WELTMACHT FUSSBALL

Roms letzter Gladiator ITALIEN: ist nicht irgendein Fußballstar. Totti ist Italien. VON ALEXANDER SMOLTCZYK

in Hemd wird verwahrt im „Heilig- Aussätzige zurück in die Heimat schlei- pitale der Christenheit. Es gibt Totti-Fan- tum der Göttlichen Liebe“, einer chen. Und aus Portugal … kein Wort mehr. clubs in Tokio, eine Totti-Homepage aus EWallfahrtsstätte wenige Kilometer „Linea Bianca“, weiße Linie, die ton- Ankara. Und der Lieblingsspieler von Rob- jenseits des Autobahnrings von Rom. Es angebende „Vierteljahreszeitschrift für bie Williams heißt Totti, nicht Beckham. hängt dort im Rahmen, ein wenig ab- Calcio-Wissenschaften und -Kultur“, wid- Pelé erklärt beim Weltwirtschaftsforum, er seits, zwischen Fotos von wundersam mete kürzlich einen Beitrag dem Schick- halte Totti für den „besten Spieler der Welt, überlebten Autocrashs, verkratzten Mo- sal der Red Sox, einem Baseballteam aus auch wenn er ein bisschen Pech hatte“. torradhelmen und dankbar hingegebenen Boston: „86 Jahre ohne Titel“. Das tröstet. Für Totti ist das ein Orden gewesen. Pokalen. Es war nicht das Unentschieden gegen Nur den Hinweis auf das Pech, sprich: Por- Das Hemd ist weiß, es trägt den Auf- Dänemark allein. Der Schmerz ging tiefer. tugal, hätte Pelé sich sparen können. druck „TOTTI 10“. Der Name des Hel- Es war auch nicht nur Tottis Versagen und In dieser Saison hat Totti trainiert wie den. Doch niemand möchte es sehen, kei- die Peinlichkeit, vor allen Augen wie ein ein Gejagter. Er gab keine Interviews und ner fragt danach. Es ist das Trikot der Vorstadtproll dazustehen. Es schmerzte scheute die Kameras. Anders als sonst biss 48. Minute. Das Büßerhemd. Ein Tuch die alte Angst Italiens, nicht für voll ge- er die Zähne zusammen, wenn im Spiel voll Schweiß und Spucke. nommen zu werden. Der Pinocchio-Kom- wieder auf seine Knochen eingetreten „Ich bitte dich um Vergebung, allerhei- plex eines Jungen, der stets sagt: „Es wird wird – aus Neid, dass er mehr verdient ligste Jungfrau der Göttlichen Liebe“, schon werden, denn wir sind die Besten“, als alle anderen in der Liga, dass er geliebt steht auf einen Zettel gekritzelt. Und: und insgeheim von der Furcht geplagt wird wie kein anderer. Dass er Totti ist. „Verlass mich nie. Dein Francesco.“ wird, für die anderen doch nur ein kleines Er quälte sich für seine Fitness. Dabei Es war der 14. Juni 2004 im Dom-Afon- hölzernes Bürschlein zu sein. war dies seine beste Saison. Fast im Al- so-Henriques-Stadion in Guimarães, Por- Der Pinocchio-Komplex steckt hinter leingang hat er den AS Roma aus den tugal. Italien spielte in der Vorrunde der der Außenpolitik von , so Niederungen der Liga auf den vierten Europameisterschaft gegen Dänemark. wie er noch jedem Papagallo im gegelten Platz gerissen. Zehn Siege in Folge, die Eine Kamera zeichnete auf, wie Frances- Nacken sitzt. Und spätestens seit dem Zeitungen in Demutshaltung, die Tifosi co Totti, die Nummer 10, der Gladiator, 14. Juni 2004 hängt er als Fluch über der japsend im Delirium. Und dann brach er der angebetete „König von Rom“, seinem stolzen Squadra Azzurra. Denn