Rückschaujournal Alles März 2020 – Mai 2021 bleibt anders Alles bleibt anders

Wir danken den Bürgerinnen und Bürgern der Landeshauptstadt Düsseldorf und der Stadt Duisburg.

Gesellschafter

Förderer und Unterstützer Das digitale Foyer wird gefördert im Programm

BALLETTFREUNDE DER DEUTSCHEN OPER AM RHEIN

Medienpartner ALLES BLEIBT ANDERS 4 5 Inhalt

04 DANKE! 16 Ein doppelter Neustart 26 Fragile 52 Lippen schweigen Ein Vorwort mit Applaus Dramaturg Maurice Lenhard erin- Die TheaterfotografinMonika Mit dem ersten Lockdown ver- nert sich an Vorbereitungen und Rittershaus ist für die Premiere von stummte zunächst auch der Chor 06 Alles bleibt anders ­erste Tage des Ballett am Rhein mit „Vissi d’arte“ mit ihrer Kamera in der Deutschen Oper am Rhein. oder wie das Batmobil die Welt Demis Volpi. Ein Beginn im Lock­- den Bühnenturm geklettert Opernpressesprecherin Tanja Brill ­erneuert. Chefdramaturgin down entlockt Chordirektor Gerhard Anna Melcher ist auf ein unbekann- 34 Eine fehlt noch Michalski Töne zur Situation tes Bühnengefährt gestoßen. 18 Auf zu neuen Ufern! Wie stellt man unter Corona- Die Junge Oper am Rhein und die Beschränkungen eine internationale 54 PTB statt Partnering: Ein 08 Mittsommer – Operngala im Tanz mit! entern den digitalen Raum. Ballett-Compagnie auf? Ballett­- Bällebecken für Große Autokino Ein Click-and-meet-Bericht von pressesprecherin Monika Doll über Pfiffige Trainingslösungen für das Der erste große Opern-Event nach Dramaturgin Heili Schwarz-Schütte eine Weltreise mit Hindernissen Ballett am Rhein in Zeiten der Lockdown Eins mit Fotografien von Distanz stellt Monika Doll vor. Kai Kuczera 22 Das Erlösungsmotiv bitte in den 36 Neue Bühne, neue Welten Orchestergraben! Buongiorno! Jens Breder, Leiter 56 Another First Date 14 Chamäleon sein Ein Interview mit Regisseur Kommunikation & Marketing, Das hätte sich Tänzer Eric White Niemand kann so schön mit den Johannes Erath, der im Oktober schwärmt von charismatischem nicht träumen lassen. Proben mit Augen rollen. Ein Auge zurück, 2020 der Opernbühne eine beson- Opernitalienisch und berichtet vom Starchoreografin Twyla Tharp – via eins nach vorn - Programmplanung dere Liebeserklärung machte. Betreten der digitalen Bühne Zoom. Ein persönlicher Erfahrungs­- in pandemischen Zeiten von bericht Anna Melcher 40 „A simple piece“ – take one Erst ein Bühnenstück, dann ein Tanz­ 60 Under construction! – Das UFO film. DramaturginCarmen Kovacs Noch nie ein Ufo gebaut? Inter­ste­ über die Kamera, die Teil der llare Planungen für eine neue mobile ab S. 26: Compagnie wurde Spielstätte von Michaela Dicu und Fragile - Eine Fotostrecke von Immanuel de Gilde mit Zeichnungen Monika Rittershaus ab S. 44 & 64: 42 Eine Mahnung an die Gegenwart von raumlabor berlin Fotostrecke von Daniel Senzek aus dem Dramaturgin Anna Grundmeier leeren Theater Duisburg blickt auf die Saisoneröffnung 62 Internationales Sprungbrett 20/21 mit Viktor Ullmanns Oper Sechs Nachwuchssänger*innen und „Der Kaiser von Atlantis“ zurück ein Lockdown – neun Monate keine Bühnenerfahrung. Eva Hölter über 70 Geschlossene Spiele – vom Text 76 Eine unglaubliche Begeisterung 44 Leer trifft lebendig Opernalltag – ohne Alltag zum Ballett für die Musik Fotograf Daniel Senzek hat die poeti- Demis Volpis erstes Handlungs­ Armin Kaumanns hat den Inten­dan­ sche Stille des Theaters Duisburg in 64 #lockdown ballett für das Ballett am Rhein: Ein ten der Duisburger Philharmoniker Bilder gebannt. Anna Grundmeier Wie geht es Euch? Michael Krüger Prozessbericht von Maurice Lenhard Alfred Wendel im stillen Theater knackt sie auf und stellt Fragen hat aufgeschrieben, welche Erfah­ Duisburg getroffen. 2006 legte der rungen die Ensemblesängerinnen 72 Die Latenz nach außen kehren feinsinnige Ermöglicher los – 50 Aus dem Leben eines Zollstocks Anna Harvey, Linda Watson und Komponist und Dirigent Eberhard Jetzt geht er in den Ruhestand Heili Schwarz-Schütte und Michael Adela Zaharia im vergangenen Jahr Kloke hat im Auftrag der Deutschen Krüger haben dem vielbeschäftigten gemacht haben Oper am Rhein eine intime Orches­ 88 Impressum Klapphölzchen ihre Stimmen gelie- terfassung für Wagners „Tristan und hen. Ein Tagesablauf Isolde“ erarbeitet. Ein Interview von Kovacs ALLES BLEIBT ANDERS 6 7 DANKE!

Für Ihre Liebe zu Oper und Ballett, Ihren Zuspruch, Ihre Diese Hoffnung trägt uns nun wieder auf die Bühne, denn Unterstützung und Ihre anhaltende Neugier auf die Deutsche mehr denn je gilt im Hier und Heute und Morgen: Wir brau- Oper am Rhein! chen Sie!

Auf den folgenden Seiten möchten wir Ihnen in Schlaglich­tern In diesem Sinne: Bleiben Sie uns gewogen! einen Rückblick durch die Schlüssellöcher der bis zum 11./12. Juni 2021 im Opernhaus Düsseldorf und Theater Duis­burg ge- schlossenen Türen eröffnen. Türen, hinter denen auch in den beiden Lockdowns ab Mitte März 2020 ebenso wie ab Novem­ ber 2020 unermüdlich geprobt, gedacht, gehofft und gestaltet (und immer wieder umgestaltet) wurde. Das Journal ist voll von Begebenheiten und Geschichten, wie sie an einem Abend nach langer Zeit mit Freundinnen und Freunden am Tisch erzählt Prof. Christoph Meyer Alexandra Stampler-Brown werden: persönlich, bilderreich und emotional. Generalintendant Geschäftsführende Direktorin

Allerdings: Panta rhei – alles fließt. Das Journal ist eine Mo­ ment­aufnahme. Die Beiträge entstanden größtenteils zu einem Zeitpunkt, als sich noch nicht abzeichnete, dass wir in dieser Saison 2020/21 noch würden spielen dürfen. Dementspre­ chend­ groß ist die Hoffnung formuliert, Ihnen bald wieder ­begegnen zu dürfen.

Filmstill aus „Danke! - Weihnachtsgruß der Deutschen Oper am Rhein" (Dez 2020) ALLES BLEIBT ANDERS 8 9 Alles bleibt

VON ANNA MELCHER (TEXT) UND MONIKA RITTERSHAUS (FOTO) anders

Oder: Wie das Batmobil die Welt erneuert

Auf der Bühne der Deutschen Oper am Rhein wurde ein klei- waren und die im Pitch pine-Holz verblieben sind, der Garaus nes geheimnisvolles Gefährt mit rotem Schaumgummisitz ge- gemacht werden muss. So ist der unscheinbare Freund ein sichtet. Regelmäßig zieht es seine Runden kreuz und quer über Sinnbild dessen, was die Bühnenkunst von jeher bestimmt: Es die Bretter, die die Welt zu bedeuten vermögen, so sie denn von bleibt immer anders, denn der Wandel ist ihr wesensimma- Künstler*innen leidenschaftlich, authentisch und mit Exzellenz nent und sie selbst nur in der Entwicklung lebendig. Erblühen dementsprechend bespielt werden - dürfen. Mit Klebeband als und Vanitas an einem Abend, für den kurzen Moment der Batmobil, per permanent marker als Badmobil ausgewiesen, ist Ewigkeit, in der die Zeit anhält, sich dehnt und auflädt. Nur das es nicht nur seiner silbrigen Fracht wegen ein schillerndes We- Prin­zip des Kreislaufs aus Kreation, Aufführung, Abbau und sen. Der Name macht stutzig. Mobil, klar, sind Räder drunter. Ab­spielen der Stücke (inklusive Kettensägenmassaker an ein- Doch weder hat es Ähnlichkeit mit einer Fledermaus (=bat), zelnen Kulissen, die nicht weiterverwertet werden können) ist ­ noch mit dem Bundesangestelltentarifvertrag (=bat), der British ein Bleibendes. American Tobacco Company (=bat), der Kryptowährung Basic Attention Token (=bat) geschweige denn einer Badewanne Wir sind Weltmeister des Wandels, unsere Welten sind kurz­ (=bad). Sowieso verbindet man mit dem Batmobil vor allem lebig. Das wussten wir schon, bevor die Pandemie­ das Batmobil den fahrbaren Untersatz des Comic-Helden Batman und sei- in die Bathöhle geschickt hat. Was neu war, war der Stillstand. nes Assistenten­ Robin, und der sah zumindest in seiner Anfangs­ ­­ Die Tatsache, dass Singen, Tanzen, Musi­zieren und Spielen zeit aus wie ein getunter Ford Lincoln. Aber die Spur wird plötz­lich gefährlich war, selbst Waffe statt Werkzeug zur emoti- warm, wärmer… denn im Gegensatz zu seinem zwei Jahre älte- onalen Vermessung der Welt. Der Alles-bleibt-anders-Modus ren Kumpel Superman hat Batman keine Superkräfte, sondern hat eine neue Dimension erhalten. Das Bewusstsein für die Fra­ etwas viel Besseres. Seine Überlegenheit basiert auf Intel­ligenz, gilität unserer Kunstform und damit einhergehend auch ihren Willenskraft, hartem Training, seinen technischen Hilfs­mi­t­ immateriellen Wert, der der stetigen risikofreudigen (!) Hege teln – und der enormen Finanzkraft aus seinem Fami­lienver­mö­ bedarf, ist stark. Die entstandenen und entstehenden Impulse gen. Im Gegensatz zu Bruce Wayne hat die Bühnentechnik­ der für neue Formen und viele Fragen der inhaltlichen und inneren Deutschen Oper am Rhein ein solches zwar nicht zur Verfü­ Ausrichtung sind Chance und Notwendigkeit gleichermaßen. gung, aber alles Andere ist reichlich vorhanden. Sattelt das Batmobil. Robin, hol den Akkuschrauber! //

Das Batmobil der Deutschen Oper am Rhein eilt samt schwarz gekleideter Kolleg*innen zu den Orten, an denen es gebraucht wird und befördert die beständigen Bühnenauf – und abbauten: Es liefert Schrauben für die Verankerung der fliegenden Bau­ ten im Bühnenboden, als bad-Mobil ist es zur Stelle, wenn bösen Nägeln, mit denen Tanzteppiche und Bodentücher befestigt ALLES BLEIBT ANDERS 10 11

Endlich wieder raus, endlich wieder Oper! Am 19. Juni 2020, einem Freitag, feierte die Deutsche Oper am Rhein nach drei Monaten Spielpause Premiere an ungewöhnlichem Ort: Auf dem Düsseldorfer Messegelände, in einer schönen Sommer­ Mittsommer- nacht bei klarem Himmel, fand Deutschlands erste große Operngala in einem Autokino statt.

Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Axel Kober prä- sentierten Maria Kataeva, Elena Sancho Pereg, Adela Zaharia, Operngala Ramona Zaharia sowie Eduardo Aladrén, Bogdan Baciu und Bogdan Taloş aus dem Opernensemble, die Düsseldorfer Symphoniker und Mitglieder des Chors der Deutschen Oper am Rhein eine stim­mungs­volle Mittsommer­nacht mit Arien und Ausschnitten aus beliebten Opern wie „Carmen“, „Il bar- im Autokino biere di Siviglia“, „La traviata“ und „Nabucco“. Das Live-Erleb­ nis wurde von der Bühne auf die große Kino-Leinwand, der Klassik-Sound ins Autoradio übertragen.

Realisiert werden konnte dieser ungewöhnliche Opernabend Das erste große dank der Unterstützung des Freundeskreises der Oper und in Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Veranstal­tungs­­agen­tur Opern-Event nach D.LIVE. Mehr als 70 Mitwirkende waren auf der Bühne und im Orchester dabei – der Messeparkplatz vor der Bühne, der Lockdown Eins Platz für 500 Autos mit je maximal fünf Insass*innen bot, war ausverkauft. //

KAI KUCZERA (FOTOS)

„Das Publikum feierte die Künstlerinnen und Künstler mit Lichthupen-Applaus. Auf dem Programm stand ein „Best of“ der Opernlite­ratur. Schließlich stimmte der Chor der Deutschen Oper am Rhein Verdis „Va, pensiero“ und gemein- sam mit Eduardo Aladrén das berühmte „Nessun dorma“ von Puccini an.“ Rheinische Post vom 22. Juni 2020 ALLES BLEIBT ANDERS 12 13

Auf der Leinwand: Ramona Zaharia und Eduardo Aladrén; GMD Axel Kober dirigierte den Chor der Deutschen Oper am Rhein und die Düsseldorfer Symphoniker vor der Kühlerhaube eines knallroten Cadillac ALLES BLEIBT ANDERS 14 15

linke Seite: Sopranistin Adela Zaharia begeisterte u.a. als Violetta rechte Seite: die Düsseldorfer Symphoniker unter GMD Axel Kober ALLES BLEIBT ANDERS 16 17

Die Theaterleitung der Deutschen Oper am Rhein entschied auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück ...“. Das wurde sich nach intensiven Runden, die unter dem Arbeitstitel dringend gebraucht – und das stellt sich nur ein, wenn der „Zukunftsperspektiven“ in die Outlook-Kalender ploppten, hochanspruchsvolle Close-Harmony-Gesang beizeiten stu- noch im April 2020 aktiv gegen ein Sterben auf Raten der für diert wird. Schweinsgalopp wurde die Gangart der Stunde die Spielzeit 20/21 geplanten üppig besetzten Neuproduk­ inmitten des großen Stillstandes der öffentlichen Räume. tionen und des Repertoires, um Zeit für ein komplettes Umdenken zu gewinnen und neue künstlerische Konzepte zu Die Entscheidung, der Musik des 20. Jahrhunderts den Vor- Chamäleon entwickeln. Nachdem das über 150 Seiten starke Spielzeitheft tritt zu lassen vor der Fülle möglicher Werke des Barock, fiel vor dem Lockdown bereits die erste Lesung passiert hatte, bald, nachdem die großen Pakete, randvoll mit bestellten Parti- beugte sich die künstlerische Planungsrunde, bestehend aus turen von den Verlagen, die ebenfalls erst wieder in den Prä- Intendanz, Generalmusik-, Ballett- und Betriebsdirektion so- senzbetrieb kommen mussten, mit einiger Verzögerung einge- wie der Dramaturgie nun über ein weißes Blatt Papier. Der troffen waren. Goldgräberstimmung. Einige waren lang gehegte Konzeptkünstler Tom Friedman arbeitete fünf Jahre an einem Herzenswerke, andere noch zu entdeckendes Neuland. Alle ebensolchen weißen Blatt und titelte es „1000 hours of staring“, bestellten, lasen, hörten und spielten sich in kürzester Zeit und sein das MoMA listet es in seinem Bestand als „Stare on Paper, 24/7 durch die Noten, stellten sich gegenseitig ausführlich Werke 1992-97“, es erzählt vom Zeitablauf, der Inspiration und ihrer vor, es wurde diskutiert, verworfen, geliebt, die Nase gerümpft, Absenz und der seltsamen Koinzidenz zwischen konventionel- favorisiert und votiert. Neben der musikalischen und drama- lem („brauchte länger als da Vinci für die Mona Lisa“) und abs- tischen Qualität stellte sich auch immer wieder die Frage, ob traktem Denken in der zeitgenössischen Kunst. Das Blatt­ sich eine Handlung auch über große Distanzen glaubwürdig starren hilft allerdings der Bühnenkunst als unmittelbarer erzählen lassen würde, Blachers „Romeo und Julia“, Weinbergs Zeitkunst nicht weiter. Vorhang auf – Blattstarren – Vorhang „Masel Tov!“. Eher als Ausdruck spontaner Sehnsucht nach zu? Langweilig. So wurden darauf für einen konkreten Zeit­ symphonischem Klangrausch und romantischer Oper wurde punkt mit ungewissen Regelwerken verbindliche Parameter mitten ins Partiturgemenge Wagners „Tristan und Isolde“ auf notiert und diese bei allen weiteren kreativen und planerischen den runden Tisch geworfen, ebenso spontanes ungläubiges Prozessen in Oper und Ballett im Blick behalten. Mensch, Lachen ging unvermittelt in ein ostinates „man könnte doch“ Chamäleon sein. und „ich kenn da noch“ über, das in der Beauftragung und Er- VON ANNA MELCHER arbeitung einer Orchesterfassung mündete, mit der Eberhard Hier nur einige: Alle Werke bis Dezember 2020 ohne Pause – Kloke im engen Kontakt mit Axel Kober die Musik auch sze- Minimierung von Foyerbegegnungen +++ Lediglich Werke nisch zu einem Protagonisten formte. Niemand kann so schön mit den Augen rollen wie ein Chamä- mit einer Dauer von einer bis anderthalb Stunden in Oper und Es geht die Sage, dass leon. Es verfügt über ein Sichtfeld von ausschweifenden 342 Ballett – Sitzkomfort und andere Notwendigkeiten +++ Keine Überhaupt: Neues wagen! Wann, wenn nicht jetzt! „Vissi d’arte - Grad, kann 90 Grad vertikal und 180 Grad horizontal sehen, Werkreduktionen des vorhandenen Repertoires +++ Im Sep- Eine Liebeserklärung an die Opernbühne“, die die Künstler*- das Chamäleon mit und außerdem beide Augen unabhängig voneinander in fast tember 2020 höchstens 18, im Dezember bis 30 Musiker*innen innen introspektiv in einem musikalisch-poetischen Bilder- alle Richtungen drehen. Zwar kann das fantastische Tier noch im Orchestergraben Fläche : Regelabstände in qm + bissl Glück bogen auf ihrem Weg zurück auf die Bühne begleitet, „Meister einem Auge in die Zu- viel mehr, beispielsweise je nach Stimmungslage die Farbe = Anzahl +++ möglichst kleine Besetzungen auf der Bühne – 3 m Pedros Puppenspiel“ des großartigen Manuel de Falla als Ko- wechseln und sich im Wortsinn richtig schwarzärgern, doch Abstand nebeneinander, 6 m zueinander, möglichst aus- operation mit dem Düsseldorfer Marionettentheater, das we- kunft und mit dem davon soll hier nicht die Rede sein. Die optischen Hochleis- schließlich das Ensemble +++ Feste Gruppen von zunächst gen seiner begrenzten Raumgröße im Palais Wittgenstein nicht tungssportler sind in über 200 Arten vor allem im Inselstaat sechs Tänzer*innen – im Infektionsfall nicht komplette würde spielen können, „Rendezvous um halb 8“ als Blinddate anderen in die Vergan- Madagaskar beheimatet, einer Gegend voller Vanille und Compagnie in Quarantäne +++ Doppelte Premierenanzahl – mit einem regelmäßigen After-Work-Programm auf der Vor- Lemuren, sesshafter Seenomaden und durch Grasmeere zie- zum Ausgleich des fehlenden Repertoires +++ Und so weiter. bühne, Offenbachsche Operette semikonzertant, Belcanto hender Landpiraten, voller Nebel und Irrgeister, die sich in Doch besser: zwei Chamäleons sein. mal ganz intim, Wunschkonzert und Ballettgala zum Jahres- genheit blicken kann. Haien und Krokodilen verstecken. Auch geht die Sage, dass wechsel … Jahreswechsel. Chamäleon sein. das Chamäleon mit einem Auge in die Zukunft und mit dem Gesucht und gefunden: Werke, die aufgrund ihres Klangreich- Damit hat es das Zeug, anderen Auge in die Vergangenheit blicken kann. Ideale Sin- tums, ihres Themas oder ihrer choreographischen Sprache Ein Auge nach hinten gerichtet: bereits am 1. November endete neswerkzeuge sind das in Zeiten großer Ungewissheit und neu- die großen Bühnenräume in Düsseldorf und Duisburg ausfül- die Reise, die das gesamte Haus gemeinsam mit dem Publikum zum Wappentier für artiger, beständig sich wandelnder Parameter – na gut, oder len und die Zuschauerräume bis in die letzte Reihe fluten kön- neugierig und von jubelnd-warmen Flügelhänden getragen an- wenn man sein bewegliches Essen mit der Zunge fangen muss. nen. Während das Ballett am Rhein in einem beherzten Parfor- getreten hatte. Bis heute. Vielleicht doch mal ein Farbwechsel? die Programmplanung Im April 2020 wurde absehbar, dass die pandemische Situa- ceritt den Neustart neu dachte (mehr S. 6/7), wurde in der Oper Nein, nicht hier. Mozart, Bartók, Rossini, auch sie erklingen tion unabsehbar bleiben würde und die ersten Bühnenab- „Der Kaiser von Atlantis“ von Viktor Ullmann mit seiner groß- derweil im Probenmodus bis zum Tag X. Ein Auge nach vorn: in pandemischen Zei- standsverordnungen wurden mit Abständen bis zu 12 Metern en Parabel auf Leben und Tod, der bereits vor dem Lockdown Einmal, ach einmal Chamäleon sein. // bei Blasinstrumenten und zunächst sechs Metern zwischen den geprobt wurde, zum Ausgangspunkt einer abenteuerlichen ten zu werden. Spieler*innen auf der Bühne respektive zur Bühnenkante auf- Suche nach weiteren überraschenden und bisweilen „unerhör- gerufen. Hier solch weitsichtige Okulare zur Verfügung haben- ten“ Klangsprachen und intensiven Geschichten. Kleine grüne wäre fein. Chamäleon sein. Kakteen wurden gleich zu Beginn gepflanzt, denn „Irgendwo ALLES BLEIBT ANDERS 18 19

