwarz und Rot gemeinsam im Kabinett und im Bundes- tag vertreten und die wir in unserem Antrag ausdrücklich (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE anerkannt haben. Frau Gnadl, so hätten Sie das auch in Ih- GRÜNEN) rem Antrag formulieren können. Doch was haben Sie dar- CDU und GRÜNE können in der Frauenpolitik bereits eine aus gemacht? Es ist ein Begrüßungsantrag – Frau Schott beeindruckende Bilanz aufweisen. hat es gesagt – für Ihre Ministerin in Berlin geworden. Ein Schelm, wer dabei an die Bundestagswahl denkt. (Holger Bellino (CDU): Jawohl!) (Beifall bei der CDU) Wir haben ein modernes und bundesweit vorbildliches Gleichberechtigungsgesetz beschlossen. Mehr Vereinbar- Doch was Sie dann in Ihren letzten zwei Antragspunkten keit von Familie und Karriere zu ermöglichen, ist ein Eck- mit Bezug auf die hessische Frauenpolitik gemacht haben, pfeiler unseres Gesetzes. Frau Kollegin Erfurt hat dies er- ist doch nichts anderes als das Aufwärmen oller Kamellen. wähnt. (Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD)) (Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- Beginnen wir mit Ihrem Gleichberechtigungsgesetz. Die- ten – Holger Bellino (CDU): Und eine Bundeskanz- ses ist auch im zweiten Durchlauf, ich will daran erinnern, lerin!) (Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- Wir sind davon überzeugt, dass wir mit Anreizen und der ten) Förderung von Frauen mehr erreichen können als durch Zwang. Wir stehen für den konsequenten Ausbau der Be- in der Anhörung krachend durchgefallen. Sie sagen: „In- treuungsangebote in Kita und Schule. Wir haben den strumente“. Ich sage: „Keulen“. Es ist ein Bürokratiemons- Schutz für Frauen und Kinder, die Hilfe benötigen, erheb- ter. lich verbessert – ob für Frauenhäuser, ob für Interventions- (Lisa Gnadl (SPD): Ach, jetzt kommt wieder die Bü- und Beratungsstellen gegen häusliche und sexuelle Gewalt. rokratie!) Wir zeigen, dass pragmatische Regelungen wie beim Rundfunkrat akzeptiert und erfolgreich sind. Es ist Frauenpolitik mit festen Quoten, Zwang und Ge- richtsverfahren; dafür steht die Gleichstellungspolitik der (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE SPD. GRÜNEN) (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr richtig!) Wir werden auch künftig weiterhin konsequent an der Ver- besserung der Chancen und Lebensbedingungen von Frau- Des Weiteren fordern Sie in Ihrem Antrag die Vereinbar- en in Hessen arbeiten. – Vielen Dank. keit von Familie und Karriere. Schön finde ich, dass Sie den Schwerpunkt unseres bereits im letzten Jahr beschlos- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE senen Gleichberechtigungsgesetzes jetzt auch für richtig GRÜNEN) halten. Sie wollen, dass junge Männer die Erzieher- und Pflegeberufe kennenlernen. – Das ist richtig, aber das – Herr Degen hat heute darauf hingewiesen – machen wir 7006 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Vizepräsident Frank Lortz: Erzieherin/Erzieher“ einen wirklichen Erfolg erzielt. Im Schuljahr 2006/2007 waren nur noch 12 % der Erzieherin- Vielen Dank, Frau Kollegin Ravensburg. – Das Wort hat nen und Erzieher in der Ausbildung männlich. Im aktuellen Sozialminister Stefan Grüttner. Bitte. Schuljahr sind es bereits 18 % junge Männer. Betrachtet man die Zuwachsrate nach Geschlecht, dann liegt diese bei Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: den Männern deutlich über dem Zuwachs der Frauen. Auch das macht deutlich, dass es in der Lebenswirklichkeit Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! angekommen ist. Ich will in der Tat an das anschließen, was Frau Ravens- burg eben dargelegt hat. Wenn man sich den Antrag der (Zuruf von der CDU: So ist es!) SPD durchliest, dann stellt man fest, dass es eine Reihe Deswegen sage ich: Auch in Zukunft wird sich Hessen an von allgemeinen Aussagen ist, welchen man durchaus zu- dem selbertschen Verfassungsauftrag messen lassen. Wir stimmen kann. Es werden Maßnahmen benannt, die schon brauchen keinen weiteren Zusatz in der Hessischen Lan- längst beschlossen und umgesetzt worden sind, die bei- desverfassung. Im Mittelpunkt unserer Arbeit werden wir spielsweise auch mit den Stimmen des Landes Hessen in weiterhin die konkreten Lebenslagen und praktischen Be- einem Bundesratsverfahren umgesetzt worden sind, wie dürfnisse von Frauen sehen, angefangen bei der politischen das Mindestlohngesetz. Teilhabe, über die Vereinbarkeit von Familie, Pflege, Be- Gleichzeitig wird noch immer das Pay Gap angesprochen. ruf und Ehrenamt, der Entgelt- und Rentengerechtigkeit An dieser Stelle verweise ich noch einmal auf das, was ich und bis hin zur Armuts- und Gewaltprävention. Wir stehen bereits in der Debatte zu den Gesetzentwürfen gesagt habe: ein für ein gleichberechtigtes Miteinander von Frauen und Es reicht uns schlicht und einfach nicht, dass das bundes- Männern in Hessen. weit gerade einmal um 1 % gesenkt worden ist. Daher ha- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE ben wir in Hessen das Projekt „Entgeltgleichheit“ ins Le- GRÜNEN – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ben gerufen und die Erstellung eines hessischen Entgeltat- schaffen Sie das nicht!) lasses in Auftrag gegeben. Darauf basiert dann auch die Möglichkeit, passgenaue untergesetzliche Maßnahmen in Angriff zu nehmen, um letztendlich Ungerechtigkeiten zu Vizepräsident Frank Lortz: verringern. Herr Minister, vielen Dank. – Frau Kollegin Gnadl hat sich Sie sprechen in Ihrem Antrag auch das Unterhaltsvor- noch einmal für die SPD-Fraktion gemeldet. Bitte sehr. schussgesetz an. Ich darf Ihnen an dieser Stelle sagen: Das ist ein Gesetz, das noch nicht in Kraft getreten ist, obwohl Sie mit Ihrem Antrag genau dies darstellen. Das Gesetzge- Lisa Gnadl (SPD): bungsverfahren ist bisher überhaupt nicht abgeschlossen. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie hantieren in diesem Kontext mit falschen Zahlen. Sie Man kann es auch mit Arroganz versuchen, so wie es der sprechen nämlich von 1,45 Millionen alleinerziehenden Minister, der auch für Frauenfragen zuständig ist, eben Müttern. Wenn Sie sich einmal die Daten des Statistischen versucht hat. Bundesamtes anschauen, dann werden Sie feststellen, dass diese eine andere Sprache sprechen. Dort wird schon jetzt (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU: Na, na, von 2,3 Millionen alleinerziehenden Müttern und von na!) 409.000 alleinerziehenden Vätern gesprochen. Dazu mö- Ich möchte es noch einmal anders versuchen, um zu ver- gen Sie sagen: „Das ist Erbsenzählerei“, aber es bedeutet, deutlichen, um was es uns geht. Ja, aus unserer Sicht be- dass Sie schlicht und einfach einen Antrag hingeschustert darf der Grundsatz der Gleichberechtigung von Frauen und haben, ohne sich zu überlegen, was Sie schreiben. Das ist Männern einer Verankerung in der Hessischen Verfassung, die Conclusio. weil das eben auch ein Ausdruck ist, wie man in Hessen Dann treten Sie auch noch in die Fragestellungen des Hes- Politik gestalten möchte. sischen Gleichberechtigungsgesetzes