Schleswig-Holsteinischer Plenarprotokoll 18/112 18. Wahlperiode

Plenarprotokoll

112. Sitzung

Donnerstag, 18. Februar 2016

Rechtem Populismus und rechter Rasmus Andresen [BÜNDNIS Hetze entschlossen entgegentreten . 9342, 90/DIE GRÜNEN]...... 9356, Tobias von Pein [SPD]...... 9358, Antrag der Fraktionen von SPD, Dr. Heiner Garg [FDP]...... 9359, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]..... 9360, der Abgeordneten des SSW Torsten Albig, Ministerpräsident... 9362, Drucksache 18/3827 Beschluss: 1. Ablehnung des Ände- Änderungsantrag der Fraktion der PI- rungsantrags Drucksache 18/3880 RATEN 2. Annahme des Antrags Drucksache 18/3880 Drucksache 18/3827...... 9365, Dr. [SPD]...... 9342, 9357, Daniel Günther [CDU]...... 9344, 9362, Stand und Fortführung der Exzel- Eka von Kalben [BÜNDNIS lenzinitiative ...... 9365, 90/DIE GRÜNEN]...... 9346, 9361, Antrag der Fraktionen von SPD, Wolfgang Kubicki [FDP]...... 9349, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Angelika Beer [PIRATEN]...... 9352, der Abgeordneten des SSW Lars Harms [SSW]...... 9354, 9362, Drucksache 18/3835 9340 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

Kristin Alheit, Ministerin für So- Beschluss: Überweisung des Antrags ziales, Gesundheit, Wissen- Drucksache 18/3800 an den Bil- schaft und Gleichstellung...... 9365, dungsausschuss...... 9393, Martin Habersaat [SPD]...... 9367, Volker Dornquast [CDU]...... 9368, Body-Cams unverzüglich einsetzen 9393, Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]...... 9369, Antrag der Fraktion der CDU Anita Klahn [FDP]...... 9371, Drucksache 18/3849 Uli König [PIRATEN]...... 9372, Jette Waldinger-Thiering [SSW]... 9373, Überwachungskameras verhindern keine Gewalt gegen Polizeibeamte . 9393, Beschluss: Berichtsantrag Drucksa- che 18/3835 und der Tagesord- Änderungsantrag der Fraktion der PI- nungspunkt insgesamt durch die RATEN Berichterstattung der Landesregie- Drucksache 18/3885 rung erledigt...... 9375, Dr. Axel Bernstein [CDU]...... 9393, Dr. Kai Dolgner [SPD]...... 9394, Differenzierten Ersten allgemein- Burkhard Peters [BÜNDNIS bildenden Schulabschluss ermögli- 90/DIE GRÜNEN]...... 9395, chen ...... 9375, Dr. Ekkehard Klug [FDP]...... 9396, Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]..... 9398, Antrag der Fraktion der CDU Lars Harms [SSW]...... 9399, Drucksache 18/3838 Wolfgang Dudda [PIRATEN]...... 9400, Peter Sönnichsen [CDU]...... 9375, 9382, Stefan Studt, Minister für Inneres Kai Vogel [SPD]...... 9376, und Bundesangelegenheiten..... 9401, Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/ Beschluss: Überweisung des Antrags DIE GRÜNEN]...... 9377, Drucksache 18/3849 und des Än- Anita Klahn [FDP]...... 9378, derungsantrags Drucksache 18/ Sven Krumbeck [PIRATEN]...... 9379, 3885 an den Innen- und Rechts- Jette Waldinger-Thiering [SSW]... 9380, ausschuss...... 9402, Britta Ernst, Ministerin für Schule und Berufsbildung...... 9381, Bericht zur schulischen Qualitäts- Beschluss: Überweisung des Antrags entwicklung in Schleswig-Holstein . 9402, Drucksache 18/3838 an den Bil- dungsausschuss...... 9382, Bericht der Landesregierung Drucksache 18/3719 Erste Lesung des Entwurfs eines Qualitätsentwicklung an den Gesetzes für die Bibliotheken in Schulen Schleswig-Holsteins ...... 9402, Schleswig-Holstein und zur Ände- rung des Landespressegesetzes ...... 9382, Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Gesetzentwurf der Landesregierung der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/3800 Drucksache 18/3879 Anke Spoorendonk, Ministerin für Britta Ernst, Ministerin für Schule Justiz, Kultur und Europa...... 9383, und Berufsbildung...... 9402, Peter Sönnichsen [CDU]...... 9385, Volker Dornquast [CDU]...... 9403, Beate Raudies [SPD]...... 9386, Kai Vogel [SPD]...... 9405, Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/ Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]...... 9387, DIE GRÜNEN]...... 9406, 9412, Anita Klahn [FDP]...... 9389, Anita Klahn [FDP]...... 9407, Sven Krumbeck [PIRATEN]...... 9390, Sven Krumbeck [PIRATEN]...... 9409, Jette Waldinger-Thiering [SSW]... 9391, Jette Waldinger-Thiering [SSW]... 9410, Martin Habersaat [SPD]...... 9411, Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9341

Beschluss: Überweisung des Antrags Drucksache 18/3879 und des Be- richts Drucksache 18/3719 an den **** Bildungsausschuss, den Bericht zur abschließenden Beratung...... 9412, Regierungsbank:

Pflanzenschutzmittelrückstände in Torsten Albig, Ministerpräsident Lebensmitteln ...... 9412, Dr. , Minister für Energiewen- Bericht der Landesregierung de, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Drucksache 18/3791 und Erster Stellvertreter des Ministerpräsidenten Dr. Robert Habeck, Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Britta Ernst, Ministerin für Schule und Berufs- Umwelt und ländliche Räume.. 9412, bildung Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]..... 9413, Heiner Rickers [CDU]...... 9414, Anke Spoorendonk, Ministerin für Justiz, Kul- Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE tur und Europa und Zweite Stellvertreterin des GRÜNEN]...... 9415, 9421, Ministerpräsidenten Oliver Kumbartzky [FDP]...... 9417, Angelika Beer [PIRATEN]...... 9418, Stefan Studt, Minister für Inneres und Bundes- Flemming Meyer [SSW]...... 9419, angelegenheiten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]...... 9420, Reinhard Meyer, Minister für Wirtschaft, Ar- Beschluss: Überweisung des Berichts beit, Verkehr und Technologie Drucksache 18/3791 an den Um- welt- und Agrarausschuss zur ab- Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesund- schließenden Beratung...... 9422, heit, Wissenschaft und Gleichstellung

**** 9342 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

Beginn: 10:04 Uhr Es ist ein Land, in dem Menschen ihre Sorgen äu- ßern - Sorge um den Arbeitsplatz, Sorge um die Zu- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: kunft der eigenen Kinder, auch Sorge vor Krimina- lität. Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung und begrüße Sie Es ist ein Land, in dem aber auch die Grenzen zwi- sehr herzlich. schen berechtigten Sorgen, irrationalen Ängsten und menschenfeindlichem Rassismus immer wei- Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, möchte ter verschwimmen. In dem Land, in dem wir leben, ich mit Ihnen gemeinsam Herrn Kollegen Martin hat sich Misstrauen breitgemacht. Der Vertrauens- Habersaat zum heutigen Geburtstag gratulieren. Al- verlust gegenüber staatlichen Institutionen, Banken, les, alles Gute für das neue Lebensjahr! teilweise auch Kirchen, manchen Vereinen und (Beifall) Verbänden - Parteien sowieso - ist erheblich voran- geschritten. Wir nehmen auch einen ernsthaften Dann darf ich Ihnen mitteilen, dass wir auf der Tri- Vertrauensverlust gegenüber Sicherheitsbehörden büne Schülerinnen und Schüler der Jes-Kruse-Sko- wahr; das Versagen bei der Aufklärung der rechts- len aus Eckernförde als Gäste begrüßen dürfen. - terroristischen NSU-Mordserie hat dazu beigetra- Herzlich willkommen hier im Kieler Landtag! gen. Manchmal kommt die Polizei zu spät. Manche (Beifall) Straftat wird nicht aufgeklärt. Manchmal gerät un- sere gewohnte Ordnung durcheinander. Manche Des Weiteren teile ich Ihnen mit, dass sich Frau stellen sogar die Handlungsfähigkeit des Staates in- Kollegin Heike Franzen und Herr Kollege Christo- frage. Sorgen und Misstrauen werden von einigen pher Vogt erkrankt gemeldet haben. Wir wünschen ausgenutzt, um eine gefährliche Spirale weiterzu- beiden gute Besserung. drehen. (Beifall) Es ist ein Land, in dem Führungskräfte rechtspopu- Beurlaubt ist Frau Finanzministerin Monika Hei- listischer beziehungsweise rechtsextremistischer nold wegen dringlicher dienstlicher Verpflichtun- Parteien an den Grenzen auf Flüchtlingsfamilien gen. schießen lassen wollen. Es ist ein Land, in dem die- Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: selbe Partei nicht etwa geächtet wird, sondern teil- weise zweistellige Umfragewerte erreicht und wo- möglich in mehrere Parlamente einzieht. Rechtem Populismus und rechter Hetze ent- schlossen entgegentreten Es ist ein Land, das Land der Dichter und Denker, dessen Sprache zunehmend verroht. Anonym oder Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE auch mit Klarnamen werden Politiker, Polizisten, GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Journalistinnen und Journalisten, Ehrenamtliche Drucksache 18/3827 und andere in sozialen Netzwerken in Misskredit gebracht, verleumdet und bedroht. Es ist ein Land, Änderungsantrag der Fraktion der PIRATEN in dem üble Pöbeleien und Hetze konstruktive Kri- Drucksache 18/3880 tik und eine lebendige Streitkultur in der Sache zu- Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. - nehmend in den Hintergrund drängen. Es gibt Gal- Dann eröffne ich die Aussprache und erteile zu- gen auf Demonstrationen und die Forderung nach nächst Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner von der Todesstrafe für angebliche „Volksverräter“. Die der SPD-Fraktion das Wort. so bezeichneten demokratischen Politiker lassen sich oftmals nichts anderes zuschulden kommen, außer dass sie Rassismus auch so nennen. Dr. Ralf Stegner [SPD]: Es ist ein Land, in dem die Unabhängigkeit der Be- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen richterstattung offen bestritten, die Medien als „Lü- und Kollegen! Wir alle führen Gespräche. Wir le- genpresse“ diffamiert und Journalistinnen und Jour- sen. Wir sehen. Wir hören Berichte der Medien. nalisten in ihrer Arbeit behindert, bedroht und sogar Wir bekommen bei Terminen unmittelbare Rück- gewaltsam angegriffen werden. meldungen auf unsere Arbeit. All das gibt Anlass, sich die Frage zu stellen, was es für ein Land ist, in Es ist ein Land, in dem die Hetzer politische Mit- dem wir leben. verantwortung für zunehmende Gewalt tragen. Das Land, in dem wir leben, ist ein Land, in dem Straf- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9343

(Dr. Ralf Stegner) taten mit rechtsextremem Hintergrund zunehmen - Es ist ein Land, das nicht - wie im vergangenen bis zu 20.000 allein im Jahr 2015, darunter 921 Ge- Jahrhundert - Kriege anzettelt und aus dem Men- walttaten. Es ist ein Land, in dem zwei- bis dreimal schen flüchten müssen, sondern ein Land der guten pro Woche Brandsätze in Wohngebäude geworfen Nachbarschaft nach innen und nach außen, das heu- werden, in denen Familien leben. Die Täter nehmen te Zielpunkt von Hoffnungen und Träumen vieler in Kauf, Familien zu töten; sie beabsichtigen das Menschen aus allen Teilen der Welt geworden ist. sogar. Was für ein schöner Unterschied, liebe Kolleginnen und Kollegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das so beschriebene Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Land unser Land? Was ist eigentlich unser Land? Land hat viele Gesichter. Wir wissen, dass Freiheit Das Land, in dem wir leben, ist ein reiches Land. und Demokratie nicht von allein bleiben. Unsere Die Wirtschaft wächst. Die Zahl der Erwerbstätigen Vergangenheit lehrt uns, dass wir ihren Feinden ist hoch, die der Arbeitslosen niedrig wie seit Jahr- entschlossen entgegentreten müssen. zehnten nicht. In der Flüchtlingspolitik mag man unterschiedlicher Das Land, in dem wir leben, ist ein Land, das jun- Meinung sein; wer aber aufgrund dieser Frage die gen Menschen Perspektiven gibt. Es ist ein Land, in AfD wählt oder durch Nichtwahl solchen Parteien dem Menschen frühzeitig Förderung erfahren, ein Einfluss auf die Regierungsbildung verschafft, der Land, in dem gute Bildungswege möglich sind, die bekommt nicht nur eine andere Flüchtlingspolitik, später berufliche Sicherheit geben und die Men- sondern etwas ganz anderes. Heute wollen die De- schen Familien gründen lassen. mokratiefeinde das Asylrecht aussetzen, morgen vielleicht die Meinungsfreiheit und übermorgen die Es ist ein Land, in dem die Menschen in Frieden Menschenwürde. und Freiheit leben können. Von einem solchen Land hätten unsere Großeltern nur träumen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, selten war es so wichtig wie in dieser Zeit, dass wir wachsam sind Es ist ein Land, in dem sich nach den bitteren Er- und dass wir klare Haltung zeigen: fahrungen der Vergangenheit eine demokratische Streitkultur entwickelt hat, in der meistens das Ar- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gument und nicht die Lautstärke zählt, in der es und SSW) vorgetragen wird. Haltung zeigen für Vielfalt in unserem Land; Hal- Es ist ein Land, das sich seiner Verantwortung auch tung zeigen für Engagement in und für die Demo- jenseits der eigenen Grenzen stellt, dessen Außen- kratie; Haltung zeigen für leidenschaftliche, kontro- minister weltweit Ansehen genießt und der das ihm verse Debatten im Parlament, die wir so schätzen, entgegengebrachte Vertrauen dazu nutzt, um uner- wenn wir sie um die Sache führen; Haltung zeigen müdlich überall für Frieden und Entspannung zu ar- für Toleranz und Humanität; Haltung zeigen gegen beiten, damit auch Menschen in anderen Teilen der Antisemitismus und Gewalt. Welt vielleicht einmal die Lebensqualität erleben, Dafür möchte ich im Namen meiner Fraktion wer- die bei uns in Deutschland alltäglich ist. ben; dafür werben die Koalitionsfraktionen mit ih- Es ist ein Land, in dem unendlich viele Menschen rem Antrag, den wir heute behandeln. Wir werden Schutzsuchende willkommen heißen und mit Wär- rechtem Populismus und rechter Hetze immer ent- me und Herzlichkeit aufnehmen. Sie tun das, weil schlossen entgegentreten. das ihr Job ist. Viele tun das auch in ihrer Freizeit. - (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Danke dafür! Das sage ich ausdrücklich an dieser und SSW) Stelle. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Wenn die Repu- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, blik nach rechts rückt, rücken wir nicht mit. Das SSW und vereinzelt PIRATEN) wäre ein großer Fehler. Es ist ein Land, in dem Vielfalt als Reichtum gilt (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Starke für Schwache einstehen - über Genera- und SSW) tionen hinweg, quer durch die Bevölkerung. Es ist ein Land, in dem Menschen zusammenhalten, in Lassen Sie mich für die 152 Jahre alte Sozialdemo- dem sie füreinander da sind und solidarisch mitein- kratische Partei Deutschlands sagen: Wir wissen, ander sind. dass man mit parteipolitischen Konkurrenten lei- denschaftlich streiten muss; aber wir kennen die 9344 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Dr. Ralf Stegner)

Feinde der Demokratie; das muss man uns nicht er- wir das in der Vergangenheit bereits getan? - Im- klären. mer, wenn in Schleswig-Holstein etwas passiert ist, standen wir zusammen und haben in aller Klarheit Karl Otto Meyer, dessen wir gestern gedacht haben, deutlich gemacht, dass das nicht unsere Vorstellung hat das mit leidenschaftlichen Reden in diesem Par- von diesem Land ist. lament oftmals zum Ausdruck gebracht. Auch an- dere wissen sehr genau: wo reden wir über Gegner, Ich glaube, auf natürlich besorgniserregende Um- und wo reden wir über Feinde der Demokratie. Das fragewerte wie die, die die AfD im Moment er- ist ein großer Unterschied. Den müssen wir sehr zielt, damit zu reagieren, dass man sich hier im deutlich machen. Da darf es kein Verwischen ge- Landtag hinstellt und den Menschen draußen sagt: ben. „Der Landtag ist sich einig; wir fühlen uns hier oh- ne die AfD wohler“, hilft überhaupt nicht. Was Lassen wir nicht zu, dass Gewalt und Hetze ein nützt uns ein solches Bekenntnis, das wir hier abge- hässliches Bild unseres Landes ergeben. Wir geben ben? Was nützt uns eine solche Debatte? der Vernunft eine Stimme. Wir gestalten das Land, in dem wir leben. Ich sage Ihnen: Man muss mit in seinem eigenen Umfeld handeln, politische Entscheidungen treffen Liebe Kolleginnen und Kollegen, die freiheitliche und der Bevölkerung deutlich machen, dass wir die Demokratie ist das Beste, was unserem Land jemals Situation im Griff haben. Das ist ein Konjunktur- widerfahren ist. Lassen Sie uns diese verteidigen. - programm gegen die AfD - nicht Anträge wie der Vielen herzlichen Dank. vorliegende, meine sehr geehrten Damen und Her- (Anhaltender Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ ren. DIE GRÜNEN und SSW) (Beifall CDU und FDP) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Sie hätten Ihre Formulierungskunst beispielsweise auch bei der Formulierung von Anträgen nutzen Vielen Dank. - Das Wort für die Fraktion der CDU können, als es gestern um das Asylpaket II ging. erhält Herr Abgeordneter Daniel Günther. Wir befinden uns in einer Situation, in der es ent- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Es kann nur bes- scheidend ist, welche Maßnahmen wir ergreifen. ser werden!) Wie können wir die Probleme lösen? - Die drei re- gierungstragenden Fraktionen gucken zu. Der Mini- Daniel Günther [CDU]: sterpräsident ergreift in der Debatte nicht das Wort. Sie von den regierungstragenden Fraktionen schla- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und gen in keinem einzigen Antrag vor, wie Sie die Herren! Natürlich stellt sich jeder hier im Parlament Flüchtlingszahlen reduzieren und Problem in mit aller Entschlossenheit gegen rechte Hetze. Ich Schleswig-Holstein, in Deutschland und in Europa glaube, das machen wir alle in der Praxis, bei dem, lösen wollen. An dieser Stelle hätten Sie Ihre Krea- was wir politisch unternehmen. Jeder weiß, was im tivität einbringen sollen. Da hätte es eines Antrags Moment in unserem Land passiert. Schauen Sie bedurft. Dann hätten wir uns die Debatte heute spa- sich die Facebook-Seiten, überhaupt die Seiten im ren können, meine sehr geehrten Damen und Her- Internet an. ren. Herr Dr. Stegner, wenn man sich Ihre Seite im Netz (Beifall CDU und FDP) anschaut, sieht man, wie Menschen mit Ihnen - das meine ich ernsthaft - umgehen und Sie, teilweise Ich habe manchmal das Gefühl, dass jemand in den anonym, beschimpfen, weil Sie eine Plattform bie- regierungstragenden Fraktionen große Politik spie- ten und mit Menschen über die Situation diskutie- len will; dazu passen solche Debatten. Aber der ren wollen. Es ließen sich noch viele andere Bei- Schleswig-Holsteinische Landtag ist kein Trai- spiele finden. ningscamp für angehende Bundespolitiker. Aber nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, dass (Wolfgang Kubicki [FDP]: Hallo? - Heiter- wir mit Anträgen wie die, über die wir heute dis- keit und Beifall) kutieren, daran überhaupt nichts ändern werden. - Lieber Wolfgang Kubicki, ich habe bewusst von Vielmehr senden wir, der Landtag, ein Signal nach den regierungstragenden Fraktionen gesprochen, außen: Ziehen wir in Zweifel, dass wir uns ent- damit der Verdacht nicht auf dich gelenkt wird. schlossen dagegenstellen, sodass wir es uns heute noch einmal versichern müssen? Wie häufig haben Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9345

(Daniel Günther)

(Zuruf SPD: Die anderen dürfen trainieren, Alle wissen, wie schwierig das im Moment ist: Wie oder was?) reagiert man darauf, auch auf seiner eigenen Home- page? Wann muss man Menschen entgegentreten? - Nein, damit sind alle gemeint. Es gibt ja mehrere, Sie alle wissen: Das geht nicht nur den Medien und die sich als Bundespolitiker bewerben. der Polizei so. Sie alle wissen, dass viele Schilde- Ich glaube manchmal, dass wir ein Stück stolz dar- rungen von angeblichen Problemen auf dem Tisch auf sein sollten, dass wir manche Debatten, die in landen. Es wird dann gesagt: Es gibt eine ganz anderen Bundesländern geführt werden, in die- große Kriminalität in der Nähe von Erstaufnahme- sem Maße in Schleswig-Holstein nicht haben. einrichtungen. Man muss sich jedes Mal fragen: Schauen Sie sich die Bundesländer an, in denen Geht man dem nach? Ist das wieder ein Fake, der rechtsextremistische Demonstrationen stattfinden, im Internet unterwegs ist? All dies ist im Moment in denen eine ganz andere Stimmung herrscht. Im eine unglaublich sensible Aufgabe. Landtag sollte doch eigentlich nach außen das Bild Daher finde ich es wichtig, dass wir alle hier im eines Parlaments gezeichnet werden, das stolz auf Landtag heute ein eindeutiges Bekenntnis zu unse- Schleswig-Holstein ist. In dieser Flüchtlingskrise ren Medien und zu unserem Qualitätsjournalismus haben wir auch durch unsere Gemeinsamkeit, die abgeben, denn all das, was im Internet und in den wir bereits in der Vergangenheit hatten, ein Klima Medien teilweise anonym stattfindet, sind Exzesse, geschaffen, sodass Probleme viel seltener auftreten die uns alle miteinander mit Sorge umtreiben. Wir als in den anderen 15 Bundesländern. Das sollten brauchen kritische Medien, die auch auf unsere Po- wir stolz miteinander vertreten. litik einen kritischen Blick haben. Deswegen ist es (Beifall CDU und FDP - Zuruf Birgit Herde- unglaublich wichtig, dass wir uns mit aller Ent- jürgen [SPD]: Woran das wohl liegt?) schiedenheit gegen die Hetze, die auch gegen Me- Ich mache mir bei all den wirklich schlimmen Ent- dien in Deutschland stattfindet, wenden. gleisungen, ehrlich gesagt, tiefgründige Gedanken (Beifall CDU) darum, was dieses Problem mit der Mitte unserer Wir sollten immer sehen, dass wir von unserer Seite Gesellschaft macht. Diese Sorgen habe ich. aus selbst nicht zum Teil das Gleiche tun, was wir Manchmal bin ich auf Veranstaltungen - übrigens den anderen vorwerfen, was wir Rechtspopulisten nicht nur auf CDU-Veranstaltungen, sondern ich und Rechtsextremisten vorwerfen. Lieber Kollege bin auf Veranstaltungen aller bürgerlichen Kreise - Andresen, ich sehe, dass Sie diesen Antrag unter- und bekenne mich zur Flüchtlingspolitik und sage: schrieben haben. Das macht diesen Antrag aus mei- Wir brauchen eine europäische Lösung und die Äu- ner Sicht eher ein Stück weniger glaubwürdig. Ich ßerungen der Kanzlerin sind richtig. Ich erlebe habe mir angesehen, was Sie auf Facebook teilwei- dann häufig, dass ein Teil des Saals begeistert se posten. Das ist immer sehr eng an genau den klatscht, dass sich aber ganz viele Leute einfach zu- gleichen Sachen dran. Sie schlagen mit einer Keule rücklehnen. Sie klatschen nicht, aber sie kommuni- auf Medien und die bürgerlichen Parteien, ohne zu zieren auch nicht offen darüber. Das sind doch prüfen, ob die Sachverhalte, die Sie dort darstellen, Menschen, die wir mit unserer Arbeit wieder zu- überhaupt richtig sind. rückgewinnen müssen und auch zurückgewinnen können. Das sind ja nicht Menschen, die wir dauer- (Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haft verloren haben. Facebook-Post vom 29. Januar 2016, Rasmus An- Natürlich ist das etwas, was uns alle miteinander dresen: mit großer Sorge bewegen muss. Unser Auftrag „Ich kotze! Jetzt werfen sie sogar Handgra- aber muss doch sein, diese Menschen davon zu naten! Rechter Terror nimmt in Deutschland überzeugen, dass nicht nur das demokratische Sys- massiv zu. … Wo bleibt da der Aufstand der tem richtig ist, sondern dass die Parteien, die in den sogenannten bürgerlichen Parteien und Tei- Parlamenten sind, diese Probleme auch ohne die len der Medien?“ AfD lösen werden. Dann schaffen wir es, die Men- schen wieder zurückzugewinnen und unsere Demo- (Beifall SPD, PIRATEN und vereinzelt kratie in Deutschland dauerhaft und insgesamt zu BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stärken. Das, was er da postet, war am Ende einer Auseinan- (Beifall CDU) dersetzung zwischen zwei Sicherheitsdiensten, und er steigt auf eine solche Art und Weise darauf ein. 9346 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Daniel Günther)

Ich lese Ihnen zweitens vor, was die Anarchisti- Daniel Günther [CDU]: sche Koordination in Flensburg geschrieben hat: Ich weiß, dass es Sie nervt, wenn man auch über „Wer schon immer mal wissen wollte, wel- Gewalt von dieser Seite spricht. Sie wollen immer che charakterlosen Arschlöcher die LSF aus- nur über diese Form von Gewalt reden, aber wir ha- radiert sehen wollen, der kann sich hier ein ben in Deutschland auch andere Gewaltexzesse. Bild machen: Faber, Döring, Richert - nehmt Die sollten wir miteinander nicht ausblenden. Von euch in Acht. Wenn ihr unbedingt weiterhin daher appelliere ich an Sie: Ersparen Sie uns in Zu- den Sturm haben wollt, dann sät nur weiter kunft solche Debatten über solche Anträge. Wind.“ Danach sind Bilder vom FDP-Mann Richert, vom Vizepräsidentin Marlies Fritzen: CDU-Fraktionsvorsitzenden Döring und vom Ober- Herr Kollege! bürgermeister Simon Faber vom SSW gepostet. Dem Kollegen Andresen fällt dazu nichts Besseres Daniel Günther [CDU]: ein, als zu sagen: Die haben sicherlich über die Stränge geschlagen, aber das hat die Polizei bei ih- Lassen Sie uns lieber Politik für die Menschen in rem Einsatz schließlich auch gemacht. Dazu sage unserem Land machen. Damit bekommen wir die ich Ihnen wirklich, meine sehr geehrten Damen und AfD nämlich wirklich klein. Herren: Wir alle miteinander sollten vorsichtig da- (Beifall CDU und FDP) mit sein. (Zurufe SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: NEN) Das Wort für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE - Das ist genau daraus zitiert, Herr Kollege Andre- GRÜNEN hat die Abgeordnete Eka von Kalben. sen. Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Herr Kollege! haben in unserer Fraktion darüber diskutiert, ob es Sinn macht, zum jetzigen Zeitpunkt so einen An- Daniel Günther [CDU]: trag zu stellen. Wir alle miteinander sollten aufpassen, dass wir (Zurufe CDU) diesem gesellschaftlichen Klima nicht durch unser - Ich würde mich freuen, wenn Sie zuhören könn- eigenes Handeln einen Vorschub leisten. Da müs- ten. Ich musste den Kram eben auch anhören. sen wir alle miteinander aufpassen. (Weitere Zurufe CDU) (Beifall CDU) - Sie werden gleich hören, was das heißt. - Wir ha- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: ben sehr ernsthaft überlegt, ob es hier in diesem Parlament dann wieder eine Debatte gibt, in der der Herr Abgeordneter, Sie müssen bitte auf die Zeit eine dem anderen irgendetwas vorwirft und Popu- achten. lismus unterstellt. Wir haben dies auch mit unserem Koalitionspartner sehr ernsthaft diskutiert. Unser Daniel Günther [CDU]: Partner, Fraktionsvorsitzender Stegner, hat hier eine Rede gehalten, die genau das wiedergespiegelt hat, Deswegen appelliere ich an Sie alle: Solche einsei- was wir mit diesem Antrag ausdrücken wollten. tigen Anträge, die ausblenden, dass wir auch Pro- Wir wollten ein Zeichen setzen. Wir wollten deut- bleme im linksextremistischen Bereich haben, dass lich machen, dass wir hier im Landtag alle gemein- wir auch Probleme im salafistischen Bereich haben, sam ein Zeichen gegen rechts setzen. Dass es da gucken Sie sich das an - - draußen eine Gefahr gibt, wer will das bitte schön abstreiten? Vizepräsidentin Marlies Fritzen: (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Herr Kollege, ich bitte Sie. Ihre Redezeit ist deut- SPD) lich abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluss. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9347

(Eka von Kalben)

Ich bin eben vom NDR gefragt worden, warum es Sie werfen uns vor, wir hätten keinen Änderungs- jetzt diese Debatte gebe und ob wir das Thema da- antrag zur Asyldebatte gestellt. Wir haben hier durch nicht aufbauschen. Denn in Schleswig-Hol- ganz klar gesagt, wie wir uns positionieren. Ich ha- stein gebe es zum Glück noch nicht so eklatante be gesagt, das sind für mich Scheinlösungen. Mein Umfragewerte für die AfD, wie 17 % in Sachsen- Änderungsantrag ist die Integrationsarbeit dieses Anhalt, weil in zum Glück noch keine KIGI- Innenministers. Deswegen brauche ich hier auch DA - oder wie die sich hier nennen würden - auf keinen Antrag XYZ dazu zu stellen, warum ich der Straße herumlaufen. Vielmehr sind bei uns zum kein Asylpaket will. Glück ganz viele Menschen, auch junge Menschen, (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und immer noch Teil einer Willkommenskultur. Ja, das SPD) ist alles gut. Da müssen wir aber doch jetzt deutlich machen, dass wir wollen, dass das so bleibt. Wenn Wir brauchen keinen Änderungsantrag zu einem hier die Rechten sitzen, dann wollen wir nicht sa- Asylpaket, das wir nicht wollen. gen: Oh, hätten wir doch besser aufgepasst, jetzt Ein weiterer Punkt: Wenn Sie diesen Antrag anders müssen wir mit den Nazis im Parlament sein. Ich hätten haben wollen, dann hätten Sie einen Ände- kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie das rungsantrag stellen können. Stattdessen sagen Sie: schlecht finden. Wir brauchen statt dieses Antrags ein Bekenntnis (Beifall SPD und SSW) zu den Medien. Ja, wir brauchen ein Bekenntnis zu den Medien. Überall, wo ich kann, auch in Schüler- Herr Günther, Sie widersprechen sich auch. Sie diskussionen, spreche ich dazu. Neulich wurde ich selbst erzählen davon, dass es in Ihren Ortsverbän- bei einer Diskussion in Malente gefragt: Wo kann den besorgte Bürgerinnen und Bürger gibt. In unse- man sich denn noch informieren? Im Netz wird so ren gibt es sie auch, es gibt sie auch bei der SPD. viel Hetze verbreitet, woher soll man wissen, was Diese Bürger suchen Antworten, und wir wollen sie richtig ist? Dann verweise ich immer auf die öffent- nicht an den rechten Rand verlieren. Das genau ist lich-rechtlichen Medien. Ja, auch die können ein- der Punkt, und wir müssen darüber reden, wie das mal etwas falsch melden, und sie schreiben logi- am besten gehen kann. scherweise auch nicht immer das, worüber wir uns (Zuruf Daniel Günther [CDU]) freuen. Nach manchen Landtagssitzungen würde man sich auch andere Schwerpunkte als den „Fried- - Ja, aber Sie beginnen Ihre Rede hier vorn damit, hof der Kuscheltiere“ oder Ähnliches wünschen. dass dies alles nicht nötig sei, dass dies alles nur Aber es ist tatsächlich so, dass ich ein hohes Ver- Populismus sei, im Übrigen sollten wir aufpassen, trauen in die öffentlich-rechtlichen Medien habe. dass wir selbst nicht in der linksradikalen Ecke Ich halte es für unsäglich, dass gerade das auch von stünden. Das ist doch absurd. der rechten Seite genutzt wird, um das in Misskre- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dit zu stellen. SPD) Meine Damen und Herren, die Hetze und die Ge- Herr Günther, wenn es einen Grund gab, diesen walt richten sich nicht nur gegen Flüchtlinge, und Antrag zu stellen und hier im Landtag darüber zu sie sind auch nicht nur ursächlich in der Flücht- diskutieren, dann hat Ihre Rede eben richtig deut- lingsdiskussion zu sehen, sondern sie wabern schon lich gemacht, dass das wichtig ist. lange und kommen jetzt in einer Hetze gegen Poli- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD tik, gegen Medien, gegen Flüchtlinge, gegen Men- und vereinzelt PIRATEN - Zurufe Wolfgang schen, die anders aussehen, gegen Jüdinnen und Ju- Kubicki [FDP] und Dr. Heiner Garg [FDP]) den hoch. Ich hatte gerade in der letzten Woche ein Gespräch mit dem Landesverband. Dort sagt man: Ich bin wirklich sehr enttäuscht und überrascht dar- „Wir befürchten, dass wieder Jüdinnen und Juden über, mit welcher Vehemenz sich hier der CDU- Deutschland verlassen, weil sie Angst vor Rechten Vorsitzende gegen so einen Antrag stellt, der sämt- haben.“ Wenn mir das ein Landesverband sagt, liche Vorwürfe und Polemiken ausgelassen hat und Herr Günther, dann ist das doch gruselig; das ist der ein sehr konsensorientierter Antrag ist, von dem doch nicht egal. wir immer noch gedacht haben, dass Sie ihm sogar zustimmen oder ihn unterstützen könnten. Stattdes- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD sen wird mit keinem Satz gesagt, was daran anders und SSW) sein sollte. Dies macht mir total Angst. Ich halte das für ein wirklich ernst zu nehmendes Problem. Wenn wir 9348 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Eka von Kalben) schon darüber reden, warum dann bitte nicht im wir, die Worte „auf Podien und in den Medi- Schleswig-Holsteinischen Landtag darüber reden? en“ zu streichen. Es ist doch eine unserer Aufgaben, hier darüber zu Das ist keine Absage an die gemeinsame reden. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass Forderung, sich mit Rechtsextremen oder dieser Hass auch lange kaschiert worden ist. auch Rechtspopulisten auseinanderzusetzen. Insoweit möchte ich abschließend noch auf Ihren Wir sind aber der Überzeugung, dass jeder Antrag eingehen, liebe PIRATEN. Sie sagen, wir für sich entscheiden muss, ob er bereit ist, sollten aus unserem Antrag herausstreichen, dass sich mit Vertretern von rechtsextremen oder wir uns in Medien oder auf Podien damit auseinan- rechtspopulistischen Organisationen oder dersetzen. Ich kann mir vorstellen, was dahinters- Parteien an einen Tisch zu setzen. teht, nämlich eine große Abscheu, diesen Menschen Ihr Antrag macht daraus keine Verpflichtung, auch noch eine Bühne zu bieten. Wir haben das er- erwartet aber, dass man das automatisch tut. lebt. Ich habe neulich eine Talkshow gesehen, an Wir selber differenzieren je nach Vorfall, sa- der Herr Augstein und Ralf Stegner teilgenommen ge ich mal. Sie wissen auch, dass ich im letz- hatten, der sich ja nun auch nicht so leicht unterbut- ten Jahr, als es hier eine Diskussion mit der tern lässt. Dort war es so, dass Frau Petri und ande- Kollegin Trebesius, der Europaabgeordneten re Schweitzer Rechtspopulisten herumgepöbelt und der AfD, gab, eine Presseerklärung herausge- Blödsinn erzählt haben, sodass andere Meinungen geben und gesagt habe: „Demokratie muss überhaupt nicht mehr zu Wort kamen. Insofern ha- das aushalten.“ Ich habe mich dieser Diskus- be ich Verständnis dafür, dass es nervt, mit denen sion gestellt. Aber wir möchten, dass jeder zusammen auf einem Podium zu sitzen, und dass es für sich die Freiheit hat, auch ganz klar zu sa- auch gewisse Gefahren gibt, wenn die Moderation gen: „Nein, mit denen setze ich mich nicht an nicht gut ist. einen Tisch.“ Aber es führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen (Beifall PIRATEN) uns auch mit Rechtspopulisten auseinandersetzen; anderenfalls kommt wieder dieser wahnsinnige - Ich kann nicht verstehen, in welcher Form unser Spruch: „Man wird das doch hier wohl mal sagen Antrag irgendjemandem die Freiheit nimmt, sich dürfen“. Sonst könnten wir das nie entlarven. Wir nicht mit jemanden an einen Tisch zu setzen. Inso- müssen es mit Argumenten entlarven, wir müssen fern kann ich Ihren Antrag noch weniger verstehen. es mit guter Politik entlarven. Das ist der einzige Wenn Sie auch noch sagen, Sie würden sich der Punkt, bei dem ich Ihnen komplett zustimme. Die Debatte stellen, dann verstehe ich auch dies nicht. Politik hier im Hause muss gut gemacht werden, Ich würde nie jemanden zwingen, sich auf irgend- der Stil muss gut sein, und wir müssen uns inhalt- ein Podium zu setzen, weder mit einem Antrag lich damit auseinandersetzen. Bei diesem Punkt bin noch mit körperlicher Gewalt. ich voll bei Ihnen. Aber ich bin nicht dafür, das ent- weder totzuschweigen und zu sagen: „Wir haben ja Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, noch gar kein rechtes Problem; deshalb brauchen wir im auf einen ernsthaften Punkt hinzuweisen. Ich glau- Landtag auch nicht darüber zu sprechen“, oder zu be, der Kern der Debatte - das ist, glaube ich, der sagen: „Wir halten hier nur Bekenntnisreden, und Punkt, über den wir als demokratische Parteien alle mit den Rechten reden wir nicht“. Beides halte ich gemeinsam nachdenken müssen - ist: Wie schaffen für falsch. wir es eigentlich, unseren Rechtsstaat zu schützen, ohne ihn aufzugeben? Ich glaube, das ist der Kern- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: punkt, über den wir in bestimmten Situationen auch bereits diskutiert haben: am Beschneidungsverbot, Frau Kollegin, gestatten Sie eine Bemerkung der an der Kopftuchdebatte. Wie können wir das Di- Frau Abgeordneten Angelika Beer? lemma auflösen, dass wir Religionsfreiheit wollen, dass wir aber auch andere Grundwerte und Wer- Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: te haben, die ihr unter Umständen entgegenstehen Ja, gern. können? Angelika Beer [PIRATEN]: Frau Kollegin, Wie schaffen wir es, auf komplexe Fragen einfache Sie haben eben den Änderungsantrag meiner Antworten zu geben beziehungsweise deutlich zu Kollegen angesprochen. Darin beantragen machen, dass es eine einfachen Antworten gibt? Ich glaube, das sind Fragen, die uns alle angehen müs- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9349

(Eka von Kalben) sen. Ich merke das gerade auch in der Rechtsdebat- Insoweit hat diese Landesregierung bereits sehr viel te immer wieder, Herr Kubicki. Da wird dann von auf die Beine gestellt. Wir werden die Landesregie- Lieschen Müller gesagt: „Warum könnt ihr den rung auch weiterhin gerne dabei unterstützen. nicht einfach festnehmen, am Kragen packen, ins Meine Damen und Herren, in diesem Land wollen Flugzeug stecken und ihn abschieben, wenn ihr viele Menschen leben, nicht nur wegen voller Su- doch gesehen habt, dass er dies oder das gemacht permarktregale, sondern wegen unseres Rechtsstaa- hat?“ Dann deutlich zu machen, dass wir in einem tes, wegen unserer Werte, wegen unserer Humani- Rechtsstaat leben, dass bei uns die Unschuldsver- tät. Das müssen wir verteidigen. Wir dürfen nicht mutung gilt, sind Punkte, die unglaublich schwierig den kleinen Finger geben und sagen: „ein bisschen sind. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten: Wie schärfere Asylgesetze, ein bisschen härterer Rechts- bringen wir unsere Grundsätze rüber, ohne politi- staat, ein bisschen weniger Gleichstellung, ein sche Correctness zu verlieren? bisschen weniger Europa“, und am Ende haben wir Das Problem, liebe Opposition, ist doch dieses: Sie die ganze Hand verloren. Das möchte ich nicht. empfinden diesen Antrag als einen Vorwurf an Sie, Keine Handbreit den Rechtspopulisten und keine dass Sie das nicht machen. So ist es überhaupt Handbreit rechter Hetze. - Danke. nicht. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD (Widerspruch CDU) und SSW) Aber wenn Sie sagen, wir täten das immer nur, dann kommt es offensichtlich dennoch nicht richtig Vizepräsidentin Marlies Fritzen: an. Insofern verstehe ich Ihre Aufregung darüber Das Wort für die Fraktion der FDP hat der Herr überhaupt nicht, sondern ich halte es für ein ernst- Abgeordnete Wolfgang Kubicki. haftes Anliegen von uns allen. Wie gehen wir zum Beispiel damit um, dass die Wolfgang Kubicki [FDP]: Rattenfänger immer von „das Volk“ sprechen? Ich Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sage immer: „Ich bin auch ein Teil dieses Volkes, Es ist verblüffend, aus der Initiative der regierungs- aber ich bin vielleicht nicht das Volk, das er ver- tragenden Fraktionen etwas, wie ich finde, aus Ihrer tritt.“ Das sind Punkte, an denen wir alle gemein- Sicht Sinnvolles herauszufinden, wenn Sie zugleich sam arbeiten müssen. sagen, die AfD werde blockiert. Das ist ein Beitrag, Ja, Herr Günther, der wichtigste der Punkte, die wir der seinesgleichen sucht. tun können, um Rechtsextremismus aufzuhalten, ist Ich habe den vorliegenden Antrag der Koalitions- gute Politik, um Lösungen für die Bevölkerung zu fraktionen so verstanden, dass er Ausdruck der Be- finden, damit diese insoweit zufrieden ist. Dazu fürchtung ist, der politische Rechtsradikalismus hätte gestern für Sie die Möglichkeit bestanden. Zur könne wieder eine demokratiegefährdende Größe Demokratie gehört auch, dass man eine andere Lö- erreichen, was ich momentan nicht sehe. Der An- sung für die richtige hält und nicht nur Ihre. Wir trag solle daher zeigen, dass alle Demokraten im müssen ja nicht Ihrem Antrag zustimmen, um die Schleswig-Holsteinischen Landtag auch mit dem Lösung richtig zu finden. Auch das gehört zur politischen Signal einer gemeinsamen Resolution Wahrheit der Debatte. Sie müssen ja auch nicht un- dieser Entwicklung entgegenwirken. Deshalb wäre serem Antrag zustimmen; das ist auch logisch. Das es vielleicht nett gewesen, Frau von Kalben, man verlange ich auch gar nicht, Herr Garg. Aber es ist hätte vorher auch mit uns Kontakt aufgenommen nicht so, dass wir in diesem Hause nicht gemeinsam mit dem Ziel, eine gemeinsame Resolution hinzu- darüber nachdenken dürften, welches nun die beste bekommen, als hier einen Antrag zu stellen und zu Lösung ist, zum Beispiel auch in der Flüchtlingsde- sagen: „So wollen wir es machen.“ batte. (Beifall FDP und CDU) Zweitens müssen wir in demokratische Bildung und in eine lebendige Demokratie investieren. Das Ich befürchte aber, dass die sicherlich gut gemeinte bedeutet auch Medienkompetenz, damit man rechte Initiative das Problem, vor dem wir stehen, nicht Hetze als das erkennen kann, was sie ist. löst. Ich bezweifle sogar, dass sich politischer Radi- kalismus überhaupt ansatzweise dadurch wirksam Drittens brauchen wir Präventionsarbeit, Bera- einhegen lässt, dass man „gute Demokraten“ defi- tungsnetzwerke und auch konsequente Strafverfol- niert, die den „bösen Populisten“ und den „rechten gung von rechten Straftätern. 9350 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Wolfgang Kubicki)

Hetzern“ durch Symbole zeigen, wie unanständig (Beifall FDP und vereinzelt CDU) sie sind. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Mit solchen Symbo- Dass sich die AfD jetzt auf einem Umfragen-Hö- len liefern wir der AfD die Märtyrerrolle gleich auf henflug befindet, der sie über 10 % oder sogar 15 % dem Tablett mit. Die AfD ist nämlich nur das Sym- hievt, ist definitiv nicht darauf zurückzuführen, ptom eines Problems, aber nicht das Problem selbst. dass die Abgeordneten des oder des Bun- (Zuruf Serpil Midyatli [SPD]) destages es je versäumt hätten, ihre politischen Po- sitionen darzustellen. Vielmehr sind diese Umfra- - Dass wir gemeinsam zu Demonstrationen gehen gewerte Ausdruck der Verunsicherung vieler Men- wollen. Wir haben aber nie als Landtag beschlos- schen darüber, ob die Politik das leisten kann, was sen, dass die AfD oder eine andere Partei als sol- sie leisten soll, nämlich Probleme wirklich zu lösen. che - - Über diese Besorgnis geht Ihr Antrag aber einfach (Serpil Midyatli [SPD]: Ich hätte hier eine hinweg. Wenn 81 % der Bevölkerung glauben, dass ganz andere Rede erwartet! Gerade von Ih- die Regierung nicht mehr in der Lage ist, mit den nen!) Problemen, die den Menschen auf den Nägeln bren- nen, sinnvoll umzugehen, dann ist das ein Alarm- - Frau Midyatli, wenn Sie nicht begreifen, was Ver- signal an die Gestaltungsfähigkeit der Politik. fassungsrecht ausmacht, wenn Sie nicht begreifen, dass wir die Rechten nur mit der Stärke des Rechts (Beifall FDP und PIRATEN) bekämpfen können, dann tun Sie mir wirklich leid. Ich gehe aber noch weiter. Ich glaube nicht nur, (Serpil Midyatli [SPD]: Es wird Ihnen nicht dass der vorliegende Antrag nicht nur nicht hilft, leid tun!) das Problem zu lösen. Ich glaube sogar, dass er kontraproduktiv ist. Denn in Ihrem Kreuzzug für Es geht ja nicht um die moralische Überlegenheit, den politischen Anstand schießen Sie weit über sondern es geht um die Frage des Rechtsstaats. das Ziel hinaus. Bedauerlicherweise fordern Sie mit Mir ist das relativ egal, wenn die Sozialdemokratie Ihrem Antrag sogar zum Widerspruch heraus, was dieses Landes glaubt, man könnte den Rechtsstaat mich persönlich besonders schmerzt. mit Füßen treten. Dann werden Sie aber die Ergeb- Schlimmer noch: Jeder Demokrat, dem unsere frei- nisse erleben. Ja, sie treten den Rechtsstaat mit den heitlichen Grundwerte viel bedeuten, sieht sich in Füßen. der unangenehmen Lage, nun auch Rechtspositio- (Beifall FDP und vereinzelt CDU) nen der AfD verteidigen zu müssen, wenn man den Rechtsstaat in diesem Land ernst nimmt. Grundsätzlich stimmt es ja: Die AfD ist eine rechts- populistische, von Ressentiments und Xenophobie Was soll es uns sagen, wenn Sie hier beschließen durchsetzte Partei. Sie vertritt Positionen, die oft- wollen, das Legislativorgan Landtag Schleswig- mals nur schwer zu ertragen sind. Die Partei ist Holstein „stellt sich den neuen rechten Parteien wie aber nicht verboten und ist deshalb ein Konkurrent der AfD entschlossen entgegen und sucht die politi- im politischen Wettbewerb. Das Verfassungsorgan sche Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit“? Landtag entscheidet deshalb auch nicht darüber, ob Was soll uns das sagen? Ein Staatsorgan stellt sich die AfD ein gutes oder schlechtes politisches Ange- der AfD entgegen. Heißt das nicht, dass der Land- bot macht. Das entscheiden immer noch die Wähle- tag nicht mehr über politische Problemlösungen rinnen und Wähler. Unsere politische Aufgabe entscheidet, sondern jetzt auch dafür genutzt wer- muss darin bestehen, ihnen möglichst viele Wähler den soll, missliebige Parteien auszugrenzen? abspenstig zu machen anstatt sie der AfD in Scha- Wollen wir das jetzt mit jeder Partei machen, die ren zuzutreiben, was wir gegenwärtig tun. uns nicht gefällt? Wollen wir also das moralische (Beifall FDP und CDU) Mehrheitsprinzip über das Rechtsstaatsprinzip erheben? Ist das Ihr Beitrag für die Verteidigung Dass Sie Ihre moralischen Vorstellungen über des demokratischen Rechtsstaates, wenn wir nicht rechts erheben wollen, ist das eine. Das kann ich verbotene Parteien durch Landtagsbeschluss ins nachvollziehen. Dass Sie dabei aber auch Ihre mo- Abseits stellen? Das können wir als Parteien im ralischen Vorstellungen über das Recht erheben Wahlkampf machen. Dass sich aber der Landtag so wollen, ist brandgefährlich. Noch einmal: Sie positionieren soll, ist verfassungsrechtlich äußerst schaufeln der AfD auf diese Art und Weise Men- bedenklich. schen zu, weil Sie die AfD in eine Märtyrerrolle bringen und damit genau die Vorurteile mit Nah- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9351

