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  Entdeckungsreisen zu Menschen und Landschaften  Weber AG Verlag Verlag AG Weber JürgAlder Jürg Alder Thunersee – hohganT Entdeckungsreisen zu Menschen und Landschaften

Weber AG Verlag

ISBN 978-3-909532-51-3 www.weberverlag.ch Inhalt

Enziane auf kargem Boden.

Übersicht 7

Vorworte Verena Moser, Verein Thunersee –Hohgant 9 Peter Reber, Liedermacher mit Heimatort Schangnau 10 Jürg Alder, Autor 13

Röthenbach –Schangnau Zwischen -Klischees und Innovationslust 14 Porträts Daniel Siegenthaler, Biobauer, Schangnau 26 Vreni Rüegsegger, «Landi-Mutter», Röthenbach 30 Tipps 36

Eriz Ein wenig bekanntes Tal bleibt sich selbst 46 Porträts Daniel Aeschlimann, Bergbauer und Chronist, 62 Rosa Tschanz, «Schöriz Rösi», Steinige Schöriz, Eriz 66 Marianne Wanzenried, «Moorhexe», Innereriz 70 Tipps 76

Niederhorn –Hohgant Rätsel rund um den Hohgant: Wo ist der Gipfel? 86 Porträts Andreas Zurbuchen, Ranger Lombachalp, 112 Evelyne Grossniklaus, Beatenberg 118 Philipp Häuselmann, Höhlenforscher, Geologe 122 Tipps 130

Justistal und Niesen. 3 Inhalt

Wolkenschwaden über den Karrenfeldern der S ieben Hengste.

Thunersee –Sigriswil Von der «Riviera» bis in den Weltraum 152 Porträts Joel Reuteler, Schüler, Schwanden 172 Marianne Vogt, Ahnenforscherin, Sigriswil 178 Pascal Baumann, Wasserskifahrer und Wakeboarder, Gunten 182 Tipps 190

Rotache –Zulg Zwischen Rotache und Zulg: Auf Hoftour mit dem Tierarzt 210 Porträts Carina Kammermann, Jugendtreff-Co-Leiterin, Unterlangenegg 234 Walter Gasser, Schreiner, Imker, Bistrobesitzer, Heimenschwand 240 Tipps 248

Städte Nach dem Ausflug: In der Stadt 260 Mein Tag mit einem Gast 274 Tipps 284

Anhang Nützliche Internet-Seiten 301 Dank 304

Blick über die Moorlandschaft auf Augstmatthorn und Suggiture.

4 5 Übersicht

DergeplanTenaTurparK Thunersee – hohganT

IMPRESSUM

ISBN 978-3-909532-51-3

Herausgeber Verein Thunersee –Hohgant Seestrasse 2 CH-3600 Thun www.ihrpark.ch

Verlag, Konzept Weber AG Verlag & Realisation Gwattstrasse 125 CH-3645 Thun/Gwatt www.weberverlag.ch

Autor Jürg Alder, CH-3700 Spiez

Fotos Simon Wüthrich, CH-3705 Faulensee Jürg Alder, CH-3700 Spiez

Karten IMPULS AG, CH-3600 Thun

Korrektorat Madeleine Hadorn, CH-4900 Langenthal

Druck Ilg AG, CH-3752 Wimmis

Auflage 6000 Exemplare Frühjahr 2010 Stand: April 2010

6 7 Dasprojekt

naTurparK:KeInFreIlIchTmuseum, sonDerneInenTwIcKlungsprojeKT

Die wunderbare Region zwischen Thunersee und Hohgant wird erstmals in einem Buch beschrieben. Abwechslungsrei - che Landschaften vom milden, fast mediterranen Thunersee bis zum kargen und schroffen Karstgebiet, originelle Persön - lichkeiten, Handwerk und Brauchtum, interessante Tipps für Wanderungen und Ausflüge, all das und natürlich viele wun - derschöne Fotos finden Sie in diesem Buch.

Nun soll ja die Region zwischen Thunersee und Hohgant auch noch ein Regionaler Naturpark RNP werden. Ist das über - haupt nötig? Gibt es da nicht viele zusätzliche Vorschriften und Einschränkungen? Was ist überhaupt ein Park? Heisst das, wir werden eine Art Freilichtmuseum oder gar einge - zäunt und bestaunt wie seltene Tierarten im Zoo?