Szene aus der Video-Dokumentation „A first date" von Daisy Long rechte Seite: großes Hallo zur Begrüßung: Ballettdirektor und Chefchoreograph Demis Volpi mit Compagnie am ersten Saisontag

Das Herausforderung. Uns ist es ein Anliegen, diese Traditionen lungsabend die benötigte Zeit der Bühnendesinfektion zwischen Ein wahrzunehmen, daran anzuknüpfen, weiterzudenken und mit zwei tanzenden Gruppen mit einem Film zu überbrücken, wur- Ballett am Rhein neuen Impulsen zu versehen, um dem Ballett am Rhein eine de zum zarten und doch konturenscharfen Porträt der Vision neue Bewegungsrichtung zu geben. Auch in diesen herausfor- einer Compagnie, in der sich Menschen auf Augenhöhe begeg- im Lockdown dernden Zeiten. Gerade jetzt. nen, in der sich Ballett auch durch den beständigen Austausch über die Kunstform, über Fragen und Problemstellungen neu doppelter Am 13. August 2020 kam der aufregende Tag, an dem die Com- definieren soll. Wie machen wir uns fit für die Zukunft? Wie -in pagnie zu arbeiten begann. Die meisten Gesichter waren sich tegrieren wir zeitgenössische Diskurse und wahren gleichzeitig neu und selbst bekannte Gesichter hatten sich in den letzten unsere Tradition? Mit der Kombination aus getanzten Teilen Monaten kaum gesehen. Momente, in denen man sich in die und den jeweiligen Filmen entwickelten sich – trotz, oder viel- Arme fallen will. Das Kennenlernen aller neuen und verbliebenen leicht gerade wegen der neu gewählten Wege – drei Miniaturen, VON MAURICE LENHARD (TEXT) UND DAISY LONG, Mitarbeiter*innen wurde stattdessen zu einer Choreographie die doch nichts missen ließen. DANIEL SENZEK (FOTOS) Neustart von Gruppen, die sich vermeiden mussten statt beschnuppern durften. Doch auf den Fluren und in den Sälen des Balletthau- Der Schwierigkeit, auch in den nächsten Monaten Ballette zu Jedem Anfang soll ja bekanntlich dieser Zauber innewohnen. re vor dem Fragenberg währte nur kurz - vorwärts schauen, ses war die Aura des Neubeginns, das erleichterte Gelächter finden, die sowohl auf Abstand möglich sind als auch dem Manchmal ist der Weg hin zum Anfang aber länger als gedacht möglich machen, aus Liebe zu dem, was wir gemeinsam errei- und die unbändige Freude, endlich wieder tanzen zu dürfen künstlerischen Anspruch der Compagnie entsprechen, lässt und der Zauber ein vielschichtiger ebensolcher Trick. Seit chen wollen, neue Energie schöpfen und diese weitergeben. und Ballett zu sehen, viel stärker als alle Einschränkungen. Nach sich am besten dadurch begegnen, dass für diese Bedingung- der Berufung von Demis Volpi zum neuen Ballettdirektor und den Wochen des Entzugs war jeder noch so kleine Sprung ein en neue Werke kreiert werden: Kurz nach der Düsseldorfer Chefchoreographen des Ballett am Rhein hatten im März 2020 In der tatkräftigen Hoffnung, dass ein frisch umgegrabenes Feld Befreiungsschlag. Premiere des Ballettabends „Far and near are all around“ mit bereits hochmotiviert viele große und kleine Rädchen ineinan- manchmal noch größeren Ertrag bringt, wurde an einem Spiel­ Kreationen von Demis Volpi und Juanjo Arqués mussten der gegriffen. Ein künstlerisches Vorbereitungsteam hatte sich plan gearbeitet, den wir auch unter den strengsten Regeln wür- Von Tag eins an standen alle Zeichen auf Arbeit: „A First Date“ am Tag der geplanten Premiere in Duisburg die Türen für das gefunden und, in enger Zusammenarbeit mit den unterschied- den einhalten können, wurden Sicherheitskonzepte für den war das Motto, das sich durch die ersten Wochen ziehen sollte. Publikum zwar wieder geschlossen werden, hinter den Türen lichen Abteilungen vor Ort, die Weichen für den Neuanfang anspruchsvollen Trainingsalltag der Tänzer*innen ausgeklügelt Jeder Tag war in sich ein Rendezvous mit unbekannten Para- des Balletthauses ging die Arbeit jedoch ununterbrochen weiter. gestellt – startklar mit Ideen für die Bühne, großen neuen Hand- und mit diplomatischem Geschick neuen Compagniemitglie­ metern: die erste Class in einer der Gruppen (normalerweise Demis Volpi schuf sein erstes Handlungsballett für das Ballett lungsballetten, Formaten, die Compagnie und Publikum einan- dern aus der ganzen Welt bei der komplizierten Einreise gehol- würde die Compagnie gemeinsam trainieren), die erste Probe, am Rhein „Geschlossene Spiele“ (mehr auf S. 70/71), seine Cho­­ der noch näher bringen sollten, und mit Vermittlungsangebo- fen. Sechs Einzelgruppen wurden gebildet, die sich möglichst eine neue Umgebung, eine unbekannte Sprachmelodie. Das reo­graphie „A simple piece“ wurde für Film in Szene ­gesetzt ten für alle Altersgruppen. Wir wollten mit einladender Geste wenig begegnen durften, nur wer einen gemeinsamen Haushalt Ziel für die wenigen Wochen bis zur ersten Premierentrilogie (mehr auf S. 40/41), Aszure Barton adaptierte ihr ­berüh­rendes die Türen zum Balletthaus öffnen und gemeinsam nicht nur führte, durfte (und darf) sich auf der Bühne berühren. Ein im September war groß: Jede*r Tänzer*in sollte auf der Bühne „Come In“ für Männerensemble auf die aktuellen Gegeben­ an-, sondern weiterkommen. Kraftakt, und ja - auch eine herbe Einschränkung für eine Kunst­ stehen. Und wenn nicht alle gemeinsam vors Publikum treten heiten und sogar die Großmeisterin Twyla Tharp schaltete sich form, die maßgeblich durch die Verbindung von Körpern, können, dann eben nacheinander. So entstand ein anspruchs- sechs Wochen täglich über ZOOM aus New York nach Düssel­ Auf der Sprungschanze, fast am Schanzentisch angekommen, Berührung und das gegenseitige Beeinflussen von Körpern zur volles und abwechslungsreiches Programm aus neuen sowie be- dorf, um ihr Ballett „Commentaries on a Floating World“ mit dann im März 2020 die Vollbremsung. Weil sonst alles still- vollen Entfaltung kommt. Dennoch blieb bei allem Infektions­ stehenden Choreographien von Demis Volpi und Handschrif- Musik von Terry Riley zu erarbeiten (S. 56-59). stand, bedeutete das für uns als Vorbereitungsteam zunächst schutz im Fokus, die Leitgedanken der neuen Direktion auf ten, die in den kommenden Spielzeiten wiederkehren sollen einen Zugewinn an Zeit, um uns auf die Inhalte der folgenden den Weg zu bringen und das Publikum von Anfang an eng mit wie Aszure Barton und Andrey Kaydanovskiy. Natürlich fehlt allen Tänzer*innen und Mitarbeiter*innen des Spielzeiten zu konzentrieren. Unsere Zoom-Schalten wurden der neu aufgestellten Compagnie zu verbinden. Ballett am Rhein der Kontakt mit unserem Publikum. Und zum Rhythmus, der unsere Tage bestimmte und vorantrieb. Die Filmemacherin und ehemalige Tänzerin Daisy Long beglei- doch: Stillstand sieht anders aus! Wir bleiben bereit. Wir fiebern Je mehr Zeit verging, desto klarer wurde uns, dass wir unsere Plä- Das Ballett am Rhein blickt zurück auf eine lange Geschichte tete die ersten Wochen mit der Kamera, fing auf einfühlsame dem Tag entgegen, an dem wir endlich unsere Türen öffnen und ne noch einmal auf den Prüfstand würden stellen müssen. Nicht intensiven Tanzschaffens und starker künstlerischer Hand- Weise den Nervenkitzel und die Hochspannung dieses Anfangs unserem Publikum präsentieren können, was wir in unserer alles würde so möglich sein wie erdacht. Doch die Schockstar- schriften, für eine neue Direktion gleichzeitig Chance und ein. Was aus der praktischen Idee gewachsen war, am Vorstel- Schatzkammer bereithalten. // ALLES BLEIBT ANDERS 20 21 Auf zu neuen Ufern!

Die Junge Oper am Rhein belebt die Schulhöfe - und erobert den digitalen Raum

VON HEILI SCHWARZ-SCHÜTTE (TEXT) UND DANIEL SENZEK , ANNA VOHN (FOTOS)

Was für die „große“ Oper zählt, gilt auch für die Junge Oper am Rhein: Gerade in Zeiten, in denen so viele unserer Gewissheiten über den Haufen geworfen und Routinen durcheinanderge- wirbelt werden, lohnt es sich, zu neuen Ufern aufzubrechen. Wenn das junge Publikum nicht in die Oper kommen kann, dann heißt es eben, den Kompass neu auszurichten, das Mu- siktheater einzupacken und dorthin zu gehen, wo die Kinder und Jugendlichen sind: Zuhause! Auf ins Digitale, rein ins Abenteuer. Denn im digitalen Raum ist das möglich, was im abständigen Jetzt nicht ging: einander zu begegnen, mitein- ander zu musizieren und zu singen. Sich im Kreis anderer jun- ger Menschen auf die Suche machen nach einer Geschichte, nach Musik, nach einem Ton… Die Junge Oper hat daher wäh- rend beider Lockdowns eine Vielzahl von Projekten entwick- elt, die Kinder und Jugendliche im digitalen Raum ansprechen. Zwei von diesen Projekten seien hier schlaglichtartig vorgestellt. ALLES BLEIBT ANDERS 22 23

Völlig von der Rolle kleiner, lauter und leiser. Nur fallen lassen darf man ihn nicht, sonst zerplatzt er wie eine Seifenblase. Mit dem Kurzfilm „Völlig von der Rolle“ ging es los: In den Osterferien 2020 bündelten die „Opernmacher 2.0“ alle Kräfte, Unter dem Namen „Kreative Pause für Zuhause“ wurde die um einen gewitzten Opernfilm auszutüfteln. Es sollte die Ge- Performance nach Beginn des zweiten Lockdowns für einen schichte der beiden Freunde Carolin und Horst erzählt werden, ca. 25-minütigen Livestream adaptiert, um ein wenig Schwung die gemeinsam mit ihrem Hund Waldo-Ayla Klopapier kaufen ins Homeschooling zu bringen. Eine dritte Wandlung durch-­ wollten. Und das war alles andere als einfach. lief das Projekt unter dem Titel „Kreative Pause #foryou“, die sich – ebenfalls als digitales Angebot – an Schülerinnen und Um diese Geschichte zum Leben zu erwecken, war Teamarbeit Schüler weiterführender Schulen richtet. gefragt: Über 70 Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 12 Jahren, darunter eine Klasse der Deutschen Schule in der Diese Projekte zeigen, dass in der Welt des Musiktheaters venezolanischen Hauptstadt Caracas sowie viele Kinder aus glücklicherweise eigene Gesetze gelten und so lange genügend Düsseldorf, Duisburg und Umgebung, dachten sich in verschie- Wagemut an Bord ist, es forschen Schrittes vorangehen kann, denen digitalen Werkstätten die einzelnen Puzzleteile dieses wenn es darum geht, dem Zauber des Musiktheaters zu folgen. modernen Märchens aus. Unter der Leitung von Sascha Pran- Denn gleichviel welche Bühne die Junge Oper nun bespielt – schke verwandelte sich der Hund zwischenzeitlich im Libret- ob das Opernhaus, ein Klassenzimmer oder den Laptop zu to-Workshop zu einem Hamster, in der Kompositionswerk- Hause –es geht immer darum, mit den Kindern und Jugend- statt von David Graham wurde überlegt, wie eine Topfpflanze lichen im Austausch zu bleiben und zu schauen, was man im klingt und dann Musik für einen Kinderchor geschrieben. In Zusammenspiel mit allen Anderen aus den glanzvoll-anders- der Kreativwerkstatt von Elisa Kuzio entstanden eine Menge artigen Welten der Oper schöpfen kann. // fröhlicher Zeichnungen, die dem Film später seine fantasie- volle und lustige Ästhetik verliehen.

Im nächsten Schritt hieß es nun, alle Puzzleteile zu einem Opernfilm zusammenfügen: Mit Elan ging das Einsingen der Chorpartie via Zoom voran, wobei im Zusammenklang trans- atlantische Grenzen überwunden wurden; von Caracas nach Düsseldorf und wieder zurück reiste die Musik. Dann wurden Bild- und Tonspur zusammengeschnitten und der Pate der Jungen Oper, der Schauspieler Malte Arkona lieh dem Film seine Erzählerstimme. Natürlich durfte in diesen Zeiten auch die Online-Premiere des Films nicht fehlen und so trafen sich alle Mitwirkenden und ihre Freund*innen via Zoom, um die Abenteuer von Carolin, Horst und Waldo-Ayla zu verfolgen.

Die kreative Pause

Nach den Sommerferien, umgeben von neuen Routinen und irgendwo zwischen Familienalltag und Homeschooling, entwi- ckelten die Junge Oper am Rhein und die Vermittlungsabtei­ lung des Balletts gemeinsam ein neues Projekt, die „Kreative Pause“.

Ein mobiles Team, bestehend aus einer Sängerin, einem ­Or- chestermusiker und einer Tänzerin, besuchte verschiedene Grund- und Förderschulen in Düsseldorf und Duisburg und lud die Kinder in ihren Pausen ein, mitzutanzen: Zu der Musik des Komponisten Thierry Tidrow ging es auch hier auf Ent­­ deckungsreise, und zwar mit einem kleinen Ton im Gepäck, der etwas schüchtern ist und sich nur mithilfe des jungen Publikums zu klingen traut: Er hüpft von Finger zu Finger, von Hand zu Hand, von Arm zu Arm. Er wird stetig größer und ALLES BLEIBT ANDERS 24 25

„Das Erlösungsmotiv bitte in den Orchestergraben!“ - Kurz vor dem Finale hörte das Publikum im Saal diesen Einruf der Inspizientin, die die Künstler*- und Mitarbeiter*innen aller Gewerke hinter der Bühne dirigiert. Nach nur dreimonatiger Entwicklungszeit hatte sich eine gute Stunde zuvor im Opernhaus Düsseldorf am 2. Oktober 2020 der Eiserne Vorhang für „Vissi d’arte – Eine Liebeserklärung an die Opernbühne“ gehoben. Ein Experiment, ein Abend ohne Handlung, aber mit einer klaren Haltung: Wenn man nach vielen Monaten der Schließung erstmals wieder die Bühne betritt und sich der Vorhang öffnet, kann man nicht so tun, als sei nichts gewesen. Dass Das Erlösun gsmotiv eben dieser Vorhang vor der geplanten Duisburger Premiere im November 2020 bereits wieder fallen musste, verwandelt einen retro­ spektiven Blick auf diesen Abend in einen Streifzug durch ein Interregnum mit offenem Ende, den Regisseur Johannes Erath mit Chef- bit te in den und Produktionsdramaturgin Anna Melcher Mitte April 2020 unternahm. //

Orchestergraben! Anna Melcher: Als wir Deine große Lebens­situation und Verfasstheit, ganz hängt immer auch davon ab, wie ehrlich Eröffnungspro­duktion der Saison unterschiedlich stattgefunden. Wir haben man sich ein Gefühl oder eine Situation 2020/21 pandemiebedingt verschieben von der Opernbühne, ihren Protagonis­ vorstellen kann. Wer einen Mörder spielt, mussten, schloss sich fast nahtlos ein tinnen und Protagonisten, erzählt, weil muss in der Lage sein, sich vorzustellen, Gespräch darüber an, dass die Bühne wir hier unmittelbar authentisch sein dass er fähig wäre, einen Menschen zu nicht nur nicht leer bleiben darf, son- konnten. Warum keine exemplarischen töten, er muss es dafür nicht tun. Wenn dern das Wie des Wie­derbetretens Alltagsszenen? Die Menschen möchten ich aber durchlässig von einem Verlust ­unbedingt inhaltlich an die Zeit des doch im Theater etwas erleben, was zwar singe, schwingt ein erlebter Verlust in Nicht-Spielens anknüpfen sollte. mit ihnen zu tun hat, aber nicht eins zu der Interpretation immer mit. Die Palette eins ihre Realität abbildet. der Emotionen für einen Abend über die Johannes Erath: Mein Impuls war, dass Fragilität der Kunst lag nach dem Lock­ wir den Ort nicht verwaisen lassen oder Durch die inhaltliche Setzung, von den down offen und frisch erlebt vor uns, das so weitermachen können wie vorher. Spieler*innen und ihrer Bühne, gespie- hat den Künstler*innen Mut und Offen­ Nichts wird so sein wie vorher. Wie war gelt durch Fragmente ihrer Rollen zu heit abverlangt, aber die Kenntnis war da es eigentlich vorher? Ich hatte mich schon erzählen, wurde die Wand zwischen und abrufbar. vor Corona mit Themen wie Sprach- Rolle und Person sehr dünn, man spiel- und Tonlosigkeit beschäftigt – und plötz- te nicht einfach den Bösewicht oder Bei einem Liebesbrief schreibt man lich war alles ­­­genau so. Für mich ist das die wahnsinnig Liebende, sondern ging gern gleich die erste Zeile hundertmal, Theater ein hei­liger Ort, das ist er spätes- auch immer an die Grenze des emotio- zerknüllt sie und beginnt von vorne, tens seit den Griechen, seit wir wissen, nal in dem Augenblick Selbsterlebten. zu viele Gefühle gleichzeitig, die alle dass wir ein zoon politicon sind. Olym­ raus wollen. Wie beginnt man eine pische Spiele, Amphitheater, Tempel, Ich glaube, gerade weil unser aller Haut Liebes­erklärung an die Opernbühne, Stadion, Kino, Kirche – alles Orte, an de- in der Situation immer dünner wird, war von welcher Seite nähert man sich zu- nen wir uns zusammenfinden, um unsere eine besondere Aufrichtigkeit möglich. erst –Musik, Bühne, Text, Struktur? Gefühle dorthin zu tragen und sie viel- Die Bereitschaft und Notwendigkeit, sich leicht verändert wieder zu verlassen. zu öffnen und auszudrücken, war beiallen ­ Von allen Seiten gleichzeitig, gemeinsam Wenn wir das nicht mehr haben, fehlt Spieler*innen noch größer als sonst und mit dem Musikalischen Leiter Wolfgang ­etwas Wesentliches. hat die Probenarbeit sehr dicht und be­ Wiechert, der Videokünstlerin Bibi Abel, kennend begleitet. Die Fragilität, zu der Dir als Dramaturgin und ganz früh mit Warum nicht ein Werk aus dem reichen alle bereit waren, hat auch die Entschei­ den Abteilungs­­­leitern. Beim ersten Tref- Fundus der Opernliteratur? dung, keinen stringenten Handlungsfaden­ fen haben wir uns die Frage nach der zu spinnen, worüber wir im Vorfeld lan- Zukunft der zuschauerseitigen Rituale Es war eine Chance, nah dran zu sein. ge nachgedacht hatten, beflügelt und den der Begegnung im Theater gestellt. Wer- Das Theater – und explizit auch die Oper – Mut für eine szenisch pure Achterbahn den die Menschen, die mit Masken ins kann und soll Spiegel unserer Gesell­ der Emotionen gegeben. Die Brüchigkeit Theater kommen und in großen Ab­ schaft sein. Gerade gibt es wenig Aktion, jenseits eines roten Fadens schien am ständen im Zuschauerraum Platz neh- viel Stillstand und sehr viel emotionale besten mit der Realität von uns allen, ob men, überhaupt weiterhin plaudern, Reaktion. Eine Gesellschaft hat keine im Zuschauerraum oder auf der Bühne, ­lästern und sich herzlich begrüßen? Der kol­­lektive Emotion. Aber hier hat ein zu korrespondieren. Form und Inhalt be- Geräuschpegel im Zuschauerraum ist ­äußeres Ereignis, die Pandemie, eine dingten sich. Klar geht es im Theater im- ebenso magisch wie das Einspielen des ANNA MELCHER IM GESPRÄCH Gleichzeitigkeit­ ausgelöst, die signifikant mer um die Reproduktion einer Emotion. Orchesters. Wie erzählt man mit Musik, MIT REGISSEUR JOHANNES ERATH / ist. Das Zurückgeworfensein auf sich Aber wie nahe man herankommt an eine dass das große Orchester schweigen FOTOTS: MONIKA RITTERSHAUS selbst hat für jede und jeden, je nach Authentizität im Moment des Spiels, muss? Was bleibt, wenn die Sängerin für ALLES BLEIBT ANDERS 26 27