(Wolfgang Kubicki) rung füttern, die die AfD vor sich herträgt, nämlich det, Ressentiments zu bedienen? Jeder, der nicht das System sei nicht mehr reformfähig, und die Me- auf der angeblich richtigen politischen Seite steht, dien seien nicht mehr in der Lage, vernünftig Be- ist also potenziell ein Rechtspopulist? richte zu erstatten. Ich kann Ihnen nur raten, diesen Punkt sorgfältig zu Wir müssen an dieser Stelle auch fragen, ob wir in überdenken, bevor Sie ihn hier beschließen. Denn der Vergangenheit wirklich alles getan haben, um damit schüren Sie selbst Ressentiments und stellen die Sorgen und Nöte vieler Menschen in Schleswig- andere politische Vorstellungen unter Generalver- Holstein aufzunehmen und nicht zu vergrößern. dacht. Tun wir alles in unserem Verantwortungsbereich, Ich will einen Punkt aus der gestrigen Debatte auf- um der allgemeinen Frustration und Politikverdros- greifen. Ich habe mich öffentlich so geäußert, dass senheit keinen Vorschub zu leisten? Ich glaube, so der Ministerpräsident eine Schande für die Flücht- selbstkritisch sollten wir sein: Zweifel sind da ange- lingspolitik und für das Land Schleswig-Holstein bracht. sei. Ich gebe zu: Das war eine überzogene Formu- Politikverdrossenheit wird dadurch größer, wenn lierung. Der Kern ist aber, dass ich es nicht akzep- die Menschen den Eindruck haben, dass es uns tiere, dass sich bei einer Frage, die die Menschen nicht mehr in erster Linie um die Problemlösung und auch uns bewegt, der Ministerpräsident dieses geht, sondern zuerst darum, den politischen Kontra- Landes nicht öffentlich äußert, nicht zu einer Positi- henten schlecht dastehen zu lassen. Das Vertrauen on äußert und sie im Zweifel verteidigt und damit in die Lauterkeit der Politik wird also gestärkt, für diese Position wirbt. wenn wir dem politisch Andersdenkenden zunächst (Beifall FDP und CDU) einmal den guten Willen unterstellen, dass er ein Problem lösen will. Man kann der Flüchtlingspolitik von Angela Mer- kel viel vorwerfen. Ich glaube auch, dass sie viele Auch an dieser Stelle sage ich, Herr Kollege Fehler gemacht hat. Die Frau stellt sich aber ins Dr. Stegner: Wenn mehr als 50 % der Deutschen Parlament und kämpft für ihre Überzeugung. Die das Gefühl haben, sie könnten ihre Meinung nicht Frau tritt dafür ein. Das nötigt Respekt ab, aber mehr frei äußern, haben wir ein Demokratiepro- nicht die Tatsache, dass der Ministerpräsident bei blem, dem wir entgegenwirken müssen. Wir dürfen einer so zentralen Frage nicht das Wort ergreift. nicht so tun, als gäbe es dieses Problem nicht. (Beifall FDP und CDU - Zurufe SPD) (Beifall FDP und vereinzelt CDU) Ich will darauf hinweisen, worin die Gefährlichkeit Auch hier sehe ich bei Ihrem Antrag erhebliche De- liegt. Ich akzeptiere jeden Kommentar, weil ich fizite. Es gibt einen verräterischen Passus in Ihrem Vertreter der Meinungs- und Pressefreiheit bin. Antrag, in dem eine gefährliche moralische Kate- Dass diese Äußerungen aber in einem Kommentar gorisierung in Gut und Böse durchdringt. Auf in den „Kieler Nachrichten“ in den Bereich des Seite 2 Ihres Antrags lesen wir: Rechtspopulismus gerückt werden, das ist schon et- „Berechtigte Sorgen der Menschen nehmen was, worüber ich nachdenken muss. Die Aussage wir weiter ernst und lassen diese mit ihren lautet: Befürchtungen nicht alleine.“ „Solche Worte fielen nicht auf irgendeiner Die erste Frage ist: Wer entscheidet darüber, wel- PEGIDA-Demonstration in Dresden, sondern che Sorgen berechtigt und welche Sorgen nicht be- im Landeshaus. Dabei sind die Rechtspopu- rechtigt sind? listen, von denen man solche Äußerungen eher erwarten würde, hier noch gar nicht ver- „Politisch andere Positionen zu vertreten, le- treten.“ gitimiert jedoch nicht, Ressentiments zu be- dienen. Rechtspopulismus lässt sich nicht da- (Martin Habersaat [SPD]: Denken Sie dar- durch bekämpfen, dass demokratische Partei- über nach!) en sich in ihrem Handeln oder ihrer Program- - Denken Sie einmal darüber nach, was das heißt. matik rechtspopulistischen Positionen anpas- Herr Kollege, Meinungsstreit ist die Grundlage sen.“ unserer demokratischen Grundordnung. Sie ent- Was will uns dieser Passus sagen? Jeder, der eine scheiden nicht darüber, welche Aussage rechtspo- andere Position vertritt als das, was Sie für den po- pulistisch ist. Das entscheiden im Zweifel die Men- litischen Mainstream halten, ist potenziell gefähr- schen. 9352 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Wolfgang Kubicki)

(Beifall FDP und CDU) se Debatten aber, die Sie hier anzetteln, mit denen Sie zwischen Gut und Böse und zwischen mora- Wenn wir so mit Ihrer moralischen Überlegenheit lisch Höherstehend und Niedrigerstehend kategori- argumentieren, dann werden Sie sehen, wohin die sieren - - Wähler Sie im Zweifel hinbringen. (Sandra Redmann [SPD]: Sie tun das doch!) Noch einmal: Wenn 50 % der Menschen sagen, sie trauten sich nicht mehr, ihre Meinung frei zu sagen, - Nein, Sie tun das. Sie machen das die ganze Zeit. dann haben wir alle ein Problem. Wenn Sie jetzt Ich würde diesen Antrag noch einmal durchlesen. solche Anträge formulieren, mit denen Sie bestim- Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen, weil men wollen, was Rechtspopulismus ist, grenzen Sie wir ihn nicht für produktiv, sondern für kontrapro- damit Menschen aus dem allgemeinen Diskurs aus. duktiv halten. Wenn Sie in sich gehen, Herr Kolle- Damit tun Sie der Demokratie keinen Gefallen. Im ge Dr. Stegner - und das meine ich wirklich ernst -, Gegenteil, dann schaden Sie dieser Demokratie auf und darüber nachdenken, dass wir unser demokrati- ungeheure Art und Weise. sches Gemeinwesen verteidigen wollen, dann wer- (Beifall FDP und CDU) den Sie feststellen, dass wir die Rechtspopulisten mit Argumenten stellen müssen, aber nicht mit der Dass diese sozialdemokratische Schwarz-Weiß-Ka- moralischen Überlegenheit, die Sie an den Tag ge- tegorisierung kein verzeihlicher Ausrutscher ist, legt haben. - Herzlichen Dank. sondern sozusagen zur sozialdemokratischen Grundüberzeugung gehört, zeigt uns ein Blick in (Anhaltender Beifall FDP und CDU) die Presse. So konnten wir zum Beispiel am 11. Oktober 2015 im „Hamburger Abendblatt“ le- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: sen, wie Ministerpräsident Torsten Albig auf einem Pinneberger Kreisparteitag seine Parteifreunde auf Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat die die künftige politische Auseinandersetzung ein- Abgeordneter Angelika Beer. stimmte. Wir lesen also: Angelika Beer [PIRATEN]: „,Die kommenden Wahlen werden Rich- tungswahlen‘, sagte er. Es gebe dann eine Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entscheidung zwischen einer rechtspopulisti- Ich fange einmal mit einem „Schade!“ an. Ich finde schen und einer sozialdemokratischen Rich- es schade, dass Sie, Herr Daniel Günther, und auch tung.“ Sie, Herr Kubicki, bei einer wirklich notwendigen Sachdebatte um schwierige politische Themen, die Es gibt also nur Rechtspopulisten und Sozialdemo- uns alle bewegen, jedes Mal in den Wahlkampfmo- kraten. Der Rest findet nicht mehr statt. Es ist un- dus schalten und diese Debatten vergiften, verantwortlich, so zu argumentieren. (Beifall PIRATEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE (Beifall FDP und CDU) GRÜNEN und SSW) Ich sage Ihnen: Die Menschen werden irre in einer egal ob gestern in der Flüchtlingsproblematik oder Demokratie, wenn sich führende Sozialdemokraten heute, wenn es um Rechtspopulismus und Rechts- so äußern. Ich bin kein Sozialdemokrat und werde extremismus geht. es auch nicht werden. Ich versuche jetzt, einmal aus dem Wahlkampfmo- (Sandra Redmann [SPD]: Das ist auch gut dus wieder zurückzuschalten, denn unsere Fraktion so! Sehr gut! Das ist meine Meinung, die ich begrüßt die Initiative der Koalitionsfraktionen für hier äußern darf!) diesen Antrag und für diese Debatte, weil wir sie - Sie dürfen Ihre Meinung äußern. Trotzdem müs- für notwendig halten. Wer sich in den letzten Jah- sen Sie sich fragen, warum die AfD dabei ist, die ren kontinuierlich um die erschreckende Zunahme Sozialdemokraten in wesentlichen Bereichen dieser der Hetze durch Rechtspopulisten und Rechtsex- Republik zu überflügeln. Diese Frage müssen Sie tremisten auch bei uns im nördlichsten Bundes- sich doch stellen. land, Herr Kollege Daniel Günther, informiert hat, wer sich gekümmert hat und wer wie wir - ich hatte (Sandra Redmann [SPD]: Seien Sie ganz still sagen wollen, wir alle, aber jetzt sage ich einfach mit Ihren paar Prozenten!) einmal mit dem Blick zur Koalition und auf die PI- Schauen wir uns einmal an, wie stark die Sozialde- RATEN wie wir - nicht bereit ist, rechtsextremem mokratie in Baden-Württemberg werden wird. Die- Gedankengut Platz zu lassen, weiß, dass da, wo De- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9353

(Angelika Beer) mokratie zur Seite rückt oder nicht vertreten ist, verbreiten, was anders ist. Das Bundeskriminalamt rechtsextreme Hetze den Platz einnimmt und die hat im vergangenen Jahr 1.027 Angriffe auf Unter- Leittragenden eben die Flüchtlinge sind. Das ist künfte von Flüchtlingen verzeichnet - fünfmal mehr das, was wir hier präsentieren und repräsentieren als im Jahr zuvor. Die Gewaltakte gegen Flüchtlin- wollen, weil wir nicht bereit sind, diesem Hass, ge haben zugenommen. Das BKA warnt vor neuen egal wo, auch nur ein Stück weit Platz zu geben. Terrorzellen nach dem Vorbild des NSU. Wie der Präsident des BKA Münch gegenüber „Bild am (Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD und Bei- Sonntag“ sagte, brauchten die Polizeibehörden fall Jette Waldinger-Thiering [SSW]) schnelle Ermittlungsergebnisse und Urteile, um das Herr Kollege Daniel Günther hat ein Konjunktur- Dynamit der rechtsextremen Straftaten zu durchbre- programm gegen die AfD gefordert. Darum geht chen. Noch Fragen? - Das sind Realitäten. Wenn es doch gar nicht. Haben Sie sich überhaupt infor- Sie allein gestern nach Vorfällen gesucht hätten, miert, was in Schleswig-Holstein regelmäßig pas- hätten Sie ein erschreckendes Bild hier heute darle- siert - jede Woche, jeden Tag -, wie es sich verän- gen können. Ich nenne nur die Überschriften: Brand dert? Ich will darauf gleich eingehen; denn es geht in Gelsenkirchener Flüchtlingsunterkunft, Geplan- ja nicht darum zu sagen: Wir leben hier im nörd- tes Flüchtlingsheim in Sachsen-Anhalt angegriffen, lichsten Land der Glückseligen, wir haben kein Schläger verfolgen Tunesier in Chemnitzer Innen- Problem, deswegen brauchen wir nicht darüber zu stadt, Containeranlage für Flüchtlinge in Brand ge- reden, sondern wir wollen aufmerksam sein und mit setzt in Oberbayern, Brandanschlag von Nazis in breiten politischen Maßnahmen versuchen, Fehlent- Kahla auf Demokratie-Laden und SPD-Bürgerbüro. wicklungen auch bei uns gar nicht erst richtig in - Das ist nur eine Momentaufnahme, liebe Kolle- Schwung kommen zu lassen. Sie wissen, dass wir ginnen und Kollegen. Die Menschen, die unsere die DVU im Landtag hatten, und es ist gut, dass sie Hilfe erbitten, die gerade ihr Leben gerettet haben, sich selber wieder herauskatapultiert hat. Aber mir sind endlich bei uns und sehen sich rassistischer geht es heute um etwas anderes. Hetze ausgesetzt. Auch mit dieser Resolution wol- Die Fakten der letzten Monate und Jahre sind ein- len wir zeigen, dass wir das in keiner Form tolerie- deutig. Es sind eben überwiegend nicht mehr die ren. altbekannten Nazis, die uniformiert und in schwar- (Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD, BÜND- zen Springerstiefeln versuchen, gegen andere zu NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) hetzen. Nein, es sind zum Beispiel die Mitglieder Wir gehen dagegen auf allen Ebenen vor: in den der NPD, die sich im Vorfeld eines drohenden Ver- Medien, auf Podien, im Parlament und auf der Stra- bots unter AfD, PEGIDA, LEGIDA und andere ße. mischen und so versuchen, rechtsextremes Gedan- kengut gesellschaftsfähig zu machen und jene, die Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das scheint im Moment unzufrieden sind - das ist hier gesagt der CDU fremd oder unbekannt zu sein: Bekannte worden -, versuchen zu agitieren und in rechtsextre- NPD-Kader haben gerade in Schleswig-Holstein me Bahnen zu leiten. Das müssen wir verhindern. ganzen Seiten gegründet wie zum Beispiel „Neu- münster wehrt sich“. Dafür könnte ich noch viele Das ist übrigens kein Phänomen in Schleswig-Hol- andere Orte mehr nennen. Wir haben zum Beispiel stein, sondern das gibt es in ganz Deutschland. Wer NPD-Kommunalpolitiker in unserer Ratsversamm- sich dann auch noch die Entwicklungen auf euro- lung in Neumünster. Wir haben monatlich minde- päischer Ebene anschaut, welche Bündnisse die stens ein bis zwei Demonstrationen von Rechtsex- Rechtsextremisten inzwischen schließen, dann tremen und Rechtspopulisten. Boostedt, Anfang Ja- muss ich sagen, das ist jedenfalls meine Antwort nuar gegen die Flüchtlinge in der Erstaufnahme: darauf: Egal wo rechtsextremes Gedankengut und neun Nazis - ja, nicht viel -, eine Hundertschaft und Rechtspopulismus herrschen, es muss von Anfang 60 Demokraten, die das nicht zulassen wollten. an unsere Antwort sein, den Anfängen zu wehren. Neumünster, 16. Januar 2016: NPD-Kader wie der (Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD, Beifall von Wulff haben eine Kundgebung angemeldet und Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verbreiten rassistisches Gedankengut in der Öffent- NEN] und Jette Waldinger-Thiering [SSW]) lichkeit. Zwei Hundertschaften, Wasserwerfer und In den letzten Monaten und Wochen sind unzählige das breite Bündnis „Wir können sie stoppen“. Und rechte Plattformen auch bei uns in Schleswig-Hol- schon für den 28. Februar 2016 steht die nächste stein entstanden, im Internet, insbesondere in den Demonstration in Neumünster auf der Tagesord- sozialen Medien. Sie versuchen, Hass auf alles zu 9354 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Angelika Beer) nung - wieder gegen die Flüchtlinge in der Erstauf- (Beifall PIRATEN, SPD, SSW und verein- nahmeeinrichtung in Neumünster. zelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In Neumünster haben wir ein breites Bündnis, das ist gut, und das ist über Jahre entstanden. Ich begrü- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: ße ausdrücklich, dass sich alle demokratischen Par- Für die Kolleginnen und Kollegen des SSW erteile teien dort engagieren, auch die CDU, nach dem ich Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort. Motto: „Neumünster ist bunt statt braun“. Wir ste- hen nicht nur auf, wenn die Nazis versuchen, auf Lars Harms [SSW]: die Straße zu gehen, sondern wir setzen eigene Schwerpunkte, die wichtig sind. Das Legen von Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Stolpersteinen, Baumpflanzungen zum Gedenken Herren! Die AfD ist in Schleswig-Holstein eigent- an Auschwitz, Filmwochen gegen rechts, jährliches lich noch gar nicht vorhanden. Es gibt keine Struk- Gedenken am 27. Januar, Diskussion über religiös turen, es gibt keine Figuren, es gibt keine Men- motivierten Extremismus, Clips der Jugendlichen schen, die mit dieser Gurkentruppe in irgendeiner gegen rechts, um nur einiges zu nennen. Egal, ob Art und Weise verbunden werden. Trotzdem führt PEGIDA, LEGIDA, SHEGIDA - auch im dänisch- es dazu, dass allein das Vorhandensein von weni- deutschen Grenzgebiet ruft zum Beispiel SIAD - gen dieser komischen Menschen uns Demokraten der dänische PEGIDA-Ableger - zu einer Aktion dazu bringt, aufeinander einzuschlagen, dass die gegen den sogenannten Asylmissbrauch und gegen Heide wackelt. Das ist kein gutes Bild. Die Gewin- Islamisierung auf. Am 20. Februar wollen sie er- nerin dieser Debatte - wenn wir so weitermachen - neut symbolisch die Grenze zu Kruså schließen. wird die AfD sei und es werden nicht die demokra- Rassistische Ideologie macht an Grenzen eben tischen Parteien sein. nicht halt, und auch dagegen wenden wir uns. Deshalb ist es wichtig, dass wir Demokraten zu- (Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD und sammenstehen. Wir scheinen uns manchmal davon BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wegzubewegen. Emotionen sind völlig okay, trotz- dem lautet unsere Aufforderung als SSW: Wir müs- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten auch sen die Reihen schließen, wir müssen zusammenar- etwas zur Kenntnis nehmen - ich gebe zu, dass ich beiten. Trotz Unterschieden in dem, was wir poli- hier nicht die Zeit zur Ursachenanalyse habe -, aber tisch vertreten, müssen wir uns gemeinsam als Par- es ist schon ein Alarmzeichen, wenn eben diese lament, gemeinsam als demokratische Parteien ge- Rechtsextremisten und Rechtspopulisten, von de- gen solche Bestrebungen wenden. Es nützt nichts, nen ich gerade erzählt habe und von denen es leider wenn wir da irgendwie gegeneinander vorgehen. in Schleswig-Holstein viel zu viel gibt, jetzt auch dazu übergehen, Bürgerwehren zu formieren. In (Beifall) Neumünster haben sie erste Streifzüge angemeldet, Wenn ich davon rede, möchte ich auch gern über in anderen Orten ebenfalls. Das ist eine innen- und das reden, worum es eigentlich geht, nämlich rechtspolitische Frage, aber auch eine Frage von Zi- rechtsextremes Gedankengut, das sich unbemerkt vilcourage. Wir werden den Bürgern nur die Si- überall ein bisschen einschleicht, und das vornehm- cherheit zurückgeben können, wenn wir zum Bei- lich auch über die AfD. spiel mit einer solchen Resolution, aber auch mit politischen Konzepten ganz klar sagen: Geht nicht In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ oder in der den rechten Rattenfängern auf den Leim, Demokra- „Neuen Westfälischen“ kann man lesen, was Frau tie sieht anders aus. Petry so von sich gibt, zum Beispiel: Für viele Mit- glieder bei ihr sei die umstrittene Gesetzgebung (Beifall PIRATEN, SSW und vereinzelt zum Schwangerschaftsabbruch unter ethischen Ge- SPD) sichtspunkten nicht abschließend geregelt. Eine Än- AfD und PEGIDA tragen die politische und gesell- derung könne zudem ein Mittel gegen Kinderman- schaftliche Verantwortung für die verbale Verro- gel in Deutschland sein. - Da ist alles drin: völki- hung der Diskussion. Deswegen rate ich allen: sches Denken; Frauen als Gebärmaschinen; Küche, Lasst uns nicht nur hier Wahlkampfreden halten. Es Kinder, Kirche nur für Frauen. Der Rest ist nicht ist eine langfristige Entwicklung, die wir gemein- mehr da drin. Das ist nicht nur ein schräges Frauen- sam zurückdrehen müssen. Demokratie ist stark, bild, sondern da sind auch Anleihen aus dunklen, wenn sie in diesen Grundsatzfragen auch eine Stim- braunen Vergangenheiten dabei, die wir nicht tole- me findet. - Vielen Dank. rieren können. Der eigentliche Gegner ist die AfD. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9355

(Lars Harms)

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE solche Menschen vertreten. Der Gipfel ist, dass sie GRÜNEN und PIRATEN) es auch sagen. Er sagt zum Beispiel: Ein weiteres Beispiel ist in aller Munde. In einem „Repräsentation durch ein Parlament ist kei- Interview mit Frau Petry im „Mannheimer Morgen“ ne essenzielle Voraussetzung für eine frei- ging es um Grenzübertritte von Asylbewerbern. Der heitlich demokratische Grundordnung“. Journalist dachte, er höre nicht richtig, und hat noch - Diese Leute wollen Parlamente abschaffen. Diese einmal nachgefragt: Wie soll ein Grenzpolizist in Leute wollen die Demokratie abschaffen. Das sind dem Fall reagieren, wenn ein Asylbewerber über die eigentlichen Feinde und nicht wir untereinan- die Grenze möchte? Die Antwort von Frau Petry der. lautete: Er muss den illegalen Grenzübertritt ver- hindern, notfalls auch von der Schusswaffe Ge- (Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE brauch machen. GRÜNEN und Wolfgang Kubicki [FDP]) (Lars Winter [SPD]: Unglaublich!) Die Conclusio für heute lautet: Eine Zusammenar- beit mit der AfD kann es nicht geben, nicht in die- Dazu sagt die stellvertretende Bundesvorsitzende sem Parlament und nicht andernorts. Selbstver- von Storch: Schusswaffengebrauch gegen Flücht- ständlich werden wir uns den Diskussionen mit die- lingskinder, ja. - Kinder sollen an deutschen Gren- sen Leuten stellen, aber eine Zusammenarbeit wird zen erschossen werden! Das sind die eigentlichen es nicht geben. Feinde der Demokratie, nicht wir untereinander, sondern die AfD ist es. Meine Damen und Herren, Anfang der 90er-Jahre - auch damals hatten wir es mit einer Flüchtlings- (Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE krise zu tun - saßen die demokratischen Parteien GRÜNEN und Katja Rathje-Hoffmann zusammen, und die Rechtsradikalen von der DVU [CDU]) saßen mit einem räumlichen Puffer dazwischen auf Meine Damen und Herren, um ein bisschen auf das der rechten Seite. Es gab keine politischen Schnitt- ideologische Gerüst dieser Partei einzugehen, die mengen, keine Annäherung, keine Chance auf Ein- durchaus extreme Anleihen bei der sogenannten fluss für diese Leute. Sie standen mit ihrem frem- neuen Rechten macht: Hermann Behrendt, NRW- denfeindlichen Weltbild allein da. Wir Demokraten Vorstand der AfD, hat - es ist noch gar nicht so lan- haben zusammengestanden und den Menschen im ge her - das Buch „Mandative Demokratie“ ge- Land gezeigt: Mit denen ist kein Staat zu machen. schrieben. Dort hat er auf knapp über 500 Seiten Denn wir haben eine tiefe und weite Kluft gezogen dargelegt, was er sich für dieses schöne Land vor- zwischen gelebter Demokratie auf der einen Seite stellt. Er sagt zum Beispiel: und Hass und Zwietracht auf der anderen. Ein poli- tisches Niemandsland sozusagen. Seit damals ist es „Die Mitbestimmung hat zur Schwächung keiner rechtsextremen Partei gelungen, die Kluft zu des deutschen Wirtschaftsstandortes beige- überwinden und ihren Fuß in dieses Parlament zu tragen“. setzen. - Mitbestimmung von Mitarbeitern in Unternehmen Glaubt man den Prognosen, könnte sich dies abseh- soll es für die anscheinend nicht mehr geben. bar ändern. Mit der AfD setzt eine Partei zum Er sagt auch: Sprung ins Parlament an, die mit der Umschreibung „Ein ausufernder Sozialstaat lädt zu Wolf im Schafspelz gelinde davonkäme. Wie ist Missbrauch ein. Natürlich gibt es Arbeits- das möglich? - Ich will es Ihnen sagen: AfD, NPD scheue, Subventionsbetrüger oder Einwande- und PEGIDA arbeiten seit geraumer Zeit daran, die rer, denen es nur auf das soziale Netz an- Kluft zu überwinden. Allein können sie es nicht kommt.“ schaffen, die brauchen jemanden, der ihnen von der anderen Seite eine Brücke entgegenbaut. - Das sind echt schräge Äußerungen. Zu diesem jemand - ich muss leider sagen, wie es Er sagt auch: ist - entwickeln sich zunehmend auch Teile des de- „Demokratie und Schulden sind Zwillinge.“ mokratischen Parteienspektrums. Standen früher Parteien wie DVU und NPD in dem Ruf, die Äng- - Das heißt, wer keine Schulden machen will, muss ste der Bürger auszunutzen, sich immer neue Schi- die Demokratie abschaffen. Das ist das Bild, das kanen gegen Asylsuchende auszudenken, so müs- sen wir heute erleben, dass es insbesondere die 9356 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Lars Harms)

CSU ist, die kaum eine Gelegenheit auslässt, den „Gewalt beginnt mit Worten.“ Ton in der Asyldebatte zu verschärfen. Das ist kein (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE Vorwurf gegenüber der CDU, die da völlig anders GRÜNEN) aufgestellt ist. Für das Klima in unserem Land trage jeder seinen Aus der deutschen Willkommenskultur droht eine Teil der Verantwortung, zum Beispiel auch durch Art Verabschiedungskultur zu werden. Rhetorische das, was er sage. - Ich frage mich nun, welche Wor- Brücken führen immer dazu, dass rechtes Gedan- te Frau Röper zu Teilen der heutigen Debatten be- kengut von der Mitte der Gesellschaft nicht fernge- nutzt hätte. halten werden kann. Wortkreationen wie „Verab- schiedungskultur“, aber auch immer wiederkehren- Wir Demokraten müssen zusammenstehen - heute de Forderungen nach Grenzschließungen oder Ab- wie früher - gegen die AfD und die anderen, die schiebung - obwohl dies gar nicht geht, das wissen meinen, dieses Land mit rechten Stammtischsalven wir alle - sind genauso eine Brücke. in die Vergangenheit bomben zu können. Nur dann kann es uns gelingen, dies zu verhindern. Die Kluft, Ich möchte mit Verlaub ein Zitat zum Thema Asyl- die wir einst schufen, um ein Vakuum zu schaffen bewerber verlesen, nicht um anzuprangern, sondern zwischen Demokratie und Hass, zwischen humaner um zum Nachdenken anzuregen. In diesem Haus Politik und stumpfer Gewalt, brauchen wir mehr wurde einmal gesagt: denn je. Wenn wir Demokraten uns alle einig sind, „Wenn sie hier sind, die Asylverfahren abge- dann schicken wir die AfD dorthin, wohin sie ge- schlossen sind, dann … sollen sie unverzüg- hört: auf den Müllhaufen der Geschichte. lich zurückgeschickt werden.“ Meine Damen und Herren, wir müssen zusammen- - Das war es schon; ich vermute, Sie haben Schlim- stehen. Es gibt keinen Streit, wer der bessere De- meres erwartet. Das Bemerkenswerte an diesem Zi- mokrat ist. Das dürfen wir nicht tun. Wir alle sind tat ist: Es stammt vom März 1993 vom damaligen Demokraten, und wir alle können nur gemeinsam DVU-Abgeordneten Helmut Thienemann, der da- unsere Werte verteidigen. - Vielen Dank. durch nahezu tumultartige Zustände im Haus auslö- (Anhaltender Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS ste, als er im Plenum unter anderem auch forderte, 90/DIE GRÜNEN und Beifall PIRATEN) den Zuzug von Flüchtlingen zu stoppen. Es müsse Schluss sein mit Scharen junger alleinstehender Männer, die schließlich auch sexuelle Bedürfnisse Vizepräsidentin Marlies Fritzen: hätten, wie seine Parteikollegin Renate Köhler an- Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE merkte. - Sie merken, dass wir von der heutigen GRÜNEN hat der Abgeordnete Rasmus Andresen. Diskussion nicht weit weg sind. Die DVU hatte an dem Tag drei Anträge im Gepäck. Einer davon war Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Einführung einer Straßennutzungsgebühr für NEN]: Ausländer. - Das kommt einem sehr bekannt vor. Das lasse ich einfach einmal so stehen. Viel wichti- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle- ger ist: Es war ein CDU-Abgeordneter - Reinhard ginnen und Kollegen! Herr Kollege Günther, es Sager -, der sehr deutlich die Haltung aller demo- wundert Sie wahrscheinlich nicht, dass ich jetzt hier kratischen Parteien im Haus auf den Punkt brachte: stehe. Ich wollte aber eigentlich sowieso zu diesem Die Anträge hätten nichts anderes zum Ziel, als Thema sprechen, denn ich finde, das ist ein wichti- Ressentiments gegen Ausländer zu schüren, und ges Thema, bei dem man auch über die guten Bei- seien abzulehnen. - So kam es dann auch. träge von einigen der Fraktionsvorsitzenden hinaus- gehen und sich noch einmal genauer damit beschäf- Eigentlich müsste ich jetzt Karl Otto Meyer zitie- tigen kann, wie man eigentlich heutzutage mit ren, der sich vor diesen Menschen aufbaute, wäh- Rechtspopulismus bei uns umgehen sollte. rend im heimischen Postkasten in Schafflund die Morddrohungen eintrudelten, und Herrn Stawitz Ich möchte aber natürlich trotzdem kurz auf die von schonungslos die Leviten las. Ihnen ziemlich dreisten Vorwürfe eingehen, bei de- nen Sie Facebook-Posts von anarchistischen Grup- Ich möchte mit Erlaubnis des Präsidiums aber je- pen - bei denen ich noch nicht einmal weiß, wer da- mand anderen aus der damaligen Debatte zitieren, hintersteht - hier mit mir in einen Topf werfen. Sie nämlich die CDU-Abgeordnete Ursula Röper. Sie zitieren aus Zeitungsartikeln verkürzt und ver- sagte kurz und knapp: schweigen beispielsweise, dass der CDU-Fraktions- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9357

(Rasmus Andresen) vorsitzende im Stadtrat in Flensburg, ein von mir Vor einigen Jahren haben wir hier noch sehr kon- sehr geschätzter Kommunalpolitiker, übrigens trovers über die Präventionsprogramme gegen Rechtsanwalt von Beruf, sich zu demselben Artikel rechts gestritten, die wir im Dezember 2015 Gott auch geäußert und Sachen gesagt hat - ich werde sei Dank einstimmig bei den Haushaltsberatungen die Zitate gleich vortragen -, von denen ich sagen beschlossen haben, und die hier von Eka von Kal- muss, soweit würde ich nie gehen: ben auch lobend erwähnt worden sind. Das alles sind Maßnahmen, die waren vor ein paar Jahren „Frank Markus Döring … nimmt die Angele- noch umstritten. Da gab es keine Unterstützung aus genheit dagegen außerordentlich gelassen.“ Ihren Reihen. Ich sage das nicht als Kritik, ich sage - Es geht also um die Angelegenheit, die Sie hier das, weil das zur Debatte mit dazugehört und weil gerade angesprochen haben. man sich auch selbst in seiner eigenen Rolle kri- „Er will von juristischen Schritten absehen. tisch reflektieren sollte. ‚Wenn man das als Politiker nicht aushält‘, Ich glaube, Dänemark ist ein ganz gutes Beispiel. - sagt er, ‚hat man sich den falschen Job aus- Ich weiß, meine Zeit ist abgelaufen. gesucht‘.“ (Heiterkeit) Und er sagt weiter: „Er habe ein gewisses Verständnis für die Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Frustration der Besetzer und wolle nun nicht Herr Kollege, das ist tatsächlich so. jedes Wort auf die Goldwaage legen.“ Ich habe noch nicht einmal Verständnis für die Be- Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- setzer. Ich finde es nicht okay, wenn man zu Ge- NEN]: walttaten aufruft. Und ich finde, dass man das auch Das ist auch tatsächlich mein letzter Satz. - Denn scharf zurückweisen muss. Dänemark ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr Was aber aus meiner Sicht nicht geht, ist, das hier man auch Fehler machen kann. Es zeigt, dass es in einen Topf mit der Debatte darüber zu werfen, nicht hilft, einfach nur auf gesellschaftlichen Kon- dass Asylbewerberheime in Deutschland brennen, sens in bestimmten Fragen, beispielsweise in der dass es Anschläge gibt, dass rechte Übergriffe wie- Asylpolitik, zu setzen. Das macht Rechtspopulisten der auf der Tagesordnung stehen. stärker. In Dänemark lagen sie Mitte der 90er-Jahre bei 7 %, jetzt liegen sie bei 21 %. Das gesellschaft- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD liche Klima wurde total vergiftet. Das kann keine und Sven Krumbeck [PIRATEN]) Antwort sein, die wir hier finden dürfen. - Vielen Herr Kollege, es ist so, dass weite Teile der Öffent- Dank. lichkeit nicht mehr aufschreien, anders als vor eini- (Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE gen Jahren, wo Bundeskanzler Gerhard Schröder in GRÜNEN und SPD) einem breiten Bündnis der Zivilgesellschaft mit Kirchen, Gewerkschaften, anderen Akteuren und mit allen Parteien - wenn ich richtig informiert bin - Vizepräsidentin Marlies Fritzen: für einen „Aufschrei der Anständigen“ gesorgt Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat. Jetzt kann man von dem Begriff halten, was hat der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner von der SPD- man will. Aber genau so etwas fehlt in der heutigen Fraktion. gesellschaftlichen Debatte. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD Dr. Ralf Stegner [SPD]: und Sven Krumbeck [PIRATEN]) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Solange Ihre Partei so auftritt und mit dem Aufma- Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil chen von Nebenkriegsschauplätzen keine Antwor- ich ein wenig enttäuscht über die Debatte bin. Die ten oder Lösungen im Kampf gegen rechts versucht Reden, die hier aus der Regierungskoalition gehal- zu formulieren, solange muss man das auch kritisie- ten wurden, waren keine parteipolitischen Reden, ren und darf man das auch deutlich äußern. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Nein! - Weitere (Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE Zurufe CDU) GRÜNEN, SPD und Beifall Sven Krumbeck sie waren einladende Reden. Wir haben vor zehn [PIRATEN]) Tagen hier einen Antrag vorgelegt, zu dem ich gern 9358 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Dr. Ralf Stegner) wüsste, was an ihm Sie stört, oder was Sie gern an- dass Wettbewerb zwischen demokratischen Partei- ders hätten. Die PIRATEN haben einen Antrag da- en in der Sache das eine ist, dass aber der entschlos- zu gestellt. Dem stimmen wir nicht zu, aber sie ha- sene Kampf gegen die Feinde der Demokratie das ben sich damit befasst. Das hätten Sie auch tun andere ist, dann machen wir doch wirklich etwas können. Ich verstehe das nicht. falsch. - Vielen Dank. Wer hier sagt, die freie Meinungsäußerung sei ge- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, fährdet, weil das manche Leute in Deutschland be- SSW und Sven Krumbeck [PIRATEN]) haupten, dem muss ich sagen: Sie ist nicht gefähr- det. Das ist eine rhetorische Figur, damit man hin- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: terher gegen Ausländer hetzen kann. Wir finden das falsch. Man kann hier seine Meinung sagen, man Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat der Ab- muss nicht behaupten, Rechtsradikale würden in ih- geordnete Tobias von Pein, ebenfalls von der SPD- rer Meinung unterdrückt. Das ist wirklich falsch, Fraktion, das Wort. und wir verteidigen die freie Meinungsäußerung. Tobias von Pein [SPD]: (Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich ehrlich gesagt, was noch in unserem Wenn man in einer solchen Debatte dem Kollegen Land passieren muss, um zu kapieren und wahrzu- Andresen Gewalt vorwirft, wenn man sagt, der nehmen, dass wir gar nicht mehr an dem Punkt Ministerpräsident sei eine Schande für dieses Land, sind, wo wir nur stolz darauf sein können, wo wir oder wenn man sagt, die SPD trete das Recht mit stehen, und sagen können, ja Ihr seid in der Analyse Füßen - das ist hier gesagt worden -, kann ich nur vielleicht etwas schärfer, wir sehen das Problem sagen, dass diese Sätze eigentlich nicht zu kom- aber auch, und ich glaube, dass wir das demokra- mentieren sind, weil sie offenkundig maßlos sind tisch „wegdiskutieren“ können. und die Betroffenen eine Entschuldigung verdient hätten. Ich möchte Sie aber gern fragen: Wie wir- Zu dem, was Sie gesagt haben, Herr Kubicki: Ich ken solche Sätze in einer Debatte, in der wir uns nehme das sehr ernst. Ich glaube aber, dass es wich- mit den Feinden der Demokratie auseinandersetzen, tig ist, sich die Stimmung in der Bevölkerung meine sehr verehrten Damen und Herren? Das will noch einmal näher anzuschauen. Es gibt dazu schon ich Sie sehr ernsthaft fragen. länger - wir haben das hier auch schon diskutiert - Studien. Es gibt auch die aktuellen Umfragen dazu. (Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE Sie sagen sehr richtig, dass ein funktionierendes GRÜNEN, SSW, Beifall Angelika Beer [PI- Staatswesen da präventiv wirken kann. RATEN] und Sven Krumbeck [PIRATEN]) Wir haben das in den Umfragen vom NDR auch se- Warum dieser Antrag? Lassen Sie mich das noch hen können, dass man, wenn man eine ordentliche einmal begründen. Auch in Schleswig-Holstein hat Flüchtlingspolitik macht, wenn man sich um dezen- die AfD in Umfragen 7 bis 8 %. Machen wir uns da trale Unterbringung von Flüchtlingen kümmert, einmal nichts vor. Lassen Sie mich aus der heutigen wenn man das vor Ort kommuniziert, wenn man Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zi- mit der Zivilgesellschaft ständig im Kontakt ist, tieren. Wir haben in unserem Antrag ja PEGIDA präventiv wirken und rechten Stimmungen vorbeu- und AfD genannt. Da sagt Frau Festerling von der gen kann. Wenn andere Bundesländer das schlech- PEGIDA-Führung, die sagt, die AfD sei ihr parla- ter machen, dann sieht man auch, wie dort die Stim- mentarischer Arm, gegenüber der „Frankfurter All- mung schlechter sein kann. Da müssen wir wahr- gemeinen Zeitung“ Folgendes auf die Frage nach scheinlich in die Bundesländer Niedersachsen und dem Umgang mit weiter eintreffenden Flüchtlingen Mecklenburg-Vorpommern gucken. Gerade Meck- in der Zukunft: lenburg-Vorpommern ist ein sehr erschreckendes „Wenn sie weiterhin über die Grenze kom- Beispiel, wo die AfD in den Umfragen gerade in men und man sie nicht festnehmen kann, er- die Höhe schießt. schießt sie. … Scheiß auf den Anstand.“ Es gibt einen steigenden Hass in der Gesellschaft, Das steht heute in der „Frankfurter Allgemeinen es gibt eine steigende Kompromisslosigkeit und Zeitung“. einen steigenden - so würde ich es nennen - Funda- mentalismus in den Meinungen, indem man gar Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in der nichts anderes akzeptiert. Man fordert zwar die Debatte nicht deutlich auseinanderhalten können, Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9359

(Tobias von Pein)

Meinungsfreiheit ein, aber wenn man dann eine an- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: dere Meinung vertritt, dann ist das die falsche Mei- Herr Kollege! nung oder die Lügenpresse. Das heißt, es gibt eine Verrohung der Debatte. Tobias von Pein [SPD]: Insgesamt habe ich das Gefühl, dass man versucht, dieser Debatte hinterherzulaufen. Diese Debatte hat Ich bitte Sie, dem zuzustimmen. sich meiner Meinung nach schon nach rechts ver- (Beifall SPD) schoben. Das sieht man auch daran, dass Politik- konzepte diskutiert werden, die früher gar nicht Vizepräsidentin Marlies Fritzen: mehrheitsfähig waren, und heute sogar versucht wird, das eine oder andere davon im Schnelldurch- Danke. - Für die FDP-Fraktion hat nun der Abge- lauf durch den zu bekommen. Gott sei ordnete Dr. Heiner Garg das Wort. Dank gibt es auch aufrechte Bundestagsabgeordne- te, die laut sind und sich dagegen positionieren. Dr. Heiner Garg [FDP]: Die Strategien, um dem zu begegnen, sind ein funk- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tionierendes Staatswesen, das ist aber auch Präven- Lieber Herr Kollege Harms, zunächst einmal möch- tion. Es war diese Koalition, die die Demokratie- te ich mich ausdrücklich bei Ihnen für Ihre Worte förderung massiv ausgebaut hat, noch bevor wir bedanken. Die englische Schriftstellerin Evelyn diese harte Debatte von heute hatten. Zum Zeit- Beatrice Hall hat einmal gesagt: punkt Februar 2016 sagen wir: Wir müssen den „Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich wer- Wurzeln etwas entgegensetzen und da weiterma- de bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu chen. Ich glaube, dass es viel wichtiger ist, dort sagen.“ heute weiterzugehen und zu sagen, die Demokratie- förderung ist der richtige Weg. Es stimmt auch Ich glaube, genau das und nichts anderes haben Sie nicht, dass wir in den Bereichen Islamismus und auch bei dem Beitrag meines Fraktionsvorsitzenden Salafismus nichts täten. Auch da machen wir etwas. erlebt. So kenne ich ihn seit einem Vierteljahrhun- Aber das an dieser Stelle mit der Frage Rechtsex- dert. tremismusprävention zu vermischen, ist mal wieder Ich will einmal sehr deutlich sagen: Mich haben total unfair. zwei Erlebnisse ganz besonders geprägt, und mir Dem Kollegen Rasmus Andresen, der sich nun haben sie auch imponiert, und da möchte ich an das wirklich in jede Anti-Nazi-Demo selber mit ein- anschließen, was Sie, Herr Kollege Harms, ausge- bringt und sehr aufrecht mitdemonstriert, vorzuwer- führt haben. fen, er würde mit demokratiefeindlichen Stimmun- Erstens war dies die Art und Weise, in der von gen sympathisieren, ist nun wirklich an den Haaren 1992 bis 1996 - damals war ich Mitarbeiter meiner herbeigezogen. Fraktion - mit der DVU, später DLVH, zum Schluss mit sechs fraktionslosen Rechtsradikalen, Vizepräsidentin Marlies Fritzen: umgegangen wurde. Man hat sich hier im Landtag Herr Abgeordneter, Sie müssen nun bitte zum konkret mit den einzelnen Themen auseinanderge- Schluss kommen. setzt - einer für alle -, sich diese Menschen vorge- nommen, aber sie in der Sache gestellt. Ich finde, dass dies die richtige Art und Weise ist, um sich mit Tobias von Pein [SPD]: den politischen Parolen dieser Menschen auseinan- Ich komme zum Schluss. - Demokratie ist nichts derzusetzen. Selbstverständliches, auch das muss man einmal Lieber Kollege Harms, so leid es mir tut, deswegen laut sagen. Es muss klar gesagt werden, dass sie je- passt diese Resolution, die Sie heute hier verab- den Tag neu erkämpft, erlebt und erstritten werden schieden lassen wollen, gerade nicht. muss. Wir haben in diesem Antrag viele wichtige Punkte, die auch auf Staatswesen und Prävention (Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE eingehen und eben nicht nur die Position noch ein- GRÜNEN]) mal klarmachen. Liebe Serpil Midyatli, Sie sind wutentbrannt raus- gestürmt. Bei allem Verständnis dafür, dass man auf bestimmte Dinge extrem emotional reagieren 9360 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Dr. Heiner Garg) kann, glaube ich: Bestimmte Kraftausdrücke, die von diesen Menschen weder außerparlamentarisch, ich hier nicht wiederholen will, gehören sich nicht, geschweige denn in irgendeinem Parlament vertre- auch dann nicht, wenn man vor Wut schäumt. ten werden. (Serpil Midyatli [SPD]: Was habe ich denn (Beifall Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE gesagt?) GRÜNEN] und Lars Harms [SSW]) Ich sage es noch einmal: Da helfen solche Bekun- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: dungen nichts, wie Sie sie heute zur Abstimmung Frau Kollegin, ich möchte darauf hinweisen, dass vorlegen, sondern da müssen wir sie jeweils bei je- wir jetzt an dieser Stelle keine Dialoge zwischen dem einzelnen Thema in der Sache stellen. Rednerpult und Abgeordneten beginnen wollen. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss. Frau Präsidentin, Sie werden aber auch mir gestat- ten, auf etwas zu reagieren, genauso, wie Sie es Ih- Dr. Heiner Garg [FDP]: rem grünen Kollegen gestattet haben, auf etwas zu Wir müssen deutlich machen, dass die politischen reagieren. Ich gehe davon aus, dass Sie selbstver- Angebote, die diese Menschen offerieren, praktisch ständlich diese Neutralität wahren. gleich null sind. So und nicht anders würde ich mir (Beifall FDP) eine Auseinandersetzung vorstellen.

Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Das ist selbstverständlich. Ich wollte darauf hinwei- Herr Abgeordneter! sen, dass es nicht üblich ist, dass wir in dieser Wei- se Dialoge zwischen Abgeordneten und Rednern Dr. Heiner Garg [FDP]: am Rednerpult führen. Ich möchte Sie darum bitten, das in der gebotenen Kürze dann auch abzustellen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und für Ihre Geduld, Frau Präsidentin. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber er darf doch sagen, was er möchte!) (Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) - Selbstverständlich darf hier jeder sagen, was er möchte. Darauf müssen wir nicht hingewiesen wer- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: den. - Herr Dr. Garg, bitte! Danke schön. - Zu einem weiteren Dreiminutenbei- Dr. Heiner Garg [FDP]: trag hat der Abgeordnete Dr. Patrick Breyer das Wort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, worauf ich vor al- len Dingen hinweisen wollte, ist das Zweite, was Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: mich beeindruckt hat. Das haben Sie ja sozusagen eingefordert. Ich kann mich an den Landtagswahl- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und kampf 2012 erinnern. Es war März, kurz vor der Herren! Was zu dem Antrag zu sagen ist, hat meine Landtagswahl. Nicht nur mit allen hier im Landtag Kollegin Angelika Beer gesagt. Ich habe mich we- vertretenen Parteien, sondern auch gemeinsam mit gen der Eingangsrede des Kollegen Dr. Stegner zu den Kolleginnen und Kollegen in Mecklenburg- Wort gemeldet. Zunächst einmal möchte ich Sie Vorpommern haben wir uns in Lübeck in einer De- ausdrücklich dafür loben, dass Sie in Ihrer Rede monstration gegen rechts gestellt. Ich glaube, es jetzt nicht mehr die Anonymität des Internets dafür waren 10.000 Demokraten gegen weniger als 100 verantwortlichen machen, dass leider auch in den Verwirrte. sozialen Medien - so wie an Stammtischen - gehetzt wird. Da haben Sie dazugelernt; das finde ich gut. Ich finde: Das sind die richtigen Signale. Es ist schade, dass die Situation heute nicht genutzt wur- (Beifall Uli König [PIRATEN]) de - vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich Ich möchte aber auch kritisieren, dass Sie in Ihrer Leute anschicken, Anwälte von Schwulen und Les- Rede unser Land so über den grünen Klee gelobt ben, Anwälte von Frauenrechten sein zu wollen, bei haben, dass alles toll sei, dass die Menschen doch denen sich mir die Nackenhaare aufstellen. Ich will Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9361

(Dr. Patrick Breyer) glücklich sein müssten. Wenn man die Probleme, Vizepräsidentin Marlies Fritzen: die auch vorhanden sind, so komplett ausblendet, Das Wort hat die Abgeordnete Eka von Kalben von müssen die Menschen wirklich den Eindruck ge- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. winnen, dass sich die Politik von der Lebenswirk- lichkeit abgekoppelt hat. Das war wirklich eine Fa- milie-Hansen-Rede. Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die allermeisten Menschen, die Kritik an Politik Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich und an dem demokratischen System üben, differen- wollte gern in meinem letzten Redebeitrag dieser zieren sehr wohl zwischen einerseits der Demokra- Debatte - ohne dass ich das Ende der Debatte ausru- tie, die sie gut finden, die eine große Mehrheit in fen will - noch einmal diejenigen im Haus, die sich unserem Land hinter sich hat, und andererseits dem ernsthaft mit dem Antrag auseinandergesetzt haben, politischen System, wie es im Moment ausgestaltet animieren, auffordern, bitten, wenn wir eine num- ist. Dagegen richtet sich die Kritik, nicht pauschal mernweise Abstimmung vorschlagen, den Bekennt- gegen die Demokratie. nissen, denen man folgen kann, zu folgen. Genauso zum Thema Lügenpresse. Große Mehr- Ich nehme einmal irgendeinen Punkt heraus, heiten der Menschen teilen den pauschalen Vor- Punkt 3: wurf nicht, dass wir eine Lügenpresse hätten. Ge- „Der Landtag verurteilt jegliche Gewalt und nauso gibt es aber eine Mehrheit, die Kritik daran den enormen Anstieg der Gewalttaten gegen- übt, dass die Berichterstattung nicht immer ausge- über Geflüchteten …“. wogen und neutral ist - Stichwort Ukraine-Bericht- erstattung. Da ist auch etwas dran. Das müssen wir Dagegen zu stimmen, wäre doch erbärmlich. anerkennen. Deswegen haben wir unter anderem ei- Sie haben gesagt, Sie wollen kein klares Bekenntnis ne Reform des Landespressegesetzes zur Stärkung gegen die AfD. Das ist bedauerlich. Das kann man der inneren Pressefreiheit vorgeschlagen. Journalis- rechtssystematisch sicherlich so vertreten, wie Sie ten selbst beklagen teilweise eine Einflussnahme das gemacht haben. auf die Themenwahl. Ich halte diesen Punkt politisch - wir sind auch ein Wenn Sie, sehr verehrter Herr Dr. Stegner, sagen, politischer Raum - für hochgradig wichtig. Aber ich die SPD rücke nicht nach rechts, frage ich Sie: Wer akzeptiere es, wenn Sie sagen, dass das ein Punkt verschärft denn das Asylrecht auf Bundesebene? sei, über den Sie nicht springen könnten. Wer, wenn nicht der SPD-Bundesvorsitzende, Zu den anderen Punkten habe ich bisher gerade von spricht von „kriminellen Asylbewerbern“ und for- der CDU nur die Argumente gehört, ein Beschluss dert Leistungskürzungen, um Abschiebungen zu er- darüber sei eigentlich nicht nötig oder löse die Pro- leichtern? - Natürlich springen Sie auf diesen Zug bleme nicht. Natürlich löst eine Resolution nicht mit auf. alle Probleme dieser Welt; das ist doch klar. Aber Haltung zeigen für Demokratie und Menschenrech- wir haben in den vergangenen Jahren zu Recht te heißt für uns PIRATEN, dass die Politik bei sich schon viele Resolutionen verabschiedet: für Frie- selbst anfangen muss, zum Beispiel indem sie echte den, für Freiheit, gegen sexuelle Diskriminierung Mitbestimmung der Bürger herstellt, indem sie und - zum Glück! - auch schon gegen Rechtsextre- auch für mehr soziale Gerechtigkeit sorgt - gerade mismus. Warum, meine Damen und Herren von die Einkommens- und Vermögensungleichheit ist CDU und FDP, können Sie den heutigen Beschluss auch unter sozialdemokratischen Regierungen mit nicht als gemeinsames Zeichen dieses Landtags angewachsen -, indem sie den Einfluss der Wirt- anerkennen? Ich kann Ihre Haltung, ehrlich gesagt, schaftslobby eindämmt, indem sie das Vertrauen noch nicht verstehen und finde sie sehr bedauerlich. der Bürger wieder erkämpft und verdienen muss. Aus welchem politischen Grund können Sie dem Dafür kämpfen wir PIRATEN. Dafür gibt es uns. Antrag heute nicht zustimmen? Das leistet einen echten Beitrag für die Demokratie, Wir haben es vielleicht versäumt, Ihnen den Text nicht ein „Weiter so!“. formell vorab zuzuschicken. Ich kann nachvollzie- (Beifall Uli König [PIRATEN]) hen, dass Sie darüber sauer sind. Herr Günther, wir hatten aber vorher darüber gesprochen, ob die CDU sich anschließen könne. Sie haben gesagt, Sie woll- ten darüber noch in Ihrer Fraktion beraten - zu Recht. Es war unser Fehler - ich gestehe ihn ein; 9362 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Eka von Kalben) das sage ich auch in Richtung der FDP -, dass wir Vizepräsidentin Marlies Fritzen: sie nicht formell gefragt haben. Aber ich appelliere Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfra- an Sie, im Sinne der Sache zumindest Teilen des ge? Antrags zuzustimmen. - Danke. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Daniel Günther [CDU]: SPD) Herr Dr. Stegner, ich lasse keine Zwischenfrage zu. - Wir haben unsere Auffassung deutlich gemacht. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Wir werden diesen Antrag ablehnen, weil wir es für Das Wort hat Herr Abgeordneter Daniel Günther ein falsches Signal halten, hier im Schleswig-Hol- von der CDU-Fraktion. steinischen Landtag so zu beschließen. (Beifall CDU und FDP) Daniel Günther [CDU]: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herren! Jetzt muss ich leider Frau Abgeordnete Eka Für die Abgeordneten des SSW erteile ich Herrn von Kalben direkt ansprechen, weil sie mich ja Abgeordneten Lars Harms das Wort. auch angesprochen hat. Ich hoffe, das wird mir nachgesehen. - Uns nützt die Theatralik, mit der Sie plötzlich an uns appellieren, heute zuzustimmen, Lars Harms [SSW]: überhaupt nichts. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und (Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herren! Da ich sehe, wie die Abstimmung ausge- NEN]: Wessen Theatralik? Meine? Das war hen wird - nicht alle Fraktionen werden zustim- kein Theater! Das war sehr ernst gemeint!) men -, ist es mir wichtig, noch einmal auf Folgen- des hinzuweisen: Ich bin der Überzeugung, dass al- Wir haben uns zwar einmal kurz darüber unterhal- le Abgeordneten, die dazu gesprochen haben, gute ten, als der Antrag vorgelegen hat. Aber wenn es Argumente für die Bekämpfung von Rechtsradika- Ihnen ernsthaft darum gegangen wäre, dass der lismus und Rechtspopulismus vorgetragen haben. Landtag heute wirklich ein gemeinsames Bekennt- Diese Argumente sollten wir mitnehmen. Ich bin nis abgibt, dann hätte Ihr erster Weg sein müssen, immer noch zutiefst davon überzeugt, dass wir trotz vor der Formulierung des Antrags mit allen Frak- aller Schwierigkeiten, die wir anscheinend an dem tionen dieses Parlaments darüber zu sprechen. heutigen Tag haben, alle Demokraten sind. Das (Beifall CDU und FDP) Parlament als Ganzes, aber auch jede hier vertrete- ne Fraktion und jede Partei stellt sich gegen Rechts- Wir können zwar die Debatte verlängern und uns radikalismus und gegen jede sonstige Form von Ra- über einzelne Formulierungen unterhalten. Aber ich dikalismus. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Von finde, dass Herr Kollege Wolfgang Kubicki schon dieser Überzeugung lasse ich mich auch nicht ab- klar und konkret definiert hat, welche Punkte des bringen. Antrags aus unserer Sicht nicht zustimmungsfähig sind. (Beifall SSW und SPD)

Unser Ansatz ist - das haben wir in der Debatte Vizepräsidentin Marlies Fritzen: deutlich gemacht, und dazu stehen wir auch -: Es nützt uns überhaupt nichts, wenn wir, der Schles- Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn wig-Holsteinische Landtag, Beschlüsse fassen, in Ministerpräsidenten Torsten Albig das Wort. denen wir unseren Wunsch zum Ausdruck bringen, dass die AfD klein bleiben möge. Wir müssen Poli- Torsten Albig, Ministerpräsident: tik für die Menschen machen. Wir müssen die Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Flüchtlingsfrage in unserem Land lösen. Dadurch Herren! Irgendetwas in der öffentlichen Debatte in machen wir die AfD klein. Deutschland läuft anscheinend falsch. Wir als Ge- (Beifall CDU und FDP - Wortmeldung sellschaft haben es im vergangenen Jahr hinbekom- Dr. Ralf Stegner [SPD]) men, 1 Million Menschen in unser Land aufzu- nehmen - ohne dass es zu großen politischen Ver- werfungen gekommen ist, ohne dass unsere Wirt- schaft zusammengebrochen ist, ohne dass unsere Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9363

(Ministerpräsident Torsten Albig)

Schulen nicht mehr wissen, wie sie Unterricht ab- diese Frage nicht geben können. Die Antwort hängt halten sollen, ohne dass es zu großen Aufständen nämlich davon ab, ob in Syrien Frieden herrscht, ob gekommen wäre. Es ist nicht so, dass es keine Pro- die humanitäre Situation in den jordanischen, liba- bleme gegeben hätte; es gab und gibt viele Proble- nesischen und irakischen Lagern akzeptabel ist und me. Aber gemessen an der Größe der Herausforde- ob es europäische Solidarität gibt. Nicht beantwor- rung hat diese Gesellschaft auf eindrucksvolle Wei- tet wird die Frage durch die Asylpakete I, II und III se gezeigt, dass sie der Aufgabe gerecht geworden - oder welche Ordnungszahlen noch folgen werden. ist - als eine der wenigen Gesellschaften in Europa. Wir wissen das, meine Damen und Herren. Dies müsste eine große Zeit für die Parteien sein, (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die für diesen Staat stehen. Das sind die Parteien, und SSW) die in diesem Hohen Hause vertreten sind und de- Ich beteilige mich an den Debatten, aber insbeson- battieren. Diese Parteien müssten eigentlich an Zu- dere an der Suche nach Lösungen. Auch wenn ich spruch in der Bevölkerung gewinnen, weil sie nicht jeden einzelnen Punkt für richtig halte, wird zeigen, dass sie - bei allem Streit im Detail - Ant- das Asylpaket II nächste Woche den Bundesrat worten geben können und sich weder verstecken passieren. Es ist übrigens, wie Sie alle wissen, kein noch in irgendeinen populistischen Unsinn fliehen. Zustimmungs-, sondern ein Einspruchsgesetz. Des- Wir müssten also erleben, dass die Volksparteien, wegen bedarf es auch nicht der Zustimmung des die kleinen wie die großen, großen Zuspruch von Landes Schleswig-Holstein. Alle Ministerpräsiden- der Bevölkerung erhalten. ten haben in der Runde bei der Bundeskanzlerin zu- Tatsächlich erleben wir, dass meine Partei in Um- gesichert, nicht den Vermittlungsausschuss anzu- fragen vor den Landtagswahlen dramatisch ver- rufen, obwohl viele Punkte im Detail von uns nicht liert. Aber davon profitiert die Union nicht, und mitgetragen werden können. Voraussetzung ist, auch andere in diesem Parlament vertretene Partei- dass das, was der Bundesinnenminister vorlegt, en haben kaum Vorteile davon. Dagegen steigt eine dem entspricht, was wir in der Runde vereinbart ha- Partei, die wir alle hier im Parlament nicht haben ben. wollen, in den Umfragen auf hohe zweistellige (Zuruf Martin Habersaat [SPD]) Werte. Was genau läuft also schief in der Debatte in unserem Land? - Es war jedenfalls so, dass man das gestern nicht hätte zurechtweisen müssen. Trotz aller Probleme, die wir zweifellos haben, können wir insgesamt doch eine Erfolgsgeschichte Wir haben Streit über die Frage der Erweiterung erzählen. Unsere Gesellschaft leistet etwas, was sie der Liste der sicheren Herkunftsstaaten; eine sol- sich noch vor einem Jahr im Leben nicht zugetraut che Regelung wäre zustimmungsbedürftig. Darüber hätte. wird im Sommer zu entscheiden sein. Die Aussage zu dieser Frage lautet: Wenn der Bundesaußenmini- Ich möchte das Problem festmachen an der Her- ster etwas vorlegt, was auch für die Koalitionslän- ausforderung, die heute schon formuliert wurde der zustimmungsfähig ist, dann wird es wahrschein- und um die es scheinbar geht - Herrn Günther hat lich auch die Mehrheit der rot-grünen Länder be- es auch schon gesagt -: Wir müssen die Flücht- kommen. Bisher ist nichts vorgelegt, was zustim- lingsfrage lösen. Das erwarten die Menschen von mungsfähig ist, sodass nicht einmal das schwarz- uns. grüne Land Hessen wird zustimmen können. Wenn wir diese Frage falsch unterlegen und fragen, Die Debatte, die wir in diesem Zusammenhang füh- was die Flüchtlingsfrage eigentlich ist, dann - da- ren, dreht sich um sehr wenige Menschen. Diese von bin ich zutiefst überzeugt - bereiten wir das Debatte dreht sich um 30.000 Menschen aus den Feld für unsere Niederlage, für die Niederlage der Maghreb-Staaten. Demokraten. Wenn die Flüchtlingsfrage tatsächlich wäre, wie es uns nachhaltig gelingt, dass nicht Wir hingegen diskutieren nun über 1 Million Men- 1 Million, sondern nur noch 200.000 Menschen zu schen, die zu uns kommen. Bei 1.700 Menschen uns kommen, und wenn wir den Bürgerinnen und ringen wir um den Familiennachzug; das wiederum Bürgern zeigen müssen, dass es nur noch diese sind lediglich 1.700 Menschen von 1 Million, über 200.000 sein werden, dann werden wir an dieser deren Bedeutung wir für dieses Land nachdenken. Fragestellung scheitern. Denn es ist schlicht so - Was glauben Sie, welchen Eindruck die Menschen das wissen wir alle, die wir hier sitzen und diskutie- bekommen, wenn wir ihnen als relevante Flücht- ren -, dass wir als Gesellschaft diese Antwort auf lingsfrage nennen: Wie kann die Zahl der Flüchtlin- 9364 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Ministerpräsident Torsten Albig) ge reduziert werden? Es gehe demnach darum, von Lassen Sie uns endlich beginnen, die Menschen, die einem Zuzug von 1 Million Menschen auf einen zeigen, dass wir auf die Flüchtlingsfrage eine Ant- Zuzug von 200.000 zu gelangen. Wir diskutieren wort haben, in den Mittelpunkt zu stellen. Wir kön- hier nun aber über eine Fallgröße von 1.700. Dann nen die Frage lösen. Ich war vorgestern in der Wik stellen wir nach Beschließen des Asylpakets II - un- und habe Franny Petersen-Storck, Lavanya Boesten abhängig davon, ob es richtig oder falsch ist - fest: und Ingeborg Achse sowie vielen anderen die klei- Wie über Anträge von 1.800 Menschen entschieden ne Plakette „Schleswig-Holstein hilft“ überreicht. wird, ändert nichts am Gesamtzuzug. Die Men- Das sind drei Beispiele dafür, dass wir die Flücht- schen werden enttäuscht zurückweichen und sagen: lingsfrage lösen. Menschen machen sich auf den „Die Politiker beantworten die selbstgestellte Frage Weg, streichen ein altes Haus an, sorgen dort für nicht.“ Die Frage muss aber beantwortet werden. Wärme, Herzlichkeit, Zuwendung und machen In- Man muss auch über solche Fragen reden. tegration im Alltag erlebbar. Diese Menschen lösen die Flüchtlingsfrage. Wir könnten es zur Flüchtlingsfrage machen, diese Menschen zu integrieren. Wenn wir das können (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und dadurch Vorbild für Europa werden, dann kön- PIRATEN und SSW) nen wir wie keine andere Gesellschaft auf dieser Wenn wir über diese Menschen nicht beginnen zu Welt zeigen: Wir können die Flüchtlingsfrage mit berichten, meine Damen und Herren, und diese Ja beantworten, meine Damen und Herren, weil wir stärker in den Mittelpunkt unserer Debatte zu stel- die Menschen integrieren können. Wir zeigen das len, dann werden wir eine Niederlage erleben und dieser Tage an dieser Stelle in diesem Land an so unsere eigenen Gräber schaufeln. vielen Orten. Nichts wird kleingeredet. All die Probleme sind Wir stellen die falsche Frage. Die Menschen be- vorhanden. Aber das eigentliche Problem wird kommen jeden Tag von uns gesagt, wir müssten nicht hier im Landtag, wird nicht im Bundestag ent- den Zuzug auf 200.000 Menschen reduzieren, sonst schieden, sondern ist eine verrückt gewordene, zu- breche Deutschland zusammen. Was sollen die sammenbrechende Welt. Menschen denn dann tun? Das ist die Frage von Volksparteien, auch von meinen Parteikollegen in Den Menschen vorzugaukeln, wir hätten eine Ant- Berlin. Die Menschen verlieren den Glauben an wort über ein Asylpaket, ist töricht. Denn die Men- uns, wenn wir ihnen nicht beschreiben, welchen Er- schen werden erleben, dass wir diese nicht haben. folg wir gerade bei den Einzelfragen im Detail ha- Dann folgen sie irgendwelchen Rechtspopulisten ben. Was sollen die Menschen noch glauben, wenn mit leichten Antworten. wir unsere eigene Aufgabenstellung unterlaufen? Wir werden nicht verhindern können, dass es in un- Über unsere Erfolge weigern wir uns, als politische serer Welt Rassisten gibt. Diese gibt es in jeder auf- Klasse zu reden. Jeden Tag lese ich hingegen in der geklärten Gesellschaft. Wir müssen das als Demo- Zeitung, dass dieses Land zusammenbricht, wenn kraten ertragen und uns gegen diese mit aller Härte nicht bald irgendetwas passiert. wenden. Wir können nur bei denjenigen werben, Ich prognostiziere: Das Asylpaket II - es wird näch- die anfällig sind, diese zu wählen. Wir können die- ste Woche beschlossen - wird an der Frage, ob sich sen die richtige Geschichte erzählen, von unseren eine weitere Million Menschen aus Syrien, aus den richtigen Erfolgen berichten. zusammenbrechenden Strukturen, auf den Weg ma- Sind folgende die richtigen Fragen: Bricht Deutsch- chen, nichts, aber auch gar nichts ändern, weil es land gerade zusammen? Versagen wir gerade? - Ich das Asylpaket II nicht vermag. sage Ihnen: Nein. Wir müssen einen großen Aussa- Ob unsere österreichischen Freunde täglich nur gesatz machen: Deutschland zeigt gerade - wie noch 80 Asylanträge bescheiden, wird an der Frage, noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg - seine Stär- ob die Menschen flüchten, überhaupt nichts ändern. ken. Deutschland zeigt gerade, wofür Deutschland Ob wir aber in der Lage sind, internationale Solida- in Europa da ist, nämlich zu zeigen, dass man inter- rität zu organisieren, ob wir die Bundeskanzlerin nationale Solidarität leben kann. dabei unterstützen, mit aller Kraft Erfolg in Europa Wenn wir diese Geschichte nicht erzählen, dann ist zu haben, ob wir Deutschland dazu bringen, Vor- all das, was wir gegen die AfD erzählen, völlig bild bei der Ausstattung internationaler Lager in sinnlos. Lassen Sie uns endlich die richtige Ge- Jordanien und im Libanon zu sein, das kann Ant- schichte erzählen. Dann werden wir auch Erfolg ha- worten auf die Frage geben, wie viele Menschen ben. - Danke. flüchten. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9365

(Ministerpräsident Torsten Albig)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Mit dem Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung SSW, FDP, vereinzelt CDU und PIRATEN) erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Da- Meine Damen und Herren, mir liegen keine weite- mit ist dies einstimmig so beschlossen. ren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Beratung. - Es ist beantragt worden, in der Sache abzustim- Ich erteile nun für die Landesregierung der Ministe- men. rin für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung, Frau Kristin Alheit, das Wort. Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der PIRATEN, Drucksache 18/3880, ab- Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesund- stimmen. Wer diesem seine Zustimmung erteilen heit, Wissenschaft und Gleichstellung: will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Abgeordneten der Piratenfraktion. Wer lehnt Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte diesen Änderungsantrag ab? - Das sind die Abge- Damen und Herren Abgeordnete! Ich freue mich ordneten von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, über die Gelegenheit, Ihnen heute zu berichten. En- SSW, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? - Das de Januar hat die internationale Expertenkommis- ist nicht der Fall. Dann ist gegen die Stimmen der sion Exzellenzinitiative zur Förderung der univer- Piratenfraktion der vorliegende Änderungsantrag sitären Spitzenforschung unter dem Vorsitz von mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abge- Herrn Professor Dieter Imboden ihren Endbericht lehnt. vorgelegt. Das ist ein guter Anlass, über die Bilanz und weitere Perspektiven der Initiative zu sprechen. Ich lasse abstimmen über den Antrag der Fraktion von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Die Exzellenzinitiative hatte bekanntlich das Ziel, Abgeordneten des SSW, Drucksache, 18/3827. Wer die deutschen Universitäten für den schärfer wer- diesem Antrag seine Zustimmung erteilt, den bitte denden nationalen, vor allem aber auch internatio- ich um das Handzeichen. - Das sind die Abgeordne- nalen Wettbewerb zu stärken - mit Erfolg. Die ten von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Kommission bilanziert einen tiefgreifenden Ver- SSW sowie der Piratenfraktion. Wer lehnt diesen änderungsprozess der bundesdeutschen Hoch- Antrag ab? - Das sind die Abgeordneten der FDP- schul- und Forschungslandschaft. und CDU-Fraktion. Gibt es Enthaltungen? - Das ist Heute ist Konsens, meine Damen und Herren, nicht der Fall. Damit ist dieser Antrag mit der Hochschulen gezielt in den Bereichen, in denen sie Mehrheit der Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/ ihre Stärken haben, zu fördern und weiter auszu- DIE GRÜNEN, SSW sowie PIRATEN gegen die bauen. Es ist inzwischen selbstverständlich, hoch- Stimmen von CDU und FDP angenommen. schulübergreifend mit anderen Hochschulen und Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu- mir gemeinsam eine weitere Besuchergruppe auf sammenzuarbeiten. Das ist außerordentlich zu be- der Tribüne, und zwar die Schülerinnen und Schü- grüßen. Ohne Spezialisierung, ohne Bündelung und ler der Gemeinschaftsschule Kronshagen sowie des ohne Vernetzung von Kompetenzen ist Spitzenleis- Gymnasiums Elmschenhagen aus Kiel. - Herzlich tung nicht möglich. willkommen im Kieler Landtag! Auch hochschulintern hat die Exzellenzinitiative (Beifall) viel bewirkt. Fächer, die früher keinen Austausch untereinander pflegten, arbeiten heute miteinander Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: und erweitern so das Spektrum ihrer Erkenntnis. Davon profitieren nicht nur die geförderten Leucht- Stand und Fortführung der Exzellenzinitiative turmprojekte sondern auch die Universitäten insge- samt. All dies ist auch für Schleswig-Holstein fest- Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE zustellen. GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/3835 Die beiden Exzellenzcluster „The Future Ocean“ an der CAU sowie „Inflammation at Interfaces“ Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das an den Universitäten Lübeck und Kiel integrieren ist nicht der Fall. wissenschaftliches Potenzial in einer Breite und Tiefe, die vor der Exzellenzinitiative nicht vorhan- 9366 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Ministerin Kristin Alheit) den waren. Geballte universitäre Spitzenforschung - kommen wie die Anforderung von Konzepten für Ähnliches ist auch für die Graduiertenschule Hu- die zu vergebenden Fördermittel. man Development in Landscapes zu sagen. Sie Das Herzstück dieses Nachfolgeprogramms sollen hat eine enge universitäre und außeruniversitäre die Exzellenzcluster II sein. Hier ist aus meiner Kooperation generiert und die Geisteswissenschaf- Sicht wichtig, zu einer deutlich höheren Anzahl von ten an der CAU erheblich gestärkt. geförderten Clustern zu kommen. Auch finanziell ist die Exzellenzinitiative für Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein nur Schleswig-Holsteins Wissenschaftslandschaft ein scheinbarer Nebenaspekt hat für das weitere Ver- Riesengewinn. Für die bisherigen Projekte der Ex- fahren besondere Bedeutung, nämlich der Vor- zellenzinitiative von 2006 bis 2017 sind insgesamt schlag der Kommission zur Zeitplanung. Vorge- 160 Millionen € bewilligt worden, ein Viertel da- schlagen wird nach Auslaufen der bisherigen Ex- von durch Kofinanzierung durch das Land. Der zellenzinitiative Ende 2017 eine zweijährige Über- Wert dieser Mittel und ihre Wirkung können gar gangsfrist. In ihr können das Nachfolgeprogramm nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Imbo- ausgeschrieben, das neue Bewerbungsverfahren den-Kommission ist in ihrem positiven Urteil über durchgeführt und der Start der Projekte im Nachfol- die Exzellenzinitiative daher vollständig zuzustim- geprogramm gut vorbereitet werden. Dies erlaubt men. ein geordnetes Verfahren und gibt den Hochschulen Nun geht es darum, das Folgeprogramm zu gestal- Planungssicherheit und Zeit, um ihre Projekte ent- ten. Lassen Sie mich daher etwas zu den von der sprechend aufzustellen. Ein Hauruckverfahren wür- Imboden-Kommission gemachten Vorschlägen sa- de dem Anspruch, exzellente Wissenschaft zielge- gen: Während die aktuelle Exzellenzinitiative aus richtet zu fördern, nämlich nicht gerecht. drei Förderrichtlinien besteht, den Graduierten- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schulen, den Exzellenzclustern und den Zukunfts- und SSW) konzepten, empfiehlt die Kommission eine Reduk- tion auf zwei Förderlinien. Für die sehr erfolgrei- Weiter sollte ein zweistufiges Ausschreibungsver- chen Graduiertenschulen empfiehlt die Kommissi- fahren vorgeschlagen werden, um Ressourcen in on eine Integration in das Programm der Graduier- den Universitäten und bei der Entscheidung zu tenkollegs des DFG. schonen. Auch das erfordert eine entsprechende Übergangszeit, für die ich mich auch in den ausge- Im Rahmen der vorgeschlagenen Weiterentwick- sprochen intensiven Bund-Länder-Verhandlungen lung des Programms zu Exzellenzclustern zur För- stark mache. derrichtlinie A schlägt die Kommission vor, die Be- teiligungsmöglichkeiten kleiner Fachgebiete zu er- Es ist klar, wir wollen bestmögliche Rahmenbedin- weitern und damit deren Chancen zu erhöhen. Ich gungen für unsere Universitäten und deren Partner- kann sagen, das begrüße ich als Wissenschaftsmini- einrichtungen. Wir erwarten, dass alle 43 jetzt ge- sterin, und das begrüßt die Landesregierung aus- förderten Exzellenzcluster erneut ins Rennen ge- drücklich, zumal es der regional breiten Verteilung hen, und weitere Initiativen werden natürlich hinzu- von wissenschaftlicher Exzellenz in Deutschland kommen, auch in Schleswig-Holstein. Das bedeutet wirklich entspricht. einen noch härteren Wettbewerb. (Vereinzelter Beifall SPD, Beifall Uli König Die Landesregierung unterstützt die Universitäten [PIRATEN] und Jette Waldinger-Thiering hier bei uns nach allen Kräften. Zur Anschubfinan- [SSW]) zierung der Neuanträge haben wir aus dem Struk- tur- und Exzellenzbudget insgesamt rund 10,2 Mil- Gänzlich neu wäre die Förderlinie B, die sogenann- lionen € bereitgestellt, ein Drittel davon ist bereits ten Exzellenzprämien, die an die Stelle der bisheri- geflossen. gen Zukunftskonzepte treten sollen. Hier schlägt Imboden eine für alle Universitäten gleich hohe (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jahresprämie in Höhe von 15 Millionen € vor, so- und SSW) zusagen für die Top Ten der deutschen Universitä- Zum weiteren politischen Verfahren: Geplant ist im ten, deren Leistungsfähigkeit im Rahmen eines Rahmen der gemeinsamen Wissenschaftskonferenz noch zu definierenden Verfahrens zu entwickeln ist. am 22. April 2016 ein Beschluss über die konkrete Es ist wichtig, dass im Rahmen der Förderrichtlinie Ausgestaltung dieses Bereichs, sodass die Bundes- B Aspekte des Wettbewerbs ebenso zum Tragen regierung und die Ministerpräsidentinnen und Mini- sterpräsidenten im Juni 2016 eine entsprechende Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9367

(Ministerin Kristin Alheit)

Verwaltungsvereinbarung unterzeichnen können. ge von universitärer Differenzierung nach Wissen- Ich bin trotz der großen Konkurrenz sehr optimi- schaftsbereichen und Forschungsqualität: Hier gibt stisch, dass Schleswig-Holstein im Rahmen der Ex- es keinen nachweisbaren Effekt durch die Exzellen- zellenzinitiative II seine Spitzenstellung weiter wird zinitiative. Zu Governance, also zu effizienten geltend machen können. Wir werden die Hoch- Strukturen an den Hochschulen: Hier sagt die Kom- schulen dabei weiter nach Kräften unterstützen. - mission: Eine abschließende Beurteilung der Wir- Danke schön. kung der Exzellenzinitiative ist noch nicht möglich. Zu Studierendenzahlen und Qualität der Lehre: (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hier gibt es kaum Verbesserungen. Zu wissen- und SSW) schaftlichem Nachwuchs: Hier ist die Situation in- klusive der Beteiligung von Frauen insgesamt nicht Vizepräsidentin Marlies Fritzen: nennenswert verbessert. Das Wort hat nun der Herr Abgeordnete Martin Aber immerhin, es gibt auch Positives. Ich hoffe, Habersaat von der SPD-Fraktion. Sie würdigen, dass ich auch hart mit einer SPD-In- itiative ins Gericht gehe. Zu der Frage des Einbet- Martin Habersaat [SPD]: tens der Universitäten in das Wissenschaftssystem: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es Das hat geklappt. Die Internationalisierung hat auch gibt ja Menschen, die halten die SPD für eine lei- geklappt. Die Exzellenzinitiative hat dazu beigetra- stungsfeindliche Gleichmacherpartei. Einer der vie- gen, dass deutsche Forschung international sichtba- len Beweise des Gegenteils ist die Exzellenzinitia- rer wurde und viele exzellente Forschungsbereiche tive. Es geht dabei um Wettbewerb, es geht um deutlicher als zuvor ans Licht getreten sind. Spitzenleistungen, es geht um den Forschungs- Insgesamt ist dies eine Bilanz mit Licht und Schat- standort Deutschland, und diese Initiative kam von ten. Daraus sollte die Schlussfolgerung nicht sein, der SPD. auf eine Exzellenzinitiative II zu verzichten, son- Diese Initiative der ehemaligen Wissenschaftsmini- dern sie muss sein, sie künftig besser zu gestalten. sterin Edelgard Bulmahn wurde jetzt evaluiert. Ei- Dabei müssen die Kriterien, die die Imboden-Kom- ne Kommission um Dieter Imboden hat Empfeh- mission angelegt hat, nicht zwingend sklavisch be- lungen für die Zukunft entwickelt. Die Verkündung folgt werden. Wichtig wäre aus meiner Sicht, künf- wurde von manchen mit Spannung erwartet. Sie hat tig neben der Spitze die Breite nicht aus den Augen nun aber in der Tat weniger letzte Wahrheiten, da- zu verlieren. Ich finde den Ansatz richtig, künftig für aber viele interessante Diskussionsanreize zur eher zu regionalisieren und weniger die einzelne Wissenschaftsorganisation enthalten. Hochschule an sich im Auge zu behalten. Ich finde es auch wichtig, dass wir neben der Forschung auch Es sind Befunde, die zehn Professorinnen und Pro- die Lehre im Auge behalten. fessoren, ganz überwiegend aus dem mathematisch- naturwissenschaftlich-technischen Bereich, zu Pa- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN pier gebracht haben. Ein interessanter Randaspekt: und SSW) Die Geisteswissenschaften waren durch eine Althi- Es ist nicht unsere Wissenschaftspolitik, in der storikerin vertreten, deren Forschungsschwerpunkt künftigen Universität als unternehmerisch denken- aber auch technikaffin ist, weil sie sich mit Textili- der und handelnder Institution die Beseitigung ge- en in der Antike befasst. Diese Zusammensetzung wisser kollegialer Entscheidungskulturen durchzu- macht mich als Historiker ein bisschen argwöh- setzen. Das ist eine Formulierung aus dem Bericht. nisch, weil ich immer eine gewisse Sorge habe, Es ist interessant, dass ausgerechnet eine Schweizer dass die Geisteswissenschaften von den MINT-Fä- Kommission so einen Gesslerhut aufstellt. chern kannibalisiert werden. Die Bundestagsfraktionen von SPD und CDU ha- Die Presseerklärung der Gemeinsamen Wissen- ben sich entschieden, in den kommenden zehn Jah- schaftskonferenz vom 29. Januar 2016 stellt zur ren jeweils 400 Millionen € für eine Exzellenzini- Imboden-Kommission fest: Exzellenzinitiative - er- tiative bereitzustellen. Die Kommission wünscht folgreich. Aber bildet sich das in dem Bericht tat- sich 500 Millionen €; wer täte das nicht? sächlich ab? - Teilweise. Der Bericht analysiert den Einfluss der Exzellenzinitiative auf die nach An- Frau Alheit hat es angesprochen: Des Weiteren sicht der Kommission sogenannten Baustellen und empfiehlt die Kommission eine Übergangsphase. kommt zu differenzierten Ergebnissen. Zu der Fra- Diese halten wir auch für sinnvoll. Ich hoffe, das wird künftig abgesprochen. 9368 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Martin Habersaat)

Gut ist auch der Ansatz - ich sagte es schon -, For- für den gegebenen Bericht. Sie greifen damit unter schungscluster künftig stärker in Regionen zu den- anderem auch meine Kleine Anfrage von Juli 2015 ken. Gut ist der Ansatz, Förderperioden künftig zu auf, in der ich die Landesregierung zum Thema verlängern. Gut ist auch die Idee, flexibler in der Forschung und zum Thema Finanzmittel für For- Höhe der Förderung zu werden, um so mehr streuen schung und Entwicklung in Schleswig-Holstein zu können. Ich hoffe, dass der Ansatz mitdenkt, befragt hatte. Aus der damaligen Antwort ergeben dass forschungsstarke Fachhochschulen eines Ta- sich die Hochschulen und die Forschungseinrich- ges auch ein Stück vom Glanz abbekommen kön- tungen, die mit ihren exzellenten Projekten Anteil nen. Nichts abbekommen würde Schleswig-Hol- an der Förderung aus der Exzellenzinitiative haben, stein vermutlich aus der zweiten Förderlinie, die wie die Universitäten in Kiel und Lübeck, das sich mit den Top-Ten-Universitäten Deutschlands GEOMAR-Helmholtz-Zentrum und das Leibniz- befassen soll und die auf Grundlage gezeigter Leis- Zentrum Borstel. tungen in der Vergangenheit ausgezeichnet werden. Mit diesen Projekten beweist die Forschungsland- Die schleswig-holsteinischen Hochschulen leisten schaft in Schleswig-Holstein, dass sie in der obers- eine gute und erfolgreiche Arbeit, besonders auch ten Liga mitspielen kann. Darauf können wir alle mit unseren Exzellenzclustern. Ich befürchte aber, stolz sein. dass die Hochschulen als Ganzes noch nicht zu den Die 2005 ins Leben gerufene und 2006 begonnene Top Ten in Deutschland gehören werden. Exzellenzinitiative hatte das Ziel und hat dieses Die dritte Säule, die Graduiertenschulen, soll zu- Ziel natürlich auch immer noch, in Kooperation des mindest aus der Exzellenzinitiative herausgenom- Bundes und der Länder die Forschung mit beachtli- men werden. Ich hoffe auch da, dass es uns gelingt, chen Finanzmitteln zu stärken. Herausragende For- etwas abzusprechen, nämlich dass sich die DFG schungsprojekte sollten sichtbar gemacht und mit dieser Schulen annimmt, gerade weil in Schleswig- der Förderung der Wissenschaftsstandort Deutsch- Holstein auch die Geisteswissenschaften in dieser land insgesamt gestärkt werden. Dieses ist in den Säule gefördert werden. zehn Jahren des Bestehens auch dank der geförder- ten Forschungseinrichtungen und ihrer Leistungen Fazit: Die Exzellenzinitiative hat unter dem Strich gelungen. Schleswig-Holstein kann Spitzenfor- ungefähr 3 % der finanziellen Mittel im Hochschul- schung. bereich bewegt. Für diese 3 % konnte aber eine Menge bewegt werden, auch was Teamgeist an den (Beifall Martin Habersaat [SPD]) Hochschulen angeht. Künftig kann es noch besser - Danke, das ist genau richtig. werden, und daran wollen wir gern mitarbeiten. - Vielen Dank. Das Land stellte von 2006 bis 2012 immerhin 22,5 Millionen € bereit. So war es dann quasi auch (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Selbstgänger, dass nach der ersten Förderphase und SSW) von 2006 bis 2012 eine Fortsetzung vereinbart wur- de. Der damalige Wissenschaftsminister Jost de Ja- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: ger hat das ja für Schleswig-Holstein damals voran- Vielen Dank. - Ich hatte gerade vergessen, Ihnen getrieben. mitzuteilen, dass jede Rednerin und jeder Redner Das, was sich bis heute bewährt hat - das stellt der jetzt noch 7 Minuten Redezeit hat. Das haben wir Evaluationsbericht der international besetzten gerade auch schon bei Martin Habersaat so gehand- Kommission ausdrücklich fest -, muss natürlich habt. Das liegt daran, dass die Frau Ministerin die über das Jahr 2017 hinaus seine Fortsetzung finden. vereinbarte Redezeit etwas überzogen hatte. 2016 ist deshalb das Jahr, in dem diesbezüglich Jetzt erteile ich dem Herrn Abgeordneten Volker endgültige Sicherheit geschaffen werden muss. Ob Dornquast von der CDU-Fraktion das Wort. mit Veränderungen oder durch Fortführung in der bisherigen Form, muss die weitere Diskussion zei- Volker Dornquast [CDU]: gen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehr- Bisher beteiligte, aber natürlich möglicherweise ten Damen und Herren! Schönen Dank, liebe Kolle- auch neue geeignete Einrichtungen müssen jetzt ginnen und Kollegen von der Regierungskoalition die notwendige Sicherheit haben, um alles vorzu- für den Berichtsantrag zu diesem wichtigen und ak- bereiten. Dies braucht Zeit. Je früher politisch ent- tuellen Thema, und schönen Dank an die Regierung schieden wird, desto größer ist die Chance, sich in- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9369

(Volker Dornquast) tensiv vorzubereiten, und damit eröffnet sich wie- Ich bitte Sie, alle diese Punkte im Bildungsaus- derum die Chance, dabei zu sein. schuss weiter zu diskutieren. - Schönen Dank. Die grundsätzliche Einigung zwischen Frau Bun- (Beifall CDU und Uli König [PIRATEN]) deskanzlerin Merkel und dem Ministerpräsidenten liegt in dieser Frage bereits vor. Jetzt kommt es na- Präsident Klaus Schlie: türlich auf die Details der Vereinbarung an. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE In den Verhandlungen mit den anderen Ländern GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Rasmus An- und dem Bund reicht es natürlich nicht, wie es bei dresen. dieser Regierung immer wieder üblich ist, nur zu rufen: „Lieber Bund, bezahle!“. Vielmehr muss das Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Land seine Bereitschaft offen signalisieren, auch NEN]: selbst mit seinen Anteilen dabei zu sein. Das ist, glaube ich, ausreichend geschehen. Aber besser wä- Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen re es, dies mit erhöhten Eigenmitteln zu tun. Dar- und Kollegen! Auch wir Grüne freuen uns, dass wir über ist ja auch schon gesprochen worden. Auch die dieses sehr wichtige Thema heute hier im Plenar- CDU-Fraktion ist dazu aus Überzeugung bereit. saal beraten. Auch Ihr Redebeitrag, Herr Dorn- quast, hat zum Ausdruck gebracht, dass Wissen- Es muss Stellung bezogen werden - Sie haben dies schaftspolitik durchaus nicht immer kontrovers zum Teil auch getan, Frau Ministerin -, wenn es sein muss, sondern dass man an der Sache orientiert darum geht, wie wir mit den Ergebnissen der Eva- auch gemeinsam Erfolge für unsere Hochschulen luation umgehen wollen. Ich hätte dieses Gutach- erzielen kann. ten natürlich auch gern als offizielle Drucksache für den Landtag gesehen. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW) Ich frage noch einmal: Ist die Höhe der jetzigen Förderung wirklich ausreichend? Ich meine, nein. Das Gutachten von Professor Imboden ist auch aus Es muss hier etwas geschehen, um auch keinen zu unserer Perspektive eine sehr gute Grundlage dafür. starken Verdrängungswettbewerb von den bisher Es geht darin nicht nur um die Weiterentwicklung geförderten Einrichtungen zu bekommen. der Exzellenzinitiative, sondern es enthält auch viele Handlungsempfehlungen zur grundsätzli- Wie kann es gelingen, auch die notwendige Dyna- chen Entwicklung für unsere Hochschul- und Wis- mik in der Spitzenforschung zu erhalten? Denn es senschaftslandschaft. Das begrüßen wir ausdrück- darf natürlich nicht darum gehen, in dieser Förde- lich, weil wir glauben, dass wir diese Debatte in un- rung allein eine Verbesserung der Grundfinanzie- serem Land brauchen. rung der Hochschulen zu sehen, sondern diese Mit- tel sollen ganz gezielt neue Impulse bei der For- Die Ergebnisse sind aus unserer Sicht kein Blanko- schung setzen. Sie sind also quasi on top auf die scheck für die Debatte, die auf Bundesebene ge- normale Grundfinanzierung. führt wird, nur einige wenige große Bundesuniver- sitäten zu fördern und sich um den Rest nicht zu Ist der vorgeschlagene Wegfall der Graduierten- kümmern. Eher das Gegenteil ist richtig: Die Dis- schulen akzeptabel? Die Kommission hat es ja be- kussion um eine Zweiklassengesellschaft im Hoch- gründet. Ich kann dieser Begründung durchaus ein schulbereich sollte ein für alle Mal - auch mit den bisschen etwas abgewinnen, um es ganz ehrlich zu Ergebnissen dieses Gutachtens - beerdigt werden. sagen. Aber es ist trotzdem eine Grundsatzfrage, die wir, um die Stellung des Landes Schleswig- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Holstein dazu zu bekommen, auch entsprechend im SSW) Ausschuss diskutieren sollten. Wir Grüne unterstützen die Fortführung der Ex- Auch die Frage, wie wir mit der neuen Förderperi- zellenzinitiative und wünschen uns sehr starke Be- ode umgehen wollen, ob wir den Vorschlag der werbungen aus Schleswig Holstein, vor allem na- Kommission aufgreifen wollen, eine Verlängerung türlich von der Christian-Albrechts-Universität hier der jetzigen Förderperiode um zwei Jahre zu akzep- in Kiel. tieren und zu unterstützen, ist eine gute Idee, um Ein wichtiges Ergebnis des Gutachtens ist die zen- dann im Jahr 2019 mit der neuen Förderperiode und trale Bedeutung von Kooperationen für exzellente mit den neuen Rahmenbedingungen zu starten. Forschung. Erst durch das Bündeln der unterschied- lichen Stärken der Wissenschaftseinrichtungen ent- 9370 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Rasmus Andresen) steht exzellente Wissenschaft, so das Gutachten. unterstützen die CAU jedenfalls dabei, in diesem Diese Auffassung teilen wir Grüne. Wir glauben, System weiter aufzusteigen. dass unsere Wissenschaftslandschaft im Land dafür (Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE sehr gute Anknüpfungspunkte bereithält. GRÜNEN, SPD und SSW) Die Exzellenzcluster - die Kollegen sind darauf Allerdings kommt es natürlich auf die Kriterien und schon eingegangen -, die es in unserem Land gibt, die Ausgestaltung an. Je nachdem, wie die Kriterien sind dafür gute Beispiele. Beispielsweise kooperiert ausgestaltet sind, haben einige Hochschulen bessere die Kieler Christian-Albrechts-Universität beim Ex- Chancen als andere. So ist das immer. So ist das zellenzcluster Future Ocean nicht nur mit außeruni- auch bei der Exzellenzinitiative. Ich glaube, dabei versitären Forschungseinrichtungen wie dem GEO- müssen wir noch ein bisschen konkreter werden. In MAR und dem Institut für Weltwirtschaft, sondern dem Gutachten werden zwar viele Sachen angeris- beispielsweise auch mit der Muthesius Kunsthoch- sen, aber natürlich nicht alle Punkte bis ins Detail schule. ausformuliert. Auch beim Exzellenzcluster Entzündungsforschung Interessant an dem Gutachten ist außerdem, dass gibt es Kooperationen. Die Christian-Albrechts- wir nicht nur über Forschungsförderung reden, Universität ist zusammen mit der Universität Lü- sondern auch über sehr viele Begleitfragen. Das beck und anderen außeruniversitären Forschungs- Gutachten sagt, dass exzellente Forschungsförde- einrichtungen auch wieder mit dabei. rung eigentlich nur funktionieren kann - das ist eine Wir finden es gut - um die Frage für die Grünen Lehre aus der letzten Phase der Exzellenzinitiati- schon einmal zu beantworten, Herr Kollege Dorn- ve -, wenn man das Ganze mit Begleitmaßnahmen quast -, dass die Imboden-Kommission eine zwei- flankiert. Aus unserer Perspektive geht es dabei jährige Verlängerung vorgeschlagen hat. auch sehr um die Frage des wissenschaftlichen Nachwuchses. Durch die Exzellenzinitiative sind Dadurch wird Zeit geschaffen, eine neue Struktur zunächst einmal mehr befristete Verträge entstan- im Bereich der Wissenschaftspolitik auf den Weg den. Das ist ganz normal, weil das befristete Pro- zu bringen. jekte sind. Gleichzeitig spricht sich das Gutachten Das Gutachten sagt auch, dass in der neuen Phase aber auch deutlich dafür aus, durch Begleitmaßnah- der Exzellenzinitiative nicht einfach alte Initiativen men mehr Stellen im Wissenschaftsbereich zu ent- weiter gefördert werden sollen, sondern dass neue fristen und jungen Nachwuchswissenschaftlern eine Ideen entstehen müssen. Auch das finden wir Grü- größere Perspektive zu geben. ne richtig. (Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE Es ist auch richtig, nicht immer nur darauf zu set- GRÜNEN, SPD und SSW) zen, dass Universitäten immer wieder neue Zu- Deshalb passt es auch ganz gut, dass wir den Hoch- kunftskonzepte schreiben und einreichen müssen, schulen über die Grundfinanzierung die Möglich- um gefördert zu werden. Vielmehr schaut man sich keit geben, in diesem Bereich tätig zu werden. Es nun auch einmal die Umsetzung von Zukunfts- passt auch sehr gut, dass sich Staatssekretär Fischer projekten in der Vergangenheit an. Deswegen un- und Ministerin Alheit dafür eingesetzt haben, dass terstützen wir auch diesen Ansatz. bei der Reform des Wissenschaftszeitvertragsge- Gleichzeitig spricht sich das Gutachten für Durch- setzes auch diese Thematik angesprochen wurde. lässigkeit aus. Es ist nicht so, dass einmal zehn Dabei sind gute Maßnahmen umgesetzt worden. Universitäten bestimmt und danach immer geför- Das hätte die Große Koalition in Berlin allein näm- dert werden, sondern in dem Gutachten kann man lich nicht hinbekommen. auch davon lesen, dass es um Durchlässigkeit geht. (Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE So haben Hochschulen auch die Möglichkeit, im GRÜNEN) System aufzusteigen. - Es ist jetzt natürlich für die SPD schwierig, wenn Ich bin sehr dankbar dafür, dass Herr Professor man die eigenen Minister im Land lobt, die Beteili- Kipp, der Präsident der Christian-Albrechts-Univer- gung im Bund jedoch kritisiert. Da haben wir es ein sität, dies auf dem gestrigen parlamentarischen bisschen einfacher. Abend mit den freien Berufen zum Ausdruck ge- bracht hat. Außerdem hat er sich sehr positiv zu Gleiches gilt auch für die Frage der Betreuungsre- beiden Phasen der Exzellenzinitiative geäußert. Wir lation. Darüber wird wenig gesprochen. Das Gut- achten spricht ausdrücklich an, dass mehr Professo- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9371

