Medien „Es muss schmerzen“ SPIEGEL-Gespräch Ulrich Wilhelm, 55, Intendant des Bayerischen Rundfunks, über Kritik an der Rundfunkabgabe, Gesetze gegen Fake News und journalistische Distanz zu Donald Trump

SPIEGEL: Herr Wilhelm, wenn man sich die Umfragen über ARD und ZDF ansieht, gibt es da eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Wilhelm: Zuerst die gute. SPIEGEL: Das Vertrauen der Deutschen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist nach wie vor hoch. Wilhelm: Es ist bemerkenswert, dass Sie das einmal so deutlich herausstellen. SPIEGEL: Es gibt allerdings eine Ausnahme. Über die Berichterstattung von ARD und ZDF sagten in der Flüchtlingskrise laut Al- lensbach 49 Prozent der Deutschen, ihnen seien wichtige Informationen vorenthalten worden. Wilhelm: Diesen Eindruck haben alle Me- dien zu verzeichnen, nicht nur der öffent- lich-rechtliche Rundfunk. Doch wir müs- sen uns die Frage, ob wir umfassend berichtet haben, in besonderer Weise stel- len, weil wir der Allgemeinheit dienen und von der Allgemeinheit finanziert werden. SPIEGEL: Es hat lange gedauert, bis der erste Kommentar in den „“ auf- tauchte, der Merkels Flüchtlingspolitik kri- tisch sah. Wilhelm: Wir waren da differenzierter, als Sie das darstellen. Das gilt im Übrigen auch für die Zeitungen. „Report Mün- chen“ etwa hat früh gefragt, wer nimmt eigentlich Fingerabdrücke, und was ist mit den Flüchtlingen, die ihre Pässe wegwer- fen? Die Fragen mussten gestellt werden, und wir haben sie gestellt. Trotzdem noch einmal: An uns werden zu Recht strengere Maßstäbe angelegt, weil jeder Haushalt für uns bezahlt. SPIEGEL: Dann seien Sie streng. Was hat Ihnen in den letzten Wochen missfallen? Wilhelm: Mir hat bei der Berichterstattung rund um die Wahl von Donald Trump teils die journalistische Distanz, die Trennung zwischen Nachricht und Kommentar, ge- fehlt. Da wurden am Tag nach der Wahl in Moderationen so ein Augenrollen und eine Missbilligung transportiert, die ich als unpassend empfand. Wohlgemerkt: Der Mann war noch nicht im Amt. L

SPIEGEL: Ist Ihnen die ARD zu einseitig? E G E I

Wilhelm: Unser Problem ist nicht Einseitig- P S

R keit. Wir könnten aber verständlicher E D

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machen, wie wir Themen gewichten und G N I R aufbereiten. Und bei der gebotenen Tren- E U H C

nung zwischen Kommentar und Nachricht S

R E müssen wir sorgfältig sein. Wenn uns N R E alle finanzieren, dürfen wir nicht nur für W einen Teil der Bevölkerung Programm Senderboss Wilhelm: „Wachsende Flut an Verdrehungen, Halbwahrheiten und Lügen im Netz“

DER SPIEGEL / 75 m achen. Jeder muss für sich etwas von zierung aller 16 Länderparlamente, viele Wert finden. Gerichte überprüfen das. Die Umstellung SPIEGEL: Nach dieser Logik müsste es auch war durch die wachsende Zahl an mobilen L

Kommentare in den „Tagesthemen“ geben, E Geräten nötig geworden. G E I die sich für die AfD aussprechen. Wo bleiben P SPIEGEL: Sie immunisieren sich gegen jede S

R die? E Kritik, indem Sie den öffentlich-rechtli - D

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Wilhelm: Sie meinen das nicht im Ernst. G chen Rundfunk zum Gewährleister der De - N I R

SPIEGEL: Sie sagen doch, Sie machen Pro - E mokratie erklären. Jörg Schönenborn vom U H C

gramm für alle. Nicht für die Nazis, nicht S WDR hat vom Rundfunkbeitrag als De -