Viele Fragen, Bedenken, Ängste aus der Bevölkerung werden an uns herangetragen. Wir sind überzeugt, dass das Projekt Regionaler Naturpark Thunersee Hohgant für die ganze Re - gion eine einmalige Chance für die Zukunft ist. Das Instru - ment RNP ist nämlich ein regionales Entwicklungsprojekt, bietet innovativen und aktiven Personen aus Land- und Forst - wirtschaft, Tourismus und Gewerbe viele Chancen ohne zusätzliche Einschränkungen. Mit zahlreichen Projekten unterstützt der Trägerverein Gemeinden, Organisationen und einzelne Personen, die mit zukunftsweisenden Ideen und Projekten an uns herantreten.

Mit dem geplanten Regionalen Naturpark und mit dem vor - liegenden Buch gilt es, die einmaligen, oft unspektakulären landschaftlichen, geschichtlichen und kulturellen Werte (wie - der) zu entdecken und bekannt zu machen. Nehmen Sie sich Zeit und Musse, diese lesend und reisend besser kennen zu lernen.

Verena Moser Morgenstimmung ob Beatenberg. Präsidentin des Vereins Thunersee –Hohgant

8 9 Vorwort Dieherkunft

esbegannmITZeITungsschIFFchenImbumbach

Als Bub habe ich meine Schulferien häufig im Bumbach bei meiner Grossmutter verbracht. Im «Grabe», neben dem Hof, habe ich kleine Zeitungsschiffchen ausgesetzt und mich ge - fragt, wo sie wohl landen werden, wenn sie die wilden Wasser überwunden haben. Diese Neugier hat mich nie mehr los - gelassen. Meine spätere, siebenjährige Weltreise mit einem Segelschiff nahm ihren Anfang also eigentlich unter dem Hohgant. Mit meinen Cousins habe ich die Milch mit der «Bänne» in die Käshütte geführt. Nach Hause haben wir den feinen Käse mit den grossen Löchern gebracht. Ein Geschenk des Himmels nannte der wirblige Käser den Emmentaler, und das erklärt Mit meiner Grossmutter auf dem Ofenbänkli Ende der dann auch die Löcher darin: Als vor langer Zeit dieses Ge - 1950er-Jahre. schenk des Himmels auf die Erde transportiert werden sollte, nahm jedes Engelchen noch schnell eine kleine Handvoll Mein Vater ist unter dem Hohgant aufgewachsen, im Bum - Käse aus dem schönen Laib, weil sie ihn ja auch so gern hat - bach, einem südöstlich von Schangnau gelegenen Weiler, auf ten. Das hat ihm nicht nur die Löcher beschert, sondern der dem Weg zum Kemmeriboden, wo es – bevor die Welt ganz Gegend auch etwas himmlische Luft, die sich jetzt wunderbar aufhört – ein letztes Mal feine Meringues gibt. Danach enden vermischt mit derjenigen dieser schönen Dörfer, wilden die Strassen, beginnt die wilde Pockenschlucht und hört die Bäche, knorrigen Tannen und bodenständigen Menschen, die zivilisierte Welt auf. Die Talbewohner nennen diese Gegend alle zusammen diese Region bilden. Liebhaber kennen ihn etwas geheimnisvoll «hingerem Hohgant». So erfuhr ich es längstens! Sie noch nicht? Höchste Zeit, dass Sie sich auf die als Kind von meinem Vater, wenn er allerhand Geschichten Socken machen. Vielleicht treffen wir uns unterwegs. über diese urtümliche Gegend erzählte. Als er dann als jun - ger Mann nach ziehen musste, um Arbeit zu finden, hat es ihn nach der Pension – nach vierzig Jahren – doch wieder in seine alte Heimat zurückgezogen. Er war auch nie richtig weg gewesen, zumindest in seinem Herzen nicht. Als Schang - Peter Reber, Liedermacher mit Heimatort Schangnau nauer lebte er in Bern im Exil. Was ist das für eine Gegend, die die Menschen nicht loslässt, sie prägt und sie auch nach Jahrzehnten der Abwesenheit noch sagen lässt, dass sie eigentlich nur dort richtig zu Hause sind? Was sind das für Menschen, die sich so fest mit ihrer Heimat verbunden fühlen? Ich hatte das Privileg, beides kennenzulernen. Einen grossen Teil des geplanten Naturparks Thunersee –Hohgant habe ich erwandert, die Schönheit der umliegenden Bergwelt von der Hohgant-Hütte aus genossen. Geblieben sind mir aber auch die träfen Sprüche der Einheimischen, die mit ein paar Worten mehr sagen als ein «Laferi» in einer ganzen Viertel - Ebenfalls im Bumbach – Arbeit mit stunde. den Pferden.

