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Sendung vom 16.11.2002, 20.15 Uhr

Prof. Dr. h.c. Lothar Späth Ministerpräsident a.D. im Gespräch mit Werner Reuß

Reuß: Verehrte Zuschauer, herzlich willkommen zum Alpha-Forum, heute aus dem Hotel Bayerischer Hof hier in München. Zu Gast ist Professor Dr. Lothar Späth, Vorstandsvorsitzender der "Jenoptik AG" aus dem thüringischen Jena und ehemals langjähriger Ministerpräsident des Landes -Württemberg in den Jahren 1978 bis 1991. Ich freue mich, dass er heute hier ist, herzlich willkommen, Herr Professor Späth. Späth: Vielen Dank. Reuß: Sie haben einmal gesagt: "Ich bin wie ein Zirkuspferd, sobald die Musik klimpert, muss ich lostraben." Galt das nur für den Politiker Lothar Späth oder auch für den Manager? Späth: Das gilt eigentlich für beides ein bisschen. Ich habe schon so gelegentlich Auflehnungen gegen diese Stresssituationen und gegen diese Sechzehn-, Achtzehnstundentage, aber wenn ich dann wieder drin bin im Arbeiten, dann läuft das einfach so. Wenn ich weit weg bin von der Arbeit, dann werde ich tatsächlich unruhig: Ich bin nicht so ein Freizeitmensch. Ich hatte ja zwölf Jahre lang gesagt, dass ich definitiv keine Politik mehr machen will. Es kam dann diese Diskussion in Zusammenhang mit der Kandidatur von auf. Am Anfang war ich noch ganz starr und stur: "Ich habe doch gesagt, dass ich nie mehr etwas machen werde in der Politik. Im Wahlkampf helfe ich selbstverständlich gerne mit." Am Schluss habe ich halt dann doch wieder gesagt: "Also gut, dann trabt das Pferd eben wieder!" Und so ist das Pferd jetzt eben vier Monate lang bis zum Wahltag getrabt. Wenn man ganz einfach in so einem Lebensrhythmus aufgewachsen und lange in ihm gelebt hat, dann hat man wohl auch so eine Mischung von Disziplin und auch Freude an diesen Dingen: Deshalb ist das alles auch nicht so furchtbar belastend, wie man oft von außen annimmt. Reuß: "Man kann, was man will", sagte Prinz Eugen, der Prinz von Savoyen. Ich habe irgendwo gelesen, dass er Ihr geschichtliches Vorbild gewesen ist. Gilt das auch für seinen Leitspruch: Man kann, was man will? Späth: Das gilt eigentlich zuerst für seinen Leitspruch. Ich würde ihn mir nämlich nicht als generelles Lebensvorbild aus der Geschichte aussuchen. Aber diese Aussage, man könne, was man will, habe ich auch meinen Kindern immer versucht zu erklären. Das unbedingte Wollen, diese Einstellung im Kopf, dass man bestimmte Sachen wirklich machen und durchstehen will, ist nämlich auch eine Kraftquelle, die einem z. B. in Krisensituationen sehr wohl helfen kann. Auf diese Weise kann man leichter die Disziplin halten oder noch einmal zwei Stunden dranhängen oder noch einmal einen Anlauf nehmen usw. Ich glaube, das ist schon etwas, das mein Leben stark geprägt hat und das ich mit diesem Spruch wirklich gut beschrieben finde: Man kann, was man will. Das heißt, man muss zuerst einmal wollen. Denn es gibt ja viele Leute, die sagen: Wir machen dieses und jenes! Sobald es dann aber schwierig wird, werden sie völlig hilflos, weil sie sich das alles lediglich ganz angenehm vorgestellt hatten. Dieses "Man kann, was man will" heißt eben auch, dass der Wille durchhalten muss, wenn das Können an seine Grenzen gelangt. Reuß: "Durch Politik kann man wie in keinem anderen Beruf in gesellschaftspolitischem Sinne gestalten." Sie haben das gesagt, als Sie noch Ministerpräsident waren. Heute sind Sie Manager, sehr erfolgreicher Manager: Sie haben ein marodes Unternehmen saniert, es weltmarktfähig gemacht und an die Börse gebracht. Würden Sie diesen Satz, nachdem Sie nun diese Erfahrungen in der Wirtschaft gemacht haben, heute immer noch so sagen oder sind die Freiheitsgrade in der Wirtschaft, die dortigen Gestaltungsmöglichkeiten nicht doch größer als in der Politik? Späth: Wenn das, worum es geht, keine Sache der Gesellschaft ist, dann sind die Gestaltungsmöglichkeiten des Einzelnen beim Manager sicherlich größer: Er hat Möglichkeiten, die einem Politiker aufgrund der demokratisch- parlamentarischen Struktur nicht so zielgerecht zur Verfügung stehen. Der Politiker muss nämlich immer wieder Mehrheiten suchen, muss sich immer wieder Rückendeckung suchen, muss immer wieder die sich widersprechenden und widerstrebenden Gruppen zusammenbringen. Die gesellschaftliche Gestaltungskraft bleibt aber letzten Endes doch auf Seiten der Politik und ist in dieser Hinsicht auch größer als in der Wirtschaft. Die Gestaltung eines solchen Umbaus – bezogen nun auf Jena – kann natürlich der Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens ganz anders in die Hand nehmen: nämlich bedingungsloser. Er kann sicherstellen, dass seine Gestaltungskonzepte durchgehen, so lange sie erfolgreich sind. Er hat nämlich das gleiche Problem wie der Politiker bei Wiederwahlen: Nach einiger Zeit sagen ihm nämlich seine Aufsichtsgremien, ob seine Arbeit gut oder nicht gut war. Ich würde jedenfalls sagen, dass beides seinen Reiz hat. Für mich ist Jena