die große Arie ohne ihr üppiges Orches­ der Komfortzone. In unserem Metier, das Gefühl, auch wenn wir das gern ver- terkleid auf die Bühne tritt? Nicht singen mal kritisch beäugt, weiß man, welche gessen. Nur wenn man dem Zerbrech­ darf und dann doch? Für das Publikum? Stücke und Mittel handwerklich funk­ lichen einen Wert zuschreibt, kann auch Für die Künst­lerin? Wenn ich eine Kla­ tionieren. Natürlich reicht das nicht, weil Respekt, Demut jenseits der Unterwür­ vier­begleitung höre ohne die Gesangs­ so nichts Neues entsteht, aber die Rou­ figkeit und Verantwortung entstehen. melodie, ergänzt meine Erinnerung die tinen sind häufig da. Dieses Gefühl ‚Wir Melodie. Das finde ich faszinierend. sind alle auf dem Glatteis’ kann auch Von der Zerbrechlichkeit der Kunst Wenn ich auf der Bühne große Oper sehe toll sein. Natürlich machen wir lieber das, mit bereits komponierten Klängen zu und der Klang ist nur partiell, höre ich was wir kennen, auch wenn es uns nicht ­erzählen, eröffnet einen unendlichen dann das Ver­traute neu? Brauchen diese gut tut. Das, was wir nicht kennen oder Fundus an musikalischer Literatur für Klänge Remi­nis­zenz oder bezaubern sie wovor wir Angst haben, tut uns vielleicht das Pasticcio, übersetzt ganz kulina- in ihrer fragmentierten Form auch, wenn aber viel besser. Durch Corona mussten risch Pastetenstückchen. Wie ist ­ge- ich noch nie in der Oper war? Das sind wir umdenken und konnten dadurch meinsam mit dem Musikalischen ­Fragen, die man sich im Normalbetrieb mutiger ins Risiko gehen. Das wird zwar Leiter Wolfgang Wiechert die Parti- nicht ohne Weiteres gestellt hätte. Wir per se von unserem Berufsstand erwartet, tur für „Vissi d’arte“ entstanden? konnten bei der Entstehung des Abends wir spielen ja ständig Grenzerfahrungen vielen solchen Fragen nachgehen und durch. Das können wir, weil unsere Toten Manches ist konstruiert, anderes ist intu- Möglichkeits­­räume auf der Bühne ver­ wieder aufstehen können. Aber das ist itiv im Prozess entstanden, durch den suchen, das ist eine große Chance. nur ein Aspekt. Wir können und müssen Text oder eine musikalische Form oder auch in den zukünftigen Entschei­dungen, einfach eine Tonart, die sich in einer ganz Mir ging es bei dem Abend auch darum, wie wir welches Theater warum erzäh- anderen Musik fortgesetzt hat, vieles hat den Blick dafür zu öffnen, im „Jetzt“ zu len, mutiger werden, die selbst empfun- Wolfgang für unterschiedliche Beset­zun­ sein. Nach über einem Jahr der Pande­ dene Notwendigkeit auch im Verhältnis gen extra arrangiert. Von Anfang an war mie wissen wir um so mehr, dass es keine zu den Menschen betrachten, die es viel- klar, dass es ganz viele Anfänge geben soll, verlässlichen Antworten auf die Fragen leicht nicht notwendig finden und un­ ein Immer-wieder-neu-an-setzen, ab- „Was ist in ein paar Tagen? Wie wird es in bestechliche Argumente auf der Bühne brechen, ruckeln, wiederbeginnen. Wie drei Monaten sein?“ gibt. Vielleicht ist ­parat haben. beim Liebesbrief. Paralyse ist keine Op­ ‚Im Jetzt sein’ die beste Stra­­tegie. Und tion, das Weitermachen, das Sicht­bar­ das kann das Theater gut, es zeigt eine Das zentrale Bühnenelement, das von machen der Klippen und das Trotz­dem Illusion, die wir in einem bestimmten Anfang an gesetzt war, war eine Holz- waren zentrale Themen. Wir haben mit Johannes Erath auf der Probebühne Duisburg-Wannheimerort Moment verabreden zu glauben. Wir kiste mit der Aufschrift ‚fragile’. Durch dem Lohengrin-Vorspiel begonnen. können im dunklen Saal alles um uns Projektionen konnte man ins Innere Grundsituation war, dass eine Sängerin ­herum vergessen – und im Jetzt sein. Das schauen, darin die Spieler*innen, auf vor dem geschlossenen Eisernen Vor­ Tolle ist, dass es im Jetzt keine Angst engstem Raum eingekastelt. hang auf ein Wunder wartet. Wunder gibt, die ja immer mit Vergangenheit und passieren aber nur, wenn man sie auch können, oder, wie wir es auch gemacht Vissi d'arte Zukunft zu tun hat. Im Jetzt sind wir un- Die Protagonist*innen und die Kunst zulässt. Das Vorspiel ruft eine unfassbare ­haben, mit Kussballons. Das war der ­aus- Eine Liebeserklärung an die Opernbühne verwundbar. Natürlich ist Jetzt auch jetzt selbst, beide sind zerbrechlich. Natürlich Transzendenz hervor, die Musik geht gestellte Ersatz, ein sprechendes Requi­ schon wieder vorbei ... aber im Musik­ ist es die Kunst in dem Moment, in dem nicht über den Intellekt, sondern erzählt sit. Aber der Transfer der Publikums­ küsse­­ mit Musik von Puccini, Verdi, Wagner, theater haben wir es einfacher als in der sie nicht gezeigt und erfahren werden kann unmittelbar – Licht. war vor allem ein Zeichen: Ohne Publi­ Strauss, Offenbach, Bach u. v. a. Realität, weil wir mit der Musik die Zeit wie zur Zeit, genauso, wenn sie zusam- kum sind wir nichts – es ist immer ein Musikalische Leitung, Arrangements & aushebeln können. Deshalb glaube ich mengespart oder inhaltlich reglementiert Du hast für „Vissi d’arte“ die Menschen entscheidender Teil dessen, was wir auf Flügel Wolfgang Wiechert auch, dass die so oft totgesagte Oper wird. Sie ist es auch, weil viele Menschen über die Medien aufgefordert, Küsse der Bühne tun. Wenn es fehlt, sind wir Konzept, Inszenierung & Ausstattung nicht sterben wird. nach Einfachheit streben, schwarz oder für die Oper in kleinen Videoclips zu verloren. // Johannes Erath weiß, obwohl die Dinge schwarz und spenden und sich stellvertretend für Video Bibi Abel Du warst für „Vissi d’arte“ Stückent­ weiß gleichzeitig sind. Eben dafür braucht die Künstler*innen und Musiker *innen Licht Volker Weinhart wickler, Regisseur, Bühnenbildner es die Fähigkeit des Perspektivwechsels, auf der Bühne zu umschlingen, wo un- Chor Gerhard Michalski für die große Bühne, Kostümbildner die das Theater spielerisch leisten kann. ter drei Metern Abstand nichts zu mach- Dramaturgie Anna Melcher in Personalunion. Hat jenseits dieser Die Kunst ist auch deshalb fragil, weil sie en war. Premiere 2.10.2020, Opernhaus Düsseldorf Mammutaufgabe das Arbeiten in der Augenblicken und Gefühlen bewusst Ausgefallene Premiere Pandemie deinen Blick auf das The­ ­einen Wert geben kann, der nicht mess- Das Publikum hat uns Küsse geschenkt 28.11.2020, Theater Duisburg aterschaffen verändert? oder essbar ist und gerade deswegen und damit auch aktiv eine Verantwor­ wertvoll. Zerbrechlichkeit hat gleichzei- tung für das Stattfinden der Nähe auf der Nein und Ja. Im Theater geht es immer tig eine Poesie, wenn man sie ausspricht Bühne übernommen. Natürlich hätte auch um das Scheitern und das Ver­lassen und sichtbar macht, denn jeder kennt man auch mit Kusshänden operieren ALLES BLEIBT ANDERS 28 29 Fragile

MONIKA RITTERSHAUS (FOTOS)

Die Theaterfotografin Monika Rittershaus ist mit ihrer Kamera in lichte Höhen ge­klettert und hat bei der Premiere von „Vissi d’arte – Eine Liebeserklärung an die Opernbühne“ von Johannes Erath konzentrierte Theatermomente zwi­schen Wolfgang Wiechert & Cécile Tallec (Flügel), Musiker*innen der Düsseldorfer Symphoniker, Maria Kataeva Vorstellung und Umbauten eingefangen linke Seite: Maria Kataeva ALLES BLEIBT ANDERS 30 31

beide Seiten: Morenike Fadayomi ALLES BLEIBT ANDERS 32 33

Damen und Herren des Chores linke Seite unten: Stefan Heidemann ALLES BLEIBT ANDERS 34 35

Mitglieder der Bühnentechnik und des Chores verbeugen sich gemeinsam nach der Premiere linke Seite oben: Heidi Elisabeth Meier linke Seite unten: Johannes Erath und Andrés Sulbáran kurz vor Beginn der Premiere ALLES BLEIBT ANDERS 36  37  VON MONIKA DOLL 

Eine fehlt noch im Team: Natasha Lagunas, Tänzerin und Bal- da hab ich echt geheult vor Glück“, erinnert sich Ulrike Gar- lettpädagogin und von Demis Volpi als Ballettmeisterin einge- stecki und muss lachen. Überhaupt sei ihr durch die ganze stellt. Seit Sommer 2020 wartet sie auf ihre Ausreiseerlaubnis scheinbare Behörden-Unmöglichkeit die Compagnie außeror- aus Mexiko. Monatelang hatte das deutsche Konsulat in Mexiko- dentlich ans Herz gewachsen. Und umgekehrt. Immer wieder Stadt geschlossen, an ein Visum war nicht heranzukommen. bekommt sie noch heute Besuch von Tänzer*innen, die Nach- Eine Inzwischen werden Vormerkungen für Termine vergeben, das hilfe mit Anträgen und Formularen brauchen. „Can you please Ganze kann aber noch dauern, denn der Rückstau ist gewaltig. help me?“ Immer gern, irgendwie hat sie sie alle adoptiert.

Als Demis Volpi Anfang 2019 seinen Vertrag als Ballettdirektor Enge Verbündete im Balletthaus sind ihr vor allem zwei Kol- und Chefchoreograph des Ballett am Rhein unterzeichnet hat- leginnen: „Sabine Dollnik, die alle zusammentrommelt, wenn te, begann seine intensive Auseinandersetzung mit der Neu- mal wieder ein Formular im Dauerlauf vor Ort ausgefüllt wer- ausrichtung der Compagnie. Er kontaktierte Tänzer*innen, den muss, damit ich es schnell zurückbekomme und weiter-  Choreograph*innen und Tanzpädagog*innen, mit denen er im leiten kann. Das ist nur eine Sache von vielen anderen Dingen, Laufe seiner bisherigen Laufbahn in Stuttgart, Toronto, Monte- mal abgesehen von den Terminen bei der Ausländerbehörde, video, New York, Santiago de Chile, Genf, Lyon und etlichen die sie immer mitunterstützt, denn sie ist ja im normalen Tages- fehlt anderen Orten zusammengearbeitet hatte und die ihn beein- ablauf viel näher an den Tänzer*innen als ich es bin.“, sagt Ulrike druckt hatten – nicht nur tänzerisch, sondern auch durch ihre Garstecki. Und um viele praktische Aspekte des Neustarts Persönlichkeit. Einige von ihnen wünschte er sich für seine kümmert sich unter anderem Daniela Matys, die persönliche Compagnie und sein Team. Er reiste durch die Welt, hielt Work­ Referentin des Ballettdirektors. Sie schickt den Tänzer*innen shops und gab Trainings in Ballettschulen, um weitere Tänzer*- Websites mit Wohnungsangeboten, vermittelt auch Wohnungs- innen-Persönlichkeiten zu entdecken. Im Februar 2020 lud er weitergaben von ehemaligen an neue Compagniemitglieder, zu Auditions ins Düsseldorfer Balletthaus ein. „Alle Treffen bietet Wohnungsbesichtigungen an. Als im Februar plötzlich und Vortanzen haben glücklicherweise noch vor Ausbruch der Bewegung in die Ausreisebewilligungsvorgänge für den Tän- Pandemie stattgefunden – das war ein perfektes Timing, von zer Julio Morel kommt, wird es kurz hektisch. Wie Natasha noch dem niemand etwas ahnte“, erinnert sich Demis Volpi. Lagunas hatte Julio Morel in Mexiko wochenlang vergeblich auf ein Visum gehofft. Er zog schließlich in sein Heimatland  Die pandemischen Tücken offenbarten sich erst im nächsten Paraguay zurück, was sich als guter Plan erwies: Mit einem Schritt. Reisebeschränkungen mit höchst dynamischen Ent- offiziellen Gesuch des Düsseldorfer Kulturdezernenten Hans-  wicklungen brachten den Flugverkehr teilweise fast zum Erlie- Georg Lohe ging dort auf einmal alles sehr schnell. Am 8. Feb-  gen – und noch schwieriger: Die deutschen Auslandsvertretun- ruar 2021 holt Daniela Matys den Tänzer vom Flughafen ab – gen stellten ihren Publikumsverkehr ein. „Es gibt Staaten, die der Himmel ist grau, es schneit in Düsseldorf. „Ihr Lieben, man für längere Zeit nur unter der Vorlage eines Visums und Julio ist gut gelandet!“, schreibt sie in die Runde. Alle sind über- eines Arbeitsvisums verlassen darf“, erklärt Ulrike Garstecki, wältigt, für Julio Morel fühlt es sich an wie in einem Traum Personalsachbearbeiterin bei der Deutschen Oper am Rhein. nach den unendlichen Monaten des Wartens. Das vorletzte Unter normalen Umständen kein Problem – schwierig jedoch Compagnie-Mitglied ist endlich angekommen. bis unmöglich, wenn die Vertretungen der Bundesrepublik  Deutschland in den jeweiligen Ländern aufgrund pandemi- Wenn bei Natasha Lagunas alles klappt im deutschen Konsu- ( ) scher Schutzmaßnahmen geschlossen bleiben. „Viele Doku- lat in Mexiko-Stadt mit der Vormerkung zum Termin und mit mente werden im Original benötigt, per Mail geht da gar nichts“, dem Termin selbst und mit allen Papieren, die Ulrike Garstecki so Ulrike Garstecki – „neuerdings brauchen die Tänzerinnen mit professioneller Engelsgeduld beschaffen wird, könnte die und Tänzer auch fast immer die Bestätigung einer deutschen Compagnie tatsächlich noch vor Ende ihrer ersten Spielzeit Krankenversicherung, dass sie hier versichert sind. Zum Glück komplett sein. // Oder: hat hier eine Bestätigungsmail ausgereicht.“ Hinzu kommt Wie stellt man eigentlich unter noch eine Vorabzustimmung der Künstlervermittlung inner- halb der zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Agen- Corona-Beschränkungen eine tur für Arbeit (ZAV) – selbstverständlich ebenfalls im Original.  Klingt nach reichlich Papierkram und nach intensiven Bezieh-  internationale Ballettcompagnie auf? ungen zu Kurierfahrer*innen, Sachbearbeiter*innen, Behör- denmitarbeitenden. Eine der ersten Tänzer*innen, die glück- lich in Düsseldorf gelandet sind, ist Neshama Nashman, bis ­dahin beheimatet in Kanada. „Als sie in meinem Zimmer stand, ALLES BLEIBT ANDERS 38 39

„Buongiorno an alle Zuschauerinnen und alle Zuschauer, grazie, Remus Şucheană, dazu die digitale Fotoausstellung­ „Von den dass ihr eingeschaltet habt!“: Links im Bild ein Bücherregal, Kraftfeldern ­zwischen Mensch und Körper“ mit Werken von im Hintergrund ein Wasserboiler, eine Obstschale, eine Espres­ Gert Weigelt. so­maschine. Davor steht Ilaria Lanzino, Spielleiterin an der Deutschen Oper am Rhein und eine gefragte Regisseurin der Na also, geht doch. Künstlerinnen und Künstler, Kameras, jungen Generation. Sie lächelt das Publikum vor den Bild­ Internet, alles da. Wo lag und liegt dann das Problem? Wie das schirmen derart fröhlich an, dass man die Sonne über Capri Gros der Theater und Opernhäuser hat auch die Deutsche aufgehen sieht. Oper am Rhein seit März 2020 einen großen Schub im digita- Neue len Transformationsprozess erfahren. Nicht weil sie es so Wir schreiben Mittwoch, 7. April 2020. Das Corona-Virus hat schnell geplant hatte, sondern weil es keine Alternative gab. das Land seit über drei Wochen lahmgelegt, auch Opern, Thea­ Das Glück, neue Welten erforschen zu dürfen, entstand ter und Konzerthäuser sind geschlossen. Druckerpressen sind aus einer Not heraus und hat vor allem erst einmal: irritiert. gestoppt, Spielzeitvorschau- und Programmhefte eingestampft. Dabei lagen die Probleme zunächst nicht allein beim techni- Die Webseiten der Häuser melden Vorstellungs­ab­sagen. Die schen Equipment und Know-How. Es ging auch um die Frage Kulturszene befindet sich in Homeoffice und Schock­starre und nach dem Selbstverständnis einer Institution, bei der sich im sucht nach Auswegen, Ersatzbühnen, Laut­sprechern. Und es Kern alles um Live-Erlebnis dreht. Um den Respekt vor dem dauert nicht lang, dann findet sie diese auch – im Netz. Digi­talen und der Angst, vom Digitalen abgehängt zu werden. Um Lizenz- und Urheberrechtsfragen. Um Komplikationen Bühnen, „Ich begrüße euch aus meiner Küche, und gemeinsam wer- rund um Formate, Qualifikationen, Kapazitäten, um Budgets. den wir heute am Opernitalienisch arbeiten!“ Mit ihrem au­ Wollen wir unsere Streams grundsätzlich kostenlos anbieten? then­tischen Setting und ihrer charismatischen Ansprache ist Was wollen wir streamen? Wie können wir – abseits der digita- Ilaria Lanzino voll auf der Höhe der Zeit. Das rund 15-minü- len Auffüh­rungen – Kontakt halten zum Publikum? Welche Über digitale ­tige­ Video ist Auftakt zu ihrer digitalen Reihe „Opernitalienisch“. Kanäle wollen und können wir gleichzeitig bespielen? Was ma- Überall auf der Welt haben Künstlerinnen und Künstler begon- chen wir, wenn es „live“ weitergeht? Müssen wir dann sowohl Experimente und nen, in ihren Wohnungen zu filmen. Vieles bleibt Geschmacks­ als auch, und überhaupt, warum eigentlich kann es nicht alles sache.Doch was Ilaria Lanzino da produziert hat, mit Smart­ einfach wieder so sein, wie früher? Angebote der phone, digitalen Opernaufzeichnungen, Perücke, Toaster und einem Freeware-Schnittprogramm, gehört sicherlich zu den Gleichzeitig war allen Beteiligten klar: Hier droht nicht nur Deutschen Oper ­digitalen Perlen, die diese verrückte Zeit hervorgebracht hat. Ungemach, hier gibt’s eine Riesenchance. Mit der digitalen hat Ihre vier Clips sorgten entsprechend für Furore im Netz: sich uns eine neue Bühne eröffnet, die mannigfaltig multipli- am Rhein „Genius!“ – „you’re killin‘ me“, „Brava, Ilaria!“, hieß es da, „Fan­ zierbar ist, die keine räumlichen Begrenzungen, keine Parkplatz­ tastisch“, „wunderbar“, „tanti cari saluti!“. probleme kennt, und in der, um es frei mit Goethes „Faust“ zu sagen, wahrlich „ein jeder probieren kann, was er mag“. Im Rückblick erscheint diese Produktion leicht, selbstverständ- VON JENS BREDER lich und unkompliziert wie so vieles von dem, was wir von Entsprechend haben wir ausprobiert. Das Ensemble sang ­unserem bisherigen digitalen Spielplan erinnern. Die Ausstrah­ Schlaflieder und Beethovens „Ode an die Freude“ im inzwi- lung von „Xerxes“ in der Regie von Stefan Herheim etwa oder schen längst gewohnten und abgewohnten Zoom-Kachel- Martin Schläpfers „Forellenquintett“. In Zusammenarbeit mit Look. Die Dramaturgie bloggte, das Ballett bot Live-Classes 3SAT/ZDF außerdem Schläpfers „Schwanensee“ und „Ein auf Instagram an, die Junge Oper produzierte mit Kindern deutsches Requiem“. Viktor Ullmanns Oper „Der Kaiser von aus Düsseldorf, Duisburg und Caracas ein Klopapier-Adven­ Atlantis“ wurde im Oktober und damit noch gerade recht­ ture (s. S. 18-21) und Mezzosopra­nistin Anna Harvey studierte zeitig vor dem zweiten Lock­down aufgezeichnet. Die Produk­ mit einem Publikumschor den „Abendsegen“ aus „Hänsel und tion wurde ebenso über unser Partnerportal OperaVision.eu Gretel“ ein – im Hochsommer. Wir kamen zu dem Ergebnis, ausgestrahlt wie die im Lock­down produzierte Oper „Romeo dass in Zeiten, in denen Zeitun-gen Razzien in „illegalen Friseur­ und Julia“ von Boris Blacher und der Tanzfilm „A simple salons“ melden, auch uns nichts mehr heilig sein muss, auch neue ­piece“. Außerdem digital und ­kostenlos fürs Publikum: ein nicht Wagner, und schon gar nicht das Format der Talk-Show. Meisterklassen-Konzert des Opernstudios (s. S.62/63), ein Frühsommerkonzert aus dem Theater Duisburg und „Mozart Parallel zur Veröffentlichung unserer Einspielung des „Ring des harmonisch“ mit den Düssel­dorfer Symphonikern. Zum Ab­ Nibelungen“ mit den Duisburger Philharmonikern auf den ­ein­- schied von Martin Schläpfer, dem langjährigen künstlerischen schlägigen Streaming-Portalen wie Amazon, Spotify und Apple Leiter des Ballett am Rhein, entstand in Ermangelung der Music starteten Generalmusikdirektor Axel Kober und Spiel­ Möglichkeit einer großen Abschieds-Gala „b.ye“, eine rund leiter Dorian Dreher eine zunächst auf vier Teile angelegte Talk-­ halbstündige digitale Hommage an Schläpfers Jahre in Reihe, in der Kobers Sohn Lukas Zoom-Leitungen zwischen Welten Düsseldorf und Duisburg, inklusive einer Urauf­f ührung von dem Vater am heimischen Flügel, Dorian Dreher vor gefülltem ALLES BLEIBT ANDERS 40 41

Bücherregal und, je nach Folge, Linda Watson in Wien, darauf, es mit Ihnen zusammen herauszufinden. Als Ergänzung Michael Weinius in Berlin und Simon Neal in Großbri­tan­ zu dem, was wir, bei aller Lust aufs Digitale, am meisten lieben: nien knüpfte. Ausgestrahlt wurde an den jewei­ligen ursprüng- Für unser Publikum live zu spielen. Vi aspettiamo! // lichen Vorstellungsterminen des „Rings“: Talken statt jam- mern! Tausende schauten zu und ­begeisterte Zuschriften er- Infos und Links zum digitalen Spielplan: reichten uns sogar aus Australien. www.operamrhein.de

Waren die Formate in Lockdown Eins noch davon geprägt, dass das Opernhaus Düsseldorf und das Theater Duisburg kom- plett für den Produktionsbetrieb geschlossen waren und alles, was wir machten, aus heimischen WLANs heraus ge­steuert werden musste, so rückte in Lockdown Zwei, neben den Strea- ming-­Projekten wie „Romeo & Julia", „A simple piece" und ver- schiedenen Konzertformaten, ein anderes Thema in den Fokus: Wir durften proben und wollten ­das sichtbar machen.