10 11 Vorwort

neugIerIgwerDen–unDhIngehen!

«Ich habe keine besondere Begabung», sagte ausgerechnet Albert Einstein, und fügte an, er sei «nur leidenschaftlich neugierig». Neugierde war mein Antrieb, diesen touristischen Ausflugsführer zu erarbeiten, und im besten Fall kann er die Lust auf neue Erfahrungen, Begegnungen und Themen weiter geben – die Neugierde auf die liebenswürdigen und eigenar - tigen Menschen (wie wir alle es sind) zwischen Röthenbach, Thun und Interlaken, auf die so unterschiedlichen Landschaf - ten zwischen Räbloch, Augstmatthorn und Jakobshübeli. Die Neugierde auf Büffel-Mozzarella, Kohlestollen-Führungen, Heilkräuter-Lektionen, Söybluemewy oder einen modifizier - ten «Schweizerkasten» für Imker.

Auf Probleme aller Art, die es, wie man hört, sogar in idylli - schen Gegenden geben soll, wird in diesem Buch nur verein - zelt eingegangen. So ergänzt es den Nachrichtenfluss der Medien, die – das gehört zu ihren wichtigsten Aufgaben – lau - fend über (noch) Ungelöstes zu berichten haben. Auch fach - liche Vertiefung kann dieses Buch kaum bieten. Wer sich auf die unzähligen geschichtlichen, naturwissenschaftlichen, historischen, literarischen oder sonst hintergründigen, unter- oder überirdischen Themen zwischen Thunersee und Hoh - gant einlassen möchte, kann und soll (noch) mehr lesen – und vor allem: hingehen, mit allen wachen Sinne n…

Bleiben Sie neugierig!

Jürg Alder, Autor

Spätsommer auf Gemmenalp.

12 13 Röthenbach –Schangnau

ZwiSchen emmenta l-KliScheeS und innovationSluSt

«Intakt» – gibt es das noch? Teilweise zutreffen könnte dies auf die Dörfer Röthenbach und Schangnau im oberen Emmental. Abbauerscheinungen, wie sie Randregionen im Allgemeinen be - sonders zu schaffen machen, kennen diese Bauerndörfer fast nur vom Hören- Sagen: Schul- und Schuhhäuser, Bäcke - reien und Metzgereien, Lebensmittel - läden – alles ist noch da in dieser zer - klüfteten Hügellandschaft vor der Ku - lisse des Hohgants, weit weg von Zen - tren wie Langnau und Thun. Oft haben originelle Ideen und Produkte mitgehol - fen, das wirtschaftliche Überleben und den sozialen Zusammenhalt der beiden 1000-Seelen-Gemeinden zu sichern. Meringues beispielsweise zeugen von dieser Innovation oder auch Mozarella aus Wasserbüffelmilch. Der Schangnauer Biobauer Hans Bieri mit Wasserbüffeln vor dem Hohgant.

Der Schangnauer Biobauer Hans Bieri mit Wasserbüffeln vor dem Hohgant

14 Röthenbach –Schangnau

«Emmental» löst in der Schweiz starke Bilder aus: Käse mit grossen Löchern, Bauernhäuser mit Ründi-Dächern und Ge - ranien, das bewegte und oft wenig idyllische bäuerliche Leben, wie es der Lützelflüher Pfarrer Jeremias Gotthelf im 19. Jahrhundert in seinen populären Romanen beschrieb. Behäbige Wirtshäuser, in denen nicht ganz diätgerechte Me - ringues gegessen werden, gehören mit zum Klischee. Zum Selbstverständnis zählt auch der Hohgant, der mächtige Bergzug im Süden, an der Grenze zum Berner Oberland. Schangnau liegt ihm zu Füssen, während die Röthenbacher, etwas weiter westlich in bewaldete Hügel eingebettet, ihn nur sehen, wenn sie in die Höhe kraxeln.