insoweit noch etwas Besonderes, als das ja nicht nur den Umbau eines Unternehmens bedeutet hat, sondern diese Arbeit ja einen Zusammenhang von beinahe politischen Strukturveränderungen, Veränderungen einer ganzen Stadt und den Aufbau eines internationalen Unternehmens bedeutete. Ich möchte beides nicht missen. Es ist fast immer so im Leben, dass man das, was man mal gemacht hat, als nicht so spannend einschätzt, während einem das Neue viel spannender vorkommt. Da ich nun beides gemacht habe, muss ich schon zugeben, dass ich heute nicht mehr so uneingeschränkt sagen würde, dass man nur in der Politik gestalten kann, zumal ich ja auch selbst die Grenzen des Gestaltens in der Politik erlebt habe. Beides ist auf seine Weise eine Herausforderung. Die Veränderung von Strukturen in der Gesellschaft ist natürlich im Grunde genommen schon eine politische Aufgabe, die im Hinblick auf den gesamten gesellschaftlichen Bereich sicherlich umfassender angelegt ist als in der Wirtschaft. Reuß: Sie waren ja auch als Manager immer wieder gefragt, zu tagespolitischen Fragen Stellung zu nehmen. Sie haben in Ihrem neuen Buch gesagt: "Politik war immer eine Bühne." Wir leben heute ja in einer Mediendemokratie und da bekommt man zuweilen den Eindruck, dass Inhalte weniger wichtig sind als die Wirkung, dass das, was gesagt wird, weniger wichtig ist als das Wie. Sie haben das alles ja sehr lange beobachten können und waren selbst lange in der Politik tätig. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Sie haben auf die Frage, welcher Politiker eigentlich Filmstar werden könnte, auch einmal folgende Antwort gegeben: "Die meisten, aber in ungewollten Rollen!" Ist das so und wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Späth: Wir müssen in der Tat feststellen, dass die Inszenierung von Politik offensichtlich immer wichtiger wird. Manchmal hat man wirklich das Gefühl, dass das, was eigentlich tatsächlich gesagt worden ist, gar nicht mehr hängen bleibt bzw. jederzeit revidiert werden kann. Aber die Stimmung in die richtige Richtung zu bringen, den Auftritt zur richtigen Zeit zu haben, das richtige Thema zu besetzen usw., das alles wird unglaublich wichtig. Nehmen wir als Beispiel mal die Bundestagswahl: Da hat es zum ersten Mal nach amerikanischem Vorbild eine Inszenierung zwischen den beiden Kanzlerkandidaten gegeben. Ich habe vor vielen Jahren als junger Mann in den USA den Wahlkampf zwischen Johnson und Goldwater mitgemacht. Das war im Jahr 1964. Ich kam damals zurück und sagte: "So etwas wird es in Deutschland nie geben." Ich meinte damit diese Inszenierung, die Tatsache, dass dort im Wahlkampf ein richtiges Schauspiel stattfindet. Heute sind wir aber auch hier in Deutschland auf dem gleichen Weg angelangt. Wenn es nur um Inhalte ginge, wenn es nur darum ginge, wer seine Inhalte besser rüberbringt, dann würde ich das ja noch für akzeptabel halten. Wenn ich mir aber den letzten Bundestagswahlkampf ansehe, den ich ja jetzt noch einmal voll von innen erlebt habe, dann muss ich sagen, dass es doch gewaltige Zufälligkeiten gibt. Da kommt z. B. eine Hochwasserflut und plötzlich sind diese Bilder vom Hochwasser eigentlich Gegenstand des Wahlkampfs, ob gewollt oder ungewollt. Es geht dann darum, wer wie erscheint in diesen Bildern. Wenn da der Kanzler erscheint, dann kann er eben sagen: "Ich mache das jetzt!" Denn er ist ja der Kanzler. Der Oppositionsführer hingegen sagt: "Was macht der eigentlich beim Hochwasser? Der stört dort doch nur!" Damit erhält man plötzlich ein Rollenspiel, das man im inhaltlichen Wettbewerb gar nicht ausgleichen kann. Man kann aber auch nicht sagen: "Könnten Sie die Flut nicht bitte erst vier Wochen nach der Wahl schicken?" Nehmen Sie als anderes Beispiel dieses Irak-Thema. Da wird plötzlich eine Sache vereinfacht, die unglaublich komplex ist. Wir werden das jetzt in nächster Zukunft genau sehen, wie komplex diese Sache tatsächlich ist, wenn es z. B. zu bestimmten UN- Resolutionen kommen wird, wenn die Völkergemeinschaft nach all den Terroranschlägen auch wieder andere Überlegungen dazu hat, wie man zusammenstehen muss. Aber im Moment einer solchen Auseinandersetzung sagt da einer: "Da ist Krieg, wir gehen auf keinen Fall dorthin!" Für einfache Gemüter ist das eine wunderbare Aussage, denn das bedeutet, wir haben uns abgemeldet von diesem Krieg. Später denkt man dann womöglich darüber nach, wie man sich in internationalen Gremien von Verpflichtungen abmeldet. Aber so einfach ist diese Sache ja nicht. Es ist jedenfalls so, dass zwei solche Themen den Wahlkampf bestimmen. Die ganzen großen Themen der Wirtschaft, die Frage der Arbeitsplätze usw. rutschen plötzlich hinten runter. Man merkt zwar, wie solche Themen in den Umfragen bereits 14 Tage später wieder hochkommen, aber es kann eben im Hinblick auf den Wahltag entscheidend sein, welches kurzfristige Thema den Ausschlag gibt. Wer wird denn in vier Jahren noch über diese beiden zentralen und zufälligen Themen