Man kann es fast als Ironie des Schicksals bezeichnen, dass na­ ­- he­zu zeitgleich der Startschuss für ein großes Projekt der digita­ len Transformation fiel: Gemeinsam mit dem „FFT – Forum Freies Theater“ in Düsseldorf hatten wir uns schon im Jahr „vor Corona“ erfolgreich um eine Förderung der Kulturstiftung des Bundes im „Fonds Digital“ beworben. Das Projekt ist auf vier Jahre angelegt, trägt den Titel „Das digitale Foyer“ und soll di­ gitale Schnittstellen zwischen Theater und Publikum ausloten. Die ersten Ergebnisse liegen schon bald vor: In Zusammen­- ­ar­beit mit unserem Digitalpartner MIREVI der Hochschule Düsseldorf, werden „Fairies“ (Feen) des Ballett am Rhein vir­ tuell die AR Biennale des NRW-Forums im Septem­ber bespie- len und verzaubern; zudem erlaubt die App „OpAR“ spekta­ kuläre Einblicke hinter die Fassade des Opernhaus Düsseldorf und des Theater Duisburg.

Zugrunde liegen derlei technischen Experimenten die Erfah­ rungen aus anderen digitalen Vermittlungsprojekten, die wir insbesondere ab Lockdown Zwei intensiviert haben. Denn der war die Stunde der „Making ofs“. Mit diesem Format werfen wir einen digitalen Blick hinter die Kulissen und nehmen unser­ Publikum mit in die Produktionsprozesse von Oper und Bal­ lett. Mehrteilige Videos sind entstanden zu den Neuproduk­­ ti­o­nen von Blachers „Romeo und Julia“, Wagners „Tristan und Isolde“ und „Geschlos­sene Spiele“ im Ballett, zu Diana Syrses „Der Kiosk“ in der Jungen­ Oper und zu Mozarts „La ­clemenza di Tito“ – hier verbunden mit ­einem aus­giebigen ­Be-such unserer Werkstätten im Produktionszentrum Wan­ heimerort. Ballett-Compagnie und Ensemble haben ­darüber hinaus die Gelegenheit genutzt, sich mittels kurzer, knackiger Beiträge auf den Social Media-Kanälen mit ihrem Publikum zu verbinden. Und die Vermittlungsabteilungen von Oper und Ballett haben gemeinsam Kinder und Familien vor den Rech­ nern tanzen lassen („Kreative Pause“, s. S. 18-21).

von links oben nach rechts unten: Bild 1+2: Making of: Geschlossene Spiele, Bild 3: Die Illusionsfabrik, Wohin das alles führen wird und welche digitalen Formate sich Bild 4+5: Opernitalienisch, Bild 6: Ode an die Freude, Bild 7+8: Making of: Tristan und Isolde Bild 9: Der Talk zum Ring, etablieren werden? Wir wissen es nicht. Doch wir freuen uns Bild 10: Die Illusionsfabrik ALLES BLEIBT ANDERS 42 43 „A simple piece“ - take one

VON CARMEN KOVACS (TEXT) UND DANIEL SENZEK (FOTOS)

Mit dem Düsseldorfer Filmemacher Ralph Goertz hat Demis erleben, füllt im Film zeitweise wie aus dem Nichts die doppel- Volpi, Direktor und Chefchoreograph des Ballett am Rhein, te Anzahl von Personen den Bühnenraum. Um beim nächsten sein Stück „A simple piece“ als Choreographie für Tänzer*- Kameraschwenk wieder unsichtbar zu sein und sich mit schein- innen und Kamera neu entwickelt. Beide Künstler haben sich bar größter Leichtigkeit zwischen Illusion und Wirklichkeit von der Idee leiten lassen, ein Tanzerlebnis zu schaffen, das es zu bewegen. ohne das hinzugezogene Medium Film so nicht gegeben hätte. Ein bloßes Abfilmen des Stücks aus Zuschauerperspektive Musikalisch-sphärische Basis der Choreographie ist Caroline war deshalb keine Option. Vielmehr haben die beiden ver- Shaws „Partita for 8 Voices“. Für das farbenreiche A-cappella- sucht, die Kamera mithineinzuchoreographieren, denn „das Stück wurde die amerikanische Komponistin zu einer der jüng- Ziel war, die Kamera mittanzen zu lassen“, so Ralph Goertz. sten Pulitzer-Preisträgerinnen gekürt. Ein Kommentar aus Schnell war klar, dass es nur eine Kamera geben soll und keine ihrem Vorwort inspirierte Volpi zu dem Titel „A simple piece“. Schnitte - ein Take also und keine Kompromisse. Distanz wahren und sich dennoch als ein sich gemeinsam be- wegender Körper verstehen: Analog zu Individualität und Zu- In mehrtägiger Probenarbeit haben Demis Volpi und Ralph sammenklang von Stimmen in Shaws Musik lässt Volpi auf der Goertz gemeinsam mit Ballettmeister Brent Parolin und sech- Bühne Bewegungspattern entstehen und auseinandergehen Wie können Tanz und Film eine Symbiose zehn Tänzerinnen* und Tänzern des Ballett am Rhein die film- und nutzt die musikalische Struktur des Stücks als weite Land- ische Version von „A simple piece“ entwickelt. Der Filmemach- schaft für seine Choreographie. // ein­gehen? Dieser Frage stellten sich Ballett- er bewegt sich darin permanent auf minutiös ausgearbeiteten Wegen zwischen den Tänzer*innen, setzt den Fokus mal auf direktor Demis Volpi und Filmemacher Soli, mal auf Gruppenstrukturen. Auf magische Weise durch- A simple piece dringt er mit der Kamera den von Volker Weinhart subtil aus- Ralph Goertz Anfang des Jahres 2021 und geleuchteten Bühnenraum und macht den menschenleeren Choreographie Demis Volpi Zuschauerraum des Düsseldorfer Opernhauses ästhetisch er- Musik Caroline Shaw schufen mit „A simple piece“ für die euro- lebbar. Licht Volker Weinhart Ursprünglicher Probenbeginn 22.09.2020 Durch die physische Nähe der Kamera ist ein intensives Film- Ursprünglich geplanter Premierentermin 15.10.2020 päische Streaming­plattform OperaVision.eu erlebnis entstanden, das einem das Gefühl gibt, live auf der Neuer Premierentermin 15.10.2020 Bühne dabei zu sein. Auch spielt Volpi virtuos mit einer variie- Stream auf OperaVision.eu (Kamera: Ralph Goertz) einen Tanzfilm, bei dem die Kamera zum renden Anzahl von Tänzer*innen: Waren in seiner Bühnen- 05.03.2021 bis 05.06.2021 fassung, die im Oktober 2020 im Düsseldorfer Opernhaus Teil der Compagnie wurde. Premiere hatte, acht Protagonist*innen auf der Bühne zu ALLES BLEIBT ANDERS 44 45

Am 19. April 2020 hätte Viktor Ullmanns Oper „Der Kaiser Ilaria Lanzino eine vergleichsweise konfliktfreie Anpassung der von Atlantis“ in der Inszenierung von Ilaria Lanzino gemein- Inszenierung an die mittlerweile geltenden Abstandgebote. sam mit Georg Friedrich Händels „Der Triumph der Zeit und der Desillusion“ (Regie: Esther Mertel) am Duisburger Theater Auf den Tag genau fünf Monate nach dem ersten Premieren- Eine Premiere feiern sollen. 1943/44 dem täglichen Überlebenskampf termin sollte „Der Kaiser von Atlantis“ also nun unter der Lei- im Konzentrationslager abgetrotzt, berichten die Entstehungs- tung von Generalmusikdirektor Axel Kober die neue Saison umstände, aber auch die Handlung der Oper vom Mut jener, am Düsseldorfer Opernhaus eröffnen. die ihr Leben aufs Spiel setzen, um sich gegen ein Unrechtsre- gime aufzulehnen. In Ullmanns Parabel ist es der Tod persön- Ab 13. August – ebenfalls exakt fünf Monate nach der letzten Mahnung lich, der nicht länger bereit ist, als „kleiner Handwerker des Probe vor dem Lockdown – begann aufs Neue die szenische Sterbens“ dem industrialisierten Massenmorden des tyranni- Arbeit am „Kaiser von Atlantis“. Die spürbare Freude aller Be- schen Kaisers Overall zu dienen. In Theresienstadt waren es teiligten darüber, endlich wieder aktiv sein zu dürfen, half bei der sensible Viktor Ullmann, sein charismatischer Librettist der Gewöhnung an den von Zollstock, Abstandsregeln und Peter Kien, sowie alle Künstlerinnen und Künstler, die ihr Le- CO2-Messungen geprägten, neuen Probenalltag. So emotional ben riskierten (und zum Teil opferten), um durch ihr künstleri- wie die Begegnung mit den Kolleg*innen gestaltete sich die sches Schaffen und ihre Haltung jene Menschenwürde zu be- erste Veranstaltung mit Publikum am 7. September im Düssel- haupten, die ihnen von ihren nationalsozialistischen Peinigern dorfer Opernhaus, in der Ullmann-Experte Marcus Gerhardts abgesprochen worden war. eindringlich von dem Mut und dem Widerspruchsgeist berich- tete, der in der Hölle von Theresienstadt ein Werk wie den Als einzige erhalten gebliebene in einem Konzentrationslager „Kaiser von Atlantis“ überhaupt möglich machte. entstandene Oper ist „Der Kaiser von Atlantis“ nicht nur ein wichtiges Dokument gegen das Vergessen, sondern durch die Während das Ensemble in den Endproben mit vollem Einsatz bewusst allgemeingültige Anlage der Handlung zugleich eine daran arbeitete, das Vermächtnis des Werks hör- und sichtbar Mahnung an unsere Gegenwart, Propaganda und Populismus zu machen, riefen vor dem Theater zunehmend aggressiv (ver-) nicht widerspruchslos hinzunehmen. querdenkende Wutbürgerinnen, Maskenverweigerer und Ver- schwörungstheoretiker zum Widerstand gegen die vermeint- Knapp zwei Wochen nach Beginn der szenischen Arbeit platz- liche „Corona-Diktatur“ der Bundesregierung auf. te mitten in eine „Kaiser“-Probe die Nachricht, dass der Vor- stellungs- und Probenbetrieb an der Deutschen Oper am Rhein Nur wenige Stunden vor der Premiere am 19. September dröhn- an die aufgrund der Corona-Krise mit sofortiger Wirkung bis auf wei- te aus den Lautsprechern der Corona-Skeptikerinnen die deut- teres eingestellt sei. Bereits in den Tagen zuvor hatten täglich sche Nationalhymne ins Düsseldorfer Opernhaus. Im „Kaiser neue, zum Teil widersprüchliche Meldungen, Spekulationen von Atlantis“ verkündet der Trommler, Chefpropagandist des und Verordnungen für Verunsicherung gesorgt; zugleich konn- despotischen Overall, ebenfalls auf eine grotesk überzeichnete te man beobachten, wie die tägliche Probenroutine wenigstens Paraphrase des Deutschlandliedes, den „segensreichen Krieg für ein paar Stunden die Angst vor dem damals noch vollkom- aller gegen alle“ – die eindringliche Warnung Viktor Ullmanns men unerforschten Virus und die Sorge um die Gesundheit vor den tödlichen Gefahren nationalistisch-propagandistisch- Ein Rückblick auf die der rund um die Welt verstreuten Angehörigen zu bannen ver- er Tatsachenverdrehung. mochte. Nun sollte auch damit erst einmal Schluss sein. Saisoneröffnung 20/21 Anschaulicher lässt sich nicht verdeutlichen, warum der Auf die Gewissheit, dass es nicht weitergehen würde, folgte bald „Kaiser von Atlantis“ ein Werk ist, das heute relevanter ist mit Viktor Ullmanns Oper die Ungewissheit, ob und wie diese Produktion überhaupt je- denn je. // „Der Kaiser von Atlantis“ mals realisiert werden könne. Während sich in Duisburg und Düsseldorf die Vorhänge über Viktor Ullmann / Der Kaiser von Atlantis den verwaisten Bühnen senkten, stellte man hinter den Kulis- sen bereits die Weichen für die Zeit nach der Wiedereröffnung. Musikalische Leitung Axel Kober Inszenierung Ilaria Lanzino Schon bald kristallisierte sich heraus, dass sich der „Kaiser“ mit einem Personal von gerade einmal sieben Darsteller*innen auf Probenbeginn 02.03.2020 der Bühne und 15 Instrumentalist*innen sowie einer Stücklänge Ursprünglich geplanter Premierentermin 19.04.2020, Theater Duisburg Gegenwart von knapp einer Stunde für eine Realisierung „auf Abstand“ Premiere 19.09.2020, Opernhaus Düsseldorf eignen würde (kein ungetrübtes Glück, wenn man berücksichtigt, Streaming auf operavision.eu: 30.10.2020 – 30. 04.2021 welche Umstände dafür verantwortlich waren, dass Ullmann Premiere Duisburg 12.05.2022 – Theater Duisburg ANNA GRUNDMEIER (TEXT) UND nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung standen). Auch die HANS-JÖRG MICHEL (SZENENFOTO) abstrakte Grundanlage des Werkes ermöglichte Regisseurin ALLES BLEIBT ANDERS 46 47

Eine Frage an… Herr Simson, wie probt man Close Harmony auf Abstand? Florian Simson „Mit Abstand am Besten“, würde ich ger- tioniert, wurde durch positive Reaktio- Leer ne sagen, aber wir haben das Beste dar- nen aus den Homeoffices der Nachbar- aus gemacht. Bis alle Fragen geklärt und schaft entkräftet (Kleingeld hat aber die Arrangements angepasst waren, hatte trotzdem keiner vom Balkon geworfen). nämlich die Spielzeitpause begonnen: Schließlich hat uns dann das Ballett in Jeder lernte nun für sich allein, bis der sein Probenzentrum eingeladen. Musi- trifft Punkt kam, an dem wir uns zusammen­- ka­lisch im Lackschuh, faktisch aber bar- finden mussten - räumlich wie musi­ fuß auf dem neuen Tanzboden. Ein Som- kalisch. Nur wo? Das Theater ist den mer, den wir so schnell nicht vergessen Sommer über geschlossen und überall werden. // herrschte große Unsicherheit, wo und lebendig wie man coronagerecht proben kann. Unsere Antwort: Draußen! Wir haben Florian Simson ist Teil der „Comedian Harmo­- uns in Innenhöfen und Gärten getroffen – nists“, die von September bis November 2020 DANIEL SENZEK (FOTOS) „Wochenend’ und Sonnenbrand“ sozu- 14 Vorstellungen in Duisburg und Düsseldorf sangen. sagen. Der Zweifel, ob diese für uns ganz ungewohnte Art zu singen wirklich funk- Ohne Menschen ist das Theater ein stiller Ort. Doch er hat durchaus schräge Poesie und kann so einiges von den Theater­menschen und ihrem Publikum berich- ten. Unser Fotograf Daniel Senzek hat sich im leeren Theater Duisburg auf Spurensuche gemacht.

Um die Stille aufzuknacken, hat Anna Grundmeier hat fünf Kolleg*innen, die sich normalerweise an diesen Orten tummeln, jeweils eine Frage zum kreativen Um­- gang mit Distanz, Close Har- mony & Co gestellt. In der Fortset­ zung­ der Ortsbege­ ­ hung des Theater Duisburg (ab S. 64) treffen Kulissen und Kristalllüster auf drei Sängerinnen und ihre ganz eigenen Geschichten. ALLES BLEIBT Eine Frage an… ANDERS 48 Maik Claßen 49

Herr Claßen, wie geht Requisite in Corona-Zeiten?

Opern- und Ballett-Produktionen in ­­Zeiten von Corona auf die Bühne zu bringen, bedeutet bei uns vor allem höchste Aufmerksamkeit! Wer hat wel- ches Requisit wann in der Hand, wird ­etwas übergeben oder wird über einem Requisit gesungen? Jede*r Sänger*in hat fest zugewiesene Requisiten, bei denen man sich, wenn sie doch übergeben wer- den müssen, Tricks einfallen lassen muss: Da wird schon mal ein Topfhandschuh oder Geschirrtuch eingebaut, gleiche Re- quisiten im Bühnenbild platziert oder Eine Frage an… Frau Boettger-Soller, wie kann man Desinfektionsspender in den Kulissen in der Corona-Pandemie Senior*innen versteckt. Zu Beginn der Proben von Kimberley ein Freude bereiten? „Masel Tov!“ hatte beispielsweise jede*r Sänger*in eine eigens zugewiesene Boettger-Soller Im Juni 2020 haben die Pianistin Dagmar auswendig mitsingen konnte. Mein eige- Farbe, mit der die Requisiten markiert Thelen, mein Kollege Torben Jürgens ner Großvater lebt in einem Pflegeheim. waren. Im Laufe der Proben wurde die und ich ein ca. 20-minütiges Programm Er singt selbst leidenschaftlich gerne und Markierung immer kleiner, bis sich jede*r für ein Konzert im Seniorenzentrum im wäre sicher begeistert, würde so etwas in merken konnte, was sie oder er berüh- Wohndorf Laar der AWO-Duisburg vor- seiner Einrichtung angeboten werden. ren durfte und was eben nicht. Auch das bereitet. Passend zu den sommerlichen Auch nach der Pandemie könnte ich mir Thema Mund-Nase-Masken ist bei uns Temperaturen entschieden wir uns für daher regelmäßige Auftritte vor Men­ groß. Denn auch wenn die Sänger*innen ein luftig-leichtes Programm aus Oper schen vorstellen, die aufgrund ihrer ge- und Tänzer*innen natürlich keine Mas- und Operette. Am Konzerttag drohte sundheitlichen Disposition nicht zu uns ken auf der Bühne tragen, tun sie das, so- dann Regen, jedoch dank eines extra für ins Opernhaus kommen können. // bald sie von der Bühne abtreten. Daher uns installierten Pavillons im Innenhof stehen für die Darstellenden eigene Boxen der Wohnanlage – insbesondere für das bereit, in die sie ihre Maske ablegen. In mitgebrachte E-Piano unentbehrlich – Im Juni vergangenen Jahres veranstaltete einem Stück mit vielen Mitwirkenden und konnte der Auftritt problemlos stattfin- Mezzo­sopranistin Kimberley Boettger-Soller vielen Auf- und Abtritten kann man sich den. Die kleine Bühne wurde im Innen- gemeinsam mit weiteren Ensemble­­mitglie- dern der Deutschen Oper am Rhein Mini-Kon­ dabei schon ziemlich „verschachteln“! // hof installiert und unser Publikum dann zerte in verschiedenen Pflegeeinrichtungen mit Stühlen oder Rollstühlen um uns in Duisburg und Düsseldorf. herum platziert. Einige unserer Zuschau­ Corona macht erfinderisch, beweisen Chef­re­ er*innen und Pfleger*innen sahen aus quisiteur Maik Claßen und seine Mitarbeiter*­ ihren Zimmerfenstern wie von Opern­ innen, die sich einiges einfallen­ lassen mussten, rängen neugierig auf uns herunter. Ich um ihre Requisiten ansteckungssicher zu ­erinnere mich noch gut an meine Über­ machen. raschung, als ich bemerkte, wie text- sicher unser Publikum während des Kon­ zerts fast alle Operettennummern ALLES BLEIBT ANDERS 50 51

Eine Frage an… Lara Delfino & Nelson López Garlo

Frau Delfino, Herr López Garlo, wie berührt man (sich) in Zeiten von Social Distancing?