Gotthelf-Kirche, Gotthelf-Haus Hier, im obersten Emmental, findet sich schon fast alles, was das Emmental-Klischee ausmacht – obwohl die Emme nur erst ein Bach ist: Das 1000-jährige Würzbrunnen-Kirchlein bei Röthenbach ist als «Gotthelf-Kirche» bekannt und be - liebt, seit es in Gotthelf-Verfilmungen wie «Ueli der Knecht» zu Ehren kam. Da gibt es auch das Sahlenweidli, als «Gott - Vorkammer der Hochalpen: helf-Haus» bezeichnet, in dem Familien unter den Augen des Ausblick vom Chuderhüsi auf Eiger Schweizer Fernsehpublikums ein einfaches bäuerliches und Mönch, davor die Sieben Hengste. Leben à la dazumal (vor-)führten. Und die Meringues sind hier als Schangnauer Errungenschaft bekannt, obwohl auch das nahe Meiringen im Berner Oberland die Urheberschaft beansprucht. Dabei ist der Name nach heutigem For - schungsstand auf den ostdeutschen Ort «Mehrinyghen»

16 Röthenbach –Schangnau einführung

Vom Restaurant Chuderhüsi – oberes Bild – ist das Würzbrunnen-Kirchlein – unten – gut zu erkennen.

Blick auf Altels, Rinderhorn und Niesen. Im Vordergrund die steif geschlagenem, gezuckertem Eiweiss, bei etwas über markante Waldkuppe des Stouffe. 100 Grad mehr getrocknet als gebacken, erfordert beim Ver - zehr massive Befeuchtung – durch Nidle. Bäcker Christian Oberli, Sohn des seinerzeitigen «Erfinders», erzählts mit spitzbübischem Lächeln. In der wohnzimmergrossen, be - scheiden ausgerüsteten Bäckerei Stein im Weiler Bumbach bei Schangnau entstehen seit Jahrzehnten in drei Öfen täg - lich Hunderte der hellbraunen Schalen. «Und hier noch das zurückzuführen – ein Schweizer Zuckerbäcker soll die Süss - Gegenteil einer Kemmeriboden-Meringue», sagt Oberli, der speise dort um 1720 erfunden haben. In die ganze Schweiz das Geschäft 2002 an seine Tochter und seinen Schwieger - geliefert werden die «Merängge», so der Dialekt, aus einer sohn übergeben hat, aber immer noch mithilft. «Das Gegen - Familienbäckerei bei Schangnau. Die luftige Eiweiss-Zucker- teil!» Er gibt ein luftig-weiches, gelbliches Anis-Biskuit zu Bombe wird mit viel geschlagenem Rahm serviert, unter an - versuchen. Aus dem Eigelb, das nach der Eiweiss-Verwen - derem im traditionellen Gasthaus Kemmeriboden-Bad, im dung übrig blieb, musste etwas entstehen – ein neues Ge - Einschnitt zwischen Schrattenfluh und Hohgant. bäck war erfunden.

Meringues und ihr Gegenteil Guter Preis für Wasserbüffelmilch Die Entstehungslegende der hellbraunen Kemmeriboden- Wer im ältesten Gasthaus Schangnaus, im «Löwen», ein Ra - Meringue belegt die Gewitztheit der Oberemmentaler: Kurz gout vom Wasserbüffel bestellt, verspeist nicht etwa ein Im - vor dem Zweiten Weltkrieg soll es vorübergehend eine Milch - portprodukt aus Indien, sondern eine lokale Spezialität. Un - schwemme gegeben haben. Das damalige Kemmeriboden- weit von Bumbach rufen die mächtigen schwarzen Tiere auf Wirtepaar habe deshalb den Bäcker Oberli in Bumbach be - den hügeligen Weiden von Hans Bieri Impressionen aus Asien auftragt, ein Dessert zu liefern, das mit möglichst viel wach. «Die Liberalisierung in der Landwirtschaft, aber auch «Nidle», also Rahm, gegessen werden sollte. «Schnee» aus einfach die Neugier auf etwas Anderes» habe ihn und vier

