HISTORISCHER ATLAS 11, 9

VON -WÜRTTEMBERG Erläuterungen

Beiwort zur Karte 11,9

Elektrizitätsversorgung von Baden, Württemberg und Hohenzollern 1913/14

VON HUGO OTT UND THOMAS HERZIG unter Mitarbeit von RUDI ALLGEIER und PHILIPP FEHRENBACH

Voraussetzungen der Elektrizitätsversorgung brauchs- bzw. Absatzverhältnisse wichtig. Ein Ver- gleich mit den Karten zur Bevölkerungsentwicklung In Baden und Württemberg, Gebieten ohne nennens- (Hist. Atlas von B.-W., Karte 12,3) und zur Industrie werte fossile Vorkommen, hatten die Wasserkräfte so- (Karte 11,7) verdeutlicht die Gebiete mit größerer Be- wohl in der Frühindustrialisierung als auch am Beginn völkerungs- und Industriedichte: herausragend für die der Elektrizitätsgewinnung eine besondere Bedeutung. Zeit bis 1939 sind v.a.: die Region -Hei- Das Wasserdargebot verteilt sich allerdings recht unter- delberg und der mittlere Neckarraum um Stuttgart, der schiedlich auf die beiden Länder. Baden bot sich die Raum -, das Hochrheingebiet, das weitaus günstigere Möglichkeit zur Stromgewinnung Schwäbische Albvorland, die Bereiche um Ulm und um mit dem Rhein, der durch seine teils alpin geprägten Heilbronn, die östliche Baar mit dem Raum Villingen- (Aare), teils Mittelgebirgscharakter aufweisenden Schramberg, sowie das Gebiet um Ravensburg und Nebenflüsse (Wutach, Wiese, Dreisam, Elz, Kinzig, Konstanz-Singen. Hier bildeten sich während der Murg) sowie den Bodensee als natürlichen Ausgleichs- Hochindustrialisierung nach 1870/71 die wichtigsten speicher, einen über das ganze Jahr hindurch relativ Industrieregionen des heutigen Bundeslandes mit einer gleichmäßigen Abfluß hat. Der Schwarzwald mit hohen hohen Bevölkerungsdichte heraus. Niederschlägen und undurchlässigem Untergrund um- faßt ein dichtes Gewässernetz mit einem Abflußmaxi- mum, das zwar im Winterhalbjahr liegt, aber auch im Demonstrationsanlagen und erste Elektrizitätswerke Sommer noch eine zufriedenstellende Niedrigwasser- führung gewährleistet. Lediglich die wasserarmen Ge- Die Anfänge der Stromerzeugung in Baden und biete des Kraichgau und des nördlichen Baden im Be- Württemberg sind gekennzeichnet durch zahlreiche reich Odenwald-Tauber haben ungünstigere Bedingun- Versuche, mithilfe von Demonstrationsanlagen für die gen einer Stromgewinnung. Vorzüge der neuen Beleuchtungsmöglichkeit zu wer- Die Verhältnisse im württembergischen Landesteil ben. Als Antrieb der Elektrizitätserzeugung dienten sind weniger vorteilhaft: der Hauptfluß Neckar mitsamt meistens, wie bei den ersten württembergischen Anla- seinen nicht aus dem Schwarzwald stammenden Ne- gen in Cannstatt und Gerschweiler, Dampf- und Saug- benflüssen weist nur ein mäßiges Wasserdargebot mit gasmaschinen. Wasserkraft konnte erstmals 1883 in jahreszeitlich starken Schwankungen auf. Nur in Ober- Triberg zur Beleuchtung des Marktplatzes und der schwaben und im Allgäu bieten die Argen und die Wasserfälle verwendet werden. Ein Jahr zuvor hatte durch das alpine Einzugsgebiet gekennzeichnete Iller, Paul Reißer, dessen Firma sich später noch große Ver- deren Kapazität zur Hälfte Bayern zusteht, bessere dienste um den Aufbau von Elektrizitätswerken in Voraussetzungen. Württemberg erwarb, in Stuttgart elektrisches Glühlicht Für die Elektrizitätsgewinnung sind aber nicht nur im eigenen Betrieb vorgeführt, Beispiele, die sich in die Erzeugungsbedingungen, sondern auch die Ver- dieser frühen Phase beliebig vermehren ließen.

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Bis zum Einsatz eines geeigneten Elektromotors be- Wasserkraft: Neustadt, Waldkirch, Peterstal, St. Bla- schränkte sich der Strombedarf hauptsächlich auf Be- sien, Zell i. W., Nagold und Gutach gehören zur Reihe leuchtungszwecke, wofür Gleichstrom die geeignetste der schon früh versorgten Kleinstädte. Stromart war. Obwohl sich die für Gleichstrom erforder- Bei einem Vergleich von Baden mit Württemberg/ lichen Leitungsnetze durch ihre Einfachheit auszeichne- Hohenzollern in dieser Phase des Aufbaus von Ortszen- ten – in ihnen konnte eine konstante Spannung leicht tralen bis zur Jahrhundertwende bilden gemeinsame erhalten werden –, waren doch der räumlichen Ausdeh- Entwicklungslinien zum einen das Vorherrschen priva- nung des Versorgungsgebietes Grenzen gesetzt, da der ter Initiative vorwiegend von Klein- und Kleinsterzeu- Radius auf ca. 3 km beschränkt blieb. gern auf der Basis von Wasserkraft, meist in Verbin- Die ersten Ortszentralen (Elektrizitätswerke), die dung mit Mühlen- und Sägebetrieben, sowie zum durchweg auf dem Gleichstromprinzip beruhten, konn- andern relativ starkes Engagement von Industriebetrie- ten jeweils nur im Verbrauchsgebiet, d.h. in den Zentren ben in diesem neuen Wirtschaftszweig. Diese Benut- der Städte, errichtet werden. Die begrenzte Stromvertei- zergruppe vereinigte im Jahre 1900 in Baden 56,5% der lung führte auch dazu, daß in großen Städten fast aus- Elektrizitätswerke auf sich, in Württemberg sogar schließlich Dampf als Antriebskraft verwendet werden 75,9%. Es handelte sich vor allem um Kleinstanlagen mußte. Ferner reichte für größere Städte eine Gleich- bis 100 KW: in Baden 51,6% aller Elektrizitätswerke stromanlage schon bald nicht mehr aus, so daß in der Re- mit allerdings nur 5% der installierten Leistung; in gel mehrere Zentralen errichtet wurden. Erst mit der er- Württemberg 82,4% mit immerhin 26% der installier- folgreichen Drehstromübertragung von Lauffen a. N. ten Leistung. Die gesamten Größenverhältnisse sind nach Frankfurt a.M. anläßlich der Elektrotechnischen aus dem Schaubild S. 7 zu entnehmen. Ausstellung von 1891 standen die Möglichkeiten einer Das Mühlen- und Sägegewerbe hatte im letzten Jahr- weiträumigen und großflächigen Stromversorgung vor zehnt vor der Jahrhundertwende mit Auslastungspro- der Realisierung. blemen zu kämpfen, weshalb auf der Suche nach einer Der erste Aufbau der Elektrizitätsversorgung war von zusätzlichen Erwerbsquelle viele Müller sich für die Privatinitiative getragen. Kommunen wie auch Staat Stromerzeugung interessierten. Meist war lediglich an- fürchteten das Risiko einer noch nicht überschaubaren stelle des alten Mühlrades eine leistungsfähigere Tur- Entwicklung der Elektrotechnik; auch die vorherrschen- bine einzusetzen, denn die wasserrechtliche Konzessi- de Systemvielfalt von Gleich-, Wechsel- und Drehstrom on zur Nutzung des Gewässers bestand bereits. Würt- erschwerte eine technische Entscheidung, und viele tembergische Beispiele hierfür sind Künzelsau 1892, Städte sahen sich in einer Konkurrenzsituation zum elek- Gochsen 1892, Schäftersheim, Altenstadt u.v.a. War trischen Strom angesichts der in eigener Regie geführten der Ort etwas größer und versprach mehr Stromabsatz, Gaswerke. konnte es zum Konkurrenzkampf zweier Müller um die Neben der Existenz eines Absatzmarktes war ein wei- Versorgung mit Strom kommen, wie es das Beispiel terer Grund für die Entstehung von Elektrizitätswerken Künzelsau bereits in den 90er Jahren des letzten Jahr- das Vorkommen billiger Energie zur Stromerzeugung. hunderts lehrte. Dazu boten sich für kleinere Städte besonders die Was- Eine entscheidende Beeinträchtigung der Stromer- serkräfte an, wobei aber ein Mangel in der unterschiedli- zeugung durch wassergetriebene Mühlen ergab sich in chen Wasserführung der Flüsse und Bäche während des Württemberg durch die bereits angedeuteten großen Jahres lag, so daß häufig zum Ausgleich eine zusätzliche jahreszeitlichen Schwankungen der Wasserführung in Dampfreserve eingebaut werden mußte, die natürlich die den meisten Flüssen und Bächen, ausgenommen waren Gesamtkosten einer solchen Anlage erhöhte. Ein Beispiel nur die Gewässer des württembergischen Schwarz- hierfür ist das Elektrizitätswerk Triberg, das die Wasser- waldes sowie die dem Allgäu nahe liegenden Gebiete kräfte der Gutach ausnutzte, nachdem ein genügender Ab- Oberschwabens. Der nach der Jahrhundertwende satzmarkt in der Uhren- und Feinmechanikindustrie der ansteigende Bedarf an Strom für Beleuchtung, in zu- Umgebung gesichert war. In Anbetracht der ungleichmä- nehmendem Maße aber auch für Kraftzwecke, konnte ßigen Wasserführung wurde eine Dampfanlage im be- in Zeiten der Niedrigwasserführung in den Sommermo- nachbarten St. Georgen errichtet, das man als Standort naten nicht mehr gedeckt werden. Deshalb mußten vie- wählte, weil die Lärmbelästigung dem Kurgastbetrieb in le der kleinen Mühlenbesitzer schon bald auf die Reser- Triberg abträglich gewesen wäre. Das Elektrizitätswerk vekraft einer Dampfmaschine oder nach 1903/04 eines Triberg bietet auch ein gutes Beispiel eines frühen Ver- Dieselaggregats zur Stromerzeugung ausweichen. bundes zwischen Wasser- und Dampf- und später auch An Unterschieden bleiben festzuhalten: Während noch Dieselbetrieb. Fünf verschiedene Erzeugermaschi- sich die Stromerzeugung in Baden zu diesem Zeitpunkt nen, verteilt auf die Gemeinden Triberg, Furtwangen, St. vorwiegend auf Ausnutzung der Wasserkräfte konzen- Georgen und Schönwald arbeiteten auf ein Versorgungs- trierte, wobei die natürlichen Voraussetzungen Südba- netz hin zusammen. den stärker bevorteilten, lagen die Schwerpunkte in Der Regelfall im Schwarzwald allerdings war in die- Württemberg/Hohenzollern bei Dampfkraft und ge- ser Zeit, wie die Karte verdeutlicht, der Antrieb durch mischtem Antrieb, vergleichbar dem badischen Lan- 2

