Deutschland

GRÜNE Ausstieg aus dem Abklingbecken Nachdem er als Parteivorsitzender zurücktreten musste, hat sich Fritz Kuhn anderthalb Jahre lang zurückgehalten. Jetzt drängt er wieder nach vorn und sorgt damit für Unruhe.

s gibt hier keine Pflanzen, die Rega- schaut angespannt, und die Moderatorin zu wenig Führung und ein bisschen zu viel le sind halb leer: Ein paar Bücher, flirtet mit dem Publikum. bloße Verwaltung des politischen Alltags. Eeinige Stapel mit Bundestagsdruck- Links sitzt Kuhn kerzengerade auf sei- Ganz so direkt würde er das natürlich nie sachen und Anträgen, das ist alles. Neben nem Stuhl und reibt die Finger aneinander. sagen. dem Schreibtisch hängt in DIN-A5-Größe Er lacht nicht, er ist konzentriert, er will, Stattdessen hat er nach der Niederlage ein Bild, ein Wort nur auf dunklem Unter- dass es endlich losgeht. Er hat sich eine der Grünen im Streit um den Emissions- grund: Warteraum. Botschaft überlegt. Kuhn schlägt vor, dass handel in einer Fraktionssitzung kritisiert, Es ist eine Seite aus einem Kunst-Kata- die Staatsschulden zurückgezahlt werden, „einigen in der Führung“ sei die Renten- log, den der grüne Bundestagsabgeordne- sobald das Wirtschaftswachstum 1,6 Pro- formel 2050 wichtiger als der Klimaschutz te Fritz Kuhn aus seiner Zeit als Professor zent übersteigt. 2004. Und wenn er im Parteirat bemän- an der Stuttgarter Merz-Akademie mitge- Er spricht, er ist ganz Kopf. Alles an dem gelt, Rot-Grün fehle es an Botschaften, bracht hat. Es ist auch eine Art Untertitel zierlichen Mann scheint nach oben zu stre- dann wissen alle, dass sich das nicht nur zu allem, was Kuhn tut und sagt. ben. Die hohe Stirn ist in Falten gelegt, die auf die SPD bezieht. Kuhn wartet. Er wartet Gegen die Ausbildungs- darauf, dass endlich wie- platzumlage zog Kuhn zwei der ein Job frei wird, ein Wochen lang zu Felde, der- Job, der groß genug ist für zeit erklärt er bei jeder Ge- seine Fähigkeiten und An- legenheit, dass man mit sprüche. Sparlisten allein nicht wei- Den Vorsitz der Grünen terkomme. Neulich hat er hatte er vor anderthalb Jah- ein Grundsatzpapier zur ren aufgeben müssen, weil Verkehrspolitik geschrie- seine Partei lieber an der ben, obwohl er dafür nicht Trennung von Amt und zuständig ist. Mandat als an ihrem Spit- Kuhn weiß, dass es lang- zenduo Fritz Kuhn und sam eng wird für ihn. Im festhalten nächsten halben Jahr ste- wollte. hen für die Koalition wich- Seither befinden sich tige Personalfragen und Kuhn und die Grünen in ei- Wahlen an: Irgendwann ner Art wechselseitigem wird der Kanzler sein Ka- Belagerungszustand. Kuhn binett umbilden, im Sep- wartet darauf, dass seine tember wird der grüne