Totti ist sich im Februar das Wadenbein. Gegenspieler ins Ge- nicht irgendein Spieler. Totti ist Italien. Seitdem gibt es ein nationales Rehabi- sicht spuckte. Im Februar 2005 wurde die italienische litationsprogramm für ihn, ein Land wacht Dreimal. Mit sattem Strahl. Für jedes Journalistin Giuliana Sgrena im Irak ent- an seinem Krankenbett, sogar Berlusconi Mal wurde Roms Herrscher nachträglich führt. Zigtausende zogen über die Straßen schaute vorbei, denn Totti muss Italien von der Uefa für ein Spiel gesperrt. „Eine Italiens und flaggten das Porträt der Ent- retten, endlich beweisen, dass der ita- Trickaufnahme“, sagte Totti zunächst, fas- führten auf den Plätzen. Auch Francesco lienische Fußball sich mit dem Ausland sungslos. „Das ist nicht der echte Fran- Totti lief am Sonntag mit einem weißen misst. „Francesco hat Angst vor der WM“, cesco, das war ein anderer.“ Dann ent- T-Shirt aufs Spielfeld: „Lasst Giuliana frei“. sagt Daniele Lo . Angst davor, schuldigte er sich. Aber es war zu spät. Viele Appelle verhallten. Doch diese nicht rechtzeitig gesund zu werden, Angst Das Land schämte sich. Über Totti, über Botschaft drang bis in den Kerker in Bag- auch vor den Schiedsrichtern. „Er sagt, seine Mannschaft. Über sich selbst. dad. Einer der Geiselnehmer kam zur Ge- die würden erbarmungslos gegen ihn pfei- „Totti, das italienische Lama“. In den fangenen: „Er war völlig aufgelöst“, sagte fen, wegen dieser Spuckgeschichte.“ Ohren noch das Gebrüll der Schlagzeilen, Sgrena später. „Er verehrte nämlich Totti. Es ist wie vorbestraft. schlich Totti zu seinem römischen Beicht- Und jetzt hatte er im Fernsehen gesehen, Daniele Lo Monaco ist Totti-Redakteur vater Don Fernando Altieri. Der Priester dass sein Idol in Italien meine Befreiung des „Il Romanista“, der einzigen Tages- sollte das Trikot zur allerheiligen Jung- verlangte.“ zeitung der Welt, die sich ausschließlich frau bringen, und er, Totti, würde die Einer der irakischen Kidnapper ist ein mit den Belangen eines einzigen Clubs Wallfahrtsstätte erst geläutert wieder be- Fan von Francesco Totti aus Rom, der Ka- befasst. Auf der ersten Seite werden die treten, reingewaschen. Als Sieger. Tage seit Gründung Romas angezeigt. Auf Nach der Weltmeisterschaft. der letzten wird von der Güte und Größe Italien ist 1982 zum letzten Mal Welt- Totti ist ein Junge aus des letzten Königs von Rom erzählt – in meister gewesen. Aus fünf Welt- und sechs direkter Linie abstammend von den Cä- Europameisterschaften seither ist die der Vorstadt geblieben, saren, den Konsuln und Tribunen. Squadra Azzurra ohne Pokal nach Hause Totti wurde 1976 geboren, fünf Tage gekommen. Was die verpassten Gelegen- herzensgut, simpel, nach Ronaldo und zwei Tage vor Schew- heiten betrifft, ist es die längste titellose er ist ein „paraculo“, tschenko. Die Saga erzählt von einem Zeit in der Geschichte des Calcio. Aus zehn Monate alten Säugling, der im Som-

Korea mussten sich Götter der wie ein Smartarsch. mer am Adriastrand nicht vom Ball zu / REUTERS GIAMPIERO SPOSITO QUEEN / REFLEX (L.O.); / GES AUGENKLICK (L.U.); BUZZI / IMAGO (R.O.); (R.U.)