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desteil nördlich von /, wo Dampfkraft zur zung des Flusses im Jahre 1894 erbrachten. Das groß Stromerzeugung auch aufgrund des wirtschaftlichen angelegte Projekt mußte allerdings erheblich reduziert Kohlepreises zur Anwendung kam. Daneben ist die ba- werden und konnte erst realisiert werden, als sich die dische Entwicklung schon seit den neunziger Jahren des Aluminium-Aktien-Gesellschaft Neuhausen in der vorigen Jahrhunderts durch verstärktes Interesse von Schweiz entschloß, ein Zweigwerk nach Rheinfelden zu Großunternehmen der Elektroindustrie an der Ausnut- legen, und dieses sich in einem Vertrag verpflichtete, zung der Wasserkräfte des Hochrheins gekennzeichnet. für die gesamte Dauer der Konzession 30 % des zu er- Sie führte mit dem Bau des Kraftwerks Rheinfelden zu zeugenden Stromes abzunehmen und nachdem die einem ersten markanten Ergebnis. Ähnliches läßt sich Elektrochemischen Werke Bitterfeld ebenfalls mit für Württemberg/Hohenzollern nicht feststellen. einem Zweigwerk zu denselben Bedingungen 20 % ab- Für Baden entfielen im Jahre 1900 67,1 % der instal- nahmen. Damit war ein kontinuierlicher Stromabsatz lierten Leistung auf Wasserantrieb, auf Dampf nur gewährleistet und die Voraussetzung für wirtschaftli- 25,8%; für Württemberg/Hohenzollern lauten die ent- chen Betrieb geschaffen. 1894 wurden die Kraftübertra- sprechenden Zahlen 43,5 % Wasser und 43,8 % Dampf. gungswerke Rheinfelden AG (KWR) unter Beteiligung Zu besonderer, zukunftsweisender Bedeutung gestal- eines Bankenkonsortiums aus Deutschland und der tete sich die Versorgung von Lauffen a.N., wo die Elek- Schweiz gegründet. trizitätsversorgung auf der überschüssigen Kraft der Obwohl KWR in unmittelbarer Nähe zum Kraft- dortigen Portlandzementwerke beruhte, die mit der werksgebäude Land zur Ansiedlung von Industriebe- Drehstromübertragung nach Frankfurt im Jahre 1891 trieben erworben hatte, mußte doch ein umfassendes bei einem Wirkungsgrad von 75 % zwar nicht die erste, Leitungsnetz errichtet werden, um die große Menge an- aber die folgenreichste Stromübertragung mit Hilfe die- fallender Elektrizität an die Verbrauchsstellen – u.a. im ses neuen Systems demonstrierten. Im folgenden Jahr industriereichen Wiesental – bringen zu können. Die wurde auch die Stadt Heilbronn vom Lauffener Werk Gründung des Kraftwerkes Rheinfelden veranlaßte so aus mit Strom versorgt. wietere Industrieansiedlungen in der Hochrheinregion. Schon bald galt es Wege zu finden, den erhöhten Strombedarf zu befriedigen. Man dachte an ein weiteres Das erste Großkraftwerk am Hochrhein Flußkraftwerk einige Kilometer rheinabwärts, doch zo- Die technische Möglichkeit, Strom über weite Strek- gen sich die Verhandlungen mit den beteiligten staat- ken übertragen zu können, hatte weitreichende Folgen, lichen Stellen (Ghzgt. Baden, Stadt Basel, Kanton Aar- weil auch größere, bisher ungenutzte Wasserläufe, wie gau, Kanton Basel-Land) sehr lange hin, weshalb KWR etwa der Hochrhein, für die Stromerzeugung rentabel sich vorübergehend mit der Installierung von zusätzli- genutzt werden konnten. chen Dampfkräften neben den normalen 12 000 kW Schon sehr früh haben Unternehmer der Elektroindu- Leistung behalf. strie die Chancen der noch in den Anfängen steckenden Starkstromwirtschaft erkannt. Einer der hervorragend- Die Zeit der Kommunalisierung sten Vertreter war Emil Rathenau, an führender Stelle in der Allgemeinen Elektrizitäts Gesellschaft (AEG) tä- Die Serie der privaten Gründungen von Elektrizitäts- tig. werken wurde gegen Ende des 19.Jahrhunderts von Vorrangig ging es um die Erschließung der Wasser- einer Reihe kommunaler Aktivitäten auf dem Gebiet kräfte des Hochrheins. Die Energiemengen, die anders- der örtlichen Stromversorgung abgelöst. Viele Gemein- wo mühsam der Erde abgerungen werden, liegen hier den hatten sich durch das privatwirtschaftliche Beispiel zu Tage und erheischen nur der Fassung und zweckmä- von der technischen Reife und der Rentabilität der E- ßigen Verwendung, beschrieb Rathenau dieses Projekt. Werke überzeugen lassen. So schritten Kommunen Es mußten also technische, rechtliche und finanzielle teilweise zum Neubau, teilweise übernahmen sie die Voraussetzungen geschaffen werden, die einen Bau von vorhandenen Anlagen von den Privatbesitzern nach Groß-Wasserkraftanlagen ermöglichten. Daneben war Ablauf der Konzession oder aufgrund bereits vorher das Gesamtrisiko durch den Aufbau einer geeigneten vertraglich festgelegter Übernahmebedingungen, wie Abnehmerstruktur auf ein wirtschaftlich vertretbares z.B. 1902 in Stuttgart. Maß zu senken. Als erster Standort eines großen Lauf- Die Entwicklung bis zum Bau eines Elektrizitätswer- wasserkraftwerkes war die Gefällstufe des Hochrheins kes in der württembergischen Hauptstadt ist typisch für bei Rheinfelden vorgesehen worden, wo auf 2400 m ein die zögernde Haltung vieler Gemeinden bis weit in die Gefälle von 6,6 bis 7,5 Meter bestand. Unter Leitung 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts: Oben erwähnter der AEG wurde eine Vorbereitungsgesellschaft gegrün- Paul Reißer, Bevollmächtigter der Deutschen Edison- det, die obige Frage zu klären hatte. Wegen der Grenz- gesellschaft, später AEG, stellte 1886 einen Antrag zur funktion des Hochrheins waren schwierige Verhandlun- Errichtung einer Zentralstation für elektrisches Licht gen zwischen dem Großherzogtum Baden und der zur öffentlichen Abgabe. Da die Leitungen auch städti- Schweiz über die Erteilung einer Konzession notwen- schen Besitz queren sollten, mußte die Stadt dazu eine dig, die eine Genehmigung über die gemeinsame Nut- Konzession erteilen. Die Antwort der Gemeinde, mit 3

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zahlreichen Auflagen und Fragen versehen, ließ Reißer Landes wurde die Kraftwerksentwicklung erst abge- resignieren. Auch die Elektrofirma Helios aus Köln wur- wartet, dann erfolgten auch in Heidelberg (1900), de von den Vertretern der Stadt abschlägig beschieden. Freiburg (1901) und Karlsruhe (1903) Bau und Betrieb Selbst eine Umfrage bei anderen Städten in Deutschland, der Elektrizitätswerke in städtischer Regie. die sich bereits für die Errichtung eines Elektrizitäts- Eine Ausnahme bildete die Stadt Mannheim, wo, werkes entschieden hatten, führte nur zum Beschluß, ähnlich wie in Stuttgart, nach längerem Zögern erst weitere Gutachten darüber einzuholen, ob ein zentrales 1898 der Bau des Werkes an ein Privatunternehmen Elektrizitätswerk gebaut werden sollte oder ob die Er- vergeben wurde, und zwar an die Schweizer Firma zeugung in mehreren Blockstationen erfolgen sollte. Brown, Boveri & Cie., die sich, gleichsam im Gegen- Oskar von Miller, einer der Pioniere der deutschen Elek- zug, mit dem Bau einer elektrotechnischen Fabrik und trotechnik, erarbeitete im Auftrag der Stadt einen Plan der Wahl zum Sitz der Filialleitung re- für eine Wasserkraftanlage in Marbach am Neckar, der vanchierte. BBC hatte das Werk bis 1906 in Pacht, ehe allerdings nach weiteren Angeboten der Firmen Siemens es in städtische Regie übernommen wurde. Der Stand- & Halske, Elektrizitäts-AG vormals Schuckert & Co. ort Mannheim mit guten Binnenschiffahrts- und Eisen- und AEG ebenfalls verworfen wurde. 1893 endlich ver- bahnverbindungen erwies sich als vorgeschobene Posi- zichtete Stuttgart auf die eigene Regie und übertrug Aus- tion der Ruhrkohle für die Ansiedlung von Industrie führung und Betrieb der Firma Schuckert, die 1895 das und damit auch für den Stromverbrauch in der Zeit bis Werk in der Marienstraße installierte und den Strom zum Ersten Weltkrieg als äußerst günstig, so daß die sowohl für Licht und Kraft als auch für die neue Stutt- Stadt Mannheim im Jahre 1911 nach Gründung der garter Straßenbahn lieferte. Oberrheinischen Eisenbahngesellschaft (OEG) auch Erst die Phase nach 1900 brachte mit dem weitgehen- das Kraftwerk Rheinau übernehmen konnte und es zur den Übergang zur Drehstromübertragung die Möglich- Stromversorgung für die zahlreichen Vorortbahnen keit, die enge Bindung der Werke an den Mittelpunkt des sowie für die in die OEG eingebrachten Überlandwerke Verbrauchs aufzugeben und an den Rand des Versor- Ladenburg und Wiesloch bis 1913 auf eine Kapazität gungsgebietes auszuweichen, wo zum einen der Bau- von über 12 000 kW erweiterte. grund erheblich billiger und zum anderen der kosten- Durchdringung des Landes mit elektrischer Energie günstigste Punkt für Betriebsstoffbeschaffung (bei grö- ßeren Werken i.d.R. Kohle) gewährleistet war. So wurde Im Zeitraum nach 1895/1900, in einigen Gegenden etwa das Drehstrom-Dampfkraftwerk der Stadt Stuttgart etwas früher, entstanden sogenannte Überlandzentra- im Ortsteil Münster aus Kostengründen direkt an der len, d.h. Elektrizitätswerke auf Drehstrombasis, von Bahn erstellt. Da die bisherigen Erzeugungsgrundlagen denen elektrischer Strom auch aufs flache Land ge- Marienstraße und Stöckach, beide auf Gleichstrombasis, liefert werden konnte. Die überwiegend landwirtschaft- durch den steigenden Verbrauch immer schwieriger und lich geprägten Gebiete waren in der Stromversorgung aufwendiger mit Kohle versorgt werden konnten und hinter den um die Jahrhundertwende meist ausreichend zudem einige Orte eingemeindet worden waren, hatte die versorgten Städten zurückgeblieben, da sich private Stadt sich zum Bau eines neuen Elektrizitätswerkes ent- Gesellschaften aus wirtschaftlichen Erwägungen he- schlossen. Strom lieferten im innerstädtischen und stadt- raus nur auf die Räume konzentrierten, wo eine Rendite nahen Verbund auch noch die Wasserkraftwerke Cann- zu erwarten war. Diese war in gewerbearmen Regionen statt-Mühlgrün, Poppenweiler, Marbach und Untertürk- nicht gewährleistet, da in der Landwirtschaft, wie zeit- heim (mit zusätzlicher Dampfturbine). genössische Berichte verdeutlichen, nur wenige Ar- Auch in Ulm wurde das Elektrizitätswerk im Jahr 1895 beitsspitzen, z.B. beim Dreschen, anfielen, in der rest- von der Schuckert-Gesellschaft errichtet und durch eine lichen Zeit aber fast ausschließlich Beleuchtungsstrom ihr zugehörige Unternehmung betrieben, bis es im Jahr verlangt wurde. Aus der Diskrepanz zwischen dem auf 1905 in das Eigentum der Stadt überging. Wie schon in Höchstlast konzipierten Ausbau der Elektrizitätswerke Stuttgart konnte auch hier die ständig wachsende Strom- und der geringen Belastungsdauer und -höhe resultier- nachfrage nur durch eine Kombination von Wasser- und ten sehr hohe Lichtstrompreise von z.T. über 70 Dampfkraft befriedigt werden. Ausnahme unter den grö- Pfg./kWh, die wiederum einen fortschreitenden An- ßeren Elektrizitätswerken, die alle unter städtische Regie schluß von Stromabnehmern verhinderten. fielen, bildete das EW Lauffen-Heilbronn; es war zwar Die Schere zwischen Strompreisen und -anschluß- zur Leistungssteigerung ebenfalls auf eine Dampfanlage werten führte auch zum Niedergang einer der frühen in Heilbronn angewiesen, verblieb aber im Besitz der Überlandzentralen Badens. 1899 waren in Wiesloch Portlandzementwerke. durch die Elektrizitäts-AG vormals Lahmeyer & Co. Etwas anders stellte sich die Kommunalisierung in das Dampfkraftwerk Wiesloch erbaut und 13 Gemein- Baden dar: Pforzheim und Baden-Baden wurden schon den der Umgebung angeschlossen worden. Die einseiti- vor der Jahrhundertwende als reine Kommunalunter- ge Ausrichtung auf den Strombedarf der Landwirt- nehmen gegründet, in den anderen größeren Städten des schaft, das Fehlen einer gut durchmischten Anschluß- struktur aus Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie 4