R E für Verfassungsfeinde, klar. Aber alle N mokratieabgabe gesprochen. Das sind kei - R E anderen sollen sich wiederfinden. Somit W ne Argumente, das ist Weihrauch. auch AfD-Wähler, die Rundfunkbeiträge Wilhelm beim SPIEGEL-Gespräch* Wilhelm: Glauben Sie nicht, dass Journalis - zahlen. „Sie meinen das nicht im Ernst“ mus eine höhere Bedeutung für die Wilhelm: Es gibt Dinge, die wir ausschlie - Demokratie hat? Das gilt doch auch für Sie. ßen müssen wie Anstachelung zum Ras - zusteht, ein Rundfunksystem zu unterhal - Wenn jemand fragt, warum gibt es diese senhass, Volksverhetzung, Verleumdung. ten, das sich an die Gesamtheit richtet und Privilegien für Journalisten vom  , Aber innerhalb des gesellschaftlichen Dis - für das die Gesamtheit zahlt, dann ist mit warum dürfen die alle bewerten, warum kurses müssen wir zu allen Fragen, die die der Kraft der Argumente nur noch wenig dürfen sie Regierungen kritisieren, was ma - Menschen bewegen, eine ernsthafte Mei - auszurichten. ßen die sich überhaupt an – da würden Sie nungsbildung zu allem ermöglichen, was SPIEGEL: Die Frage ist, ob ausnahmslos jeder am Ende auch argumentieren, dass in Län - vertreten wird. Hat jemand recht, wenn zahlen muss, im Zweifel sogar mehrfach, dern besser regiert wird, in denen es eine er sagt, es gebe den Klimawandel nicht? und das unabhängig von der Nutzung . freie Presse gibt, dass dort Amtsmissbrauch Oder hat jemand gute Gründe, der sagt, Wilhelm: Sie betrachten das zu isoliert. De - und Korruption geringer sind. Trump sei prima für die Weltwirtschaft? mokratie braucht den öffentlichen Raum, SPIEGEL: Aber wir würden auch sagen: Da würde ich von uns erwarten, dass das und der öffentliche Raum hat sich drama - Wenn dich der  so nervt, dann lies Ringen um eine sorgfältige Darstellung tisch verändert. Er ist in der Digitalisierung etwas anderes. Du musst ihn nicht kaufen. nachvollziehbar wird. Dennoch: Ein reiner zerfallen. Inhalte werden nach persönlichen Das ist der entscheidende Unterschied. Kommentar im Sinne der AfD ist bei uns Vorlieben sortiert. Dadurch sind unzählige Wilhelm: Stimmt. Ich sage ja auch nicht, genauso fehl am Platz wie ein reiner Kom - Unter- und Gegenöffentlichkeiten entstan - dass wir allein die Demokratie sichern. Ich mentar im Sinne der SPD oder der Union. den. Wenn jeder nur noch zur Kenntnis sage: Wenn Sie sich die Länder ansehen, SPIEGEL: SPD-Kanzlerkandidat Martin nimmt, was ihn in seiner Meinung bestätigt, in denen gerade die freiheitliche Demo - Schulz wurde in der ARD ziemlich beju - ist Demokratie nicht mehr möglich. Da darf kratie leidet, dann ist dort in der Regel die belt. Und Ihr Chefredakteur Sigmund der Gesetzgeber doch dem Wunsch Ein - Gemeinsamkeit im öffentlichen Raum zer - Gottlieb hat in seinen Kommentaren im - zelner nicht nachgeben, die sich in ihrer brochen. In den USA gibt es kein einziges mer einen Grund gefunden, warum die Filterblase wohlfühlen und sagen: Wir brau - Medium mehr, das von allen anerkannt CSU alles richtig macht. chen keine Gesamtöffentlichkeit. wird. Die Gesellschaft ist gespalten. Die Wilhelm: Ihr Bild vom Bayerischen Rund - einen haben Fox News und Breitbart, die erscheint mir antiquiert. „Wir müssen daran anderen die „New York Times“ und CNN. SPIEGEL: Sie betonen die parteipolitische Es ist ein hohes Gut, dass es bei uns über - Unabhängigkeit. Dabei fällt bei ARD und arbeiten, in der Breite haupt Anbieter gibt, die für alle einen ge - ZDF meist die große Nähe zur Politik auf. der Gesellschaft meinsamen Referenzpunkt darstellen. Sie waren Regierungssprecher, bevor Sie, SPIEGEL: Sind ARD und ZDF das noch? nach einer Karenzzeit, Intendant wurden. verankert zu bleiben.