(Rasmus Andresen) renstellen über die Kapazitätsverordnung immer da- die Bürokratie ausgeweitet, neue Gremien und Be- zu führen, dass mehr Studienplätze bereitgehalten auftragte geschaffen und universitäre Entschei- werden müssen. Dadurch kann die Qualität selten dungsprozesse erschwert. steigen. Auch das ist ein strukturelles Problem im (Zuruf Martin Habersaat [SPD]) Wissenschaftsbereich. Darüber müssen wir meines Erachtens in der nächsten Zeit eine Debatte im Interessant fand ich die Äußerungen der Wissen- Land führen. schaftsministerin beim letzten Hochschulempfang der Landesregierung. Frau Ministerin, laut Presse- Die Kommission hat noch viele andere Anmerkun- information haben Sie gesagt, dass die Politik den gen gemacht, beispielsweise zum Thema Gover- Rat der Wissenschaft brauche. Das finden wir auch. nance Strukturen. Die Frage der Beteiligung und Wir empfehlen sogar der Politik, den Rat der Wis- die Frage, wie man an den Hochschulen durch die- senschaft ernst nehmen, zumindest wenn es um Ge- ses Exzellenzprojekt alle mitnimmt, sind wichtige setze geht, die die Wissenschaft des Landes direkt Fragen. Damit hat die Christian-Albrechts-Univer- betreffen. Das war allerdings leider nicht der Fall. sität durch breite Beteiligungsprozesse gute Erfah- rungen gemacht. Im Gutachten steht dazu nichts. Die Evaluation der Exzellenzinitiative durch die Vielleicht können wir im Dialog mit unseren Hoch- Imboden-Kommission zeigt doch, wie sinnvoll es schulen dazu noch weitere Ideen entwickeln. ist, von Experten Vorschläge zur Wissenschaftspo- litik einzuholen. Wir werten es als ersten kleinen Die Graduiertenschulen sollen aus unserer Sicht Schritt zum Positiven, dass die Landesregierung die bleiben. Für uns ist es sehr wichtig, dass diese nicht Vorschläge der Kommission aufgreifen will. Leider ersatzlos abgeschafft werden, sondern dass man zu greift sie aber wieder nur das auf, was ihr in den anderen Förderstrukturen kommt. Ich freue mich, Kram passt. dass wir dies im Bildungsausschuss in der nächsten Woche und darüber hinaus hoffentlich mit unter- Ich würde Ihnen raten, sich einmal etwas genauer schiedlichen Akteuren diskutieren können. - Vielen die Aussagen der Imboden-Kommission zum Be- Dank. reich Governance der Universitäten anzuschauen. Die Kommission spricht sich nicht nur klar dafür (Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE aus, Universitäten nicht als Dienststelle des Minis- GRÜNEN, SPD und SSW) teriums zu verstehen, sondern hält es auch für unab- dingbar, die Autonomie der Hochschulen zu stär- Präsident Klaus Schlie: ken. Unser Entwurf für ein Hochschulfreiheitsge- Das Wort für die FDP-Fraktion hat die Abgeordne- setz sah dies vor. Die Koalition hat mit ihrem Ge- te Anita Klahn. setz im Wesentlichen das Gegenteil gemacht. Auch aufgrund solcher Beispiele musste die Imboden- Anita Klahn [FDP]: Kommission zu dem ernüchternden Ergebnis kom- men, dass entsprechende Reformen in den Landes- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen hochschulgesetzen nicht oder wenig ambitioniert und Herren! Die Rede halte ich stellvertretend für implementiert seien und die Autonomie, die interne meinen erkrankten Kollegen Christopher Vogt. Steuerungsfähigkeit und das institutionelle Selbst- Auch ich danke der Ministerin für ihren Bericht. verständnis der Universitäten im internationalen Allerdings muss ich das ein wenig kritischer be- Vergleich weniger ausgeprägt sei. Es handelt sich trachten, als dies der Kollege Habersaat getan hat. hierbei um eine der Kernbotschaften der Experten- kommission. Neben der besseren finanziellen För- Das sogenannte Imboden-Gutachten stellt heraus, derung muss eben auch die Autonomie gestärkt dass die Exzellenzinitiative das Potenzial hat, im werden, wenn wir unsere Hochschulen im interna- Zuge des Wettbewerbsföderalismus positiv auf die tionalen Wettbewerb besser aufstellen wollen. Landeshochschulgesetze zu wirken und die institu- tionellen Rahmenbedingungen der Universitäten zu Meine Damen und Herren, interessant wird es auch, verbessern. Schleswig-Holstein hat es da der Exzel- wenn wir uns die von der Imboden-Kommission lenzinitiative zuletzt nicht besonders leicht ge- vorgeschlagenen neuen Förderlinien anschauen. macht. Mit der Hochschulgesetznovelle hat die Bei beiden Linien, beim Exzellenzcluster II und bei Koalition den Hochschulen in vielen Punkten leider der angedachten Exzellenzprämie, wird deutlich, einen Bärendienst erwiesen. Anstatt die Forschung dass die Kommission den aus wissenschaftspoliti- zu stärken und die internationale Wettbewerbsfä- scher Sicht richtigen Vorschlag macht, allein nach higkeit unserer Universitäten zu verbessern, wurden Wissenschafts- und Forschungskriterien weitere 9372 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Anita Klahn)

Förderungen zu vergeben und explizit regionalpoli- Uli König [PIRATEN]: tische oder andere politische Kriterien keine Rolle Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen mehr spielen zu lassen. Leider schafft die Politik und Herren! Auf Antrag der Koalitionsfraktionen der rot-grün-blauen Koalition mit ihrem neuen werden wir heute über den Stand und die Förderung Hochschulgesetz keine gute Ausgangslage für unse- der sogenannten Exzellenzinitiative unterrichtet. re Universitäten, um an der Exzellenzinitiative II Die Landesregierung berichtet über das vor zehn teilzunehmen. Jahren initiierte Programm zur Förderung und Stär- Das Gutachten weist zu Recht auf viele Baustellen kung der Universitäten und der Wissenschaft in die- hin. So wäre zum Beispiel zu prüfen, wie sich das sem Land. Das ist gut so. Das kann man so machen, Verhältnis von Studierenden zu Professuren in auch wenn die Wissenschaftsministerin das alles unserem Land speziell in den Fachrichtungen Na- bereits Ende Januar in der Presse veröffentlicht hat. turwissenschaften und Mathematik sowie in den In- (Zuruf Martin Habersaat [SPD]) genieurwissenschaften entwickelt und ob es hier Handlungsbedarf gibt. - Ja, genau, finde ich gut, Herr Habersaat, transpa- rent, genau. Vor dem Hintergrund der Evaluierung Ferner regt das Gutachten an, fachliche Schwer- und der Ergebnisse des sogenannten Imboden-Gut- punktsetzungen vorzunehmen. Diese Themen achtens ist eine Beschäftigung hier im Landtag si- müssen wir diskutieren. cher nicht verkehrt. Die Exzellenzinitiative ist ein Wir halten es auch für richtig, dass die Bundesre- gemeinsames Förderprogramm von Bund und gierung 1 Milliarde € dafür verwenden möchte, ver- Ländern, das 2006 aufgelegt wurde. Es soll den lässliche Karrierewege für Nachwuchsforscher Wissenschaftsstandort Deutschland insgesamt stär- aufzuzeigen. Denn wie will man verlässlich Spit- ken, die internationale Wettbewerbsfähigkeit ver- zenforschung an den Universitäten betreiben, wenn bessern und Spitzenforschung im Universitäts- und man die jungen Spitzenforscher mit schlechten Ar- Wissenschaftsbereich sichtbarer machen. Für die beitsbedingungen geradezu vergrault? beiden Förderperioden 2006/2007 bis 2012 und 2012 bis 2017 haben Bund und Länder insgesamt Schließlich stellt das Gutachten klar, wie wenig 4,6 Milliarden € zur Verfügung gestellt. Davon ent- Forschungsförderung in Deutschland im Ver- fielen 25 % auf die Länder. Wir alle wissen in Zei- gleich zur internationalen Spitzenforschung betrie- ten knapper Haushalte: Das ist nicht gerade wenig, ben wird. Wir brauchen da endlich ein Umdenken. das ist eine dicke Stange Geld. Ich finde es wirklich Wir brauchen aus unserer Sicht endlich einen gut, dass wir dieses Geld aufgewendet haben. - Vie- grundlegenden Paradigmenwechsel in unserer len Dank an die Landesregierung und die Regie- Technologie- und Wissenschaftspolitik. rungskoalitionen, die dafür zuständig waren. (Beifall FDP) (Beifall PIRATEN und vereinzelt SPD) Wir werben dafür, dass endlich mehr Verständnis Der Dank gilt aber auch denen, die sich im Rahmen dafür aufgebracht wird, welch elementare Bedeu- der Förderung besonders profiliert haben und die tung die Wissenschaft für die Zukunftsfähigkeit un- erfolgreich in den Genuss der Förderung gekom- seres Landes hat. men sind. Vier Projekte aus Schleswig-Holstein Das Land sollte dankbar sein, dass es die Exzellen- waren dabei: einmal das Exzellenzcluster „Future zinitiative überhaupt gibt und unsere Hochschulen Ocean“, da war die CAU die Sprecherhochschule, daran partizipieren können; denn aus eigener Kraft das Exzellenzcluster „Information and Interfaces“, macht Schleswig-Holstein viel zu wenig, um unsere wieder ist die CAU Sprecherhochschule, die Gradu- Universitäten gerade im Bereich der Forschung zu iertenhochschule „Human Development in Lands- unterstützen. Die Freude über die Exzellenzinitiati- capes“ - wieder die CAU als Sprecherhochschule - ve ist schön und gut, aber wir müssen endlich unse- und dann noch die Graduiertenhochschule „Compu- re Hausaufgaben machen, und da gäbe es viel zu ting in Medicine and Life Sciences“. Diesmal ist tun. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. die Uni Lübeck Sprecherhochschule, aber das ist (Beifall FDP) leider nach 2013 nicht fortgesetzt worden. Das ist auch ein kleiner Kritikpunkt, die Ministerin Präsident Klaus Schlie: hat es gerade schon angesprochen: Wir müssen zu- sehen, dass die Exzellenzinitiative nicht nur den Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat Herr ganz großen Hochschulen zugutekommt, sondern Abgeordneter Uli König. dass die kleinen Hochschulen auch eine Chance Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9373

(Uli König) haben, sich hier zu bewerben und von der Exzellen- Clustern sind, desto besser. - Wie gesagt: auch klei- zinitiative zu profitieren, und das stärker, als es nere Hochschulen. heute der Fall ist. Ich denke da zum Beispiel an die Ich finde, über diese Grundforderung sollten wir im FH Flensburg, Herr Andresen. Ich denke, da wird Ausschuss noch einmal mit den Universitäten re- heute schon eine ganze Menge Forschung gemacht, den. Ich würde gerne von diesen selbst hören, was die durchaus darunterfallen könnte, wenn wir mehr einschränkende Kriterien für diese sein könnten, auf die kleinen Hochschulen eingehen würden. von denen die Politik sie befreien kann und soll. Auch die Uni Lübeck würde ich an der Stelle gern Dazu gab es im Bericht der Ministerin keine Aus- weiter vorne sehen, weil ich glaube, dass es nicht führungen. an der Forschung liegt. Der zweite Punkt, den ich diskussionswürdig finde, (Zuruf Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ ist der der Hochschulleitung. Dieter Imboden sagt DIE GRÜNEN]) nämlich auch: Die wichtigste Voraussetzung, um - Wir haben auch noch andere FHs, ja, definitiv. exzellente Unis zu bilden, ist, dass es ein Vertrauen gibt, dass diese guten Universitäten auch gut ge- Der nächste Teil, den ich kritisch sehe, ist: Warum führt werden, ohne dass man ihnen allzu starke po- müssen wir dann die Hochschulen mit Bundesmit- litische Vorschriften macht. teln auf ein Exzellenzniveau heben? Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass wir auf Länderseite (Beifall PIRATEN und Volker Dornquast eine bessere Hochschulfinanzierung schaffen, die [CDU]) die Hochschulen stärker finanziert. Wir haben jetzt Diese Aussage hat mich gerade vor dem Hinter- durch die Hochschulen gelernt: Das, was die Regie- grund der jüngst beschlossenen Hochschulgesetz- rung in Zukunft geben wird, ist vollkommen ausrei- novelle ebenfalls zu der Frage geführt, welche poli- chend. Wer bin ich, dass ich das an der Stelle kriti- tischen Vorschriften unsere Universitäten wohl siere? Aber mein Piratenherz sagt doch: Eigentlich noch einschränken und den so wichtigen Freiraum müssten wir da mehr Geld reinstecken. gefährden. Auch das sollte Gegenstand des Ge- (Martin Habersaat [SPD]: Das sagt das Pira- sprächs mit den Hochschulen sein, das wir dann ja tenherz ja bei jedem Thema, praktischerwei- im Ausschuss führen können. se!) Für heute bedanke ich mich bei der Ministerin und - Nein, nicht bei jedem Thema, oft sagen wir auch, ihrem Haus für den hier gehaltenen Bericht. Ich das sei zu viel Geld, Herr Habersaat. freue mich auf die Fortsetzung der Gespräche und gebe den Verantwortlichen gute Wünsche für die Wie geht es jetzt weiter? - Das Bildungsministerin Verhandlung bei der Exzellenzinitiative mit auf den bestärkt die Länder, ihre Forderungen fortzusetzen. Weg. - Vielen Dank. Wenn ich Ministerin Alheit richtig verstanden habe, gibt es da auch keinen Grund zu zweifeln. Dem- (Beifall PIRATEN) nach soll es bis zum Frühsommer Vereinbarungen von Bund und Ländern für ein Treffen mit der Präsident Klaus Schlie: Kanzlerin und den Ministerpräsidenten geben, um dann den nächsten Exzellenzwettbewerb auszu- Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat Frau schreiben. Das ist alles geordnet und wird bestimmt Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering. entsprechend vorbereitet. Jette Waldinger-Thiering [SSW]: Was ich mich allerdings frage, ist: Welche Lehren ziehen wir aus dem Imboden-Gutachten tatsächlich Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und konkret für die Wissenschaft in unserem Lan- und Herren! Ich möchte mich auch nochmal bei der de? - Mehr Risikofreudigkeit fordert der Gutachter, Ministerin für den Bericht bedanken, den sie vorhin und als eine Voraussetzung nennt er starke Univer- gegeben hat. Mir ist gerade zugetragen worden, ich sitäten. In einem Gespräch mit dem DFG-Präsiden- solle ein bisschen Stimmung hier in den Plenarsaal ten Strohschneider sagte er: Wenn es weiterhin Ex- bringen. zellenzcluster geben soll, dann darf es keine be- (Beifall SSW, Martin Habersaat [SPD] und schränkten Rahmenbedingungen geben, welche Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eventuell exzellente Teilnehmer ausschließen. Je NEN]) freier die Gestaltungsmöglichkeiten bei diesen 9374 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Jette Waldinger-Thiering)

Da möchte ich doch damit anfangen: Uli König hat Damit ist auch klar: Es fließen Kapazitäten weg gerade gesagt, das Piratenherz würde auch gern von den Ausbildungsunis hin zu den Forschungsu- noch mehr Geld für die Hochschulen fordern - ich nis, ohne dass sich neue Potenziale entwickeln. glaube, Uli König, das ist ein Oppositionsherz, Diese Konzentrationsprozesse sind wohl unum- denn Oppositionsherzen schreien immer nach mehr kehrbar. Gerade darum müssen wir diese Entwick- Geld. lung unbedingt im Auge behalten Der Kurswechsel in der Universitätspolitik war grundsätzlich rich- (Oliver Kumbartzky [FDP]: Zum Glück tig. Allerdings wurden an einigen Stellen das Kind macht der SSW das nicht!) mit dem Bade ausgeschüttet und gute Strukturen Ich fange an: Schleswig-Holstein ist exzellent. For- oftmals nicht anerkannt. Die vielfältige deutsche schung und Lehre an der CAU haben überzeugt. Universitätslandschaft wurde auf Teufel komm raus Die Exzellenzcluster und die Graduiertenschulen an internationale Standards angepasst. Dabei wur- haben hervorragende Arbeit geleistet. Leider wird den leider Fehler gemacht. die dritte Runde der Exzellenzinitiative wohl ohne Darum begrüßt der SSW ausdrücklich die Arbeit Beteiligung schleswig-holsteinischer Universitäten der Imboden-Kommission. Wen wundert es, dass durchgeführt werden. Dies bedauert der SSW sehr. nicht alles Gold ist, was da glänzt. Die Imboden- Nun sollen Hochschulen anderer Bundesländer die Kommission spricht von „Baustellen“ - das ist wohl Chance nutzen, ihre Wissenschaftsstandorte voran- der Begriff, der zeigt, dass ein dringender Hand- zubringen. lungsbedarf besteht -, aber auch davon, dass teil- Wir erinnern uns: Die Ablehnung der Exzellenzini- weise schon mit der Lösung der Probleme begon- tiative war massiv. In der ersten Runde wurde die nen worden sei. Einführung einer Zwei-Klassen-Landschaft be- Umsetzungsprobleme wie die erhebliche Belastung fürchtet: auf der einen Seite hoch geförderte Spit- durch die Formulierung von Anträgen im Rahmen zen-Unis, denen die Studierendenmassen zuströmen der Exzellenzinitiative werden im Bericht ebenso und die alle guten Professorinnen und Professoren kritisiert wie das Problem der Nachwuchsförde- vom Markt saugen, und auf der anderen Seite die rung nach Abschluss der Promotion, die sich durch Massenuniversitäten, die gerade so den Kopf über die neuen Strukturen sogar verschlechtert hat. Wir Wasser halten können. brauchen motivierte Professorinnen und Professo- Die Vorbilder aus dem Ausland gibt es reichlich. In ren. Deren Ausbildung ist allerdings nach Ende der Frankreich und England legt der Besuch der richti- Promotionsphase nicht gewährleistet. Diese Bau- gen Universität die anschließenden Karrierechan- stelle kann Schleswig-Holstein aber nicht aus eige- cen fest. Deutschland hielt sich immer zugute, dass ner Kraft wuppen. eben nicht der Name der Universität für die Zu- Die Empfehlungen der Kommission fließen ins Ge- kunft der Absolventin und des Absolventen ent- samtkonzept für eine neue Bund-Länder-Initiative scheidend ist, sondern allein deren individuelle ein. Die Wissenschaftskonferenz des Bundes und Leistungen. Allerdings müssen wir ehrlicherweise der Länder soll bis Mitte des Jahres zusammen mit einräumen, dass diese rosarote Brille die Wirklich- den Ministerpräsidenten ein neues Konzept vorle- keit geschönt hat. Auch bei uns gab es immer gen. Hochschulen mit besonderem Prestige, aber eben keine Elite-Unis. Was wir heute haben, ist aber tat- Es war richtig, vor weiteren Entscheidungen erst sächlich eine Aufspaltung. Im Zuge eines Konzen- einmal die Auswirkungen der Exzellenzinitiative trationsprozesses haben sich Forschungsuniversi- untersuchen zu lassen. Dabei sollte es eine Rolle täten und Ausbildungsuniversitäten entwickelt. spielen, dass Schleswig-Holstein ebenso wie die an- Das hat etwas mit der Exzellenzinitiative zu tun. deren Nordländer in der dritten Runde der Exzel- Die festgestellte Publikationsflut der Projekte der lenzinitiative nicht vertreten sein wird. Die solide Exzellenzinitiative ist ein Symptom einer Bünde- Arbeit gerade beim wissenschaftlichen Nachwuchs lung oder - wie es im Bericht heißt -: Es ist aller- hat gegenüber der Antragslyrik der Mitbewerber dings unklar, inwieweit die universitären For- nicht punkten können. Das ist eine sehr bedauerli- schungsschwerpunkte durch die Exzellenzförde- che Entwicklung, die wir unbedingt umsteuern rung neu geschaffen wurden. müssen. (Vereinzelter Beifall SPD und Beifall Flem- Die Graduiertenschulen an der CAU haben hoch- ming Meyer [SSW]) motivierte und kollegial organisierte Forschung er- möglicht, die vor allem jungen Frauen gute Chan- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9375

(Jette Waldinger-Thiering) cen einräumen. Die gute Betreuungsstruktur in den Das Dramatische hinter den Zahlen ist, dass diese Graduiertenschulen - oftmals ist Mehrfachbetreu- jungen Menschen es besonders schwer haben wer- ung die Regel - findet Eingang in die Promotions- den, einen Berufsschulabschluss zu erzielen. Sie ordnung. Das ist der richtige Weg und darum aus- verlassen die Schule ohne Aussicht auf eine beruf- drücklich zu begrüßen. - Vielen Dank für Ihre Auf- liche Perspektive beziehungsweise mit nur sehr merksamkeit. geringen Anschluss- und Teilhabechancen im be- ruflichen Bereich. Laut Berufsbildungsbericht 2015 (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE des Bundesministeriums für Bildung und For- GRÜNEN) schung liegt die Ungelerntenquote der 20- bis 29- Jährigen bei 52,1 %. Liebe Kolleginnen und Kolle- Präsident Klaus Schlie: gen, das sind Zahlen, mit denen wir uns nicht zu- Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich friedengeben können. schließe die Beratung. Mir ist klar, und wir alle wissen natürlich, dass es Ich stelle fest, dass der Berichtsantrag Drucksache bereits jetzt unterschiedliche Möglichkeiten gibt, 18/3835 durch die Berichterstattung der Landesre- den Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss gierung seine Erledigung gefunden hat. nachträglich zu erwerben. Unsere berufsbildenden Schulen bieten vielen Jugendlichen dazu die Chan- Da aufgrund der Wortmeldungen offensichtlich die ce. Absicht besteht, die Angelegenheit im Ausschuss weiter zu beraten, will ich Sie darauf hinwiesen, (Beifall CDU) dass die Überweisung von mündlichen Berichten an Ebenso besteht für Schülerinnen und Schüler, deren den Ausschuss nicht vorgesehen ist. Im Zuge des schulische Leistungen erkennen lassen, dass sie Selbstbefassungsrechts haben Sie natürlich die Schwierigkeiten beim Erreichen dieses Schulab- Möglichkeit, das im Fachausschuss weiter mitein- schlusses haben, die Option, in einer flexiblen ander zu erörtern. Übergangsphase darauf vorbereitet zu werden. Hier Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: können sie die achte und neunte Jahrgangsstufe in drei Jahren durchlaufen. Erste Erfolge zur Reduzie- rung des Anteils junger Erwachsener ohne einen Differenzierten Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss konnten damit schon erzielt wer- Schulabschluss ermöglichen den. Das ist auch gut so. Antrag der Fraktion der CDU Auf der anderen Seite werden nicht alle Schülerin- Drucksache 18/3838 nen und Schüler trotz intensiver Bemühungen in Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. der Lage sein, das Niveau der KMK-vereinbarten Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst Bildungsstandards für den Ersten allgemeinbilden- dem Abgeordneten der CDU-Fraktion, Peter Sön- den Schulabschluss zu erreichen. Dennoch verfü- nichsen, das Wort. gen sie über Fertigkeiten und Kompetenzen, die sie oft zu einer Berufsausbildung befähigen und die ge- sellschaftlich anerkannt gehören. Peter Sönnichsen [CDU]: Ebenso verlassen Schülerinnen und Schüler mit Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen sonderpädagogischem Förderbedarf die Schule und Kollegen! Ich möchte Ihnen zu Beginn meiner ohne einen anerkannten Abschluss. Sie erhalten mit Ausführungen mit einigen Zahlen verdeutlichen, Erreichen der für sie festgelegten Ziele ihres För- warum wir diesen Antrag gestellt haben: Laut Da- derplans den Abschluss des Förderzentrums, zum tenbank des Statistischen Bundesamtes haben im Beispiel mit dem Schwerpunkt Lernen. Anders aus- Schuljahr 2013/14 fast 47.000 Schülerinnen und gedrückt: Sie erhalten ein Zeugnis, das bundesweit Schüler in Deutschland die Schule ohne einen aner- maximal als Teilnahmebestätigung gewertet wird. kannten Schulabschluss verlassen. In Schleswig- In der Schulstatistik werden sie aber als Schulab- Holstein waren es rund 2.300 Schülerinnen und brecher gewertet mit dem Makel, es nicht geschafft Schüler. Bei circa 30.000 Schulabgängern in zu haben. Ich bin der Auffassung: Das ist ihnen ge- Schleswig-Holstein sind das fast 8 % dieses Schul- genüber nicht fair, das haben sie nicht verdient. jahrgangs. Davon sind 5 % Schülerinnen und Schü- ler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf. (Beifall CDU) 9376 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Peter Sönnichsen)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen betrachten sollte. Das war in dem Moment eine ehr- und Kollegen, mit unserem Antrag möchten wir liche Bewunderung und gar nicht unangemessen. diesen jungen Menschen die Möglichkeit geben, (Anita Klahn [FDP]: Manchmal gehen Kom- optimistisch in die Zukunft zu blicken, mit einer plimente schief!) Chance auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Ein Schulabschluss erleichtert nicht nur die gesell- - Manchmal gehen sie schief, aber man muss sie schaftliche Teilhabe, sondern stärkt auch das auch akzeptieren, wenn sie ehrlich gemeint sind. Selbstwertgefühl jedes Einzelnen. (Zurufe) (Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das stimmt!) Präsident Klaus Schlie: Unser Vorschlag sieht daher vor, dass wir den be- Herr Abgeordneter, Sie haben jetzt das Wort für Ih- troffenen Schülerinnen und Schülern einen aner- re Rede. Ich glaube, Sie sind richtig verstanden kannten Schulabschluss geben. Aus dem Ab- worden. schluss soll hervorgehen, inwieweit von den Anfor- derungen des Ersten allgemeinbildenden Schulab- Kai Vogel [SPD]: schlusses abgewichen beziehungsweise an welchen Stellen der Lehrplan individuell angepasst wurde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lang erklärtes Das sorgt für Klarheit bei den Schülerinnen und Ziel unser Bildungspolitik ist es, keinen Jugendli- Schülern und auch bei den zukünftigen Ausbil- chen auf dem Weg zu einem Abschluss zu verlie- dungsbetrieben und Arbeitgebern. Auch diese kön- ren. Der qualifizierte Schulabschluss ist ein grund- nen nachvollziehen, wo die Stärken ihres Gegen- legender Schritt, damit der Einstieg in den Beruf übers liegen, wissen wir doch alle, wie wichtig es beziehungsweise eine weitere Qualifizierung erfol- im Arbeitsleben genommen wird, was nicht im gen kann. Zeugnis steht. Schreiben wir also die vorhandenen Durchschnittlich knapp 1.000 Schülerinnen und Stärken hinein! Damit erleichtern wir diesen jungen Schüler - der Kollege Sönnichsen hat es darge- Menschen den Weg in eine Ausbildung und damit stellt -, die den Ersten allgemeinbildenden Ab- in eine positive Zukunft. schluss erlangen wollten, verlassen jedes Jahr die Wir, die CDU-Fraktion, sind entscheidungsfähig, Schulen in Schleswig-Holstein bedauerlicherweise sonst hätten wir den Antrag nicht gestellt. Wir sind ohne Abschluss. Das entspricht einem Anteil von aber auch gern bereit, das Anliegen im Ausschuss rund 3 % an der Gesamtzahl aller Schülerinnen und zu vertiefen. - Danke für die Aufmerksamkeit. Schüler, die die Schule verlassen. Ich sprach von denjenigen, die einen Abschluss erlangen wollten. (Beifall CDU und Anita Klahn [FDP]) Und jeder Jugendliche ohne Abschluss - darin sind wir uns sicherlich einig -, ist einer zu viel. Präsident Klaus Schlie: Diesen Jugendlichen allerdings einen Schulab- Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Kai Vo- schluss unterhalb des Ersten allgemeinbildenden gel das Wort. Abschlusses anzubieten, finde ich schwierig. Die Gründe für ein Nichterlangen des Abschlusses sind Kai Vogel [SPD]: sehr vielfältig. Häufig sind ein hoher Absentismus oder mangelnde Leistungsbereitschaft der Grund Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen dafür. Ich glaube allerdings kaum, dass hier eine und Kollegen! Es ist schön, eben erlebt zu haben, Regelung des differenzierten Abschlusses sinnvoll wie breit die CDU bildungspolitisch auch personell greift. Sinnvoller wäre es sicherlich zu schauen, wie aufgestellt ist. es uns gelingen kann, Schülerinnen und Schüler mit (Anita Klahn [FDP]: Ach Mensch, Kai, was sehr hohen Fehlzeiten - häufig ist es Schwänzen - soll denn das? - Hans-Jörn Arp [CDU]: Das wieder für die Schule zu motivieren oder besser ist stillos!) greifende Unterstützung beim Beheben von Lernde- fiziten zu bieten. Ich sehe hier auch ein wenig die - Das war in diesem Fall gar nicht stillos gemeint, Gefahr, dass das Angebot eines „Hauptschulab- sondern ich fand die Rede des Kollegen Sönnichsen schlusses light“ ein falsches Signal setzt und dieje- wirklich mehr als brauchbar. Ich fand sie absolut nigen Schüler demotiviert, die eine reale Perspekti- passend und wollte nur darlegen, warum man das in ve haben, den Standard des Ersten Allgemeinbil- bestimmten Bereichen ein bisschen differenzierter denden Bildungsabschlusses zu erreichen, wenn Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9377

(Kai Vogel) auch die einfachere Alternative ohne größere An- glaube, es wäre am Ende auch kein Unglück, wenn strengungen zu erhalten ist. wir den Antrag in der 19. Legislaturperiode neu auf die Tagesordnung nehmen, denn in der Sache sind Weitere 4 bis 5 % - darauf hat Herr Sönnichsen wir uns - glaube ich - sehr einig. Ich hoffe, dass ebenfalls hingewiesen - aller Schülerinnen und dies ein Verfahren ist, das für alle Seiten akzeptabel Schüler in Schleswig-Holstein haben einen aner- ist und bitte, entsprechend zu beschließen. - Vielen kannten sonderpädagogischen Förderbedarf. Ich Dank für die Aufmerksamkeit. glaube, um die Schülerinnen und Schüler ging es Ihnen in dem Antrag ohnehin primär. Für diese (Beifall FDP und Ines Strehlau [BÜNDNIS Schülerinnen und Schüler ist es sicher motivierend, 90/DIE GRÜNEN]) einen anerkannten Abschluss zu erlangen. Sie er- halten in vielen Schulen ein Zeugnis, wenn sie die Präsident Klaus Schlie: Schule verlassen, doch leider kein anerkanntes. Diese Jugendlichen haben sich angestrengt, um an Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE den Abschlussarbeiten und Prüfungen erfolgreich GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Anke Erdmann. teilzunehmen, doch der sonderpädagogische För- derstatus ermöglicht es ihnen nicht, ein offizielles Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschlusszeugnis zu erhalten. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Ein schwerwiegendes Problem scheint mir darin zu haben das schon angesprochen, die Zahlen von liegen, dass ein solcher differenzierter Schulab- Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss sind schluss für die Wirtschaft nicht wesentlich attrakti- frappierend. Gerade, Anfang Februar 2016, gab es ver ist als keiner. Auf jeden Fall sollte man, bevor die neue PISA-Auswertung über die low-perfor- man ein solches Modell umsetzt, sehr genau mit ming Students. Die Zahlen für Deutschland liegen den Dualpartnern erörtern, in welchen Branchen zwar unter dem OECD-Durchschnitt, sie sind aber und Berufsbildern eine Nachfrage nach Schülerin- trotzdem sehr beunruhigend, wenn man sieht, dass nen und Schülern mit einer solchen geringen Quali- 9 % der Schülerinnen und Schüler in allen drei Be- fikation besteht. Es bringt am Ende auch nichts zu reich - Mathe, Lesekompetenz und Naturwissen- suggerieren: „Jetzt habt ihr einen Abschluss!“, aber schaften - unterhalb der normalen Erwartung blei- sie kommen dann trotzdem nicht in eine Ausbil- ben. Sie erreichen gerade einmal die Stufe 1 oder dung. noch weniger. Das ist wirklich nur ein ganz rudi- mentäres Wissen, und das bei 15-jährigen Schüle- Ich habe zudem große Bedenken, gerade in diesem rinnen und Schülern. Da bin ich mit Ihnen, Herr sensiblen Bereich einen schleswig-holsteinischen Sönnichsen, einer Meinung, dass uns das weiter be- Sonderweg zu gehen. Die Sache läge vielleicht an- wegen muss. Wenn man sich die Zahlen der Caritas ders, wenn es unter den Bundesländern in der vom letzten Sommer anschaut - die schaut sich ja KMK-Konferenz einen Konsens gäbe, einen sol- immer an, wie es eigentlich bundesweit aussieht -, chen Schulabschluss einzurichten. Es gibt zwar eine dann muss man feststellen: Wir liegen auch im Arbeitsgruppe genau zu diesem Thema, doch die Bundesvergleich etwas über dem Durchschnitt, was Ergebnisse der entsprechenden KMK-Arbeitsgrup- die Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss anbe- pe sind noch vollkommen offen. Nach meiner langt. Kenntnis werden diese im Sommer diesen Jahres erwartet. Bei dem Antrag der Union ist mir auch in Ihrer Re- de, Herr Sönnichsen, nicht so ganz klar geworden, Ich schlage deshalb folgendes Verfahren vor: Der um wen es gehen soll. Soll es um die Förderschüle- Antrag der CDU wird in den Bildungsausschuss rinnen und -schüler gehen - das haben Sie einmal überwiesen - das hatten Sie, Herr Sönnichsen, ja kurz erwähnt -, oder soll es um alle gehen? Wenn bereits auch schon vorgeschlagen -, und er wird es um die Förderschülerinnen und -schüler gehen dann aufgerufen, wenn die entsprechende Mei- soll, gibt es dazu eine KMK-Initiative, die gerade nungsbildung in der Kultusministerkonferenz statt- am wachsen ist. gefunden hat. Sobald dies der Fall ist, sollte der Bil- dungsausschuss darüber beraten, ob er zum Antrag Wenn es um alle gehen soll, dann ist mir noch nicht der CDU und eventuell ergänzenden Materialien ei- ganz klar, wie das konkret aussehen soll und - das ne schriftliche Anhörung der beteiligten Institutio- ist jetzt ein bisschen vertauschte Rollen zwischen nen und Verbände durchführen will. Dabei ist im CDU und Grünen - was für Auswirkungen das auf Hinblick auf das Ende der Legislaturperiode natür- die Motivation haben wird. Gut finde ich erst ein- lich etwas Zeitmanagement erforderlich. Doch ich mal, dass Sie auf die Individualisierung setzen. Das 9378 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Anke Erdmann) gefällt mir ganz gut. Ob das aber bezogen auf den Niveau des Ersten allgemeinbildenden Abschlusses Ersten allgemeinbildenden Abschluss für alle noch einmal abzusenken. Schülerinnen und Schüler der richtige Weg ist, Trotzdem finde ich die Initiative interessant, sie weiß ich nicht. Deshalb freue ich mich, wenn wir gibt einen Impuls. Wir sollten im Bildungsaus- das im Ausschuss beraten. Wenn das für alle gelten schuss darüber eingehend beraten. - Vielen Dank. soll, dann glaube ich, brauchen wir auch eine An- hörung. An der Stelle habe ich nämlich mehr Fra- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- gen als Antworten. einzelt SPD und SSW) Ich glaube, bei der Frage, wie wir eigentlich mehr Schülerinnen und Schüler zum Ersten allgemeinbil- Präsident Klaus Schlie: denden Schulabschluss bekommen, muss eher ge- Das Wort für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeord- fragt werden, was wir den Schulen an Rückenwind nete Anita Klahn. mitgeben können. Wir sind gar nicht so schlecht aufgestellt, auch das muss man sagen. Die Flex- Anita Klahn [FDP]: Klassen hatten Sie schon angesprochen. Das ist ei- ne Errungenschaft der Großen Koalition, die auch Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen gute Ergebnisse zeitigt. Genau das Gleiche gilt für und Herren! Das Anliegen der Union, die Wertig- das Handlungskonzept Schule & Arbeitswelt, wo keit des Schulabschlusses unterhalb des Ersten all- Coaches schon in der Sekundarstufe I Berufsbera- gemeinbildenden Schulabschlusses, also des ehe- tung machen. Die Jugendberufsagenturen, die Britta maligen Hauptschulabschlusses, zu verbessern, Ernst und Ines Strehlau hier nach vorn gebracht ha- kann ich sehr gut nachvollziehen. Nur stellt sich ben, gibt es auch. Die kümmern sich darum, wie auch bei mir die Frage, ob das der richtige Weg ist. man den Übergang vernünftig gestaltet bekommt. Denn gerade in der Arbeitswelt werden Anforde- Es geht nicht nur um Abschlüsse, sondern es geht rungen und Erwartungshaltungen an einen Schul- hier vor allem auch um Anschlüsse. abschluss gestellt. Inwieweit es sinnvoll ist, den ersten Abschluss im Niveau noch weiter nach unten Ich finde solche Angebote wie Produktives Lernen abzusenken, vermag ich nicht wirklich nachzuvoll- oder auch Praxisklassen durchaus sinnvoll, die ziehen. Schülerinnen und Schüler - die 9 %, um die es hier geht; in Mathe sind es sogar 18 % - bekommen wir Auch wir sehen, dass gerade Schülerinnen und möglicherweise nicht durch ein Mehr desselben, Schüler mit einem besonderen Förderbedarf in sondern eher durch andere Zugänge, mit einer sehr Teilbereichen unterschiedliche Kompetenzen ha- praxisbezogenen Schulausrichtung auf der Spur. ben, die sie auch durchaus zu einer Berufsausübung Ich finde aber auch, dass wir solche Projekte wie befähigen. Aber auch diese Schülerinnen und Schü- „Mathe macht stark“ oder „Niemanden zurücklas- ler sind, wenn sie in einer Förderschule gewesen sen“ noch weiter pushen können. Darüber reden wir sind, sicherlich mit einem Abschluss ausgestattet, heute Nachmittag noch einmal im weiteren Sinne, der darauf individuell hinweist. wenn es um die Qualitätsentwicklung geht. Ich kann mir vorstellen, dass Anlass für diesen An- Als die OECD im Februar ihre Zahlen vorgestellt trag vielleicht ein Blick nach Bayern gewesen ist, hat, hat sie auch noch ein paar Vorschläge an die wo es nämlich gerade an den Förderzentren die Va- Politik gemacht, was man jetzt eigentlich tun müs- rianten gibt, den Hauptschulabschluss abzulegen, ste. Einige davon sind wenig griffig, zum Beispiel einen individuellen Abschluss mit Prüfung oder wenn es heißt, Barrieren zum Lernen sollte man ab- aber einen individuellen Abschluss ohne Prüfung bauen. Darunter kann ich mir jetzt noch nicht so zu bekommen. viel vorstellen. Aber die Fragen, wie ich eigentlich Ich finde den Vorschlag, im Bildungsausschuss dar- Eltern von sozioökonomisch benachteiligten Fami- über zu beraten, da genauer hinzugucken, sehr sinn- lien - so schreibt es PISA - stärker einbeziehen voll. kann oder wie ich gerade die alleinerziehenden El- tern erreiche, und wie ich spezielle Programme für Grundsätzlich finde ich - weil Sie ja die Zahlen von Migrantinnen und Migranten machen kann, wie ich Schulabgängerinnen und Schulabgängern ohne Ab- besonders gute und motivierende Lernumgebungen schluss genannt haben -, dass wir da einen kleinen schaffen kann, sind Fragen, über die wir uns noch Denkfehler machen. Deutschland und Schleswig- intensiver unterhalten müssen. Dem möchte ich Holstein haben ein so gutes Schulsystem. Da gibt es noch mehr Gewicht beimessen als dem Ziel, das so viele Wege, dass man nicht unbedingt davon Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9379

(Anita Klahn) ausgehen kann - die Kollegin Erdmann hat es eben mich auf die weitere Beratung im Ausschuss. - auch schon geschildert -, dass jemand, der von ei- Danke. ner Regelschule ohne Abschluss abgeht, durch das (Beifall FDP) Raster fällt. Denn der hat die Möglichkeit, in ande- ren Systemen dann doch noch einen Schulabschluss zu erlangen, zum Beispiel über die Berufsvorberei- Präsident Klaus Schlie: tungsjahre. Ich denke, das fällt immer gern hinten Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat der runter. Wenn man die ehrlichen Zahlen dann tat- Abgeordnete Sven Krumbeck. sächlich einmal hat, sind die Prozentanteile sehr viel niedriger. Nicht ohne Grund haben wir in Sven Krumbeck [PIRATEN]: Deutschland im internationalen Vergleich die ge- ringste Jugendarbeitslosigkeit. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der CDU-Antrag hat den Charme, Wir sind eher der Meinung, dass wir gucken müs- niemanden auf der Strecke zu lassen, allen eine sen, mit welchen speziellen individuellen Förder- Chance einzuräumen und jeden zum individuellen möglichkeiten wir diejenigen Kinder erreichen, die Erfolg zu führen. Das sind gute Ziele, und niemand Lernschwierigkeiten in verschiedenster Form ha- wird sich dagegen aussprechen können und wollen. ben. Das ist der Bereich Inklusion, über den wir ja Ob Krankheit, persönliches Tief oder mangelnde immer wieder sprechen, und den wir auf wirklich Unterstützung: Für einen fehlenden Schulabschluss alle Schülerinnen und Schüler ausweiten müssen. gibt es immer Gründe. Das bedeutet nicht, dass die- Das Fach „Lernen lernen“ ist in Schulen ausgespro- ser Zug für immer abgefahren ist. Jeder hat die chen wichtig. Da sollten wir hingucken. Ich bin Chance, wann immer er möchte und sich dazu in ganz optimistisch, dass wir Schülerinnen und Schü- der Lage fühlt, jeden Schulabschluss nachzuholen. ler an der Stelle noch besser erreichen. Die CDU fordert nun einen differenzierten Schul- Gerade auch, was den Förderschulbereich betrifft, abschluss in Anlehnung an die allgemeinbildenden sind wir nach wie vor der Auffassung, dass wir die- Schulabschlüsse vor allem für diejenigen, die die se Förderzentren brauchen, weil wir spezielle An- Standards der KMK nicht erreichen können und - gebote für Kinder mit besonderem Bedarf brau- aus welchen Gründen auch immer - ganz ohne Ab- chen, insbesondere dann, wenn Eltern das wollen. schluss bleiben. Ich ahne eine Art „Kategorie-B- Wir müssen einfach anerkennen, dass nicht alle Fa- Schulabschluss“ und bin sicher, dass die CDU das milien mit inklusivem Unterricht zurechtkommen. so nicht meint. Aber läuft es nicht genau darauf An der Stelle tun wir etwas, um diesen Jugendli- hinaus, dass wir einen Abschluss anstreben, der chen vielleicht auch einen Schulabschluss zu er- zwar systematisch eingeordnet wird und in der möglichen. Struktur an den allgemeinbildenden Schulabschluss Ich bin der Meinung, dass eine enge Zusammenar- angelehnt wird, aber doch immer ausdrückt: Das ist beit aller Akteure unerlässlich bleibt: Eltern, zweite Klasse? Kann es sein, dass wir uns damit auf Schulen, Berufsagentur, Betriebe, gegebenenfalls den falschen Weg machen? Verlassen wir damit Werkstätten für Menschen mit Behinderung, auch nicht die Linie der individuellen Lernbiografien? Kammern und möglicherweise andere Fachdienste. Sagen wir damit nicht: Standards schaffst du nicht, Mit viel Einfühlungsvermögen, ganzheitlicher För- nimm lieber die Light-Variante? derung und individuellen Förderplänen werden wir Ich bin an dieser Stelle wirklich verunsichert. Ei- die Kinder erreichen, damit sie einen Abschluss be- gentlich wollten wir genau so etwas nicht mehr ma- kommen. chen: die Absolventen in verschiedene Kategorien Das ist das ganz Wichtige, und es ist hier auch des Erfolgs verklappen, und wenn für diejenigen schon gesagt worden: Wir müssen dafür sorgen, unterhalb des Standards zurzeit nichts da ist, ein- dass alle Menschen mit ihren individuellen Fähig- fach eine neue Kategorie schaffen. Sollte der Weg keiten in der Gesellschaft anerkannt werden und - nicht ein anderer sein? Sollten wir nicht Mühe und was Sie so schön formuliert hatten - es nicht darauf Mittel in die Anstrengung investieren, unser Sys- hinausläuft, dass es ein Makel ist, keinen Abschluss tem gut und durchlässig zu gestalten? Sollten wir zu haben, sondern wir den Menschen in der Form, nicht eher dafür sorgen, das System Schule, berufli- in der er vor uns steht, akzeptieren. Lediglich, um che Bildung und Weiterbildung so gut zu machen, Statistiken zu schönen, weitere Abschlüsse einzu- dass jeder jeden Abschluss nachholen kann, wann führen, halte ich nicht für zielführend. Ich freue immer er kann und will? 9380 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Sven Krumbeck)

(Beifall PIRATEN, Martin Habersaat [SPD] Präsident Klaus Schlie: und Jette Waldinger-Thiering [SSW]) Das Wort für den SSW hat Frau Abgeordnete Müssen wir uns nicht auf die Leistungsfähigkeit des Waldinger-Thiering. Systems konzentrieren, damit alle, die es nicht leicht haben, nicht verloren gehen? Wir haben so Jette Waldinger-Thiering [SSW]: viele Fördermöglichkeiten, dass es mir schwerfällt zu glauben, ein Mehr an Abschlüssen mache den Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Einzelnen fitter für das Leben, die Arbeit oder die Damen und Herren! Aus Sicht des SSW ist es gut Weiterbildung. und wichtig, dass die CDU dieses Thema auf die Tagesordnung setzt, denn nach wie vor ist die Zahl Solche Fragen müssen wir uns stellen, wenn wir der jungen Menschen, die ohne anerkannten Schul- feststellen, dass Betriebe immer mehr und häufiger abschluss ins Leben gehen, viel zu hoch. Das ist lei- darüber klagen, dass die Bewerber nicht die nötige der nicht nur bei uns im Norden, sondern bundes- Ausbildungsreife haben, und es uns weder gelingt, weit so. Dabei dürfte jedem klar sein, wie wichtig die Zahl derer, die ohne Abschluss die Schule ver- der Faktor Bildung für die Biografie des Einzelnen lassen, spürbar zu verringern, noch dafür zu sorgen, ist. dass das System Schule es wirklich schafft, alle mitzunehmen. Die CDU erwähnt in ihrem Antrag die Stärkung des Selbstwertgefühls durch einen Schulabschluss, aber Vielleicht ist der CDU-Antrag ein guter Anlass, Bildung ist natürlich auch der Schlüssel zum beruf- einmal eine ehrliche Bestandsaufnahme zu ma- lichen Erfolg und damit zu einem selbstbestimmten chen. Reicht es, zu unterstellen, dass Schule nicht Leben und zu mehr Zufriedenheit. Übergeordnet gut funktioniert, weil die Personalkapazitäten zu gesehen gibt es deshalb kaum eine wichtigere Auf- knapp bemessen sind? Oder müssen wir uns die gabe, als allen Kindern und Heranwachsenden best- Frage stellen, ob wir Schule überfordern, weil wir mögliche Bildungschancen zu geben. sie zwar gern zum Lern- und Lebensort stempeln, aber nicht dafür sorgen, dass sie sich auch zu die- Natürlich ist der Übergang von Schule zu Beruf be- sem entwickeln kann? Müssen wir in diesem Zu- ziehungsweise der Übergang in eine Ausbildung sammenhang eingehender als bisher über Ganztags- ganz besonders wichtig. Hier haben SPD, Grüne schulen in verbindlicher Form sprechen? Oder und SSW nicht ohne Grund einen Schwerpunkt ih- reicht es, den Aufgabenkatalog für Schule zu ent- rer Bildungspolitik gelegt. Wir wollen, dass mög- rümpeln? Müssen wir die Schule auf Kernkompe- lichst alle Schülerinnen und Schüler die Schule mit tenzen reduzieren? Wenn wir das ausdrücklich einem Abschluss und einer echten Perspektive ver- nicht wollen, müssen wir deutlich sagen, welche lassen. Niemandem soll die Möglichkeit zur gesell- Art von Schule wir wollen, was das kostet und was schaftlichen Teilhabe und der Weg in die Berufs- wir zu zahlen bereit sind. welt erschwert werden. Da sind wir uns mit den Antragsstellern einig. Ein differenzierter Abschluss unterhalb der Min- deststandards wäre das finale Armutseingeständnis Ich gebe aber zu bedenken, dass die Gründe, die zu der Politik. Wer sagt mir, dass wir damit den Zu- einem Abbruch der Schullaufbahn führen, sehr sammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem unterschiedlich sind. Viele Schulabbrecher schei- untersten aller Abschlüsse nicht noch verstärken? tern ja nicht, weil sie das Niveau der KMK-Stan- Wo sind denn alle Erkenntnisse aus PISA geblie- dards unterlaufen. Viele verlassen die Schule ohne ben? Abschluss, weil sie zum Beispiel gesundheitliche Schwierigkeiten oder schlicht Motivationsprobleme Auch wenn man den PIRATEN in diesen Tagen haben. Hier setzt das Ministerium vor allem auf gerne Fatalismus in den Mund legt: Ich halte den präventive Maßnahmen. Das halte ich für diese CDU-Antrag für bestimmt gut gemeint, aber für Zielgruppe für deutlich zielführender als ein Ab- falsch gedacht. Wir brauchen nicht mehr Abschlüs- schluss mit geringeren Standards. se, sondern echte Chancengerechtigkeit durch Schule. Lassen Sie uns alle zusammen unseren An- Vermutlich wäre ein solcher einfacher Abschluss spruch darauf nicht vergessen. Ich hoffe daher auf sogar Gift für die Motivation vieler anderer Schü- eingehende und gute Beratungen im Bildungsaus- ler. Sie müssten sich dann ja weniger anstrengen schuss. - Vielen Dank. und würden hinter ihrem eigenen Potenzial zurück- bleiben. Ob die Wirtschaft diesen Absolventen (Beifall PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS dann eine Chance geben würde, ist völlig offen. 90/DIE GRÜNEN) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9381

(Jette Waldinger-Thiering)

