VERSORGUNGS BERICHT 2019 Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
„NICHTS IST SO BESTÄNDIG WIE DER WANDEL.“ – Heraklit INHALT
6 EDITORIAL
8 ZAHNÄRZTLICHE VERSORGUNG IN BADEN-WÜRTTEMBERG 10 Ein Überblick 12 In Zahlen 14 Versorgung im ländlichen Raum 16 Zahnärztliche Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung 18 Zahnärztliche Prophylaxe für Kleinkinder
20 STRUKTURWANDEL – DER BLICK NACH VORN 22 Geschlechterverhältnis im Wandel 23 Portrait 24 Quo vadis, MVZ? Was kommt nach dem TSVG?
26 ZAHNÄRZTINNEN UND ZAHNÄRZTE IN ANSTELLUNG 28 Anstellung im Kommen 30 Repräsentative Befragung der angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzte 31 Ergebnisse
38 FAKTEN UND DATEN 41 Fakten und Daten – Erläuterungen 42 Stadtkreise 51 Landkreise
86 IMPRESSUM
EDITORIAL Noch nie in der Geschichte hatten die Menschen so gute Zähne wie heute. In einer aktuellen Studie über die Länder mit der besten Zahngesundheit landet Deutschland weltweit auf dem zweiten Rang. Baden-Württemberg ist in der zahnmedizinischen Versorgung gut aufgestellt: Es gibt keine unterversorgten Landkreise. Doch es bestehen auch in Baden-Württemberg künftig Herausforderungen im Rahmen der Sicherstellung. Der Versorgungsbericht hat zum Ziel, offen, transparent und nachvollziehbar darzustellen, wie sich die Versorgungssituation in unserem Bundesland darstellt. Zudem werden strukturelle Entwicklungen im Berufsstand, etwa die wachsenden Anstellungszahlen, analysiert und bewertet.
Die Situation der zahnmedizinischen Versorgung ist Patienten. Die Menschen werden glücklicherwei- gut. Laut einer repräsentativen Patientenbefragung im se nicht nur immer älter, viele behalten auch deutlich vergangenen Jahr vertrauen 97 Prozent der Men- länger, bis ins hohe Alter, ihre eigenen Zähne. Das ist ein schen in Baden-Württemberg ihrer Zahnärztin bzw. großer Erfolg der Zahnmedizin der letzten Jahrzehnte ihrem Zahnarzt. Das sind Werte, die sich sehen lassen und nicht zuletzt dem persönlichen Einsatz der Zahnärz- können. Gleichzeitig steht die Zahnärzteschaft in der tinnen und Zahnärzte zu verdanken. Zu Recht lässt sich Verantwortung, dem großen Vertrauen Tag für Tag ge- konstatieren, dass Prophylaxe und Vorsorge längst Teil des recht zu werden. gesellschaftlichen Bewusstseins geworden sind. Damit sind 8.027 Zahnärztinnen und Zahnärzte behandel- allerdings auch neue Herausforderungen verbunden: ten über 6,5 Millionen gesetzlich versicherte Men- Der gesamte Bereich der Alterszahnheilkunde hat schen in über 21,1 Millionen Behandlungssitzungen. massiv an Bedeutung gewonnen. Patientinnen und Der Zahnarztberuf gilt für viele junge Menschen Patienten im hohen Alter haben andere Bedürfnisse als als Traumberuf. Sechsmal mehr junge Frauen und jüngere Menschen. Gerade für die Menschen dieser Männer haben sich bundesweit auf einen Studienplatz Altersgruppe ist eine regelmäßige zahnärztliche Ver- im Bereich Zahnmedizin beworben, als Studienplätze sorgung von großer Bedeutung, unabhängig von der zur Verfügung standen. In Baden-Württemberg waren die 1.891 Studienplätze für Zahnmedizin besonders gefragt. Alle Studierenden müssen aus unserer Sicht not- wendigerweise für die Versorgung zur Verfügung stehen, um diese dauerhaft flächendeckend auf einem hohen Qualitätsniveau halten zu können. Insbeson- dere deshalb ist es erforderlich, der Herausforderung des strukturellen Wandels im zahnärztlichen Bereich zukunftsweisend zu begegnen. Dieser Wandel macht sich im Wesentlichen in folgender Trias bemerkbar:
„Die zahnärztliche Selbstverwaltung ist handlungs- fähig und gestaltet aktiv die Versorgungsland- schaft. Dazu gehört insbesondere die Förderung der freiberuflichen Praxen für passgenaue Versor- gungskonzepte in allen Teilen des Landes.“ - Ass. jur. Christian Finster, Stv. Vorsitzender des Vorstandes
Frage, ob die Patientinnen und Patienten im Pflege- heim leben oder noch in den eigenen vier Wänden. Aus diesem Grund hat die Vertragszahnärzteschaft die „Das Wohl der Patientinnen und Patienten in jedem Zusammenarbeit mit den Pflegeeinrichtungen im Land Alter und jeder Lebenslage ist unsere Verpflichtung. intensiviert. 337 Zahnärztinnen und Zahnärzte haben Das gilt in besonderer Weise auch für die zahn- bereits Kooperationsverträge mit Pflegeeinrichtungen medizinische Betreuung von Pflegebedürftigen.“ abgeschlossen. Darüber hinaus engagieren sich viele - Dr. Ute Maier, Vorsitzende des Vorstandes
6 Zahnärztinnen und Zahnärzte auch ohne einen solchen Kooperationsvertrag in der Alterszahnheilkunde und behandeln in Pflegeheimen. Einer aktuellen Befragung der KZV BW zufolge streben ca. 300 Zahnärztinnen und Zahnärzte eine verstärkte Zusammenarbeit an.