ein. Das haben wir Dass wir noch nicht alles in Deutschland und in Hessen er- anhand Ihres Gesetzentwurfs bereits diskutiert. Möglicher- reicht haben, was zur Gleichberechtigung beiträgt, das ha- weise sollten Sie es einfach etwas deutlicher lesen. Denn ben wir in unserem Antrag verdeutlicht. Ich habe auch vor- flexible Arbeitszeitmodelle werden in der hessischen Lan- hin in meiner Rede verdeutlicht, was noch alles passieren desverwaltung bereits umgesetzt. Die Frauenbeauftragten muss, damit Frauen in Hessen und in Deutschland gleich- haben ein Klagerecht eingerichtet bekommen, wenn sie berechtigt sind. sich in ihrer Organschaft benachteiligt fühlen. Wir haben den Aspekt Frauen in Führungspositionen bereits in unter- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, Gleichberech- schiedliche Bereiche aufgenommen. Ich weise darauf hin, tigung ist auch ein Kampf. Ohne den Kampf um mehr dass Sie im Hinblick auf die Umsetzung von Gleichberech- Gleichberechtigung hätten wir auch nicht den Gleichbe- tigung auch einmal in unsere Fachkräftestrategie schauen rechtigungsgrundsatz verfassungsrechtlich im Grundgesetz können, insbesondere auf die von uns ins Leben gerufene verankern können, Onlineplattform „Arbeitszeit klug gestalten im Unterneh- (Holger Bellino (CDU): Ist das alles ein Kampf!) men“. An dieser Stelle können Sie sehen, was wir versu- chen mit aufzunehmen. wenn es nicht Frauen wie Elisabeth Selbert gegeben hätte, die darum gekämpft haben. Ich gehe jetzt gar nicht auf die Zahl der Betreuungsplätze in unseren Kindertagesstätten ein. Aber da Sie sich auch (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf der auf die Erzieherinnen und Erzieher berufen haben, will ich Abg. Nancy Faeser (SPD)) Ihnen an dieser Stelle sagen: Wir haben mit unserer Kam- pagne „GROSSE Zukunft mit kleinen HELDEN – Werde Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 7007

Wenn Sie glauben, dass das alles ohne Regelungen läuft, Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend dann können wir noch lange warten, bis Frauen gleichbe- Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen – Drucks. rechtigt sind. Was wäre denn, wenn wir keinen gesetzli- 19/4574 – chen Mindestlohn hätten? – Dann würden jetzt immer noch die Frauen in die Röhre gucken, die im Niedriglohnsektor Die Redezeit beträgt fünf Minuten. Das Wort hat Herr Kol- beschäftigt sind. lege Schaus, Fraktion DIE LINKE. Wenn wir keine klaren Vorgaben bei der Besetzung von Aufsichtsräten gemacht hätten, nämlich dass ein Platz frei Hermann Schaus (DIE LINKE): bleiben muss, wenn nicht genügend Frauen für diese Posi- tionen vorgeschlagen werden, dann hätte es bis jetzt noch Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! keine Veränderungen in den Vorständen und Aufsichtsrä- Am Dienstag hat zuerst die „Frankfurter Rundschau“ be- ten gegeben. richtet, dass das Landeskriminalamt und die Polizeipräsidi- en derzeit pensionierte Polizeibeamtinnen und -beamte an- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schreiben, um sie zu reaktivieren. Für 25 € in der Stunde NEN und der LINKEN) zusätzlich zu ihrer Pension sollen sie angeheuert werden, Deswegen bedarf es gesetzlicher Regelungen, wenn man um beim jüngst erst aufgebauten sogenannten Rückfüh- Gleichberechtigung erreichen will. Das gilt eben auch für rungsmanagement des Landes mitzuarbeiten. das Hessische Gleichberechtigungsgesetz. Wer sich zu einer Vollzeittätigkeit bereit erklärt, könnte al- Frau Erfurth hat eben verschiedene positive Dinge er- so bei 173 Stunden à 25 € bis zu 4.325 € pro Monat, frei wähnt, die im Hessischen Gleichberechtigungsgesetz ver- von Abgaben, zusätzlich einstreichen; denn, so steht es im ankert wurden, beispielsweise auch zum Thema Vereinbar- Schreiben, es gebe da keine Hinzuverdienstgrenzen. keit von Familie und Beruf. Ich habe es bereits am Dienstag gesagt: Weil Personalman- Was passiert denn, wenn Frauenbeauftragte nicht die not- gel bei der Polizei herrscht, werden nun Pensionierte mit wendigen Instrumente besitzen, um diese Dinge dann auch Zusatzgeld gelockt, um offenbar in großem Maß Abschie- durchsetzen zu können? – Dann bleibt das, was Sie Schö- bungen zu organisieren; denn das ist die zentrale Aufgabe nes vorschlagen, ein zahnloser Tiger. Das ist doch das Pro- eines Rückführungsmanagements, angesiedelt beim Lan- blem. Gleiches gilt für die Gremienbesetzung. deskriminalamt. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Die Gewerkschaft der Polizei kritisiert zu Recht, dass die Polizei Tätigkeiten übernehmen soll, die Aufgaben der Gleichberechtigung bedarf eben klarer Regeln und klarer Ausländerbehörden und des Bundesamts für Migration und Vorgaben, sonst werden wir sie nicht erreichen. Flüchtlinge sind. Wenn wir irgendwann einmal so weit sind, dass wir eine Es geht aber nicht nur um Beratung und Unterstützung von tatsächliche und nicht nur verfassungsrechtlich verankerte freiwillig Ausreisenden, wie uns der Innenminister am Gleichberechtigung von Frauen und Männern haben, dann Dienstag weismachen wollte; dafür braucht man kein bin ich gerne bereit, auf alle diese Instrumente zu verzich- Rückführungsmanagement innerhalb der Polizei. Es geht ten. um die Ausübung von Druck auf Ausreisepflichtige und (Beifall bei der SPD und der LINKEN) um die koordinierte, massenhafte und zentrale Organisati- on von Abschiebungen. Herr Minister, am Dienstag haben Sie auf meine Fragen Vizepräsident Frank Lortz: nicht geantwortet. Also versuche ich es heute noch einmal. Vielen Dank, Frau Kollegin Gnadl. – Es liegen keine wei- Was ist an Abschiebungen im großen Stil geplant? Wie teren Wortmeldungen vor. soll das organisatorisch durchgeführt werden? Sollen jetzt auch jahrelang geduldete und bereits gut integrierte Men- Es ist verabredet, die beiden Anträge an den zuständigen schen wieder in Kriegsgebiete zurückgeführt werden? Fachausschuss zu überweisen. (Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU)) Dann rufe ich die letzten Tagesordnungspunkte auf. Ta- gesordnungspunkt 53: Meine Damen und Herren, die hessischen GRÜNEN ver- stecken sich derzeit gerne hinter dem Bundesinnenminister Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion DIE und dem Auswärtigen Amt, wenn es um die angeblich si- LINKE betreffend Mobilisierung pensionierter Polizei- cheren Gebiete in Afghanistan geht. kräfte für Abschiebungen belegt völlig verfehlte Perso- nalplanung und inhumane Flüchtlingspolitik der Lan- (Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: desregierung – Drucks. 19/4556 – Falsch!) Jüngst konnten wir erleben, wie Herr de Mazière die siche- Tagesordnungspunkt 61: reren Gebiete zu rechtfertigen versuchte. Ich zitiere aus Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der den „Tagesthemen“ vom 20.02.2017: CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend aus- Die normale zivile Bevölkerung ist zwar Opfer, aber reisepflichtige Asylbewerber aus Afghanistan – Drucks. nicht Ziel von Anschlägen der Taliban, und das ist 19/4573 – ein großer Unterschied. Tagesordnungspunkt 62: Die Absurdheit und der Zynismus, die in dieser Antwort stecken, sind nicht mehr zu überbieten. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) 7008 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Herr Klose, Sie haben als Landesvorsitzender der GRÜ- Diese Position teilt im Übrigen auch die Internationale Or- NEN am 11.02.2017 in der „hessenschau“ behauptet: ganisation für Migration. Gerade im Dezember hat der Ge- neraldirektor erklärt, dass auch aufgrund der Erfahrungen Es ist in Hessen auch so wie in anderen Bundeslän- mit der hohen Zahl an freiwilligen Rückkehrern die Sicher- dern, dass vorrangig, d. h. vorerst nur Straftäter ab- heitslage in bestimmten Regionen als sicher gilt. Über geschoben werden. 3.200 Menschen sind nämlich im vergangenen Jahr frei- Herr Klose, Sie wissen doch ebenso wie wir, dass sich un- willig nach Afghanistan zurückgekehrt. Jetzt muss man ter den vier jungen Männern aus Hessen, die am 8. Dezem- sich schon die Frage gefallen lassen: Warum sollten diese ber 2016 von Frankfurt aus abgeschoben wurden, drei völ- Menschen das tun, wenn die Lage in Afghanistan so wäre, lig unbescholtene Flüchtlinge befanden, die nach vier bis dass man dorthin nicht abschieben kann? sechs Jahren bereits integriert waren. Gestern wurden er- (Janine Wissler (DIE LINKE): Weil es nicht ganz neut vier Flüchtlinge aus Hessen von München aus nach freiwillig war!) Afghanistan abgeschoben. Jetzt kommen wir einmal zum Bericht vom UNHCR vom Herr Klose, ich würde mir wünschen, dass sich die hessi- 22.12. Ja, dort sind ernst zu nehmende Hinweise auf eine schen GRÜNEN endlich der Ablehnungsfront der Länder Verschlechterung der Sicherheitslage enthalten. In einem Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westphalen, , zentralen Punkt kommt man aber zu einer sehr ähnlichen Rheinland-Pfalz und Thüringen anschließen und sich nicht Einschätzung wie der Asyllagebericht des Bundes. Denn weiter hinter dem Auswärtigen Amt verstecken. auch dieser Bericht bestätigt, dass es in Afghanistan große (Beifall bei der LINKEN und der SPD) regionale Unterschiede gibt. Bitte hören Sie also auf, Ihre eigene Wählerschaft und alle (Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den anderen weiter an der Nase herumzuführen. Vorsitz.) (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Jetzt möchte ich ganz kurz auf eine Pressemitteilung der Linksfraktion eingehen, die heute herausgegeben wurde. Da wird sozusagen der UNHCR zitiert. Die Sicherheitslage Vizepräsident Frank Lortz: sei so, dass es keine sicheren Regionen in Afghanistan ge- Vielen Dank, Herr Kollege Schaus. – Das Wort hat Frau be. Ich darf das hier kurz einmal zeigen. Das ist von den Abg. Astrid Wallmann, CDU-Fraktion. „Tagesthemen“. Ich darf kurz einmal den UNHCR zitie- ren: (Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE)) Mit Blick auf … Afghanistan möchte UNHCR an- merken, dass UNHCR aufgrund der sich ständig än- Astrid Wallmann (CDU): dernden Sicherheitslage bei der Feststellung interna- tionalen Schutzbedarfes selbst keine Unterscheidung Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen von „sicheren“ und „unsicheren“ Gebieten vor- und Herren! Ich möchte mich bei der Debatte auf ein paar nimmt. wesentliche Fakten beschränken und vor allem auch ein paar Sachen zurechtrücken. (Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, genau!) Im Oktober 2016 hat es ein bilaterales Rückkehrabkom- Aber dann können Sie sich ganz sicher auch nicht darauf men zwischen Deutschland und Afghanistan und genauso beziehen, wenn Sie in Ihrer Pressemitteilung sagen – – zwischen der EU und Afghanistan gegeben. Aktuell schie- (Janine Wissler (DIE LINKE): Sie verstehen nicht, ben die skandinavischen Länder und auch beispielsweise was Sie gerade vorgelesen haben! Das soll jetzt ein die Niederlande nach Afghanistan ab. Weitere Abschie- Witz sein!) bungen sind angekündigt. Zuständig ist und bleibt die Bun- desregierung, und nach ihrer Einschätzung gibt es sichere – Nein, nein, dann haben Sie die „Tagesthemen“ nicht ver- Regionen. Im Übrigen wird nur in diese Regionen zurück- standen. Doch, das ist ein sehr klarer Hinweis, dass geführt. UNHCR das eben gerade nicht vornimmt. (Janine Wissler (DIE LINKE): Welche sind die si- (Beifall bei der CDU) cheren Regionen?) UNHCR nimmt das ausdrücklich nicht vor. Das hat die Grundlage hierfür – und ich finde, das ist wesentlich dafür Bundesregierung übrigens auch geteilt. – ist der aktuelle Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes. Außerdem – das ist vielleicht auch noch einmal wichtig zur Das Außenministerium wird derzeit von Sigmar Gabriel, Kenntnis zu nehmen – hat der Sprecher von Sigmar Gabri- SPD, geführt. el, dem neuen Bundesaußenminister, gerade erst, und zwar (Zuruf von der SPD: Gut, dass Sie es noch einmal im Nachgang des UNHCR-Berichts, mitgeteilt, dass es kei- erwähnen!) ne generelle Neubewertung geben wird. Demnach ist die Sicherheitslage volatil und weist regional Dann kommen wir jetzt einmal zum SPD-Antrag. Da for- starke Unterschiede auf. dern Sie in Punkt 2, mit dem Bundesinnenminister darauf hinzuwirken, dass es längerfristig keine Abschiebungen (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) gibt. Grundlage – das habe ich eben gesagt – ist der Asyl- Es gibt Provinzen und Distrikte, die eben als vergleichs- lagebericht des Auswärtigen Amtes. Dann finde ich, dass weise sicher und stabil eingestuft sind. hier auch der Bundesaußenminister genannt werden sollte. (Janine Wissler (DIE LINKE): Könnten Sie die ein- (Michael Boddenberg (CDU): Wenn schon, denn mal namentlich nennen?) schon!) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 7009

Ehrlich gesagt, finde ich, dass Sie es sich da ein bisschen dazu, dass Menschen, die keinen Schutzstatus haben, unser einfach machen. Das sollten Sie dann vielleicht einmal mit Land eben auch wieder verlassen müssen. – Vielen Dank. ihm klären. Wenn Sie sich sozusagen nur auf den CDU- (Beifall bei der CDU) Minister beziehen, merkt man eben auch, dass Sie da ir- gendwie Parteipolitik machen. Der Bundesaußenminister ist da genauso in der Verantwortung. Vizepräsidentin Heike Habermann: (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Bocklet für GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich kann hier auch noch andere SPD-Politiker nennen. Auch Hamburg schiebt weiterhin ab. Der Innensenator hat das gestern auch noch einmal formuliert. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben geringe Ermessensspielräume. Das haben wir Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! hier auch schon diskutiert. Wir haben außerdem gesagt, Wir befinden uns in einer schwierigen Situation. Wir hören dass wir – das ist klar – eine intensive Einzelfallprüfung Berichte – zuletzt auch vom UNHCR –, die beträchtliche machen und uns vorrangig auf Straftäter konzentrieren Zweifel daran aufkommen lassen, ob Abschiebungen nach wollen. Afghanistan angesichts der Sicherheitslage im Land noch zu verantworten sind. Trotz dieser Zweifel hält die Bun- Jetzt wird es interessant, wenn wir zu dem Abschiebestopp desregierung bislang an ihrer Praxis fest. Wir GRÜNE tei- am Beispiel Schleswig-Holstein kommen. Das wird hier len ausdrücklich die Bedenken bei der Sicherheit in Afgha- auch zitiert. Das ist nämlich eine verkehrte Welt. Gestern nistan, liebe Kolleginnen und Kollegen. gab es ja auch eine Debatte dazu im Schleswig-Holsteini- schen Landtag. Die Wahrheit ist: Schleswig-Holstein so- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wie alle anderen Länder haben ja Straftäter von diesem Wir haben deshalb auf Bundes- wie auf Landesebene ein- Abschiebestopp ausgenommen. Das Perfide daran ist doch, mütig die Bundesregierung aufgefordert, unter Berücksich- dass man also sagt, dass Straftäter dorthin können, dafür ist tigung der Erkenntnisse von UNHCR, der NGOs und der es sicher genug, aber für alle anderen nicht. Das funktio- in Afghanistan tätigen Hilfsorganisationen die Situation niert ja nicht. Entweder ist es sicher, oder es ist nicht si- nochmals zu überprüfen und so die Voraussetzung für ein cher. Das kann mir dann auch keiner erklären. Ende der derzeitigen Abschiebepraxis zu schaffen. (Beifall bei der CDU) (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Dauerhaft!) Wir haben einen Beschluss der Innenministerkonferenz. – Ja, natürlich dauerhaft. Richtig, genau. Das kann man Da sind alle Länder vertreten. Demnach sind – das ist gel- selbstverständlich noch dazusagen. tende Beschlusslage – Abschiebungen nach Afghanistan nicht generell ausgeschlossen. Wir müssen funktionierende (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Regeln haben, die die Rückkehr derer sicherstellen, die bei Abgeordneten der SPD) hier eben kein Aufenthaltsrecht haben. Wir leben in einem Die Frage von Kollegen Schäfer-Gümbel ist richtig. Eine Rechtsstaat, und es gehört eben dazu, dass Gesetze auch dauerhafte Lösung bei dem Thema Abschiebung nach Af- angewandt werden. ghanistan kann es nur geben, wenn die Sicherheitseinschät- (Zuruf von der CDU: Sehr richtig! – Zuruf des Abg. zung des Bundesaußenministers eine andere ist, woraufhin Willi van Ooyen (DIE LINKE)) der Bundesinnenminister einen anderen Bericht zu Her- kunftsländern an das BAMF gibt, woraus folgt, dass das Wer das nicht möchte, soll das dann sagen. Aber vom BAMF keine Spielräume hat, um überhaupt noch ableh- Landtag aus halte ich es für falsch, Gesetze außer Kraft zu nende Bescheide zu erstellen, sodass Afghanen erst gar setzen. nicht mehr ausreisepflichtig sind. Das ist die Grundvoraus- Ich sehe die Zeit, Frau Präsidentin. – Einen Satz möchte setzung. ich zur Aktivierung pensionierter Polizisten sagen. Ich (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- kann überhaupt nicht nachvollziehen, was daran kritikwür- ruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD)) dig sein soll, dass man Ausländerbehörden unterstützt. Ich will da keine Schärfe hineinbringen, zumindest nicht (Zuruf von der LINKEN: Jetzt kommen Sie doch aufgrund der Kürze der Redezeit. Ich will Ihnen sagen, was noch zum Thema!) die Konsequenzen daraus sind, dass das nicht so ist, dass Daran kann ich nichts finden. es auf Bundesebene eine solche Regelung gibt. Das bedeu- tet, dass jedes Bundesland seine Ermessensspielräume nut- (Beifall bei der CDU) zen muss. Wichtig ist in diesem Zusammenhang für uns GRÜNE – Vizepräsidentin Heike Habermann: und das gilt für alle elf Bundesländer, in denen GRÜNE mitregieren –, dass die Interessen der Menschen aus Af- Kollegin Wallmann, bitte ein letzter Satz. ghanistan gewahrt bleiben und die Ermessensspielräume in den Ländern effektiv genutzt werden. Auf dem Weg dort- hin gibt es unterschiedliche Optionen. Aber im Ergebnis Astrid Wallmann (CDU): halte ich für heute fest: Ob Schleswig-Holstein, ob Hessen, Ja. – Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Posi- ob Thüringen, Rheinland-Pfalz oder andere – wir in Hes- tion ändert sich nicht, wie oft wir das auch diskutieren. Wir sen haben uns für die Option entschieden, dass die Landes- stehen zur Solidarität mit politisch verfolgten Menschen, verwaltung die Einzelfälle so daraufhin prüft und dass sie die unsere Hilfe benötigen. Aber genauso stehen wir auch ihre Ermessensspielräume so wahrnimmt, dass faktisch nur 7010 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 noch vorrangig Straftäter nach Afghanistan abgeschoben (Holger Bellino (CDU): Dafür waren Sie jetzt nicht werden. sachlich!) (Zuruf von der SPD) – Sie haben ja recht. Warum gehe ich auf Sie ein? Das heißt: Wir haben eine Lösung, die nicht auf drei Mo- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. nate beschränkt ist, wie das etwa in Schleswig-Holstein mit Ulrich Wilken (DIE LINKE)) dem temporären Abschiebestopp der Fall ist, sondern wir Der erste Aspekt zu dem Antrag der LINKEN – Stichwort: haben eine Lösung, die bedeutet: Wir prüfen jeden Einzel- pensionierte Polizeibeamte –: Sie werden nicht erst seit ein fall, und zwar dahin gehend, ob da ein Straftäter oder paar Tagen eingesetzt, schon länger. Mehrfachstraftäter ausreisepflichtig ist. (Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU)) (Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE)) Das zeigt in der Tat, dass wir eine verfehlte Personalpolitik Diese Personen werden vorrangig abgeschoben. haben. Das haben wir seit Jahren thematisiert. Nicht nur Das zeigt auch: Wer sich fragt, wer in diesem Flieger in Polizeibeamte werden jetzt benötigt, sondern auch Tarifbe- München saß, den verweise ich darauf, dass der hessische schäftigte. Innenminister heute öffentlich bekannt gegeben hat, dass (Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU)) sich vier ausreisepflichtige Mehrfachtäter aus Hessen an Bord diese Maschine befanden. Die könnten tätig werden. Jetzt werden acht Stellen im hö- heren Dienst geschaffen. Kollegin Faeser hat es gesagt. Al- Damit haben wir als Regierungskoalition eine Vereinba- so: Es rächt sich. Man braucht auch qualifiziertes Personal rung getroffen, die die Landesverwaltung klugerweise um- zur Erfüllung seiner Aufgaben. Meine sehr verehrten Da- setzt und die für mich bedeutet: Faktisch werden nach Af- men und Herren, das ist die Konsequenz einer verfehlten ghanistan nur noch Straftäter abgeschoben. Das ist aus un- Personalpolitik der letzten Jahre. serer Sicht eine gute Lösung. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) KEN) Weil meine Redezeit nahezu abgelaufen ist, erspare ich mir Nachdem dieser Sachverhalt relativ klar darstellbar ist, ist die Bemerkung, dass ich mir das Engagement aller hier im der zweite Teil schon deutlich komplizierter. Wie gehen Raume Vertretenen wünsche, dass der Druck auf die Bun- wir mit dem Thema Abschiebung nach Afghanistan um? desebene so stark wird, dass wir uns über dieses Thema Ich glaube, keine Fraktion hier im Landtag macht es sich möglichst schnell nicht mehr unterhalten müssen. leicht und hat die Patentlösung; denn hier geht es um Men- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und schen, und ich finde, da sollte das Gebot der Humanität der SPD) von uns gemeinsam an die erste Stelle zu setzen sein. Ein denkbares Modell wäre, Afghanistan gleich zu behan- Ja, die Bundesregierung trägt natürlich auch die Hauptver- deln wie Syrien. Sie kennen die Verfahren, sie sind schnell antwortung – nicht nur der Bundesaußenminister, sondern und sicher. Dann wäre das eine mögliche Lösung, die jedes die gesamte Bundesregierung. Da sind zwei Ministerien einzelne Bundesland und auch Hessen vor diesen quälen- gefordert: das Außenministerium und das Innenministeri- den Prozessen schützt und die vor allem für die Menschen, um. Sie sind natürlich auch für die Beurteilung der La- die Afghanen, die hier von Abschiebung bedroht sind, eine ge – – deutliche Erleichterung bedeuten würde. Denn sie wüssten (Michael Boddenberg (CDU): Das ist völlig unstrei- dauerhaft und sicher, dass sie nicht abgeschoben werden, tig!) es sei denn, sie sind Straftäter. – Das bestreiten Sie, dann nehmen wir das so zur Kenntnis. Das ist unser Ziel. Wir GRÜNE haben damit ein klares Si- gnal gesetzt. Wir danken unserem Koalitionspartner, und (Michael Boddenberg (CDU): Nein, das ist völlig ich denke auch: Wenn die Oppositionsfraktionen – vor al- unstreitig!) lem die SPD – ihrer Verantwortung gerecht werden, müs- sen wir hier vielleicht in nur wenigen Wochen schon gar – Völlig unstreitig. – Dann können wir als Landtag auch – nicht mehr über dieses Thema reden. – Danke schön. das Angebot machen wir Ihnen – die Regierung unterstüt- zen und bitten, dass wir uns an die Bundesregierung wen- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den: Sie sollen die Sicherheitslage in Afghanistan neu bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Manfred überprüfen. Pentz (CDU) – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das stimmt!) (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN – Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU)) Das können wir gemeinsam hier und heute verabreden. Vizepräsidentin Heike Habermann: Das ist ein wichtiger Anhaltspunkt; denn der Bericht des Vielen Dank. – Nächster Redner ist Kollege Rudolph für UNHCR – er ist erwähnt worden – weist darauf hin, dass die SPD-Fraktion. die Situation in Afghanistan in vielen Bereichen eben nicht sicher ist. (Zurufe der Abg. Alexander Bauer (CDU) und Ti- Günter Rudolph (SPD): mon Gremmels (SPD)) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie sagen ja zu Recht, die Hauptverantwortung trägt der Ich fand die Debatte bisher durchaus sachlich. Herr Kolle- Bund. Das teilen wir. Aber wenn wir ehrlich sind, haben ge Bellino, bei einem Thema, das wir, glaube ich, gemein- wir natürlich auch als Land eine Möglichkeit, einen Ermes- sam – – Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 7011 sensspielraum, was Sie sehen, wenn Sie sich den § 60a des (Beifall bei der SPD und des Abg. Hermann Schaus Aufenthaltsgesetzes anschauen, wie wir es in unserem An- (DIE LINKE)) trag formuliert haben. Ein Land kann einen vorübergehenden Abschiebestopp für Vizepräsidentin Heike Habermann: drei Monate nach § 60a Abs. 1 Aufenthaltsgesetz für Af- ghanistan erlassen. Dieser Ermessensspielraum ist vorhan- Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Greilich, den. Das Land Schleswig-Holstein nutzt ihn, und deswe- FDP-Fraktion. gen ist es ein rechtlich zulässiges Instrument im Interesse der Menschen und der humanitären Verantwortung, die wir gemeinsam haben. Wolfgang Greilich (FDP): (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf des Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Abg. Alexander Bauer (CDU)) Wir haben eigentlich auf der Tagesordnung den Dringli- chen Entschließungsantrag der LINKEN, bei dem es zu- In Thüringen und in Nordrhein-Westfalen wird es nicht nächst einmal um die Mobilisierung pensionierter Polizei- formaljuristisch, aber faktisch ähnlich gehandhabt. kräfte geht. Aber ich habe inzwischen verstanden, dass das (Lachen des Ministers Tarek Al-Wazir) offensichtlich nur der Aufhänger war, um das Thema Af- ghanistan anhängen zu können, um den gescheiterten Ver- – Ja, Herr Al-Wazir, ich weiß nicht, was Ihre permanenten such erneut zu unternehmen, das an einen anderen Punkt Zwischenrufe immer sollen. Na ja, dass Sie allwissend der Tagesordnung anzuknüpfen. sind, weiß ich. Aber dieser Zwischenton ist bei der Debatte völlig unangemessen; denn ich habe den Eindruck, wir (Hans-Jürgen Irmer (CDU): So ist es!) wollen gemeinsam an einer Lösung eines schwierigen Trotzdem vorab dann einen Satz zu dem Thema: Es spricht Sachverhaltes arbeiten. überhaupt nichts dagegen, gerade wenn Personalengpässe Noch einmal: Das Gebot der Humanität muss Priorität bei bestehen, wenigstens pensionierten Beamten die Möglich- dieser Frage im Hessischen Landtag haben. keit zu geben, dort ihre Tätigkeit auszuüben. Das gilt im Lehrerbereich – wir hatten das gestern oder vorgestern, ich (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- weiß es schon gar nicht mehr –, und das gilt im Polizeibe- KEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU)) reich ganz genauso. Ich sage insgesamt, wir sollten sowie- Herr Kollege Bocklet, deswegen will ich Ihre Anregung so sehr viel mehr für die Flexibilisierung der Altersgrenze und Ihren Hinweis auch durchaus aufgreifen. Sie haben ge- tun und den Menschen die Gelegenheit geben, so lange zu sagt, es würden Kriterien vorliegen, wie wir mit dem The- arbeiten, wie sie das selbst für richtig halten, und sie nicht ma Abschiebung nach Afghanistan umgehen. Dann greife zwangsweis in Ruhestand schicken. ich den Ball auf. Dann würden wir Sie als Koalitionsfrakti- (Beifall bei der FDP) on, als Teil der Landesregierung bitten, diese Kriterien auch dem Landtag in einem zuständigen Ausschuss kurz- Aber das Thema Afghanistan, um das es offensichtlich an- fristig darzulegen, damit nachvollziehbar ist, unter welchen sonsten geht, hatten wir jetzt in jeder Plenarrunde – ich Bedingungen eine Abschiebung nach Afghanistan über- glaube im Dezember, Januar, Februar, vielleicht kommt es haupt noch möglich ist; denn wir brauchen natürlich eine im März auch wieder. Das Thema ist ein wichtiges, aber es Gleichheit der Anweisungen für die Ausländerbehörden, hat sich an den Rahmenbedingungen relativ wenig geän- damit nicht die eine Ausländerbehörde so und die andere dert, seitdem wir das im Dezember hier diskutiert haben. Ausländerbehörde so entscheidet. Fest steht nun einmal – das müssen wir alle zur Kenntnis nehmen –: Abschiebungen sind zum Abschluss eines um- (Beifall bei der SPD) fangreichen rechtsstaatlichen Verfahrens mit individueller Deswegen sind wir Ihnen für diesen Hinweis dankbar. Wir Prüfung die Konsequenz daraus, wenn im Einzelfall fest- haben eine Verantwortung auch auf Bundesebene, die gestellt wird, hier gibt es keinen Aufenthaltsstatus, kein GRÜNEN übrigens über den Bundesrat. Ich könnte jetzt Aufenthaltsrecht. Solche rechtsstaatlichen Entscheidungen auf die Diskussion nach den Abschiebungen