36 spiegel special 2/2006 Star Totti als Werbefigur … … als Bräutigam …

… als Torschütze … … als Sexsymbol trennen war. Vom Fünfjährigen, der sein erstes Turnier gewinnt. Vom Neunjähri- gen, der von der Stadiontribüne einen ver- irrten Ball zurück ins Spiel köpfte – exakt auf den Punkt, von wo er geflogen kam, die Leute applaudierten. Sein Trikot sei ihm vorherbestimmt gewesen, dem jüngs- ten Spross eines Geschlechts von Roma- Tifosi. Rasch verbreitete sich die Kunde von dem Bambino mit den Wunderfüßen. Mutter Fiorella war immer dabei. Strickend am Spielfeldrand, beim Training in Trigoria, und machte sich Sorgen, dass er sich erkälten könnte. Sie rief Tottis Trainer an, wenn es Probleme gab: „Mis- ter, was ist los?“ Legendäre, gefürchtete Anrufe von Mamma Blümchen. Als den jungen Totti haben wollte und mit Pri- vatschule, Vertrag und Eigenheim lockte, ging Fiorella dazwischen: „Francesco rührt sich von Rom nicht fort.“ Basta. Immer wieder lockten die anderen, aber er blieb. „Ihr seid ihr. Ich bin von Roma“, das sagte Totti. Und ging nach Hause, zur Mutter. „Ich könnte wer weiß wie lange ohne Nahrung auskommen“, sagt Fiorella Totti, „ohne Wasser, ohne Luft, aber keine einzige Minute ohne meinen Sohn.“ Mit 16 lief Totti das erste Mal für den AS Roma auf den Platz und hat ihn bis heute nicht verlassen. Ist das ein Problem? Nicht für Rom. Der inzwischen 29-Jährige wird geliebt wie Bruder und Sohn, weil er nicht nach , Mailand oder Manchester gegangen ist. Weil er kein Englisch spricht, weil er Püppchen mit Brüsten liebt wie seine Ehefrau Ilary. Weil er der Junge von der Porta Latina geblieben ist, herzensgut, simpel, ein „paraculo“, ein Smartarsch, und stolz darauf. Totti ist Rom, wie Woo- dy Allen Manhattan ist. Außerhalb der au- relianischen Mauer kaum lebensfähig, im Ausland unvorstellbar. Seine Auftritte daheim im Olympiasta-

dion sind perfekte Inszenierungen. Als BARTOLETTI Einziger läuft „unser Capitano, der König Mama Totti, Sohn: „Mister, was ist los?“ von Rom, Francesco …“ – „TOTTTTIIII!“ – mit einem barocken Halskragen auf den Neben Beckham sieht Totti aus wie der dung der großen Fantaisista, der Stürmer Platz, im Rauch und Glanz der Südkur- Typ vom Pizzadienst. Mit seinen kurzen Italiens.“ ven-Kannonaden. Dazu die Schienbein- Beinen, dem breiten Kreuz hätte er auch Italien liebt Totti wie sich selbst. Er ist schützer, immer sichtbar getragen, als für Varus durch den Teutoburger Wald zum Inbegriff des italienischen Mannes wären es Sockenhalter, den Vereinswim- latschen können. Aber er hat diesen Blick, geworden. Selbstverliebt und gequält nur pel vor Spielbeginn zusammengerollt in diese entwaffnende Frechheit im Gesicht. von dem Gedanken, schlecht aussehen zu der Hose, vorn in der Hose. Ein Totti schwitzt nicht. Er geht über können. Deswegen tat Portugal so weh. Dieser Mann ist überzeugt davon, ein den Rasen, mit der Konzentration eines Im protestantischen Norden Europas Wiedergänger der Gladiatoren zu sein, Kakteenzüchters, brüllt keine Befehle, mag gutes Aussehen den Anfangsverdacht und Mamma Roma teilt diese Meinung: spielt nicht Feuerwehr, sondern beobach- auf Dummheit begründen. Innere Werte Seht nur, diese langen blonden Haare, die tet mit zusammengekniffenen Brauen, wie brauchen keinen Maßanzug. Im Süden ist Muskeln, diese Lust, in heimischer Arena die Szenen sich ergeben. Und dann steht ein eleganter Anzug für einen Kicker zu kämpfen, zu leiden, zu siegen, und er unverhofft am richtigen Punkt. keine Freiheitsberaubung, sondern eine Fiorella im Publikum zu wissen. Er kann auf dem Flügel spielen, diri- Annäherung an den Sinn des Lebens: die Lieber Gottkaiser in Rom als Zidanes gieren und verwandeln. Er ist durch- „bellezza“. Zuspieler in Madrid. Silvio Berlusconi be- trainierter und ausdauernder als die an- Totti ist der Phänotyp des „bullo delle fahl seinen Einkäufern: „Ich will Nesta deren: „Totti ist der moderne Spieler per borgate“. Man trifft ihn in den Vorstädten und Totti.“ kam zum Definition, ein Spieler, wie es ihn noch Roms oder Neapels an jeder Ecke. Aus- Rapport. Totti nicht. Er ist einer der we- nie gegeben hat“, schreibt der Sportphi- gestattet mit einer Selbstsicherheit, die nigen, die sich nicht vom mächtigsten losoph Mario Sconcerti in seiner Studie nicht von Kontostand, Intelligenz, ge- Mann Italiens kaufen ließen. „Die Differenz des Totti“. „Die Vollen- schweige denn von Kultur gespeist wird.