Zahnärzteschaft. Der „Zahnarzt der Zukunft“ wird in großer Mehrheit eine Zahnärztin sein. Der Wandel des Geschlechterverhältnisses wird in diesem Versorgungs- bericht deshalb ebenfalls beleuchtet. Die Frauen im Be- rufsstand haben mit dem männlichen Berufsnachwuchs eines gemein: Die Ansichten, welchen Raum die Berufs- tätigkeit im Leben einnehmen soll und wie viel Zeit für das Familien- und Privatleben vorbehalten bleibt, haben sich in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Es ist ein massiver Anstieg von Anstellungsverhältnissen bei Zahnärztinnen und Zahnärzten, die sich zunächst „Die Zahl der angestellten Zahnärztinnen und nicht für eine eigene Praxis entscheiden konnten, fest- Zahnärzte steigt permanent an. Gute Rahmen- zustellen. Die Anzahl derer, die in eigener Praxis nie- bedingungen sind entscheidend, um auf Dauer dergelassen sind, ist allein im Zeitraum von April 2018 genügend motivierte junge Menschen für die bis April 2019 um 110 gesunken, während die Anzahl Niederlassung in eigener Praxis in Baden- der angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzte um 201 Württemberg gewinnen zu können.“ gestiegen ist. Die Angestellten machen mittlerweile - Dipl.-Volkswirt Christoph Besters, Stv. Vorsitzender des Vorstandes knapp 24 Prozent der Vertragszahnärzteschaft aus – sie leisten damit einen unverzichtbaren Beitrag für die Ver- sorgung. Als Selbstverwaltung der Zahnärzteschaft arbeiten wir Wir haben uns lange dafür stark gemacht, dass die Be- dafür, dass trotz der vielfältigen strukturellen und ge- grenzung von maximal zwei angestellten Zahnärztinnen sellschaftlichen Veränderungen eines nicht infrage steht: und Zahnärzten pro Vertragszahnärztin bzw. Vertrags- die hohe Qualität der flächendeckenden, wohnortnahen zahnarzt fällt. Kürzlich wurde diese Forderung umge- zahnärztlichen Versorgung in Baden-Württemberg. setzt, sodass nunmehr bis zu vier Zahnärztinnen und Zahnärzte angestellt werden können. Hierdurch erfährt die Sicherstellung der Versorgung gerade auch im länd- Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre. lichen Raum eine Stärkung, da jüngere Zahnärztinnen und Zahnärzte so eine Perspektive in Anstellung auch fernab der Ballungszentren bekommen. Um den Wün- schen der jungen Generation von Zahnärztinnen und Zahnärzten für ihre Berufsausübung gerecht werden zu können, hat die KZV BW aktuell eine Befragung unter Dr. Ute Maier Christian Finster Christoph Besters den angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzten durch- Vorsitzende Stv. Vorsitzender Stv. Vorsitzender des Vorstandes des Vorstandes des Vorstandes geführt. Die zentralen Ergebnisse werden in diesem Ver- sorgungsbericht vorgestellt.
Praxisstruktur. Die Zahnmedizinischen Versorgungs- zentren (Z-MVZ) sprießen wie Pilze aus dem Boden, in Baden-Württemberg sind es inzwischen über 130. Darunter sind immer mehr fremdinvestoren- getragene MVZ, also MVZ, die nicht von Zahnärztin- nen oder Zahnärzten betrieben werden. Private-Equity- Investoren haben dort das Sagen. Wir sehen mit Sorge, dass diese Entwicklung zu einer „Industrialisie- rung“ der Zahnmedizin führt, bei der es weniger um die Versorgungssicherheit und das Wohl der Patientinnen und Patienten gehen wird. Wir begrüßen daher, dass die Bundesregierung in dem im Frühjahr 2019 verabschie- deten Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) für eine Begrenzung der Investoren-MVZ gesorgt hat.