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führten zu hohen Verlusten, ehe 1911 die Aktienmehr- Bauer & Schoenenberger (Schnellingen), die im Haupt- heit auf die Oberrheinische Eisenbahngesellschaft in betrieb eine Zündholzfabrik unterhielt, die umliegen- Mannheim überging und diese durch eine Erweiterung den Städte und Gemeinden. Der restliche Schwarzwald des gewerblichen Abnehmerkreises und den Anschluß dagegen blieb aufgrund seiner vorhandenen zahlrei- von Klein- und Straßenbahnen für einen wirtschaftlich chen Wasserkräfte auf viele kleine lokale Gemeinde- vertretbaren Stromabsatz sorgte. und Privatwerke angewiesen. Das erste Überlandwerk auf reiner Wasserkraftbasis Anders gestalteten sich die Verhältnisse im nördli- war bereits im Jahr 1893 in Thalerschachen an der Ar- chen Baden, insbesondere in der Oberrheinebene. Der gen eröffnet worden. Die Elektrizitätswerke Argen AG Dampfkraft kam, wie das Beispiel Mannheim lehrt, bei in Wangen im Allgäu betrieben dieses Drehstromwerk. der Errichtung von Kraftwerken eine besondere Bedeu- Bis 1898 versorgten sie die Stadt und zusammen mit tung zu. Auch die Städte Karlsruhe und Straßburg/ dem 1896 in Betrieb genommenen Elektrizitätswerk Au konnten durch Ausbau ihrer Häfen mit den günstigen auch die Städte Leutkirch und Isny sowie eine Reihe Transportbedingungen der Kohle durch die Rhein- kleinerer Gemeinden. schiffahrt kalkulieren. Selbst die Überlandzentrale Die weitere Entwicklung von Überlandzentralen zur Lahr, die durch eine der AEG-Gruppe zugehörige Versorgung größerer Gebiete verlief in Baden und Gesellschaft betrieben wurde, arbeitete auf Dampf- Württemberg bis zum Ersten Weltkrieg recht unter- kraftbasis, da günstige Bahnverbindungen zum Trans- schiedlich. Im Großherzogtum sicherten sich weitge- port von Steinkohle bestanden. Weiter nördlich ver- hend Privatunternehmen die Versorgung des Landes. sorgte die Überlandzentrale Achern der Rheinischen Der südliche Landesteil bot sich zur Energieerzeugung Schuckertgesellschaft, ebenso auf Kohlebasis, fast aus- in erster Linie durch seine Wasserkräfte an. Das bereits nahmslos die Gemeinden der Oberrheinebene zwischen erwähnte Kraftwerk Rheinfelden belieferte das südliche Bühl und . Hochrheingebiet, das durch Textilindustrie geprägte Es zeigt sich deutlich, daß die größeren Privatunter- untere Wiesental, das Kandertal und das südliche Mark- nehmen AEG, Siemens & Halske, BBC usw. und ihre gräflerland sowie natürlich, als Grenzkraftwerk, Ge- Tochtergesellschaften ganz gezielt die Bereiche betreu- meinden der Schweizer Kantone Aargau und Basel- ten, in denen bereits ein Nebeneinander von Landwirt- Land und deckte einen Teil des Strombedarfs der Stadt schaft, Gewerbe und Industrie bestand; an der Versor- Basel. gung abgelegener Regionen wie etwa dem badischen Ein gutes Beispiel für die großen Hoffnungen, die Odenwald oder der Taubergegend mit vorherrschend man auf die neue Energie Elektrizität setzte, ist die agrarischer Wirtschaftsstruktur bestand aus Rentabili- Gründung der Kraftabsatzgenossenschaft Waldelektra tätsgründen kaum Interesse. und Herrischried im Jahre 1903, mit deren Hilfe ver- In Württemberg wurden die ländlichen Gebiete auf sucht wurde, die darniederliegende Hausindustrie auf andere Weise in die Versorgung mit Elektrizität einbe- dem Hotzenwald durch die Anwendung des Elektro- zogen. Die meisten kommunal oder privat betriebenen motors als Antrieb für Spinn- und Webmaschinen wie- Werke in Städten und Gemeinden waren aus Kapazi- der konkurrenzfähig zu machen. Allerdings vermochte tätsgründen (unzureichende Wasserkraft), wegen tech- auch erhebliche staatliche Unterstützung dieses Projek- nischer Probleme (Gleichstromerzeugung) oder aus tes nicht, eine dauerhafte Gesundung der Hausindustrie wirtschaftlichen Erwägungen (ungenügende Absatz- zu erreichen, zu sehr hatte sich diese Produktionsweise möglichkeiten) nicht in der Lage oder willens, die Er- überlebt. schließung des umliegenden Landes zu übernehmen. Östlich an das Stromlieferungsgebiet der Kraftüber- Die Betriebs- und Finanzierungsgesellschaften der gro- tragungswerke Rheinfelden anschließend versorgte das ßen Elektrokonzerne scheuten ebenfalls das finanzielle Kraftwerk Laufenburg ab 1912, anfangs noch mit Risiko, weiträumige Gebiete ohne nennenswerte Ge- Fremdstrom, dann durch eigene Stromproduktion, werbe und Industrie mit einem aufwendigen Leitungs- weite Teile von Hochrhein und Südschwarzwald bis in netz zu überziehen. den Bereich des Bodensees und der Baar. Der Breisgau So blieb den betroffenen Gemeinden nur der Weg zur wiederum wurde ab 1911 durch die Badische Kraftlie- Selbsthilfe: Auf Genossenschaftsebene wurde 1905 in ferungsgesellschaft Freiburg (BaKaGe) erfaßt, eine Herrenberg eine eGmbH mit der Aufgabe gegründet, die Gründung des Kraftwerks Laufenburg und der Ober- Elektrizität in den Dienst aller Berufsstände zu stellen, rheinischen Kraftwerke Mülhausen. Die Erzeugung für zwei Jahre später konnte der Strombezug aus der Über- die als Verteilungsgesellschaft fungierende BaKaGe er- landzentrale Kiebingen a.N. erfolgen. Obwohl sich noch folgte in den Kraftwerken der Gründungsunternehmen zwei weitere Genossenschaften, die »Heidenheimer und und durch KWR. Der nördliche Teil des Breisgaus wur- Ulmer Alb GmbH« Heuchlingen und das »Alb-Elektri- de beliefert durch die Überlandzentrale Oberhausen, zitätswerk Geislingen mbH«, bis 1908 gebildet hatten, anfangs rein auf Wasserkraftbasis, später dann auch mit ist doch dieser Weg der Versorgung größerer Gebiete Dampfkraft und Fremdstrombezug. Ebenfalls mittels mit Strom atypisch für Württemberg. Günstige Strom- Wasserkraft versorgten im Elztal die Textilfirma Güter- tarife sicherten, nach erheblichen Anfangsschwierigkei- mann & Cie. (Gutach) und im Kinzigtal die Firma 5