Von dieser Seite wird ja schon länger über die man- mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine be- gelnde Ausbildungsreife geklagt. friedigendere Regelung zu finden. Darüber wird auch bei uns diskutiert. Man muss wissen, dass die- Eine weitere Gruppe, die die Schule ohne den ers- se Schülerinnen und Schüler durchaus ein Ab- ten allgemeinbildenden Abschluss verlässt, ist die schlusszeugnis bekommen. Dies spricht ebenso da- der Schülerinnen und Schüler mit einem festge- für, diese Debatte zu führen, wie der Umstand, dass stellten sonderpädagogischen Förderbedarf. Schülerinnen und Schüler mit einem Abschluss- Ein Teil von ihnen wird unterhalb des Niveaus des zeugnis einer Schule für sonderpädagogischen För- Ersten allgemeinbildenden Abschlusses beschult derbedarf in der KMK-Statistik als Schülerinnen und verlässt die Schule mit einem Förderabschluss. und Schüler ohne Abschluss gezählt werden. Auch Diese jungen Menschen haben wir ganz besonders darüber haben wir natürlich Diskussionsbedarf. im Blick, und zwar unabhängig davon, ob sie inklu- Den Schülerinnen und Schülern, die die Schule ver- siv oder exklusiv beschult werden. Selbstverständ- lassen, sollte - auch unter dem Gesichtspunkt des lich sollen auch sie echte Perspektiven am Arbeits- lebenslangen Lernens - durchaus dokumentiert wer- markt haben. den, welche Leistungen sie erbracht haben und was Falls die CDU mit ihrem Antrag auch auf diese sie mitbringen. Gruppe zielt, muss ich eines klar sagen: Mit einer Ich stelle allerdings fest, dass die CDU, die sich Art „vereinfachtem Hauptschulabschluss“ ist diesen doch sonst - wie wir - darum sorgt, dass die Stan- Schülern kaum geholfen. Ihnen hilft ein differen- dards der Schulabschlüsse gesichert bleiben und zierter Unterricht, der sich an ihren Stärken und dass diese von den Schülerinnen und Schülern auch Schwächen orientiert und sie möglichst individuell erreicht werden, nunmehr mit einem resignativen fördert. Ansatz daherkommt und letztlich sagt: Die Schüle- Auch wenn ich dieser Idee insgesamt eher skeptisch rinnen und Schüler erreichen es nicht, und deshalb gegenüberstehe, bleibt das übergeordnete Thema senken wir die Standards. - Das halte ich nicht für „Übergang Schule - Beruf“ ungemein wichtig. Wir den richtigen Weg. müssen uns dringend dafür einsetzen, dass junge Die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Ab- Menschen nicht länger an dieser Schnittstelle verlo- schluss ist zu hoch. Sie ist in Schleswig-Holstein in ren gehen, sondern echte Chancen bekommen. Wir den vergangenen Jahren leider leicht gestiegen. sollten also auch über diesen Ansatz der CDU- Wenn wir aber auf die Entwicklung seit der ersten Fraktion gründlich im Ausschuss diskutieren. Dass PISA-Studie schauen, dann stellen wir fest, dass diese Diskussion auf der Grundlage der Ergebnisse Deutschland unglaubliche Erfolge erzielt hat. Der der entsprechenden KMK-Arbeitsgruppe am mei- Anteil der Schülerinnen und Schüler ohne Ab- sten Sinn ergibt, dürfte allen klar sein. schluss lag damals bei über 12 %; heute ärgern wir (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE uns in Schleswig-Holstein darüber, dass der Anteil GRÜNEN) von 7 auf 7,6 % gestiegen ist. Dennoch war unser Weg der richtige. An dem Ziel, den Anteil der Präsident Klaus Schlie: Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss auf unter 5 % zu senken, sollten wir festhalten. Das Wort für die Landesregierung hat die Frau Ministerin für Schule und Berufsbildung, Britta (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ernst. und SSW) Mich treibt auch um, dass die Sorge geäußert wird, Britta Ernst, Ministerin für Schule und Berufsbil- die Schülerinnen und Schüler seien nicht mehr ge- dung: nug motiviert. Sie wissen, dass die Chance, schon Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! mit dem ersten Schulabschluss einen Ausbildungs- Ich schließe mich den Vorrednerinnen und Vorred- platz zu bekommen, in den vergangenen Jahren nern in der Einschätzung an, dass diese Debatte viel geringer geworden ist. Bundesweit ist sogar wichtig ist und geführt werden muss. darüber diskutiert worden, ob der mittlere Ab- schluss zum Regelschulabschluss gemacht werden Teilen der Antragsbegründung können wir zustim- solle, da der erste Abschluss oft nicht mehr den Zu- men; wir sind allerdings ratlos, welche Intention gang zur Arbeitswelt vermittele. Sie eigentlich verfolgen. Wir haben geglaubt, es ge- he Ihnen darum, für die Schülerinnen und Schüler Das alles sind Punkte, die zu bedenken sind. Sehr gewichtig ist der Hinweis, dass ein einzelnes Bun- 9382 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Ministerin Britta Ernst) desland sich nicht eigene Abschlüsse kreieren soll- Wir sprechen in unserem Antrag mit keinem Wort te, da wir gerade dabei sind, die Abschlüsse zu davon, die Standards abzusenken. standardisieren. (Beifall CDU) Ich bin froh darüber, dass wir im Bildungsaus- Ich sage noch einmal in aller Deutlichkeit: Auch schuss Gelegenheit haben werden, genau über diese der Umstand, dass manche ihr Zeugnis nur als - das Fragen zu diskutieren und dadurch einen Impuls zu Wort ist vielleicht nicht besonders schön - „Teil- bekommen, mit welcher Position das Bundesland nahmebestätigung“ erhalten, hindert uns nicht dar- Schleswig-Holstein die Debatte auf Bundesebene an, auch auf die Stärken noch einmal ganz beson- begleiten wird. - Vielen Dank. ders hinzuweisen. Ich habe die Signale vernommen, (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass die Bereitschaft besteht, darüber im Ausschuss und SSW) zu sprechen. Lieber Kai Vogel, dass das nicht von heute auf Präsident Klaus Schlie: morgen geht, ist verständlich. Auf den Zeitplan Es drängt den Abgeordneten Sönnichsen, trotz der können wir uns sicherlich verständigen. Aber bis bevorstehenden Ausschussberatungen kurz vor der Mai nächsten Jahres müssen wir durch sein; danach Mittagspause noch einen Dreiminutenbeitrag zu bin ich nicht mehr dabei. halten. Er hat das Wort. (Heiterkeit und Beifall CDU und FDP)

Peter Sönnichsen [CDU]: Präsident Klaus Schlie: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich Es tut mir leid, wenn ich die Debattenzeit etwas schließe die Beratung. verlängere. Aber wenn ihr etwas schneller esst, dann klappt alles. Es ist beantragt worden, den Antrag auf Drucksa- che 18/3838 dem Bildungsausschuss zu überwei- Darauf, dass wir um eine Ausschussüberweisung sen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das nicht herumkommen würden, waren wir vorberei- Handzeichen. - Das ist einstimmig so geschehen. tet. Das finde ich auch gut so. Ich unterbreche die Sitzung und wünsche Ihnen ei- Was die laufenden und fortzusetzenden Beratun- ne angenehme Mittagspause. gen der KMK betrifft, so kann es durchaus ein Signal sein, dass wir uns damit beschäftigen. Allein (Unterbrechung: 13:07 bis 15:01 Uhr) das sehe ich schon einmal als sehr wichtig an. Präsident Klaus Schlie: Ich will aber insbesondere Ihre Frage beantworten, Frau Erdmann. Natürlich stehen die Schülerinnen Meine Damen und Herren! Ich eröffne den Nach- und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbe- mittagsteil unserer Sitzung. Begrüßen Sie gemein- darf im Vordergrund, was unseren Antrag angeht. sam mit mir die Schülerinnen und Schüler der däni- Aber ich bin auch sehr nahe bei Kai Vogel, der ge- schen Schule Süderbrarup und des Regionalen Bil- sagt hat, dass jede und jeder, die beziehungsweise dungszentrums Technik in Kiel. - Herzlich will- der es nicht geschafft hat, eine beziehungsweise ei- kommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag! ner zu viel ist. Darum müssen wir uns kümmern. (Beifall) Dafür sehe ich hier sehr gute Ansätze. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: (Beifall CDU) Auch wir hören die Aussagen der Wirtschaft, dass Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes für die Schüler nicht mehr so gute schulische Voraus- die Bibliotheken in Schleswig-Holstein und zur setzungen mitbrächten und daher nicht mehr so gut Änderung des Landespressegesetzes auf die Berufsausbildung vorbereitet seien. Ich füge aber hinzu, dass die Wirtschaft genauso über eine Gesetzentwurf der Landesregierung mangelnde Zahl an Ausbildungsbewerbern klagt. Drucksache 18/3800 Auch das ist ein Grund dafür, dass wir niemanden zurücklassen sollten. Wir müssen vielmehr dafür (Unruhe) sorgen, dass in dieser Richtung etwas geschieht. - Ich warte gern, bis Sie sich ausgetauscht haben. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9383

(Präsident Klaus Schlie)

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. kulturelle Erbe des Landes dokumentieren, erhalten Ich bitte zunächst die Landesregierung und dann und zugänglich machen. die Fraktionen nach ihrer Stärke um ihr Wort. - Ich Der Bibliotheksgesetzentwurf unterstreicht den eröffne die Grundsatzberatung und erteile der Mini- Stellenwert der Bibliotheken für unsere Gesell- sterin für Justiz, Kultur und Europa, Frau Anke schaft und trägt zur Umsetzung einer konzeptionel- Spoorendonk, das Wort. len Kulturpolitik im Sinne der Kulturperspektiven für Schleswig-Holstein bei. Das soll heißen: Wer Anke Spoorendonk, Ministerin für Justiz, Kultur die Kultur im ländlichen Raum stärken will, wer und Europa: mehr Teilhabe will, der kommt an einer Stärkung Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte des Status der Bibliotheken nicht vorbei. Damen und Herren Abgeordnete! Was, meine Da- (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE men und Herren, ist der Unterschied zwischen Hes- GRÜNEN) sen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein? Auf Grundlage eines Eckpunktepapiers, das auf (Birgit Herdejürgen [SPD]: Die sind größer! vier Regionalkonferenzen diskutiert wurde, habe - Oliver Kumbartzky [FDP]: Die geographi- ich dem Kabinett im November 2015 einen Refe- sche Lage!) rentenentwurf vorgelegt; danach wurden die Fach- In Hessen beschloss eine schwarz-gelbe Landesre- verbände und die kommunale Familie angehört. Die gierung 2010 ein Bibliotheksgesetz; jetzt wurde es Stellungnahmen, meine Damen und Herren, können von einer schwarz-grünen Landesregierung novel- Sie im Übrigen im Internet auf den Seiten des Kul- liert. In Rheinland-Pfalz wurde ein Bibliotheksge- turministeriums einsehen. setz von einer rot-grünen Landesregierung auf den Der Gesetzentwurf wurde in der Fachwelt als bei- Weg gebracht. Mit dem nun vorgelegten Gesetzent- spielhaft gelobt. Es wurde sogar eine weitere ge- wurf sind wir in Schleswig-Holstein das fünfte setzliche Normierung zur Verpflichtung der Quali- Bundesland, das sich auf diesen Weg zu einer ge- tätsstandards, insbesondere der öffentlichen Biblio- setzlichen Regelung des Bibliothekswesens macht. theken, gewünscht. (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE Erwartungsgemäß ist sich die kommunale Familie GRÜNEN) nicht ganz einig über die Notwendigkeit eines sol- Die Bibliotheken sind wichtige demokratische Er- chen Gesetzes. Ich halte aber fest, dass wir nicht rungenschaften unserer Gesellschaft, nicht mehr zuletzt auf Anregung der kommunalen Landesver- und nicht weniger. Sie stehen für die öffentliche bände die Intention des Gesetzentwurfs durch die Daseinsvorsorge und müssen bei der Sozialraum- Bereitstellung von Projektmitteln untermauert ha- und Stadtentwicklungsplanung berücksichtigt wer- ben - erstmals in diesem Land überhaupt. den. Sie sind ein Standortfaktor unserer Städte und (Vereinzelter Beifall SSW, SPD und BÜND- Kommunen. NIS 90/DIE GRÜNEN) Bibliotheken gehören zu den bedeutendsten Bil- Auf die im Anhörungsverfahren vorgeschlagenen dungseinrichtungen unseres Landes, denn sie die- und nun in den Entwurf eingearbeiteten Änderun- nen der Aus- und Weiterbildung, der Lese- und gen möchte ich nur kurz eingehen: Es hat eine Rei- Sprachförderung, der kulturellen Teilhabe und der he kleinerer und eher redaktioneller Änderungsvor- sozialen Integration. Damit, meine Damen und Her- schläge gegeben. Wir haben uns zum Beispiel be- ren, leisten sie auch einen ganz wichtigen Beitrag wusst und stringent für die Bezeichnung „Bücher zur Integration der neu zu uns kommenden Bürge- und andere Medienwerke“ entschieden. Das Buch rinnen und Bürger. Bibliotheken sind also Räume bleibt das Leitmedium. Mit der Bezeichnung „Me- der gelebten Demokratie. Daher passt der Gesetz- dienwerke in körperlicher und unkörperlicher entwurf - ich hätte fast gesagt: wie die Faust aufs Form“ - dieser Begriff ist recht sperrig - halten wir Auge - zur Debatte heute Morgen in diesem Saal. uns an fachbibliothekarische Standards. Daneben Bibliotheken sind Informations- und Kommuni- konnten wir den Gesetzentwurf auch substanziell kationszentren. Sie sorgen dafür, dass Menschen verbessern. in der digitalisierten Welt sozusagen nicht hinten Der Büchereiverein wurde aufgenommen und da- runterfallen, weil sie dafür sorgen, dass sich Men- mit grundsätzlich in seiner Funktion anerkannt. schen in dem Informationsdschungel zurechtfinden Dies stand zwar nie infrage, findet sich nun aber können. Zugleich sind sie Einrichtungen, die das zur Beruhigung aller auch im Gesetzentwurf wie- 9384 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Ministerin Anke Spoorendonk) der. Im Ausschuss will ich gern darüber berichten, Vermittler von Sprache, Bildung und Kultur. Genau welche gesetzestechnischen Überlegungen zunächst das ist es, was wir mit den Projektmitteln weiter un- dazu geführt hatten, dass wir den Büchereiverein terstützen können. nicht im Gesetzentwurf erwähnt haben; aber es war (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE keine inhaltliche Frage. GRÜNEN) Die Unabhängigkeit der Medienauswahl wurde Meine Damen und Herren, im November 2014 explizit aufgenommen. Die Deutsche Zentralbiblio- wurde das Bibliotheksgesetz Rheinland-Pfalz mit thek für Wirtschaftswissenschaften findet sich nun den Stimmen aller Fraktionen im Landtag verab- im Gesetzentwurf ebenso wie die Musikbibliothek. schiedet - auch mit den Stimmen der CDU. Der für Nicht neu im Gesetzentwurf, aber dennoch der Er- die rheinland-pfälzische CDU sprechende Abgeord- wähnung wert ist: Wir wollen die gesetzlichen Re- nete Biebericher sagte damals: gelungen zu den Pflichtexemplaren aus dem Lan- „… in vielen Gesprächen konnten wir die despressegesetz in das Bibliotheksgesetz überfüh- Überzeugung gewinnen, dass ein Gesetz ren und zeitgemäß novellieren. In Sachen digitales durchaus sinnvoll ist …“ Pflichtexemplarrecht konnten wir eine gute Rege- lung finden, die nur in kleineren Details noch ver- Er sagte weiter: bessert wurde. Wir sind für die Umsetzung, denke „Darüber hinaus ist auch die positive Wir- ich, bei der Unibibliothek Kiel ganz genau richtig. kung einer Zusammenfassung aller wesentli- Mit der Benennung der Landesbibliothek als Lan- chen Aspekte des Bibliothekswesens in ei- desoberbehörde wird die Gleichrangigkeit zu den nem Gesetz und die damit verbundene Stei- Landesoberbehörden des Denkmalschutzes und Ar- gerung der Handlungsfähigkeit auf diesem chivwesens herausgestellt. Feld als positiv anzusehen. Selbst wenn das vorliegende Gesetz in erster Linie nur dekla- Lassen Sie mich zum Abschluss, meine Damen und ratorischen oder appellatorischen Charakter Herren, die Stellungnahme von Professor Eric hat, so ist es doch eine nicht zu unterschät- Steinhauer, Fachreferent für Recht, Politik und zende Aufwertung für die Bibliotheken ...“ Allgemeines an der Unibibliothek Hagen und Ho- norarprofessor am Institut für Bibliotheks- und In- Und auch für die vielen professionellen, aber auch formationswissenschaft der Humboldt-Universität ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Berlin, zitieren: füge ich hinzu. „Es besteht die gute Gelegenheit vor allem (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE vor dem Hintergrund der hohen Landesmittel GRÜNEN) im Finanzausgleichsgesetz, dass das geplante Also, liebe CDU-Fraktion, geben Sie sich einen Bibliotheksgesetz Schleswig-Holstein kon- Ruck. Mischen Sie sich ein, engagieren Sie sich. zeptionell und förderpolitisch neue Maßstäbe setzt.“ (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In Zusammenhang mit den zur Verfügung stehen- den Projektmitteln in Höhe von 430.000 €, die ich Die eingeplanten Projektmittel einfach aus dem vorhin schon ansprach, spreche ich von einem An- Haushalt zu streichen, den Vorwegabzug für die Bi- reizgesetz, da wir den Kommunen keine Pflichtauf- bliotheken im FAG infrage zu stellen und nichts für gabe auferlegen. Keines der fünf bestehenden Bi- die Absicherung der Bibliotheken zu tun, das reicht bliotheksgesetze in dieser Republik hat diese Auf- nicht. gabe erfüllen können. In keinem anderen Gesetz (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE steht dergleichen. Also sprechen wir hier von einem GRÜNEN) Anreizgesetz. Darum: Machen Sie mit! Sie sind herzlich eingela- Wir wollen Anreize schaffen, mit innovativer Bi- den. bliotheksarbeit voranzugehen, und die Arbeit der Bibliotheken mit einem Bibliothekspreis würdi- Dass Bibliotheken erfolgreich sind, hat uns das Al- gen. lensbach-Institut gerade eindrucksvoll belegt. Die öffentlichen Bibliotheken gehören nach wie vor mit Ich sehe zum Beispiel in der Integrationsarbeit eine über 200 Millionen Besuchen zu den meistbesuch- wichtige Rolle der Bibliotheken als Treffpunkte ten Kultureinrichtungen im kommunalen Bereich. und als Anbieter niedrigschwelliger Angebote, als Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9385

(Ministerin Anke Spoorendonk)

Damit dies so bleibt, setzen wir uns mit diesem Ge- Doch, genau das ist der Knackpunkt. Unter A und setzentwurf für die Weiterentwicklung und für die der Überschrift „Probleme“ zitiert der Gesetzent- Arbeit unserer Bibliotheken ein. - Vielen herzlichen wurf die Empfehlung der Enquete-Kommission Dank. des Bundes. Danach sollten von den Ländern eige- ne Bibliotheksgesetze zur Behebung des Mangels (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE sowie zur Regelung von Aufgaben und Finanzie- GRÜNEN) rung der öffentlichen Bibliotheken erlassen werden. Präsident Klaus Schlie: Ging der Gesetzentwurf des SSW in der 17. Wahl- periode noch von Verpflichtungen aus, deren feh- Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat lende Kostenabschätzung hauptsächlich zur Ableh- die im Ältestenrat vereinbarte Redezeit um 4 Minu- nung führten, vermeiden Sie jetzt jegliche Ver- ten 30 Sekunden überzogen. Diese Zeit steht jetzt pflichtung. Sie beschreiben Aufgaben und beeilen zusätzlich allen Rednern der Fraktionen zur Verfü- sich mehrfach mit der Versicherung, dass keine gung. Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU- neuen Aufgaben geschaffen werden; nur um Kon- Fraktion hat Herr Abgeordneter Peter Sönnichsen nexität zu vermeiden. das Wort. (Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE Peter Sönnichsen [CDU]: GRÜNEN]) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! - Die Frage stellt sich nicht, Sie, beziehungsweise Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Ihre Landesregierung, haben den Gesetzentwurf Frau Ministerin, nach so vielen aufmunternden vorgelegt. - Dabei tragen ohnehin die Kommunen Worten in die Richtung der CDU will ich voranstel- die Kosten. Das Geld wird zwar vom Land über- len, dass ich zum Gesetzentwurf rede. Das stellt wiesen, kommt aber aus der Schatulle der Kommu- meinen Respekt, meine Anerkennung für die Leis- nen auf dem Weg des Vorwegabzugs, den ich nicht tungen der Bibliotheken und der Büchereien, die infrage gestellt habe. Aber die Tatsache als solche gute Arbeit und die ausgezeichnete Aufgabenwahr- werden wir immer wieder betonen, ob Ihnen das nehmung sowie die Tatsache, dass hier ein wirklich gefällt oder nicht. unverzichtbarer Beitrag zur kulturellen Bildung ge- (Beifall CDU) leistet wird, nicht infrage. Zu den im Gesetz beschriebenen Aufgaben und (Beifall CDU) Kriterien der Wahrnehmung: Dass öffentliche Im Übrigen stelle ich aber zu dem Gesetzentwurf Bibliotheken auch regelmäßige Öffnungszeiten ha- fest: Hier geht es wahrscheinlich und nach meiner ben müssen, dazu bedarf es meiner Überzeugung Überzeugung nur darum, noch einen Punkt aus dem nach keines Gesetzes. Koalitionsvertrag abzuhaken. Die SPD hat ihre Ein- (Vereinzelter Beifall CDU) heitsschule bekommen, die Grünen ihr Hochschul- gesetz, und nun soll der SSW noch sein Bibliothe- Einen angemessenen Medienetat, angemessene Per- kengesetz bekommen. sonal-, Raum- und Materialausstattung? - Ich habe es eben schon gesagt: Diese haben die Träger, also (Zuruf Lars Winter [SPD]) die Kommunen, zu liefern. - Lieber Lars Winter, auffällig ist doch, dass es Sie wollen in Abstimmung der Gemeinden ein Sys- nach der zweiten Kabinettsbefassung dazu nicht tem an öffentlichen Büchereien, sodass alle Ein- einmal eine Pressekonferenz gegeben hat. Es ist ei- wohnerinnen und Einwohner in angemessener ne schmale Presseinfo herausgekommen. SPD und räumlicher Nähe Zugang zu Bibliotheken haben, Grüne haben dies gar nicht kommentiert, und der trauen sich aber nicht, ins Gesetz zu schreiben, dass SSW hat geschrieben. Offensichtlich gibt es hier dort, wo Standbüchereien nicht eingerichtet sind, nichts zu bejubeln, und der große Wurf ist ganz ein- Fahrbüchereien vorgehalten werden müssen. Viel- fach nicht da. mehr belassen Sie es bei dem Wort „können“. Wie Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben schon am wollen Sie das durchsetzen? Das ist ein zahnloser Dienstag alle Akteure über die Presse wissen las- Tiger, das ist Unverbindlichkeit in Perfektion, gera- sen, und ich darf zitieren: de für den von Ihnen zitierten öffentlichen Raum. „Es reicht nicht, immer nur nach Geld zu ru- (Beifall CDU) fen.“ 9386 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Peter Sönnichsen)

Sehr geehrte Frau Ministerin, ich glaube Ihnen gezogenen Neuwahl im Ausschuss und im Plenum wirklich, dass der Erhalt und die Weiterentwick- abgelehnt zu werden. lung des Bibliothekswesens Ihnen ein aufrichtiges Jetzt, heute, 2016: Wir machen das. Frau Ministerin Anliegen sind. Das haben Sie in vielen Gesprächs- Spoorendonk setzt wie die gesamte Küstenkoalition runden nachvollziehbar deutlich gemacht, aber der auf den Grundsatz, Reformen auf der Grundlage ei- Gesetzentwurf wird dem nicht gerecht. Es reicht ner möglichst breiten öffentlichen Diskussion ein- nicht aus festzustellen, ob wir das erste, das fünfte zuleiten. oder das sechzehnte Bundesland sind, das sich ein Gesetz gibt. Es reicht auch nicht aus, den Status ir- (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gendwie noch einmal neu zu beschreiben. Zur Ziel- und SSW) erreichung fehlt es noch an viel Überzeugungsar- So sind diesem Gesetzentwurf vier Regionalkonfe- beit, und zwar nicht bei den handelnden Akteuren renzen im ganzen Land vorausgegangen. Dieses oder bei mir, sondern in der Regierungskoalition Verfahren schließt die Bereitschaft ein, eigene und Ihrem Kabinett. - Danke. grundsätzliche Überlegungen infrage zu stellen und (Beifall CDU) gegebenenfalls auf ihre Umsetzung zu verzichten und auch lieb gewonnene Positionen zu räumen. Präsident Klaus Schlie: Auch darum ist der heute vorliegende Entwurf nicht identisch mit dem 2011 beratenen Entwurf, sondern Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Abgeordne- sehr viel schlanker. Vieles, was für die praktische te Beate Raudies. Umsetzung des Gesetzes erforderlich ist, kann bes- ser in entsprechenden Ausführungsverordnungen Beate Raudies [SPD]: geregelt werden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht sind in vor neun Jahren hat die Enquete-Kommission des dem Entwurf folgende Elemente besonders wichtig: Deutschen Bundestages zur Lage der Kultur in Erstens. Das Gesetz verankert jetzt das Medien- Deutschland angeregt, die Aufgaben und die Finan- werk als Gegenstand der Bibliotheksarbeit, nicht zierung der öffentlichen Bibliotheken in Biblio- mehr das Buch allein, und stellt klar, dass Biblio- theksgesetzen der Länder zu regeln. Das trifft theken heute weit mehr zu leisten haben, als Bücher sich mit Artikel 13 Absatz 3 unserer Landesverfas- zu sammeln und zu katalogisieren. sung, wo es heißt, ich zitiere: Zweitens. Das Gesetz definiert trennscharf die ver- „Die Förderung der Kultur … einschließlich schiedenen Arten von öffentlichen und nicht öf- … des Büchereiwesens … ist Aufgabe des fentlichen beziehungsweise wissenschaftlichen Bi- Landes, der Gemeinden und Gemeindever- bliotheken. bände.“ Drittens. Das Gesetz schreibt die zentrale Rolle des Es tut vielleicht gut, das hier noch einmal in Erin- Büchereivereins und der von ihm unterhaltenen nerung zu rufen. Büchereizentrale als Dienstleistungsagentur für die (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bibliotheken fest, ohne eine Pflichtmitgliedschaft und SSW) der öffentlichen Bibliotheken im Büchereiverein zu verankern. Nach Thüringen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Rheinland-Pfalz ist Schleswig-Holstein nun das Viertens. Das Gesetz definiert die Förderung der fünfte Bundesland, das ein Bibliotheksgesetz be- Bibliotheken über den kommunalen Finanzaus- kommt. Es ist nicht so, dass der heute vorliegende gleich als Pflichtaufgabe des Landes. Das halte ich Gesetzentwurf der Landesregierung der erste An- angesichts der Entwicklung, die es dort gegeben lauf zu diesem Ziel war. Bereits die Große Koaliti- hat, für sehr gut. on in der 16. Legislaturperiode hat über ein solches (Beifall SPD und SSW) Gesetz nachgedacht. Daraus wurde dann wegen der vorgezogenen Neuwahl nichts. In der darauffolgen- Fünftens. Das Gesetz stärkt die zentralen öffentli- den Legislaturperiode hat sich die Koalition aus chen Bibliotheken, insbesondere die Universitäts- CDU und FDP in vornehmer Zurückhaltung geübt bibliothek Kiel und die Landesbibliothek, durch die und es dem SSW überlassen, einen Entwurf vorzu- Regelungen zur Anbietungspflicht. legen. Dieser wurde in den Ausschussanhörungen Meine Damen und Herren, das Gesetz definiert kei- intensiv beraten, um dann kurz vor der erneut vor- ne grundsätzlich neuen Aufgaben, die den Ruf nach Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9387

(Beate Raudies)

Konnexität auslösen könnten. Es schafft weder für Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: das Land noch für Städte und Gemeinden zusätzli- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe che finanzielle Herausforderungen, die gerade in Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Sön- der jetzigen Zeit schwer zu bewältigen wären. nichsen, es gibt in diesem Landtag eine Landtagsbi- Aber, lieber Kollege Sönnichsen, was hätten Sie bliothek. Ich würde Ihnen empfehlen, dort einmal denn gesagt, wenn wir das Gegenteil getan hätten? nachzuschlagen, wozu Koalitionsverträge dienen. Das hätte Ihnen doch auch nicht gefallen. Dann hät- In denen würde man wohl vereinbaren, was man te spätestens der Herr Kollege Koch hier vorn ge- sich in einer fünfjährigen Regierungszeit vornimmt. standen und gesagt, wir geben zu viel Geld aus. Sie Wie die Kollegin schon sagte, haben wir verspro- müssen sich einmal entscheiden, was Sie denn nun chen und gehalten; wir haben geliefert. Nicht nur kritisieren wollen, dass wir zu viel Geld bereitstel- mit diesem Gesetz liefern wir jetzt weiterhin, son- len oder dass wir kein Geld bereitstellen. dern wir haben auch ganz viele andere Vorhaben, die wir im Koalitionsvertrag gemeinsam verabredet Lieber Kollege Sönnichsen, wenn ich Ihre Argu- haben, die wir gemeinsam tragen und als ein ge- mentation höre, es bedürfe keines Gesetzes, weil meinsames Projekt dieser Küstenkoalition verste- nur das geregelt werde, was ohnehin Standard sei, hen, vorangebracht und auch tatsächlich umgesetzt. dann muss ich sagen: Wenn ich der Kollegin Rath- je-Hoffmann gestern zugehört habe, hätten Sie mit (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD der Argumentation von Ihnen auch Ihr Gesetz zur und SSW) Regelung der Freien Wohlfahrtspflege nicht ein- Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich auch bringen dürfen. stolz auf das bin, was diese Küstenkoalition in den (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN letzten vier Jahren schon geschaffen hat. und SSW) Meine Damen und Herren, brauchen wir, nicht nur Als Letztes möchte ich sagen: Was ist denn Herr Sönnichsen, sondern brauchen wir alle, Bi- schlecht daran, im Koalitionsvertrag festgeschriebe- bliotheken? - Ja! Bibliotheken bewahren unser ne Projekte umzusetzen? Wir finden das richtig gut. kulturelles Erbe. Denken Sie nur an den Brand der Dann können wir nämlich sagen: Versprochen und Anna Amalia Bibliothek in Weimar, der einen im- gehalten. mensen, teils nicht mehr wiedergutzumachenden Schaden angerichtet hat. Dort sind nicht nur Bücher (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verbrannt, sondern dort sind das Wissen und das und SSW) Denken unserer Vorfahren vernichtet worden, Er- Wir sind uns darüber im Klaren, dass es vonseiten kenntnisse und Denktraditionen, auf denen wir bis der vielen Menschen in unserem Land, die sich für heute fußen und auf die sich unser Handeln bezieht ein Mehr an Kultur einsetzen, weiter gehende For- und begründet. Sicher ist dies ein besonderes Ereig- derungen gegeben hat. Wir werden darüber wie im- nis gewesen, aber es macht die Bedeutung von Bi- mer offen in der schriftlichen und sicherlich auch bliotheken bewusst. mündlichen Anhörung im Bildungsausschuss dis- (Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD]) kutieren und noch in diesem Jahr als fünftes Bun- desland in dieser Bundesrepublik das neue Gesetz Bibliotheken fördern demokratische Mitsprache. verabschieden. Sie bieten Zugang zu Information für jedermann und jedefrau. Sie führen schon Kinder dahin, sich Ich bitte um Überweisung in den Ausschuss und die Welt auch lesend zu erschließen. Und sie bieten danke für die Aufmerksamkeit. neben Büchern und Zeitschriften moderne Medien (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie Filme oder E-Books an ebenso wie die Mög- und SSW) lichkeit, sich mit dem Internet zu verbinden. Das Ganze geschieht nicht zum Nulltarif, aber doch zu Präsident Klaus Schlie: Preisen oder Gebühren, die sozial verträglich sind und damit niemanden ausschließen. Sie erfüllen da- Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE mit eine wichtige sozialpolitische Aufgabe; denn GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Marlies Frit- es ist eben keineswegs so, dass alle Menschen in zen. unserem Land den gleichen Zugang zu Bildung und Medien haben. 9388 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Marlies Fritzen)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD len, das im Verlauf der nächsten fünf Jahre auch und SSW) weiterhin so zu machen. Bibliotheken sind Treffpunkt, sehr häufig auch Ort (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD interkultureller Begegnung. Sie leisten damit gera- und SSW - Heiterkeit) de auch aktuell einen wichtigen Beitrag zur Integra- Das ist in der Tat bequemer, und da kann man die tion und Verständigung. Bibliotheken sind in die- reine Lehre vertreten. Aber man kann nicht kritisie- sem Kontext im besten Sinne existenzielle Grundla- ren, wenn man selber nichts tut. Sie haben an dieser ge für gesellschaftliche Teilhabe. Stelle keinen einzigen konstruktiven Vorschlag ge- Brauchen wir aber ein Bibliotheksgesetz? Die En- macht. Sie machen sich dazu nicht einmal die Mü- quete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des he. Deutschen Bundestages empfahl 2007 in ihrem Ab- Sie sagen aber, weniger sei mehr. Sie sagen, man schlussbericht den Ländern, den Bestand an Biblio- brauche so ein Gesetz gar nicht, weniger sei mehr. theken zu sichern, sie gar zur Pflichtaufgabe zu ma- Ich bin - wie Sie alle wissen - nicht die beste Rech- chen und Bibliotheksgesetze zu verabschieden. nerin, aber ich glaube, das geht schon mathematisch Die Initiative Bibliotheksgesetz für Schleswig- nicht auf. Mit dem Blick zurück zeigt sich: Holstein, mit der wir ja als kulturpolitische Spre- Schwarz-Gelb hat die Mittel für die Bibliotheken cherinnen und -sprecher alle zusammen mehrfach gekürzt, die Küstenkoalition hat sie erhöht. in Diskussionen waren, zu der sich der Schleswig- (Lebhafter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Holsteinische Landesverband des Deutschen Bi- NEN, SPD und SSW) bliotheksverbandes, die Landesgruppe des Berufs- verbands Information und Bibliothek, der Regional- Schwarz-Gelb ergeht sich in pauschaler Ablehnung verband Nordwest des Vereins Deutscher Biblio- von Verbesserungen, die Küstenkoalition kümmert thekarinnen und Bibliothekare, unsere Landesbi- sich, und auch das ist gut so. - Ich danke Ihnen. bliothek, die Stadtbibliothek Lübeck sowie die Bü- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD chereizentrale zusammengeschlossen haben, fordert und SSW) ein solches Gesetz und begrüßt ebenso wie der Bü- chereiverein den vorliegenden Entwurf. Präsident Klaus Schlie: (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Detlef Matthiessen [BÜNDNIS Meine Damen und Herren, bevor die Frau Abge- 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört!) ordnete Anita Klahn von der FDP-Fraktion das Wort erhält, gestatten Sie mir noch eine geschäfts- Mit dem Gesetz werden die rechtlichen Bestim- leitende Bemerkung. Ich nehme wahr, dass es ein mungen für das Bibliothekswesen zusammenge- großes Bedürfnis gibt, zu stehen und hin und her zu fasst. Es unterstreicht die Bedeutung von Bibliothe- gehen. Einer Rednerin aber die ganze Zeit über den ken im Land, es passt das Pflichtexemplarrecht an Rücken zuzuwenden, halte ich nicht für besonders die modernen Medien und die schleswig-holsteini- höflich. sche Bibliothekswirklichkeit an, und es sichert die Landesbibliothek als oberste Landesbehörde ab. (Anita Klahn [FDP]: Auch ein schöner Insgesamt also stärkt es die Bibliotheken im Land, Rücken kann entzücken! - Heiterkeit) und das ist auch gut so. - Ich kann nicht beurteilen, wie Sie den Rücken von Brauchen wir aber die Kritik der Opposition? Herrn Arp einschätzen. (Zuruf CDU: Ja! - Heiterkeit) (Anhaltende Heiterkeit - Hans-Jörn Arp [CDU]: Das hätte ich nun auch nicht gerade Im Grundsatz ja. Auch das würde man in einem erwähnt!) Handbuch über Parlamentarismus nachlesen kön- nen. Im Grundsatz also ja, weil die Opposition ja Ich wollte die Bemerkungen jetzt nicht noch weiter schließlich dazu da ist zu kritisieren. Aber, Herr ausufern lassen, und ich wollte auch nicht zu Ihrem Kollege Sönnichsen, Ihre Kritik ist nicht konstruk- Rücken Stellung nehmen, lieber Herr Kollege Steg- tiv. Sie hilft den Bibliotheken auch kein Stück wei- ner. ter. Sie können sich nicht damit herausreden zu sa- (Anita Klahn [FDP]: Gott sei Dank sagen Sie gen, diese Frage stelle sich ja für Sie auch nicht. Sie nichts zu meinem Rücken!) lehnen sich jetzt einmal bequem auf weichen Oppo- Sie haben das Wort, Frau Klahn. sitionsstühlen zurück. - Ich möchte Ihnen empfeh- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9389

Anita Klahn [FDP]: Gesetzentwurf gebe und dass Schleswig-Holstein das Beste von allen habe, ist kein großer Wurf. Vielen Dank. Nachdem wir das jetzt mit dem Rücken geklärt haben, lassen Sie mich Folgendes ausführen: Präsident Klaus Schlie: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Frau Abgeordnete Klahn, gestatten Sie eine Zwi- und Herren! Ich finde es spannend, dass sich Frau schenfrage oder Bemerkung der Abgeordneten Frit- Fritzen bereits an uns abarbeitet, obwohl wir noch zen? gar nicht geredet haben. Anita Klahn [FDP]: (Heiterkeit) Ja. Noch spannender finde ich es, dass Sie zu dem vor- liegenden Gesetzentwurf gar nichts gesagt haben, Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sondern sich eigentlich nur in der Vergangenheit NEN]: Frau Kollegin, Sie haben gerade dar- bewegt haben. auf hingewiesen, dass dieser Gesetzentwurf lediglich die Gefühlslage der koalitionstra- (Beifall FDP) genden Fraktionen hebe. Das ist richtig. Das Auch Frau Raudies, die von einer vornehmen Zu- habe ich gerade schon ausgeführt. Das sage rückhaltung spricht, lässt völlig außer Acht, dass es ich gern noch einmal. um die Finanzierung und das Thema Konnexität Wie erklären Sie sich aber, dass all die Ver- geht. Dazu würde ich gern Näheres sagen. bände, die dieses Gesetz gefordert haben - Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der 17. Wahl- die Stellungnahmen sind online und somit periode hat die SSW-Abgeordnete Anke Spooren- nachzulesen -, sehr wohl auf die Desiderata donk schon einmal einen Entwurf für ein Biblio- hinweisen, es aber begrüßen und sich da- theksgesetz in den Landtag eingebracht. Ich möch- durch in ihrer Arbeit ausgesprochen unter- te an dieser Stelle feststellen, dass der damalige stützt fühlen, Sie aber sagen, es werde nichts Entwurf deutlich mutiger war als das, was uns heu- geregelt? Haben sie das nicht gelesen oder te von Ihnen vorliegt. nicht verstanden, oder wie erklären Sie sich das? (Beifall FDP - Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP]) (Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jeder - Genau. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Mutig liest anders!) war er. Dass wir diesen Entwurf damals nicht unter- stützt haben, lag eindeutig an der Frage der Finan- - Genau. Jeder liest anders. zierung. Liebe Frau Fritzen, dann sollten Sie auch Gesprä- Beide Gesetzentwürfe haben eine ganz wichtige che führen und nicht nur das herauslesen, was Sie Gemeinsamkeit: Sie hadern schlicht und einfach herauslesen wollen. Natürlich wird auch darauf hin- mit der Konnexitätsverpflichtung, die in der Lan- gewiesen, was noch fehlt. Insbesondere geht es um desverfassung festgeschrieben ist. Die Bibliothe- die Konnexitätsfragen. ken und die beteiligten Fachverbände haben eine (Sandra Redmann [SPD]: Das stimmt doch ganz hohe Erwartungshaltung an das Bibliotheksge- gar nicht!) setz gehabt. Diese betraf auch die Klärung von Fi- nanzfragen. Das bleibt schlicht und einfach offen. Das blenden Sie aber schlicht und einfach aus. In- sofern lassen Sie uns im Ausschuss über den Ge- Der nun vorliegende Gesetzentwurf ist eine Ist-Be- setzentwurf sprechen. Wir werden uns gern mit schreibung. Mein Gott, dafür brauche ich aber kein konkreten Forderungen und Ideen einbringen. Dann Gesetz. Sie machen keinerlei Ausblick und treffen sollten aber auch die Beteiligten zu Wort kommen. keine verbindlichen Aussagen. Mit dem vorliegen- Entscheidend ist nicht nur das, was geschrieben ist den Gesetzentwurf geben Sie den Koalitionskolle- und was Sie hier partiell darstellen. gen also nur ein gutes kulturpolitisches Gefühl. In- haltlich bringen Sie aber niemanden voran, am al- All Ihr gesetzliches Bestreben zielt nur auf Ab- lerwenigsten die Bibliotheken selbst. Auch die Aus- sichtserklärungen und Handlungsanleitungen ab. sage, dass es in fünf Bundesländern ein Biblio- Sie geben in Ihrer Begründung selbst unumwunden theksgesetz beziehungsweise einen entsprechenden zu, dass mitunter „bewusst unbestimmte Rechtsbe- griffe verwendet“ wurden, „um den Bibliotheksträ- 9390 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Anita Klahn) gern Spielräume zu ermöglichen und keine zusätzli- Da das Land im Zweifel aus Gründen der Konnexi- chen Kosten zu verursachen“. tät nicht gewillt ist, die Ausgleichskosten zu tragen, ist dieser Passus kein Beitrag zur Qualitätssiche- Ich sage es ganz deutlich: Wer den Bibliotheksträ- rung, sondern ein Beitrag zur Kostenvermeidung gern Spielräume geben will, der muss das nicht ex- für das Land. tra in ein Gesetz schreiben. Der kann den Trägern einfach Spielräume überlassen und auf entsprechen- Ich halte den Gesetzentwurf in dieser Form für de Vorgaben im Gesetz verzichten. vollkommen überflüssig, weil er etwas regeln will, was er selbst nicht regeln kann, wenn das Land Den Hinweis in der Gesetzesbegründung, der auf nicht bereit ist, für den Konnexitätsausgleich Geld die Fahrbibliotheken abstellt, können Sie sich in in die Hand zu nehmen. Aus diesem Grunde sehen Ihr Bürokratie-Poesiealbum eintragen. Hier erklärt wir den vorliegenden Gesetzentwurf mehr als kri- die Landesregierung, dass allein die Erwähnung der tisch. Wir freuen uns daher auf die Beratung im Fahrbibliotheken im Gesetzestext „deren besondere Ausschuss und sind gespannt, was dabei heraus- Bedeutung gerade für den ländlichen Raum bestär- kommt. Dass es die Ministerin besser kann, das be- ken“ soll. weist sie mit den Ziel- und Leistungsvereinbarun- Frau Ministerin, das ist etwas weltfremd. Entweder gen mit der Dänischen Zentralbibliothek. In diesem das Geld ist da, um Fahrbibliotheken unterhalten zu Fall haben Sie sehr deutlich festgeschrieben, was können, oder das Geld ist nicht da. Bei Letzterem Sie für 172.000 € erwarten. - Vielen Dank. ist es ziemlich egal, ob die Fahrbibliotheken im Ge- (Beifall FDP und vereinzelt CDU) setzestext stehen oder nicht. Ich habe als Kommunalpolitikerin im Kreis Stor- Präsident Klaus Schlie: marn die Diskussion um den Erhalt der Fahrbüche- rei miterlebt. Es ist nur aufgrund der Hilfe eines Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat der privaten Fördervereins möglich gewesen, dies zu Abgeordnete Sven Krumbeck. schaffen. Diesem Förderverein gehöre ich im Übri- (Zurufe) gen an. - Nun hat der Abgeordnete Sven Krumbeck das Es ist bemerkenswert, dass Sie die Illusion auf- Wort. Falls Sie einen Dreiminutenbeitrag abgeben rechterhalten wollen, dass Ihr Gesetz in irgendeiner wollen, dürfen Sie sich gern melden. Form Abhilfe schaffen kann. Ich sage: Das kann es nicht. Sven Krumbeck [PIRATEN]: Meine Damen und Herren, den Höhepunkt der kul- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen turpolitischen Vorspiegelung erleben wir im Ge- und Kollegen! setzestext unter § 3 Absatz 2, in dem es um die Fachkräfte geht. Hier heißt es unter Rückgriff auf „Bibliotheken sind ein wichtiger Teil unseres eine Soll-Vorschrift: ganz alltäglichen Lebens. Sie sind da, und häufig macht erst ihr Verlust deutlich, wel- „Öffentliche Bibliotheken sollen hauptamt- chen Wert sie haben, so zum Beispiel bei lich von bibliothekarischen Fachkräften ge- dem Brand der Anna Amalia Bibliothek in führt werden.“ Weimar. Bibliotheken müssen daher sowohl In der Begründung zu diesem Punkt steht dann strukturell als auch finanziell abgesichert aber: werden. Es darf also keine Frage der Belie- bigkeit oder der haushaltspolitischen Schwer- „Absatz 2 sichert durch hauptamtliche biblio- punktsetzung sein, ob es Bibliotheken gibt thekarische Fachkräfte … kompetenten Ser- oder nicht. Bibliotheken erfordern den Ein- vice wie beispielsweise Beratung.“ satz von uns allen, um auch in Zukunft zu Diese Begründung ist zumindest irreführend. Denn bestehen.“ im Zweifel könnte sich der jeweilige Träger immer (Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD, BÜND- darauf berufen, dass mangelnde finanzielle Mög- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) lichkeiten den Einsatz von entsprechenden Fach- kräften verhindern. Oder Öffnungszeiten müssen Super. Ich hätte mir an dieser Stelle ein bisschen drastisch reduziert werden, weil das Fachpersonal mehr Applaus gewünscht, zumindest von den Kol- nicht bereitgestellt werden kann. legen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9391

(Sven Krumbeck)

(Beifall PIRATEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE Mit dem Gönnen ist es aber wie mit dem Träumen: GRÜNEN und SSW) Es bleibt sehr persönlich. Ich stelle fest, man hat die Worte wiedererkannt. Für das Land müssen wir sagen: Dieser Gesetzent- Diese Worte stammen nämlich aus der Pressemit- wurf tut wenig und bewegt leider noch weniger. teilung der Kollegin Anke Spoorendonk vom 8. Juli Weder richtig gut noch richtig schlecht ist er. Da 2010. Dies war die Presseinformation zu ihrem aber die Betroffenen sagen, dass sie lieber mit ei- Wortbeitrag zur Begründung eines SSW-Gesetzent- nem kleinen Gesetzentwurf als ganz ohne dastehen wurfs, nach dem die Unterhaltung von öffentlichen wollen, werden wir dem aller Voraussicht nach in Bibliotheken in Kreisen und Gemeinden zur der Beratung im Bildungsausschuss nicht im Wege Pflichtaufgabe gemacht werden sollte. Dem Land, stehen. den Kreisen und den Kommunen sollte die Unter- (Beifall PIRATEN) haltung einer bibliothekarischen Grundversorgung auferlegt werden. Präsident Klaus Schlie: Damit wir uns nicht falsch verstehen: Nichts von dem, was Anke Spoorendonk vor sechs Jahren ge- Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat Frau fordert hat, ist in der Sache falsch. Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering. (Vereinzelter Beifall PIRATEN, SPD, Jette Waldinger-Thiering [SSW]: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Das zeigt aber, dass es viel einfacher ist, aus der Damen und Herren! 2010 legten wir als SSW- Oppositionsrolle heraus viel zu fordern, als in Re- Landtagsfraktion einen Gesetzentwurf vor, der die gierungsverantwortung etwas umzusetzen. Bibliotheken des Landes unterstützen sollte. Die (Zurufe SPD) Finanzkrise hatte in vielen Kommunen zu erhebli- chen Sparanstrengungen geführt, die auch die Bi- - Mit Regierungsverantwortung haben wir noch bliotheken betrafen. Damit rückte ein Ausverkauf nicht so viel Erfahrung. Wenn Sie das anprangern, dieser zentralen Bildungs- und Kulturinstitutionen können auch wir das anprangern. in greifbare Nähe. Damals wie heute ist unser An- (Beifall Uli König [PIRATEN] und Torge trieb die Sicherung und Weiterentwicklung der Ein- Schmidt [PIRATEN]) richtungen. Daran hat sich auch heute nichts geän- dert. Da das Bibliothekswesen eine Art Markenkern des SSW ist, lohnt sich ein Blick in den Koalitionsver- Die Argumente von damals haben ihre Aktualität trag: und Bedeutung nicht verloren. Bibliotheken dienen der allgemeinen, kulturellen, wissenschaftlichen „Wenn es um die Vermittlung von Bildung und schulischen Bildung, der Bewahrung des kultu- und Kultur geht, spielen die Bibliotheken ei- rellen Erbes, der Unterhaltung sowie der Verwirkli- ne herausragende Rolle. Die Landesregie- chung des Rechts auf Zugang zu Informationen und rung wird deshalb in der ersten Hälfte der Wissen. Wer schon einmal die Internetplätze der Legislaturperiode einen Entwurf eines Bi- Bibliotheken genutzt hat, weiß, dass für viele bliotheksgesetzes einbringen, mit dem die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holstei- Förderung der Büchereien und wissenschaft- ner die kommunalen Bibliotheken den einzigen lichen Bibliotheken im Land und deren Ar- kostenfreien Zugang zum Internet bieten. Das gilt beit erstmals auf eine eigenständige, solide in jüngster Zeit besonders für die Geflüchteten, die Grundlage gestellt wird.“ ohne den Internetzugang keinen Kontakt in die Hei- Über den Zeitpunkt wollen wir uns jetzt nicht strei- mat aufrechterhalten können. Bibliotheken sind In- ten. Die Kulturministerin hatte genug mit den ge- stitutionen, die zu einer Gemeinde gehören wie das platzten Plänen zum Theaterneubau in Schleswig Rathaus und die Schule. Es geht nicht ohne sie. und der Neulandhalle zu tun. Was jetzt aber als Bi- Darum genießen die Bibliotheken neben den Volks- bliotheksgesetz vorgelegt wird, ist leider dünn. hochschulen in Schleswig-Holstein Verfassungs- rang: In Artikel 13 ist festgelegt, dass das Büche- (Dr. Heiner Garg [FDP]: Schlank!) reiwesen Aufgabe des Landes, der Gemeinden und Der Status quo soll jetzt festgeschrieben werden. der Gemeindeverbände ist. Tatsächlich hätte ich der Kulturministerin noch einen größeren Wurf aus eigener Kraft gegönnt. 9392 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Jette Waldinger-Thiering)