des letzten Wahlkampfs sprechen? Nehmen Sie als weiteres Beispiel die jüngsten Koalitionsverhandlungen: Dort spielt plötzlich die Frage des Kernkraftwerks in Obrigheim, also in meiner baden-württembergischen Heimat, eine zentrale Rolle. Ich selbst habe zwar dieses Kernkraftwerk im Jahr 1982 bereits einmal stillgelegt, aber das galt nur so lange, bis klar war, dass es technisch einwandfrei funktioniert. Danach dann hat man es wieder in Betrieb genommen. In diesen Koalitionsverhandlungen, in diesen Verhandlungen darüber, ob eine Koalition zustande kommt, diskutiert man nun die Frage einer Verlagerung der Produktion eines kleinen Kernkraftwerks für fünf Jahre – bezogen auf die ganze Zeit – in ein anderes. Herausgekommen ist dann ein Kompromiss von zwei Jahren. Was glauben Sie, was in der Öffentlichkeit los wäre, wenn da nun etwas passieren würde? Dann würde man sagen: "Und so etwas hat man politisch vereinbart!" Wenn nichts passiert, dann wird gesagt: "Warum hat man denn dieses Ding nicht noch ein paar Jahre länger laufen lassen?" An diesen Beispielen wird Folgendes sichtbar: Wir müssen aufpassen, dass wir unsere fundamentalen Probleme – und Deutschland hat inzwischen fundamentale Probleme – nicht gewissermaßen hinten runterkippen lassen. Wir müssen aufpassen, nicht in die Haltung zu verfallen: "Das ist alles nicht so schlimm, es wird irgendwann auch mal wieder Sommer, die Temperaturen werden wieder höher, lasst uns also lustig sein!" Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, dass diese Medienpolitik eine Verdrängung der fundamentalen Fragen zulässt: Bei dieser Medienpolitik kommt es fast ausschließlich nur noch auf das Bühnenbild an. Es wird gar nicht mehr so genau darauf aufgepasst, ob sich die Schauspieler gut vorbereitet haben und ob die Handlung stimmt. Man verzeiht heute quasi Fehler in der Handlung ganz leicht, wenn der Auftritt nur unterhaltsam ist. Ich glaube, hier kommt es in der Tat zu einer Entwicklung, auf die man schon ein bisschen aufpassen muss. Reuß: Ich würde hier gerne einen kleinen Schnitt machen und unseren Zuschauern den Menschen Lothar Späth näher vorstellen. Sie sind am 16. November 1937 in Sigmaringen geboren. Sie sind somit, wenn ich das richtig nachgelesen habe, kein ganz reiner Schwabe, denn Sigmaringen war eigentlich mal preußische Exklave. Wie viel Preußisches steckt denn in Lothar Späth? Späth: Das, was in Lothar Späth an Preußischem steckt, kommt ganz bestimmt nicht aus dieser Konstellation, weil ich über Generationen hinweg ein nachgewiesener Schwabe bin und alle meine Vorfahren aus dem schwäbisch-pietistischen Umfeld der Stuttgarter Gegend kommen. Ich bin eigentlich nur deshalb in Sigmaringen geboren, weil mein Vater dort für einige Jahre beruflich tätig gewesen ist. Ich bin mit drei Jahren dann auch von Sigmaringen wieder weggekommen. Außerdem: Wer in den Hohenzollernschen Landen geboren ist, hat vermutlich noch mehr Vorderösterreichisches im Blut als Preußisches. Es gibt eine ganz nette Geschichte dazu: Als der Pfarrer einer Nachbargemeinde von Sigmaringen, nachdem diese Sache zugunsten von Preußen entschieden war, morgens in der Kirche predigte, sagte er zu seiner Gemeinde: "Liebe Gemeinde, heute will ich über zwei Dinge zu euch predigen. Erstens, warum wir uns freuen sollen, dass wir zu Preußen kommen. Und Zweitens, warum wir es unserer großen Sünden wegen nicht besser verdient haben." Ich komme heute noch oft in diese Landschaft, weil ich dort viele Freunde habe: Ich liebe auch diese Landschaft in Oberschwaben und im Donautal. Insofern komme ich also gerne in meine Heimatstadt immer wieder zurück. Wenn ich die dortigen Menschen treffe, wenn ich dorthin zur Fastnacht komme, dann sehe ich da wirklich viel Vorderösterreichisches. Diese Gegend ist also eher mit der Freiburger Gegend verwandt als etwa mit Preußen. Die Hohenzollernburg dort ist zwar der Nachweis Preußens in dieser Gegend und diese Gegend hat auch in der Tat eine große preußische Geschichte, aber dennoch glaube ich nicht, dass die Menschen dort sehr preußisch geprägt sind. Reuß: Ihr Vater war Lagerverwalter bei einer Raiffeisenorganisation, Ihre Mutter Hausfrau. Wie sind Sie aufgewachsen, wir war Ihr Zuhause in Ilsfeld in der Nähe von Heilbronn? Späth: Für die damalige Zeit war es eigentlich ein behütetes Aufwachsen. Ilsfeld war damals ein Dorf von vielleicht 2000 Einwohnern. Nun, im Grunde genommen fiel meine Kindheit ja in die letzte Kriegszeit: Ich habe also den Schluss des Krieges noch genau miterlebt wie z. B. die Zerbombung von Heilbronn. Wir haben auch gesehen, wie die amerikanischen Panzer gekommen sind. Diese Region gehörte dann auch zur amerikanischen Besatzungszone. Ich habe als Kind natürlich auch Bombenalarme mitbekommen: Da war dann die Schule zu Ende usw. Ich bin 1943 in die Grundschule gekommen, und so habe ich das dort die letzten zwei Jahre des Krieges alles noch mitbekommen. Danach gab es dann den Aufbau: Man hat erlebt, wie aus Trümmern