18 19 Röthenbach –Schangnau einführung

«Mach mit dem, was du has t…» Ein frischer Wind weht auch ennet dem Schallenbergpass, im 17 km westlich gelegenen Nachbardorf Röthenbach. Der umtriebige Gemeindepräsident Ruedi Megert, seit kurzem pensionierter Primarlehrer, gibt zusammen mit dem Ge - meindeschreiber ein Infoblatt heraus, das «LOS Röthebach» heisst – mit einem Ohr im Schriftzug. «Es ist aber mehrdeutig gemeint», betont er. Das «Los, in Röthenbach leben zu müs - sen, oder die Aufforderung, mit dem berndeutschen ‹los jetzt › etwas anzupacken». Oder drittens, ebenfalls im Dialekt, «los» – «hör mal hin». Spötter munkeln, man merke ihm halt schon noch den Schulmeister an. Doch Ruedi Megert lacht nur: «Mach mit dem, was du hast, dort, wo du bist, das, was du kannst», zitiert er sein persönliches Lebensmotto. Auch andere Röthenbacher scheinen es sich zu Herzen zu neh - men. Auf dem Schallenberg etwa, nur einige Kilometer von

Landwirtschaft mit Aussicht – Naters, der Waldkamm der Nach dem Regen – Honegg, die Kalkalpen mit weitere Bauern 1996 veranlasst, 14 trächtige Tiere aus Ru - Hohgant (links) und Sieben Nebelschwaden in den Wäldern Hengsten (rechts) und im mänien zu holen, erzählt der Biobauer. Es waren die ersten und Gräben. Hintergrund die Hochalpen in der Schweiz. Die empfindsamen Wasserbüffel liefern zwar mit Lauteraar- und Schreckhorn, deutlich weniger, aber fettreichere Milch als heutige Hoch - Finsteraarhorn, Eiger, Mönch und Jungfrau. leistungskühe – und zu einem deutlich höheren Preis. Von Büffelkäse über Büffelquark bis zu Büffelmozzarella reicht die Palette der Produkte, die auch in der Hohgant-Käserei in Schangnau und in der Ende 2008 eröffneten, neuen Bergkä - serei im benachbarten Marbach verkauft werden. Von Was - serbüffeln wird auch Fleisch geliefert, nicht nur für den «Löwen», sondern auch für eine hiesige Metzgerei. Gewor - ben wird nicht zuletzt damit, dass Büffelfleisch nur halb so viel Cholesterin enthält wie übliches Rindfleisch. Neun Schangnauer Bauern halten mittlerweile solche Tiere, wäh - Unterhalb der schroffen rend Hans Bieri bereits mit einem neuen Produkt bereit steht: Nordwand des Hohgant Schaf-Mozzarella. «Ideal für Kuhmilch-Allergiker», weiss er. grünt es allenthalben.