Das Bibliothekswesen wird im Land übergreifend Dokumente in einem klimagesicherten Raum mög- vom Büchereiverein geleitet. Dafür erhält er finan- lich, wie es schon seit Längerem auch in Alkersum zielle Mittel aus dem Finanzausgleichsgesetz. Von der Fall ist. daher ist es auch folgerichtig, dass der gesetzliche Beide Bibliotheken bieten Interessierten darüber Rahmen nun von der Landesregierung vorgelegt hinaus den Zugang zu Archivalien und Medien. wird. So sieht echte Umsetzung aus. Darum war es konsequent, diese Bibliotheken als Zudem hat das Land seine finanzielle Verpflichtung wissenschaftliche Bibliotheken ausdrücklich im anerkannt, indem es Geld für Projekte der Digitali- Gesetz zu berücksichtigen. sierung in den Bibliotheken bereitgestellt hat, ins- (Beifall SSW, vereinzelt SPD und BÜND- gesamt 430.000 €. Wir werden den weiteren Fi- NIS 90/DIE GRÜNEN) nanzbedarf der Bibliotheken vor allem im Bereich der Folgekosten der zunehmenden Digitalisierung Das Bibliotheksgesetz ist dem SSW ein Herzensan- im Auge behalten. Nach dem großen Erfolg der so- liegen. Wir wollen mit dem Entwurf für die Biblio- genannten onleihe ZWISCHEN DEN MEEREN theken als Kulturstätte werben, die jedem Mann zeigt sich, dass immer mehr Nutzer ihre Medien on- und jeder Frau offensteht. Das Gesetz trägt dazu line anfordern und nutzen. Digitalisierung ist nicht bei, die Bibliotheken zukunftsfest zu machen. Die kostenfrei. Bibliotheken sind das Gedächtnis der Menschheit, sie sind die Brücken aus der Vergangenheit in die Der Büchereiverein ist eine Institution, die das Bü- Zukunft. Sie sind Grundlage und Instrumente der chereiwesen in Schleswig-Holstein einzigartig wissenschaftlichen Forschung sowie der berufli- macht. Seine Arbeit kann man gar nicht überschät- chen und allgemeinen Bildung. zen. Seine 130 Mitglieder sind durch die Gremien- arbeit im Verein so gut vernetzt, sodass schneller Ich bitte genauso wie meine Vorredner Beate Rau- als in anderen Bundesländern Erfahrungen weiter- dies und Marlies Fritzen, dass der Gesetzentwurf gegeben werden können und sich Erfolgsmodelle der Landesregierung, vorgetragen durch unsere durchsetzen. Kulturministerin Anke Spoorendonk, an den Bil- dungsausschuss überwiesen wird, damit wir dort (Beifall SSW, vereinzelt SPD und BÜND- das weitere Verfahren besprechen - eine schriftliche NIS 90/DIE GRÜNEN) und eine mündliche Anhörung. Genauso wie jedes Historisch ist der Büchereiverein vor fast hundert andere Gesetz wird auch dieses Gesetz behandelt. Jahren in Flensburg aus der Nähe zur vorbildlichen So ist es, Frau Klahn. dänischen Bibliotheksarbeit erwachsen, die zeigte, Ich möchte eines sagen: Wenn wir dieses Gesetz dass Bibliotheken eben keine Bücherhallen sind, umgesetzt bekommen - und das tun wir dieses sondern kulturelle Zentren der Erwachsenbildung. Jahr -, dann ist es so, dass es auch in den Bibliothe- Dass die Bibliotheken in Schleswig-Holstein fast ken, die durch den Büchereiverein gefördert wer- genauso lange als Bildungseinrichtungen arbeiten den, Öffnungszeiten gibt. Das muss eine Projektbe- können, wurde durch diese Impulse überhaupt er- schreibung sein. Sie haben vorhin gesagt, die Mini- möglicht. Aber auch die friesische Minderheit hat sterin könne es besser, für die dänische Bibliothek mit ihren Bibliotheken in Bredstedt und Alkersum habe sie es reingeschrieben. Für die anderen Biblio- wichtige Impulse gegeben, theken in Schleswig-Holstein regelt das der Büche- (Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE reiverein. Deshalb sind unter anderem auch die Öff- GRÜNEN] und Lars Harms [SSW]) nungszeiten drin, weil Sie ansonsten nachher wie- der hier stehen und fragen würden: Wieso konnte indem sie zunächst im Alleingang friesische Medi- der Büchereiverein meiner Bibliothek Geld auszah- en erfasst hat und öffentlich zugänglich machte. len, obwohl wir gar keine Öffnungszeiten haben Die dortigen Archive bewahren das kulturelle Er- oder andere Dinge, damit die Menschen kommen be der Minderheit in absolut vorbildlicher Weise und sich Bücher leihen oder das Internet gebrau- und ergänzen das Angebot der Slesvigske Samling chen können? in Flensburg, die über 50.000 Medien umfasst. Mit der Forschungsabteilung der Dansk Centralbiblio- (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE tek werden nicht nur viele persönliche Nachlässe GRÜNEN) aus den Reihen der Minderheit verwahrt, sondern auch digital erschlossen. Das ist absolut vorbildlich. Mit dem im Dezember eröffneten Anbau des Nord- friisk Instituuts ist die Lagerung der empfindlichen Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9393

Präsident Klaus Schlie: lungsfähigkeit und Respekt gegenüber der Polizei zu stärken. Da haben Sie gestern endlich die Kurve Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich gekriegt, und das erkenne ich ausdrücklich an. schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 18/3800 dem Bildungs- Beide notwendigen Maßnahmen, das Eintreten für ausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, Respekt und Gewaltlosigkeit und die personelle den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist ein- Verstärkung, brauchen aber Zeit. Diese Zeit haben stimmig so beschlossen. wir nicht, wenn wir erfahren, dass 2015 fast 1.100 Gewaltdelikte gegenüber 2.000 Polizeibeam- Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf: tinnen und Polizeibeamten in Schleswig-Holstein begangen wurden. 355 Beamte wurden durch Ge- Body-Cams unverzüglich einsetzen walttaten verletzt, sieben von ihnen schwer. Das heißt, jeden Tag wird statistisch gesehen eine Be- Antrag der Fraktion der CDU amtin oder ein Beamter unserer Landespolizei als Drucksache 18/3849 Opfer von Gewalt verletzt. Die CDU hat diese Situation mit einer neuen Rege- Überwachungskameras verhindern keine Ge- lung zum Schmerzensgeld aufgegriffen, die wurde walt gegen Polizeibeamte umgesetzt. Präventiv kann der Einsatz von Body- Cams als deeskalierendes Einsatzelement hier sehr Änderungsantrag der Fraktion der PIRATEN kurzfristig die Lage verbessern. Drucksache 18/3885 Andere Bundesländer wie zum Beispiel Hessen ha- Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht, ben die Technologie bereits erprobt, und die Erfah- wie ich sehe. Deswegen eröffne ich die Aussprache rungen dort legen es nahe, auch unserer Landespo- und erteile zunächst Herrn Abgeordneten Dr. Axel lizei dieses Instrument an die Hand zu geben. Bei Bernstein das Wort. dem Modellversuch in Hessen gingen Wider- standshandlungen gegenüber den mit Body-Cams Dr. Axel Bernstein [CDU]: ausgrüsteten Beamtinnen und Beamten um 37,5 % zurück. Die eingesetzten Beamtinnen und Beamten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nehmen eine deutlich gestiegene Kooperationsbe- Gewalt gegen Polizeibeamte hat inzwischen eine reitschaft ihrer Problemklientel wahr. Spontane So- nicht zu akzeptierende Dimension angenommen. lidarisierungseffekte mit Gewalttätern unterblieben Die Berichte über Gewalt gegenüber Repräsentan- vollständig. Der Bericht führt weiter aus: ten der Staatsgewalt, aber auch gegenüber Feuer- wehrleuten oder Rettungskräften belegen dies in ei- „So dient die Body-Cam nicht nur der Ver- ner erschreckenden Weise. Dieser um sich greifen- hütung von Angriffen auf Beamtinnen und den Respektlosigkeit und Gewaltbereitschaft kann Beamte durch die abschreckende Wirkung man sicherlich nicht allein mit Technologie und der offenen Bildbeobachtung. Vielmehr er- Schutzausrüstung begegnen. Respekt und Gewalt- gänzt sie dieses Element um die präventive verzicht kann man nicht erzwingen und nicht ver- Beweismittelsicherung, die Beamte entlastet, ordnen. Das ist eine Frage von Erziehung, von Bil- welche von unberechtigten Strafanzeigen be- dung, aber auch von den so oft gescholtenen altmo- ziehungsweise Beschwerden betroffen sind.“ dischen Tugenden. Aber es ist auch eine Frage der Nun kann man die Gegebenheiten in Hessen sicher Haltung der Politik, die diesen Respekt aktiv ein- nicht ohne Weiteres auf Schleswig-Holstein über- fordern muss. tragen. Inzwischen arbeiten aber auch die Bundes- Die kürzlich präsentierte Dunkelfeldstudie macht polizei, die Polizei in Hamburg, in Rheinland-Pfalz, deutlich, dass das Vertrauen in die Polizei und ihre in Bayern, in , in Berlin mit Pilotprojekten Handlungsfähigkeit - Gott sei Dank noch auf ho- zur Body-Cam. Wir sind der Überzeugung, dass hem Niveau, aber - abnimmt. Selbstverständlich ist auch unsere Polizistinnen und Polizisten diesen zu- es vor diesem Hintergrund erforderlich, einen Auf- sätzlichen Schutz verdient haben. Deshalb wollen wuchs unserer Landespolizei nachhaltig zu organi- wir auch ein Modellprojekt auch für Schleswig- sieren. Holstein. Wer monatelang den Eindruck erweckt, einer ohne- (Beifall CDU) hin überlasteten Polizei könne man noch Kräfte ab- ziehen, trägt nicht dazu bei, Vertrauen in die Hand- 9394 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Dr. Axel Bernstein)

Herr Innenminister, ich habe in dem Perspektivpa- schen? Wie werden Unbeteiligte benachrichtigt? pier, das Sie vorgelegt haben, mit Freude gelesen, Und so weiter. dass Sie den Einsatz von Mini-Schulterkameras (Beifall Uli König [PIRATEN]) grundsätzlich positiv bewerten. Was Sie aber kon- kret planen, sagen Sie nicht. Im Zweifelsfall tragen Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, eine Body- wir Sie auch an dieser Stelle gern zum Jagen. Cam ist ein weitreichender Eingriff in die informa- tionelle Selbstbestimmung auch von Unbeteiligten. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag, Deshalb stellt sich zunächst die Frage nach der Ge- auch vor dem Hintergrund, dass rechtliche Vorar- eignetheit. beiten erforderlich sein werden, die Zeit brauchen, bis ein solches Modellprojekt beginnen kann. Dann (Beifall PIRATEN) ist jetzt der richtige Zeitpunkt, in die Beratungen Die Body-Cam soll deeskalierend auf das polizeili- einzusteigen. Ich bitte um Zustimmung. che Gegenüber wirken - gleich klatschen Sie wahr- (Beifall CDU) scheinlich nicht mehr - und damit die Zahl der Wi- derstandshandlungen und Angriffe auf Polizeibe- Präsident Klaus Schlie: amte reduzieren. Ja, wir benehmen uns anders, wenn wir gefilmt werden. Diese Wirkung ist aus- Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Kai drücklich erwünscht, und die Auswertung der Mo- Dolgner das Wort. dellversuche zeigt, dass zumindest in kriminalgeo- graphischen Schwerpunkten der erhebliche Mehr- Dr. Kai Dolgner [SPD]: aufwand den Nutzen rechtfertigen könnte. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Kollegen der CDU scheint die Sache damit Kleine Anmerkung zum Kollegen Dr. Bernstein: erledigt zu sein. Es ist geeignet, Gewalt gegen Po- „Man braucht noch rechtliche Vorbereitungen“ und lizeibeamte zu reduzieren, also machen wir es un- „unverzüglich“ beißen sich ein wenig. „Unverzüg- verzüglich; Ende der Durchsage. - Ich bin ja froh, lich“ bedeutet, man macht es sofort und kümmert dass Sie einmal etwas Geeignetes vorschlagen; häu- sich dann um die rechtlichen Vorbereitungen. Das figer schlagen Sie ja etwas Ungeeignetes vor, was können Sie als Rechtsstaatspartei nicht gemeint ha- sich nur gut anhört. ben. (Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS Spätestens seitdem in den USA Body-Cams eine 90/DIE GRÜNEN) weite Verbreitung gefunden haben, wird über ihren Einsatz unter vielen Aspekten diskutiert. Übrigens Ja, die Eignung ist ein notwendiges, aber kein hin- ist uns darüber auch schon im Innen- und Rechts- reichendes Kriterium. Da wir in Deutschland im ausschuss berichtet worden. Es gibt diverse Mo- Gegensatz zu den Vereinigten Staaten erheblich hö- dellversuche in verschiedenen - übrigens meist rot- here Datenschutzanforderungen haben, wäre es mit grün regierten - Bundesländern, und die Modellver- dem Minimierungsgebot des Eingriffs schlecht ver- suche laufen zum Teil noch, aus gutem Grund. einbar, wenn jeder Polizeibeamte 24 Stunden lang überall eine Kamera laufen hätte - von den Belas- Als Opposition kann man es sich natürlich einfach tungen für die Körperausrüstung einmal ganz zu machen, schnell den unverzüglichen Einsatz for- schweigen. dern - das haben wir gerade gehört - und sich da- nach mit den zu klärenden Fragen etwas tiefer be- Auch die Angemessenheit muss gegeben sein. Was schäftigen. Wer aber in die entsprechenden Berich- in öffentlichen Räumen bei entsprechender Schwer- te unter anderem der Arbeitsgruppe der Innenminis- punktsetzung angemessen sein kann, dürfte bei Ein- terkonferenz guckt, der stellt fest, dass in den unter- sätzen in Privatwohnungen - was in Hessen gefor- schiedlichen Pilotversuchen verschiedene Frage- dert wird -, die für Polizeibeamte auch hochgefähr- stellungen geklärt werden. Beim Einsatz von Body- lich sein können, häufig gefährlicher als im öffent- Cams müssen folgende Fragen beantwortet werden: lichen Raum, nicht zulässig sein. Wer filmt? Wie erkennen das Gegenüber und Un- Neben der direkten Videoaufnahme wird auch beteiligte, dass sie gefilmt werden? An welchen Or- über Vorlaufschleifen und Audioaufnahmen disku- ten soll sie eingesetzt werden? Zu welchen Anläs- tiert. Richtig ist, dass nur, wenn dauerhaft festge- sen? Mit Ton? Die ganze Zeit? Mit oder ohne Vor- halten werden kann, wie es überhaupt zu der Situa- laufschleife? Wer hat Lesezugriff? Wer darf lö- tion gekommen ist, und zur Beurteilung des Ver- laufs nicht nur ein Stummfilm zur Verfügung steht, Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9395

(Dr. Kai Dolgner) die Aufnahmen zur Aufklärung sinnvoll beitragen Dr. Kai Dolgner [SPD]: können. Ich bin beim letzten Satz. - Dann können wir uns Ich jedenfalls habe noch Zweifel, ob eine zusätzli- gemeinsam darüber unterhalten, was wir an rechtli- che Tonaufnahme so stark zusätzlich deeskalie- chen Grundlagen ändern müssen. Das können wir rend wirkt, zur Videoaufnahme, dass sich ihr Ein- allerdings erst dann wissen, wenn wir wissen, wie satz allein aus der Eigensicherung, also aus der Ge- wir die Body-Cam überhaupt einsetzen wollen. - fahrenabwehr rechtfertigen würde. Dann würden Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. wir aber die bestehenden Ermächtigungsgrundlagen (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Gefahrenabwehr verlassen und uns auf das Ge- und SSW) biet der Beweissicherung begeben. Das stellt sich die Frage, wieweit der Landesgesetzgeber über- haupt gehen kann und darf. Präsident Klaus Schlie: Um es zum Schluss deutlich zu sagen: Meine Frak- Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat tion spricht sich grundsätzlich für den Einsatz von der Abgeordnete Burkhard Peters das Wort. Body-Cams aus, auch wenn wir sie nicht für ein Allheilmittel halten. So dürften sich zum Beispiel Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Betrunkene kaum beeindrucken lassen. Aber die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Abwägung, welche Eingriffe in die Persönlichkeits- und Kollegen! Vor allen Dingen lieber Kollege rechte für welchen polizeilichen Nutzen, insbeson- Dr. Bernstein! Wir Grüne stehen den Body-Cams dere die Eigensicherung, gerechtfertigt sind, sollten kritisch, aber durchaus nicht ablehnend gegenüber. wir als Parlamentarier selbst treffen. Ich halte es eher mit den Worten meines geschätz- Als selbstbewusste Parlamentarier sollten wir im ten Kollegen Dr. Tietze: „Erst grübeln, dann dü- Ausschuss intensiv darüber diskutieren, auch über beln“. die unterschiedlichen Ergebnisse der Modellversu- (Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ che, auch über die Fragen, die ich eben aufgewor- DIE GRÜNEN]) fen habe - außer jemand kann sie schon abschlie- ßend beantworten. Der Kollege Breyer wird es Dazu gehört die Feststellung, dass der bundesweite wahrscheinlich können, weil er Videoaufnahmen Probeeinsatz von Body-Cams bei der Bundespolizei grundsätzlich schädlich findet. Ich schätze, alle an- auf Bahnhöfen in Hamburg bis München erst in deren werden wahrscheinlich keine so klare Ant- diesem Jahr anfängt. Die Landespolizei Hessen hat wort finden können bei der unterschiedlichen Lage. die erste Testphase bereits 2014 abgeschlossen und Eine Body-Cam ist nicht eine Body-Cam, auch befindet sich zurzeit in der zweiten Erprobungsrun- wenn sich das beim Antrag der CDU erst einmal so de. Hamburg testet seit Juni 2015 im Revier der anhört. Davidwache. Reinland-Pfalz erprobt Body-Cams seit Juli 2015 in zwei Einsatzgebieten in Mainz und Zum Änderungsantrag der Kollegen der PIRATEN Koblenz. Die Länder Bayern und Baden-Württem- muss ich sagen: Auch Sie scheinen sich nicht einig berg ziehen in diesem Jahr nach, und zwar an aus- zu sein. Der Erste, der Body-Cams in den Aus- gesuchten Brennpunktorten in sogenannten Feier- schussberatungen ins Spiel gebracht hat, war Mitte meilen und Weggehvierteln, in denen es aufgrund 2014 der Kollege Dudda, der dieses Instrument hoher Alkoholisierung häufig zu Schlägereien beim Thema Polizeigewalt vorgeschlagen hat. Dar- kommt. an können Sie sehen, dass man unterschiedlicher Auffassung sein kann, wie immer bei diesen Fra- Liebe CDU, warum wir angesichts dieser Fülle von gen. Auf der einen Seite habe ich einen Nutzen, auf laufenden Pilotprojekten, bei denen die unter- der anderen Seite habe ich einen Eingriff in Rechte, schiedlichsten technischen Systeme, Einsatzszena- auch von Unbeteiligten. Das sollten wir vernünftig rien und Zweckbestimmungen für Body-Cams er- abwägen. Wir müssen auch nicht dauernd Modell- probt und anschließend evaluiert werden, ausge- versuche machen, wir können auch einfach die Er- rechnet in Schleswig-Holstein „unverzüglich“ mit gebnisse von laufenden Modellversuchen abwarten. dem Einsatz von Body-Cams beginnen sollen, kön- nen Sie keinem vernünftigen Menschen erklären. Präsident Klaus Schlie: (Beifall PIRATEN) Herr Abgeordneter! Denn wir haben in Schleswig-Holstein grundsätz- lich keine besonderen Lagen oder Einsatzorte, die 9396 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Burkhard Peters) sich von den Situationen in den erwähnten Bundes- darstellen, sind die damit verbundenen Rechtsfra- ländern maßgeblich unterscheiden. gen sehr intensiv und unter Einbeziehung der Da- tenschutzbehörden zu prüfen. Das geschieht bereits Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Bernstein, das Ein- bei der Bundespolizei und in fünf Bundesländern. zige, was Sie treibt, ist wieder einmal, Ihre famose Wir sind in Schleswig-Holstein klug beraten, die in Schneidigkeit im Bereich der inneren Sicherheit un- den anderen Ländern gewonnenen Erfahrungen und ter Beweis zu stellen, allerdings auch in diesem Fall Erkenntnisse abzuwarten, auszuwerten und uns die ohne Sinn und Verstand. Übertragbarkeit auf die hiesigen Verhältnisse und Der sofortige flächendeckende Einsatz von Body- Erforderlichkeiten genau anzuschauen. Ich gehe da- Cams in Schleswig-Holstein verbietet sich ange- von aus, dass das Projekt Body-Cams laufend von sichts der vielen noch offenen Fragen, zum Beispiel Innenministerkonferenz und Landespolizeibehörde im Zusammenhang mit dem Datenschutz. begleitet und verfolgt wird. Genaueres werden wir Wo darf das System zum Einsatz kommen? Nur im dann im Innen- und Rechtsausschuss beraten und öffentlichen Raum oder auch im Privatbereich, erfahren. - Vielen Dank. wenn zum Beispiel gewalttätige Ehemänner der (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD Wohnung verwiesen werden? Das sind ja häufig und SSW) sehr gefahrenträchtige Situationen. Dient das Sys- tem nur der Eigensicherung oder auch der Gefah- Vizepräsident Bernd Heinemann: renabwehr oder der Beweissicherung in einem Strafverfahren? Sollen nur Bildaufnahmen oder Für die FDP-Fraktion hat der Herr Abgeordnete auch Tonaufnahmen gefertigt werden? Wie sind die Dr. Ekkehard Klug das Wort. Löschungsfristen? Wer trifft die Löschungsent- scheidung? Wie ist die nachträgliche Unveränder- Dr. Ekkehard Klug [FDP]: lichkeit der Dokumentation gewährleistet? Sollen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der An- auch die von der Aufnahme betroffenen Bürger und trag der CDU bezieht sich auf einen Modellver- Bürgerinnen Zugriff auf die Dokumentation haben? such, der vor zwei Jahren in Hessen ausgewertet Das alles sind äußerst wichtige und vor allem noch worden ist. Die dort erhobene Behauptung, durch völlig ungeklärte Fragen im Zusammenhang mit den Einsatz von Body-Cams seien gewaltsame dem Einsatz von Body-Cams. Ihnen, Herr Übergriffe auf Polizeibeamte um 37 % zurückge- Dr. Bernstein, ist das des knalligen Effekts wegen gangen, klingt bombastisch, ist aber bei näherem aber offenkundig völlig egal. Sie wollen gleich los- Hinsehen ziemlich fragwürdig. Der Befund bezieht legen. Vor einem Einsatz in Schleswig-Holstein sich nämlich auf die stolze Zahl von 14 Fällen. Für brauchen wir aber eine genaue Analyse, an wel- jeden, der etwas von Statistik versteht, ist die Ab- chen Orten und bei welchen Einsätzen es in der leitung genereller Schlussfolgerungen angesichts Vergangenheit besonders häufig zu Gewalt gegen dieser Zahl geradezu lächerlich. Polizeikräfte gekommen ist. Angesichts der nicht (Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]) unerheblichen Kosten der auf dem Markt befindli- chen Systeme - 20.000 € für vier Stück allein in Hinzu kommt: Während der Versuchsphase in Hamburg - wäre es völlig abwegig, alle Streifenbe- Frankfurt am Main sind die hessischen Polizeibe- amtinnen und -beamten auf dem platten Lande mit amten immer zu dritt statt im Zweierteam unter- einer solchen Anlage auszustatten. wegs gewesen, wie sonst allgemein üblich. (Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ (Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]) DIE GRÜNEN] und Uli König [PIRATEN]) Mit anderen Worten: Ob nicht die allein um 50 % Wir Grünen können dieser Technik nahetreten, erhöhte Mannstärke potenzielle Angreifer abge- wenn sie im konkreten Einsatzgeschehen im öffent- schreckt hat und, in welchem Umfang auch immer, lichen Raum tatsächlich eine Deeskalationswir- zum genannten Rückgang beigetragen hat, lässt kung hat. Jeder verhinderte gewalttätige Angriff sich im Nachhinein überhaupt nicht mehr feststel- auf Polizistinnen und Polizisten ist zu begrüßen. len. Die bisherigen Erfahrungen in Hessen legen dies (Beifall Anita Klahn [FDP] und Dr. Patrick nahe. Das bedarf aber genauerer Überprüfung. Breyer [PIRATEN]) Da Videoaufnahmen aber unbestreitbar einen Ein- griff in die informationelle Selbstbestimmung Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9397

(Dr. Ekkehard Klug)

Angesichts total misslungener Versuchsbedingun- licherweise einige Schlussfolgerungen gezogen gen kann man aus diesen hessischen Untersuchun- worden, die wir so nicht teilen können. Wenn Sie gen wirklich gar nichts ableiten. Videoüberwachung durch die Polizei generell ab- lehnen, frage ich mich, warum uns gerade der Kol- (Beifall FDP und Dr. Patrick Breyer [PIRA- lege Breyer kürzlich in einer Sitzung des Innenaus- TEN]) schusses die von dritter Seite angefertigte Vi- Dass andere Bundesländer hier nun auch Pilotver- deoaufzeichnung eines strittigen Polizeieinsatzes in suche gestartet haben, ist vorhin schon genannt Flensburg vorgeführt hat. worden. Auf jeden Fall ist die Aussagekraft der Bei den PIRATEN ist das so: Wenn die Polizei Vi- hessischen Untersuchungen, die die CDU in der deoüberwachung in irgendeiner vielleicht sinnvol- Antragsbegründung ganz prominent heraushebt, len Weise macht, ist das etwas ganz Schlimmes und eher bei null anzusetzen. Böses. Wenn aber von dritter Seite Videoaufzeich- (Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]) nungen Wenn man darüber diskutiert, wann und unter wel- (Wortmeldung Lars Harms [SSW]) chen Bedingungen der Einsatz von Body-Cams - ich komme gleich dazu, Herr Kollege Harms - an- vielleicht zulässig, machbar und sinnvoll ist, dann gefertigt werden, die tatsächliche oder vermeintli- sollte das auf einer soliden Grundlage geschehen che Polizeiübergriffe aufdecken, dann ist das etwas und nicht aus blauem Dunst heraus. ganz Tolles und Wunderbares, und Sie begrüßen (Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das nach Kräften. Das ist eine Form politischer und SSW) Schizophrenie bei den PIRATEN, die ich nicht Die derzeitige Ausgestaltung des Einsatzes polizei- nachvollziehen kann. licher Body-Cams lässt mit Blick auf das Grund- (Beifall FDP) recht auf informationelle Selbstbestimmung er- hebliche Zweifel aufkommen, ob ein solcher Ein- Vizepräsident Bernd Heinemann: satz verfassungskonform wäre. Hierzu sind insbe- sondere Fragen nach der hinlänglichen Bestimmt- Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfra- heit der Ermächtigungsgrundlage sowie Fragen der ge oder -bemerkung des Abgeordneten Harms? Verhältnismäßigkeit solcher Einsätze zu prüfen. Es geht also um notwendige verfahrensrechtliche Kon- Dr. Ekkehard Klug [FDP]: kretisierungen, die in jedem Fall einer Zustimmung Herr Kollege Harms, ja bitte. zu solchen Einsätzen unter bestimmten Vorausset- zungen vorausgehen müssen. Vizepräsident Bernd Heinemann: Es geht mithin nicht nur, wie in dem völlig mis- Bitte schön. slungenen hessischen Modellversuch, um die Frage nach dem polizeilichen Nutzen der Body-Cams. Es Lars Harms [SSW]: Vielen Dank, lieber wäre sicherlich hilfreich, wenn erst einmal durch Kollege. - Ich wollte eigentlich gar keine eine wissenschaftliche Untersuchung geklärt würde, Frage stellen, sondern nur noch einmal auf welche Wirkung die Einführung von Videokameras eines aufmerksam machen: Sie haben gesagt, zur Eigensicherung in Polizeifahrzeugen hatte, be- der Kollege Patrick Breyer wollte nur Videos vor man schon über eine Erweiterung der Überwa- veröffentlichen lassen, die in irgendeiner Art chung mithilfe von Body-Cams beschließen will. und Weise schon im Netz waren. Er hat aber sogar darauf gedrungen, dass Polizeivideos, (Beifall FDP, Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] die dort gemacht worden sind, der Öffent- und Uli König [PIRATEN]) lichkeit zur Verfügung gestellt und öffentlich Die FDP-Fraktion ist bereit, all diese Fragen weiter ins Netz gestellt werden. Er wollte zwar ein konstruktiv zu prüfen, aber nicht in der naiv-blau- paar Verpixelungen hineinnehmen, aber das äugigen Form, wie sie in dem Antrag der CDU- würde bedeuten, dass man in die informatio- Landtagsfraktion bedauerlicherweise offen zutage nelle Selbstbestimmung der Menschen derge- tritt. Den Antrag der Union lehnen wir daher ab. stalt eingreift, dass ich das gar nicht ertragen Wir lehnen aber ebenfalls den Antrag der PIRA- könnte. TEN ab. Ihre Argumentation auf Seite 1 liest sich (Wortmeldung Dr. Patrick Breyer [PIRA- ganz gut, aber auf der folgenden Seite sind bedauer- TEN]) 9398 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

- Der Kollege spricht immer hinter mir, aber muss aber sagen, dass ich keine präzise Erinnerung er kann ja gleich selbst sprechen. Das darf er mehr an die von Ihnen angesprochenen Zusammen- dann auch für sich selbst. hänge habe. Das mag meinem in diesem Punkt lückenhaften Gedächtnis geschuldet sein. Wie auch (Heiterkeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) immer: Sie haben ja die glorreichen vergangenen Ich glaube nicht, dass es Aufgabe der Polizei Äußerungen Ihrer Fraktion noch einmal in Erinne- ist, Aufnahmen zu tätigen, die dann in ir- rung gerufen. Das war die Antwort. - Vielen Dank. gendeiner Art und Weise öffentlich gemacht (Beifall FDP) oder ins Netz gestellt werden, und dann eben möglicherweise trotz Verpixelungen auch noch nachvollziehbar zu machen, wo sich Vizepräsident Bernd Heinemann: Menschen aufgehalten haben. Das ist eigent- Für die Piratenfraktion hat Herr Abgeordneter lich nicht Aufgabe der Polizei. Ich glaube, da Dr. Patrick Breyer das Wort. sind wir beide uns auch einig. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Da sind wir uns einig, lieber Kollege Harms. Ich Herren Abgeordneten! CDU und SPD auf Bundes- finde, dass das eine sehr schöne Ergänzung ist, die ebene haben gerade die Vorfälle rund um Köln zum noch einmal deutlich macht, dass die PIRATEN bei willkommenen Anlass genommen, eine Auswei- diesem Thema auf ganz merkwürdige Art und Wei- tung der ohnehin ausufernden Videoüberwachung se mit zweierlei Maß messen. weiter Teile des öffentlichen Lebens zu fordern. (Beifall FDP und Dr. Andreas Tietze Aber auch unter Rot-Grün-Blau in Schleswig-Hol- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) stein nimmt die Videoüberwachung des täglichen Lebens überhand. Vizepräsident Bernd Heinemann: Da verpflichtet die Landesregierung die Bahn ab diesem Jahr zur anlasslosen und massenhaften Vi- Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Frage deoüberwachung aller Bahnfahrer zwischen oder Bemerkung des Abgeordneten Dr. Breyer? - Flensburg, Kiel und Hamburg. Da werden Überwa- Bitte schön. chungskameras an Streifenwagen installiert. Da Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Herr Kol- sieht ein neues Versammlungsgesetz die Video- lege Dr. Klug, der Kollege Lars Harms hat ja überwachung ganzer Demonstrationszüge sogar mit schon selbst durch den Hinweis auf die Ver- Drohnen vor. Gestern wurde bekannt, dass der In- pixelung, die wir gefordert haben, sein State- nenminister in einem internen Strategiepapier sogar ment diskreditiert. die Anschaffung von Schulterkameras für Polizei- Zu dem, was Sie gesagt haben, möchte ich beamte befürwortet - wie wir heute hören mussten, Sie fragen: Würden Sie bestätigen, dass wir durchaus nicht auf Ablehnung in der Koalition sto- seit den Beratungen um das Versammlungs- ßend. gesetz hier in Schleswig-Holstein einen ganz Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir PI- klaren Kurs der Videoüberwachung von Poli- RATEN möchten nicht in einer Welt leben, in der zeieinsätzen verfolgen, nämlich dass wir sa- alles, was wir tun und sagen, aufgezeichnet wird, gen: Die Videoüberwachung von Straftaten weil man unter ständiger Beobachtung nicht mehr nach der Strafprozessordnung reicht aus, es frei handeln kann und weil Überwachungskameras soll keine präventive Videoüberwachung ge- eben nicht von Gewalt abschrecken - so das Ergeb- ben? Würden Sie bestätigen, dass wir das im- nis vieler unabhängiger wissenschaftlicher Studien. mer so fordern und dass der Vorfall in Flens- (Beifall PIRATEN) burg deswegen zu zeigen war, weil dort eben der Verdacht von Straftaten bestand? Der von der CDU gestellte hessische Innenminister täuscht die Öffentlichkeit, wenn er behauptet, dass (Zuruf Lars Harms [SSW]) das Filmen von Polizeieinsätzen mit Schulterkame- ras dort Gewalt gegen Polizeibeamte verhindere. Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Die Selbststudie der dortigen Polizei gibt für diese Lieber Herr Kollege Dr. Breyer, ich nehme das, Behauptung nichts her; denn - das hat Herr Kollege was Sie hier dargelegt haben, gern so entgegen, Dr. Klug noch nicht erwähnt - zum Ersten wurde Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9399

(Dr. Patrick Breyer) während dieses hessischen Modellversuchs eine (Beifall PIRATEN) verstärkte taktisch-kommunikative Aus- und Fort- bildung der eingesetzten Beamten vorgenommen. Vizepräsident Bernd Heinemann: Allein diese verbesserte Aus- und Fortbildung kann schon den Rückgang von Gewalt erklären. Zum Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt Herr Ab- Zweiten - wie Kollege Dr. Klug schon sagte - wa- geordneter Lars Harms das Wort. ren bei den videoüberwachten Einsätzen in Hessen drei statt zwei Beamte vor Ort. Angesichts dessen Lars Harms [SSW]: ist es doch kein Wunder, dass weniger Gewalt zu Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und verzeichnen ist. Herren! Polizisten werden nicht selten angegriffen. Der Evaluierungsbericht der hessischen Polizei regt Laut CDU sollen nun Mini-Schulter-Kameras bei selbst an, zukünftige Pilotprojekte von Beginn an der Landespolizei eingesetzt werden, um Polizistin- offiziell wissenschaftlich begleiten zu lassen, damit nen und Polizisten besser vor Übergriffen zu schüt- überhaupt eine seriöse Aussage getroffen werden zen. In Hamburg und Hessen hat man diese bereits kann. Der Landesverband Hessen der Deutschen eingesetzt und sammelt erste Erfahrungswerte. Polizeigewerkschaft warnt sogar, Body-Cams Gleiches gilt für die Bundespolizei. Dort werden könnten dazu führen, dass Menschen bei Einsätzen diese Body-Cams in einigen Gebieten bereits einge- ohne Kamerapräsenz rechtmäßige polizeiliche setzt und getestet. Laut Union - so steht es in dem Maßnahmen nicht mehr ohne Widerstandshandlung Antrag - gibt es keinen Grund, der gegen die Ein- über sich ergehen lassen könnten, weil sie davon führung von sogenannten Body-Cams spricht. ausgingen, dass ein Nachweis mit Filmmaterial Dann will ich an dieser Stelle einige Gründe nen- nicht möglich wäre. nen, die doch dagegensprechen. Auch das Kriminologische Forschungsinstitut Nie- Im Innen- und Rechtsausschuss durften wir uns be- dersachsen hat nach eingehender Erforschung ge- reits einen einminütigen Ausschnitt von der Räu- walttätiger Übergriffe auf Polizeibeamte in sei- mung des Flensburger „Luftschlosses“ ansehen. nem über 100-seitigen Forschungsbericht den Ein- Dabei wurde sehr schnell deutlich, wie schwer es satz von Überwachungskameras mit genau null Zei- sein kann, eine Bewertung des Videoausschnittes len bedacht, Herr Dr. Bernstein. Es fordert stattdes- vorzunehmen. Die Krux ist doch: Die Geschehnisse sen zum Beispiel eine evaluierte Aus- und Fortbil- vor und nach der Aufnahme - sie war ja nur 1 Mi- dung, den verstärkten Einsatz weiblicher Beamter, nute lang - bleiben völlig unbekannt. Diese können eine bessere Einsatzvor- und -nachbereitung, dees- jedoch im Tatverlauf entscheidend sein. kalierende Kommunikation sowie den verstärkten Einsatz von Schutzausstattung. Lesen Sie sich das Vor allem, was den Aspekt der Handlungen vor durch, meine sehr verehrten Damen und Herren! dem Einschalten der Kamera betrifft, gibt es Kriti- sches anzumerken; denn ob jemand bewusst oder Herr Innenminister, ich fordere Sie erstens auf, tat- unbewusst provoziert wurde, bleibt völlig unbe- sächlich wirksame Maßnahmen zur Vorbeugung kannt. Das weiß man nicht, weil man nur diesen gegen Gewalt gegen Polizeibeamte zu ergreifen, Ausschnitt hat. statt unseren Polizeibeamten nur Schutz vorzugau- keln; denn Kameras können diesen gerade nicht Im Vorhinein abgesprochene Verhaltensweisen, sei leisten. es unter Polizisten oder unter Demonstranten, blei- ben ebenfalls unbekannt. Zudem ist das Blickfeld (Beifall PIRATEN) sehr eingeschränkt und kann eine größere Gruppe Zweitens. Machen Sie sich für eine unabhängige von Menschen nicht berücksichtigen. und aussagekräftige Evaluierung in anderen Bun- Gleiches gilt für das Geschehen an benachbarten desländern stark - nicht so, wie es in Hessen ge- Schauplätzen. Es ist schwierig zu sehen, welches schehen ist. externe, nicht erkennbare Ereignis Einfluss auf das Drittens. Lassen Sie bis dahin die Finger weg von ausgeübt hat, was sich in der Videosequenz wieder- Körperkameras für unsere Polizeibeamten! findet. Hinzu kommt, dass eine solche Aufnahme nur ein Puzzleteil eines großen Ganzen ist. Die (Beifall PIRATEN) Aussagefähigkeit ist - maximal - sehr einge- Unser Land braucht mehr Vertrauen zwischen Bür- schränkt. gern und Polizei, aber nicht mehr Misstrauen und Überwachung. 9400 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Lars Harms)

Ferner müssen die datenschutzrechtlichen Fragen das gelernt. Ich glaube nicht, dass eine solche Mini- beleuchtet werden: Wie sieht es mit den Speicher- Schulterkamera jemanden, der in Rage geraten ist, fristen aus? Wie sieht es mit dem Nutzungsrecht davon abhalten kann, gewalttätig zu werden. des Bürgers aus? Hat er auch irgendwann Zugriff? Wenn man ganz ehrlich ist, kommt man zu dem Er- Wie hoch ist der zu erwartende Verwaltungsauf- gebnis, dass der einzige wirkliche Wert einer sol- wand, wenn man diese Aufnahmen in irgendeiner chen Body-Kamera in der Dokumentation von Form nutzen will? Müssen die Videosequenzen öf- Vorgängen zu sehen ist. Das ist der einzige Wert - fentlich zugänglich sein, um Rechte Dritter zu wah- mit all den Einschränkungen, die ich schon benannt ren, wie es Kollege Dr. Breyer unter Bezugnahme habe und die nicht unbedingt gering zu schätzen auf einen konkreten Fall vorgeschlagen hat? Oder sind. werden die Rechte Dritter nur dadurch gewahrt, dass die Videosequenzen der Öffentlichkeit gerade Insgesamt gibt es also aus der Sicht des SSW noch nicht zur Verfügung gestellt werden, sie also nicht erheblichen Beratungsbedarf. Eine ganze Reihe von öffentlich nutzbar sind? Es gibt also doch noch ei- Fragestellungen ist noch nicht geklärt. Wir müssen nige Fragen, die erst einmal geklärt werden müssen. erst einmal klären, in welchen Zusammenhängen dies überhaupt denkbar ist. Dann mag es eine Ent- Ein anderer praxisrelevanter Aspekt betrifft die An- scheidung geben. Aber zunächst sind wir noch, das kündigung des Einschaltens der Kamera. Da der muss ich Ihnen so sagen, sehr skeptisch. Polizist in Rechte Dritter eingreift, bedarf es dieser Ankündigung. Die Polizisten müssen entsprechend (Beifall SSW) geschult werden, wann und wie, das heißt unter welchen Bedingungen sie es tun dürfen. Man muss Vizepräsident Bernd Heinemann: wissen, dass eine richtige Einschätzung in bestimm- ten Situationen nicht innerhalb von Sekunden mög- Bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne ange- lich ist. Daher ist das Einschalten an sich schon mit hende Justizfachwirtinnen und Justizfachwirte beim großen Schwierigkeiten verbunden. Landgericht Lübeck und Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Altenholz. - Seien Sie uns herz- Weitere Hindernisse sind in Betracht zu ziehen, lich willkommen im Schleswig-Holsteinischen zum Beispiel das Vergessen des Einschaltens der Landtag! Kamera oder das bewusste Nichteinschalten. Auch das Unterlassen des Einschaltens kann in der späte- (Beifall) ren juristischen Bewertung einer Situation eine Rol- Wir kommen nun zu den Dreiminutenbeiträgen. le spielen, das heißt, entsprechend ausgelegt wer- Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Dudda. den. Wie wäre es zum Beispiel, wenn das unterlas- sene Einschalten einer Kamera dergestalt gedeutet Wolfgang Dudda [PIRATEN]: würde, dass der Polizist eine Handlung bewusst nicht filmen wollte? Keine Sorge, mein Beitrag dauert keine 3 Minuten, Herr Präsident. - Ich muss eine kurze Erklärung ab- (Beifall SSW und PIRATEN) geben. Es stand hier im Raum, ich würde aufgrund Dann steht der Polizist womöglich irgendwann in meiner Zugehörigkeit zur Gewerkschaft der Polizei der Rechtfertigungspflicht. Das wollen wir doch si- bei diesem Thema den Raum aus Protest verlassen cherlich verhindern. haben. Das ist dummes Zeug. In den USA ist man schon deshalb dazu übergegan- Wer sich daran erinnern kann, der weiß, dass ich gen, die Kameras bei Außeneinsätzen dauerhaft beim Polizeibeauftragten gewiss eine Position ver- einzuschalten. Das allerdings bedeutet, dass immer treten habe, die meiner Gewerkschaft nicht gefallen alles und jeder gefilmt wird. Ob wir das wirklich hat. Unter dieser leide ich, wenn man es so aus- wollen, ist zumindest fraglich. drücken will, gewerkschaftlich heute noch. Niemals würde ich wegen eines solchen Themas den Saal Man sieht, hier entstehen Fragen über Fragen und aus Protest verlassen; das ist dummes Zeug. Probleme über Probleme, die erst einmal geklärt werden müssen. Was über den Innen- und Rechtsausschuss gesagt wurde, trifft zu. Ich habe zum gegebenen Zeitpunkt Als ein Argument - oft sogar als Hauptargument - den Versuch in Hessen aufmerksam begleitet und pro Body-Cams wird der Selbstschutz angeführt. darin Positives gesehen. Aber auch als PIRAT lernt Dazu sage ich: Unsere Landespolizei weiß sehr man dazu. Ich habe festgestellt, dass die Body- wohl, sich selbst zu schützen. Die Polizisten haben Cams so, wie sie jetzt verwendet werden, dummes Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9401

(Wolfgang Dudda)

Zeug sind. Deswegen bin ich mit dem Antrag mei- Rechtsausschuss - dahin gehört diese Frage - mit ner Fraktion vollständig einverstanden. den Rahmenbedingungen beschäftigen müssen. Diese sind völlig offen - Herr Dr. Dolgner hat diese Das war nötig, um es einzuordnen. - Danke. zu Recht dargestellt. (Beifall PIRATEN) Wie stellen wir uns den Einsatz der Kamera in der Praxis vor? Wollen wir, dass einer von drei Polizis- Vizepräsident Bernd Heinemann: ten diese Kamera trägt? Soll es ein Zweierteam ge- Weitere Wortmeldungen aus dem Parlament sehe ben, von dem einer diese Kamera trägt? Soll es so ich nicht. Dann hat jetzt für die Landesregierung sein wie in Hamburg, dass einer abseits der Gruppe der Minister für Inneres und Bundesangelegenhei- von fünf weiteren Beamten, die durch das Vergnü- ten, Herr Stefan Studt, das Wort. gungsviertel ziehen, diese Kamera trägt? Erlauben Sie mir bitte den Hinweis: In Hamburg sind derzeit Stefan Studt, Minister für Inneres und Bundesan- nur vier Kameras im Einsatz; der Einsatz ist bei gelegenheiten: Weitem nicht flächendeckend. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Wir haben auch schon die folgenden Fragen gehört: Herren! Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte wer- Sollen die Kameras durchgehend laufen? Sollen Vi- den täglich in hoher Zahl mit Widerstandshand- deo- und Audioaufnahmen oder sollen nur Video- lungen und Gewaltdelikten konfrontiert. Wir ha- aufnahmen gemacht werden? ben davon bereits gehört. Angesichts dieser Ent- Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, die wir im In- wicklung wird nicht nur von der CDU-Fraktion ge- nen- und Rechtsausschuss fachlich bewerten müs- fordert, die mobile Videotechnik am Mann als ein sen; wir müssen diese vor allem mit der Polizei, mit ergänzendes Element zur Deeskalation und als Mit- unseren Experten bewerten. Was ist aus deren Sicht tel der polizeilichen Eigensicherung in Betracht zu praxisrelevant? Was ist für Schleswig-Holstein not- ziehen. wendig? Welche Situation besteht hier tatsächlich, Es ist richtig: Auch ich stehe einem Einsatz von die den Einsatz entsprechend sinnhaft macht? Body-Cams offen gegenüber, wenn sie die Sicher- All diese Dinge würde ich gern mit Ihnen erörtern. heit unserer Polizeibeamten verbessern können. Ich glaube, der Innen- und Rechtsausschuss ist da- Erste Erfahrungen aus anderen Bundesländern wei- für das richtige Gremium. Dann können wir diese sen in diese Richtung. Fragen dort aufnehmen. Äußerungen wie die von Ihnen, Herr Bernstein, Ich will an dieser Stelle aber noch eines deutlich sa- sind, glaube ich, überflüssig. Wir haben bereits von gen: Alles, was erwiesenermaßen zur Erhöhung Herrn Dr. Dolgner dazu gehört. Wir haben über das der Sicherheit der Kolleginnen und Kollegen im Thema im Innen- und Rechtsausschuss gesprochen. operativen Dienst beiträgt, wird von uns konstruk- Sie wissen, dass wir die Versuche konstruktiv be- tiv geprüft. Wo es ein positives Votum gibt, wird es gleiten. In Hessen gibt es den Einsatz seit 2013; es tatsächlich umgesetzt. Die anstehenden Ausstat- war damals ein Pilotversuch im Vergnügungsvier- tungsverbesserungen mit Stichschutz und Außen- tel Alt-Sachsenhausen. Wir haben die Motivation tragehülle sind dafür, glaube ich, der aktuelle Be- für aggressives Verhalten von übermäßig alkoholi- leg. sierten Besuchern im Innen- und Rechtsausschuss dezidiert diskutiert. Wenn die Body-Cams ein derartiges Instrument sind, dann wird es den Einsatz der Body-Cams in Einen ähnlichen Versuch gibt es in Hamburg. Der Ergänzung zur Aus- und Fortbildung, in Ergänzung Versuch startete im Juni 2015 im Zuständigkeitsbe- zur Vor- und Nachbereitung von Einsätzen geben. reich der Davidwache, die verantwortlich für das Das ist selbstverständlich. Vergnügungsviertel St. Pauli ist. Wir haben auch gehört, dass der abschließende Bericht der Hambur- Herr Harms, ich will deutlich sagen: Ich bin sehr ger Bürgerschaft im ersten Quartal 2017 vorgelegt davon überzeugt, dass wir eine gute Ausbildung, werden soll. dass wir eine gute Fortbildung durchführen, dass wir ein gutes Einsatztraining haben. Trotzdem zei- Richtig ist, dass ich - auch in dieser Diskussion, die gen in der letzten Zeit mehr und mehr Lageberichte, wir aktuell führen - gesagt habe, dass wir nicht war- dass es immer wieder Distanzlosigkeit und Re- ten wollen, bis der letzte Bericht über ein Pilotver- spektlosigkeit gibt und es trotz der guten Aus- und fahren vorliegt, sondern dass wir uns im Innen- und Fortbildung zu der einen oder anderen körperlichen 9402 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Minister Stefan Studt)