wieder aufgebaut wurde. Gut, wir in diesem Dorf haben keinen Hunger gelitten. Wer Lagerhausverwalter bei Raiffeisens war, kannte alle Bauern, und so ist immer etwas abgefallen: Da hat man mal ein Brot bekommen usw. Ich habe es natürlich schon auch erlebt, wie die ganze Familie zum Bucheckern und Beeren Sammeln in den Wald gegangen ist und wie froh man war, wenn man für die gesammelten Bucheckern ein wenig Öl in der Ölmühle bekommen hat. Ich habe es auch erlebt, wie die Mutter aus Zuckerrüben Brotaufstrich gemacht hat: Das war damals eine recht pampige Melasse. Aber das kann man alles nicht in die Rubrik stecken, wir hätten damals regelrechten Hunger gelitten. Man hat sich eben völlig einfach ernährt. Auch das Familienleben war völlig einfach. Mit der Zeit bekam man dann aber auch die sukzessive wirtschaftliche Verbesserung ein wenig mit. Nach der Grundschule kam ich auf die Oberschule in Beilstein, ungefähr sechs Kilometer entfernt von zu Hause. Da sind wir eben als Zehnjährige jeden Morgen diese sechs Kilometer in die Schule hin und am Abend wieder zurück gelaufen. Wenn es geregnet hatte, dann musste wir uns zu Hause erst einmal an den Ofen setzen, um uns zu trocknen. Ich sage ja manchmal meinen Kindern: "Sagt mir bitte, wenn ich alt werde. Denn dann erzähle ich lauter solche Geschichten!" Vor kurzem haben sie zu mir dann tatsächlich gesagt: "Vater, du wirst alt, jetzt fängst du auch schon an, diese Geschichten zu erzählen, wie das damals alles war und dass ihr damals zu Fuß gelaufen seid, anstatt mit dem Schulbus zu fahren usw." Im Ganzen kann man aber sagen, dass diese Kindheit auf dem Dorf eine sehr behütete Kindheit war. Reuß: Als Ministerpräsident hat man Ihnen den Beinamen "Cleverle" gegeben. Cleverness haben Sie allerdings schon in Ihrer Jugend bewiesen, wenn die Anekdote stimmt, die ich über Sie gefunden habe. Ihr Vater war passionierter Briefmarkensammler, während Sie selbst lieber Radios zusammengebaut und daran herumgebastelt haben. Irgendwie hat er Sie dann doch davon überzeugt, auch Briefmarken zu sammeln. Sie wiederum haben Ihre Mitschüler davon überzeugt und dann Ihren Mitschülern Ihre Briefmarkensammlung verkauft. Von dem Geld kauften Sie sich dann eine teure Radioröhre. Wenn das stimmt: Wie hat denn damals Ihr Vater darauf reagiert? Späth: Nicht sehr freundlich. Er wollte mich eben auch zum Briefmarkensammler machen. Ich habe da aus meiner Kindheit quasi ein ewiges Bild vor meinen Augen: Auch dann, wenn die Familie spazieren ging, ist der Vater zu Hause geblieben. Er ist nicht so gerne mit uns spazieren gegangen. Denn was wollte man auf dem Dorf am Sonntagnachmittag nach dem Mittagessen schon groß machen? Da hat die Mutter gesagt, "So, jetzt gehen wir in den Wald, weil so schönes Wetter ist". Da ist man dann halt mit ihr in den Wald gegangen. Derweil saß der Vater zu Hause und hat Briefmarken abgelöst. Er hatte ganze Pakete von Briefmarken vor sich, die er alle sauber abgelöst und sauber auf Filz getrocknet hat. Er wollte immer, dass sein Sohn die gleiche Begeisterung dafür aufbringt. Diese Begeisterung hatte ich aber nicht. Ich habe sie dann aber doch immer wieder so ein bisschen zu zeigen versucht, weil ich ja wusste, dass das den Vater recht freut. Mein Vater war relativ streng, und deshalb war es auch ganz gut, dass es so ein paar Punkte gegeben hat, bei denen er den Eindruck hatte, dass da sein Sohn nun endlich vernünftig wird. Aber mein Interesse ging eigentlich absolut in Richtung Technik. Es ist daher ganz lustig, dass ich dann Beamter geworden bin, denn meine besten Noten hatte ich immer in Physik und Chemie. Ich habe in meiner Kindheit auch wirklich alle möglichen Sachen gebastelt. Und da brauchte ich eben eines Tages dringend und unbedingt eine VCL11-Röhre: Das war die Hauptröhre des Volksempfängers, der ja heute noch in aller Munde ist, weil es das erste Radio gewesen sei, das sich damals jede Familie zu kaufen versucht hat. Ich hatte aber für diese Röhre ganz einfach das Geld nicht. Ich habe dann allen meinen Mitschülern viel von meinen Briefmarken erzählt: Am Schluss haben die Mitschüler alle Briefmarken von mir haben wollen. Ich verkaufte also meine Briefmarken und kaufte mir von dem Geld eben diese Röhre und war ganz stolz. Als mein Vater aber herausbekommen hat, wie diese Röhre bezahlt worden war und dass deswegen die Briefmarken weg sind, gab es schon eine größere Auseinandersetzung mit ihm, und zwar eine Auseinandersetzung in diesem einfachen Stil, wie damals eben ein autoritärer Vater eine Auseinandersetzung mit seinem eigenen Sohn geführt hat. Es hieß: "Noch einmal und es knallt!" Diese Bemerkung von ihm war wirklich abschließend. Eine demokratische Diskussion darüber war nicht möglich, obwohl ja meine Eltern immer die liberale Partei gewählt haben. Demokratische Diskussionen waren da einfach noch nicht so zu Hause. Ich bin von meinem Vater schon relativ streng erzogen worden. Meine Mutter hat sich dagegen sehr viel mehr mit