20 21 Röthenbach –Schangnau einführung

Im Hügelland eingebettet: … und Röthenbach. Schangna u… der Passhöhe entfernt, produzieren die Gebrüder Klaus und wie Thun und Langnau entfernt. Dadurch erhalten eigene Urs Wittwer seit 1994 Biogas aus der Vergärung von jährlich Ideen bessere Chancen.» Eine Folge davon ist, dass sowohl 4500 Tonnen Jauche und organischen Abfällen. Mit Biogas Schangnau wie Röthenbach fast intakte Dörfer geblieben produzierter Strom wird ins Netz eingespiesen. Die Rück - sind, mit mehreren Schulhäusern, Metzgereien, Käsereien, stände werden als Dünger an 170 Landwirtschaftsbetriebe Gasthäusern, ja sogar Schuhläden, Garagen und je einer der Region verkauft. Eine ganz andere Welt ist die, wie Me - Poststelle, die allerdings in Röthenbach seit 2009 infrage ge - gert weiss, «namhafte und aktive Töpferszene» auf Röthen - stellt wird. Und vor allem: Der soziale Zusammenhalt über - bacher Boden. Im August 2009 zeigten zehn Töpferinnen und lebt – 25 meist traditionell ausgerichtete Freizeitvereine gibt Töpfer aus nah und fern an einem Festival «Holz und Ton» es in Röthenbach, sogar rund 30 in Schangnau. bei der Würzbrunnen-Kirche ihr Können und ihre Produkte. Um die verwinkelte Hügellandschaft des oberen Emmentals, Abgelegenheit fördert Eigenständigkeit die im Süden unvermittelt in felsige Höhen übergeht, zu er - War es die sprichwörtliche «Not» in den beiden Bauerndör - leben, brauchts jedoch keinen Verein. Einheimische wie fern, wo noch heute mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Gäste erleben auf dem gut beschilderten Wanderwegnetz der Landwirtschaft lebt, die erfinderisch machte? Hansueli überraschende Ausblicke Richtung Berner Oberland, Inner - Siegenthaler, bis Ende 2008 langjähriger Gemeindeschreiber schweiz, Westschweiz, Mittelland und Jura. So bekannt wie Schangnaus – schon sein Vater, sein Gross- und sein Ur - die Würzbrunnen-Kirche und das «Sahlenweidli» sind das Bäcker Christian Oberli und grossvater übten dieses Amt während 145 Jahren aus –, ist ein Wahrzeichen der Region: Chuderhüsi samt Aussichtsturm im Norden von Röthenbach, sich da nicht sicher: «Wir sind einfach genug weit von Zentren die «Chemmeribode-Merängge». der bei Töff- und Velofahrern beliebte Schallenbergpass oder

22 23 Röthenbach –Schangnau einführung

Gestaffelte Hügel- und Bergketten von Chuderhüsi aus: in der Bildmitte Naters und Vorderer die Räbloch-Schlucht bei Schangnau, die auf einer natürli - Schallenberg, dahinter die SehR viele BaueRn - Honegg, ganz hinten von links der chen Nagelfels-Brücke überquert werden kann. Auch ganz - Hohgant, die Sieben Hengste und tägige Bergwanderungen und Skitouren auf verschiedensten BetRieBe der Sigriswilergrat. Vorne links Routen von Bumbach oder Kemmeriboden-Bad auf den Hoh - schaut das Würzbrunnen-Kirchlein aus den Tannen hervor. gant sind Thema abendfüllender Erlebnisberichte. Flächenmässig sind Röthenbach und Schangnau mit je rund 37 Quadratkilometern fast doppelt so gross wie die Stadt Verborgene Kleinode in Wäldern Thun mit 22 Quadratkilometern. Noch heute lebt hier, nörd - Manche Kleinode sind in den riesigen Wäldern, die rund die lich des Schallenbergs im obersten Emmental, die Hälfte der Hälfte der Fläche bewachsen, verborgen. Nur einige Einhei - Haushalte von der Landwirtschaft, während der Anteil Bau - mische wissen von ihnen. Der Röthenbacher Ernst Kindler, ern an der Schweizer Bevölkerung 2009 nur noch vier Pro - der rund 50 Jahre lang als Revier-Förster zuständig war, zent betrug. Die hügelige Landschaft auf 800 bis 2200 m ü.M. kennt fast jeden Baum, manche Felsen, Bäche und Natur - ermöglicht vor allem Milch- und Weidewirtschaft. Die Behör - schönheiten: Beispielsweise die etwa 600-jährige Stouffen - den Röthenbachs mit 1300 und Schangnaus mit 950 Einwoh - eiche bei Heimenschwand und die wohl grösste Stechpalme nern pflegen regen Austausch und sind in den Bereichen der Schweiz nördlich des Chuderhüsi. Auch die schwer zu - Feuerwehr, Zivilschutz, Spitex und Sozialdienste regional gängliche Flüebach-Schlucht an der Grenze zu be - verbunden. Einbezogen wird dabei auch die 2500-Seelen-Ge - sucht er gerne. Landschaftserlebnisse, die auch Gemeinde - meinde Eggiwil. In Bezug auf den geplanten Naturpark Thu - präsident Megert kennt. Aber: «Wenn man dies alles bekannt nersee –Hohgant jedoch sind sie sich nicht ganz einig: Eggi - machen und vermarkten würde, ginge etwas Kostbares ver - wil will nicht dabei sein, da es sich stärker Richtung Emmen - loren», sinniert er. tal orientiert und weniger Bezug zum Berner Oberland hat.