Während unserer gemeinsamen zehn ­lettdirektor Demis Volpi, sowie die ande­ in Zeiten des Social Distancing, bei dem Jahre beim Ballet Nacional del Sodre in ren Tänzer*innen und Mitarbeiter*innen die Spannung im Zuschauerraum förm- Montevideo/Uruguay hat sich zwischen der Compagnie so freundlich und warm­ lich zu greifen war. Auch wenn dieser uns eine enge Freundschaft entwickelt. Als herzig, dass wir uns in der neuen Umge­ magische Augenblick für uns ganz sicher wir schließlich die Zusage für das Ballett bung auch „auf Abstand“ schnell heimisch in besonderer Erinnerung bleiben wird, am Rhein erhielten, erschien es uns daher fühlten. Die erste Produktion des Ballett freuen wir uns schon auf die Zeit, in dem ganz natürlich, fernab der Heimat, ge- am Rhein unter Demis Volpi war der wir uns und dem Publikum endlich trennt von Familie und Freunden, gemein­ drei­teilige Abend „A First Date“, bei dem ­wieder nahekommen dürfen – körperlich sam unter einem Dach zu leben – eine uns im ersten Teil eine besondere Ehre und emotional! // Entscheidung, die sich für uns noch als zuteil wurde: Als Wohngemeinschaft doppelter Glücksfall erweisen sollte. durften wir uns als einzige Künstler*­ Der Start mit der neuen Compagnie ver- innen an diesem Abend auf der Bühne Ihren Neubeginn am Ballett am Rhein hatten lief „dank“ Corona ziemlich aufregend: körperlich nahekommen. Das leiden- sich Lara Delfino und Nelson López Garlo Aufgrund der Hygienevorschriften trai- schaftliche Pas des deux aus Demis Volpis ­sicher so nicht vorgestellt, doch mit viel Enga­ gement, Kreativität und Humor wuchs die nierten wir zunächst in streng vonein­ Choreographie „Private Light“, in dem neue Compagnie unter dem neuen Ballettdi- ander getrennten Kleingruppen, was das es um eine toxische Beziehung geht, gip- rektor Demis Volpi schnell zusammen und Kennenlernen mit den neuen Kolleg*in­ felt nach vielen intensiven Momenten ­ihrem Publikum ans Herz. nen anfangs etwas erschwerte. Zum Glück körperlicher Intimität in einem Kuss – war der Empfang durch unseren Bal- ein wörtlich „atemberaubender“ Moment ALLES BLEIBT ANDERS 52 53

von Tür zu Tür, herrlich. Im Foyer unterstützen mich mit mei- 15.00 Uhr Parkettfoyer nem abständigen und anständigen Weltverständnis eine ganze — Reihe von Schildern, die das Publikum freundlich daran erin- Darf’s eine kleine Stärkung sein? Auch im Gastronomiebereich nern, dass im Opernhaus alles seinen Gang geht. darf dieser Tage jede*r Raum für sich beanspruchen - und Aus dem auch hier gilt: Alles hat seine Ordnung! Von rechts an die Theke, 13.30 Uhr Eingangshalle auf der linken Seite wieder weg. Einen Tisch gibt es, wenn auch — gegessen und getrunken wird. Und das Kontaktdatenerhebungs­­- Wenn gespielt wird, müssen die Kontaktdaten unseres Publi- ­formular nicht vergessen! kums erfasst werden, damit im Falle eines Falles klar ist, wer Leben eines neben wem saß mit dem von mir gebotenen Abstand selbstver- 15.30 Uhr 1. Rang ständlich! Im Garderobenfoyer wird unseren Besucher*innen — deshalb die Möglichkeit geboten, Kontaktdatenerhebungs­ Selbst bei den Einführungen vor der Vorstellung, wenn die formulare an separierten Stehtischen auszufüllen, deren Ab­ Dramturg*innen von großen Liebesgeschichten, komplizierten stände ich vorher während des Aussprechens des Wortes Dreieckskonstellationen und dramatischen Todesszenen er- Zollstocks „Kontaktdatenerhebungsformulare“ großzügig bemessen habe. zählen, knicke ich nicht ein. Auch ich bedauere, dass ich Frau Wasserwage oder den soeben erspähten Herrn Rohrzange mo- 14.00 Uhr Foyer mentan nicht mit einer Umarmung begrüßen kann. Aber viel- — leicht helfen die Geschichten auf der Bühne über den Kummer Im Winter ist das natürlich wichtiger als im Sommer, aber ich hinweg und entführen in unendliche Welten? Ja! ‚Unendlich‘ Von einem, der auszog, das bin immer gerüstet: Damit es nicht aus Versehen zu Zusam- ist mir allerdings doch ein bisschen suspekt. VON HEILI SCHWARZ-SCHÜTTE menstößen an der Garderobe kommt, habe ich ein System zur Opernhaus zu vermessen UND MICHAEL KRÜGER Abgabe von Mänteln, Taschen, Schlüsselbünden unterstützt: 16.00 Uhr Saal Von der rechten Seite an die Theke herantreten und auf der lin- — ken Seite wieder verlassen, ganz ohne Gegenverkehr, da muss Letzter Auftrag vor Ende der Schicht: Schach! Herrlich sym- ich gar nicht mehr viel machen. Hier läutet sowieso die große metrisch, quadratisch, praktisch, gut. Um die Abstände zu Meine Damen und Herren, darf ich mich vorstellen? Ich bin Mittags im Chorsaal Stunde des „Bitte nach Ihnen!“, das beruhigt mich. wahren, sitzen im Saal nur zwei Menschen beisammen, wenn der Zollstock! Meter, Zentimeter, Millimeter … herrlich, ich — sie eine Hausgemeinschaft bilden. Ansonsten achte ich haar- liebe Maßeinheiten, so funktioniert meine Welt und keiner Mittags schaue ich im Chorsaal vorbei, denn auch hier sind 14.30 Uhr WCs genau auf die Einhaltung des Schachbrettmusters, es bleiben kommt mir ungenau! Mein unbestechliches Urteil macht mich meine Dienste gefragt. Gerade wird ein Chorkonzert einstu- — also immer Stühle versetzt unbesetzt. So. Alles vorbereitet. in diesen Tagen tatsächlich zum Maß aller Dinge, natürlich diert und alle Sänger*innen stehen im Schachbrettmuster im Auch vor den WCs wurden Schilder aufgestellt, sodass nicht Ich klapp zusammen, geh in die Kiste und wünsche einen schö- auch in den Opernhäusern von Düsseldorf und Duisburg. Raum verteilt. Auch sie halten einen Abstand von drei Metern zu viele gleichzeitig … na, Sie wissen schon. Maximal vier Perso- nen Abend! // Endlich kann ich einmal sagen: Ohne mich geht hier nichts! zueinander ein und kommen sich in ihrer Stimmgruppe doch nen, sonst wird’s zu eng und das liegt mir überhaupt nicht. Überall – vor, auf und hinter den Bühnen – werde ich herzlich so nah wie möglich. Denn alle wissen: Pi mal Daumen war Kennen Sie das? eingeladen, mich zu recken und zu strecken, um zu schauen, mal, jetzt kommt’s auf Präzision an. Teamarbeit wird übrigens ob der Abstand reicht, damit alle sicher sind. nicht nur im Chor gelebt, auch ich habe treue Kollegen, näm- lich das CO2-Messgerät und das gute alte Stoßlüften, an meiner Seite. Zusammen ist man weniger allein, das wissen wir alle. Morgens auf der Probebühne Es macht uns froh und unsere Arbeit verlässlicher. — Im Probenzentrum in Duisburg-Wanheimerort mache ich Ich bin wirklich gut im Einsatz dieser Tage! Nach einer kurzen morgendliche Stretchübungen: Heute finden hier Romeo und Mittagspause habe ich Termine im Vorderhaus. Denn nicht Julia zueinander – allerdings auf Abstand, deshalb bin ich mit nur bei den szenischen und musikalischen Proben auf und hin- von der Partie. Ich muss überprüfen, dass die Sänger*innen ter der Bühne muss ich auf die richtigen Abstände achten, auch beim Singen einen Mindestabstand von drei Metern zueinan- unser Publikum soll sich schließlich sicher fühlen. Wenn es der einhalten. Wenn sie nicht singen, dürfen sie sich auf andert- mich nicht geben würde, nicht auszudenken … halb Meter annähern, immerhin. Das gilt auf der Probebühne und natürlich auch, wenn eine Vorstellung gespielt wird. Für Mittags vor dem Eingang des Opernhauses unser Liebespaar ist das natürlich eine große Herausforderung — und wie gern würde ich mich ein wenig verbiegen und ihnen Meine erste Frage lautet: Wie kann ich sicherstellen, dass sich zuliebe ein Auge zudrücken! Aber nein, ich muss standhaft bei Vorstellungen nicht zu viele Menschen gleichzeitig am Ein- bleiben! Zum Trost und voll Zuversicht rufe ich ihnen zu: „Was gang tummeln? Glücklicherweise gibt es drei Eingangstüren, sind schon ein paar Meter, wenn man weiß, dass das Herz des eine für den direkten Zugang zur Abendkasse, eine für unsere Anderen einem für immer gehört?“ Gäste, die schon vorher Tickets gekauft haben und eine für Gäste mit Presse- und Ehrenkarten. Jede Menge laufende Meter ALLES BLEIBT ANDERS 54 55

ungen“ anstimmte, war das ein sehr er- Haben die Proben in kleiner Besetzung Manuel Schmitt ist fantastisch mit der hebendes Gefühl. Der Chor hörte sich neue Erfahrungen mit sich gebracht? Situation umgegangen und hat mit den viel größer an und das Publikum war Chorsänger*innen intensiv gearbeitet. sehr berührt. Die Chormitglieder erleben die Proben „Romeo und Julia“ ist ein richtig schwe- natürlich ganz anders, wenn sie drei res Stück für den Chor – neben den Ein Chor ist als Ensemble strukturiert. Meter Abstand zueinander halten müs- beiden Hauptfiguren hat er die größte Was passiert, wenn das Kollektiv plötz- sen. Man steht vereinzelt, fühlt sich Partie. Einstudiert haben wir sie ge- lich in seine Einzelteile zerfällt? nicht eingebettet in den Gesamtklang meinsam mit acht Chorsänger*innen des Chores. Das Proben in kleineren und vier jungen Solist*innen des Opern- Zunächst war es ganz wichtig, den Chor Gruppen ist dagegen nichts Neues für studios – das war eine sehr beglückende ständig über alle Entwicklungen zu in- uns – es gibt ja viele Stücke, die kleinere Arbeit. Gerhard Michalski formieren, um der großen Erschütterung, Chorbesetzungen verlangen. Dadurch aber auch der Verunsicherung durch probt man viel intensiver. Die Kon- Wie geht es dem Opernchor heute – Lippen die Krise entgegenzuwirken. Ganz ent- zentration ist einfach größer, als wenn mehr als ein Jahr nach dem ersten scheidend waren auch die Proben. Ich ich mit 60 Leuten im Chorsaal stehe. Lockdown? habe alle Sängerinnen und Sänger für Für unser Chorkonzert haben wir zum verschiedene Stücke eingeteilt, die für Beispiel das achtstimmige „Lux aeter- Die Situation selbst empfinden die den Herbst geplant waren: „Vissi d’arte“, na“ von Edward Elgar einstudiert, das Chormitglieder ganz unterschiedlich. unser Chorkonzert, „Romeo und Julia“, wir jeweils in Oktetten geprobt haben. Der Chor befindet sich in Kurzarbeit – schweigen „Tristan und Isolde“, ein geplantes Das solistische Singen war ein ganz neu- viele engagieren sich ehrenamtlich, Weihnachtskonzert. So haben wir alle es Erleben für die Chorsängerinnen zum Beispiel in der Kontaktnachver- Mit dem Lockdown verstummte auch der Chor der Deutschen Oper am Rhein. Ein Chormitglieder bei Proben gesehen und -sänger, aber sie haben sich alle folgung. Wir alle wünschen uns, dass Gespräch mit Chordirektor Gerhard Michalski über die Vollbremsung, neue Anläufe und und gemerkt, dass unsere gemeinsame darauf eingelassen und sind daran ge- wir wieder ganz normal arbeiten dür- intensives Chorerleben in der Corona-Krise. Arbeit eine extrem emotionale Angele- wachsen – das war toll. fen. Die Rückkehr zu dieser Normali- genheit ist. Es gab Proben – ich erinnere tät wird aber bestimmt nicht einfach: VON TANJA BRILL (INTERVIEW) UND SASCHA KREKLAU, HANS-JÖRG MICHEL (FOTOS) mich zum Beispiel an das „Patria op- Eine besondere Rolle spielt der Chor Wann empfinden wir es wieder als nor- pressa“ aus Verdis „Macbeth“ –, die haben auch in Boris Blachers Kammeroper mal, mit 60 Sängerinnen und Sängern uns zutiefst bewegt. Singen ist nicht nur „Romeo und Julia“. dicht an dicht im Chorsaal oder auf Tanja Brill: Wie haben Sie den Lock­ Nach der Zeit des absoluten Stillstands der Tonhalle realisieren. Parallel dazu für Laien, sondern auch für Profis im- der Bühne zu singen? Ich bin gespannt, down im Frühjahr 2020 erlebt, als der haben Sie sich die Bühne und Proben- haben wir im Frühjahr ein neues Pro- mer wieder mit großen Emotionen ver- Man merkt der Inszenierung überhaupt wie es uns gelingt, wieder angstfrei Opernchor, eines der großen künstle­ säle Stück für Stück zurückerobert. gramm für den Herbst aufgelegt – da bunden. nicht an, dass sie unter Corona-Beding- Nähe zuzulassen – nicht nur in der Oper, rischen Kollektive am Haus, aus dem gab es eine große Aufbruchstimmung. ungen entstanden ist – der Regisseur sondern in allen Lebensbereichen. // extrem dichten Proben- und Vorstel­ Auf den Lockdown, in dem wir eine Zeit- lungs­betrieb gerissen wurde? lang überhaupt nicht mehr arbeiten Das Gesangs-Verbot hat Johannes durften, folgte für uns sehr schnell die Erath zu Beginn der Spielzeit 2020/21 Gerhard Michalski: Die Fallhöhe hätte Frage, was wir unter welchen Umständen mit dem szenisch-musikalischen kaum größer sein können: Die letzte machen können. Die Abstandsregeln, Abend „Vissi d’arte“ im Opernhaus Vorstellung war „Lohengrin“ am 11. März die zu Beginn vorgegeben waren, er- Düsseldorf aufgegriffen. 2020 – eine Produktion mit über 100 schwerten zunächst extrem unsere Sängerinnen und Sängern auf der Bühne, Arbeit: Nebeneinander stehende Sän- Das war eine sehr schöne, erfüllende dazu ein großes Orchester, Bühnen­ gerinnen und Sänger mussten drei Meter Arbeit. Johannes Erath hat sich voll auf musik und zahlreiche Kolleginnen und Abstand halten, in „Singrichtung“ so- die Situation eingelassen, sie künstle- Kollegen hinter den Kulissen. In der gar sechs Meter zueinander. Darüber risch genutzt und eindrückliche Bilder zweiten Pause rief die Theaterleitung hinaus mussten jedem Sänger rechne- geschaffen – zum Beispiel, indem er nach Beratungen mit den Oberbür­ger­ risch 20 qm Platzfläche zur Verfügung Franz Lehárs Operettenschlager „Lippen meistern Düsseldorfs und Duisburgs alle stehen, sodass ich in unserem 120 qm schweigen“ von unserem Chor nicht Mitwirkenden auf die Bühne und teilte großen Chorsaal gerade einmal mit singen, sondern nur summen ließ. An uns mit, dass dies die vorerst letzte Vor- fünf Kolleginnen und Kollegen probie- der Vorstellung waren 18 Chormitglie- stellung sei. An diesem Abend ging der ren konnte. Unter diesen Bedingungen der beteiligt – so viele konnten wir un- Spielbetrieb von gefühlten 120 Prozent konnten wir kurz vor der Sommer- ter Einhaltung der geltenden Abstands- auf Null – das war eine extreme, wenn pause mit sehr kleiner Chorbesetzung regeln unterbringen. Als am Ende die auch nicht ganz unerwartete Erschüt­­te-­ die Open-Air-Operngala im Auto- Türen zu den Foyers aufgingen und der Konzert des Chores der Deutschen Oper am Rhein am Theater Duisburg rung. kino und die Verabschiedung unseres Chor – verteilt über drei Ränge – den linke Seite: Szene mit Chor aus Blachers „Romeo und Julia“ Operndirektors Stephen Harrison in Schlussgesang aus „Hoffmanns Erzähl- ALLES BLEIBT ANDERS 56 57 PBT statt

VON MONIKA DOLL (TEXT) UND DANIEL SENZEK (FOTOS) Partnering:

Tanz auf Distanz: Von den geltenden Abstandsregeln sind seit Und so fand sich das Team der Ballettmeister*innen mit Bal- vielen Monaten nur diejenigen befreit, die in einem gemeinsa- lettdirektor Demis Volpi, Betriebsdirektor Oliver Königsfeld men Haushalt leben. Das gilt im wahren Leben genauso wie und Dr. med. Larissa Arens zusammen, die das Kompetenz- im Alltag einer Ballettcompagnie. Beim Ballett am Rhein greift zentrum TanzMedizin im medicos.AufSchalke leitet, um ein die Ausnahmeregelung gerade mal – oder vielleicht auch im- coronakonformes Zusatzprogramm gegen den Abbau von merhin? – bei einem Fünftel der Compagniemitglieder. Für sie Tänzer*innenmuskulatur zu entwickeln: Neben den Classes gilt: Sie dürfen das tun, was mit Ballett untrennbar verbunden und den Proben, die aufgrund der reduzierten Gruppengrö-­ ist – normalerweise: sich nahekommen, sich berühren, sich in­ ßen nicht in der gleichen zeitlichen Intensität angeboten wer- einander verschlingen und sich zu Hebefiguren zusammentun, den können wie sonst, erweitern jetzt Pilates, Gyrotonic, die scheinbar über alle Gesetze der Schwerkraft erhaben sind. Krafttrai­ning und PBT – Progressive Ballet Technique – das Partnering eben. Programm. Mit unterschiedlichen Coaches und Methoden kann so in sämt­lichen Räumlichkeiten des Balletthauses effek- Nach demoralisierenden neun Wochen Isolation im Home- tiv am Muskelaufbau und an der Körperkoordination gear­ office – oder in diesem Fall besser Homestudio – zwischen beitet werden. März und Mai 2020, mit Trainings an Treppengeländern, Stuhl- lehnen oder Küchenarbeitsplatten bedeutete die Rückkehr ins Was aussieht wie ein überdimensionales Bällebecken ist die Balletthaus trotz aller noch so massiven Einschränkungen eine Grundausstattung von Letha-Monique Maughan, die die Com- echte Befreiung für die Compagnie. pagniemitglieder in PBT schult. Damit bauen sie gezielt Mus- kelpartien auf und üben ihr Gleichgewicht. Überdies haben Aber was macht die Vereinzelung eigentlich mit ihren Kör- sich drei ehemalige Compagniemitglieder zwischenzeitlich pern? Pas des deux inklusive der großen Vielfalt an Hebefigu- weiterqualifiziert und sind nun als Coaches regelmäßig zu Gast ren sind wesentliche Elemente des klassischen und auch des im Balletthaus: Andriy Boyetskyy gibt Krafttraining, Irene zeitgenössischen Balletts: Ganz traditionell heben Männer Vaqueiro Pilates und Vivian de Britto Schiller unterweist die Frauen und tragen sie hoch über ihren Köpfen oder elegant auf Tänzer*innen in Gyrotonic.

Gustavo Carvalho und Ensemble beim PBT mit der Schulter über teils beachtliche Strecken. Aber es heben Letha-Monique Maughan. durchaus auch Männer Männer und manchmal übernehmen Auch zur Verbesserung der Technik gibt es fortlaufend Ange- Frauen den hebenden Part. Das, was so elegant und leicht- bote: So konnte die Ex-Ballerina Lynne Charles für eine Meis- füßig daherkommt, ist – wie fast alles im Ballett – körperliche terklasse in Spitzenschuhtechnik gewonnen werden. Bei allen Schwerstarbeit in Kombination mit dem Ausnutzen physika- Corona-Zusatz-Programmpunkten gehe es auch immer dar- lischer Gesetzmäßigkeiten. „Bei den Herren muss dafür vor um, die eigenen ballettpädagogischen Kompetenzen auszubau- allem die Oberkörpermuskulatur trainiert werden – bei den en, sagt Damiano Pettenella. Ballettmeisterinnen und –meister Damen geht es eher um Körperspannung und Balance“, erläu- nehmen an den Kursen teil und bekommen dort Anregungen tert Damiano Pettenella die besonderen Voraussetzungen für für ihr eigenes Training, beispielsweise mit Spitzenschuhen. klassische Hebefiguren. Als ehemaliger Solist beim Stuttgar- Ein Bällebecken ter Ballett und jetzt Leitender Ballettmeister/Ballettpädagoge Und eines ist jetzt schon sicher: Die Extra-Trainings sollen beim Ballett am Rhein, weiß Pettenella, wovon er spricht. Kraft- auch nach Corona beibehalten werden, denn gut aufgebaute voll und gleichzeitig fließend sollen sie aussehen, die überra- Muskeln, Koordination und Kraft sind zeitlose Anforderungen schenden Wechsel in andere Raumebenen. Dafür ist höchste an eine Ballettcompagnie, die ihre Leistungsfähigkeit hoffentlich für Große Konzentration nebst gut aufgebauter Muskulatur unerlässlich. demnächst wieder auf der Bühne unter Beweis stellen kann. // ALLES BLEIBT ANDERS 58 59

Twyla Tharp, eine der ganz Großen der inter­ nationalen Tanzwelt, hat mit dem Ballett am Rhein während des Lockdowns im Frühjahr Another 2021 gearbeitet – per Video-Live-Schalte zwi­ schen New York und Düsseldorf. Eric White, einer der Tänzer*innen, die an diesem unge­ wöhn­lichen Projekt beteiligt waren, gibt per­ First sönliche Einblicke in die Zusammen­arbeit mit der Star-Choreographin an der Uraufführung „Commentaries on the Floating World“.