den Kindern beschäftigt: Sie war auch stärker religiös geprägt. Das waren eigentlich durchaus Pole, mit denen man aufwachsen konnte. Reuß: Sind Sie selbst ein gläubiger Mensch? Späth: Ja. Vielleicht weniger in den strengen Riten der kirchlichen Gemeinschaft, aber ich habe in meinem Leben immer wieder ganz einfach die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, sich auch bewusst zu sein, dass die letzten Entscheidungen nicht von Menschen getroffen werden. Das kann bei dramatischen Entscheidungen wirklich eine große Bedeutung haben. Ich bin allerdings immer ein bisschen unsicher, wenn manche Menschen ihre Religiosität so sehr vor sich hertragen, wenn sie das als Schutzschild verwenden und sagen: "Sag nichts gegen mich, denn ich bin ein guter Christ!" Das hat in meinen Augen schon so ein bisschen mit der Einstellung zu tun, der liebe Gott wird schon helfen, wenn man sich selbst nicht genug anstrengt. Das ist also nicht meine Welt. Religiosität besteht für mich auch darin, andere Religionen zu akzeptieren. Für mich ist es jedenfalls nicht vorstellbar, dass der Mensch als Wesen lediglich physikalisch-chemisch und biologisch zusammengesetzt ist und er dann einfach nur so ein paar Jahre hier auf dieser Erde herumrennt, um dann wieder vollkommen zu verschwinden. Hier könnte man nun sehr lange und ausführlich darüber diskutieren – ich habe das z. B. mit meinen Kindern immer wieder gemacht –, was Religion eigentlich ist und welchen formalen Kriterien Religiosität genügen muss. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass die Menschen freier sind, wenn sie gläubig sind und wissen, dass es auch Entscheidungen gibt, die sie nicht beeinflussen können und diese Entscheidungen auch nicht von der Regierung oder irgendwelchen sonstigen Organisationen der Gesellschaft getroffen werden. Diese Form der Religiosität gibt den Menschen mehr Freiheit und Sicherheit. So gesehen bin ich also schon religiös. Reuß: Sie haben dann Ihr Abitur nicht gemacht, weil Sie mit der Mittleren Reife relativ abrupt die Oberschule abgebrochen haben. Sie gingen dann in den gehobenen Verwaltungsdienst: Warum? Denn eigentlich wollten Sie doch Jura studieren. Späth: Ja, und das habe ich nachher auch noch einmal versucht. Es war damals eben so, dass ich gemerkt habe, wie schwer es den Eltern fällt, das Schulgeld zu bezahlen. Es kam dann auf meiner Seite auch noch so ein bisschen Aufmüpfigkeit mit hinzu: Ich hatte in der Zwischenzeit ja auch die Schule gewechselt und war mittlerweile auf der Oberschule in Heilbronn, weil es an meiner vorherigen Oberschule in Beilstein nur vier Klassen gegeben hatte. Dies hatte aber bedeutet, dass ich jeden Morgen um kurz nach fünf Uhr mit dem Zug, der den Beinamen "Entenwürger" hatte, nach Heilbronn fahren musste. Dieser Beiname bedeutete, dass dieser Zug so langsam gefahren ist, dass er eine Ente, die sich möglicherweise auf die Gleise verirrt hätte, nicht auf einen Schlag totgefahren, sondern aufgrund seiner niedrigen Geschwindigkeit quasi langsam erwürgt hätte. Es kam nach meinem Abgang dann natürlich die Frage auf, was ich machen soll. Mein Vater und ich hatten gerade wieder einmal eine heftige Auseinandersetzung miteinander, die auf Seiten meines Vaters mit dem klaren Spruch endete: "So lange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, so lange machst du, was ich sage!" Das war eine klare Aussage. Darüber hinaus konnte ich übrigens machen, was ich wollte. Ich ging also am nächsten Morgen immer noch aufgeregt und wütend zum Arbeitsamt und habe dort nachgefragt, was ich denn mit meiner Mittleren Reife noch werden könnte. Man sagte mir, dass in zeitlicher Hinsicht für dieses Jahr eigentlich alles zu spät sei, aber ich könne immerhin noch die Aufnahmeprüfungen für die Beamtenausbildung machen, denn die wären noch nicht abgeschlossen. "Gut," sagte ich, "dann mache ich das!" Ich kam daraufhin in eine sehr, sehr interessante und anregende Ausbildungssituation. Im Rahmen dieser Beamtenausbildung wird man nämlich bei einem Bürgermeister in einem kleinen Dorf ausgebildet. Das hat mir unglaublich gut getan – ganz unabhängig von der Tatsache, dass ich hinterher eigentlich nur sehr kurze Zeit Beamter gewesen bin. Das Tolle war eben, dass ich damit auf einen Schlag mitten in einer Gemeinde war und all die großen und kleinen Probleme kennen lernte, die dort eben auftraten. Ich wurde auch mit all den Problemen konfrontiert, die die kleinen Leute in so einer Gemeinde haben können. Der Bürgermeister hatte mehrere Gemeinden zu betreuen und war daher oft nicht anwesend. Dies bedeutete, dass die Leute dann zu mir kamen und sagten: "Du musst dir etwas einfallen lassen, wir haben hier ein bestimmtes Problem..." Im Rahmen meiner Ausbildung war auch noch die Raiffeisenverwaltung, die so genannte Genossenschaftskasse, mit dabei, weil auch sie im Rathaus mit geführt wurde. Ich hatte also plötzlich unglaubliche Lernmöglichkeiten im Hinblick auf die praktischen Dinge des