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ten, dennoch das Überleben bzw. den weiteren Ausbau sellschaft, vormals Lahmeyer & Co. (Frankfurt, seit der besagten Genossenschaften. 1910 ebf. AEG-Gruppe) majorisierte Kraftwerk-Alt- Neben kleineren, regional begrenzten, privat geführten württemberg AG (KAWAG) entstand und schließlich Überlandzentralen waren es in Württemberg vor allem die Überlandwerke Jagstkreis AG (Ellwangen), 1913 die Bezirks- und Zweckverbände, die um eine syste- durch die Rheinische Schuckert-Gesellschaft für Elek- matische und weitreichende Durchdringung auch abseits trische Industrie gegründet. der Ballungszentren gelegener Gebiete bemüht waren. Besonders am Beispiel der Neckarwerke AG, die 1907 entstand der »Gemeindeverband Elektrizitätswerk 1912 durch eine maßgebliche Kapitalbeteiligung an der für den Bezirk Calw« in Neubulach, dem sich insgesamt Enzgauwerke GmbH (Bissingen) ihr Einflußgebiet er- 86 Gemeinden der Oberämter Calw, Leonberg, Nagold heblich nach Norden und Westen erweitern konnte, der und Neuenbürg anschlossen. 1911 folgte die Gründung KAWAG und den frühen Bemühungen um die Errich- des Enzberg-Verbandes, der den Bezirk Maulbronn und tung und den Betrieb des Elektrizitätswerkes Stuttgart Gemeinden aus den Oberämtern Leonberg, Vaihingen wird wiederum deutlich, daß sich auch in Württemberg und Brackenheim belieferte. Im gleichen Jahr konstitu- die Großunternehmen der Elektroindustrie auf die indu- ierte sich der bedeutende »Gemeindeverband für den striereiche Region Mittlerer Neckar konzentrierten, wo Bezirk Hohenlohe-Öhringen« (Gemeinden der Oberäm- ein hoher Stromabsatz gewährleistet war. ter Öhringen, Backnang, Gaildorf, Schwäbisch Hall, Zusammenfassend kann man für die Entwicklung Heilbronn, Neckarsulm, Künzelsau). Bis zum Ersten der Zeit nach 1900 feststellen: Weltkrieg entstanden noch die Gemeindeverbände Über- In Baden sicherten sich die Konzerne der deutschen landwerk Aistaig, Kocherstetten, Überlandwerk Tuttlin- und Schweizer Elektroindustrie meist indirekt über gen und im Krieg der Bezirksverband Heimbachwerk mit Finanzierungs-, Beteiligungs- oder Betriebsgesell- Sitz in Freudenstadt. Alle diese Verbände stützten sich schaften schon relativ früh die Versorgung von Re- auf den Artikel 92 der württembergischen Bezirks- gionen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Struktur ordnung, der ausführte, behufs besserer Erfüllung be- einen guten Absatz versprachen (Oberrhein, tw. Raum stimmter dauernder Aufgaben der Amtskörperschaften Mannheim-Heidelberg) oder aber initiierten diesen Ab- können sich mehrere Bezirke durch freiwillige, mit Ge- satz, wie etwa am Hochrhein, durch beeindruckende nehmigung des Ministeriums des Innern geschlossene Pionierleistungen (Rheinfelden). Strukturell eher land- Übereinkunft zu körperschaftlichen Verbänden vereini- wirtschaftlich ausgerichtete Gebiete (Bad. Odenwald, gen. Taubergegend, Amtsbezirke Stockach und Überlingen) Von weitreichendster Bedeutung für die zukünftige dagegen blieben auf Einzelanlagen angewiesen. Im Elektrizitätsversorgung des Landes wurde der am 20.12. Schwarzwald gestaltete sich die Stromversorgung 1909 durch die Amtskörperschaften Tettnang, Ravens- durch kleinere private Überlandzentralen sowie schon burg und Wangen gegründete öffentlich-rechtliche früh entwickelte kommunale Elektrizitätswerke, meist Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke in Städten, und private Wasserkraftwerke in kleinen (OEW). Bis 1912 stießen weitere 12 Oberämter Ober- Gemeinden für die Bevölkerung bis 1913/14 zufrieden- schwabens und der mittleren Alb, einschließlich dreier stellend. Amtsbezirke der Provinz Hohenzollern, zur OEW. Auf Auch in Württemberg drängten die Elektrogroßun- dieser Grundlage war es möglich, das relativ dünn be- ternehmen in den stärker industrialisierten Mittleren siedelte Gebiet des Verbandes bis ca. 1925 mit ausrei- Neckarraum, konnten aber, vor allem bedingt durch die chendem und dazu preisgünstigem Strom zu versehen. Kommunalisierung des großen Elektrizitätswerkes Erzeugungsbasis sollten anfangs allein die Wasserkräfte Stuttgart, keine monopolartige Stellung in der Stromer- Oberschwabens sein, bald zeigte sich aber, daß diese zeugung und -versorgung einnehmen. In Anbetracht nicht ausreichten; unter anderem konnte die Iller als Fluß vieler kleiner, wegen unsteter Wasserführung aber für mit der ausgeglichensten Wasserführung aufgrund eines eine weiträumige Bedarfsdeckung unzureichender fehlenden Staatsvertrages mit Bayern vor dem Krieg Elektrizitätswerke entstanden auf Selbsthilfebasis Ge- nicht mehr ausgebaut werden, so daß die OEW Fremd- nossenschaften, Gemeinde- und Bezirksverbände, die strom aus dem Ulmer Dampfkraftwerk bezog und dieses auch in den ländlichen Gebieten Württembergs bis später käuflich erwarb. 1913 bis auf wenige Ausnahmen eine befriedigende Zu den größten Elektrizitätsversorgern in Württem- Elektrizitätsversorgung erreichen konnten. berg gehörten neben den Bezirksverbänden und dem Versorgungsstand 1913/14 städtischen Elektrizitätswerk Stuttgart auch drei private Aktiengesellschaften: die 1905 aus einem kleineren Eine Analyse der Erzeugungsstruktur von 1913/14 Elektrizitätswerk entstandene Neckarwerke AG (Eßlin- auf der Karte verdeutlicht für Baden den »Kampf« zwi- gen), die kapitalmäßig zur Gesellschaft für elektrische schen Wasser- und Dampfkraft: Der Kraftwerksballung Unternehmungen (AEG-Gruppe) gehörte; ferner die im Rhein-Neckar-Raum auf Kohlebasis stehen die gro- 1909 gegründete Beihingen-Pleidelsheim AG (Ludwigs- ßen, z.T. noch im Bau befindlichen Wasserkraftwerke burg), aus der 1913 die von der Elektrizitäts-Actienge- des Hochrheins sowie das Murgwerk gegenüber. 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Statistisch gesehen verhielten sich die Anteile an den verschiedenen Erzeugungsarten wie folgt: Der Anteil der Wasserkraft lag in Baden bei 48% der installierten Leistung, in Württemberg/Hohenzollern bei 26%. Da- ten über die tatsächlich erzeugte Strommenge würden diese Differenz zwischen den beiden Landesteilen sich- erlich noch erheblich größer werden lassen, da die Großwasserkraftwerke Badens eine wesentlich höhere Benutzungsdauer aufwiesen als die kleinen Erzeuger. Der Anteil der Dampfkraft dagegen lag in Württem- berg/Hohenzollern bei 49 % der installierten Leistung, auf Werke mit gemischtem Antrieb entfielen hier noch 19%, d.h., daß vor dem Ersten Weltkrieg ca. zwei Drit- tel der installierten Leistung auf Kohle beruhte. Ein Vergleich der Größenstruktur zwischen Baden und Württemberg/Hohenzollern zeigt ganz deutlich, Württemberg daß in Baden schon sehr früh die Tendenz zu Großkraft- anlagen vorhanden war (siehe Abb. S. 7) und diese kon- tinuierlich ausgebaut bzw. durch Neubauten ergänzt wurden; im Gegensatz dazu machten in Württemberg/ Hohenzollern die Klein- und Kleinstanlagen im Jahre 1913 noch immer 28 % der installierten Leistung aus, in Baden nur noch 14%. Hier gab es im Jahre 1913 mit zwölf Elektrizitätswerken über 2000 kW installierter Leistung gerade doppelt so viele wie in Württemberg/ Hohenzollern; das waren immerhin 75% gegenüber 42% der installierten Leistung. Für die badische Entwicklung bis zum Ersten Welt- krieg war das Zusammenfallen von naturräumlichen und verkehrsmäßigen Gegebenheiten (Hochrhein, Mannheimer Hafen) mit wirtschaftlichen Interessen war vor dem Krieg in zwei große, vollkommen vonein- (Elektrotechnische Industrie, Elektrochemische Indu- ander unabhängige Versorgungsgebiete mit getrennten strie) ausschlaggebend, was eine Reihe von industri- Leitungsnetzen aufgeteilt. Für Württemberg dagegen ellen Folgeentwicklungen einleitete. Die wirtschaftli- läßt sich die weitreichende Bedeutung der Kohle als chen Interessen drücken sich auch in der Besitzstruktur Grundstoff der Elektrizitätserzeugung veranschauli- der Elektrizitätswerke aus. Im Gegensatz zu Württem- chen: Sämtliche größeren Werke, massiert besonders berg/Hohenzollern waren im Jahre 1913 in Baden im Mittleren Neckarraum, daneben noch Ulm, Heil- Unternehmen, die unmittelbar oder mittelbar mit der bronn und Ellwangen, griffen in erster Linie auf Elektroindustrie verbunden waren, im Besitz von 10 % Dampfkraft zurück. der Kraftwerke, die wiederum mehr als zwei Drittel der In der Leistung weniger hervorgehoben, aber bedeut- installierten Leistung aufwiesen. sam in der Anzahl sowohl für Baden als auch für Würt- temberg ist die Reihe von Klein- und Kleinsterzeugern, die sich meist wie Perlenketten an den Flußläufen ent- Anfänge der Verbundwirtschaft langziehen. Auch in dieser Größenordnung sind, v.a. in Kurz vor dem Ersten Weltkrieg und während des Krieges Württemberg, noch zahlreiche Mühlen, Sägewerke und begann auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft die Phase der »Großkraftwirtschaft und des Verbundsystems«. Von »Groß- andere wasserkraftnutzende Gewerbe und Kleinindu- kraftwirtschaft« kann man im Hinblick auf die an Rohstoffen strien vor dem Kriege zur Elektrizitätserzeugung umge- (Stein- und Braunkohle) armen Länder Baden und Württemberg rüstet worden. allerdings nur bezüglich der badischen Wasserkräfte am Hoch- »Weiße Flecken« auf der Karte müssen nicht unbe- rhein sprechen. Eine Art Verbundsystem hatte sich bereits in bei- dingt bedeuten, daß diese Gebiete über keinerlei Strom- den Staaten, besonders im südlichen Baden, herausgebildet. versorgung verfügten. Im Abschnitt über die Überland- Verbundwirtschaft, damals noch mit allerlei verschiedenen zentralen sind die hinsichtlich der Strombelieferung tat- Ausdrücken umschrieben, bedeutete ursprünglich die gegen- sächlich rückständigen Gebiete für Baden aufgeführt; seitige Aushilfe von Elektrizitätswerken bei Störfällen; ferner auf württembergischer Seite fehlten v.a. die nördlich war beim Verbundsystem mit einem anderen Werk eine Verrin- gerung der Reserveleistung der eigenen Anlagen möglich unter und südlich von Hohenzollern gelegenen Gemeinden gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Betriebssicherheit, voraus- sowie der größte Teil der preußischen Provinz selbst. gesetzt, das kooperierende Elektrizitätswerk wurde nicht zu den- selben Zeiten durch Ver- 7