Meeting Die erste von vielen … Date Heute hatten wir ein Meeting mit Demis Volpi, in dem er uns Heute war die erste Probe mit Feline, meiner Verlobten. Im Lau- VON ERIC WHITE (TEXT) UND BETTINA STÖSS, das Programm für den kommenden Ballettabend vorgestellt fe der Woche habe ich mit unserem Ballettmeister Uwe Schröter DANIEL SENZEK (FOTOS) hat. Aszure Barton, eine kanadische Choreographin, der ich eine Phrase gelernt, die zu einem späteren Zeitpunkt in das schon einmal in Houston begegnet bin, wird eines ihrer Stücke Stück eingebaut wird. Aber heute ging es darum, gemeinsam einstudieren. Und: Twyla Tharp wird etwas für unsere Compag- mit Feline etwas zu kreieren. Das Videomaterial, das Twyla mir nie kreieren! Ich bin aufgeregt. Natürlich weiß ich, wer sie ist! zuvor zum Einstudieren geschickt hat, lässt mich mit mehr Fra- „Push Comes to Shove“ mit Mikhail Baryshnikov werde ich nie- gen als Antworten zurück. Aufregend. Mir wird klar, dass ich mals vergessen, genauso wenig ihren Namen in den Credits eine lange Reise vor mir habe, um ihre Vision zu erfüllen. des Films „Amadeus“. Sie hat unzählige Arbeiten geschaffen und ist eine lebende Legende. Heute begann alles ganz normal: Training mit der Ballettmeis- terin Louise Bennett und meiner Gruppe. Eine kurze Pause. Zwischenspiel Ein Snack. Dann ab zur Probe für den Rest des Tages. Ich be- Letzte Woche sind Twylas Bücher angekommen, die ich bestellt trete den Ballettsaal und da ist sie, durch Zoom mit dem Bild- habe. Heute habe ich „The Creative Habit“ beendet – ein frühes schirm verbunden, den wir im Ballettsaal aufgestellt haben. Twyla Buch und New York Times-Bestseller. Gerade habe ich ein paar ist bereit, loszulegen, im weiten Pullover und mit no-bullshit Seiten von „Keep it Moving“ gelesen, das mir irgendwie zugäng- Haltung. „Gooood morning!“, schallt es durch die Lautsprecher. licher scheint. Beide geben wertvolle Einblicke und ich mag, Man stelle sich den verstärkten Klang eines Telefongesprächs wie sie dabei ein Publikum adressiert, das nicht komplett in vor – den ganzen Tag. Es geht an die Arbeit! Für Twyla in New Tanz involviert ist. Das hat Witz, ist ehrlich und auf den Punkt. York City ist es übrigens kurz vor 6 Uhr morgens. Außerdem verknüpft sie vieles mit persönlichen Geschichten, was mich ebenfalls sehr anspricht. Ich frage mich, ob sie im Abends, zu Hause: Das war ein guter Tag! Wir haben viel kre- „echten Leben“ wirklich so ist? Ich habe mir ein Interview mit iert. Ich recherchiere zu Terry Riley, dessen Musik Twyla für das ihr angesehen, das Charlie Rose geführt hat … ich glaube, ja! Stück ausgewählt hat. Mir wird klar, dass sie sich nicht nur im Mir fällt ihre Energie und ihre „go for it“-Haltung auf. Cool! Ich Tanz auskennt, sondern auch ihre Geschichte gut kennt und suche nach mehr Videos und finde eine kurze Dokumentation ihre Inspirationsquellen weit reichen. Und noch wichtiger: Ich Eric White in „Commentaries on the Floating World“ über ihren Probenprozess. Nun ja: viel lautes Rufen, Anweisun- verstehe, dass alles, was sie innerhalb ihres Kreationsprozesses gen und Bewegung. Das wird lustig … tut, mit einer bestimmten Intention versehen ist. ALLES BLEIBT ANDERS 60 61

Moment mal – kennen wir uns? Twyla: „Ist das Paket immer noch unten?“ Wir schauen uns an Ein weiterer Tag mit Twyla. Wir haben begonnen, mit allen und versuchen nicht zu lachen. Offensichtlich hat sie keine Ahn- Gruppen gemeinsam zu proben. Weil wir bis dahin in kleineren ung, dass wir sie alle hören. Also weiterarbeiten. Twyla: „Oh! Gruppen gearbeitet haben, ist es etwas merkwürdig, dass der Nein!! Der andere Hut wird viel, viel besser an ihr aussehen!“ Ballettsaal nun voll mit Menschen, wenn auch mit den nötigen Und wieder. Wir wechseln Blicke und dieses Mal bricht sich Abständen, ist. Menschen, die ich teilweise noch gar nicht rich- schon hier und da ein Lachen Bahn. Twyla: „Oh Gott! Unter gar tig kennengelernt habe! keinen Umständen mache ich das!!“ Jetzt klinkt sich doch unser leitender Ballettmeister Damiano Pettenella ein: „Twyla, du Wir proben eine Szene, in der fast der gesamte Cast auf der weißt, dass wir dich hören können?“Twyla: „Hoppla … sorry Bühne ist und die wir - für spätere Referenzen – „the mob“ nen- about that!“ nen. Zum ersten Mal sehe ich diesen Teil in seiner zusammen- gesetzten Form und am besten lässt sich mein Eindruck als Herausforderungen „organisiertes Chaos“ beschreiben. „Daaaamiaaaano …?“ „Yes, Twyla.“ Gegen Ende des Tages gehen wir Notizen und Gedanken von Twyla durch. „Dukin, bist du beim letzten Mal ein bisschen So begann in den vergangenen Wochen jede einzelne Probe. zu früh auf der dritten Acht reingekommen?“ Ich denke: Wie Man muss nicht dazu sagen, dass dieser Ruf unter uns schon kann sie das bemerkt haben? Bevor ich meinen Gedanken be- zum Running Gag geworden ist. Nach dieser Einleitung wissen enden kann, springt sie zu einem anderen Teil des Stückes, der wir, dass es jetzt losgeht. 10 Minuten früher stattfindet: „Gut gemacht, Ladies! Die Dia- gonale sieht so besser aus…“. Man darf nicht vergessen, dass sie Heute ist der letzte Tag einer langen Woche. In der kommenden das alles über Zoom an einem Computerbildschirm in ihrem beginnen die Endproben auf der Bühne, wir sind also auf der Apartment macht! Mein Opa war in seinen späten Jahren auch Zielgeraden. Dieses Mal ist das ein besonders seltsames Gefühl, noch ziemlich scharfsinnig, aber Twyla ist wirklich nicht zu weil wir wissen, dass wir in absehbarer Zeit keine Premiere vor toppen. Geschweige denn ihre Proben. Publikum haben werden. Trotzdem haben Twyla und unsere künstlerische Leitung bewundernswerte Arbeit geleistet, uns Zeit zu Spielen …? etwas an die Hand zu geben, auf das wir uns am Ende dieser Im Stück gibt es riesige Ballons, die in der Form an das amerika- Arbeitsphase freuen können. nische Kinderspiel „Jacks“ erinnern. Oder, etwas allgemeiner, an Sterne. Gegen Ende des Stücks wird mir einer dieser Ballons Die nächsten Tage werden vor allem Durchläufe des 40-Mi­- übergeben und ich muss ihn in meine Choreographie involvieren. nuten-Stücks sein. Es fühlt sich mehr an wie ein Marathon Das sieht zunächst aus wie ein großer Spaß. Doch ich habe als ein Sprint. Jedes Mal bin ich danach durchgeschwitzt und Twyla Tharp, live zugeschaltet bei einer Bühnenprobe schnell gemerkt, wie herausfordernd es ist, diese personengro­ müde. Trotzdem: fast seit einem Jahr hatte ich dieses Gefühl ßen Objekte so behandeln, dass, damit sie sich so verhalten, nicht mehr. Hinter der Bühne müssen wir außerdem Masken wie ich das möchte. Und darüber hinaus noch zu tanzen und tragen, was die Erschöpfung nicht weniger werden lässt. Auf Twylas Idee zu transportieren. „Nicht zu lange am Boden“, er- der Bühne sind die meisten Szenen so choreographiert, dass klärt sie mir. „Stell dir vor, du tanzt mit einer gigantischen Dame! wir ohne Masken tanzen dürfen. Aber sobald wir auf der Seite Die Zeit mit Twyla Tharp war eine aufregende Reise. Alleine Commentaries on the Floating World Gib ihr die beste Zeit ihres Lebens.“ Hmm. Sie fügt hinzu: „Lass angekommen sind, müssen wir sie anlegen. Das ist so, als würde schon, weil wir sie durch Bildschirme hindurch angetreten es so aussehen, als hättest du den Ballon unter Kontrolle, als man nach der morgendlichen Joggingrunde oder einer guten haben. Manchmal frage ich mich, wie es wohl geworden wäre, Choreographie Twyla Tharp Musik Terry Riley ginge die Bewegung von dir aus!“ Ich versuche es. „Und jetzt ver- Einheit Cardio in eine Papiertüte atmen. So nachvollziehbar wenn sie wirklich körperlich anwesend gewesen wäre. such einmal, wie es ist, wenn die Bewegung vom Ballon initiiert und wichtig das ist, so herausfordernd war es körperlich. Ursprünglicher Probenbeginn 08.02.2021 wird.“ Hmm. Zumindest für mich. In den letzten Wochen hätte ich mindestens drei Versionen da- Ursprünglich geplanter Premierentermin 19.03.2021 von nennen können, worum es in der Choreographie eigentlich Premierentermin 25.09.2021 Am Abend rufe ich meine Mutter an und erzähle ihr von der An dieser Stelle der Kreation fügen sich alle Teile zusammen. geht. Aber vielleicht beschreibe ich sie am besten als kontinuier- heutigen Probe. Sie lacht und sagt: „Ich bin so froh, dass du jah- Kostüme, Licht und die Musik werden noch justiert. Ich glaube, liches und sich immer veränderndes Wesen. Soviel aus der Sicht relang so hart trainiert hast, um jetzt davon leben zu können, dass Twyla mit dieser Arbeit einerseits einen indirekten Kom- eines Tänzers. Natürlich, die Schritte sind gesetzt und das Tim- mit Ballons über den Boden zu rollen.“ Wir lachen beide. mentar auf die momentane Weltlage formulieren und anderer- ing ist ausgeklügelt, aber die Details sind immer in Bewegung. Morgen sehen sich der Ballon und ich wieder. seits die Künstler*innen unserer Compagnie in ihrer Individu­ Ideen kommen hinzu, Tänzer*innen fühlen sich von Mal zu Mal alität zeigen will. Es gibt so viele Handlungsstränge, verschiedene etwas anders. All das kommt zusammen in dem, was Twylas Der rote Knopf mit dem Mikrophon Charaktere. Szenenwechsel, als wären sie Episoden anderer Idee zu einem Stück werden lässt. Ein echtes Abenteuer. In un- Heute waren wir auf der Bühne, um die finalen Positionen zu Welten, die sich berühren. Wohl deswegen der neue Titel „Com- serer einmonatigen Arbeit habe ich realisiert, dass auch sie sich klären. Kein Orchester, kein Kamerateam. Nur wir Tänzer*- mentaries on the Floating World“. Das Stück bedient so viele mit uns auf ein Abenteuer begeben hat. Das wird besonders innen und Ballettmeister*innen. Facetten: Liebe, Humor, Wut, Geheimnis… hoffentlich können darin deutlich, dass der Abschied nicht ohne Tränen verläuft. wir bald unser Publikum mit in diese Dimensionen nehmen. Doch dann heißt es sofort wieder: „Ok, ein paar Notizen …“. // ALLES BLEIBT ANDERS 62 63

Alles auf Anfang

Auf Sonnenschein folgt Regen und der erste Entwurf währt Am Anfang nur so lange, bis er überdacht wird. Zu viel Opernhaus. Zu Antrag ­unbe­weglich. Zu kompliziert. Schnell muss etwas Neues her. Aber wie dekonstruiert man etwas, das zunächst so gut schien? Und wer kam auf die Idee, eine Spielstätte zu planen, wäh- VON MICHAELA DICU & IMMANUEL DE GILDE (TEXT) UND rend auf der ganzen Welt Musiktheater schließen? // war die RAUMLABOR BERLIN (ZEICHNUNGEN) Am Anfang jedes Antrags steht eine Idee: mobiles Musik­the­ ater für Kinder und Jugendliche in der Stadt. Sinnbildlich MKL wird flex wird UFO „Neue Wege“ gehen mit dem NRW KULTURsekretariat Wup­ FL Idee pertal. Auch neue Wege für die Oper gehen, einen erweiterten Opernkanon schaffen, agiler und mobiler sein. In den Monaten @Das Mobile Klanglabor. Keine klingende Bezeichnung, da ist in denen das Kulturleben beinahe still steht, entwickeln raum- man sich einig. Und während die Architekten weiter entwerfen, EX labor berlin und die Deutsche Oper am Rhein ein wagemutiges kommt man nach langem Suchen auf den Namen ‚flex‘. Flex, das Wort Musiktheaterprojekt. Ein Planen ins Ungewisse! // wirklich? Ja, zumindest so lange, bis es etwas Besseres gibt: Was soll das sein, ein UFO - Junge Oper Urban. Die neue Spielstätte der Deutschen Oper am Rhein hat einen neuen Namen. // Mobiles Klanglabor?

Das Atelier von raumlabor berlin: Die kleine Teeküche ist der Click into Place Dreh- und Angelpunkt. An den Wänden hängen Timelines der verschiedenen Projekte in vielfältigen Farben. Am großen Tisch werden Gedanken greifbar, eine Vision entwickelt. Ein Düsseldorf. Ein neuer Entwurf liegt im Postfach. Das tech­ kleines Opernhaus als klingende Allwetter-Wundertüte. Ein nische Vorbild: Ein Adapter! In der Mitte der Theaterraum, transparentes Musikprojekt für die Stadt, begehbar, einseh- drumherum docken alle möglichen Bauelemente an: bar, immer anders. Come in and watch out! // Eingangs­rampe, Tonstudio im Bauwagen, Performanceblase, Signalhorn, Sitznische… Das muss man sich genauer anschauen. Ab nach…

Berlin: Das neueste Miniaturmodell des UFO steht auf dem Vision vs. Entwurf Tisch. Eine Etage tiefer: 30 Stühle stehen im Kreis - Abstands­ messung. Das sollen 30qm sein? Ist das nicht viel zu wenig? Und passt das alles in einen 20 Fuß-Container? // Es wird gedacht: Ein Torbogen als Eingang, ein transparentes Endlich nimmt es Form an Dach, eine große Showtreppe, eine Tribüne. Und noch viel besser: Eine Riesenluftmatratze zum Schauen und Mithüpfen - aktives Erleben für Alle! Assoziationen machen die Runde, Auf der aktuellen To do-Liste: UFO Bauen, Container kaufen, Alles ist möglich. // Tonstudio einrichten. Aber vor allem schreitet die Programm­ planung mit großen Schritten voran. Das UFO will schließlich mit acht unterschiedlichen Uraufführungen gefüllt werden. Es wird bunt Denn eins ist klar: wir spielen, und das sehr bald! //

Genauer gesagt: Es wird konkret, denn die ersten richtigen Skizzen von raumlabor berlin sind da. In den verschiedenen Zoom-Runden ist die Laune zum Bersten gut. Es gibt aber auch viele Details zu beachten. An welcher Stelle waren die

Toiletten angedacht? // Gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein- Westfalen in Zusammenarbeit mit dem NRW KULTURsekretariat Wuppertal. ALLES BLEIBT ANDERS 64 65

Im Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein sollen junge Talente vor allem Bühnenerfah- rung sammeln können. Daraus wurde für den aktuellen Jahrgang bislang nichts – aber un- tätig war der künstlerische Nachwuchs in den Internationales vergangenen Monaten nicht. Im Gegenteil.

Von den sechs jungen Nachwuchssänger*innen des Opern- anderen Publikum vorzustellen, sind sehr eingeschränkt: Nahe- studios der Deutschen Oper am Rhein haben vier im August zu alle großen Gesangswettbewerbe wurden für 2020 und 2020 ihr Engagement begonnen: Ekaterina Aleksandrova, teilweise auch 2021 abgesagt, und auch Vorsingen (sei es für Anna Rabe, Sander de Jong und Jake Muffett kamen zu Andrei eine Gastrolle oder ein Anschlussengagement) finden auf- Nicoara und Luvuyo Mbundu hinzu. Neun Monate später, grund der allgemeinen Planungsunsicherheit der Opernhäuser im Mai 2021, haben von den vier „Neuen“ die beiden jungen nur sehr eingeschränkt statt, während nun gleich zwei Jahr- Sängerinnen noch nie auf der Bühne in Düsseldorf oder Duis- gänge begabter junger Sänger*innen international um Wettbe- burg vor Publikum gestanden, während Sander de Jong und werbsplätze und Rollen konkurrieren. Jake Muffett immerhin in „Comedian Harmonists“ schon ein- mal die Erfahrung einer richtigen Vorstellung machen konnten. Zu kurz kommen auch, trotz aller modernen Kommunikations- mittel, die vielen kleinen Dinge jenseits des Probenplans: der Im Gegensatz zu vielen ihrer jungen Kolleginnen und Kollegen direkte persönliche Austausch mit den erfahrenen Kolleginnen haben die Mitglieder des Opernstudios immerhin die Sicher- und Kollegen des Ensembles, die Möglichkeit, sich von ihnen heit einer Anstellung in unsicheren Zeiten, sie sind Teil eines während der Proben oder auf der Bühne etwas abzuschauen, Ensembles und integriert in die festen Strukturen eines großen ein gemeinsames Essen in der Kantine, Premierenfeiern mit Opernhauses. Auch unbeschäftigt sind sie alle nicht – fast täg- Publikum. VON EVA HÖLTER (TEXT) UND DANIEL SENZEK (FOTOS) lich steht die intensive Arbeit am Repertoire auf dem Proben- plan, hinzu kommen musikalische und teilweise szenische Pro- Neu hinzugekommen ist stattdessen eine andere Herausforde- ben für Produktionen, die fertig geprobt werden in der Hoff- rung und Erfahrung: Singen in einem leeren Raum für ein un- nung, sie in absehbarer Zeit vor Publikum zeigen zu können. sichtbares Streaming-Publikum, Meisterklassen-Konzerte für Auch die musikalischen Meisterklassen mit Stephen Harrison, die Kamera, und für einige bei „Romeo und Julia“ sogar die Helmut Deutsch, Camilla Nylund und Marius Vlad konnten Aufzeichnung einer ganzen Produktion für die Streaming-Platt- glücklicherweise alle stattfinden, während szenische Work- form OperaVision. Gerade durch die schwierigen Umstände shops in dieser Spielzeit komplett entfallen mussten. Beson- haben die jungen Sänger*innen in den vergangenen Monaten ders bedauerlich ist die Absage des Auftritts beim interna- vieles gelernt, was ihnen auch auf ihrem weiteren Weg helfen tionalen Shakespeare Festival 2021 in Neuss, zu dem das wird: flexibel zu sein, mit Enttäuschungen umzugehen und Opernstudio erneut mit einem eigenen Programm eingela- trotzdem optimistisch zu bleiben, Konzentration und Fokus den war. nicht zu verlieren, diszipliniert weiterzuarbeiten und die Zeit sinnvoll zu nutzen. Mit dem szenischen Bereich fehlt einer der ganz wesentlichen Bausteine der Ausbildung im Opernstudio leider fast voll- All das teilen die jungen Mitglieder des Opernstudios der ständig: Bühnenerfahrung zu sammeln, das Gelernte und Ge- Deutschen Oper am Rhein mit vielen ihrer Kolleginnen und übte live zu präsentieren, die lange vorbereitete Arie oder Rolle Kollegen, die weltweit auf dem Sprungbrett zur Karriere endlich auf einer großen Bühne vor einem tatsächlich an- stehen – jetzt muss nur noch wieder Wasser ins Becken. // wesenden Publikum zu singen, als Teil eines Ensembles den Moment zu erleben, in dem der Vorhang sich hebt, die ganz unmittelbaren Reaktionen aus dem Zuschauerraum zu spüren. Sprungbrett Auch die Möglichkeiten, sich an anderen Häusern und vor einem ALLES BLEIBT ANDERS 66 67

Anna Harvey Als vor über einem Jahr der erste Lock­ zwei Opern fertig einstudiert und down kam, war ich gerade mitten in ­geprobt bis zur Orchester- bzw. Gene­ – ­einem Gastspiel für die Welsh National ralprobe, aber beides bisher noch und pendelte zwischen Düssel­ nicht gespielt. „Den Proberaum dorf und Cardiff. Ich hatte Vorstellungen für „Le nozze di Figaro“ in Großbri­tan­ Ich liebe meinen Job und auch die Pro­ in den heimi­ nien und Proben für „Madama Butterfly“ benphasen, aber der absolute Lieb­lings­ und für „Symphoniker im Foyer“ hier an teil meiner Arbeit ist und bleibt das schen Garten der Deutschen Oper am Rhein. Zuerst Spielen und die Interaktion mit dem wurde dann in Deutschland alles abge- Publikum. Ohne Vorstellungen fühlt es verlegt“ sagt und ich bin zu meinen Eltern in sich so an, als ob wir nur die Hälfte von meine Heimatstadt Sheffield geflogen. unserer Aufgabe machen können! Ich Dann wurden aber auch schnell meine hoffe, bald die Chance zu haben, meine Vorstel­lungen in Großbritannien ­gestri­- ganze Arbeit aus diesem Jahr dann auch chen. Dem Lockdown folgte das gene­ einzulösen und Vorstellungen von mei- relle Rei­severbot. Plötzlich steckte ich in nen ganzen gelernten und geprobten Eng­land fest und konnte nicht mehr Rollen zu singen und endlich meine nach Düssel­dorf zurück. wunderbare Deutsche Oper am Rhein samt Publikum wieder zu sehen! // Aber es war dennoch schön, so unerwar- tet viel kostbare Zeit mit meiner Familie zu haben. Und es war für mich auch musi­- Anna Harvey kalisch eine kreative Zeit - ich mag es näm­­lich gar nicht, nichts zu tun zu haben. Die britische Mezzo­so­pranistin ist seit 2018/ 19 Ensemble­mit­glied der Deutschen Oper am Also habe ich angefangen, alle meine Rhein und war hier bereits u.a. als Hänsel ­geplanten Rollen zu lernen und sie dann (Hum­­­per­­dinck „Hänsel und Gretel“, Floßhilde einfach im Garten für unsere Nachbarn (Wagner „Das Rheingold“, „Götter­däm­merung“), zu singen! Zu Ostern habe ich schließlich Flora (Verdi „La traviata“), Suzuki (Puccini einen virtuellen Chor in meiner Heimat- „Madama Butterfly“) zu erleben. Gemeinde in Sheffield organisiert. Das war dann auch die Inspiration für unse- ren digitalen Abendsegen-Publikumschor­ an der Deutschen Oper am Rhein!