Beeinträchtigung kommt. Diese Dinge müssen wir Guten verändert hat. Wir haben durch das Schulge- uns noch einmal gemeinsam ansehen. setz eine Verankerung des zweigliedrigen Bil- dungssystems, sodass alle Schülerinnen und Schü- Wichtig ist: Es ist eine Abwägung zwischen dem ler an den weiterführenden Schulen die Möglichkeit Sicherheitsgefühl der Polizistinnen und Polizisten haben, alle Abschlüsse zu erreichen. im Verhältnis zum Eingriff, den die Kameras in das informationelle Selbstbestimmungsrecht bedeuten. Wir haben neue Fachanforderungen, die sich an den Aber genau hier liegt unsere Verantwortung, entwe- Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz ori- der in die eine oder andere Richtung zu entschei- entieren. Wir haben zunehmend inklusiven Unter- den. - Herzlichen Dank. richt. Wir sind auch dabei, uns dem Thema „Lernen in der digitalen Gesellschaft“ zu stellen. Es gibt (Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS mehr Ganztagsschulen, die die Bildungslandschaft 90/DIE GRÜNEN) bereichern. Wir verbessern die Übergänge von der Schule in den Beruf. Die Schulen haben all diese Vizepräsident Bernd Heinemann: Anforderungen gut bewältigt. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich Wir haben auch bei den Lehrerstellen deutliche schließe die Beratung. Es ist eine Überweisung an Korrekturen vorgenommen. Wenn wir die derzeiti- den Ausschuss beantragt. Der Antrag Drucksache gen Zustände mit den Plänen zum Ende der letzten 18/3849 und der Änderungsantrag 18/3885 sollen Wahlperiode vergleichen, stellen wir fest, dass wir an den Innen- und Rechtsausschuss überwiesen den Stellenplan um gut 2.000 Lehrkräfte korrigiert werden. Wer so beschließen will, den bitte ich um haben, und wir haben die Rahmenbedingungen an das Handzeichen. - Danke, das ist einstimmig. den Schulen mit schulischen Assistenzen und mit Ich rufe Tagesordnungspunkt 46 auf: Schulsozialarbeit erheblich verbessert. Damit haben wir gute Rahmenbedingungen; aber Bericht zur schulischen Qualitätsentwicklung in bei der Frage der Bildungsqualität muss weiterhin Schleswig-Holstein etwas getan werden. Das stellen wir jetzt ins Zen- trum. Bericht der Landesregierung Drucksache 18/3719 In dem vorliegenden Bericht haben wir alle Maß- nahmen genannt. Ich denke, sie alle hier im Einzel- nen anzusprechen, das würde den Rahmen deutlich Qualitätsentwicklung an den Schulen Schleswig- sprengen. Holsteins Deshalb noch einmal zu den wichtigsten Punkten, Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE die wir hier auf den Weg bringen: Der eine ist, dass GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW wir für die Qualität eines Bildungssystems eine Drucksache 18/3879 Form der externen Evaluation für unverzichtbar halten. Ich weiß, dass dies einigen in der Oppositi- Ich erteile der Ministerin für Schule und Berufsbil- on wehtut; aber es war ein Fehler, dass Sie EVIT dung, Britta Ernst, das Wort. damals abgeschafft haben. (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Britta Ernst, Ministerin für Schule und Berufsbil- und SSW) dung: Wir haben uns mit den anderen Bundesländern gut Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! ausgetauscht, bevor wir unser System - wir nennen Qualitätsentwicklung ist einer unserer Schwer- es Schulfeedback - zum ersten Februar eingeführt punkte in der Bildungspolitik. Es ist sicherlich auch haben. Unser Anspruch ist, durchaus auf die Kritik einer der wichtigsten Punkte. Deswegen ist es mir einzugehen, die es gegeben hat. Es soll weniger Bü- eine große Freude, dass wir Ihnen einen Bericht zur rokratie geben. Es ist ein dialogorientiertes Verfah- Qualitätsstrategie an den Schulen in Schleswig- ren, das die Schulen bei ihrer Arbeit unterstützt. Es Holstein vorgelegt haben und heute darüber disku- wird auf freiwilliger Basis angeboten. Wir haben tieren. eine gute Handvoll Schulen, die sich, bereits bevor Wenn wir ein wenig zurückblicken, stellen wir fest, das Konzept bekannt war, mit einer externen Eva- dass sich das Bildungssystem in Schleswig-Hol- luation auf den Weg machen wollen. stein in den vergangenen Jahren doch recht zum Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9403

(Ministerin Britta Ernst)

Der zweite zentrale Punkt, der für die Qualitätssi- Fakten vergegenwärtigen sollten. Ich glaube, das cherung sehr wichtig ist, ist, sich gelegentlich einen war der zentrale Impuls. Überblick über die Schülerleistungen in einem Wenn wir uns im Rückblick die Bildungsland- Bundesland zu verschaffen. Dort haben wir bundes- schaft seit 2001 anschauen, stellen wir fest, wir ha- weit Instrumente, die nach PISA auf den Weg ge- ben in Deutschland, aber auch in Schleswig-Hol- bracht worden sind. Diese Instrumente nennen sich stein durchaus unsere Hausaufgaben gemacht. Es VERA. VERA 3 greift in der dritten Klasse und ist uns gelungen, die Zahl der Schülerinnen und VERA 8 in der achten Klasse. Das sind Testungen, Schüler mit sehr schwachen Kompetenzen zu ver- die den Schulen einen ganz deutlichen Hinweis ge- ringern. Es ist uns gelungen, die Zahl der Schüle- ben, wo sich die Leistungen ihrer Schülerinnen und rinnen und Schüler, die gar keinen Schulabschluss Schüler im bundesweiten Vergleich bewegen, wo erreichen, deutlich zu verringern, auch wenn wir die Schule steht. jetzt einen kleinen Trend in die falsche Richtung Wir haben die Diskussion aufgegriffen und bieten haben. Es ist uns gelungen, den Zusammenhang den Schulen künftig mit VERA 6 an, in der langen zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft zu Zeitspanne zwischen VERA 3 und VERA 8 eine lockern. Auch das ist ein großer Erfolg. weitere Testung vorzunehmen. (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es haben sich jetzt schon 140 der weiterführenden und SSW) Schulen dafür interessiert. Das zeigt, dass wir mit Wir wissen aber, dass wir an diesen Punkten noch dieser Maßnahme genau richtig liegen. Die Schulen weiter arbeiten müssen. Wir wollen sozial noch ge- wollen selbst Informationen haben, um die Qualität rechter werden. Wir stagnieren deutlich, wenn es ihrer schulischen Arbeit zu verbessern. darum geht, die Potenziale der Leistungsspitze noch (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN besser zu unterstützen. Hier hat es seit PISA keiner- und SSW) lei Bewegung gegeben. Das ist ein wichtiger Punkt, dem wir uns auch widmen. Ich hoffe, dass unser Ein dritter Punkt ist uns auch sehr wichtig, nämlich Bericht eine gute Grundlage ist, um weitere Maß- einen Bildungsbericht auf den Weg zu bringen. nahmen zur Qualitätsstrategie zu diskutieren. - Vie- Auch der wurde aus mir nicht nachvollziehbaren len Dank. Gründen einmal abgeschafft. Ich denke, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir, um die Diskussion (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über Bildungspolitik breit und auf sachlicher und SSW) Grundlage zu führen, einmal die Kerndaten darstel- len. Gleiches gilt für die Entwicklung im Bildungs- Vizepräsident Bernd Heinemann: system, denn wir wollen nicht nur hier im Landtag, sondern auch in der Fläche mit den vielen Akteuren Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter in der Bildungspolitik diskutieren und um die bes- Volker Dornquast das Wort. ten Lösungen ringen. Deshalb finden wir, es ist eine Dienstleistung des Bildungsministeriums, zum Bei- Volker Dornquast [CDU]: spiel die vielen Eltern in die Lage zu versetzen, gut Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge- an Informationen heranzukommen. Deshalb freuen ehrte Frau Ministerin, Sie legen hier einen sehr aus- wir uns, dass wir in der zweiten Jahreshälfte diesen führlichen Bericht zur schulischen Qualitätsent- Bericht vorlegen werden. wicklung vor. Danke dafür, es ist sehr viel Theorie. (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Qualität kann sich nur da entwickeln beziehungs- und SSW) weise nur da verbessern, wo effektive Strukturen bestehen und entsprechende praktische Maßnahmen Sehr geehrte Damen und Herren, wenn man sich möglich sind. Bei all den beschriebenen teils frei- die Entwicklung der Schullandschaft anschaut, willigen externen und internen Evaluationen und dann würde ich immer daran festhalten, dass die PI- bei Vergleichsarbeiten und Lernstandserhebungen SA-Studie einen wichtigen Impuls in Deutschland darf nicht vergessen werden, dass die Hauptaufgabe gegeben hat. Wir haben daraus gelernt, dass wir uns der Schulen nicht die Erarbeitung von Berichten ist, mit empirischer Bildungsforschung beschäftigen sondern das Lernen und das Unterrichten der Schü- müssen, dass wir im Bildungsbereich zwar unsere ler. Meinungen und Überzeugungen haben sollen und auch darum ringen, dass wir uns aber immer die Bereits im Jahr 2012 hofften Lehrer, Schüler und Eltern, dass endlich Schulfriede eintritt, dass die ge- 9404 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Volker Dornquast) setzlich fixierten Strukturen nunmehr fest seien und kulturellen Unterschieden macht besondere Kraft- dass man mit der inhaltlichen Arbeit in Ruhe und in anstrengungen unserer Schulen erforderlich. längerer Kontinuität beginnen könne. Doch weit ge- Sie beschreiben in Ihrem Bericht die Strukturen und fehlt, es begann eine neue Strukturdiskussion. Zu- die Aufgaben der DaZ-Zentren. Natürlich ist es er- sammen mit der Neugestaltung der Lehrerausbil- forderlich, alles zu tun, damit diese Situation nicht dung zum Einheitslehrer kommen Sie Ihrem obers- zulasten der übrigen Unterrichtsqualität geht. Sie ten Ziel der Einheitsschule immer näher. Schön für beschreiben weiter auch die Ausweitung der Inklu- Sie, aber diese Politik geht am Willen der Eltern sion mit den Folgen für unsere Schulen. Ob dafür vorbei. Das hindert Sie aber nicht daran, Ihre ideo- die verzögerte Einstellung von Schulassistenten logischen Ziele auf Biegen und Brechen durchzu- der ideale Weg ist, möchte ich bezweifeln; insbe- setzen, und das auf dem Rücken unserer Kinder. sondere auch, weil diese nicht bedarfsgerecht, son- (Zurufe SPD) dern nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden. Bis heute gibt es keine klare Aufgabenbeschrei- Darüber hinaus wurden kleine, ja an manchen Stel- bung. Besser wäre es gewesen, die Finanzmittel, len zu kleine Oberstufen an Gemeinschaftsschulen, die hierfür verwendet werden, in die Stärkung des ohne Rücksicht auf die benachbarten Gymnasien pädagogischen Personals, insbesondere im Bereich und die Regionalen Berufsbildungszentren, geneh- der Sonderpädagogen, zu stecken. migt. Diese Entwicklung wurde bei der Schaffung von zusätzlichen notwendigen Lehrerstellen nicht (Beifall CDU) ausreichend berücksichtigt. Insbesondere Ihre Ziel- Die Anzahl der Fehlstunden in unseren Schulen ist vorgabe, die Zahl der Abiturienten erheblich zu immer noch zu hoch. Es fehlt hier ein Push gegen erhöhen, wurde bisher nicht mit den dafür notwen- den Unterrichtsausfall. Die Festlegung in der Stati- digen Rahmenbedingungen begleitet. Es gab hier- stik zum Beispiel in Stunden der Selbstbeschäfti- bei keine Abstimmung mit unserem Handwerk, das gung ist zwar interessant, sie ist aber kein geeigne- dadurch natürlich in Zukunft Probleme bei der tes Mittel gegen Stundenfehl. Nachwuchswerbung hat. (Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD]) Gleichzeitig mehren sich die Klagen der Hoch- schulen, dass sich die Studierfähigkeit der Abitu- - Der Bildungspolitiker Stegner ist ganz aufgeregt, rienten weiter verschlechtert. Deshalb bestehen wie kommt das? - Sie beschreiben richtig die Überlegungen, diese mit sogenannten Nullseme- Schulprogramme als Basis für die Weiterentwick- stern nachträglich herzustellen. Es kann aber nicht lung der Schulen. Dafür müssen diese natürlich die Aufgabe unserer Hochschulen sein, unsere Abi- zeitgerecht fortgeschrieben werden. Wichtiger Be- turienten fit für die Universität zu machen. Auch standteil der Qualitätsvorgaben für unsere Schulen hier scheint ein von der Regierung bisher nicht ge- sind die vorgegebenen Fachanforderungen für die löstes Problem zu bestehen. Wichtiger, als die Zahl verschiedenen Fächer und Stufen. Hier ist eine ste- der Abiturienten zu erhöhen, ist meiner Ansicht tige Anpassung an die modernen Entwicklungen nach das Ziel der größeren Chancengerechtigkeit in notwendig. Wie Sie es beschreiben, sollen hier diesem Bildungsbereich. Schritte erfolgen. Wir sind gespannt, wie sie ausse- hen. Sie stellen einleitend in Ihrem Bericht fest, dass sich die Leistungen der Schüler deutlich verbes- Meine Damen und Herren, ich möchte dieses The- sert haben. Leider geben Sie aber keine ausreichen- ma gern im Ausschuss weiter diskutieren, insbeson- den Nachweise für diese Aussage. Meine Vermu- dere auch die weitere Entwicklung des IQSH und tung ist hier eine andere: Reduzierung der Lei- somit die Qualität der Lehrerfortbildung. - Danke stungsanforderung, um dadurch die Steigerung der schön. Abiturientenzahl zu erreichen. (Beifall CDU und vereinzelt FDP) Im letzten Jahr kamen mit den zahlreichen Flücht- lingskindern, für die natürlich auch die allgemeine Vizepräsident Bernd Heinemann: Schulpflicht gilt, neue und sehr komplexe Heraus- forderungen auf unsere Schulen zu. Nicht nur die Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Schülerzahlprognosen der Vergangenheit wurden Kai Vogel das Wort. damit ausgehebelt und damit auch die Zahl der not- wendigen Lehrerstellen, auch die besondere Situati- on mit den fehlenden Sprachkenntnissen und den Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9405

Kai Vogel [SPD]: mehr Fähigkeit zur Selbstreflexion zu als die Oppo- sition, und ich glaube nicht, dass sich nur die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Schulen nach vorne drängen, an denen sowieso al- und Kollegen! In den kommenden Wochen starten les rundläuft. die neuen Anmelderunden für die weiterführenden Schulen. Im Vorwege haben die Schulen bei Tagen Ich traue auch denjenigen, die an der Evaluation der offenen Tür ihre eigenen Leistungen und Be- beteiligt sind, mehr zu als die Opposition; denn na- sonderheiten präsentiert. Ausschlag dafür war auch türlich werden Lücken in der Personalversorgung, PISA 2000. Dies war ein Wendepunkt, der den die es bei allen unseren Bemühungen noch gibt, Blick der Deutschen bei Öffentlichkeit auf unsere und die zusätzlichen Herausforderungen durch die Schulen entscheidend verändert hat. minderjährigen Flüchtlinge auch Gegenstand der Betrachtung sein, PISA hat in allen 16 Bundesländern nicht nur De- batten, sondern auch sehr konkrete Entscheidungen (Beifall SPD) darüber ausgelöst, wie wir unter Wahrung der föde- weil nicht jede Schule gleichermaßen souverän mit ralistischen Pluralität unsere Schulsysteme weiter- diesen Rahmenbedingungen umgeht. Es kann und entwickeln sollen. Die deutsche Schule des Jahres wird definitiv kein Ziel des Schul-Feedbacks sein, 2016 ist nicht mehr die Schule des Jahres 2000, sie einer Schule die Schwächen aufzuzeigen und sie ist sehr viel besser geworden. Dieser Landtag und dann alleinzulassen. die Landesregierungen der letzten zehn Jahre, je- denfalls soweit Sozialdemokraten an ihnen beteiligt Es geht nicht um das Sammeln von Punkten oder waren, haben Reformen auf den Weg gebracht, in gar um landesweite Rankings, die völlig kontrapro- deren Mittelpunkt die Eigenverantwortung der duktiv wirken würden, weil die Schulen mit schwä- Schulen und die der einzelnen Pädagoginnen und cheren Bewertungsresultaten, statt besser zu wer- Pädagogen stehen. den, von den Eltern gemieden würden, womit sich deren Probleme potenzieren würden. Nach dem Jahr 2000 wurden in Schleswig-Holstein Schulprogramme geschrieben, die es ermöglich- Bereits in der 16. Legislaturperiode hat das Bil- ten, die eine mit der anderen Schule zu vergleichen. dungsministerium einen äußerst innovativen Lan- Heute sind diese eine wesentliche Entscheidungs- desbildungsbericht vorgelegt. Das ist seitdem leider grundlage für Eltern und Kinder, eine Schule zu nicht fortgesetzt worden. Dass wir in diesem Jahr, wählen oder auch nicht. Ab dem Jahr 2003/04 wur- also nach acht Jahren, einen neuen Landesbil- de in Schleswig-Holstein EVIT, die externe Evalua- dungsbericht erhalten sollen, der dann alle zwei tion, auf den Weg gebracht. Sie war bundesweit be- Jahre fortgeschrieben wird, ist eine gute Nachricht staunt, und alle anderen Bundesländer sprangen auf nicht nur für die Bildungspolitikerinnen und Bil- diesen Zug mit auf. Es war eine bedauerliche Fehl- dungspolitiker im Landtag, sondern auch für die ge- entscheidung der CDU/FDP-Regierung, das System samte Öffentlichkeit. EVIT nicht zu verbessern, sondern ersatzlos abzu- Dieses Jahr wird das Institut für Qualitätsentwick- schaffen. lung im Bildungswesen in Berlin einen neuen Ver- (Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ gleich der Bundesländer für die Sekundarstufe I DIE GRÜNEN und SSW) präsentieren, und im Dezember wird die neue PI- SA-Studie veröffentlicht. Wir haben also ein ganzes Warum wurde zum Beispiel nicht versucht, die Jahr vor uns, in dem die Qualitätssicherung und die Schulen gemeinsam mit dem IQSH auf dem Weg -weiterentwicklung an unseren Schulen im Mittel- zu einer besseren Qualität zu begleiten, statt nur die punkt stehen werden. Kosten zu sehen und deswegen das Fallbeil zu sen- ken? Evaluation ist kein Ausdruck von Misstrauen, Wir wollen nach einer Anlaufphase die Befunde sondern die Chance, die Schwächen einer Schule zu des Schul-Feedback im Ausschuss erörtern, und wir erkennen und diese dann sinnvoll aufzuarbeiten. wollen, dass der Bildungsbericht des Ministeriums auch zum Gegenstand einer Parlamentsdebatte Wir glauben an den Nutzen einer Evaluation und wird. Der Bericht der Landesregierung wirft ver- die sich daraus ergebende Qualitätssteigerung. Es schiedene Fragen zur Qualitätsentwicklung an un- ist deshalb der richtige Weg, angesichts der verhält- seren Schulen auf und gibt darauf unterschiedliche nismäßig geringen personellen Ressourcen, die für Antworten. Wir sollten ihn im Bildungsausschuss das Schul-Feedback zur Verfügung gestellt werden weiter beraten und konkrete Schlussfolgerungen können, die Teilnahme bis auf Weiteres für freiwil- ziehen. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. lige Schulen anzubieten. Ich traue unseren Schulen 9406 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Kai Vogel)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das klingt jetzt vielleicht nicht griffig. Deshalb er- und SSW) zähle ich einmal ein Beispiel. Ich war in der Deut- schen Schulpreis-Schule, der Anne-Frank-Schule in Vizepräsident Bernd Heinemann: Bargteheide; das ist eine Gemeinschaftsschule mit Oberstufe. Dort war ich während einer Klassenleh- Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat rerstunde in der 6. Klasse. Es war sehr interessant jetzt die Frau Abgeordnete Anke Erdmann das mitzuerleben, was dort passierte. Der Klassenleh- Wort. rer, der auch Englisch unterrichtet hat, hat die Schülerinnen und Schüler gefragt: „Sagt mal, Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: warum geht ihr eigentlich nie zu mir in den Eng- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lisch-Kurs, sondern zu meinem Kollegen?“ Dann wollte eigentlich anders anfangen, Herr Dornquast, kamen einige vorsichtige Bemerkungen, und eine weil ich den Eindruck hatte, dass die Große Koaliti- Schülerin sagte dann zu dem Englischlehrer: „Sie on eigentlich ein großes Übel ist, jedenfalls in den sind so englischfanatisch.“ Das ist für einen Eng- meisten Fällen, lischlehrer vielleicht nicht schlecht. Aber daraus er- gab sich, dass die Schülerinnen und Schüler Angst (Beifall Dr. Heiner Garg [FDP]) vor dem hohen Niveau und den Eindruck hatten, sie aber im Bereich der Schulreform in Schleswig-Hol- könnten nicht alles verstehen, müssten aber alles stein wirklich für ein Tauwetter gesorgt hat und verstehen, was er an englischen Instruktionen in dass die alte Grabenkampfrhetorik von Einheits- den Unterricht gibt. schule und Einheitslehrer eigentlich der Vergangen- Danach entspann sich eine Debatte darüber, ohne heit angehören müsste. Aber Sie haben noch einmal dass er seine Position verlassen hätte, warum er das voll in die sozialistische Mottenkiste gegriffen und mit ihnen macht, und die Schülerinnen haben ge- uns den Einheitslehrer vorgeworfen. Ich kann es sagt, was ihnen helfen würde, um auf dem Niveau einfach nicht verstehen. Wir hatten vorher fünf anzukommen. Sie haben also kleine Zugbrücken Lehramtsstudiengänge, und wir haben jetzt fünf besprochen, was es den Schülerinnen und Schülern Lehramtsstudiengänge. Das sollten Sie als hoch- konkret einfacher machen würde, seinem Unterricht schulpolitischer Sprecher eigentlich wissen. zu folgen. Das ist genau das, was John Hattie und Aber außer Herrn Dornquast und der FDP redet ei- was die Qualitätsdebatten wollen. Das bedeutet Re- gentlich kaum noch jemand von der Einheitsschule. flektion über den eigenen Unterricht und über Un- Dies gibt super Raum für Qualitätsdebatten. Diese terrichtsmethoden. hatten wir lange nicht. Das ist für uns im Parlament vielleicht ein bisschen Sehr interessant war eine Studie von John Hattie, bitter, weil solche Sachen nicht durch den Automa- einem neuseeländischen Bildungsforscher. Der hat tismus, dass wir das Schulgesetz ändern oder dass nämlich einmal untersucht, welche Einflussfaktoren wir einen neuen Haushaltstitel machen, bewirkt es auf Lernerfolge gibt. Er hat in einer Meta-Studie werden, sondern es hat eben ganz viel mit der Frage 138 Einflussfaktoren untersucht, was interessant ist: von Qualität in Schule zu tun. Das heißt nun auch Denn was gehört zu den Top Ten? Die Debatten, wiederum nicht, dass unsere Debatten total irrele- die wir hier normalerweise führen, sind nicht dabei. vant sind, logischerweise nicht. Die finanzielle Strukturfragen spielen bei Hattie keine große Rol- Ausstattung der Schulen muss besser werden; dar- le. Die Klassengröße, sagt er, ist eigentlich irrele- über sind wir uns einig. Auch die Strukturen müs- vant. Er sagt auch, ob es leistungshomogene Grup- sen verlässlich sein. Dafür sind die Weichen aber pen oder Differenzierung gibt, ist auch nicht das bereits sehr gut gestellt. Zu dem Maßnahmebündel Entscheidende. Aber Klarheit und Glaubwürdigkeit hat gerade Britta Ernst bereits sehr viel ausgeführt. der Lehrkraft sind entscheidend. Vor allem - und da Ich freue mich besonders über das setzt auch dieser Bericht an - Klarheit, Reflektions- Schul-Feedback, weil es - das ist nur für Herrn perspektive der Lehrkräfte und die Frage: Sind Dornquast eine Selbstbeschäftigung - sehr viel mit Lehrkräfte in der Lage, auf die Perspektive ihrer Unterrichtsqualität zu tun hat. Es war schon ärger- Schülerinnen und Schüler einzugehen, und zwar lich - vielleicht lag es daran, dass die Hattie-Studie auch im Unterricht, und daraus Schlüsse zu ziehen damals noch nicht bekannt war -, dass die bildungs- und ihr Unterrichtskonzept gegebenenfalls anzupas- politischen Leistungsverweigerer von der FDP die- sen? ses EVIT-Programm abgeschafft und ersatzlos ge- strichen haben. Umso besser ist es, dass Frau Ernst Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9407

(Anke Erdmann) das jetzt mit ihrem kleinen und kompetenten Team Frau Kollegin Erdmann hat es ja gerade gesagt. Die wieder einführt, und zwar freiwillig und passgenau. Hattie-Studie hat bewiesen, dass es nicht auf die Struktur einer Schulform ankommt, sondern auf die (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Lehrkraft und auf die Inhalte, mit denen der Unter- SPD) richt gestaltet wird. - Genau, das ist einen Applaus wert. Das Einzige, das einen traurig machen kann, ist, Vizepräsident Bernd Heinemann: dass wir nicht noch mehr Mittel dafür aufwenden Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfra- können. Aber das wird möglicherweise noch. ge oder -bemerkung der Frau Abgeordneten Erd- Für die Qualitätsdebatte müssen wir natürlich noch mann? andere Punkte im Blick behalten, die jetzt nicht auf- geführt sind. Das ist die Frage Lehrernachwuchs, Anita Klahn [FDP]: das ist die Frage Inklusion - auch da sind wir dran -, Gern. und es ist die Frage Übergänge zwischen den ein- zelnen Systemen. Aber auch da geht es in großen Schritten voran. Vizepräsident Bernd Heinemann: Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Es Bitte schön, Frau Abgeordnete. wurde auch mal Zeit. Let‘s talk about quality. Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD NEN]: Sehr geehrte Frau Kollegin Klahn, und SSW) wie bewerten Sie es, dass im Schulgesetz ab Klasse 5 sowohl die Zweigliedrigkeit festge- schrieben sind als auch die Ergebnisse des Vizepräsident Bernd Heinemann: Bildungsdialogs? Genau diese Zweigliedrig- Für die FDP-Fraktion hat die Frau Abgeordnete keit wurde vonseiten der Landesregierung Anita Klahn das Wort. abgefragt und vorgeschlagen und dann vom breiten Plenum bestätigt. Wie bewerten Sie Anita Klahn [FDP]: das, und was ist daran Einheitsschule? Das verstehe ich nicht. Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrtes Prä- sidium! Wenn man die bildungspolitischen Denke Anita Klahn [FDP]: der Regierungskoalition verstehen will, dann muss man sich nur den ersten Satz des sogenannten Be- Liebe Frau Kollegin Erdmann, was ich mit meiner richts zur schulischen Qualitätsentwicklung in Aussage eben darstellen wollte, ist dieses: Wir hat- Schleswig-Holstein zu Gemüte führen. Dort heißt ten ein gutes Schulsystem mit Hauptschule, Real- es: schule, Gymnasium, Gesamtschulen und Gemein- schaftsschulen sowie mit Schulen in freier Träger- „Nach dem Beschluss des Schulgesetzes schaft, die noch ganz besondere Angebote hatten. 2014 mit der Verankerung von zwei weiter- führenden Schularten in Schleswig-Holstein (Zurufe SPD) werden die bildungspolitischen ... Fachdis- Ich wollte darauf hinweisen, dass wir ein großes, kussionen stärker von Fragen der Qualität buntes und individuelles Schulsystem hatten, in des Bildungssystems ... bestimmt.“ dem jedes Kind den Bereich finden konnte, in dem (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es am besten aufgehoben war. In der Großen Koali- und SSW) tion haben Sie es geschafft, die Schulformen kaputt zu machen. Heute haben wir weder die Hauptschule Das heißt, meine Damen und Herren, nichts anderes noch die Realschule. Es war ein unsäglicher Kom- als: Jetzt, da SPD und Grüne den Weg für das Ein- promiss, in deren Folge Regionalschulen und Ge- heitsschulsystem nach ihren ideologischen Vorstel- meinschaftsschulen nebeneinander existierten. lungen bereitet haben, kümmern Sie sich endlich auch einmal um die Qualität im Schulsystem. Das (Zuruf SPD: In welches Jahrhundert wollen ist, ehrlich gesagt, ein Armutszeugnis. Wir reden Sie zurück?) als Elternvertreter seit gefühlt zehn Jahren darüber, Die Gymnasien leben Gott sei Dank noch. Mit all dass es nicht auf die Struktur einer Schule an- Ihren Maßnahmen bringen Sie aber schon deutlich kommt, sondern auf die Inhalte. zum Ausdruck, dass Sie den Gymnasien nicht über 9408 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Anita Klahn) den Weg trauen. Nichts anderes habe ich Ihnen da- nen Oberstufen der Gemeinschaftsschulen nur 45 % mit versucht mitzuteilen. der Lehrkräfte im Mathematikbereich eine Lehrbe- fähigung für die Sekundarstufe II haben? Glauben Vizepräsident Bernd Heinemann: Sie, dass die Qualität steigt, wenn man den Lei- stungsgedanken aus den Schulen verbannt, wie Sie Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine zweite Bemer- es mit der Abschaffung von Noten beweisen? Oder kung beziehungsweise Frage der Frau Abgeordne- halten Sie es für einen qualitativen Fortschritt, ten Erdmann? wenn bei der Neufassung der Lehrpläne, die jetzt Fachanforderungen heißen, der Wissensaspekt im- Anita Klahn [FDP]: mer weiter hinter einer Kompetenzorientierung zu- Ja, gern. rückfällt? Am Beispiel des Fachs Geschichte zeigte sich, dass das Ganze erst auf Druck der Fachkolle- Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen zurückgenommen wurde und Sie das jetzt über- NEN]: Frau Klahn, ich bitte Sie, zur Kennt- arbeiten müssen. nis zu nehmen, dass wir sehr klare Aussagen getroffen haben. Wir haben gesagt, dass Sta- Meine Damen und Herren, vor allem die Unter- bilität ins Schulsystem kommt. Es gibt das richtsversorgung muss verbessert werden. Wir Zwei-Säulen-Modell. Ich bitte Sie, außerdem müssen etwas gegen den Fachlehrermangel insbe- zur Kenntnis zu nehmen, dass wir die Förde- sondere im MINT-Bereich unternehmen. rung der freien Schulen verbessert haben. (Beifall FDP) Ferner bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass die PISA-Ergebnisse von 2001 mit 25 % Wenn man den Schulen nicht die Mittel zur Verfü- funktionalen Analphabeten unter männlichen gung stellt, um etwaige Probleme zu beheben, dann Jugendlichen im Alter von 15 Jahren nicht hilft auch die schönste Evaluation nichts. unbedingt ein Qualitätsausweis gewesen (Beifall FDP) sind. Oder sehen Sie das etwa anders? Der Schul-TÜV wurde von der Interessenvertre- - Sie haben vorhin gesagt, ich solle das zur Kennt- tung der Lehrkräfte und vom Philologenverband nis nehmen. Mehr möchte ich auch nicht tun. kritisiert. Die Abschaffung von EVIT war die ein- (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Bloß nicht nach- zig richtige logische Konsequenz. EVIT heißt ex- denken! Das wäre schwierig!) terne Evaluation im Team. Das bedeutet nichts an- deres, als dass Lehrer A und Lehrer B sich gegen- Meine Damen und Herren, mit der Abschaffung der seitig überprüfen. Wie das Ergebnis aussieht, ist ja Schulübergangsempfehlung und weiteren Maßnah- wohl klar. men hat die Landesregierung die Gymnasien be- nachteiligt und von innen ausgehöhlt. Die Lehrer- (Unruhe SPD) ausbildung wurde auf den Einheitslehrer getrimmt. Meine Damen und Herren, am freiwilligen Schul- Die Qualität der Bildung war bei all dem egal - TÜV nehmen von knapp 800 Schulen in Schleswig- Hauptsache, die Systemumstellung erfolgte. Holstein nur sieben teil. Das kann man mit Sicher- Der Bericht ist insgesamt eine Aufzählung quer heit nicht als ein gelungenes Verfahren bezeichnen. durch den schulpolitischen Garten. Welche qualita- Wenn die Landesregierung mehr mit den Lehrern tiven Ziele die Landesregierung aber definiert und reden würde, dann wüsste sie vielleicht besser, wo mit welchen Maßnahmen sie die Umsetzung plant, der Schuh drückt. So ist es die Empfehlung der ist nicht erkennbar. Mir stellt sich die Frage, was Lehrerverbände, den kostspieligen, arbeitsintensi- Frau Ministerin Ernst überhaupt unter Qualität ven und völlig bürokratischen Schul-TÜV auf Eis versteht. zu legen. Außerdem sind die Schulen mit VERA Heißt das für Sie, Bildungsstandards bei Abschlus- und anderen externen Erhebungen sowie einer gut sprüfungen abzusenken, wie Sie es zuletzt im Be- genutzten internen Evaluation gut versorgt. reich der Rechtschreibung beim Abitur gemacht ha- Zahlen scheinen auch nur zu verwirren. Deswegen ben? Verstehen Sie unter Qualität, den Schulen im- verzichtet der Bericht weitgehend darauf. mer neue Aufgaben im Bereich der Inklusion und Integration von Flüchtlingen aufzulasten, ohne ih- (Wolfgang Baasch [SPD]: Auf die Seitenzah- nen entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen? len!) Ist es für Sie Qualität, wenn in den neu geschaffe- Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9409

(Anita Klahn)

Wenn es um Qualitätsentwicklung geht, wäre es spricht, die eine Qualitätsoffensive bitter nötig ha- hilfreich, einige Vergleichszahlen zu präsentieren. ben. Eine Ideensammlung, die echte qualitative Ak- zente setzt. Stattdessen verharrt der Bericht in alt- (Beifall FDP) bekannten Zahlenkolonnen und Merkmalen, die Zum Beispiel wäre es interessant, die Entwicklung nicht nur veraltet sind, sondern noch nicht einmal bei den unterschiedlichen bestehenden Lernstand- repräsentativ für alle Schulen sein können. serhebungen vorzustellen. Darauf verzichten Sie Ich möchte das an wenigen ausgewählten Beispie- aber gern. len deutlich machen. Wenn ein Bildungsbericht et- Weitere Probleme werden auch nicht angesprochen. was zur Qualität sagt, muss er zwingend auch et- Interessant ist zum Beispiel das, was weggelassen was zur Unterrichtsversorgung sagen. Wir haben wird. Dies betrifft zum Beispiel die Lage im offe- den Bericht zur Unterrichtssituation bereits zur nen und gebundenen Ganztagsbereich. Wie sieht Kenntnis genommen. Ausdrücklich wird dort an es mit der Betreuungssituation aus? Brauchen wir verschiedenen Stellen deutlich, dass wir sehr große qualitative Verbesserungen bei den Schulmensen? Unterschiede in der Versorgung haben. Immer wie- Ich bin mir sicher, dass es noch Handlungsbedarf der hören wir, dass Schulen, die einen großen Man- gibt. Aber auch das wird nicht aufgegriffen, ge- gel zum Beispiel an Lehrerstunden beklagen und schweige denn problematisiert. diesen in einen Zusammenhang mit der zu leisten- Zum Unterrichtsausfall sagen Sie im Qualitätsbe- den Aufgabe setzen, keinen repräsentativen Cha- richt auch nichts. Nur ein neues Erhebungssystem rakter haben. Man erklärt uns, dass es große regio- einzuführen, reicht da nicht. Ich glaube, die Lan- nale Unterschiede gibt. Dann muss ich zwingend desregierung hat kein Konzept, wie sie dem Unter- auch ein weiteres Feld für die Qualitätssicherung richtsausfall begegnen will. annehmen. So wird die Qualität in unserem System nicht beho- Die Regierung macht es sich einfach. Sie schiebt ben. Der vorliegende Bericht gibt keine Antworten, die Verantwortung gern auf die Schulleitungen und sondern lässt viele Fragen offen. Diese werden wir lässt diese als Mangelverwalter allein. aber sicherlich noch im Bildungsausschuss stellen. - (Beifall PIRATEN und Volker Dornquast Vielen Dank. [CDU]) (Beifall FDP) Ohne eine gleichmäßige gute Versorgung wird es keine Fortschritte in der Qualitätsentwicklung ge- Vizepräsident Bernd Heinemann: ben. Dass darüber nichts gesagt wird, verwundert. Oder sind wir auf dem völlig falschen Pfad? Sollten Für die Piratenfraktion hat jetzt Herr Abgeordneter wir nicht, wenn wir über Schulleiter sprechen, uns Sven Krumbeck das Wort. einmal über die Berufsbildung derselben unterhal- (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Einsamer Höhe- ten? Könnte es ein Qualitätsmerkmal sein, über das punkt des Tages! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Anforderungsprofil zu sprechen und hier ganz neu Immerhin hatten Sie heute schon einen Hö- anzusetzen? Dann würden die multiprofessionellen hepunkt! - Heiterkeit) Teams in Schulen auch tatsächlich Sinn machen. Dann hätten die Schulassistenten nicht den faden Sven Krumbeck [PIRATEN]: Geschmack von Hilfsarbeitern, die zu niedrigem Lohn den Job von Lehrern machen müssen, wie wir Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen es von den pädagogischen Hilfen kennen. und Kollegen! Ich danke der Ministerin und ihrem Haus für den vorliegenden Bericht. Ich hatte ihn Diesen Schritt geht die Landesregierung aber nicht. schon kritisch kommentiert. Ich tue das heute wie- Sie spricht weiter von statistischen Durchschnitts- der. werten und druckt sie auf geduldiges Papier. Der Anspruchsvolle hätte sich eine deutliches Mehr Ein anderes Feld. Von den Vor-Ort-Besuchen wis- an konkreten neuen und innovativen Handlungsop- sen wir, dass es auch in der Ausstattung große Un- tionen gewünscht. Der Geduldige - und dazu zähle terschiede gibt. Während ein reicher Schulträger ich mich ausdrücklich, weil ich für viele bildungs- Systemadministratoren einstellt und somit die Leh- politische Grundideen dieser Regierung Sympathi- rer von diesen Aufgaben entlastet werden, bleiben en habe - hätte sich mindestens eine Gedan- diese an anderen Schulen allein zuständig. Das Pro- kenskizze gewünscht, die die Felder wenigstens an- blemfeld heißt doch: gleichwertige Ausstattung. 9410 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Sven Krumbeck)

Es reicht nicht, die Verantwortung dafür auf die Verband den gleichen Eindruck hat. Aber für den Schulträger zu übertragen. Da muss man doch ganz SSW muss ich deutlich sagen: Wir sind heilfroh konkret die Strukturfrage stellen und einen Pro- über die Tatsache, dass wir die Zeit der ewigen zess in Gang setzen, um sich damit zu beschäftigen. Strukturdebatten hinter uns gelassen haben. Nach Wir haben doch weniger ein Kompetenz- als ein unserer Überzeugung muss Bildung Chancen eröff- Ausstattungsproblem. Aber da geht keiner ran. nen und darf keine Steine in den Weg legen. (Beifall Uli König [PIRATEN]) (Beifall Lars Harms [SSW], Peter Eichstädt [SPD] und Thomas Hölck [SPD]) Solange wir keine vergleichbaren Verhältnisse ha- ben, können wir auch nichts vergleichen oder gar Deshalb setzt Rot-Grün-Blau auf längeres gemein- bewerten. sames Lernen statt auf „Schubladisierung“ und auf die möglichst inklusive Beschulung von Kindern Ich bleibe dabei: Schul-TÜV, egal ob freiwillig mit Förderbedarf. Unnötige Hürden und das früh- oder verbindlich, macht erst Sinn, wenn die Ver- zeitige Aussortieren sind Ansätze von Vorgestern. hältnisse dies hergeben. Hier liegt die Verantwor- Wir wollen möglichst kein Kind zurücklassen und tung des Landes für die Unterrichtsqualität. Da will allen gute Bildungschancen bieten. Am Ende soll aber keiner ran. jeder Schüler und jede Schülerin den für sie oder Lehrerarbeitszeit. Das ist eine echte Möglichkeit ihn bestmöglichen Abschluss machen können. zur Qualitätsentwicklung. Ich bin mir sicher, wenn Aus Sicht des SSW haben wir hierfür mit unserem wir hier neue und gute Akzente setzen würden, Schulgesetz und der reformierten Lehrerbildung ei- würden sich das Bild des Lehrers in diesem Land ne gute und solide Basis geschaffen - nicht zuletzt, und seine Motivation und Fortbildungsbereitschaft weil wir diese Dinge gemeinsam mit den Betroffe- deutlich erhöhen. nen auf den Weg gebracht haben. (Beifall Wolfgang Dudda [PIRATEN] und Aber neben den gesetzlichen Grundlagen haben wir Uli König [PIRATEN]) bekanntlich auch die personelle Ausstattung ganz Ein anderes Feld: Chronotypen. Ich weiß, dass erheblich korrigiert. Das soll heißen: Wir haben den Frau Ernst das in Hamburg schon erfolglos versucht Abbaupfad der Vorgänger verlassen und um die hat, aber nicht, weil es falsch ist, sondern weil es 2.000 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen. Außer- Mühe macht. Unser System ist träge. dem bauen wir die Schulsozialarbeit aus und inves- Dieser Bericht zeigt, dass wir es zusammen in Bil- tieren massiv in die Schulassistenz. Diese Maßnah- dungsfragen auch sind. Mir bleibt der Bericht viel men sorgen schon heute für deutlich bessere Lehr- zu sehr in der Vergangenheit hängen. 15 Jahre PI- und Lernbedingungen an unseren Schulen. SA, 12 Jahre Bildungsstandards. Der Blick in die All das bedeutet ausdrücklich nicht, dass für die Zukunft ist mir zu unscharf. Darum bleibe ich da- Zukunft weniger Arbeit vor uns liegt. Allein der bei: zu wenig Neues, zu wenig Mut für einen guten zahlenmäßige Anstieg der Menschen, die zu uns Bericht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer von flüchten, stellt uns natürlich vor neue Herausforde- Schulen als Teil eines Systems erwartet, dass sie rungen. Viele sind im schulpflichtigen Alter und sich fit machen für die Schüler der Gegenwart, der müssen von unseren Schulen nicht nur aufgenom- muss das auch vom ganzen System erwarten. - Vie- men, sondern selbstverständlich auch bestmöglich len Dank. beschult werden. Gerade vor diesem Hintergrund (Beifall PIRATEN) geht es nicht nur um die reine Unterrichtsversor- gung. Es geht auch um die Qualität von Schule und Unterricht. Veränderte Rahmenbedingungen Vizepräsident Bernd Heinemann: brauchen nun einmal neue Antworten auf die Frage, Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt Frau Ab- wie wir den Unterricht verbessern können. Ich den- geordnete Jette Waldinger-Thiering das Wort. ke, wir alle sind deshalb gut beraten, wenn wir in Zukunft noch stärker die Schul- und Unterrichtsent- Jette Waldinger-Thiering [SSW]: wicklung in den Fokus nehmen. Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Der vorliegende Bericht zeigt die vielfältigen Maß- Damen und Herren! Liebe Bildungsministerin, vie- nahmen, die spätestens in der Phase nach PISA zur len Dank für den Bericht. Mir ist durchaus klar, Verbesserung und zur Sicherung der Qualität des dass nicht jeder hier im Haus und auch nicht jeder Bildungssystems ergriffen wurden. So wurden zum Beispiel Bildungsstandards erarbeitet, die allen Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9411

(Jette Waldinger-Thiering)

Betroffenen Orientierung und ein gewisses Maß an struktiv angegangen, sondern eine Nullnummer ge- Vergleichbarkeit bieten. Durch Testverfahren kön- liefert. nen nicht nur die Leistungen in den einzelnen Län- (Zurufe PIRATEN) dern verglichen, sondern auch Aussagen über die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen getroffen wer- - Entschuldigung, ich rede von der Opposition, die den. Diese Ansätze zeigen ganz unbestritten Wir- nach 2017 weiter im Landtag ist. kung. Aber landesspezifische Maßnahmen sind und (Zurufe) bleiben nun mal in meinen Augen mindestens ge- nauso wichtig. - Da hätte ich fast dänisch gespro- Bei den Rahmenplänen im Fach Geschichte, Frau chen. Klahn, gab es einen Konflikt der um die Frage: Soll es im Geschichtsunterricht verschiedene Durchläu- In diesem Zusammenhang hat nicht nur der Über- fe geben, oder sollen stärker Längsschnitte imple- gang Schule-Beruf höchste Priorität, auch der Wei- mentiert werden, wie das in den meisten anderen terentwicklung der inklusiven Schule und der Bundesländern der Fall ist. Ein Längsschnitt - für Fachanforderungen für ausgewählte Fächer kommt die, die sich nicht jeden Tag mit Geschichtsrahmen- eine große Bedeutung zu. Der Leistungstest VERA plänen beschäftigen - stellt zum Beispiel die Frage: soll ausgeweitet und die Zahl der teilnehmen Wie war das Verhältnis von Arm und Reich in ver- Schulen nach Möglichkeit erhöht werden. Dies er- schiedenen Epochen? Dann hat man eben nicht folgt natürlich genauso auf freiwilliger Basis wie mehr die Idee, dass wir von den Dinosauriern bis die sinnvolle Wiedereinführung der externen Eva- heute im Schnelldurchlauf durch die Epochen ge- luation von Schulen. Ich denke, nicht zuletzt durch hen, sondern man untersucht an einer Leitfrage ver- diese Daten und die geplante Aufbereitung im Lan- schiedene Zeiten, verschiedene Epochen. desbildungsbericht können wir Schule fundiert wei- terentwickeln. Diesen Weg wollen wir gemeinsam (Zuruf Peter Eichstädt [SPD]) mit den Lehrerinnen und Lehrern, den Schüler- und Das ist im Kern gar nicht umstritten gewesen zwi- Elternvertretungen und den Verbänden gehen. schen dem Bildungsministerium und der Gruppe, (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE die die Fachanforderungen entwickelt hat, sondern GRÜNEN) zwischen einigen Kollegien und dem Ministerium. Das hat aber überhaupt nichts mit der Frage der Vizepräsident Bernd Heinemann: Kompetenzorientierung zu tun, die Sie gerade hin- Wir kommen jetzt zu den Dreiminutenbeiträgen. - eingeworfen haben. Kompetenzorientierung ist Zunächst hat Herr Abgeordneter Martin Habersaat seit 2003 State of the Art der kompletten Kultus- das Wort. ministerkonferenz, weil eben nicht mehr die Frage wichtig ist, was im Unterricht drangenommen wur- de, sondern wichtig ist die Frage: Was kann denn Martin Habersaat [SPD]: eine Schülerin oder ein Schüler? - Das sind doch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie die Fragen, über die wir uns unterhalten müssen. schaffen wir es, Vergleichsarbeiten, die mit viel (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aufwand geschrieben und ausgewertet werden, für und SSW) die Entwicklung von Schulen nutzbar zu machen? Welche Fachanforderungen stellen wir eigentlich Dann stellen Sie sich in der Tat hier hin, Frau unseren Schulen, und wie können sie sie am besten Klahn, und sagen: Lehrer A sagt Lehrer B, was er erfüllen? Wie entwickelt sich eigentlich das Lernen machen soll. Das kann nicht funktionieren. Dieser in einer digitalen Gesellschaft? Wie verbessern wir Lehrer A ist derjenige, von dem wir erwarten, mit den Übergang von der Schule in den Beruf? Wie Schülerinnen und Schülern umzugehen und die auf schaffen wir es als Landtag, als Bildungsministeri- ihr Leben vorzubereiten. Wer sonst als dieser Leh- um, als Gesellschaft, das zu verbessern, was in den rer A kann denn qualifiziert eine Rückmeldung für Klassenräumen passiert, die vor 30 Jahren noch Lehrer B geben? Wie wichtig ist eigentlich ein qua- verschlossen waren und in denen es heute durchaus lifiziertes Feedback in der Pädagogik? Wenn Sie langsam offene Türen und gegenseitige Beratung sich all dem verweigern und hier nur eine Rede hal- gibt? Das wären alles Fragen gewesen, über die wir ten, in der das Wort Einheitsschule möglichst oft heute hätten sprechen können. Die Opposition hat vorkommt, keine einzige davon auch nur ein bisschen kon- (Anita Klahn [FDP]: Das ist nur einmal vor- gekommen!) 9412 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Martin Habersaat) da kann ich Ihnen nur empfehlen: Machen Sie wei- Myrte des Parlaments gegeben. Das muss ich ein- ter so. - Wir reden über Qualität. Also, noch einmal mal sagen. für alle: Die Koalition, das sind die mit der Unter- (Heiterkeit und Beifall BÜNDNIS 90/DIE richtsqualität. - Vielen Dank. GRÜNEN, SPD und SSW - Anita Klahn (Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [FDP]: Unmöglich!) und SSW) Vizepräsident Bernd Heinemann: Vizepräsident Bernd Heinemann: Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat Frau liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Abgeordnete Anke Erdmann das Wort. Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 18/3879 und den Bericht der Landesregierung Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drucksache 18/3719 dem Bildungsausschuss zu Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich überweisen, den Bericht zur abschließenden Bera- dachte, dass diese Qualitätsdebatte vielleicht ein tung. Wer so beschließen will, den bitte ich um das bisschen blutleer werden würde. Blutleer war sie Handzeichen. - Das ist einstimmig. jetzt nicht, aber von einer Qualitätsdebatte kann Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 51 auf: man auch nicht reden. Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich den Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebensmit- Beitrag von Ihnen, Frau Klahn, wirklich dermaßen teln grottig fand. Ich gehe jetzt nur auf den einen Punkt ein, den Martin Habersaat schon gestreift hat, das Bericht der Landesregierung ist der Punkt EVIT - Evaluation im Team. Ich be- Drucksache 18/3791 mühe jetzt noch einmal Hattie als Bildungsforscher, aber wir haben auch viele Bildungsforscher hier in Im Laufschritt kommt er schon: Ich erteile das Kiel. Kiel hat ja viele Bildungspäpste für die deut- Wort dem Minister für Energiewende, Landwirt- sche Bildungsszene hervorgebracht. Die haben ge- schaft, Umwelt und ländliche Räume, Dr. Robert sagt: Wie konnte man EVIT bloß einstampfen! Man Habeck. hätte es evaluieren müssen, also einmal verbessern, zielgenauere, passgenauere Angebote machen, aber Dr. Robert Habeck, Minister für Energiewende, das Ding doch nicht in die Tonne kloppen dürfen. Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume: Das war überhaupt nicht zeitgemäß. Vielen Dank, Herr Präsident! Ich dachte, meine Wenn Sie eine Idee davon hätten, wie Schulquali- Kollegin Frau Ernst muss noch reden, aber sie muss tät entsteht, dann wäre die Frage: Was wird eigent- gar nicht. lich im Lehrerzimmer besprochen? Dazu hat Hattie (Zurufe) in einem „Spiegel“-Interview gesagt, dass es inter- essant ist, einmal im Lehrerzimmer die Ohren auf- - Sie hat angefangen, okay, dann fange auch ich an zumachen: Reden die Lehrkräfte vor allem über or- und stelle den erstmaligen Bericht zu Pflanzen- ganisatorische Fragen wie Stundenplangestaltung, schutzmittelrückständen in Lebensmitteln im Gro- Freistunden legen und so weiter? Oder reden sie ben vor. Es ist allerdings nicht so, dass wir in die- darüber, wie ihr Unterricht angekommen ist, und sem Jahr zum ersten Mal Pflanzenschutzmittel- haben so etwas wie eine kollegiale Beratung? - Es rückstände in Lebensmitteln untersucht haben, gibt einen unglaublichen Effekt auf die Unterrichts- sondern das Landeslabor macht das seit etwa zehn qualität, wenn Lehrkräfte miteinander über den Un- Jahren und veröffentlicht diese Berichte immer im terricht reden und die Wirksamkeit auf die Schüle- Jahresbericht des Landeslabors. Erlauben Sie mir, rinnen und Schüler. an dieser Stelle einmal danke zu sagen für die sorg- fältige und penible Arbeit der Leute im Landesla- Wir wollten hier eigentlich eine Qualitätsdebatte bor, die seit zehn Jahren einen fantastischen Job führen. Ich habe noch gedacht, die Strukturdebat- machen und die Lebensmittelsicherheit in Schles- ten lägen hinter uns. Sie wollen gar nicht über Qua- wig-Holstein gewährleisten. lität reden. Sie wollen nur Dino-Debatten über die Struktur führen. Sie haben heute echt die maulende (Beifall) Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9413