Lebens. Ich machte also diese Ausbildung zu Ende und wollte hinterher eigentlich das Abitur nachmachen. Ich bekam dann sogar die Zulassung für das Begabtenabitur für das Fach Jura. Allerdings musste ich dann zunächst einmal wieder Geld verdienen, bis ich dieses Studium aufnehmen konnte. Ich hatte aber inzwischen bei der Stadtverwaltung eine Stellung inne, bei der ich wesentlich mehr verdient habe als ich verdient hätte, wenn ich dorthin als Jurist von der Universität gekommen wäre. Dabei ist es dann auch geblieben: Ich ging also nicht an die Universität. Reuß: Sie waren in Ihrer Ausbildung in der Tat sehr erfolgreich: Sie waren nämlich auch noch in Giengen an der Brenz, in Bad Mergentheim und darüber hinaus auch an der Verwaltungsschule in Stuttgart. Danach waren Sie dann Stadtoberinspektor in Bietigheim und haben dort als Geschäftsführer der Stadt auch eine eigene Wohnungsbaugenossenschaft geleitet und Sie hatten darüber hinaus noch ein paar Annehmlichkeiten, die für einen jungen Menschen mit 27, 28 Jahren sehr wohl eine Besonderheit darstellten: Sie hatten nämlich einen eigenen Dienstwagen, der schon damals mit Autotelefon ausgestattet war, weil Sie viel unterwegs sein mussten. Es war dann kein Wunder, dass die Politik auf Sie aufmerksam wurde. 1967 hat Sie dann auch tatsächlich die Union angesprochen, ob Sie nicht für den Landtag kandidieren wollten. Das war ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl, und es ging um einen sicheren SPD-Wahlkreis. Wenn Sie damals von der SPD angesprochen worden wären - denn man sagte, dass Lothar Späth mit seinen Ideen auch im Wohnungsbau eher der SPD nahe stehen würde -, hätte es dann sein können, dass Lothar Späth bei der SPD reüssiert hätte? Späth: Seit ich die CSU genau kenne, wäre ich vielleicht sogar ein Aspirant für die CSU gewesen. Denn ich habe als Politiker schon immer wieder versucht, eine ausgleichende Situation herzustellen. Ich komme aus einfachen Verhältnissen, und mir war die Frage, wie der kleine Mann zu einer Wohnung kommt, wirklich wichtig. Aber gleichzeitig war ich auch fasziniert von der Erhardschen Entwicklung der Marktwirtschaft. Ich habe damals furchtbar viele Bücher darüber verschlungen. Es ist ja immer so, dass jemand, der sein Abitur nachholen wollte, aber nicht dazugekommen ist, meinetwegen auf Gebieten wie der Wirtschaftswissenschaft oder auch der Philosophie mittels Lesen einiges nachzuholen und sich anzueignen versucht. Mich hat damals vor allem auch Müller-Armack interessiert, der meiner Meinung nach die fundamentalen Fragen der sozialen Marktwirtschaft gelehrt und diskutiert hat. Es war also schon meine eigene Entscheidung, in die Union zu gehen. In der Kommunalpolitik war ich ein Pragmatiker: Ich war damals Finanzchef und habe dann die Möglichkeit erhalten, auch beim Wohnungsbau mitzumischen. Ich war also ganz klar pragmatisch ausgerichtet. Als dieses Angebot an mich erging, war ich noch nicht einmal Mitglied einer Partei. Meine Überlegungen gingen im Hinblick auf dieses Angebot in folgende Richtung: Die Entscheidungen, die mich hier in der Kommune betreffen, fallen oft in Stuttgart im Parlament oder in der Regierung. Aus dem Grund hat es mich also schon gereizt, auch selbst nach Stuttgart in den Landtag zu gehen. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn mir eine andere Partei ein solches Angebot unterbreitet hätte. Ich war damals in der Tat nicht furchtbar fest gefügt. Aber ich glaube schon, dass ich mit Blick auf meine eigene Lebensphilosophie letztlich bei der richtigen Partei gelandet bin. Ich habe aber auch immer zu führenden Sozialdemokraten und Vertretern anderer Parteien ausgesprochen gute Kontakte gepflegt: Dies gilt auch heute noch. Ich bin also keiner von denen, die sagen: "Meine Partei hat Recht und alles andere ist unwichtig!" Meine eigentliche große Chance damals bestand aber letztlich darin, dass ich diesen Wahlkreis bekommen habe, weil er nicht zu gewinnen war. Aus dem Grund hat man auch nur schwer Kandidaten dafür gefunden. Ich war ja erst drei Jahre davor in den USA gewesen, wo ich miterlebt hatte, wie dort Wahlkämpfe geführt werden. In meinen eigenen Wahlkampf habe ich dann Elemente integriert, die damals noch völlig verpönt waren. Wir sind z. B. mit Oldtimern durch den Wahlkreis gefahren usw. Wir haben also einen richtig fröhlichen und unterhaltsamen Wahlkampf gemacht. Reuß: Ihr Slogan hieß damals "Lothar Späth kommt nie zu spät!" Späth: Das war eigentlich ein fürchterlicher Slogan, denn ich kam ja zu fast jeder Veranstaltung zu spät. Die Leute haben dann immer gesagt: "Da schau, da kommt er wieder um sieben Minuten zu spät!" Aber das hat doch letztlich eine gewisse Sympathie in die ganze Geschichte mit hineingebraucht. Außerdem war ich als junger Mann in dieser Gegend wegen des Wohnungsbaus und der damit zusammenhängenden Experimente auch relativ populär. Wir haben z. B. damals zusammen mit den Schweden die ersten großen Fertigteilhäuser gebaut. Ich