I. Die weltanschauliche Schulung der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes

I.1. Die weltanschauliche Schulung in Ausbildungsrichtlinien und Lehrplänen der und der

Noch im Jahr der »Machtergreifung« wurden erste Maßnahmen ergriffen, den »na- tionalsozialistischen Geist« auch in der Kriminalpolizei zu verbreiten. In einem »Er- lass zur Pflege des Nationalsozialismus bei der Kriminalpolizei« ordnete das Preu- ßische Innenministerium im November 1933 an, von Dezember 1933 bis April 1934 »monatlich mindestens 4 Vortrags- oder Aussprachestunden über das Wesen des Nationalsozialismus und die Stellung und Aufgaben der Beamten im nationalsozia- listischen Staat« durchzuführen und für diesen Zweck »politisch geschulte« Partei- angehörige als Redner heranzuziehen. Das bedeutete, dass Folgen von 16 bis 20 Vor- trägen bei den Dienststellen zu organisieren waren. Der Beamte habe beim »Wiederaufbau« des Staates nach der »nationalsozialistischen Revolution« beson- dere Pflichten und Aufgaben zu erfüllen: »Diesen kann der Beamte jedoch nur ge- recht werden, wenn er sich innerlich mit dem Nationalsozialismus eng verbunden fühlt.«1 Wie George C. Browder am Beispiel von Wesermünde gezeigt hat, stießen diese Vorträge offenbar weitgehend auf positive Resonanz, weil sie auch professions- spezifische Interessen ansprachen, d. h. politisch-weltanschauliche Inhalte wurden zumeist mit Themen und Aufgabenstellungen verbunden, die für Kriminalpolizei- beamte von beruflichem Interesse waren; außerdem waren die Redner bis auf zwei Gymnasiallehrer Offiziere aus den eigenen Reihen – die nationalsozialistische »In- doktrination« der Kriminalpolizei, so Browder, vollzog sich generell in einem pro- fessionellen Rahmen; Ausbildungs- und Rekrutierungsstandards seien, sieht man einmal von den rassistisch und politisch bedingten Säuberungen nach dem Gesetz zur »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« ab, weitgehend intakt geblieben. Gleichwohl waren die Vortragsthemen in Wesermünde hochgradig politisch:

4.12.33 Der Beamte im neuen Staat (KPR Schoen), 11.12. Rasse und Schicksal (KK Jensen) 18.12. NS und Strafrecht (KK Bockhacker) 28.12. unser Führer (KS Bader) 5.1.34 Nationalsozialistische Bevölkerungspolitik (Stud.rat Dr. Saul) 15.1. Vom ›Front- und Soldatengeist‹ zum Volksgeist (KS Körner) 22.1. Vom I. Reich zum III. Reich (KS Bohn) 30.1. Horst Wessel (KS Klein) 5.2. und 12.2. Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, Zustandekommen, Auswirkung im marxistischen Staate (KS v. Felden) 19.2. Das Winterhilfswerk (KPR Schorn) 42 I. WELTANSCHAULICHE SCHULUNG DER SICHERHEITSPOLIZEI

5.3. Die Erfolge der nationalen Regierung auf dem Gebiete der Verbrechensbekämp- fung (KPR Schorn) 26.2. Sprich Deutsch, eine Forderung der Zukunft (K.Ass. Alboldt) 12.3. Aus der Geschichte der SA und der Partei (Stud.rat Lehmann) 19.3. wegen dringender dienstlicher Angelegenheiten ausgefallen 26.3. Ein politisches Mahnwort an die infolge Entstaatlichung versetzten Beamten (KPR Schorn).

Bei den beiden Studienräten handelte es sich um den 1932 zum Leiter der Polizei- berufsschule berufenen Dr. Saul und den Fachlehrer für Volkswirtschaft und Staats- bürgerkunde Dr. Lehmann, der inzwischen offenbar wieder eingestellt worden war, nachdem das Polizeipräsidium Hannover im Dezember 1930 noch beschlossen hatte, ihn wegen »republikfeindlicher« Äußerungen vom Unterricht abzuziehen (s. o.). An der Vortragsreihe nahmen, so der Bericht der Polizeidirektion, alle Beamten der Kri- minalpolizei und der Staatspolizeistelle Wesermünde teil.2 Auch wenn es sich hierbei zunächst um eine singuläre Maßnahme handelte, zeigt sie doch schon früh eine bemerkenswerte Differenz zum »Weimarer Staat« an, der vergleichbare Anstrengungen zur »politischen Bildung« nie unternommen hatte. Der nationalsozialistische Staat signalisierte von Anfang an Entschlossenheit, die Krimi- nal- und Politische Polizei auch geistig für sich zu gewinnen. Allerdings hatte man auch einigen Anlass dazu; denn man brauchte insbesondere in der Anfangsphase die Politische Polizei, um sich der politischen Gegner zu entledigen. Unter den Beamten der Politischen Abteilungen der Kriminalpolizei hatte es zuvor umfangreiche Säube- rungen gegeben. Nach einer Studie von Carsten Dams schwankte die Entlassungsquote in verschiedenen Orten zwischen 20 und 50%, und die politische Polizei war generell der am stärksten von Säuberungen betroffene Teil der Polizei.3 Ein Teil dieser Beam- ten, die jetzt entlassen wurden, war vor 1933 mit der Überwachung der nationalsozia- listischen Organisationen befasst gewesen oder hatte der SPD angehört. Innerhalb der Polizei insgesamt war die personelle Kontinuität jedoch sehr hoch: Einem Bericht Da- lueges vom Dezember 1933 zufolge waren 1933 lediglich 1,7% der Wachtmeister nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen worden; nach anderen Schätzungen lag die Entlassungsquote bei allen Polizeibeamten bei 3%.4 Bei der Mehrheit der Beamten dürfte die nationalsozialistische Überzeugungsarbeit denn auch auf fruchtbaren Boden gefallen sein, denn es gab eine verbreitete Unzufrieden- heit mit den Verhältnissen in der Weimarer Republik. Während sich die Ausbildungs- standards erhöhten und immer mehr Beamte akademische Abschlüsse aufwiesen, verschlechterte sich die Stellensituation zunehmend: Der Staat erleichterte zwar die Zugangsbedingungen zur höheren Bildung, konnte aber aufgrund der Finanzkrise Ende der Zwanziger Jahre immer weniger Beschäftigungsmöglichkeiten bereit stellen. So steckten insbesondere auch Kriminalkommissare zu Beginn der 30er Jahre im »Be- förderungsstau«, nur etwa jeder vierte konnte auf eine spätere Beförderung hoffen.5 Und während die kriminalistische Wissenschaft und Technik einen Aufschwung er- lebten und eine effektivere Verbrechensbekämpfung verhießen, wurden die rechts- staatlichen Begrenzungen zunehmend als Fesseln wachsender Handlungsmöglich-