von gestern in müssen letztlich auch exekutiert, also umgesetzt und voll- Baden-Württemberg hinweisen, den augenscheinlichen zogen werden, wenn sich dieser Staat nicht lächerlich und Dissens zwischen Ministerpräsident und Innenminister. unglaubwürdig machen will. Aber ich glaube, das parteipolitische Karo sollten wir bei (Beifall bei Abgeordneten der CDU) dieser Frage einmal außen vor lassen. Ich finde, das ist bis- her in dieser Debatte auch gelungen. Ein spezielles Thema ist in der Tat die Situation in Afgha- nistan. Deswegen haben wir uns hiermit auch schon mehr- (Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU)) fach sehr intensiv befasst. Wir schauen alle – ich glaube, Das ist bisher in dieser Debatte gelungen – bis auf einen das kann man für alle Fraktionen sagen – seit Jahren mit einzelnen Zwischenrufer in der ersten Reihe der CDU. großer Sorge auf die innenpolitische Situation in Afghani- stan. Nicht umsonst hat sich die Bundesrepublik dort mas- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es der Sa- siv engagiert, und es ist höchst bedauerlich, dass es nicht che dient, sollten wir die Anträge an den zuständigen In- gelungen ist, dort eine dauerhafte flächendeckende Befrie- nenausschuss überweisen. Wir sollten dann zur nächsten dung zu schaffen. Sitzung die Landesregierung bitten, die Kriterien darzule- gen. Wenn es darum geht, Humanität an erste Stelle zu set- (Willi van Ooyen (DIE LINKE): Im Gegenteil!) zen, dann, glaube ich, haben wir eine gemeinsame Verant- Es gibt keine Sicherheit in Afghanistan. Das ist ein Tatbe- wortung. Vielleicht ist es auch einmal der Lackmustest, ob stand, an dem keiner vorbeikommt. Aber es gibt auf der es in diesem Hessischen Landtag gelingen kann. – Vielen anderen Seite nach der Einschätzung der Bundesrepublik Dank. Deutschland, der zuständigen Minister der Bundesrepublik 7012 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017

Deutschland, des früheren zuständigen Bundesaußenminis- Deutschland, die in der Tat zuständig ist, ist, dass die Si- ters Steinmeier, des jetzigen zuständigen Außenministers cherheitslage in Afghanistan Rückführungen nach Afgha- Sigmar Gabriel – so heißt er –, offensichtlich Bereiche in nistan zulässt. Das ist bisher gerichtlich bestätigt worden, Afghanistan, in die man abschieben kann, weil es dort si- soweit ich das weiß. Im Übrigen gilt das auch für unsere cher ist. Ich wiederhole das, was ich hier auch schon mehr- europäischen Nachbarn, die ebenfalls Rückführungen nach fach gesagt habe: Das entzieht sich meiner Beurteilung. Es Afghanistan durchführen. ist Sache der zuständigen Instanzen in der Bundesrepublik Ich sage, ich habe auch keine Zweifel an der Korrektheit Deutschland, insbesondere des Außenministeriums, diese der Einschätzung der Bundesrepublik Deutschland und der Entscheidung zu treffen. Die Diskussion, wie sie teilweise Bundesregierung hierzu. Wir haben am Ende Recht und geführt wird, ist in der Tat eine, die einen häufiger zum Är- Gesetz umzusetzen. ger bringen kann. Meine Damen und Herren, wir haben die Akzeptanz in der (Beifall bei der FDP) Bevölkerung für die Aufnahme von Flüchtlingen. Wir ha- Ich habe es jetzt in der „Frankfurter Rundschau“ gelesen. ben in den vergangenen zwei Jahren viele Menschen in un- Der geschätzte Herr von Bebenburg, der in der Tat sehr ser Land aufgenommen. Ich finde, dass wir, diesem huma- sorgfältig arbeitet, ist da aber, immer mal ein wenig von nitären Auftrag folgend, die Akzeptanz weiterhin hochhal- der Emotion geleitet, ein bisschen unsorgfältig, wenn er ten müssen, sodass wir auch in Zukunft Flüchtlinge in un- von der Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan serem Land aufnehmen. Dafür ist es aber unabdingbar, spricht. dass wir diejenigen, die kein Bleiberecht in unserem Land haben, wieder in ihre Heimatländer zurückführen. (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das sehe ich nicht so!) (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der Meine Damen und Herren, es geht nicht um die Abschie- FDP) bung von Flüchtlingen. Diese Begriffsverwirrung, diese Legende, muss man einmal ein wenig aufräumen. Da gibt es keine Unterschiede, sondern da geht es nach Recht und Gesetz und nach vollziehbarer Ausreisepflicht. (Zuruf des Abg. Armin Schwarz (CDU)) Meine Damen und Herren, wie wir die Rückführung nach Flüchtlinge dürfen nach geltendem deutschen Recht nicht Afghanistan durchführen, haben wir in den Debatten hier abgeschoben werden – egal, welchen Flüchtlingsstatus Sie im Hessischen Landtag bereits miteinander erörtert. Es ist haben. Die Menschen, um deren Abschiebung es geht, ha- niedergelegt, auch die Kriterien oder Maßstäbe sind darge- ben eben keinen Flüchtlingsstatus, sind keine Flüchtlinge. legt in den Anträgen, die wir hierzu im Hessischen Land- (Beifall bei der FDP und der CDU) tag beschlossen haben. Ich weise darauf hin, Herr Kollege Schaus, Herr Kollege Rudolph, Sie waren beide dabei: Ich Es dürfen nur diejenigen abgeschoben werden, die keinen habe in der letzten Innenausschusssitzung zu diesen Fra- rechtlichen Aufenthaltsstatus haben. gen, sowohl was die Maßstäbe angeht wie auch was das Meine Damen und Herren, Sie erwecken mit Ihrem Ver- Rückführungsmanagement und das entsprechende Referat halten den Eindruck, Deutschland sei ein Willkürstaat. Das im hessischen Innenministerium angeht, ausführlich Stel- ist nicht nur falsch, sondern das untergräbt das Vertrauen lung genommen. in die Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren, wir mobilisieren im Moment (Beifall bei der FDP und der CDU) Polizeivollzugsbeamte. Wir reaktivieren nicht, sondern wir mobilisieren Pensionäre zur Unterstützung der Ausländer- Deutschland und im Besonderen Hessen gewähren großzü- behörden dabei, dass sie den anfallenden Aufwand, der gig Zuflucht und Aufenthalt für Menschen, die vor Verfol- durch die vielen Entscheidungen, die jetzt durch das Bun- gung und Krieg fliehen müssen. Wer aber am Ende eines desamt für Migration und Flüchtlinge bei den Ausländer- rechtsstaatlichen Verfahrens – das wiederhole ich – nach- behörden entsprechend ankommt, bewältigen können. Des- weislich keinen Anspruch auf Aufenthalt hat, der muss wegen ist die Folgerung zweifach falsch, die Herr Kollege wissen, dass unser Rechtsstaat sich dann auch durchsetzt, Rudolph hier getroffen hat. um die Interessen unseres Landes zu wahren. Erstens. Die Situation, die wir in Hessen mit den Flücht- Meine Damen und Herren, das erwarten wir als Freie De- lingszugängen haben, war nicht erkennbar. Das ist keine mokraten von unserem Staat, und – das habe ich hier schon Frage von jahrzehntelanger Personalpolitik. Das ist einmal gesagt – das erwarten die Menschen in unserem schlicht und ergreifend falsch. Land von der Politik. (Günter Rudolph (SPD): „Jahrzehntelang“ habe ich (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der nicht behauptet!) CDU) – Sie haben aber die Personalpolitik in den Raum gestellt. Ich sage Ihnen, es war nicht erkennbar, dass 1 Million Vizepräsidentin Heike Habermann: Flüchtlinge nach Deutschland kommen. – Mit den Auswir- Vielen Dank. – Das Wort hat Staatsminister Beuth. kungen haben wir uns jetzt zu beschäftigen, und das in ei- ner anständigen und ordentlichen Form nach Recht und Gesetz. Wenn wir temporäre Spitzen haben, temporäre Be- Peter Beuth, Minister des Innern und für Sport: lastungsspitzen in bestimmten Behörden, dann müssen wir darauf jetzt reagieren. Das tun wir in einer angemessenen Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Form. Das Thema Abschiebungen nach Afghanistan haben wir in mehreren Debatten hier schon miteinander geklärt und dis- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE kutiert. Die aktuelle Bewertung der Bundesrepublik GRÜNEN) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 7013