hatte also das Image eines wuseligen jungen Bürgermeisters, der den Leuten gefiel. Ich glaube, ich habe damals viele Stimmen bekommen, die gar nicht so sehr parteiorientiert waren. Dies war jedenfalls mein Start in die Politik. Reuß: Sie waren dann auch noch Geschäftsführer der Neuen Heimat, die Sie jedoch 1974 wieder verlassen haben. Sie waren für eine kurze Zeit sogar im Zentralvorstand der Neuen Heimat in Hamburg gewesen. Danach wurden Sie im Jahr 1972 Fraktionsvorsitzender der CDU im Stuttgarter Landtag. Dort haben Sie mit einer alten Tradition gebrochen: Die CDU regierte damals mit einer absoluten Mehrheit und die CDU-Fraktion im Landtag verstand sich eigentlich bis zu Ihrem Amtsantritt eher als Mehrheitsbeschafferin der Regierung. Sie jedoch haben gesagt: "Die eigentliche Opposition ist die CDU-Fraktion!" Bestand da nicht ein bisschen die Gefahr, dass Sie mit diesem Ansatz die Regierung entautorisierten, dass Sie eine Nebenregierung in der Fraktion schufen? Späth: Da hat es natürlich auch Stimmen gegeben, die mich gewarnt haben. Es hat da zwischen uns schon immer wieder "fröhliche" Auseinandersetzungen gegeben, die manchmal schon auch recht hart werden konnten. Dies war z. B. dann der Fall, wenn die Fraktion angekündigt hat, dass sie das angekündigte Konzept der Regierung nicht mittragen werde. Es gab dann bei einer Haushaltsdebatte auch eine böse Überschrift in der Zeitung: "Fraktion übernimmt Regierung!" Dies hat natürlich auch mein Verhältnis zu dem damaligen Ministerpräsidenten Filbinger belastet, mit dem ich mich übrigens später blendend verstanden habe und mit dem ich heute noch einen sehr lebendigen Kontakt habe. Letztlich war das Ganze natürlich auch ein Generationsproblem. Ich war, als ich Fraktionsvorsitzender geworden bin, noch keine 35 Jahre alt. Mit 40 Jahren war ich dann Ministerpräsident. Da hat es eben einen klaren Generationsunterschied zwischen Filbinger und mir von 25 Jahren gegeben. Wir haben mit unserer Arbeit damals aber dennoch etwas ganz Bestimmtes erreicht. Wir haben nämlich immer gesagt, dass wir auch die Opposition selbst machen müssen: Denn die eigentliche Opposition war nicht wirklich einfallsreich. Dies ließ sich natürlich leicht behaupten, denn mit ihren Minderheiten konnte sie ja auch nie etwas durchsetzen. Wir hingegen konnten bei der Regierung Druck machen und auch so manchen Punktsieg erringen gegen sie. Auf diese Weise haben die Menschen im Lande jedenfalls eine sehr lebendige CDU wahrgenommen, eine CDU, die nicht unter der absoluten Mehrheit ermüdet, sondern in sich sehr viel Spannung trägt. Wir haben damals auch Themen aufgegriffen, die die alte CDU nicht aufgegriffen hätte. Das waren z. B. die Stadtthemen oder die Wandlungsthemen in den Lebensentwürfen von jungen Menschen usw. Ich finde jedenfalls, dass das eine unglaublich produktive Zeit gewesen ist. Natürlich haben wir manchmal spielerisch auch ein wenig übertrieben: Wir sahen viele Dinge eher sportlich, die Regierung sah das alles eher unter grundsätzlichem Aspekt. Auch das war wiederum ein Generationsthema. Alles in allem hat das jedenfalls dazu geführt, dass wir die absolute Mehrheit in Baden- Württemberg nicht nur 1972 zum ersten Mal gewinnen konnten, sondern ich anschließend als Ministerpräsident drei Legislaturperioden hatte, bei denen wir jeweils die absolute Mehrheit inne hatten. Reuß: Sie waren nach Ihrer Zeit als Fraktionsvorsitzender im Stuttgarter Landtag auch für kurze Zeit Innenminister. Nachdem Sie es lange Zeit abgelehnt hatten, ins Kabinett zu wechseln, sind Sie dann 1978, nach dem "Deutschen Herbst", doch in die Regierung eingetreten. Sie konnten dieses Amt jedoch nur drei Monate lang ausüben, denn es begann dann eine Diskussion um den Ministerpräsidenten Hans Karl Filbinger und seine Zeit als Marinerichter im Dritten Reich. Es kam so langsam an die Öffentlichkeit, dass er in dieser Zeit für vier Todesurteile zuständig gewesen war. Eines davon war dann auch vollstreckt worden. Hans Karl Filbinger trat schließlich von seinem Amt als Ministerpräsident zurück. Wie war Ihr Verhältnis zu ihm damals? Späth: Wir hatten in dieser Zeit durchaus ein gespanntes Verhältnis. Aber er hat mich akzeptiert, weil er mir eben keine Fähigkeiten absprach. Er hat vielleicht meinen etwas dynamischen und unbefangenen Stil, der, wie ich einräume, natürlich relativ wenig staatsmännischen Charakter hatte, nicht so sehr geschätzt, das stimmt schon. Ich wiederum hatte einen großen Respekt vor dem, was er für dieses Land geleistet hat. Deswegen habe ich es auch so fürchterlich schicksalshaft empfunden, was damals mit ihm geschehen ist. Dies ist sicherlich keine Sache, auf die wir hier vertieft eingehen können, aber ich muss doch sagen, dass ihm damals in dieser Phase Unrecht geschehen ist. Die Auseinandersetzung im Jahr 1976, als ich nicht ins Kabinett eintreten wollte, drehte sich darum, dass ich persönlich eigentlich gar nicht endgültig in die Politik gehen wollte. Aus diesem Grund