Fähigkeiten endlich ange- / DDP MICHAEL KAPPELER Fraktionsvorstand, im Ok- messen honoriert werden. Führungsriege der Grünen*: Warten, dass Kuhn aus der Deckung kommt tober der Parteivorstand Alle anderen warten dar- neu gewählt. Und er sitzt auf, dass Kuhn aus der Deckung kommt Augenbrauen sind hochgezogen, selbst die im Warteraum und kann nur hoffen, dass und einen der offiziellen Amtsinhaber an- Falten, die sich in die hageren Wangen ein- sich die Tür öffnet. greift. gegraben haben, stehen senkrecht im Ge- Als und Katrin Göring-Eck- In der Fraktion sorgt die Situation für sicht. Nach fünf Minuten ragt der Bürsten- ardt zu den Vorsitzenden der Bundestags- Unruhe. Niemand weiß, was genau Kuhn schnitt, den die Maskenbildnerin mit Gel fraktion erkoren wurden, warteten die vorhat. Aber allen ist klar, dass dieser Zu- gezähmt hatte, steil in die Luft. meisten vor allem darauf, welche der bei- stand auf Dauer nicht so bleiben kann. Am Ende der Sendung ist Kuhn zufrie- den Fritz Kuhn als die Schwächere erken- Weil Kuhn weiß, dass jede seiner Äuße- den und stolz auf die Sache mit dem Rück- nen und bei der nächsten Gelegenheit zu rungen unter Verdacht steht, hat er ein zahlungsgesetz. Es ist der Vorschlag eines Fall bringen würde. Jahr lang einfach nur seine Arbeit als Wirt- Parteichefs an die gegnerische Seite. „Ich „Die sind auf Bewährung“, knurrte schaftsexperte der Fraktion gemacht und bin gespannt, was die dazu sagen“, meint beim Amtsantritt der weib- den Rest seiner Energie darauf verwendet, er. Eine Woche später hat noch immer nie- lichen Doppelspitze. Doch Sager und sich zurückzuhalten. Er habe sich ins „Ab- mand auf den Vorschlag reagiert. Göring-Eckardt hielten zusammen, der für klingbecken gehängt“, hat Kuhn einmal Politische Führung, das heißt für Kuhn wahrscheinlich gehaltene „Zickenalarm“ gespottet. Er findet, es reicht jetzt. auch, Botschaften zu vermitteln. Er findet, blieb aus. Denn nur gemeinsam, das war Er sitzt bei „Berlin Mitte“, es sind fünf es gebe bei den Grünen derzeit ein bisschen beiden Frauen von Anfang an klar, würden Minuten bis zur Talkshow Maybrit Illners. sie eine Chance gegen die vielen Skeptiker Der SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Ben- * Renate Künast, Joschka Fischer (sitzend), , haben – und gegen Kuhn. Nach anderthalb neter erzählt einen Witz, Christian Wulff Fritz Kuhn, Thea Dückert, Jürgen Trittin, Hans Langguth Jahren im Amt haben sie keine Angst mehr (Pressesprecher), Krista Sager, Claudia Roth (stehend), lacht ein pflichtschuldiges Schwiegersohn- am 19. Oktober 2002 auf der Bundesdelegiertenkonferenz vor ihm. Aber es wäre ihnen lieber, sie hät- lachen, Silvana Koch-Mehrin von der FDP in Bremen. ten ihn nicht ständig im Nacken.

30 der spiegel 23/2004 seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt wird“, so Schlauch. Fritz Kuhn weiß natürlich, dass er von seiner Partei respektiert, aber nicht geliebt wird. Er tut so, als machte ihm das nichts aus. „Wenn kühl heißt, dass man seine Gefühle nicht gleich auf den Tisch packt, dann bin ich gern kühl“, sagt er. Er sitze jedenfalls nicht ständig nägelkauend da und und stelle sich die Frage: „Wie wer- de ich beliebt?“ Stattdessen versucht er, der Beste zu sein. Er ist eben keine „Emo-Bombe“ wie seine frühere Kollegin Claudia Roth, er will es auch nicht sein. Kuhn will niemanden um- armen und schon gar nicht umarmt wer- den. Zur Talkmasterin Sandra Maischberger etwa, die viele seiner Kollegen mögen, weil sie das Gefühl haben, sie könnten sich auch mal als Mensch präsentieren, geht er aus- gesprochen ungern. Weil die Maischberger sich immer „so nah rüberlehnt“, sagt er. Aufgewachsen in , stammt Kuhn aus einer katholischen Arbeiterfa- milie, traditionelle SPD. Wegen der Atom- politik Helmut Schmidts verließ er 1978 die Partei, wurde ein Jahr später Mitbegründer der Grünen und machte in den achtziger Jahren schnell Karriere in Baden-Würt- temberg. Wie Joschka Fischer halten ihn viele der eigenen Leute im Grunde für ei- nen grünen Sozialdemokraten.