Das ist das Erste, was Sie übersehen haben, Herr Kollege len, erstens den UNHCR-Bericht komplett zu lesen und Rudolph. nicht nur einen Satz, den Sie dann auch noch falsch ver- standen haben. Der Bericht des UNHCR – ich kann ihn zi- Das Zweite, was Sie übersehen haben: Wenn wir die Aus- tieren, ich habe ihn vollständig hier – beginnt mit dem länderbehörden unterstützen, dann sind das 31-mal kom- Satz, dass sich die Sicherheitslage im letzten Jahr „insge- munale Behörden und dreimal Landesbehörden. Wir unter- samt nochmals deutlich verschlechtert hat“. stützen mit diesem zusätzlichen Personal, das wir zur Ver- fügung stellen, kommunale Behörden. Ich finde, Sie soll- (Zuruf der Abg. Astrid Wallmann (CDU)) ten zur Kenntnis nehmen, dass wir seitens des Landes ge- Vor diesem Hintergrund ist die statistische Entwick- nau das machen. lung der Entscheidungspraxis des Bundesamtes eher (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE überraschend, … GRÜNEN) Wurde im Jahr 2015 noch in 78 % aller Entscheidungen in Die Polizeivollzugsbeamten, die wir dort mobilisieren, sol- der Sache Schutz gewährt, ist die Gesamtschutzquote 2016 len keine vollzugspolizeiliche Tätigkeit ausüben. Sie wer- nur noch gut 60 %, also rückläufig. Das kann der UNHCR den keine Aufgaben erledigen, für die bisher Polizeivoll- nicht nachvollziehen. Man spricht von einer „sich ständig zugsbeamte eingesetzt wurden, sondern sie werden die ändernden Sicherheitslage“. Ämter unterstützen, insbesondere bei der Beratung ausrei- Frau Wallmann: sepflichtiger und ausreisewilliger Ausländer, ganz im Sin- ne unseres Rückführungsmanagements, die Menschen zu Ein pauschalierender Ansatz, der bestimmte Regio- beraten, freiwillig zurückzukehren und sich nicht diesen nen … als sichere und zumutbare interne Schutzal- furchtbaren Abschiebungen zu unterziehen. Das sollen die ternative ansieht, ist nach Auffassung von UNHCR Polizeivollzugsbeamten machen. vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Af- ghanistan nicht möglich. Herr Rudolph, Herr Schaus, ich weiß nicht, was Sie an die- ser Frage kritisieren können. Das ist mir völlig schleier- Meine Damen und Herren, ich empfehle, den Bericht kom- haft. plett zu lesen und zu verstehen, weil er ganz deutlich macht: Afghanistan ist nicht sicher, und deswegen darf (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE nach Afghanistan nicht abgeschoben werden. GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der Sie werden die Ausländerbehörden unterstützen in der Fra- SPD) ge der Aktenanlage, der -pflege, der statistischen Auswer- tungen, weil wir mit den pensionierten Polizeivollzugsbe- Über 11.000 verletzte und tote Zivilisten im letzten Jahr, amten eher junge Pensionäre haben und welche, die in davon ein Drittel Kinder – da kann man sich natürlich wie Verwaltungstätigkeiten ausgebildet sind, die einen großen der Bundesinnenminister hinstellen und sagen: Zivilisten Erfahrungsschatz und auch eine große Durchsetzungskraft sind in Afghanistan nicht Ziel, sie sind Opfer, und das sei haben. ein großer Unterschied. – Das ist aber zynisch. Das ist ein- fach nur zynisch angesichts dieser Opferzahlen. Vizepräsidentin Heike Habermann: (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Herr Staatsminister, ich darf an die Redezeit der Fraktio- Das Problem ist: Nennen Sie einmal eine sichere Region. nen erinnern. Herr Innenminister, nennen Sie namentlich eine sichere Region. Dann können wir darüber reden, was dort an Kampfhandlungen stattfindet oder nicht. Peter Beuth, Minister des Innern und für Sport: (Zuruf der Abg. Astrid Wallmann (CDU)) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Die Kollegin- Im Januar fand die zweite Sammelabschiebung nach Af- nen und Kollegen sind eine wertvolle Ressource, die wir ghanistan ab Frankfurt statt. Unter den Abgeschobenen uns in einer schwierigen Frage für die erwarteten Belas- war auch ein junger Mann namens Akbari. Er war Alten- tungsspitzen zunutze machen. Das ist eine gute, angemes- pfleger und lebte in einer Gastfamilie in Bayern. Kurz nach sene und – ich möchte auch sagen – aus 2015 und 2016 be- der Abschiebung wurde er durch ein Selbstmordattentat in währte Strategie, die ich in keiner Weise kritikwürdig fin- Kabul, bei dem 20 Menschen gestorben sind, schwer ver- de. – Vielen Dank. letzt. Ich finde, angesichts der Gefahr, der wir jeden einzel- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE nen Menschen aussetzen, der dahin abgeschoben wird, ist GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) es doch zynisch, zu sagen: Wir halten uns hier an Recht und Gesetz. – Was hat das mit Recht und Gesetz zu tun, wenn wir zulassen, dass Menschen in Lebensgefahr gera- Vizepräsidentin Heike Habermann: ten? Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Wissler, Frak- Er wurde im Januar 2017 abgeschoben. Nur wenige Tage tion DIE LINKE. später kam er bei einem Selbstmordattentat zu Schaden. Es kann doch nicht sein, dass man Menschen in ein Kriegsge- biet abschiebt. Janine Wissler (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe mich SPD) gemeldet, weil ich noch einmal auf den Bericht des UNHCR eingehen wollte, den Frau Wallmann in einem Ich kann es einfach nicht nachvollziehen. Der UNHCR Satz zitiert hat. Frau Wallmann, ich würde Ihnen empfeh- sagt, Afghanistan sei nicht sicher. Der Global Peace Index 7014 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 besagt das. Amnesty International sagt es. Ich verstehe ein- (Beifall bei der SPD) fach nicht, warum sich das Auswärtige Amt dieser Auffas- Niemand aus der SPD-Fraktion hat die Absicht, Leute in sung nicht anschließt. Deswegen brauchen wir natürlich diesem Saal für das haftbar zu machen, was Parteifreunde dringend eine Neubewertung, was die Sicherheitslage in in anderen Bundesländern tun. Das hat Herr Kollege Roth Afghanistan angeht. hier schon einmal bei anderer Gelegenheit gesagt. Ich glau- (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der be, es wäre ganz gut, wenn wir uns bei Gelegenheit daran SPD) einmal erinnern würden. Wir sind die Mitglieder des Hes- sischen Landtags. Wir sind verantwortlich dafür, was den Ja, der Bund ist in der Pflicht. Das heißt aber nicht, dass Menschen in unserem Verantwortungsbereich zustößt oder das Land und die Landesregierung nichts machen können. eben auch nicht zustößt. Man könnte einen dreimonatigen Abschiebestopp beschlie- ßen. Das würde all den Menschen Sicherheit geben, die in (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- diesem Bundesland leben und die tagtäglich Angst haben, KEN) abgeschoben zu werden. Das schließt auch die ausreisepflichtigen Menschen aus Herr Bocklet hat sich jetzt hierher gestellt und erklärt, es Afghanistan mit ein. Wir haben uns zu vergewissern, ob würde vorläufig bis auf Straftäter keiner mehr abgescho- die Entscheidung darüber, ob die Ausreisepflicht tatsäch- ben. Das mit den Straftätern halte ich auch für falsch. lich durchgesetzt wird – darum geht es –, nach vernünfti- Wenn Afghanistan nicht sicher ist, darf man niemanden gen Kriterien und nach menschlichen Maßstäben ge- dahin abschieben. schieht, ja oder nein. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Letzte Vorbemerkung. Ich glaube, von Frau Kollegin Wallmann wurde in Bezug auf unseren Dringlichen Antrag Einmal abgesehen davon, dass das Land nicht sicherer gesagt, wir hätten bewusst nur den Innenminister erwähnt. wird, wenn man die ganzen Straftäter dorthin abschiebt. Frau Kollegin, das ist falsch. Der Innenminister ist hin- Ich halte das für falsch. Ich habe diese Aussage des Herrn sichtlich der Frage der Durchführung der Sammelabschie- Bocklet bei Frau Wallmann und bei Herrn Beuth so nicht bungen zuständig. Deswegen wird er da aufgeführt. gehört. Deswegen meine Frage: Gibt es einen Erlass, gibt (Zuruf) es eine Anweisung, oder gibt es irgendetwas, was diese Landesregierung veranlasst hat, nicht weiter nach Afghani- – Langsam, langsam. Sie sollten wissen, dass es klug ist, stan abzuschieben? mich ausreden zu lassen. Gerade haben wir gehört, dass es allein 140 ausreisepflich- (Michael Boddenberg (CDU): Okay, das wissen wir tige afghanische Hindus und Sikhs in Hessen gibt. In Af- jetzt alle! Weiter!) ghanistan ist niemand sicher. Aber religiöse Minderheiten – Ja, das sollten Sie wissen. sind besonders gefährdet. Den Menschen, die jetzt einen Abschiebebescheid bekommen, die in Angst leben, die tag- (Manfred Pentz (CDU): Jetzt überzeugen Sie mich täglich Angst davor haben, abgeschoben zu werden, die einmal! Sie haben mich noch nicht überzeugt! – Angst haben, ihre Kinder in die Schule zu schicken, weil Weitere Zurufe) sie Angst haben, dass sie abgeschoben werden, hilft doch nicht die Aussage, Herr Bocklet habe im Landtag gesagt: – Er weiß es nicht, gut. – Wir arbeiten mit allen uns zur „Ihr werdet nicht abgeschoben“. Vielmehr brauchen sie et- Verfügung stehenden Mitteln auf allen uns zur Verfügung was Schriftliches. Sie brauchen entweder einen Beschluss stehenden Wegen daran, dass das Bundesaußenministeri- des Landtags, dass es einen Abschiebestopp gibt, oder um – und zwar unabhängig davon, ob es von einem Men- einen klaren Erlass dieser Landesregierung. Deshalb lautet schen der SPD geführt wird oder nicht; aber es wird von meine Frage: Ist diese Landesregierung bereit, diese Ab- einem der SPD geführt, deswegen sind bei uns Ein- schiebungen sofort auszusetzen, zumindest auszusetzen, flussmöglichkeiten gegeben – seine Haltung in dieser Fra- um den Menschen in Hessen ein Gefühl der Sicherheit zu ge ändert. Denn sie stimmt unserer festen Überzeugung geben? – Vielen Dank. nach mit der Realität in Afghanistan nicht überein. (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und bei der LIN- SPD) KEN sowie der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Jetzt komme ich zu dem zentralen Punkt, der uns heute in Vizepräsidentin Heike Habermann: dieser Debatte betrifft. Ich habe festgestellt, dass es zwi- Vielen Dank. – Das Wort erhält Herr Kollege Merz für die schen dem, was Herr Kollege Bocklet hier und in dem Ge- SPD-Fraktion. spräch vorhin mit den Vertretern der afghanischen Sikhs und Hindus gesagt hat, und dem, was der Innenminister hier gesagt hat, einen Unterschied gibt, und zwar einen kla- Gerhard Merz (SPD): ren Unterschied. Kollege Bocklet hat hier an diesem Pult dargelegt – so habe ich es verstanden, und so haben es Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will genau noch mehr Leute verstanden –, dass bis auf Weiteres, d. h. an der Stelle ansetzen, an der Kollegin Wissler aufgehört bis auf Widerruf, keine Menschen mehr nach Afghanistan hat. Ich will aber zwei Dinge vorausschicken. abgeschoben werden, es sei denn, es seien Mehrfachstraf- Erstens. Ich wiederhole das, was ich im Dezember 2016 in täter. So habe ich es verstanden Nun ist der Begriff des diesem Plenarsaal gesagt habe: Niemand unterstellt hier ir- Mehrfachstraftäters auslegungsbedürftig. gendjemandem, dass man ein Interesse an Abschiebungen Aber was ich verstanden habe, ist, dass das, was der Innen- hätte. Das unterstellen wir niemandem in diesem Saal. minister gesagt hat, etwas ganz anderes war. Korrigieren Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 99. Sitzung · 23. Februar 2017 7015

Sie es, wenn ich es falsch verstanden habe. Der Innenmi- Wenn ich Herrn Kollege Rudolph richtig verstanden habe, nister hat gesagt, dass die Verfahrensweise des Landes sollen die Initiativen dem Innenausschuss überwiesen wer- Hessen in den verschiedenen Anträgen, die die Koalition den. vorgelegt hat, niedergelegt ist. (Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Nun lese ich den Punkt 3 und den Punkt 4 dieses Dringli- Weitere Zurufe und Gegenrufe) chen Entschließungsantrags. Ich lese da, Entschuldigung, – Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich kann nur Wortmel- etwas anderes als das, was Kollege Bocklet gesagt hat. dungen entgegennehmen, die bei mir eingehen. Ansonsten Deswegen wüssten wir jetzt gerne, was wir den Menschen muss ich die Debatte schließen. – Ich stelle fest, es meldet sagen sollen, die uns fragen. sich niemand zu Wort. Die Debatte ist geschlossen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ich gehe davon aus, dass alle drei Initiativen dem Innen- Was sagen wir z. B. den Erwähnten, die da oben sitzen? ausschuss überwiesen werden. Das sind die Initiativen un- Das sind die erwähnten Vertreter der Hindu- und Sikh- ter den Tagesordnungspunkten 53, 61 und 62. – Das ist der Minderheiten. Sie haben in einer Größenordnung von 140 Fall. Personen Angehörige, die eigentlich ausreisepflichtig sind. Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt noch zu ent- Herr Kollege Bocklet, was gilt? Herr Innenminister Beuth, scheiden, was mit den restlichen Initiativen auf der Tages- was gilt? – Das wüssten wir gerne. ordnung passiert. – Die Initiativen unter den Tagesord- nungspunkten 21, 24, 25, 26, 28 und 56 kommen alle auf (Anhaltender Beifall bei der SPD und der LINKEN) die Tagesordnung der nächsten Plenarsitzungsrunde. Ich bedanke mich und wünsche Ihnen einen guten Heim- Vizepräsidentin Heike Habermann: weg. Die Sitzung ist geschlossen. Vielen Dank. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen (Schluss: 18:38 Uhr) vor.