“ Wilhelm: Natürlich, aber wir müssen daran Ihr Nachfolger in Berlin, , arbeiten, in der Breite der Gesellschaft war zuvor Nachrichtenmoderator beim SPIEGEL: Alle, die gegen die Zwangsabgabe verankert zu bleiben und nicht Teile zu ZDF. Sieht schon komisch aus. sind, wollen also bloß ungestört in ihrer verlieren. Wilhelm: Nennen Sie mir einen Fall in mei - Filterblase leben? SPIEGEL: Wen meinen Sie? ner Amtsführung, wo es eine zu große Wilhelm: Ich glaube, dass viele Kritiker des Wilhelm: Wenn ich Zuschauerpost lese, Nähe zur Politik gegeben hätte. Im Übri - öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Kritik kommt zum Beispiel der Vorwurf, wir sei - gen habe ich mit vielen Journalisten, auch nicht zu Ende gedacht haben. In der digi - en zu städtisch. Ich glaube, da ist was dran. vom  , geredet, bevor ich mich um talen Kommunikationswelt wird ein Me - Unsere Journalisten kommen mehrheitlich das Amt des Intendanten beworben habe. dium, das viele Teile der Gesellschaft noch aus gebildeten Familien und leben in der Ich habe gefragt: Ist es ein ethisches Pro - erreichen kann und ein Gespräch ermög - Stadt. Die Perspektive vom Land oder blem, wenn ich in diese Funktion wechsle? licht, allmählich zur Mangelware. vom Leben in einfacheren wirtschaftlichen Mir hat nicht einer abgeraten. SPIEGEL: Die Wahrheit ist: Das Finanzie - Verhältnissen, die kommt bei uns kaum SPIEGEL: Seit der Umstellung von der Rund - rungssystem wurde geändert, weil sich im - noch vor. Neulich hat mir jemand geschrie - funkgebühr auf eine Haushaltsabgabe mer mehr Bürger bei ARD und ZDF ab - ben: Eure Studioköche, die kochen tolle muss jeder Bürger zahlen, auch wenn er gemeldet hatten. Die Zuschauer sind Ihnen Menüs. Aber da ist nichts dabei, was bei das öffentlich-rechtliche Angebot nie oder von der Stange gegangen, deshalb die Um - meinem Geldbeutel überhaupt möglich ist. nur sporadisch nutzt. Viele Menschen em - stellung auf die Haushaltsabgabe. Kann man nicht mal eine Sendung ma - pört das, es gibt mittlerweile sogar eine Wilhelm: Es ist doch nicht so, dass sich da chen, wie man für sechs Euro kocht? Da - richtige Bewegung zur Abschaffung des ein paar Intendanten etwas überlegen und hinter steckt eine Wahrheit. Rundfunkbeitrags. Hat Sie das Ausmaß das durchziehen. Rundfunkrecht ist Län - SPIEGEL: Spielt die Debatte über sogenann - des Widerstands überrascht? derrecht. Dazu benötigt man die Ratifi- te Fake News dem öffentlich-rechtlichen Wilhelm: Es gibt Kritik an Härtefällen, die System in die Hände? ich verstehen kann. Aber wenn jemand * Mit den Redakteuren Markus Brauck und Jan Fleisch - Wilhelm: Die wachsende Flut an Verdre - kategorisch sagt, dass es dem Staat nicht hauer in Berlin. hungen, Halbwahrheiten und Lügen im