Nach den Ferien konnte ich im August endlich mit den Bühnen-Proben für „Masel Tov!“ beginnen. Es war so span- nend, zurück im Proberaum zu sein und an einer so interessanten Rolle und Oper zu arbeiten. Als dann der zweiten Lockdown im Novem­ber kam, nur weni- ge Tage vor meiner ersten „Masel Tov!“- Vor­stellung, war es wirklich eine sehr deprimierende Zeit. Nach fünf Mona- ten musikalischer Arbeit, sechs Wochen #lockdown intensiver szenischer Proben und einer sehr erfolgreichen Generalprobe keine Michael Krüger hat drei unserer Ensemble­sängerinnen gebeten, von ihrem Chance zu haben, dann auch tatsächlich vergangenen Jahr zu erzählen zu singen und zu spielen, war schon sehr schwer. Danach hatte ich noch zwei weitere Projekte in Düsseldorf in Pla­ nung: „Hänsel und Gretel“ für Novem­ DANIEL SENZEK (FOTOS) ber/Dezember und „La clemenza di Tito“ für Januar/Februar. Wir haben die ALLES BLEIBT ANDERS 68 69

Linda Watson Lage, mit meinem Mann auf dem Land Wie denke ich über diese Zeit? Ich finde zu wohnen, dazu in einem Wein­­ge­biet. sie ziemlich existenziell für uns Men­ – Hier haben wir seit einem Jahr nun die schen. Wenn ich gut gelaunt bin, und das meiste Zeit verbracht. Es war eine schöne bin ich meistens, dann überlege ich, was „Wir finden zu Arbeit, den Garten neu anzulegen und so etwas bringt und schafft in uns, warum das Haus teils zu renovieren. wir das überhaupt erleben und ich kom- dem zurück, was me darauf, dass es bei allem Leid auch Po- Ich bin außerdem Universitätsprofes­so­ si­tives gebracht hat. Vor allem, dass wir am Wichtigsten rin in Wien und habe von da aus ­unter­- wieder mehr selbst reflektieren, was dras­ richten können und müssen. Seit März tisch fehlt heutzutage. Und natürlich, ist“ 2020 haben sich alle Examen, Diploma dass wir zurückfinden zu dem, was am und Klassenabende verschoben _Leer ... Allerwichtigsten ist: Familie und Leer wirklich sehr traurig. Mir ist es aber Freunde! // sehr wichtig, immer in Kon­takt mit mei- nen Studierenden zu bleiben, die ja plötz­ lich ganz ohne Perspektive dastanden. Linda Watson Es ist eh schon schwer genug , für junge Sängerinnen und Sänger, immer moti- Spätestens seit ihrem Debüt bei den Bayreu­ ther Festspielen 1998 gehört Kammer­sängerin viert zu bleiben, aber jetzt in diesen Linda Watson zu den wichtigsten Wagner- und Zeiten?! Strauss-Sänge­rinnen unserer Zeit und ist auf ­allen wichtigen Bühnen der Welt zuhause. 2013/­­ Ich habe trotz alledem Meisterkurse 14 kehrte sie ins Ensemble der Deutschen ­Oper ­geben können im Sommer, auch live, am Rhein zurück, wo sie u.a. als Marschal­lin, Vor einem Jahr im Jänner hatte ich an Gott­seidank. Und noch eine Freude: Seit Elektra, Ariadne oder Brünnhilde zu hören war. der Wiener Staatsoper noch eine ganze Oktober unterrichte ich auch im neuen Serie von Vorstellungen „Lohengrin“ Opernstudio an der Wiener Staatsoper! (Ortrud) zu singen und wurde dabei zur Dort werden jeden Tag 300 Leute getes- österreichischen Kammersängerin er- tet, also ist es ziemlich sicher. Ansonsten nannt. Wer hätte zu diesem Zeitpunkt habe ich versucht, mich fit zu halten, gedacht, dass das meine letzten Vorstel­ um vorbereitet zu sein, falls ein neues lungen für eine lange Zeit sein würden? Enga­ge­ment kommen sollte. Und tat- Die Woche vor unserem ersten Lock­ sächlich: Plötzlich kam eine Anfrage aus down hier in Österreich kehrten mein Mailand, ob ich eine neue „Salome“- Mann und ich gerade noch rechtzeitig Produktion an der Scala machen könne von unserem verspäteten Honey­moon im Frühjahr. Haben wir gemacht, ge- auf Hawaii zurück. Ich war sehr glück- filmt und gestreamt. Das war einfach lich, dass wir uns entschieden hatten, toll! noch zu fahren, denn rund ein Jahr später ist es ja leider noch immer nicht Es war allerdings eine sehr schwere Pro­ möglich, wieder zu verreisen. benarbeit mit den Masken. Das kann sich ein Außenstehender sicher kaum Für uns Amerikaner lief aber gleichzeitig vorstellen, wie es ist, auf der Bühne zu noch etwas, das ich hier nicht ganz igno- stehen und stundenlang in eine Maske rieren kann: Donald Trump. Viel möchte zu singen: schmutzig und ungesund ich nicht dazu sagen außer, dass es eine fühlt sich das an, und der Sauerstoff ist Zeit lang jeden Tag für mich schwarz ge- knapp. Dann kam ein Anruf von Axel färbt hat. Das war echt eine schwere Last, Kober: Isolde in der „Tristan“-Produk­ zusätzlich zum „Corona-Problem“. In tion an der Deutschen Oper am Rhein! Österreich waren die Regeln von Anfang Ich dürfe sie wieder mit Leben erfüllen, an sehr streng. Wir waren eigentlich alle auffrischen und neue Impulse geben! froh und auch ziemlich stolz auf uns, dass So eine große Freude für mich! Mit mei- wir es geschafft hatten, die Zahlen nied- nem Kollegen Michael Weinius bin ich rig zu halten. Aber das hat leider nicht noch immer in Kontakt – „Zoom-Cock­ lange gehalten. Ich bin in der glücklichen tail-hours“ haben wir organisiert! ALLES BLEIBT ANDERS 70 71

Adela Zaharia Wenn ich auf die ganze Corona-Zeit dafür, dass ich weiterhin das tun kann, ­zurückblicke, kann ich mich eigentlich was ich so sehr liebe. – sehr glücklich schätzen. Am Anfang habe ich noch in der Bayerischen Staats­ Zusammenfassend habe ich in dieser „Du weißt nicht, oper für „7 death of Maria Callas“ ge- Zeit viele neue Erfahrungen gemacht – probt. Inten­dant Nikolaus Bachler hat von Live-Streaming-Events in einem was du hast, bis dort viel dafür gekämpft, dass wir unter ­leeren Saal über Performances mit redu­ sichersten Be­dingungen weiter proben ziertem Publikum bis hin zu Perfor­ du es verlierst“ konnten. Wäh­rend alle Theater bereits mances mit fast vollem Publikum. Klar geschlossen und die ganze Welt schon ist, dass die Menschen unglaublich eingefroren war, hatte ich das Glück, wei- hungrig nach Live-Auftritten und Live- terhin in der Lage zu sein, zu üben und Theater sind. Und sie zeigen ihre Liebe professionell fit zu bleiben. Ich hattesogar ­ bei jedem Anlass. die Möglich­keit, für Jonas Kaufmann einzuspringen und ein Live-Streaming- Durch diese Pandemie habe ich verstan- Kon­­zert mit einigen meiner Lieblings­ den, dass ein großer Teil meines Lebens arien von der Bühne der Bayerischen und meiner Persönlichkeit darin besteht, Staats­oper zu geben. dass ich Sängerin bin. Ich sah, wie meine Seele darauf reagierte, dass ihr die Auf­ Als unser Opernhaus hier in Düsseldorf füh­­rung oder das Üben verweigert wurde – geschlossen war und wir nicht einmal das war eine enorm traurige Zeit, die mehr üben konnten war es allerdings die auch emotionale Narben hinterließ. Wie schwierigste Zeit für mich. Daher war sagt man: „Du weißt nicht, was du hast, ich glücklich, als wir zumindest wieder bis du es verlierst!“. Ich musste oft an mei- üben und uns auf die angepassten Co­­- ne weniger glücklichen Kollegen den- ro­na-Programme vorbereiten konnten - ken, die seit Beginn der Pandemie viel- darunter das Drive-In-Konzert im Düs­ leicht keine Auftritte oder ein stabiles seldorfer Autokino. Einkommen hatten ... Es ist herzzerrei- ßend und macht mir noch deutlicher, Im Sommer – als die Zahlen sehr niedrig wie viel Glück ich hatte, auf einer Bühne waren und alles sehr vielversprechend stehen zu dürfen. // schien – konnte ich dann tatsächlich nach Rumänien reisen und meine Familie sehen. Adela Zaharia

Unmittelbar danach ging ich dann zu Die Sopranistin Adela Zaharia ist seit 2015/16 den Proben und zur Premiere von Mo­ Ensemblemitglied der Deutschen Oper am Rhein. Hier sang die -Preisträgerin zarts „“ nach Madrid. u.a. Lucia di Lammermoor (Donizetti), Violetta Was dort im ­zurückliegenden Jahr mög- („La traviata“), Gilda („“), Maria Stuarda lich war, wirkte auf mich fast wie ein und zuletzt Elvira in Rolando Villazons Neu­- Wunder: Eine normale Opernproduk­ ins­zenierung von „I puritani“. In 2021 wird sie tion, bei der alle ursprünglich geplanten ihr Hausdebüt am Royal Opera House Covent Aufführungen mit etwa 70% Publikum Garden in London und an der Opéra national stattfinden konn­ten! Alles möglich mit de Paris geben. enormen ­logis­tischen Anstrengungen und sehr strengen Sicherheitsmaß­nah­ men – eine starke Aussage, dass Kultur in Zeiten von Corona möglich sein kann.

In jedem Land und jeder Stadt, in der ich aufgetreten bin, musste ich mich stän- dig an die Regeln anpassen und auf alle Aktuali­sie­rungen achten. Ein bisschen anstrengend, aber ein kleiner Preis ALLES BLEIBT ANDERS 72 73

Einen Aspekt liefert Julio Cortázar quasi auf dem Silbertablett. hinter der Kulisse. So erreichen wir zum einen Kolorit und Jede Figur bringt ihr ganz eigenes sprachliches Kolorit in zum anderen ein Erkennungsmotiv, das mit Figuren – im Falle das Stück ein. Amerika, ein Vorort von Buenos Aires, argenti- der Pauke mit dem Richter – verbunden ist. Sonst ist der Abend nische Upper Class. Solche Dialekte seien auch im Tanz zu fin- auch musikalisch eklektisch: Ella Fitzgerald, argentinische Geschlossene den, konstatiert Demis Volpi sofort. Ausbildung, Herkunft, Kinderlieder, Luciano Berio, rhythmische Geräusche von Prägung – all das beeinflusst die Tanzsprache und lässt sich Straßenumzügen, um nur Einiges zu nennen. wunderbar zur Zeichnung der individuellen Charaktere nut- zen, ja unbedingt auch überzeichnen, wo es nötig ist. Direkt Mit einer Textvorlage den Weg eines neuen Balletts zu begehen, entstehen vor unserem inneren Auge kleine Inseln, auf denen ist wie mit einer Karte zu einer Reise aufzubrechen, die sich erst Spiele – zum Beispiel die amerikanische Touristin plötzlich das Spot- entwickelt, während man läuft. Anfang Dezember 2020 haben light des New York City Ballet in das südamerikanische Lokal wir im Probenprozess begonnen, diese surreale Welt zu erkun- scheinen lässt. den, sie uns anzueignen und ihre Sprache zu lernen. Entstanden sind kuriose Duette zweier Kellner mit Salvador Dalí-Schnurr- Doch vor allem scheint sich im Tanz, in seiner Eigenschaft, bärten, die Leichtfüßigkeit einer Frau mit Cowboyhut, die ohnehin die Grenzen des Möglichen und Nachvollziehbaren zu doch schwer an die Countrysängerin Dolly Parton erinnert und hinterfragen und zu durchbrechen, die perfekte Spielweise für die entspannt kaugummikauend nach dem Ober schnipst. diejenigen Momente im Stück zu finden, in denen plötzlich die Ganz anders zeigt sich die Bewegungswelt des Angestellten, der Realität kippt und die Regeln des Alltags aufgehoben werden. in zermürbender Langsamkeit der Bürokratie sein Gegenüber Das, was im Text zwischen den Zeilen liegt, ist mit assoziativen kommunikativ herausfordert. Das Zentrum dieses Kaleidos- vom Text zum Bewegungskompositionen in Choreographien zu verwandeln. kops an Figuren und Körperlichkeiten: der Richter. Er bewegt sich rigide, zielstrebig durch den Raum. Ganz so, als würde Anders als in manch anderen abstrakten Arbeiten, in denen es er wie eine Rasierklinge jedes Gespräch beenden, an dem er oft mehr um Zustände, um einen ästhetischen Rahmen geht, ist vorbeizieht. Seine Arme schlagen durch den Raum wie eine der Austausch mit Bühne und Kostüm bei einem so situativen Guillotine. VON MAURICE LENHARD (TEXT) UND Ballett und figurenbetonten Stück hochdetailliert. Die Bühnenbild- INGO SCHÄFER (FOTO) nerin Heike Scheele ist nicht nur eine vielfach ausgezeichnete Es war ein aufregende Entdeckungstour, in der wir die Figu- Meisterin ihres Fachs, sondern hat auch selbst viel Zeit in Ar- ren zum Leben erweckt haben und zusehen konnten, wie sich gentinien verbracht. Demis Volpi und sie wühlen in Fotos, nach und nach aus den Worten und Gedanken Cortázars ein Es riecht nach frischem Kaffee und warmem Kopierer. Wir ha- Ein ominöser Richter wiegt pedantisch seine Möhren ab, denn beschreiben die vielen Gerüche, das Stimmenwirrwarr, das Ballett zusammensetzte. Wir können es kaum erwarten, un- ben uns um einen kleinen Tisch versammelt, als wollten wir sonst isst er nichts und auch von ihnen nur eine genaue Maxi- Material von Tischdecken, wie sie es aus Lokalen in Buenos serem Publikum die skurrilen Begebenheiten im Lokal in ein Ritual feiern – und irgendwie ist das auch so. Mit Spannung malmenge. Ein Kunde versucht vergeblich, Koffer und Pakete Aires kennen. Angereichert wird die realistische Raumanlage Buenos Aires zu servieren. // lesen wir erstmals gemeinsam, was vielleicht ein neues Ballett aufzugeben, scheitert aber an einer kafkaesken Bürokratie. Die mit einer Vielzahl surrealer Elemente und Spielmöglichkeiten. werden soll. In unseren Händen ein Schauspiel von Julio Cor- feinen Linien der Charakterstudien verweben sich zu einem Wenn der Raum feststeht, wird an den Figuren gefeilt. Dabei tázar, argentinischer Autor phantastisch-surrealistischer Lite- virtuosen Diskurs über Gerechtigkeit, Recht und Unrecht, verleiht die Kostümbildnerin Katharina Schlipf jedem Cha- Geschlossene Spiele ratur. Wir lesen in verteilten Rollen. An manchen Stellen wird und die menschliche Vision, auf faire Art und Weise über das rakter seine Eigenheiten. Wir ziehen immer wieder Filme, gelacht, genickt, manchmal herrscht auch Uneinigkeit über Schicksal anderer bestimmen zu können. Was Cortázar 1983 Bücher, Musikvideos zurate, um uns langsam der Vorstellung Ballett nach einem Schauspiel von Julio Cortázar Choreographie Demis Volpi die Rollenverteilung. unter der argentinischen Militärdiktatur von Videla erlebt einer Person zu nähern, mit der wir das Abenteuer einer Ur- Musik Elliott Carter, Ennio Morricone, Luciano Berio, und mit Blick darauf beschrieben hat, wirft bis heute relevante aufführung begehen wollen. Dabei muss man sich nicht selten Camille Saint-Saëns u.a. Nach etwa vierzig Minuten sind wir auf der letzten Seite ange- Fragen auf. von der eigentlichen Grundlage lösen. Es gibt bei Cortázar kommen. Etwas liegt in der Luft, das uns zuzuflüstern scheint: Figuren, die durch bestimmte körperliche Eigenheiten und Probenbeginn 2.11.2020 gute Spur! Ein Text ist zwar gefunden, doch damit fängt die eigentliche Physiognomien charakterisiert werden, die es in unserer Com- Ursprünglich geplanter Premierentermin 12.12.2020 Herausforderung erst an. Die große Aufgabe ist es, die fein ge- pagnie so nicht gibt. Um diese nicht rein äußerlich zu behaup- Neuer Premierentermin 1.10.2021 Auch die obligatorische Nacht, die man über jede Entschei- schliffenen Dialoge, Cortázars Doppelbödigkeit, sein stetiges ten, muss die Suche tiefer gehen. Was liegt unter der äußeren dung schlafen sollte, bestätigt dieses Gefühl und somit steht Schwanken zwischen Humor und politischem Ernst in Tanz Erscheinung? Wie ist eine ähnliche Wahrnehmung durch eine fest, dass „Nada a Pehuajó“ Arbeitsgrundlage für Demis Volpis zu übersetzen. besondere Bewegungssprache zu erlangen? ersten Handlungsabend am Ballett am Rhein werden soll. Wo behandeln wir den Tanz ebenbürtig mit dem gesprochenen Last, aber sicherlich not least muss noch die passende Musik Das in Europa weitgehend unbekannte Stück bedient sich in Wort und wo überhöhen wir die Choreographie zur visualisier- für den Abend gefunden werden. Schnell ist klar: Die Hand- seinem Aufbau eines bekannten Spielprinzips. Ein halb-öffent- ten Interpretation des Textes? lungsstränge sind so divers, dass wir keine stringente Musik zu- licher Raum, hier ein typisches Lokal in Buenos Aires, wird grunde legen können. Es muss episodenhaft, momentweise nach und nach von verschiedenen Menschen bevölkert. Zu- gedacht werden. Welche Ebenen können uns die Musik erzäh- nächst scheint es kaum oder nur wenige Schnittpunkte zwischen len, die uns sonst der Text geben würde? Wir haben uns dafür den Figuren zu geben. Eine amerikanische Touristin trifft auf entschieden, sowohl mit szenisch eingesetztem Klavier auf der ein eingespieltes Ensemble von Kellnern und Stammgästen. Bühne zu arbeiten als auch mit live gespielter Musik für Pauke ALLES BLEIBT ANDERS 74 75

Carmen Kovavs: Herr Kloke – wie hat Warum ist diese Form des „Weiterent- horn zieht sich, unabhängig von meiner der Prozess der Bearbeitung für Sie wickelns“ bei Wagner für Sie so reizvoll? Bearbeitung, durch den ganzen „Tristan“ begonnen? Wagners und ist ein zentrales musikali- VON CARMEN KOVACS (INTERVIEW) Weil Wagner die Schnittstelle zur musi- sches Element im dritten Aufzug, wo es UND SANDRA THEN (FOTO) Eberhard Kloke: Ende Mai bekam ich kalischen Neuzeit ist. Wagner ist derjeni- Tristans Leben spiegelt und reflektiert – ­einen Anruf von Axel Kober – ob ich mir ge, der den Blick in die Zukunft eröffnet und quasi eine Tristan-Biographie liefert. vorstellen könnte, „Tristan und Isolde“ hat. Paradoxerweise hat er sich mit his- Die für kleines Orchester zu bearbeiten. Ich torischen und mythologischen Stoffen Und wie stehen diese beiden Zeit- und habe um zwei bis drei Tage Bedenkzeit die Grundlage dafür geschaffen. Ich finde Klangebenen zueinander in Beziehung? gebeten, denn mir war sofort klar, dass es unglaublich interessant, diese Zeit- Wie stellt sich das räumlich dar? ich nicht einfach eine reduzierte Fassung spannen auszuhalten: gegenwärtig zu machen würde. Mit meinem Konzept, sein, einen zukünftigen Ausblick zu ge- Im ersten Aufzug sind die Bereiche der ­einer Liste von weiteren Ideen und Wün­ ben und dabei fest auf einer historisch- inneren und äußeren Handlung eher ge- schen bin ich nach Düsseldorf gekom- en Basis zu stehen. trennt. Es gibt häufig Passagen, wo das Latenz men, wo gemeinsam mit Axel Kober und Ensemble allein spielt oder das Hauptor- Intendant Christoph Meyer die Sache Welche waren Ihre konzeptuellen Vor- chester im Graben der Protagonist ist. zügig klargemacht wurde. Es ging also entscheidungen für die Fassung von Die Berührungspunkte sind eher selten. blitzartig schnell. Und dann ging der „Tristan und Isolde“? Im zweiten Aufzug ändert sich das kom- Zeitstress natürlich gleich los, denn bis plett und die beiden klanglichen Bereiche Mitte September hatte ich die Partitur Im „Tristan“ wird ja alles aus der Vorge- laufen deutlich ineinander, verschmel- fertigzustellen, damit der Verlag mit den schichte heraus erzählt. Man muss die- zen im Liebesduett sogar und geben dem notwendigen Umsetzungsarbeiten – se Vorgeschichte kennen, um das Stück Klang, der auch aus dem Orchestergra- nach außen Korrekturen, Layout und Herstellung überhaupt verstehen zu können: Korn- ben kommt, dadurch eine räumliche des Stimmenmaterials – beginnen wall, Irland, Morold, der abgeschlagene Dimension, die bis in den Zuschauer- konnte. Bis zum Probenbeginn hatte ich Kopf, der Splitter vom Schwert im Kopf raum hineinreicht. Und diese klanglich- also ein wildes halbes Jahr hinter mir. – das sind wahnsinnig wichtige Details, en Ereignisse werden an einigen Stellen um zu verstehen, warum Isolde in einer brutal unterbrochen durch die Bläser- Als erfahrener und etablierter Spezia- solchen Spannung lebt. Einerseits steht Einsätze in Form von Bühnenmusik, bei- list für musikalische Bearbeitungen ha- sie dem Mörder ihres Verlobten Mor- spielsweise mit dem Auftritt der Jagd- kehren ben Sie eine Vorgeschichte mit Wagner old gegenüber und andererseits kann gesellschaft. Im dritten Aufzug wird die und dem „Tristan“. Wann und wie sind sie sich an Tristan nicht rächen, weil die Räumlichkeit des Klangs am stärksten Sie einander schon einmal begegnet? Blicke es unmöglich gemacht haben. spürbar, wenn Isolde in ihrem Schluss- Dieses Spannungsverhältnis treibt das monolog in ein Klangband eingebun- Der Komponist Eberhard Kloke hat für die Als die Mauer fiel und Deutschland zur Stück dialogisch und musikalisch voran. den, also von Orchestermusikern und Wiedervereinigung strebte, war ich Chef- -musikerinnen umgeben wird. dirigent der Bochumer Symphoniker Meine Idee für die Fassung war, eine Deutsche Oper am Rhein Wagners „Tristan und habe ein Projekt umgesetzt, für das räumlich abgesetzte Klangebene zu eta- In dieser Bearbeitung ist das Verhältnis ich den ersten Aufzug von „Tristan und blieren, die mit der Vorgeschichte ver- von Raum und Zeit so ausformuliert, und Isolde“ neu bearbeitet und eine intime Isolde“ für zwei Orchester eingerichtet bunden wird und dementsprechend die dass ein permanenter Wechselbezug habe: für das Rundfunk-Sinfonieorches- innere Handlung, das Unausgesprochene zwischen Vorgeschichte und gegenwär- Fassung der Partitur geschaffen. Sechs Monate ter Leipzig und die Bochumer Sympho- erzählt: ein fünfköpfiges Ensemble, be- tiger Geschichte, also der Handlung, niker. Nach der Pause wurde „Gruppen“ stehend aus einem Streichquartett und stattfindet. Wenn man dieses Stück unter nach der ursprünglich für Anfang Dezember von Karlheinz Stockhausen gespielt. einem Englischhorn, wobei das Streich- „normalen“ Bedingungen spielt, dann ist Damals – es war übrigens das erste Pro- quartett im 1. Akt oft mit Isolde assoziiert das zwar auch latent vorhanden, aber mit 2020 geplanten Premiere konnte der Dreiakter jekt in der legendären Bochumer Jahr- wird und das Englischhorn mit Tristan. der Fassung wird diese Latenz nach au- hunderthalle – ist mir dabei schon be- Das Hauptorchester im Graben erzählt ßen gekehrt. Plötzlich werden zwischen- wusst geworden, welche Perspektiven die Handlungsgegenwart, die äußere menschliche Bezüge deutlich sichtbar. an drei aufeinanderfolgenden Abenden im man für den „Tristan“ gewinnt, wenn man Handlung. Und tiefenpsychologisch ist da ja auch die innere Handlung von der äußeren Einiges los – das ist Freud quasi voraus- Juni 2021 endlich zur ersten Aufführung absetzt. In den fast 30 Jahren danach Warum haben sie sich für Streichquar­ gedacht, was da passiert. habe ich weitere Werke von Wagner be- tett und Englischhorn entschieden? kommen. arbeitet und gleichzeitig durch verschie- dene Aufführungskonzepte mit Raum Das Streichquartett ist sozusagen die und Klang experimentiert. kleinste orchestrale Basis. Das Englisch- ALLES BLEIBT ANDERS 76 77