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Und der Appeal dieses Typs dringt auch men aufs internationale Feld bringen, wer- ten. Ein Telefonat Berlusconis, der die bis in die Vorstädte von Bagdad. den wir eliminiert.“ So heißt es im Intel- Wähler Siziliens dringend brauchte, ent- Auch seine hemmungslosesten Bewun- lektuellenorgan des Tifo, der „Linea Bi- schied über den Klassenerhalt. derer werden wortkarg, wenn es auf Tot- anca“. Und: „Die italienischen Spieler ha- Aus dieser Welt kommen Totti und sei- tis Intelligenz zu sprechen kommt. „Er ben Schwierigkeiten, es zu einem wirk- ne Gefährten. Das Genie Tottis hat sich wirkt oft etwas simpel. Etwas zu oft“, lich internationalen Format zu bringen.“ bislang nur im Trikot des AS Roma ge- schreibt der Calcio-Philosoph Mario Scon- Bis vor kurzem spielte kein einziger ita- zeigt. Kaum trägt er das azurblaue, fängt certi, um sofort hinzuzusetzen: „Aber lienischer Nationalspieler im Ausland. Nur er an zu spucken und versagt. In 49 Einsät- nicht auf dem Spielfeld.“ Um zu ahnen, sehr wenige Spieler sprechen Englisch. zen für die Nationalelf hat er gerade mal wohin der Ball fliegt, muss man keinen Das erklärt ihre Wortkargheit, ihr Ver- acht Tore geschossen. Das Team Brasiliens Dreisatz können. Eine Bibliothek hat er stummen im Ausland. Auf dem Weltmarkt kennt er nur aus dem Fernsehen. nie betreten. Francescos Welt sind die letz- des Fußballs ist Italien zum Netto-Impor- Italien mag die Welt des Schönen noch ten 25 Meter vor dem gegnerischen Tor. teur geworden. Aber die Importe aus beherrschen, aber es wartet lange schon Totti ist eher ein Bodybuildungsbürger. Afrika oder der Karibik haben den Calcio auf große Siege. Jetzt wartet sogar Ferra- Totti ist Totti. Nie würde er auf den Ge- nicht verändert, sie haben sich angepasst. ri. In der Mode, in der Küche, im Design, danken kommen, jemanden anderen zu Niederlagen sind nie selbstverschuldet. nur da gibt es den Ton an, aber nicht mit spielen. „Er ist schüchtern, das ist alles“, Das ist der oberste Glaubensgrundsatz. seinen Industrien, mit seinen Banken, mit sagt Lo Monaco, sein Freund. „Sobald eine Nach der Schmach von Korea erklärte seinen Hightech-Firmen und Kommuni- Kamera auf ihn gerichtet ist, bringt er kei- Staatspräsident Ciampi: „Wir hätten ver- kationskonzernen. nen Satz mehr heraus. Unter Freunden dient zu gewinnen“, und der erzkatholi- Es gibt in Norditalien Unternehmen und reißt er einen Witz nach dem anderen.“ sche Senatspräsident Marcello Pera sagte: Clubs, um die die Welt Italien beneidet. Eine sonderbare Mischung aus Schüch- Prada, Juve, Milan, seit neuestem wieder ternheit und Zeigelust, Homophilie und Fiat. Doch der Rest des Landes wird ge- Papagallotum. Als Roma 2001 das ent- Reich wird man heute prägt von mediokren Verwaltern, von Un- scheidende Spiel zur Meisterschaft spielte, ternehmen, die ihr Überleben nur der Pro- gegen , stürmten die Fans acht Mi- in Italien durch Immo- tektion verdanken, von Vereinen wie Mes- nuten vor Spielende das Feld und fingen bilien, nicht durch sina, die nur in der Serie A mitspielen, an, den Spielern die Kleider vom Leibe zu weil die Regierung Aufstände fürchtet. reißen. Als das Getümmel gelichtet war, Ideen – eine Art öko- Reichtum entsteht hier nicht mehr stand Kapitän Totti in weißen Unterho- durch Innovationen, sondern durch Im- sen da. Und im Champions-League-Spiel nomischer . mobilien. Also durch Geduld und War- 2004 gegen Leverkusen zog er sich nach ten. Ein ökonomisches Catenaccio. dem Abpfiff vor seinen Fans in der Kurve In Deutschland steht dies alles auf dem aus und stolzierte in einem