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brauchsspitzen belastet. Schließlich wurde unter Verbund oder anderen Umschreibungen auch die Einbeziehung größerer, strukturell verschiede- ner Gebiete gefaßt, was eine bestmögliche Auslastung der einzelnen Elek- trizitätswerke beinhaltete. Anfang der zwanziger Jahre dann verstand man Verbund als Zusammenwirken von Steinkohle des Ruhrgebietes und be- sonders Braunkohle des Rheinlandes mit den Großwasserkräften Badens, Bayerns, der Schweiz und Österreichs. Als Keimzelle des heutigen europäischen Verbundnetzes kann man das Gebiet um den Hoch- und den südlichen Oberrhein in der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg ansehen (vgl. Karte Überlandzentralen, Fernleitun- gen und Verbundsystem, S.9). Oberelsaß, Nordschweiz und Südbaden bil- deten seit längerer Zeit einen Wirtschaftsraum, der sich, abgesehen von kürzeren politisch bedingten Stockungen, in einem weitreichenden Aus- tausch sowohl materieller als auch informeller Art befand. Seit 1871 ge- hörte das Elsaß zudem politisch zum Deutschen Reich, so daß diese Bezie- hungen sich weiter intensivierten. Ein erster Verbund im modernen Sinn entstand in dieser Region ab 1908 zwischen den Kraftwerken Beznau an der Aare (Laufwasser und teilweise Dampfkraft) sowie Löntsch im Kanton Glarus (Speicherwerk), die beide von einer der BBC in Baden (Schweiz) nahestehenden Gesellschaft be- trieben wurden. Das alpine Wasserspeicherkraftwerk lieferte Spitzenstrom für das Werk Beznau, in dem die sogenannte Grundlast, d.h. eine Art Dauererzeugung, produziert wurde. Schon in der Planung des Speicher- kraftwerks war abzusehen, daß ein beträchtlicher Teil der erzeugten Elek- trizität nicht im eigenen Land abgesetzt werden konnte, sondern exportiert werden sollte. Verständlich wird der Aufbau dieses ersten Verbundnetzes über die Lan- desgrenzen von Deutschland, der Schweiz und Frankreich hinweg durch die Tatsache, daß sowohl die größeren Elektrizitätswerke dieser Region als auch die sich aufgrund der billigen Wasserkraft am Hochrhein ansiedeln- den Elektrochemieunternehmen durch internationale Finanzierungs- und Beteiligungsgesellschaften miteinander stark verflochten waren. Sie waren letztlich zu reduzieren auf die in dieser Zeit herausragenden Elektrokon- zerne Siemens und AEG aus Deutschland und BBC aus der Schweiz. Um einen – nur oberflächlichen – Eindruck zu vermitteln, seien kurz die wich- tigsten Zugehörigkeitsverhältnisse skizziert: Beznau-Löntsch, Olten- tungen über den Umweg Mülhausen. Auf der Karte nicht mehr abge- Aarburg, Gösgen zu BBC; Laufenburg, Wyhlen, Wangen zur AEG; Rhein- bildet, aber ebenfalls ein Zeichen der Verflochtenheit des Elsasses mit felden zu AEG/Industrie; Oberrheinische Kraftwerke Mülhausen (OKW) : Baden war die Versorgung der Stadt Kehl und weiterer neun Gemein- Siemens/AEG/Kommunal; Basel, Augst, Zürich, Albula, Schaffhausen: den des badischen Hanauerlandes durch das Elektrizitätswerk Straß- kantonal oder kommunal; Badische Kraftlieferungsgesellschaft zu AEG/ burg. Oberrheinische Kraftwerke Mülhausen. Stromlieferung fand vor dem Ers- Die Kraftwerke Rheinfelden und Wyhlen gaben Strom ab unter an- ten Weltkrieg vor allem aus der Schweiz statt, die schon früh zu einem derem nach Mülhausen, Gebweiler, Laufenburg, Beznau-Löntsch und an führenden Exportland aufgrund ihrer zahlreichen Wasserkräfte wurde. die Stadt Basel. Die zur BBC-Gruppe gehörenden Kraftwerke standen Bemerkenswert in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war die Strom- im Verbund mit Belfort/Frankreich, den Kraftwerken Laufenburg und lieferung kooperierender Elektrizitätswerke in der Phase, wenn sich ein Rheinfelden, der Stadt Basel und der Stadt Konstanz; geplant waren fer- neues Kraftwerk noch im Bau befand: so lieferte beispielsweise das Kraft- ner zu diesem Zeitpunkt Lieferungen nach Nancy. Sämtliche größeren werk Laufenburg 1912 schon Strom, den es von Rheinfelden oder Beznau- Kraftwerke an Hochrhein und Aare waren schließlich auch noch Strom- Löntsch bezog, obwohl das eigene Wasserkraftwerk erst im Laufe des lieferanten für die elektrochemischen Werke in Waldshut und Wyhlen Jahres 1913 seine Produktion aufnehmen konnte; dies geschah vor allem, (Karbid), Rheinfelden (Aluminium und Natrium) sowie Rhina bei Lau- um sich schon vor Inbetriebnahme des Werkes entsprechenden späteren fenburg (Stickstoff). Absatz zu sichern, denn Laufenburg hatte eine für die damalige Zeit recht Die besondere territoriale Situation führte dazu, daß das kantonale hohe Leistung, die nicht sofort an Abnehmer abzusetzen war; so dehnte es Kraftwerk Schaffhausen – für damalige Verhältnisse groß ausgelegt – die einerseits sein Leitungsnetz in die Gegend Villingen-Schwenningen- angrenzenden deutschen Gemeinden elektrizitätswirtschaftlich betreute. Schramberg und in den Raum Singen aus, zum anderen belieferte es über Auch in Württemberg begann schon vor 1913 eine Art Verbundsystem die OKW in Mülhausen die BaKaGe, d.h. indirekt somit die Stadt Freiburg verschiedener Elektrizitätsgesellschaften. Eine »Interessengemeinschaft und den Breisgau. württembergischer Elektrizitätswerke« sollte vor allem eine Hilfe bei Defekten und Überlastungen bieten. 1911 waren bereits die beiden größ- Wie eng das Elsaß damals mit dem eigentlichen »Reichsdeutschland« ten Stromerzeuger des Landes, das Elektrizitätswerk der Stadt Stuttgart verbunden war, verdeutlicht die Trassenführung der Stromlei- und die Neckarwerke AG Esslingen, mit einer Hauptleitung verbunden, wozu durch die Aktienbeteiligung der Neckarwerke an den Enzgauwer- ken bald ein weiteres Versorgungsgebiet stieß. Auch das nach Norden anschließende Elektrizitätswerk Beihingen-Pleidelsheim (später KAWAG) und die Alb-Elektrizitätswerke Geislingen/Steige sowie der Gemeindeverband-Überlandwerk 8

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Hohenlohe-Öhringen arbeiteten mit den Neckarwerken zusam- ren und die Gemeinden allgemein hinsichtlich ihrer men. In Verbindung standen ferner die Elektrische Kraftüber- Elektrizitätsversorgung zu beraten. Besonders der sich tragung für den Bezirk Herrenberg und Umgebung, der Gemein- anbahnende Ausbau der Hochrheinwasserkräfte mit deverband für den Bezirk Calw und die Überlandzentrale Glatten. seinen Folgen für die Ansiedlung elektrochemischer Weitere Netzzusammenschlüsse kleinerer Überlandzentralen exis- Industrie, das Eindringen in weite Gebiete des Landes tierten vor allem im Süden des Landes. Im Krieg wurden Pläne für eine Ringleitung Württembergs ausgearbeitet, an die alle namhaf- wie auch auf der anderen Seite die Vernachlässigung ten Elektrizitätsversorgungsunternehmen angeschlossen werden entlegener Landstriche in der Stromversorgung, be- sollten, um die Nachteile der zerrissenen Struktur in der Stromver- wirkten das regelnde Eingreifen des Staates schon vor sorgung des Landes auffangen zu können. dem Ersten Weltkrieg. Ein Bericht des Innenministe- riums von 1914 über die Elektrizitätsversorgung des Landes sah die Gefahr der Monopolbildung durch zu Der Einfluß des Staates auf die Elektrizitätsversorgung starke Vereinheitlichung der Strombedarfsdeckung in Angesichts des für Baden aufgezeigten Vordringens privater Hand. Als Gegenmaßnahme wurde vorge- der großen Elektrokonzerne in die Versorgung des Lan- schlagen, die Regelung von Rechten und Pflichten der des mit Strom wird es verständlich, daß hier bereits recht Überlandzentralen unter staatliche Aufsicht zu stellen. früh vor den Gefahren eines Monopols der Großunter- Ausschlaggebend für die stärkere Kontrolle waren die nehmen gewarnt wurde. Schon 1904 hatten die Oligopo- Anschlüsse des EW Triberg und der BaKaGe an das lisierungs- bzw. Monopolisierungstendenzen in der Netz des Kraftwerkes Laufenburg. Energieerzeugung und -verteilung in den Verhandlungen Anders gestaltete sich die Stellung des Staates in der badischen Landstände starkes Augenmerk auf sich Württemberg gegenüber den Unternehmen der Elektri- gezogen. zitätsversorgung. Die rechtlichen Grundlagen bezüg- Möglichkeiten der Regierung, auf die Entwicklung der lich Wasser- und Straßenrecht waren hier fast die glei- Elektrizitätsversorgung Einfluß zu nehmen, ergaben sich chen wie im Nachbarland, aber die staatlichen Organe vor allem dann, wenn ein Elektrizitätsunternehmen für hielten sich vornehmlich in der Zeit bis zum Ersten seine Zwecke öffentliches Gut beanspruchte; erstens Weltkrieg sehr zurück. Nur die Möglichkeit der Schaf- konnte der Staat das Recht zur Ausnutzung der öffentli- fung von Bezirksverbänden (vgl. OEW) aus dem Jahre chen Gewässer zwecks Gewinnung elektrischer Energie 1906 brachte einen indirekten Eingriff, indem nun die (Wassergesetzgebung), zweitens zur Benutzung der Durchführung umfassender wirtschaftlicher Aufgaben, öffentlichen Wege durch Starkstromanlagen (Straßenge- wie z.B. der Elektrizitätsversorgung, durch und inner- setzgebung) verleihen; drittens war ein Einfluß auf öf- halb größerer öffentlicher Verbände erleichtert worden fentlich-rechtliche Körperschaften in ihrer Funktion als war. Wie bereits ausgeführt, war in Württemberg erst Träger der Elektrizitätswirtschaft möglich, wenn eine mit Hilfe der Gemeinde- und Bezirksverbände eine um- entsprechende Körperschaftsgesetzgebung vorlag. fassende Versorgung auch entlegener Gebiete erreicht In Baden kann ab dem Wassergesetz von 1899 von worden. Diese starke Beteiligung von öffentlichen Ver- einer Beeinflussung der Elektrizitätsversorgung durch bänden an der Elektrizitätswirtschaft ließ in Württem- den Staat auf dem Verwaltungswege, in erster Linie noch berg somit auch nicht die Gefahr eines privaten Elek- durch das Straßengesetz, gesprochen werden. Erweite- trizitätsmonopols aufkommen wie in Baden. rungen in dieser Richtung wurden durch das Wasser- Erst während und nach dem Ersten Weltkrieg sah notgesetz von 1908, die Gemeindeordnung von 1910 und sich der württembergische Staat stärker veranlaßt, zum das Wassergesetz von 1913 geschaffen. Über das erstere Zwecke einer besseren Vereinheitlichung der Elektrizi- konnte der Staat auch die Benutzung nichtöffentlicher tätsversorgung eine direkte Intervention in die künftige Wasserläufe einschränken; mit der neuen Gemeindeord- Gestaltung der Energiewirtschaft zu sichern, etwa über nung war dem Staat die Genehmigungspflicht von Ver- das Wassergesetz beim wichtigsten Energieträger des trägen, die kleinere Gemeinden unter 4000 Einwohnern Landes auf Wasserkraftbasis, der Iller, oder durch mit Elektrizitätsunternehmungen schließen wollten, vor- Beteiligung an der Württembergischen Landeselektri- behalten, und mit dem Gesetz von 1913 über den »Bau zitätsversorgungs AG (WLAG) und der Württembergi- und Betrieb eines Murgwerkes durch den Staat« hatte schen Sammelschiene AG (Wüsag). Furcht vor Mono- bereits der erste Schritt einer aktiven Beteiligung des polisierungstendenzen auf der badischen Seite, Bemü- Staates am weiteren Ausbau der Elektrizitätsversorgung hungen um Vereinheitlichung der Elektrizitätsversor- stattgefunden. 1912 war zusätzlich bei der Oberdirektion gung auf württembergischer Seite kennzeichnen die des Wasser- und Straßenbaus eine besondere Abteilung Einflußnahme des Staates kurz vor und während des für Wasserkraft und Elektrizität mit dem Ziel gegründet Ersten Weltkrieges. worden, die Ausnutzung der staatlichen Wasserkräfte zur Elektrizitätserzeugung zu prüfen und entsprechende Plä- Die Entwicklung der Elektrizitätsversorgung im ne zu entwerfen, Verträge zwischen Gemeinden und Ersten Weltkrieg Elektrizitätsunternehmen zu begutachten, Gebühren und Dem Ausbruch des Krieges folgte eine verzögerte Strompreise zu kontrollie- Entwicklung der Elektrizitätsversorgung. Der Bau von Neu- 10