24 25 Röthenbach –Schangnau Porträt

daniel SiegenthaleR, BioBaueR:

«eS giBt oRte auf meinem gRundStücK, wo ich noch nie waR»

Daniel Siegenthaler oberhalb seines Hofes auf dem Scheidzunbödeli, wo seine Frau Hedi den Gemüsegarten für den Eigenbedarf pflegt (unten).

Bergsträsschen am Nordfuss Was unterscheidet dich als verschiedene Singvögel habe ich des Hohgants, das Eriz und Biobauer eigentlich von einem rings ums Haus Nistkästen in - Schangnau verbindet, ist keine konventionellen Bauern? stalliert. Oft beobachte ich in offizielle Durchfahrt, aber die Schon mein Vater war ge wis ser - einem Sumpfgebiet auf meinem weitaus kürzeste Verbindung massen «grün». Er brauch te Land Frösche und Insekten, zwischen den beiden Dörfern. auch keinen Dünger. Dünger freue mich an den Blumen. Oder Die Zufahrt zum kleinen Em - säen, um Pflanzen hervorzuja - in Vollmondnächten an den Hir - mentaler Bauernhaus führt gen, das möchte ich nicht. Ab schen, von denen mich einige mitten durch die Scheune. Ein und zu etwas Kalk säe ich schon, kennen und bis auf 20 Meter Besprechung der weiteren zotteliger, fröhlich wedelnder das ist gestattet, aber sonst heranlassen. Bedauernswert die Arbeit: Daniel Siegenthaler mit «Scheidzunbödeli» – das klingt Bergamaskerhund begleitet die nichts. Als ich hier 1986 begann, Leute, die das alles nicht sehen! seinem Sohn Daniel, der auch nach einem kleinen Heimet. Gäste in die Wohnküche mit gab es noch kein Bio-Label. Kurz Bauer wird. Doch Daniel Siegenthaler dem grossen runden Esstisch, danach bin ich mit drei weiteren Könntest du mit intensiver nennt an der Gemeindegrenze wo Daniels Frau Hedi Kaffee Schangnauer Bauern in die Bio- Landwirtschaft nicht mehr zum Eriz ganze 100 Hektaren und einige Cake-Scheiben auf Landwirtschaft eingestiegen. verdienen? Land sein Eigen. Der sechsfa - die drehbare Servierplatte ge - Auch meine Frau und unsere Nein, da hätte ich zwar mehr Ein - che Familienvater, in den 90er- stellt hat. sechs Kinder unterstützen das, nahmen, aber auch mehr Kos - Jahren einer der ersten Bio - das ist wichtig. ten, müsste Leute anstellen. bauern in Schangnau, züchtet Daniel Siegenthaler, bist du ein Unter dem Strich käme es auf leidenschaftlich alte Nutztier - Naturmensch? War «Bio» ein Thema im Dorf? dasselbe heraus. Und vor allem: rassen, nimmt sich aber auch Ja, ich bin jedenfalls viel lieber Ja, das gab schon zu reden. Bio - Es muss nicht alles genutzt und Zeit fürs Beobachten kleiner einen Tag lang alleine am Hoh - logische Landwirtschaft hatte verwertet werden. Die biologi - Tiere in der freien Natur. Oder gant oder auf der Honegg unter - den Ruf einer «Mohrerei», man sche Vielfalt ist mir viel wert. Wir für Begegnungen mit Hirschen wegs als zum Beispiel an einem, schaute die «grasgrünen» Be - haben alle eine Verantwortung während der Nacht. sagen wir, Autorennen. triebe schief an. Heute hat sich für die Natur. Ich möchte sie der das völlig beruhigt. nächsten Generation so intakt «Wenn du vom Eriz her Das gibt es ja hier in der weiter geben, wie ich sie über - kommst, dort, wo der Asphalt Gegend auch nich t… Was ist deine Motivation? nommen habe. anfängt, links oben»: So be - Nein, klar nicht. Das würde defi - Wenn ich auf der Weide ein Ler - schreibt Daniel Siegenthaler nitiv nicht in einen künftigen chennest sehe, kann ich ganz den Standort seines Hofes. Das Naturpark passen. gut darumherum mähen. Für