76 DER SPIEGEL '& / (&') Medien

Netz ist ein Phänomen, das eine Gefahr man die Betreiber mit in die Haftung neh - müssen Sie sich nicht wundern über die für den Zusammenhalt unserer Gesell - men müssen. Gefährdung der liberalen Demokratie. schaft und die Demokratie darstellt. SPIEGEL: Das heißt Bußgelder für Unter - SPIEGEL: Unsinn zu verbreiten ist in SPIEGEL: Was meinen Sie genau? nehmen wie Twitter und Facebook? Deutschland bislang nicht strafbar. Wenn Wilhelm: Wenn jemand in den klassischen Wilhelm: Es muss schmerzen, sonst ändert Sie das ändern wollten, wäre das ein star - Medien verleumdet wird, kann er eine sich nichts. ker Eingriff in die Meinungsfreiheit. einstweilige Verfügung erwirken, eine Ge - SPIEGEL: Was schwebt Ihnen vor? Wilhelm: Es geht hier um eine andere Ka - gendarstellung, einen Widerruf – oder eine Wilhelm: Im Zweifel muss das bei Rechts - tegorie als die Verbreitung von Unsinn. Es Sperrung des Beitrags im Archiv verlan - verstößen in die Millionen gehen. Die heu - geht um gezielte Lügen, die oft das Ziel gen. Wenn das Ganze in sozialen Netz - tigen Geschäftsmodelle nehmen keine haben, einzelne Menschen oder Bevöl - werken passiert, hat der Betroffene viel Rücksicht auf die Kosten für die Gemein - kerungsgruppen zu diffamieren und die weniger Rechte – und das, obwohl die Ver - schaft durch Hassrede und Fälschung. politische Meinungsbildung zu beeinflus - letzung seiner Persönlichkeitsrechte dort SPIEGEL: Das klingt so, als ob Sie sich auch sen. Ich bin mir in diesem Fall auch noch langlebiger und sehr viel schwerwiegender hier eine Art staatliche Aufsicht wünschten. nicht sicher, was das geeignete Gegenmit - ist. Niemand würde doch hinnehmen, dass Wilhelm: Nein, ich will kein „Wahrheits - tel wäre. Meinungsfreiheit ist ein überra - ich Mitfahrer in der U-Bahn beleidigen ministerium“. Es gibt aber Fälle, wo man gendes Gut. Weil aber eine Selbstkontrolle darf und in der S-Bahn nicht. Hier aber darüber nachdenken sollte, neben den Ur - der Plattformbetreiber bislang nicht greift, haben wir solch einen Wertungswider - hebern auch die Plattformbetreiber in die ist der Gesetzgeber am Zug. spruch in unserer Rechtsordnung. Haftung zu nehmen für das, was auf ihren SPIEGEL: Sie haben am Anfang argumen - SPIEGEL: Das klingt, als sprächen Sie sich Seiten steht. Das heißt nicht, dass beispiels - tiert, der öffentlich-rechtliche Rundfunk für neue Gesetze aus. weise Facebook jeden Einzelinhalt auf sei essenziell für die Demokratie. Nun wol - Wilhelm: Ich sehe den Gesetzgeber in der Wahrheitstreue überprüft. Aber wenn der len Sie Gesetze gegen die neue Konkur - Tat gefordert, weil sich andernfalls eine Hinweis auf einen potenziellen Rechtsbruch renz. Wäre es nicht der richtige Weg, da - autoritäre Demokratie entwickeln wird gegeben wird, muss ein Internetanbieter in rauf zu setzen, dass ARD und ZDF die und unsere auf Rechtsstaatlichkeit und angemessener Zeit und Form reagieren . Deutungshoheit zurückerobern? Grundrechten basierende Demokratie ei - SPIEGEL: Facebook sagt, es liefere nur die Wilhelm: Das muss der Anspruch sein, nen schweren Stand haben wird. technische Basis, auch eine Telefongesell - sicher, und wir werden hart dafür arbeiten, SPIEGEL: Was schlagen Sie vor? schaft hafte doch nicht, wenn zwei Mafia - wie viele andere Medien auch. Aber bei Wilhelm: Man wird die Strafen bei Beleidi - bosse am Telefon eine Straftat verabreden. der massenhaften Verbreitung strafrecht - gung und übler Nachrede im Netz deutlich Wilhelm: Das ist aber verkürzt. Würde die lich relevanter Inhalte sind wir über den verschärfen müssen. Ich halte es für ge - Telefongesellschaft dieses Telefonat öffent - Punkt hinaus, an dem wir die Dinge ein - boten, dass Netzwerke wie Facebook bei lich übertragen, dann müsste sie selbstver - fach sich selbst überlassen können. Ich bin einem Strafantrag die Namen der Urheber ständlich für die Inhalte haften. Ein Bei - überzeugt, dass in der nächsten Koalitions - von Straftaten herausgeben. Der Betrof - spiel: Nehmen wir an, Sie lesen in mas - vereinbarung dazu etwas stehen wird, und fene braucht einen Auskunftsanspruch, senhafter Verbreitung, dass es jeden Tag zwar unabhängig davon, wer die Regie - weil er sonst nicht weiß, an wen er sich einen hohen Prozentsatz schwerer Straf - rung stellt. Technische Revolutionen haben halten soll – zum Beispiel, um gegen frei taten gibt, die von den Behörden plan - am Anfang immer zu Exzessen geführt, erfundene Zitate vorgehen zu können. mäßig vertuscht werden. Wenn Sie die Ur - aber auf Dauer leben Gesellschaften nicht Die Plattformbetreiber müssen zu trans - heber nicht belangen können und so etwas im Ungleichgewicht. Da wird etwas pas - parenten Kriterien für die Löschung ver - einfach laufen lassen und die Menschen sieren, etwas passieren müssen. pflichtet werden. Wenn ein Inhalt trotz - das Gefühl bekommen, das ist ja Wahn - SPIEGEL: Herr Wilhelm, wir danken Ihnen dem immer weiter geteilt wird, dann wird sinn, was in Deutschland möglich ist, dann für dieses Gespräch.