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anlagen mußte meist aufgeschoben werden, ausgenom- Donau bei Fridingen mit einer Leistung von 1850 PS men waren lediglich als kriegswichtig eingestufte Pro- (1923). Weitere kleine Niederdruckwerke entstanden an jekte wie beispielsweise das Murgwerk. Das Binnen- Neckar, Enz und Kocher. Erwähnenswert ist der 1919 netz dagegen konnte anfangs weiter ausgebaut werden, von den Oberämtern Freudenstadt, Horb, Oberndorf da der Mangel an Petroleum und anderen Leuchtstoffen und Sulz gebildete Bezirksverband Heimbachwerk, der in vielen Gegenden eine starke Anschlußbewegung an eine Wasserkraftanlage mit Speicherwerk bei Betten- die Kraftwerke förderte. Erst die Kupferablieferungen hausen errichtete und später das Kraftwerk Glatten der an die Rüstungsindustrie – es mußten fortan Eisenlei- Körting-A.-G. übernahm. Diese Werke konnten zwar tungen installiert werden – brachte eine Stockung in die Kohlennot nicht direkt beseitigen, trugen aber zu diesem Bereich. Lediglich dem Kraftwerk Laufenburg einer Entspannung der Lage bei und waren einem weite- gelang es noch, sein Leitungsnetz zur Belieferung der ren Ausbau der Versorgung dienlich. Gewehrfabrik Mauser in Oberndorf a.N. bis nach Würt- Demgegenüber war die Konstellation in Baden weit- temberg auszudehnen. Auch konnten die Oberschwäbi- aus günstiger. Nicht nur die Wasserkräfte des Hoch- schen Elektrizitätswerke im Laufe des Krieges den rheins, sondern auch das seit 1919 voll im Betrieb be- Amtsbezirk Hechingen der Provinz Hohenzollern in ihr findliche Murgwerk standen für die Versorgung zur Versorgungsgebiet einbeziehen. Verfügung; fraglich war nur, wie die im Murgwerk er- Bereits vor 1913/14 konzipierte Pläne einer weiter- zeugte Energie verteilt werden sollte. Das Werk war gehenden Konzentration der Erzeugung wurden 1917 reiner Staatsbesitz und der Stromvertriebsstelle der Ba- in Württemberg durch Reserve- und Aushilfsverträge dischen Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues zwischen den Elektrizitätswerken gefordert, woraus unterstellt, womit sich das Problem der Kapitalbe- sich in den zwanziger Jahren eine Art Verbundsystem schaffung zur Finanzierung der Betriebskosten ergab. entwickeln konnte. Auf dem Gebiet der Stromge- Da eine Staatsanleihe bei den gegebenen Kapital- winnung belebte die zunehmende Kohleknappheit ge- marktsverhältnissen nicht zu plazieren war, wurde am gen Ende des Krieges in den beiden revierfernen Län- 6. Juli 1921 die »Badische Landeselektrizitätsversor- dern Baden und Württemberg Überlegungen, die Nut- gung« (später Badenwerk) in Form einer Aktienge- zung der vorhandenen Wasserkräfte in großem Ausmaß sellschaft mit einem Kapital von 18 Mill. RM ge- in Angriff zu nehmen. gründet, wobei die Aktien vollständig im Besitz des Landes verblieben. Somit war auch die Mehrzahl der kritischen Stimmen, die einem Staatsbetrieb gegenüber Von den Überlandzentralen zur Landeselektrizitäts- schwere Bedenken hinsichtlich der Schwerfälligkeit versorgung von Verwaltungsapparaten und der Gefahr von parla- mentarischen Einflüssen geäußert hatten, zufriedenge- Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Über- stellt worden. Die Gründung des Badenwerkes ist in die gang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft ergaben große Welle des Übergangs von der Phase der Über- sich für die Elektrizitätswirtschaft neue Probleme: be- landwerke zur Phase der Landeselektrizitätsversorgung sonders gravierend war die Kohlennot, die im Januar einzuordnen, die sich schon vor 1914 in Ansätzen ent- 1920 zur »Kohlenkrise« auswuchs, da zum Hochwasser wickelt hatte, aber erst nach dem Krieg voll realisiert des Rheins, der die Kohlenzufuhr nach Mannheim, dem wurde, wie parallele Vorgänge in anderen Ländern wichtigsten Umschlageplatz vor allem für Württem- belegen. berg, lahmlegte, auch noch ein Eisenbahnerstreik Die Entwicklung in Württemberg verlief atypisch. hinzukam. Weil noch keine großräumige Verbundwirt- Zwar erfolgte 1918 die Gründung der »Württembergi- schaft bestand, fielen auch die durch das Hochwasser schen Elektrizitätsgesellschaft mbH«, die 1919 in nur teilweise betroffenen Kraftwerke am Hochrhein als »Württembergische Landeselektrizitätsgesellschaft« Aushilfe weg. Angesichts dieser Situation und der (WLAG) umbenannt wurde; auch ließen sich die Ver- leicht zu prognostizierenden Verschärfung der Kohlen- handlungen mit den württembergischen Elektrizitäts- not kam den Energiequellen Wasser und Braunkohle versorgungsunternehmen positiv an. Als jedoch das besondere Bedeutung zu. Sowohl in Baden wie in Reich sich an der Gesellschaft beteiligte (durch 28,99 Württemberg sind diese Jahre durch einen forcierten % der Aktien im Besitz der Vereinigten Industrie-Un- Ausbau der Wasserkraft bestimmt, wobei das wasser- ternehmungen A.-G.), zogen sich die meisten Inte- reiche Baden größere Ressourcen aufwies. ressenten aus der Gesellschaft zurück, vermutlich unter Allerdings wurden auch in Württemberg in kürzester dem Eindruck der »Sozialisierungs«-Diskussion. Zeit mehrere Wasserkraftwerke erstellt: so begannen Dadurch wurde aus der WLAG keine Landesver- die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke den bereits sorgung, sondern ein reines Stromtransportunter- 1918 vertraglich gesicherten Ausbau der Iller und konn- nehmen, dessen Hauptaufgabe darin bestand, auf einer ten 1923 die ersten beiden Illerstufen in Betrieb neh- bis 1921 fertiggestellten 110-kV-Leitung zwischen men. Der Gemeinde-Elektrizitätsverband Tuttlingen er- Stuttgart und Niederstotzingen den Strom der Gesell- stellte das erste Pumpspeicherwerk der öffentlichen schafter zu transportieren und den Fremdstrombezug Elektrizitätsversorgung in Deutschland an der oberen von Bayern und später von Baden zu gewährleisten. 11