„Es ist längst überfällig, dass Kuhn seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt wird.“

Selbst politische Gegner bescheinigen dem Schwaben wirtschaftspolitischen Sach- verstand. Unter seiner Führung, befand der Politikwissenschaftler Joachim Rasch- ke, sei bei den Grünen „erstmals ein stra- tegisches Zentrum“ entstanden.

THÜRINGEN PRESS / ACTION PRESS THÜRINGEN PRESS / ACTION Und jetzt steht er am Rand und muss zu- Ehemaliger Grünen-Chef Kuhn: Von seiner Partei respektiert, aber nicht geliebt schauen, wie es die anderen genießen, im Zentrum zu sein. Gibt es einen Punkt, wo Als Reinhard Bütikofer an Kuhns Stelle Zentrum der grünen Macht geworden und er das Warten nicht mehr aushalten und Parteivorsitzender wurde, handelte jede aus dem Favoriten Fritz Kuhn ein potenzi- sich aus der Politik zurückziehen würde? dritte Journalistenfrage an ihn von Fritz eller Störfaktor und Außenseiter. „Solche Fragen“, sagt Kuhn, „darf man nie Kuhn und wie er sich bei der nächsten Vor- Wenn Joschka Fischer früher gefragt beantworten. Nie.“ standswahl gegen den Rivalen behaupten wurde, was nach seinem Abgang mal mit Im Oktober kehrt Claudia Roth, Kuhns könne. Bütikofers Antwort lautete: „Ent- den Grünen werden würde, pflegte er zu frühere Co-Vorsitzende, wohl in ihren alten weder ich mache meine Sache gut, dann sagen: „Das erbt alles der Fritz, der über- Job als Parteivorsitzende zurück. Inzwi- kann mich keiner angreifen, oder ich ma- nimmt den Laden.“ Den Satz hat lange nie- schen haben die Grünen nämlich be- che sie schlecht – dann kann es jeder.“ mand mehr gehört. schlossen, dass Amtsinhaber künftig doch Heute sagt selbst Joschka Fischer, der So langsam geht Kuhn einigen seiner ein Mandat haben können. Kuhn könnte den dicken Bütikofer lange belächelt und Parteifreunde ziemlich auf die Nerven. An- sich um diese Stelle selbst dann nicht be- nicht für voll genommen hat, „der Rein- dererseits finden viele, dass er auch nicht werben, wenn er wollte. Denn an der Quo- hard“ mache seine Sache gut. Kuhn sagt, er so ganz Unrecht hat. Das Führungsquartett te hält die Partei einstweilen fest. habe mit Bütikofer kein Problem. zeichne sich eher durch einen bestimmten Muss das einen wie ihn nicht wahnsinnig Sager, Göring-Eckardt und Bütikofer be- Politikstil als durch starke Inhalte und Vor- machen? „Schön ist es nicht“, sagt Kuhn, sprechen alle strategische Fragen zusam- stöße aus, lautet die Kritik. „aber das muss ich aushalten.“ Zynismus men mit Joschka Fischer in kleinen ver- Rezzo Schlauch, Parlamentarischer oder Resignation sei jedenfalls nicht sein traulichen Runden, dem so genannten Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Weg. Er, sagt Kuhn, könne auch als einfa- Quartett, aus dem wenig nach außen sagt, eine Partei, die die Besten nicht ganz cher Abgeordneter konstruktiv arbeiten. dringt. So ist in anderthalb Jahren aus ei- vorn spielen lasse, habe auf Dauer ein Pro- Die Frage sei bloß, ob die anderen das aus- nem Gleichgewicht der Schwachen ein blem. „Es ist längst überfällig, dass Kuhn halten. Tina Hildebrandt

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