26 27 Röthenbach –Schangnau Porträt

Wie hältst du die Tiere? Nimmst du hier in deinem die Tiere leiden ja nicht. Höchs- Die Red-Holstein-Rinder in Paradies Schangnau überhaupt tens dann, wenn ich eine alte einem Laufstall und in einem noch wahr? Kuh schlachten muss, spüre ich konventionellen Stall, den ich Sicher, ja, das ist quasi meine noch Hühnerhaut. Ich bin dann aber demnächst ebenfalls um - Heimat, obwohl mein Heimatort jedes Mal froh, wenn der Tag baue. Bei den Evolène-Rindern ist. In Schangnau sind un - vorbei ist. betreibe ich Mutterkuh-Haltung. sere Partner, zum Beispiel die Ziegen und Schafe sind so oft wie Metzgerei. Es hat noch zwei Denkst du auch mal an Ferien? möglich draussen. Schlachthöfe und drei Bäcke - Ferien brauchen wir nicht, gell, reien. Und natürlich die Käserei. Hedi! Letztmals war das wohl Evolène – eine seltene Rasse! Schangnau hat noch alles, was 1986, da waren wir vier Tage auf Ja, ich züchte mit viel Freude alte ein Dorf braucht. Hochzeitsreise im Nationalpark. Rassen. Evolène-Rinder gibt es Das Meer habe ich erst einmal in der Schweiz heute erst knapp Fällt es dir schwer, ein Tier gesehen – aber nur von oben, als 200, und der Bestand erholt sich zum Metzger zu bringen? ich 1979 für drei Wochen nach weiter. Erst seit kurzem widme Nein, damit kann ich umgehen, Kanada flog. ich mich den Walliser Kupfer - hals-Ziegen, von denen es schweizweit nur noch knapp 30 Stück gibt. Seit längerem züchte ich Walliser Landschafe.

Schön habens die Tiere bei euch, hier am Südhang der Honegg und gegenübe r… Riesengrundstück in weiter Ja, tatsächlich, auf dem rund 100 Landschaft. Hektaren grossen Gelände muss Biobauer und Naturschützer ich Schafe und Ziegen praktisch Seltene Tiere: Nur noch Am Rande des Hochmoors Rotmoos auf Schangnauer Boden nie einzäunen, sie kehren immer 30 Kupferhalsziegen gabs 2009 in wieder zurück. Gräben und Bä - der Schweiz – einige davon hält betreibt Daniel Siegenthaler, 55, mit seiner Frau Hedi und che bilden natürliche Grenzen. Daniel Siegenthaler. ihren sechs teils erwachsenen Kindern auf rund 1200 bis 1400 m ü.M. einen Bio-Bauernbetrieb. Auf dem 100 Hektaren Ein Riesengebiet! Überblickst grossen «Scheidzunbödeli» leben einige wenige Evolène- du das überhaupt? Kühe in Mutterkuhhaltung, ein gutes Dutzend Redholstein- Das schon. Aber es gibt noch Kühe für die Milchproduktion, dazu Kälber und Rinder, zwei heute Orte, wo ich noch nie war. Schweine, eine alte Pferdestute und einige Hühner. Speziell Mit den Kindern sind wir mal den widmet er sich der Zucht von seltenen Rassen: Walliser Grenzen entlang marschiert. Wir Schwarzhals- und Kupferhals-Ziegen sowie Landschafe. Sie - brauchten zwei Sonntage dafür! genthalers sömmern auch fremde Tiere, unter anderem Was - serbüffel. Regelmässig bildet Siegenthaler Lehrlinge aus und bietet Praktika an. Er setzt sich zudem für den Naturschutz ein. Beispielsweise baute er 2008 mit Schangnauer Oberstu - fenschülern unterhalb der Marbachegg zwei Teiche und schuf Umsorgte Pensionärin: so einen Lebensraum für «Glögglifrösche» (Geburtshelfer - Die 24-jährige Stute Lilian. kröten) und andere Amphibien.

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