(Minister Dr. Robert Habeck)

Untersucht werden jedes Jahr ungefähr 300 Proben Vizepräsident Bernd Heinemann: - im Jahr 2014 315 Proben - auf 1.100 Wirkstoffe. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Ab- So viele gibt es, oder sie sind nachweisbar. Ein geordnete Kirsten Eickhoff-Weber von der SPD- großes Problem ist, die Höchstgehaltsregelung da Fraktion. anzuwenden, wo sich verschiedene Wirkstoffe kombinieren. Wir finden immer mehr Proben, in denen verschiedene Wirkstoffe enthalten sind. Die Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]: Gefahrengrenzen, die Höchstgehaltsgrenzen, wer- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! den immer nach einem Wirkstoff definiert. Kumu- Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe lative Wirkungen sind unreguliert und noch Gegen- Kollegen! Dem Minister danke ich für den Bericht stand von Forschung und Diskussionen. zu Pflanzenschutzmittelrückständen in Lebensmit- Bezogen auf den Nachweis von Wirkungen - nur teln. Schleswig-Holstein ist mit dem Landeslabor in das referiere ich an dieser Stelle - sind die verschie- Neumünster gut aufgestellt und Teil des Monito- denen Bereiche zwar zu unterscheiden, man kann ring- und Kontrollprogramms. Die Ergebnisse sind aber grobe Tendenzen feststellen: Etwa 40 bis 50 % relativ konstant: 40 bis 50 % der Proben sind unbe- aller Proben sind ohne Befund, 20 bis 30 % weisen lastet, 50 bis 60 % der Proben haben Pflanzen- mehr als einen Wirkstoff nach, und 1 bis 2 % - ver- schutzmittelrückstände in feststellbarer Größe, 1 bis glichen mit anderen Bereichen eine kleine Zahl, 2 % überschreiten die zulässige Höchstgrenze. gleichwohl eine deutliche und stabile Zahl - haben Summa summarum: Die Ergebnisse sind nicht auf- Belastungen und überschreiten den Höchstgehalt. fällig und eigentlich kein Grund zur Sorge. Das ist interessanterweise auch bei Ökolebensmit- Dennoch entscheiden sich immer mehr Verbrauche- teln nachzuweisen, allerdings im Umfang von un- rinnen und Verbraucher, Lebensmittel zu konsu- gefähr der Hälfte oder einem Drittel. Da ist der mieren, bei denen aufgrund der Produktionsweise Höchstgehaltswert bei 0,5 % der Proben überschrit- weniger Pflanzenschutzmittelrückstände zu erwar- ten worden, und bei 0,35 % hat er sogar zu Bean- ten sind. Immer mehr Menschen greifen in Natur- standungen geführt. Das ist deshalb interessant, kostläden, Supermärkten und bei Discountern zu weil der Ökolandbau bekannterweise keine oder Biolebensmitteln oder zu Produkten aus der Regi- nur in einem sehr reduzierten Maße Pflanzen- on. Der Umsatz in Deutschland erhöhte sich 2015 schutzmittel einsetzen darf. Das sind Stoffe, die of- um 11,1 % auf rund 8,6 Milliarden €. Marktexper- fensichtlich durch die Drift von Nachbaranbauge- ten führen das Umsatzplus auf die mittlerweile gut bieten, durch Verwechslung oder möglicherweise entwickelten Vermarktungsstrukturen zurück. Der auch durch falsche Deklaration da hineingeraten. Es Bundeslandwirtschaftsminister prognostiziert für ist jedenfalls interessant, dass auch Ökolebensmittel Biobetriebe gute finanzielle und wirtschaftliche - wenn auch in einem geringeren Maße - belastet Aussichten. sind. Die Hauptursache wird die Abdrift sein. Wir Sie erinnern sich an unseren Antrag zum Ökoland- hatten das bei der Diskussion über die Novellierung bau, strategische Ausrichtung, denn mit 3,8 % An- der Ökoverordnung - kleiner Schlenker. Es wäre al- teil an der landwirtschaftlich genutzten Fläche so fies, wenn man die Ökobauern dafür zur Rechen- nimmt Schleswig-Holstein den drittletzten Platz im schaft zöge, dass ihre Lebensmittel belastet sind, Ranking der Bundesländer ein. Das reicht nicht. wenn doch der Nachbar derjenige ist, der spritzt. Man kann auch in diesem Bericht gut nachvollzie- Mit dem Netzwerk für ökologischen Landbau ist hen, dass das ein Problem darstellt. jetzt ein wichtiger Schritt getan. Es bietet Akteuren aus Landwirtschaft, Verarbeitung, Vermarktung, Bei 1 % der Fälle kann rechnerisch eine gesund- Lehre eine Plattform für gemeinsame Projekte, heitliche Beeinträchtigung festgestellt werden. denn der Markt für Ökolebensmittel ist einträglich. Rechnerisch ist das ein abstrakter Wert, gleichwohl Höchste Zeit, dass auch die Landwirtschaft in zeigt es, dass man das Problem nicht verharmlosen Schleswig-Holstein davon profitiert. oder verniedlichen sollte. Auf die kumulativen Wir- kungen, die nicht erforscht sind und für die keine (Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ Grenzwerte festgelegt sind, habe ich hingewiesen. - DIE GRÜNEN und SSW) So weit der Bericht. - Vielen Dank. Um es hier noch einmal ganz deutlich zu sagen: Es (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD geht nicht um entweder konventionell oder bio, es und SSW) geht um sowohl als auch. Unsere Landwirtschaft erzeugt gesunde Lebensmittel, ohne Frage, und 9414 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Kirsten Eickhoff-Weber) doch müssen wir uns um die Produktionsweise und die die Pflanzenschutzmittel produzieren, über de- die sich daraus ergebenden Konsequenzen für Bo- ren Rückstände in Lebensmitteln wir gerade gehört den, Wasser und Klima Gedanken machen und han- haben. deln. So zu handeln, dass klare Regeln faire Be- (Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS dingungen schaffen, muss in einem Schrittmaß ge- 90/DIE GRÜNEN) schehen, dass die Landwirtschaft mitgehen kann. Wir brauchen seriöse Wissenschaft und Forschung, Nun kommt reflexhaft der Einwand, das gehe alles im Sinne eines dritten Weges für Nachhaltigkeit. - nicht, wir müssten die Welt ernähren. Hand aufs Danke. Herz: Bei einem Globus in der Größe eines Medi- zinballs hat Schleswig-Holstein ungefähr das Aus- (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- maß eines Stecknadelkopfes. Für unsere Gunstregi- NEN - Hauke Göttsch [CDU]: Am Thema on ist der Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse vorbei! Sechs!) immer Teil des Wirtschaftens gewesen und wird es auch bleiben, und trotzdem ernähren wir nicht die Heiner Rickers [CDU]: Welt. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ver- (Vereinzelter Beifall SPD) suche gleich, auf den Minister einzugehen. Es hat Forschung, Wissenschaft und technische Ent- mir gut gefallen, dass Sie objektiv beschrieben ha- wicklung sind viel entscheidender. Da können wir ben, was in dem Bericht zu Pflanzenschutzmittel- eine ganze Menge tun. Ein chinesisches Sprichwort rückständen in Lebensmitteln steht, und nicht weit sagt: Gibst du dem Hungrigen einen Fisch, ist er abweichend vom Thema hier über blumige Wiesen einen Tag satt, gibst du ihm eine Angel, kann er gesprochen haben - wie Frau Eickhoff-Weber von sich selbst ernähren. Ökolandbau, Bewirtschaftung, Drittem Weg oder der Ausrichtung der Agrarpolitik. Davon ist in dem Ein Beispiel dafür ist der Promotionsschwerpunkt Bericht, den wir vorgelegt bekommen haben, über- der Christian-Albrechts-Universität „Ein Dritter haupt nichts zu lesen. Insofern war das eine etwas Weg zur Ernährung der Einen Welt“, vorgestellt im freie Interpretation von politischen Standardaussa- Januar 2015. Hier geht es um Lösungsansätze zur gen Ihrer Fraktion oder auch Ihre persönliche Mei- Welternährung, nachhaltige Landwirtschaft und die nung. Suche nach einem Kompromiss zwischen Ökoland- bau und hochintensiver Bewirtschaftung. (Beifall CDU) Dass die CDU ihr Positionspapier im August 2015 Ich komme nun zum Bericht. Es gibt aus meiner „Für einen dritten Weg: Gegenentwurf zur grünen Sicht vier Kernaussagen. Die erste: Es ist auf EU- Agrarwende“ überschreibt, zeigt Fantasielosigkeit, Ebene rechtlich alles geordnet, wenn es um Rück- genauso wie bei der Großen Anfrage „Zukunft der stände von Pflanzenschutzmitteln, besonders in Le- Städte und des ländlichen Raums“, die Sie bei der bensmitteln, geht. Das kann man nur begrüßen. Es FDP in NRW und Niedersachsen abgeschrieben ha- ist nicht nur auf EU-Ebene seit 2008 durch eine ben. Der Dritte Weg kommt immerhin aus Schles- Verordnung geregelt, sondern sie wurde auch auf wig-Holstein. Sie zeigen, dass Sie es immer noch Bundes- und Landesebene heruntergebrochen, und nicht verstanden haben. Sie locken die Landwirt- auch das kann man nur begrüßen. Seit 1995, Herr schaft auf einen Holzweg. Minister - nicht seit zehn Jahren, sondern seit über 20 Jahren -, gibt es ein sogenanntes Monitoring, an (Vereinzelter Beifall SPD) dem auch Schleswig-Holstein dankenswerterweise Kritiker äußern, dass die Ökoproduktion angeblich regelmäßig teilnimmt. die doppelte Fläche für denselben Ertrag benötige. Wichtig ist dabei: Das Ganze wird risikobasiert für Der Industrieverband Agrar hat dazu gerade eine alle pflanzlichen Lebensmittel durchgeführt und Ertragsstudie herausgegeben, bei der auf Material nicht nur für diejenigen, die hier hergestellt werden. des bundeseigenen Thünen-Instituts zurückgegrif- Das ist dabei der eigentlich wichtige Punkt. Es wird fen wurde. Fachleute bezeichnen diese Studie als auch für die Dinge durchgeführt, die importiert, al- dubios. Das Thünen-Institut konstatiert, dass die so nicht in Schleswig-Holstein hergestellt werden. Daten weder dazu gedacht noch geeignet seien, physische Erträge ökologischer und konventioneller Zweite Aussage: In Schleswig-Holstein gibt es so Betriebe miteinander zu vergleichen. Wir sollten gut wie gar keine Überschreitungen. Es sind nicht die Meinungsführerschaft nicht denen überlassen, einmal Rückstände in den Produkten zu messen, die wir hier als pflanzliche Lebensmittel direkt Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9415

(Heiner Rickers) herstellen. Das ist äußerst begrüßenswert, und des- Die vierte Aussage: Es geht um Glyphosat. Auch wegen bin ich dankbar, dass Sie den Bericht hier das haben wir hier im Landtag schon einmal disku- auch vorgelegt haben. Rückstandsarm sind dem Be- tiert. Nun sehe ich den Bericht: In Schleswig-Hol- richt zufolge Babynahrung, Getreide, Kartoffeln, stein gibt es keine Überschreitungen und kaum Weißkohl, Blumenkohl, Spargel, Möhren, Kürbis Rückstände; Letzteres gibt es nur bei 0,3 % der Ge- und Zwiebeln. Das sind alles Produkte aus Schles- samtbeprobung. Auch das ist hervorragend, und da wig-Holstein. kann man nur sagen: Hut ab vor denen, die hier in Schleswig-Holstein produzieren. Mittlere Gehalte gibt es in Paprika, Gurken, Bana- nen, Auberginen, Brombeeren, Spinat und Toma- (Beifall CDU) ten. Da fragt man sich, wann die beprobt wurden, Jetzt komme ich zur Zusammenfassung. Ich zitiere zu welcher Jahreszeit, ob es Import- oder Export- aus dem Bericht: ware war oder heimische Herstellung. Das ist nicht genannt. Ausgeprägte Rückstände - auch interes- „Die Bewertung der Verbraucherexposition sant - wurden gefunden in zeigt, dass die langfristige Belastung der Konsumenten durch Rückstände sehr gering (Zuruf Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE ist.“ GRÜNEN]) Meine Schlussfolgerung: Das Kontrollsystem Pfirsich, Aprikose - Frau Kollegin, Pfirsiche und funktioniert hervorragend. Die Behörden haben Aprikosen stammen nicht aus Schleswig-Holstein -, hervorragend gearbeitet. Essen Sie saisonal und re- Blattsalat, Erdbeeren und Trauben. gional aus Schleswig-Holstein, dann können Sie gar Da fragt man sich auch: Woher stammen diese Pro- nichts falsch machen. dukte, zu welcher Jahreszeit wurden sie geerntet, Abschließend die Frage an den Herrn Minister: Wir handelt es sich um Importware, oder wurden sie haben hier auch über eine Besteuerung von Pflan- selbst hergestellt? Wahrscheinlich stammen sie zenschutzmitteln gesprochen. Dieser Bericht belegt nicht aus Schleswig-Holstein. Zur zweiten Aussage für mich, dass das, was Sie da geplant haben, un- kann ich den Rückschluss ziehen: Heimische Pro- haltbar und auch nicht darstellbar ist. Wir brauchen dukte, regional und saisonal essen! Da können Sie keine Pflanzenschutzmittelbesteuerung, sondern nichts falsch machen. Hier ist nichts belastet. Im müssen den Weg, wie wir ihn hier in Schleswig- Bund stellt sich ein ähnliches Bild dar. Nur Import- Holstein bisher beschritten haben, weiter verfolgen. ware ist hier explizit genannt. Wenn überhaupt, - Herzlichen Dank. dann sind Kräuter und Tees belastet. (Beifall CDU - Sandra Redmann [SPD]: Das Die dritte Aussage: Jetzt kommen wir zu den Öko- war nichts!) produkten. Ich stelle mir die gleiche Frage wie Sie, Herr Minister: Warum können in Ökoproduk- ten überhaupt Rückstände von Pflanzenschutzmit- Vizepräsident Bernd Heinemann: teln auftreten? Sie haben gesagt, das wird an der Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Abdrift liegen. Ich würde sagen, es liegt daran, dass jetzt der Abgeordnete Bernd Voß das Wort. man in dem Bericht nicht dargestellt hat, dass na- türlich auch die Importware beprobt wird, und die Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Importware wird auch als Ökoware verkauft, oft- mals mit anderen Standards. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal ein herzliches Danke- Das heißt natürlich im Rückschluss: In Schleswig- schön an die Landesregierung für diesen Bericht, Holstein gibt es auch bei der Ökoproduktion keiner- und auch ein Dank an das Landeslabor für die wirk- lei Belastungen. Das, was dort belastet ist, wird lich jahrzehntelange wichtige Arbeit in den ver- Ware sein, die wir importieren. Also: Essen Sie schiedensten Bereichen, den Daten und die Quali- wieder heimisch, regional, saisonal und vielleicht tätssicherung, die dort erfolgt. auch noch ökologisch, dann können Sie gar nichts falsch machen! (Hans-Jörn Arp [CDU]: Dank an Heiner Rickers für seinen Beitrag!) (Beifall CDU - Zuruf Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Er ist eine sinnvolle und notwendige Ergänzung zum Bericht „Pestizidrückstände in Gewässern“, - Sie können ja gern eine Frage stellen. den wir hier vor vier Monaten diskutiert haben. In 9416 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Bernd Voß) der Debatte hat der Kollege Heiner Rickers - damit (Sandra Redmann [SPD]: Genau!) hat er diesen Bericht im Grunde mit angezettelt - Laut der Verbraucherzentrale ist größtenteils un- gesagt: „Die Lebensmittel sind sauber.“ klar, ob und wie die einzelnen Wirkstoffe miteinan- (Beifall CDU) der reagieren. Sie sagt, es könne sein, dass sich das eine oder andere in der Wirkung nicht nur addiert, Ich will überhaupt keine Verunsicherung in den sondern verstärkt, potenziert. Das ist ein Bereich, Raum bringen, aber: Absolutheit ist bei diesem der sehr intensiv verfolgt werden muss. Es muss Thema alles andere als hilfreich. überlegt werden, mit welchen Parametern man je- Es ist richtig, wenn Sie sagen, 1996 gab es die erste weils darangehen muss. Das würde bedeuten, dass EU-Pflanzenschutzverordnung. Das war ein die jetzige Risikobewertung zu kurz greift und Stück früher. Betrachte ich das Pflanzenschutzpaket nachgebessert werden muss, wir also im europäi- 2009, die Verordnung von 2006, stelle ich fest: Sie schen Pflanzenschutzrecht die nächsten Nachschlä- hat sich immer weiterentwickelt. ge haben müssen. Ich sehe auch die Debatte um Glyphosat, ein Mit- So schreibt es im Grunde auch dieser Bericht der tel, das wir seit über 50 Jahren verwenden. Da muss Landesregierung, der ganz klar sagt, dass eine ein- ich auch sagen: Gut, dass sich die Vorschriften wei- fache Beurteilung von Mehrfachrückständen derzeit terentwickeln. Wir müssen immer ein kritisches noch nicht möglich ist. Also ganz klar: Bei den Auge darauf haben, weil wir immer wieder feststel- Auswirkungen der Mehrfachbelastungen gibt es er- len, dass wir dort viele neue Probleme bisher über- hebliche Erkenntnisdefizite. sehen haben. Je mehr man untersucht, desto mehr wird man fün- Wir haben gleich mitbeantragt zu berichten, inwie- dig. Bereits jetzt umfasst das Untersuchungspro- weit es nationale Zahlen gibt, es sich um EU-weite gramm auf nationaler Ebene mehr als 800 verschie- Messprogramme handelt und was aus diesen her- dene Wirkstoffe, auf die untersucht wird. 321 sind vorgeht. Es ist zunächst ein Erfolg der risikobasier- in Obst und Gemüse nachgewiesen worden. ten Kontrollen, dass eine Überschreitung von Schaut man sich einzelne Produktgruppen an, ha- Rückstandshöchstgehalten gerade im Umfang ben wir - das ist bereits gesagt worden - Himbee- von 1 bis 2 % festgestellt wurde. Wir könnten daher ren, Erdbeeren, Kräuter, Pfirsiche und Zitrusfrüchte sagen: Eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit als einschlägig Verdächtige. Bei dieser Produkt- durch Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebens- gruppe konnten teilweise in bis zu 90 % der Pro- mitteln besteht nicht generell, sondern nur in Ein- ben Rückstände festgestellt werden, zwei Drittel zelfällen. mit Mehrfachbelastungen. (Beifall CDU) Leider ist der Bericht an dieser Stelle nicht ganz ge- Mit einer Entwarnung wäre ich aber sehr vorsich- nau, er geht nicht auf die Herkunft ein. Heiner tig. Das ist ein Stück zu einfach. Die Verbrauche- Rickers hat bereits gesagt, dass wir in diesem Be- rinnen und Verbraucher werden sich nicht damit reich - ich will das einmal vorsichtig formulieren - zufriedengeben. Jede Überschreitung ist letztlich ei- erhebliche Differenzen haben. Die Verbraucherzen- ne zu viel. Der eine oder andere wird sich auch fra- trale gibt zum Bereich der Herkunft wichtige Hin- gen, warum chemische Wirkstoffe überhaupt in Le- weise; man braucht nur einmal auf deren Website bensmitteln sein dürfen, wenn sie denn über die La- nachzuschauen. dentheke gehen. Ein einfaches Freimessen bezie- Wichtige Hinweise auf zum Teil unerwartete Belas- hungsweise Freitesten kann es nicht geben. Wir tungen werden sehr oft auch von den Umweltver- werden hier ständig nachjustieren müssen. bänden festgestellt. Zum Glück haben wir in der Zi- Die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein weist vilgesellschaft nach wie vor hochkarätiges Fach- in diesem Zusammenhang darauf hin, dass wir ein wissen über Pestizide. Das mag den einen oder an- Problem mit den Mehrfachbelastungen haben. deren gelegentlich nerven oder stören. Aber ich Der Minister hat darauf hingewiesen. Das geht auch glaube, es ist wichtig, dass nicht nur von den Kon- sehr klar aus diesem Bericht hervor. Es ist eine seit zernen und der Lebensmittelüberwachung, sondern Jahren bekannte unbeantwortete Problematik, die auch aus der Zivilgesellschaft viel Wissen einge- hier vorliegt. Zwar werden Pestizide überwiegend bracht wird. nur in kleinen Mengen unterhalb der Höchstgren- Konzerne des Lebensmitteleinzelhandels beginnen, zen nachgewiesen, dafür aber ziemlich oft in einer sich weitgehend frei von öffentlichen Skandalen zu Probe mehrere bis zu einer Vielzahl von Stoffen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9417

(Bernd Voß) halten - das ist die Motivation -, und bei ihren Lie- Oliver Kumbartzky [FDP]: ferungen auf die Einhaltung höherer Grenzwerte als Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! derjenigen, die gesetzlich vorgeschrieben sind, zu Dem Dank für den Bericht an das Ministerium, den setzen. Diese Sensibilität ist grundsätzlich zu be- Minister, die Mitarbeiter und das Landeslabor grüßen. Auf die kritischen Punkte in dem Bereich schließe ich mich natürlich an. Ich danke auch ganz will ich jetzt nicht eingehen. herzlich Heiner Rickers - mit s - für seine Rede Es wird immer dringender, dass öffentliche Institu- zum Thema. tionen und Forschungseinrichtungen bei uns und (Beifall FDP und CDU) EU-weit finanziell unabhängig sind. Das ist ein Punkt, in dem wir auch das EU-Recht noch nach- Ich werde es ähnlich halten. schärfen müssen beziehungsweise auf die entspre- Meine Damen und Herren, der vorliegende Bericht chende Umsetzung in Deutschland zu achten haben. veranschaulicht sachlich und nüchtern, wie es um Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebensmit- Vizepräsident Bernd Heinemann: teln steht. In der Zusammenfassung steht geschrie- Kommen Sie bitte zum Ende. Die Zeit ist deutlich ben - ich zitiere -: überzogen. „Bei konservativer Betrachtung der kurzzeiti- gen Aufnahme kann in etwa 1 % der Fälle ei- Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ne mögliche gesundheitliche Beeinträchti- Zwei Sätze noch! gung auf Grundlage von Rechenmodellen nicht sicher ausgeschlossen werden. Das tat- (Heiterkeit) sächliche Risiko in der Praxis ist dagegen ge- Wir brauchen unabhängiges Fachwissen und Fach- ringer anzusetzen.“ kompetenz. Öffentliche Behörden müssen eigene Meine Damen und Herren, wir haben schon im Ok- Studien beauftragen können. tober eine Debatte über dieses Thema geführt; da- Jetzt noch ein Satz zur Pflanzenschutzsteuer. Das mals ging es um Pestizidrückstände in Gewässern. von der Landesregierung - - Ich zitiere mich jetzt selbst indirekt. Damals habe ich gesagt - das wiederhole ich heute gern -, dass wir eine sachliche, fachlich fundierte Debatte über Vizepräsident Bernd Heinemann: dieses Thema brauchen. Auch wir wollen auf gar Nein, das ist nicht mehr möglich, Herr Abgeordne- keinen Fall irgendetwas verharmlosen oder vernied- ter. Sie haben schon über eine Minute überzogen. lichen. Aber wir dürfen nicht außer Acht lassen, Ich bin sehr großzügig. Aber kommen Sie jetzt bitte dass wir bereits die weltweit strengsten Grenzwer- zum Ende. te für Pflanzenschutzmittel haben. (Beifall FDP und CDU) Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ebenfalls nicht außer Acht lassen dürfen wir die Okay. - Eines noch zur Pflanzenschutzsteuer - - Tatsache, dass die heutige Messtechnik den Nach- (Heiterkeit) weis extrem kleiner Mikrospuren ermöglicht, de- ren Abwesenheit in der landwirtschaftlichen Pro- Vizepräsident Bernd Heinemann: duktion niemand garantieren kann. Auch das ist ein wichtiges Thema. Herr Abgeordneter, Sie können sich gern nachher zu einem Dreiminutenbeitrag melden; dann haben Meine Damen und Herren, Lebensmittel aus Sie es noch einmal kompakt. Das ist meine Emp- Schleswig-Holstein sind von hervorragender Quali- fehlung. - Vielen Dank. tät. Ein wichtiger Baustein sind die Erfolge bei der Verringerung von Pflanzenmittelrückständen. Die (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD Anwendung von Pflanzenschutz in der Landwirt- und SSW) schaft ist weitgehend unverzichtbar. Auch das darf Jetzt hat erst einmal Herr Abgeordneter Oliver man nicht verkennen. Denn wer will schon Blattsa- Kumbartzky von der FDP-Fraktion das Wort. lat mit Lausbefall, schorfige Kartoffeln oder von Raupen befallenen Dithmarscher Kohl essen? Ich denke, das will niemand. 9418 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Oliver Kumbartzky)

Es ist Aufgabe von Landwirten, durch die verant- Angelika Beer [PIRATEN]: wortungsvolle Anwendung von Pflanzenschutzmit- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- teln jegliche Belastung der Produkte zu vermei- gen! Auch die Piratenfraktion schließt sich dem den. Dies ist in den vergangenen Jahren durchaus Dank - aber nicht nur an den Minister - an. - Wir al- gelungen. Es gehört in Deutschland seit vielen Jah- le wissen, dass beim Anbau von Agrarprodukten ren zur guten fachlichen Praxis, dass Landwirte Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden und dass es beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sachkun- zu Rückständen kommen kann. dig sein müssen; das sind sie auch. Es ist erwähnt worden, dass seit 2008 die Verord- (Beifall FDP und CDU - Zuruf SPD: Das hat nung der Europäischen Union zur Festsetzung und aber lange gedauert mit dem Beifall!) Harmonisierung von Rückstandshöchstgehalten in - Die Kollegen haben über diesen intelligenten Satz Kraft ist. Wir PIRATEN - das will ich unterstrei- lange nachdenken müssen. chen - haben Vertrauen in die schleswig-holsteini- schen Landwirte und Landwirtinnen, dass sie be- (Heiterkeit) wusst und verantwortungsvoll mit dem Einsatz von Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Pflanzenschutzmitteln in der Lebensmittelpro- weitere Debatte, die wir im Umweltausschuss über duktion umgehen. Das hat dieser Bericht auch in den Bericht zu diesem Thema und zu den Berichten weiten Teilen bewiesen. über andere Themen sicherlich führen werden. Dennoch sind Kontrollen wichtig; das ist ein Punkt, Ich möchte jetzt nicht, wie andere Redner es getan auf den ich gleich noch etwas genauer eingehen haben, eine Nebendebatte aufmachen, etwa über die will. Pflanzenschutzsteuer oder den Ökolandbau. Die Kontrollen haben gezeigt, dass zwar Rückstän- Ich habe heute aber auch etwas gelernt, Frau Eick- de von Pflanzenschutzmitteln gefunden wurden, die hoff-Weber. Das chinesische Sprichwort zum An- Beanstandungsquote jedoch unter 1 % lag. Leider geln finde ich gut. Wenn man eine Angel auswirft, ist die Anzahl der Proben zu gering. Ich kann wirk- kann man sich selbst versorgen. Schade, dass die lich nur empfehlen, sich den Bericht genau durch- von Ihnen getragene Bundesregierung das Angeln zulesen. Im Zeitraum 2009 bis 2015 - das sind im- an der Küste weitgehend verbieten will, indem neue merhin sechs Jahre - sind zur Untersuchung der Naturschutzgebiete ausgewiesen werden. Vielleicht Glyphosatproblematik lediglich 361 Proben genom- können Sie insoweit Ihren Einfluss geltend machen. men worden. Da dies nicht repräsentativ ist, kann Was mich auch sehr freut, ist, dass der vorliegende ich als Verbraucher eigentlich nur den Schluss zie- Bericht nicht zur grünen Kommunikations- und hen, dass ich aufpassen sollte, wenn ich Linsen Marketingstrategie passt; schließlich kann man mit kaufe. Das ist nämlich das einzige Produkt, in dem den vorliegenden Zahlen keine Angst und keine Pa- Proben mit Rückständen über dem zulässigen nik verbreiten. Das wurde insbesondere bei dem Höchstgehalt festgestellt worden sind; es waren Thema „Glyphosat in der Muttermilch“ versucht. neun Proben. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass das eine Die geringe Anzahl der Proben führt, wie gesagt, zu Bauchlandung der Grünen war. Das damals von der Erkenntnis, dass dieser Bericht nicht repräsenta- Renate Künast gegründete Bundesinstitut für Risi- tiv ist. Insoweit herrscht aus unserer Sicht Nachhol- kobewertung hat 114 Proben untersucht. In keiner bedarf. Die Landesregierung sollte dafür Sorge tra- Probe wurde Glyphosat oberhalb der Nachweis- gen, dass das Landeslabor die notwendigen Res- grenze gefunden. Das ist auch gut so. - Ich danke sourcen erhält, um seiner Aufgabe der amtlichen Ihnen für die Aufmerksamkeit. Lebensmittelüberwachung tatsächlich nachkommen (Beifall FDP und CDU) zu können und um in der Lage zu sein, eine reprä- sentative Beprobung durchzuführen. Dies sehen wir derzeit als nicht gegeben an. Vizepräsident Bernd Heinemann: Einen Punkt, den Bernd Voß schon erwähnt hat, Für die Piratenfraktion hat Frau Abgeordnete Ange- möchte auch ich unterstreichen: Wer Kontrolle will lika Beer das Wort. - als Verbraucher treten wir natürlich dafür ein, ge- nauso wie als verantwortliche Politiker -, muss Sor- ge dafür tragen, dass die Institutionen unabhängig sind und nicht dem Einfluss von anderen unterlie- gen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9419

(Angelika Beer)

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]) Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebens- mitteln sind gewiss nicht gesundheitsförderlich. Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Es ist Das ist klar. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit nun einmal so - auch wenn es einigen nicht passt; die Rückstände gesundheitsschädlich sind. meine Vorredner von CDU und FDP haben das ja ein bisschen relativiert -, dass die Produkte aus Zur Ehrlichkeit gehört: Eine Landwirtschaft flä- dem ökologischen Anbau, auch was die Rück- chendeckend ohne Pflanzenschutzmittel wird es standsproblematik angeht, besonders gut abschnei- wohl kaum mehr geben. Die Anwendung von den. Ich wiederhole die Zahlen: Deutschlandweit Pflanzenschutzmitteln in den behandelten Kulturen wurden bei 70 % der Proben keine nachweisbaren führt dazu, dass Rückstände häufig unvermeidbar Rückstände gefunden. 0,5 % enthielten Rückstände sind. Daher gilt es, Vorkehrungen zu treffen, die ein über dem zulässigen Höchstwert. Nur 0,35 % der Gesundheitsrisiko ausschließen. Proben wurden beanstandet. Die EU-Ergebnisse Aus dem Bericht geht hervor, auf welchen Rechts- sind entsprechend. grundlagen die Rückstandshöchstgehalte geregelt Dieser Bericht ist ein deutliches Indiz dafür - das sind und welche Kontrollinstrumente es gibt. Es kann man durchaus einmal betonen -, dass Robert gibt Zulassungsverfahren, in denen festgelegt wird, Habecks Agrarwende aus Verbrauchersicht, aber wie hoch die Rückstände bei praxismäßiger An- auch aus politischer Sicht der richtige Weg ist. Der wendung sein dürfen. Schritt von der konventionellen zur nachhaltigen Das Bundesinstitut für Risikobewertung beurteilt ökologischen Landwirtschaft ist wichtig und rich- die toxikologischen Eigenschaften der Wirkstoffe. tig; wir sollten ihn konsequent weitergehen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz erarbeitet (Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vorschläge für Rückstandshöchstgehalte und reicht NEN) diese Vorschläge bei der EU-Kommission ein, die sie dann nach Konsultation der Europäischen Be- Den Verbesserungsbedarf, was die Anzahl der Pro- hörde für Lebensmittelsicherheit in der EU verbind- ben betrifft, habe ich bereits angesprochen. lich vorschreibt. Die EU-Berichte bewerten nicht Wir freuen uns auf die weitere Diskussion, viel- nur die Höchstgehalte, sondern nehmen auch Bezug leicht unterlegt mit weiterer Fachexpertise zu der auf die möglichen gesundheitlichen Auswirkungen Frage, wie ein umfangreiches Monitoringprogramm auf die Konsumenten. den von mir geschilderten Anforderungen in der Zudem wird auf nationaler Ebene ein zusätzliches Praxis entsprechen kann. - Vielen Dank für Ihre Untersuchungsprogramm durchgeführt. Im Rahmen Aufmerksamkeit. der amtlichen Lebensmittelüberwachung führen die (Beifall PIRATEN) zuständigen Landesbehörden die Rückstandsun- tersuchungen durch. Wir haben also ein dichtes Vizepräsident Bernd Heinemann: Netz von Regelungen und Untersuchungen, die da- für sorgen, dass die Rückstände kein Risiko für Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt Herr Ab- Verbraucher darstellen. geordneter Flemming Meyer das Wort. In der Praxis muss jeder Landwirt, der Pflanzen- Flemming Meyer [SSW]: schutzmittel anwendet, sachkundig sein und darf nur geprüfte Pflanzenschutzgeräte verwenden. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, Landwirte müssen auch hier die Grundsätze der gu- liebe Kollegen! Auch der SSW bedankt sich beim ten fachlichen Praxis im Pflanzenschutz einhalten Minister und seinen Mitarbeitern für den vorliegen- und jede Anwendung von Pflanzenschutzmitteln den Bericht. Die im Auftrag der Bundesregierung dokumentieren. durchgeführte zweite Nationale Verzehrstudie be- legt, dass Lebensmittel allgemein als sicher einge- Es ist festzustellen, dass dieses dichte Netz an Be- stuft werden. Gleichwohl sind aber rund 80 % der stimmungen und Untersuchungen seine Wirkung Befragten der Meinung, dass Pestizidrückstände zeigt. Dem Bericht ist zu entnehmen, dass die Un- zu den größten Lebensmittelrisiken gehören. In- tersuchungen im Landeslabor einen positiven Trend wieweit diese Befürchtungen wissenschaftlich be- aufweisen. Das heißt: Der Prozentsatz an Proben gründet sind oder ob es sich dabei um ein Bauchge- ohne Rückstände ist in den letzten Jahren immer fühl handelt, das lasse ich dahingestellt. Aber diese weiter gestiegen. Dieser positive Trend ist auch Wahrnehmung gilt es ernst zu nehmen. bundesweit zu verzeichnen. Das zeigt: Wir sind hier also durchaus auf dem richtigen Weg. 9420 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Flemming Meyer)

Gleichwohl muss ständig nachgebessert und nach- Sie haben ein Thema völlig vernachlässigt; die Stel- gesteuert werden. Gleichzeitig sollten wir nicht lungnahme der FDP dazu war wohltuend, sie war nachlassen, weiter daran zu arbeiten, den Einsatz wenigstens noch ein bisschen nachdenklich und dif- von Pflanzenschutzmitteln zu senken. ferenziert. Die Zunahme von Allergien haben Sie überhaupt nicht betrachtet. Wir haben es allgemein (Beifall SSW und CDU) - nicht nur im Bereich der Landwirtschaft - mit ei- Pflanzenschutzmittel sind nicht ohne Nebenwirkun- ner Zunahme an Stoffen in unserer Umgebung zu gen für die Umwelt. Der Einsatz von Pestiziden ist tun, und wir haben eine sehr starke Zunahme von einer der Hauptgründe für den Verlust der biologi- Allergien in der Bevölkerung. Diese Zusammen- schen Vielfalt in der Agrarlandschaft. Eine kom- hänge sind zum Teil nicht erforscht oder messbar. plette Nullnutzung von Pflanzenschutzmittel wird Das heißt, die minimale Wirkkonzentration von sol- es nicht geben; aber einen Blick auf Alternativen chen Rückständen für den allergieauslösenden Ef- und deren Förderung sollten wir niemals verlieren. fekt - die Kollegin Ärztin nickt - ist schlicht nicht Daran sollten wir ernsthaft weiter arbeiten. - Jo tak. bekannt. (Beifall SSW und CDU) Es ist zu vermuten, dass die Zunahme von Allergi- en in einem Zusammenhang mit der Zunahme von Vizepräsident Bernd Heinemann: Stoffen allgemein in der Umwelt steht. Wir kommen jetzt zu den Dreiminutenbeiträgen. Das Wort erhält Herr Abgeordneter Detlef Mat- Vizepräsident Bernd Heinemann: thiessen. Herr Abgeordneter Matthiessen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Göttsch? Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehr- NEN]: ten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal Ja, bitte schön. zu Wort gemeldet, weil ich das, was die CDU hier Hauke Göttsch [CDU]: Lieber Herr Kolle- vorgetragen hat, so nicht stehen lassen kann. ge, können Sie mir bitte den Bericht zeigen, (Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE in dem Ihre Aussage über die Allergien GRÜNEN) steht? Ich habe das im vorliegenden Bericht Natürlich ist richtig, dass die Qualität der Lebens- nicht gelesen. mittel sowohl im biologischen Bereich als auch im - Der Bericht bezieht sich sozusagen auf die toxi- konventionellen Bereich hoch ist. Die Lagerungs- sche Belastung des Endkunden durch Rückstände technik hat sich verbessert. Im Bereich Verarbei- aus Pestiziden. tung besteht allerdings auch noch ein Problem. (Unruhe) Aber dass Sie aufgrund dieses Berichts dem Einsatz von Pestiziden, von Agrargiften in der Landwirt- Das ist natürlich nur eine Seite der Medaille; das schaft einen Persilschein ausstellen, kann ich so versuchte ich bereits auszuführen. Der Bericht nicht stehen lassen. Auch auf Ebene der toxischen zeigt, dass zur kumulativen Toxizität Erkenntnis- Belastung kann das nicht stimmen. rückstände bestehen. Wir müssen aber vermuten, dass es in diesem Bereich zu Wechselwirkungen Wir müssen im Bericht zur Kenntnis nehmen, dass kommt. Das ist der eine Punkt. wir es mit einer kumulativen Toxizität zu tun ha- ben. Wir haben es mit Metaboliten zu tun; natürlich Der andere Punkt ist, dass neben der Toxizität das haben wir es auch mit Persistenz zu tun. Das heißt, Entstehen von Allergien ganz allgemein als medizi- die Stoffe sind sehr lange nachweisbar und bauen nisches Massenphänomen zu beobachten ist. Das sich teilweise erst nach Jahrzehnten ab. Letztlich steht im Zusammenhang mit der Zunahme von sind auch die Zahlen, die im Bericht genannt wor- Stoffen. Den Zusammenhang zwischen Allergieent- den sind, immerhin im Prozentbereich. Wenn man stehung und Zunahme der Stoffmengen im Sinne sich vor Augen führt, welche Masse wir Menschen der Toxizität - - essen, dann ist festzustellen, dass dies keine Klei- (Lachen CDU) nigkeit ist. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016 9421

(Detlef Matthiessen)

Toxizität ist etwas anderes. Das ist sozusagen die Rahmen der Landwirtschaft sehr stark von den Vergiftung, um das auf Deutsch auszudrücken. Agrargiften beeinflusst wird. (Unruhe - Glocke Präsident) Das ist übrigens auch klar und durch wissenschaft- liche Untersuchungen nachgewiesen. Die Natur hat Allergien können durch sehr niedrige Mengen ent- in der biologischen Landwirtschaft sehr viel mehr stehen. Insofern muss ein Zusammenhang mit der Chancen als in der konventionellen Landwirtschaft. Vielzahl von Stoffen in der menschlichen Umge- Das liegt zum größten Teil an Agrargiften, meine bung - zu denen gehören auch Pestizide - vermutet Damen und Herren. werden, Herr Kollege. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Vizepräsident Bernd Heinemann: SSW) Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Nach- Herr Göttsch, unterhalten Sie sich mit Vertretern frage? der Wasserwirtschaft über die Rückstände im Grundwasser. Wasser ist auch ein Lebensmittel. Hauke Göttsch [CDU]: Auf meine Nachfra- Führen Sie einmal Gespräche mit der Schleswig- ge brauchen Sie nicht wieder so lange zu ant- Holsteinischen Energie- und Wasserwirtschaft, worten. dann werden Sie rot vor Scham darüber, was wir (Heiterkeit CDU) noch an Rückständen von dem Einsatz von Agrar- giften von vor 50 Jahren haben. Ich verstehe nicht ganz, warum Sie den Re- debeitrag von Herrn Rickers kritisieren. Herr Rickers ist auf den Bericht eingegangen und Vizepräsident Bernd Heinemann: nicht auf die Allergien, über die Sie uns gera- Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss. de lang und breit erzählt haben. Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: NEN]: Herr Präsident, ich komme zu meinem letzten Satz. Herr Rickers hat für Ihre Fraktion als Stellungnah- - Der Einsatz von Agrargiften bedeutet also viel me einen Persilschein ausgestellt. Ich mahne in die- mehr als toxische Belastung. Weder im Wasser sem Bereich sehr zur Vorsicht, weil der Einsatz von noch in Lebensmitteln dürfen solche Stoffe sein, Agrargiften sehr viel mehr ist als die toxische Be- die dort nicht hineingehören. - Ich danke für Ihre lastung in Lebensmitteln im Sinne einer Vergiftung. Aufmerksamkeit. Darauf versuchte ich hinzuweisen. Dazu gehört (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW aber noch sehr viel mehr, Herr Göttsch. Dazu ge- und vereinzelt SPD) hört zum Beispiel auch, dass der Einsatz von Agrar- giften dazu führt, dass - - Vizepräsident Bernd Heinemann: (Hauke Göttsch [CDU]: Meine Frage ist be- antwortet! - Heiterkeit und Beifall CDU) Wir kommen zu den Zweiminutenbeiträgen. Das Wort hat der Abgeordnete Voß. - Wenn Sie mir eine Frage stellen, müssen Sie mir schon die Freiheit lassen, Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Lachen CDU) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen diese so zu beantworten, wie es sich aus meiner und Kollegen! Ich glaube, das grundsätzliche Pro- Sicht gehört. blem ist, dass wir eine völlig andere Herangehens- weise an dieses Thema haben als die CDU. Sie Ich sage Ihnen, dass Agrargift sehr viel mehr ist als rechtfertigen im Grunde und schieben alle mögli- die Toxizität in einem Lebensmittel. Dazu gehört chen Fragen beiseite, statt offen zu fragen: Wo kön- auch die Tatsache, dass es - wenn sie in der Land- nen Probleme sein? Wo müssen wir nachbessern? wirtschaft eingesetzt werden - keine Rebhühner mehr gibt, weil ihre Küken keine Larven und Insek- Es mag sich ein bisschen arrogant anhören, aber ten mehr finden. Es gibt keine Feldlerchen mehr, beim Problem des Glyphosats bin ich der Letzte, weil die Vielfalt von Pflanzen und Lebewesen im der herumspringt, wenn ich irgendwo sehe, dass Glyphosat eingesetzt wird. Das Mittel wird seit 50 Jahren eingesetzt, und plötzlich scheinen sehr viele 9422 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 112. Sitzung - Donnerstag, 18. Februar 2016

(Bernd Voß)

Probleme aufzutreten. Das müsste wirklich ein Bei- ches Instrument ist, auf das in der Landwirtschaft spiel sein, das man sich angucken muss und bei reagiert werden kann. - Vielen Dank. dem man nachsteuern muss. Man darf nicht nur (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und aufgeregt herumreagieren. Es geht überhaupt nicht SSW) darum, die konventionelle Landwirtschaft oder ir- gendetwas zu diffamieren. Vizepräsident Bernd Heinemann: Ich habe es versprochen, ein „Aufregerthema“ wollte ich noch zu Ende führen, das ist das Thema Das war eine Punktlandung. - Weitere Wortmel- Pflanzenschutzsteuer. Es ist gut, dass die Landes- dungen liegen nicht vor, ich schließe die Beratung. regierung zusammen mit anderen Landesregierun- Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesre- gen ein Gutachten in Auftrag gegeben hat. Es kann gierung Drucksache 18/3791 an den Umwelt- und ein sehr wichtiger Baustein dafür sein, beim Einsatz Agrarausschuss zur abschließenden Beratung zu von Pflanzenschutzmitteln zu einer ganz anderen überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich Risikoorientierung zu kommen. Die Parameter, um sein Handzeichen. - Das ist einstimmig so be- über die im Gutachten gesprochen wird, sind Para- schlossen. meter, die auch unmittelbar den Anwender, den Landwirt, betreffen, um nur ein Beispiel zu nennen. Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen einen unterhaltsamen und informativen Abend, und Von daher denke ich, es ist gut, dass wir dieses dem Geburtstagskind wünsche ich eine schöne Ge- Gutachten haben. Ich hoffe, dass wir zu einer klu- burtstagsfeier. Wir sehen uns morgen um 10 Uhr. gen und differenzierten Steuer kommen, die letzt- lich den Pflanzenschutzmitteleinsatz reduziert, zu Die Sitzung ist geschlossen. anderen Anbaustrategien führt und auch zu anderen Schluss: 17:53 Uhr Mitteleinsätzen führt. Ich glaube, Sie müssen end- lich rauskommen aus diesen Kampfreden, um zu sehen, dass dies ein hochgradig marktwirtschaftli-

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenografischer Dienst