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Im Vergleich dazu war das Badenwerk ein vollgülti- Bezug auf die Festigkeit der Talsperre führte, bis 1962 ges Energieversorgungsunternehmen, da es den Strom das Stauwerk aufgegeben wurde. auch in eigenen Kraftwerken produzierte. Ihm wurden Die Chancen des Kraftwerkverbundes hinsichtlich im Rahmen einer Landesversorgung einmal die badi- des Ausgleichs von Belastungen waren längst erkannt. schen Gebiete mit stark landwirtschaftlichem Charakter Noch nicht gelöst allerdings war das Problem der Bela- zugewiesen, die von privatwirtschaftlicher Seite wegen stungsspitzen, so daß die Kraftwerke recht große unren- mangelnder Rentabilitätsaussichten nicht erschlossen table Reserveleistungen halten mußten. Deshalb ent- waren; es handelte sich in Nord- und Mittelbaden um das schloß man sich zum Bau von reinen Spitzenstromkraft- Bauland, den Taubergrund und den Kraichgau; in Süd- werken, wobei Dampfkraftwerke auf Grund ihrer lan- baden war es der Seekreis, der wegen der noch fehlenden gen Anfahrzeit und Dieselkraftwerke wegen hoher Kos- Nord-Süd-Trasse nicht vom Murgwerk versorgt werden ten und Brennstoffabhängigkeit vom Ausland nicht in konnte, sondern mit dem badischen Anteil des Kraftwer- Frage kamen; die wirtschaftlichste Lösung bot der Bau kes Eglisau unter Zuhilfenahme eines kleinen Speicher- von Pumpspeicherkraftwerken, die in Minutenschnelle werkes bei Überlingen bedient werden mußte. Dem Ba- auf Vollast gefahren werden und außerdem den bei Nie- denwerk wurden von Anfang an durch den badischen derdruckwerken nachts anfallenden und nicht absetz- Staat nicht nur weitreichende Zugeständnisse hinsicht- baren Strom zur Speicherfüllung verwerten konnten. lich Wegerechten und Verleihung von Ausnutzungs- Das Badenwerk nutzte früh die naturräumlichen Vor- rechten von Wasserkräften gemacht, sondern es wurden teile des Schwarzwaldes aus und nahm bereits 1924 das auch in Bezug auf die beiden größten Privatgesell- Schwarzenbachwerk als Ergänzung zum Murgwerk in schaften des Landes, die Kraftübertragungswerke Rhein- Betrieb. Damit besserte sich die Erzeugungslage des felden und das Kraftwerk Laufenburg, klare Verhältnisse Werkes, dessen Kapazität u.a. zur Stromlieferung nach geschaffen: beide Kraftwerksgesellschaften verpflichte- Frankreich aufgrund des Versailler Vertrages dienen ten sich zugunsten des Badenwerkes, keine Hochspan- mußte. Überhaupt wirkte sich die Abtrennung des nungstrassen zu bauen, sich an dessen Landessammel- Reichslandes Elsaß-Lothringen, mit dem eine enge schiene (Verbundleitung) anzuschließen und den Fremd- Energieverbundwirtschaft bestand, in mannigfacher strom dann vom Badenwerk zu beziehen, wenn von drit- Weise aus. Dazu gehörte auch die Frage der Nutzung ter Seite nicht zu günstigeren Bedingungen angeboten der Rheinwasserkräfte unterhalb Basels, die vor dem wurde. Die Regelung nach Ablauf der Konzessionen Ersten Weltkrieg sehr intensiv erörtert worden war. blieb offen: als Alternativen boten sich an die gemein- Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages schaftliche Versorgung al pari oder die Gebietsübernah- wurde Frankreich die Ausnutzung der Wasserkräfte des me durch das Badenwerk. Oberrheins durch einen zu bauenden Kanal im Elsaß Um nicht nur auf Wasserkraft angewiesen zu sein, zugestanden, an dem die »L‘Energie électrique du beteiligte sich das Badenwerk 1921 am Großkraftwerk Rhin« alsbald das schon vor 1914 direkt am Rhein ge- Mannheim (mit 26 % des Aktienkapitals), das trotz der plante Kraftwerk Kembs errichtete. Schwierigkeiten durch die Ruhrbesetzung – das Werk 1925 wurde das Neckarkraftwerk Schwabenheim der wurde von seinen Lieferanten abgeschnitten und mußte Neckar A.-G. Stuttgart in Betrieb genommen. Der Ge- einige Aufträge zum zweitenmal vergeben – und der schäftszweck dieser 1921 gegründeten Gesellschaft be- Besetzung des Rheinauhafens (Sperrung des Anschluß- stand im Bau einer Großschiffahrtsstraße Rhein-Nek- gleises) Ende 1923 den Betrieb aufnehmen konnte. kar-Donau durch Ausbau des Neckars von Mannheim Diese Aufbauleistungen verdienen angesichts der in- bis Plochingen und durch Herstellung eines Neckar- nenpolitischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten je- Donau-Kanals sowie dem Bau und Betrieb von Wasser- ner Jahre besondere Beachtung. Wie gefährlich in dieser kraftwerken an dieser Wasserstraße. Die Gesellschaft Zeit der Kraftwerkbau ohne ausreichende finanzielle erhielt eine Konzession auf 100 Jahre; Hauptgesell- Rückendeckung war, zeigt das Beispiel der Linach-Tal- schafter waren das Deutsche Reich (63,475%), das sperre: 1921 beschloß die Gemeinde Vöhrenbach im Land Württemberg (29,394%), das Land Baden Schwarzwald, eine Talsperre mit eigenem Kraftwerk zu (5,480%) und das Land Hessen (0,545%). Diese zum errichten. Das Projekt sollte mit Holzeinschlägen finan- Projekt eines Rhein-Main-Donau-Kanals (ebenfalls ziert werden, weil der Holzpreis als international stabil 1921) parallele Planung wurde noch bis in die Zeit des angesehen wurde. Die Gemeinde geriet jedoch wegen Zweiten Weltkrieges verfolgt. In Württemberg wurde dieser Fehlspekulation an den Rand des finanziellen 1925 mit dem Bau einer 60 kV-Leitung durch die zwei Ruins: bis zum 23.11.1923 hatte der Bau 312,812 Billio- Jahre zuvor gegründete württembergische-Sammel- nen RM gekostet. Allen Schwierigkeiten zum Trotz ging schienen-A.-G. (Wüsag) mit dem Ziel begonnen, die das Werk 1926 in Betrieb. Die Talsperre selbst stellte da- Elektrizitätswirtschaft des Landes besser als bisher zu mals für Deutschland ein architektonisches Novum dar: ordnen. Trotzdem blieb Württemberg das am stärksten zur Senkung der Baukosten wählte man die Bauweise zersplitterte Elektrizitätswirtschaftsgebiet des Deut- einer Sperre mit aufgelöster Staumauer, was immer wie- schen Reiches – »Elektrizitätsbalkan«, wie in Fachkrei- der zu Bedenken und Beanstandungen in sen gespottet wurde. Desungeachtet hatte Württemberg

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während der Weimarer Zeit sehr niedrige Elektrizitäts- visorische Werk Eichholz in Betrieb genommen wer- tarife – zum Teil erklärbar aus einer gewissen Konkur- den, der Bau der Mittelstufe Witznau allerdings mußte renz zwischen WLAG und Wüsag. auf 1938 verschoben werden (Aufnahme des Teilbetrie- bes 1943, des Vollbetriebes 1950), die Unterstufe Waldshut war 1953 fertiggestellt. Das Schluchseewerk Der Weg zur nationalen Stromversorgung verfügte damit über 450 000 kW Speicherkraft (Pump- Ab 1926 ging die Entwicklung von der »Landeselek- leistung 280 000 kW), die in den 70er Jahren durch den trizitätsversorgung« zur »nationalen Elektrizitätsver- Bau des Eggbergbeckens und des Hornbergbeckens in sorgung« weiter. Das Badenwerk hatte seine 110 kV- Verbindung mit den Kavernenkraftwerken Säckingen Landessammelschiene von Mannheim über Scheiben- und Wehr noch um ein Vielfaches gesteigert wurde. hardt bei Karlsruhe, wo die Leitung zum Murgwerk ab- Auch die württembergischen Werke, vor allem der zweigte, über Offenburg nach Villingen, wo der An- »Bezirksverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke« schluß an das Netz des Kraftwerkes Laufenburg und (OEW), der durch die Leitung von Villingen nach damit die Verbindung zur Schweiz hergestellt wurde, Schramberg schon Verbindung mit Laufenburg und vollendet. 1926 begann der Stromaustausch mit den damit zu den Wasserkräften des Hochrheins besaß, Nordostschweizerischen Kraftwerken (Werke Gösgen zeigte Interesse am Schluchseewerk, ohne aber beteiligt und Beznau), wobei die Schweizer Werke auf über- zu werden. Die OEW waren zusammen mit dem RWE schüssige Sommerkraft, das Badenwerk auf reichlichen schon finanziell stark gebunden, und zwar in den 1924 Winterstrom zurückgreifen konnten. Im gleichen Jahr gegründeten Vorarlberger Illwerken (VIW), die 1927 in erreichte die Leitung des Rheinisch-Westfälischen- eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurden mit fol- Elektrizitätswerkes (RWE), das seine Energiebasis auf genden Beteiligungen: 1. OEW-Gruppe mit dem Land Stein- und Braunkohle hatte, das badische Netz bei Württemberg und der Wüsag (47,5%), 2. RWE-Gruppe Mannheim. Diese RWE-Leitung sollte die Verbindung mit der Großkraftwerk Württemberg AG (Growag) als des Kohlenkraftzentrums im Westen mit den Wasser- Platzhalterin für das RWE und Elektrobank Zürich kräften der Alpen und des Hochrheins herstellen. 1926 (47,5%), 3. das Land Vorarlberg (5%). Durch Vertrag konnte das Badenwerk den Verbundbetrieb mit dem wurden der OEW-Gruppe und der RWE-Gruppe je- RWE aufnehmen. Auch die politisch prekäre Abhängig- weils ein Drittel der jährlichen Stromerzeugung auf die keit von den Stromlieferungen über Mülhausen wurde Dauer von 80 Jahren zugesichert. 1930 war das Ver- durch den Bau einer 40 kV-Leitung von Lörrach über muntwerk betriebsbereit, von wo der Strom über Blu- Rheinweiler nach Freiburg-Haslach beseitigt. Zudem denz und die RWE-Trasse nach Herbertingen (Abzweig kam im Dampfkraftwerk Mannheim die erste europä- zur OEW) und von dort über Rheinau ins Ruhrgebiet ische Höchstdruckkesselanlage von 100 Atm. in Be- transportiert wurde. Der Ausbau der VIW ging erst trieb. 1938 nach dem Anschluß Österreichs mit dem Bau des In diesen Jahren erlebte Baden eine Neuauflage der Kraftwerkes Obervermunt (Silvrettastaumauer) sowie Auseinandersetzung zwischen Kohlenkraft und Was- dem Großkraftwerk Rodund weiter. serkraft, wie bereits vor dem Kriege beim Murgwerk, Die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke nutzten so dieses Mal bei dem seit 1922 im Projektstadium nach der Inbetriebnahme der dritten Iller-Stufe (1927) befindlichen Schluchseewerk. Die Befürworter stärke- ihr Dampfkraftwerk in Ulm nur noch als Reserve, die rer Kohleverwendung gingen im Zeichen sinkender vierte Iller-Stufe wurde erst 1948-50 durch die Energie- Preise davon aus, daß Spitzen- und Ergänzungsstrom – versorgung Schwaben (EVS) fertiggestellt. speziell für den Hochrhein – am wirtschaftlichsten in In Baden ging die Entwicklung indessen zügig voran: Kohle- und Dieselkraftwerken erzeugt werden könnte 1930 Versorgung des Hanauer Landes um Kehl durch und übersahen dabei die energiewirtschaftliche Bedeu- das Badenwerk anstelle des EW Straßburg und 1931 tung großer Pumpspeicherwerke durch die Verwertung Verbund mit dem Straßburger Dampfkraftwerk; eben- von überschüssiger Saison- und Nachtabfallkraft. Da falls 1931 Inbetriebnahme des Hochrheinkraftwerks aber im badischen Interesse eine zu große Stromimport- Ryburg-Schwörstadt, dessen Leistung vornehmlich für abhängigkeit vermieden werden sollte, wurde das die elektrochemische Industrie in Rheinfelden be- Schluchseewerk durchgesetzt – a us heutiger Sicht eine stimmt war; 1934 Hochrheinkraftwerk Albbruck-Do- richtige Entscheidung. Schwierig gestaltete sich die gern, an dem das RWE mit 77 % beteiligt war (Baden- Finanzierung der neuen Gesellschaft, die schließlich werk 1 %). 1928 als Schluchseewerk A.-G. gegründet wurde mit In Württemberg erfolgte 1934 der Zusammenschluß den Gesellschaftern Badenwerk (37%), RWE (50%), von WLAG und Wüsag zur Elektrizitätsversorgung Kraftwerk Laufenburg (5%), KWR (7 1/2%) sowie Württemberg (EVW), ein weiterer Schritt zur Landes- Stadt Freiburg (0,5%). Die erheblichen Eingriffe in die elektrizitätsversorgung. Die Konzentration in der Elek- Schwarzwaldlandschaft durch das Aufstauen des trizitätswirtschaft hatte deutliche Konturen erhalten: in Schluchsees wurden stark diskutiert, doch trotz Welt- Württemberg die EVW, die OEW, die Neckarwerke wirtschaftskrise konnten schon 1933 die Oberstufe AG und die Technischen Werke Stuttgart (TWS); in Häusern und das pro- Baden das Badenwerk sowie die Kraftwerke Rhein- 13