Ihre Fassung ist untertitelt mit „Hand- schließlich daran interessiert, den Klang dieser Fassung ebenfalls tiefgreifend aus- lung und Psychogramm“ ... zu untersuchen und an die direkt hörba- einandergesetzt hat, bin ich während der re Oberfläche – in dem Fall den Zuschau- Zeit der Vorbereitung und der Proben Psychogramm bezieht sich auf die inne- erraum – zu bringen. Bei der Qualität in ständigem Austausch gewesen. Auch ren Vorgänge, die die äußeren Vorgänge heutiger Orchester und der Grundqualität wegen dieser sehr erfreulichen Zusam- erklären. Jeder Mensch hat ein Psycho- des Instrumentenbaus ein sicher nach- menarbeit mit dem Team der Deutschen gramm, eine psychologische Grundbe- vollziehbarer Grund! Oper am Rhein ist meine Motivation findlichkeit, die sich aus verschiedenen natürlich immer weiter gewachsen. Handlungsebenen ergibt. Hier ist es die Wie sind Sie bei der Fassung vorgegan- Vorgeschichte, also die Begegnung von gen? Wie kann man sich Ihre tägliche Was glauben Sie, ist Ihnen mit dieser Tristan und Isolde, aus der sich etwas Arbeit vorstellen? Fassung besonders gut gelungen? Gibt ergeben hat. Und alles, was danach pas- es eine Stelle, in die Sie sich besonders siert, ist tiefenpsychologisch motiviert. Die Grundvoraussetzung war ja, den verliebt haben? Deshalb ist es auch so wichtig, nicht nur „Tristan“ an drei Abenden zu zeigen und von einer Handlung zu sprechen, son- verschiedene Klangebenen zu schaffen. Diese Bearbeitung empfinde ich als eine dern eben auch von dem Psychogramm Ganz praktisch habe ich dann in der meiner schönsten Arbeiten. Natürlich der vorgeschichtlichen Befindlichkeiten. Wagner-Partitur die Stellen markiert, gibt es persönliche Highlights – aber die an denen ich eingreifen würde. Und behalte ich für mich. Sicher ist: Ich habe In Ihrer Bearbeitung erklingt jeweils natürlich musste die Partitur vom großen es extrem gerne gemacht! // vor dem ersten und zweiten Aufzug ein Wagner-Orchester ausgehend auf ein sogenanntes Entrée: eine Verbindung kleineres Orchester verdichtet werden. der Musik des Vorspiels zum dritten Der restliche Verlauf ist ziemlich schlicht: Tristan und Isolde Aufzug mit einem Text, der von einer jeden Morgen ab 6 Uhr am Schreibtisch. Bearbeitung von Eberhard Kloke für die unsichtbaren Stimme gesprochen wird. Und zwar wirklich jeden Tag. Man muss Deutsche Oper am Rhein Was hat es damit auf sich? den Gesamtzusammenhang des Stück- Musikalische Leitung Axel Kober es, aber eben auch jedes kleine Detail Inszenierung Dorian Dreher Die Entrées zum ersten und zweiten Auf- über die Zeit der Bearbeitung hinweg zug sind einerseits inhaltlicher Rück- vollkommen gegenwärtig in sich haben. Ursprünglicher Probenbeginn 06.10.2020 bezug zum Ursprung des „Tristan“ – ein Alles Andere blende ich aus. Das war Ursprünglich geplanter Premierentermin Rückbezug zu einem griechischen Text jetzt die 26. Oper, die ich bearbeitet habe – 17.12.2020 (1. Aufzug), 18.12.2020 (2. Aufzug), von Aischylos und einem mittelalterlichen meiner Erfahrung nach geht es für mich 19.12.2020 (3. Aufzug) Text von Thomas – und andererseits ein nur so und in dieser Intensität. Neuer Premierentermin 18.06.2021 (1. Aufzug), 19.06.2021 (2. Aufzug), 20.06.2021 (3. Aufzug), musikalischer Vorgriff auf den dritten Opernhaus Düsseldorf Aufzug. Die Idee war, mit diesem vom Wie lief die Vorarbeit mit Generalmu- 31.10.2021, Theater Duisburg Ensemble gespielten Entrée eine Art sikdirektor Axel Kober und Regisseur Vollständigkeit der einzelnen Akte bezo- Dorian Dreher? gen auf das Ganze herzustellen. Wenn jeder Aufzug jeweils an einem Abend Im Dialog mit Axel Kober ging es unter aufgeführt wird, lässt sich so ein drama- anderem um Besetzungsfragen, die ­ turgischer Bogen herstellen, der die Fol- Trennung im Raum, die Bühnenmusik ge und Zusammengehörigkeit der Akte etc. Was diese praktischen Dinge an- umspannt. geht, haben wir uns schnell und gut ver- ständigt. In dieser grundsätzlichen Mit der Offenlegung des Klangs sind wir Übereinstimmung hatte ich gleichzei­- in gewisser Weise ein Anti-Bayreuth – tig das Gefühl, dass er mir eine Carte würden Sie da zustimmen? Blanche gegeben hat.

Dem stimme ich absolut zu. Der soge- Axel Kober und Dorian Dreher waren nannte verdeckte Orchesterklang ist spä- dann für zwei lange Arbeitstreffen bei testens seit der Erfindung der Mikro- mir in Berlin, wo wir wirklich en detail phonie und Lautsprecherklänge obsolet über den Stand der Partitur gesprochen geworden. Wir wollen mit dieser Fassung und bestimmte Stellen schon mal am die Dinge deutlich machen und sie nicht Rechner angehört haben. Mit Dorian verstecken. Im 21. Jahrhundert sind wir Dreher, der sich mit dem „Tristan“ und ALLES BLEIBT ANDERS 78 79

Sein letztes Jahr hatte sich Prof. Dr. Alfred Wendel anders vorgestellt: Der Intendant der Eine Duisburger Philharmoniker geht nach mona- telanger „Zwangsruhe“ für sein Orchester in unglaubliche den Ruhestand. Er war der Deutschen Oper am Rhein stets ein verlässlicher und hochge- Begeisterung schätzter Partner in der Theatergemeinschaft – und hinterlässt seinem Nachfolger ein wohl- bestelltes Feld.

An den 5. März 2020 erinnert sich Alfred Wendel in einer Kraft der Musik“ nennt. Dieses Glück fehlt ihm, und er weiß, Mischung aus Wehmut und Begeisterung. Wehmut, weil es mit dass es auch seinem Publikum fehlt, dem treuen. Nicht zu re- dem wenige Tage später einsetzenden ersten Lockdown das den von seinen Musiker*innen... letzte Konzert seines Orchesters für lange Monate war, das letz- te überhaupt vor einer bis auf den letzten Platz besetzten Mer- Wendel stammt aus einer Arbeiterfamilie. Den wie aus der catorhalle; Begeisterung, weil Axel Kober in seiner damals fri- Zeit gefallenen Vornamen erbte der Zweitgeborene von seinem VON ARMIN KAUMANNS UND schen Funktion als GMD der Duisburger Philharmoniker eine Vater, im westfälischen Werl gab es gottseidank noch einen an- KURT STEINHAUSEN (FOTO) Sternstunde mit Anna Malikova am Klavier herbeizauberte. deren Jungen, der so hieß, da ließen sich „Ekel-Alfred“-Hänse- Vielleicht sind es ja diese beiden Gefühlswelten, die das ver- leien besser aushalten. Dass aus dem Knaben, der nach der gangene Jahr des Intendanten der Duisburger Philharmoniker Realschule erst mal eine Schlosserlehre machte, bevor er dem geprägt haben. Es ist sein letztes in dieser Funktion, Alfred Drang zu den Geisteswissenschaften nachgab, ein promovier- Wendel geht mit Ende der Spielzeit in den Ruhestand, mit ter Musikwissenschaftler, Professor an der Folkwang Universität 63. Bei unserem Besuch im grausam stillen Theater sagt er: der Künste in Essen wurde, ist zumindest bemerkenswert. Das „Ich bin jetzt 30 Jahre im Showgeschäft. Ein vereinnahmender, wissenschaftliche Schnüffeln in staubigen Bibliotheken und ur- ein anstrengender, ein ungemein befriedigender Job. Aber alten Handschriften verband der junge Mann schon bald mit jetzt bin ich froh, dass diese Corona-Phase zu Ende geht. In seinen musikpraktischen und organisatorischen Talenten. Nach mir keimt eine Idee von Ruhe.“ der unvermeidlichen Blockflöte wünschte und bekam er ein Klavier, mit zwölf, fand dann aber das Trompeten im Posau­nen­­ Ja, so hätte sich der Mann mit dem ansteckenden Esprit seinen chor spannender, entdeckte später übers Krummhorn die Abschied nicht vorgestellt. Eigentlich wollte er beim „Apothe­ Renaissancemusik. Über die Göttinger Händel-Gesellschaft ker“, dieser fröhlichen Haydn-Oper, die als letztes Philharmo­ ­ kam er zum Rheingau Musik Festival, wurde administrativer für ni­sches Konzert der Spielzeit halbszenisch für Ende Juni ter- Leiter des Klavier-Festival Ruhr und ist seit 2006 Intendant miniert ist, zum Orchester auf die Bühne kommen, sich neben der Duisburger Philharmoniker. Chef eines städtischen Ins­ einen Fiat 500 stellen und ein paar Abschiedsworte zum Or- tituts mit rund Mitarbeiter*innen, dessen 90-köpfiger künst­le­ chester und zum Publikum sprechen. Und hinterher einen aus- rischer Stab sich inzwischen zu den besten Orchestern der geben. Aber Wendel selbst glaubt in diesem Frühjahr schon Republik zählen darf. Wendel hat daran seinen Anteil, seine Art, die fast nicht mehr dran, dass das wieder möglich sein könnte. Er immer wieder neue Herausforderungen zu kreieren, künstleri- nimmt’s gelassen, im Grunde wie diese ganzen verrückten letz- schen Anspruch mit Team-Spirit zu verknüpfen, „hohe Kunst“ ten Monate, die für dden Manager des Vorzeigeklangkörpers zu den „einfachen Leuten“ zu bringen, fördert und sichert die der Stahl- und Arbei­ter­stadt nur sehr selten etwas mit dem zu Existenz des A-Orchesters. Musik tun hatten, was er „die beglückende, gemeinschaftsbildende ALLES BLEIBT ANDERS 80 81

Doch das letzte Jahr war freudlos. Seit Freitag, dem 13. März Generalmusik- 2020 ist Wendel hauptsächlich mit Absagen beschäftigt und leerte mit dem Kai & Friends-Ensemble, das gerade probte, auf direktor Axel Kober den Schreck erst mal eine im Schrank verstaubte halbe Flasche Brandy, wie er sich etwas melancholisch erinnert. Hygienekon- zepte, Abstandsmessungen, Maskenchaos, immer wieder die Frage: Was geht, was geht nicht? Dieses ewige 'Von Woche zu Woche, von Monat zu Monat'-Denken. Kurzarbeit im Orches- ter, Überlastung im Abo-Büro. „Wir haben all die Dinge, die in diesen Tagen in Berlin und Tübingen als Modellversuch schon wieder gestoppt sind, längst ausprobiert. Es ist erwiesen, dass sich bei uns niemand angesteckt hat. Es wäre ein Leichtes, mit unseren Konzerten die Leute aus ihrem Verdruss zu erlösen“, sagt er und resümiert: „Dass das alles jetzt nicht möglich scheint, das macht mich traurig.“ Axel Kober hat Alfred Wendel kennenge- ­lernt, als er gerade die Auszeichnung des Diesem Corona-Jahr positive Seiten abzugewinnen, ist schwer, Deutschen Musikverlegerverbandes für aber möglich. „Zuerst haben wir CDs gemacht, die Mendels- beste Konzertprogramm in Deutschland sohn-Sinfonien 1, 3, 4, 5 mit Axel Kober. Sie sind in der Produk- erhalten hatte. Das war in der Spielzeit tion“, strahlt Wendel. Kammerkonzerte, Konzert-Streamings 2009/2010 mit Entdeckungen für Corona-Besetzungen. Als Videos auf Youtube, als Geschenk fürs Publikum. „Wir haben die Neuen Medien besser kennengelernt, das wird auch in die Zukunft „Für mich war es eine wirken. Gleiches gilt für unser Publikum.“ Weil bei den weni- gen Corona-Live-Konzerten, die im Doppelpack für rund 600 tolle, freundschaftli­­ (von möglichen 1580) Zuhörer*innen einstündig um 18 Uhr und 20.30 Uhr stattfanden, der frühe Termin deutlich gefrag- che Zusammenarbeit, ter war, starten die Philharmonischen Konzerte ab nächster Spielzeit eine halbe Stunde früher. „Ganz wichtig aber war, dass weil Alfred Wendel alle Beteiligten zusammengehalten haben“, sagt der Mann, eine unglaubliche Be­­- dem Teamplay scheinbar im Blut liegt. Das gelte für sein Haus. Fürs Publikum. Für die Sponsoren, die Politik. Nicht zuletzt geisterung verströmt. für die Deutsche Oper am Rhein. „Die Oper ist die Lebensver­ sicherung fürs Orchester. Und ohne Duisburg wäre die Deut­ Jenseits aller Zwänge. sche Oper am Rhein andererseits nicht das große, bedeutende Haus, das es ist. Wir alle brauchen gute Zusammenarbeit, Er ist immer auf der sonst geht nichts.“ Suche nach innova­ Alfred Wendels Nachfolger, Nils Szczepanski, findet ein wohl- bestelltes Feld vor. Die neue Spielzeit ist geplant, die Opern- ti­ven Programmen, Die Duisburger Philharmoniker im Zuschauerraum des Theaters Duisburg Ehe, der Vertrag mit GMD Axel Kober gesichert. Für den schei- denden Intendanten öffnet sich indes ein neuer Lebensabschnitt. hoch­motiviert, empa­- „Ich sehe das gelassen“, sagt er. „Ich habe nicht das Gefühl, ich thisch für Musik und muss jetzt unbedingt was anderes machen. Ich werde die Ruhe genießen. Vielleicht wieder mal schreinern oder die Trompete Musiker*innen und ausgraben.“ Und ab und zu von Bochum nach Duisburg kom- men. Die Freundschaften pflegen, den Kontakt zu den Rotar- hochsensibel für das, iern. Und mal wieder in einem ausverkauften Konzert die be- glückende Macht der Musik erleben. „Darauf freue ich mich!“ // was sein Publikum braucht!“ ALLES BLEIBT ANDERS 82 83 2021 PREMIEREN /22

Premieren Oper Umberto Giordano Premieren Ballett Andrea Chénier Béla Bartók Sa 14.05.2022, Opernhaus Düsseldorf Demis Volpi Herzog Blaubarts Burg Herzog Blaubarts Burg Fr 10.09.2021, Opernhaus Düsseldorf Viktor Ullmann Fr 10.09.2021, Opernhaus Düsseldorf Der Kaiser von Atlantis Mieczyław Weinberg Do 12.05.2022, Theater Duisburg Twyla Tharp / Masel Tov! Wir gratulieren! Aszure Barton Sa 25.09.2021, Theater Duisburg Giuseppe Verdi Come In Macbeth Sa 25.09.2021, Opernhaus Düsseldorf Manuel de Falla So 12.06.2022, Theater Duisburg Sa 12.02.2022, Theater Duisburg Meister Pedros Puppenspiel Fr 24.09.2021, Opernhaus Düsseldorf Demis Volpi So 17.10.2021, Theater Duisburg UFO – Junge Oper Urban Geschlossene Spiele Premieren Fr 01.10.2021, Opernhaus Düsseldorf La clemenza di Tito MERZOUGA (Eva Pöpplein Demis Volpi Sa 09.10.2021, Opernhaus Düsseldorf und Janko Hanushevsky) Der Nussknacker Die unbedingten Dinge Sa 23.10.2021, Opernhaus Düsseldorf Fr 17.12.2021, Theater Duisburg Richard Wagner Ab 6 Jahren Tristan und Isolde Fr 1. Oktober 2021, Duisburg Mitte Bearbeitung von Flemming Flindt Andrey Kaydanovskiy Eberhard Kloke für die Misha Cvijovic Ad Absurdum Deutsche Oper am Rhein Als wir nicht mehr wussten, Mo 17.11.2021, Theater Duisburg So 31.10.2021, Theater Duisburg wer wir waren Ab 8 Jahren Roland Petit Johann Sebastian Bach Di 15.02.2022, Anne-Frank-Haus, Das Weihnachtsoratorium Düsseldorf-Garath Aszure Barton Szenen einer schlaflosen Nacht – I am a problem Eine musiktheatrale Fassung MERZOUGA (Eva Pöpplein Fr 28.01.2022 Sa 11.12.2021, Opernhaus Düsseldorf und Janko Hanushevsky) Songs with roots Christopher Wheeldon Jacques Offenbach Ab 6 Jahren Demis Volpi Orpheus in der Unterwelt Mi 23.03.2022, Kulturbunker, Sharon Eyal Sa 19.02.2022, Opernhaus Düsseldorf Duisburg-Bruckhausen One and others Sa 02.04.2022, Opernhaus Düsseldorf Fr 29.04.2021, Theater Duisburg Leoš Janáček Caio de Azevedo Katja Kabanova Glas George Balanchine Sa 05.03.2022, Theater Duisburg Ab 4 Jahren Mi 15.06.2022, Düsseldorf-Gerresheim Vier neue Temperamente Fr 03.06.2022, Opernhaus Düsseldorf NACHHALTIG. INNOVATIV.

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Herausgeber Anna Vohn: Weitere Bilder Deutsche Oper am Rhein Foto Kreative Pause (S. 18 rechts) Chamäleon (S. 14): Theatergemeinschaft Andrej Jakubik/shutterstock.com Düsseldorf Duisburg gGmbH Screenshots Digitaler Spielplan von Digitaler Tunnel (S. 36): Ferdinand Grunert (S. 39) FlashMovie/shutterstock.com Generalintendant Zollstock (S. 50/51): Prof. Christoph Meyer Hans-Jörg Michel: Szenenfoto SlayStorm/shutterstock.com „Der Kaiser von Atlantis“ (S. 42), Maik Claßen (S. 46): privat Geschäftsführende Direktorin Szenenfoto „Romeo und Julia“ (S. 53) Alexandra Stampler-Brown Urheber, die nicht zu erreichen waren, Sascha Kreklau: werden zwecks nachträglichen Recht­e­ Foto Gerhard Michalski (S. 52), abgleichs um Nachricht gebeten. Redaktion Foto Chorkonzert (S. 53) Dramaturgie, Kommunikation & Marketing Bettina Stöß: Druck Fotos Eric White (S. 56) Bonifatius GmbH Druck – Buch – Gestaltung Verlag, 33100 Paderborn Markwald Neusitzer Identity raumlabor berlin: Zeichnungen UFO (S. 60/61) Redaktionsschluss Bildnachweise Ingo Schäfer: Szenenfoto aus 15. Juni 2021 Filmstill aus Filmsequenzen von Ralph „Geschlossene Spiele“ (S. 70) Apple Pay? Goertz und Daniel Senzek, ­bearbeitet von Ferdinand Grunert (S. 4+81) Sandra Then: Foto Eberhard Kloke (S. 72 + 75) Monika Rittershaus: Foto Batmobil (S. 6), Foto Backstage Andreas Endermann: Ganz normal. und Probenfoto (S. 22 + 25), Porträts von Florian Simson (S. 45), Fotostrecke „Fragile“ (S. 26 - 33), Kimberley Boettger-Soller (S. 47), Anna Probenfoto Twyla Tharp (S. 59) Harvey (S. 65), Linda Watson (S. 67), Einfach, sicher und Adela Zaharia (S. 68), Foto Duisburger Kai Kuczera: Fotostrecke Operngala im Symphoniker (S. 79) vertraulich bezahlen. Autokino (S. 8 - 13) Sigrid Reinichs: Porträts von Lara Sparkasse mit Apple Pay. Filmstill aus der Videodokumenta­tion Defino & Nelson López Garlo (S. 48) von Daisy Long (S. 16) Kurt Steinhausen: Daniel Senzek: Fotos Balletthaus Foto Alfred Wendel (S. 76) Begrüßung (S. 17), Fotos Kreative Pause (S. 18 links + 20/21), Fotos zu „A simple Christian Schoppe: piece“ ­(S. 40), Foto­strecke „Leer trifft Foto Axel Kober (S. 78) lebendig“ (S. 44 - 49; S. 64 - 69), Fotos PTB (S. 54/55), Fotos Opern­ studio (S. 62)

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