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ZAHNÄRZTLICHE VERSORGUNG IN BADEN- WÜRTTEMBERG ZAHNÄRZTLICHE VERSORGUNG IN BADEN-WÜRTTEMBERG
EIN ÜBERBLICK Es gibt keine unterversorgten Planungsbereiche in Baden-Württemberg. In allen Stadt- und Landkreisen ist der Versorgungsgrad ausreichend, zufriedenstellend, gut oder sehr gut. Ein Versorgungsgrad von 100 Prozent ist bei einem Verhältnis von 1.680 Einwohnern pro Vertragszahnarzt festgestellt. Für die Großstädte gilt grundsätzlich eine Messzahl von 1.280 Einwohnern pro Vertragszahnarzt. Eine Unterversorgung wird bei einem Versorgungsgrad von 50 Prozent oder weniger angenommen. Im Vergleich zu 2018 hat sich die Situation in den Landkreisen insgesamt noch einmal verbessert. Die Versorgungssituation verändert sich zu Gunsten der Ballungsgebiete und mancherorts zu Lasten des ländlichen Raums.
Den Spitzenplatz mit dem höchsten Versorgungsgrad zugerechnet, dennoch haben sie einen für diesen Bereich belegt auch in diesem Jahr der Stadtkreis Baden- untypisch hohen Versorgungsgrad. Woran liegt das? Baden mit 135 Prozent, wenn auch um 5,4 Prozent- Die Grenznähe zur Schweiz spielt in diesem Fall eine punkte von 140,4 Prozent im Jahr 2018 gesunken. Das besondere Rolle, da sich viele Patientinnen und Patien- ist jedoch eher positiv zu bewerten, da dieser Bereich ten aus dem Nachbarland in den grenznahen Gebieten bereits eine überproportionale Versorgungsdichte hat. Baden-Württembergs behandeln lassen. Von der ho- Es folgen der Landkreis Konstanz mit 131,6 Prozent (2018: hen Zahnarztdichte profitiert die vertragszahnärztliche 127,8 Prozent) und der Landkreis Waldshut mit 124,2 Versorgung. In zwei der drei Landkreise ist jedoch ein Prozent (2018: 127,3 Prozent). Weitere 21 Stadt- und Rückgang zu verzeichnen: Der Versorgungsgrad sank im Landkreise können einen Versorgungsgrad von über 100 Landkreis Waldshut und im Bodenseekreis um jeweils 3,1 Prozent vorweisen. 17 Kreise haben einen Versorgungs- Prozentpunkte. In Konstanz ist er hingegen um 5 Prozent- grad von 80 bis 100 Prozent. Die Anzahl der Land- punkte gestiegen. kreise mit einem Versorgungsgrad unter 80 Prozent ist im vergangenen Jahr von zwei auf drei gestiegen: Zu dem Auffällig ist zudem eine Veränderung im Landkreis Breis- Landkreis Freudenstadt (69,9 Prozent) und dem Enzkreis gau-Hochschwarzwald: Dort ist der Versorgungsgrad (68 Prozent) kam in diesem Jahr der Landkreis Calw mit um 5,9 Prozentpunkte gesunken und liegt nun mit 96 78,4 Prozent hinzu, der im Jahr 2018 knapp über 80 Prozent unter der 100-Prozent-Marke. Prozent lag. Die vertragszahnärztliche Versorgungsituation ist ins- Die Zahnarztdichte ist wie im vergangenen Jahr in gesamt so gut wie noch nie: 1.374 Menschen je Ballungsräumen wie der Region Stuttgart, der Vertragszahnärztin bzw. Vertragszahnarzt in Baden- Metropolregion Rhein-Neckar, dem Großraum Freiburg Württemberg. Damit hat sich das Verhältnis zum sowie dem Stadtkreis Ulm deutlich höher als in länd- Vorjahr nochmals verbessert, als 1.380 Menschen auf lich geprägten Regionen. Im Stadtkreis Stuttgart ist der eine Vertragszahnärztin bzw. einen Vertragszahnarzt Versorgungsgrad im Vergleich zum Vorjahr um 3,5 kamen. Dennoch wird deutlich, dass sich der Struktur- Prozentpunkte gestiegen, im Landkreis Karlsruhe um wandel innerhalb der Zahnärzteschaft fortsetzt: Die An- 3,3 Prozentpunkte, im Stadtkreis Ulm um 3,2 Prozent- zahl der niedergelassenen Vertragszahnärztinnen und punkte und im Rhein-Neckar-Kreis um 1,9 Prozentpunk- -zahnärzte ist von 2018 zu 2019 um 110 gesunken. Die te. Trotz eines Rückgangs im Vergleich zu 2018 von 2,9 Anzahl der angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzte Prozentpunkten ist in Freiburg eine überdurchschnittliche ist dagegen um 201 gestiegen. Die unmittelbaren Aus- Versorgungsdichte von 103,7 Prozent feststellbar. wirkungen der Zahnmedizinischen Versorgungszentren, von welchen es zwei im April 2015, 80 im April 2018 und Die Landkreise Waldshut und Konstanz sowie der 133 im April 2019 gab, auf die Sicherstellung der Versor- Bodenseekreis werden eher dem ländlichen Raum gung werden von der KZV BW beobachtet.
10 Vertragszahnärztlicher Versorgungsatlas
Versorgungsgrad
60 - 80 % 81 - 100 % A 101 - 120 % HD 121 - 140 % HD1 H 2 Ü
3 A H HA