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felden und Laufenburg. Ein Blick auf die Karte der Ver- bronn, Städt. E W Balingen, Gebr. Haux Textil- und sorgungsgebiete (Stand ca. 1935) scheint diese Aussage EW Ebingen, Städt. EW Friedrichshafen, EW Horb, nicht zu bestätigen. Unter dem Aspekt der Abhängigkeit EW Laupheim, Städt. EW Mengen, Städt. EW Mün- der kleineren und mittleren Werke infolge Fremdstrom- singen, EW Klingler‘s Erben Nagold, EW Braunsbach, bezuges aber ist der Grad der Konzentration hoch, wie Überlandzentrale Schwendi, Fürstl. Hohenzollernsches nachfolgende Zusammenstellung erkennen läßt. EW Sigmaringen, Städt. EW Tailfingen, Städt. EW Ulm, Städt. EW Weingarten, EW Winterlingen; Elektrizitätsversorgung Württemberg: angeschlossen bzw. beteiligt TWS, Neckarwerke AG, OEW, Überland- Technische Werke Stuttgart: Stromlieferung an Städt. werk Jagstkreis, Elektrische Kraftübertragung Herren- EW Heidenheim/Brenz, Elektrische Kraftübertragung berg, Städt. EW Heidenheim, Alb-EW Geislingen, Mit- Herrenberg; telschwaebische Überlandzentrale Giengen, Städt. EW Ulm, Gemeindeverband EW Enzberg-Mühlhausen, Badenwerk: Stromlieferung an Bad. Kraftlieferungs- Gemeindeverband EW Teinach, Gemeindeverband ges., Städt. EW Baden-Baden, Gemeindeverband EW Überlandwerk Tuttlingen, Gemeindeverband Über- Teinach-Station, EW Bammental, Stadtwerke Bruch- landwerk Aistaig, Gemeindeverband Überlandwerk sal, Neckarwerke AG, Gutach (über BaKaGe), EW Hohenlohe-Oehringen, Großkraftwerk Württemberg Heidelberg, EW Herbolzheim, EW Karlsruhe, EW Mit- AG, Kraftwerk Altwürttemberg AG, EW Heilbronn; telbaden Lahr, Überlandwerk Achern, EW Neckarge- Oberschwäbische EW: Stromlieferung an Gemeindever- münd, EW Pforzheim, EW , Kraftwerk St. Bla- band Überlandwerk Aistaig, Gemeinde-EW Baiers- sien, EW , Überlandwerk Jagstkreis;

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Laufenburg: Stromlieferung an Oberschwäbische EW, den kleineren Verbänden bildeten künftig die Energie- Fürstl. Fürstenbergisches EW Donaueschingen, Elek- versorgung Schwaben (EVS). Offensichtlich wurden trizitäts-Vers. Eisenbach, BaKaGe, Gütermann u. Cie. die kommunalen Zweckverbände bei der Einbringung EW Gutach, Elektr. Überlandzentrale Oberhausen, ihrer Anlagen in die Gesellschaft benachteiligt, was Städt. EW Neustadt, Städt. EW Radolfzell, Stadt. EW 1951 zu einer Vertragsrevision führte. Immerhin ver- Säckingen, Elektrizitätsges. Triberg, Gemeindeverband sorgte die EVS schon nach ihrer Gründung über zwei Überlandwerk Tuttlingen, Städt. EW Villingen; Drittel von Württemberg. Aus der hier dargestellten Entwicklung heraus konn- Rheinfelden: Stromlieferung an Elektra Markgräflerland te das Land Baden-Württemberg nach dem Zweiten Haltingen, Kraftabsatzgenossenschaft Wald-Elektra Weltkrieg den ihm gebührenden Platz in der internatio- Herrischried, EW Zell i.W.; nalen Elektrizitätswirtschaft Europas einnehmen. Das Dritte Reich brachte einschneidende organisato- rische Änderungen im Aufbau der deutschen Elektrizi- Quellen und Literatur: tätswirtschaft. Die 1892 gegründete Vereinigung der Elektrizitätswerke wurde 1934 in den Reichsverband der Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedin- gungen der deutschen Wirtschaft (Hrsg.), III.Unterausschuß: Elektrizitätsversorgung umgewandelt und es entstand die Die deutsche Elektrizitätswirtschaft. 1930. Wirtschaftsgruppe Elektrizitätsversorgung. Die Gleich- BÜGGELN, H.: Die Entwicklung der öffentlichen Elektrizitäts- schaltung erfaßte auch die Energiewirtschaft, die 1935 wirtschaft in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung durch das Energiewirtschaftsgesetz eine zentrale Leitung der süddeutschen Verhältnisse. 1930. und Aufsicht erhielt: eine weitgehende Meldepflicht EGGERS, H.: Reich und Länder in der Elektrizitätswirtschaft über wirtschaftliche und technische Verhältnisse von Badens und Württembergs. Staatswiss. Diss. Freiburg i. Br. Anlagen zur Erzeugung, Fortleitung und Verteilung von 1923 (masch.). Elektrizität oder Gas; Enteignungsmöglichkeit bei Un- Die Elektrizitätswirtschaft im Deutschen Reich. Das Spezial- Archiv der deutschen Wirtschaft. 1934. ternehmen, die den gesetzlichen Versorgungsaufgaben Die Elektrizitätswirtschaft im Deutschen Reich. Jahrbuch 1938 nicht entsprachen. der Wirtschaftsgruppe Elektrizitätsversorgung (W.E.V.). Die Auswirkungen auf Baden und Württemberg sind 1938. nicht genau zu messen. In Baden ging die Entwicklung Elektrotechnische Zeitschrift (ETZ), Berlin, Jahrgänge 1880ff beinahe planmäßig weiter. Infolge abgelaufener Konzes- GRÖNER, H.: Die Ordnung der deutschen Elektrizitätswirtschaft sionen erweiterte das Badenwerk seinen Versorgungs- (Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik 41) 1975. bereich 1938 durch die Gebiete der Kraftwerk Rheinau LEINER, W.: Anfänge und Grundlagen der Elektrizitätsver- A.-G., der Licht- und Kraftversorgung Wiesloch, der Fir- sorgung in Württemberg. Phil.Diss. Stuttgart 1977 (in ma Bauer & Schönenberger Überlandzentrale in Schnel- erweiterter Form erschienen als: Geschichte der Elektrizitäts- wirtschaft in Württemberg 1: Grundlagen und Anfänge (bis lingen (Kinzigtal) und des Strombezugsverbandes 1895). hrsg. v. EVS. 1982). Waldshut-Bonndorf-St. Blasien. Die restlichen Ge- OTT, H.; ALLGEIER, R.; FEHRENBACH, Ph.; HERZIG, Th.: Histo- schäftsanteile der BaKaGe gelangten 1940 an das Baden- rische Energiestatistik am Beispiel der öffentlichen Elektrizi- werk, das ab 1945 auch die Stromlieferung nach Kon- tätsversorgung Deutschlands. Eine Zwischenbilanz, in: Vier- stanz und an die bisher vom Kanton Schaffhausen ver- teljahrhefte für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 68 (1981) sorgten badischen Gemeinden übernahm. Zur Deckung S.325-348 (nach den Anm. 56ff. ausführliche Literaturan- der Grundlast begann 1953 der Bau des Rheinhafen- gaben für Baden und Württemberg). Dampfkraftwerkes Karlsruhe und wurden die Wasser- SPRAUL, A.: Ein Beitrag zur Entwicklung der öffentlichen Elekt- kräfte des Hochrheins weiter ausgebaut: 1956 Werke rizitätsversorgung in Baden. Staatswiss. Diss. Heidelberg 1933. Rheinau und Birsfelden (deutscher Anteil jeweils 41%), TEICHERT, K.: Die staatlichen Einwirkungen auf die Elektrizi- 1966 Kraftwerk Säckingen (deutscher Anteil 50%). tätswirtschaft in Baden, dargestellt insbesondere am Beispiel Der 1939 erfolgte Zusammenschluß der Elektrizitäts- der Badenwerk AG. Rechts- und staatswiss. Diss. Freiburg wirtschaft in Württemberg im Zuge der »Flurbereini- 1953. gung in der deutschen Elektrizitätswirtschaft«, wie es der Vereinigung der Elektrizitätswerke (VDEW) (Hrsg.): Das Zeit- Generalbevollmächtigte für die Energiewirtschaft for- alter der Elektrizität. 1967. mulierte (vgl. ETZ 60, 1939, 883), scheint nicht nur frei- willig erfolgt zu sein: OEW und EVW zusammen mit Bei der Gestaltung der Karte konnte auf wichtige Vorstudien und Entwürfe aufgebaut werden, die Herrn Dr. Albrecht Strobel zu verdanken sind, der einige Zeit am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Histor. Seminar der Uni Freiburg, über die Anfänge der Elektrizitätswirtschaft in der Schweiz, dem Elsaß und Südwestdeutschland gearbeitet hat.

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Historischer Atlas von Baden-Württemberg: Erläuterungen Herausgegeben von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg 9. Lieferung 1982 Druck der Erläuterungen: Offizin Chr. Scheufele, Stuttgart