hautengen, Spiel. Wer sind wir noch, was zählen wir? kanariengelben „“-Hemdhöschen Der Pinocchio-Komplex. Italiens Team über den Platz. Totti, das Sexsymbol. muss Gruppenerster werden, sonst droht „Ich sehe nun seit über 30 Jahren Fuß- im Achtelfinale der Leibhaftige: Brasi- ball, aber so ein merkwürdiger Fußballer lien. Es ist eine schwierige Gruppe, mit ist mir noch nicht begegnet“, kommen- Tschechien, den USA und Ghana. „Totti tierte ein deutscher Fan danach. Mag sein. ist einer, der den Unterschied ausmacht“, Doch die Leserschaft des „Il Romanista“ diktiert der Nationaltrainer Marcello Lip- besteht seitdem zur Hälfte aus Frauen. pi jedem in den Block. Totti ist sein Ro- So rückhaltlos zufrieden mit sich kann senkranz. ein Mann nur sein, der immer geliebt wor- Totti ackert, rennt, quält sich. „Er hat

den ist, von Müttern, Omas, Geliebten und SINTESI / VISUM gebüßt“, sagt sein römischer Trainer Lu- Töchtern. Aber vor allem von Muttern. Ministerpräsident Berlusconi ciano Spalletti. „Wir, die wir jeden Tag mit Dankbar trifft Totti sich mit Mamma re- Pinocchio-Komplex ihm zusammen sind, wir wissen das.“ gelmäßig in der alten Wohnung. Dort ist Am 19. Februar gegen Empoli brach ein alles unverändert, die Kickerbilder am „Sie haben uns den Sieg geraubt.“ Schuld taktisches Foul ihm in der sechsten Minu- Schrank, die Pastaschüsseln. Bis vor kur- war der Schiedsrichter. te das linke Wadenbein und die Bänder- zem lebten alle Tottis auch noch zusam- Die „Stampa“ leitartikelte: „Sollen sie kapsel. Als es passierte, waren es noch men. Fiorella hat heute ein Haus gleich doch mal gewinnen, diese Azzurri, wenn 113 Tage bis zum ersten Spiel der WM. Die neben dem Francescos und seiner Frau. sie es denn können, und nicht immer Ärzte sagten, er brauche hundert Tage Bei del Piero ist es genauso. Auch bei Vie- gleich heulend zur Mamma laufen.“ Ruhe. Das ist knapp. ri. In Italien leben 83 Prozent aller Singles Der gepriesene Lokalpatriotismus Ita- Aber Totti wird es schaffen. Er ist der noch zu Hause, und auch wenn sie heira- liens ist zu einem diffusen Nationalgeist Gladiator, er muss das Gesicht Italiens be- ten, bleibt Mamma in der Nachbarschaft. geworden: „Eine Art grenzenloser Ver- wahren. „Fare bella figura“. Er muss all das Der Mammismus ist die Wurzel vieler brüderung aller Tifosi in der Überzeugung, vergessen machen, was passiert ist. Messina, Übel. Die Stärke der Familie hat in Italien dass ein Gesetz nur gilt, wenn es dir recht die leeren Stadien, das Pay-TV, die „Ultras“ den Aufbau eines funktionierenden Staa- gibt. Dass alle anderen Günstlinge sind, in der Südkurve. Die 48. Minute. Diesmal tes verhindert, und, schlimmer noch, den Zahlen fälschen, Richter kaufen. Dass die muss es klappen. Warum auch nicht? Die einer Squadra Azzurra mit Titelchancen. Mamma eine Jungfrau ist und alle anderen Holländer wurden schon geschlagen, mit „In unserem Calcio sind die Spieler ge- Huren sind.“ So der Calcio-Schriftsteller Totti, und die Deutschen schickte man mit schützt und respektiert. Sie reden mit den Michele Serra, als der Club von Messina 4:1 nach Hause, sogar ohne Totti. Die Er- Schiedsrichtern von Gleich zu Gleich. Sie wegen Steuerschulden aus der ersten Liga wartungen wachsen täglich. streiten, protestieren, simulieren. Und sind verbannt werden sollte und die Fans mit- Und wenn es nicht klappt? Die Aller- überzeugt, dass es überall so zugeht. Aber ten in der Ferienzeit den Fährverkehr zwi- heiligste Jungfrau wird verzeihen. Und wenn wir unsere gewohnten Umgangsfor- schen Sizilien und dem Festland blockier- Mamma Blümchen sowieso. ™ spiegel special 2/2006 39