wollte ich nicht in die Regierung eintreten. Stattdessen wollte ich nur Parlamentarier sein. Nachdem ich damals die Neue Heimat verlassen hatte, hatte ich mir eine andere Aufgabe auf diesem Gebiet gesucht: Ich war dann nämlich Vorstandsmitglied einer mittelständischen Baufirma und ich war Mitglied in einigen Wirtschaftsgremien. Dies alles hat mir dann später in Jena gewaltig geholfen. Die Leute dachten ja immer, ich sei als Politiker in die Wirtschaft gewechselt. Richtig ist vielmehr, dass ich bereits davor zehn Jahre in der Wirtschaft gewesen bin. Deswegen war das also damals in den siebziger Jahren alles in Ordnung für mich. Ich will hier auch noch einen meiner großen Förderer ansprechen. Ich erwähne das auch deshalb, weil es ja vor kurzem dieses 25jährige Gedenken an den Terrorismus von 1977 gegeben hat, an die Ermordung von Ponto, Buback und Schleyer. Hanns-Martin Schleyer gehörte nämlich zu meinen großen Förderern. Es kam in diesem Jahr 1977 ja zur Ermordung von Hanns- Martin Schleyer, zur Entführung der Lufthansa-Maschine und zum Selbstmord der Terroristen in Stammheim. Das war die Phase, in der ich dann Innenminister geworden bin. Zu diesem Zeitpunkt habe ich dann nämlich gesagt, ich übernehme dieses Amt. Ich war nur sechs Monate lang Innenminister in Stuttgart, aber es waren sechs fürchterliche Monate. Denn erst in der Zeit habe ich erlebt, was das Thema innere Sicherheit eigentlich bedeutet. Der Selbstmord der Terroristen war ja von ihnen selbst so dargestellt worden, als hätte der Kapitalismus diese "armen Terroristen" umgebracht. In dieser Zeit war dann eben auch meine Familie involviert: Da war Sicherheit alles! Die Kinder konnten nur noch mit Begleitung in die Schule gehen. Dies hat für mich aber auch eine Grundentscheidung bedeutet: "So, jetzt bist du in der Politik und jetzt bleibst du da auch!" Als dann zurücktrat, habe ich mich ja auch um seine Nachfolge beworben und mit Manfred Rommel um die Mehrheit innerhalb der Fraktion und der Partei gekämpft. Reuß: Denn Rommel trat ja als Stuttgarter Oberbürgermeister auch an. Späth: Ja, er war mein Gegenkandidat. Wobei ich aber sagen muss, dass das Verhältnis zwischen Manfred Rommel und mir sehr, sehr freundschaftlich ist. Wir haben auch damals, als wir gegeneinander gekämpft haben, immer gesagt, wir wollen gute Freunde bleiben. Das Ganze blieb also sehr wohl auf der Ebene einer demokratischen Auseinandersetzung und Auswahl. Mein persönliches Verhältnis zu Hans Filbinger hat sich dann später auch aus all diesen Spannungen befreit: Ich muss sagen, dass ich später auch vieles an Ratschlägen von ihm bekommen habe. Für mich waren diese Ratschläge, die er mir aufgrund seiner Erfahrung geben konnte, sehr hilfreich. Ich bin jetzt gerade mal so alt wie er, als er aus dem Amt ausgeschieden ist. Er wird ja jetzt auch bald seinen 90. Geburtstag feiern. Es ist wirklich interessant zu beobachten, wie all das plötzlich verschwindet, was man als Spannungen in vielen Kleinigkeiten ernst genommen hatte, wenn beide zur aktuellen Situationen mittlerweile eine so große Distanz haben: Man kann den anderen in seiner Aufgabenerfüllung sehr, sehr gut respektieren. Reuß: Wir machen nun einen großen Sprung. Sie waren als Ministerpräsident sehr, sehr erfolgreich, denn Sie haben in Baden-Württemberg drei Mal die absolute Mehrheit für die CDU geholt – und dies durchaus auch gegen den Bundestrend. Sie galten aber für die Bundes-CDU nicht immer als besonders pflegeleicht: Sie haben sich eben eine eigene Meinung geleistet. 1989 kam dann im September in Bremen der Bundesparteitag der CDU mit einer schmerzlichen Niederlage für Sie: Sie wurden nicht wieder ins Präsidium der CDU gewählt. Sie verloren somit auch Ihr Amt als stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender. Dem allem war Folgendes vorausgegangen: Die CDU war im Stimmungstief, die Popularitätswerte des Bundeskanzlers sackten ab und gingen in den Keller. Sie hingegen waren monatelang auf der Popularitätsskala der populärste CDU- Politiker. Und es kam noch etwas anderes hinzu. Der Bundeskanzler, der gleichzeitig auch Bundesvorsitzender der CDU war, hatte angekündigt, auf diesem Parteitag den Generalsekretär Heiner Geißler nicht wieder für dieses Amt zu nominieren. Sie haben dies damals eine gewaltige Zumutung für die Partei genannt. In der Presse wurde spekuliert, Sie würden auf dem Bundesparteitag gegen Helmut Kohl antreten. Sie haben dies dann aber nicht gemacht. Wollten Sie das jemals? Späth: Die Vorgeschichte war, dass es zwischen uns immer wieder Spannungen gegeben hatte. Auch hier war das alles viel weniger persönlich gefärbt als es von der Presse hinein interpretiert worden ist. Helmut Kohl ist ein Mensch, mit dem man sehr gut umgehen kann. Aber er ist natürlich schon auch ein Machtmensch. Ich war aus seiner Sicht bestimmt nicht sehr pflegeleicht, weil ich mit meinen absoluten Mehrheiten aus Baden- Württemberg gekommen bin und gesagt habe, dass wir nun auch auf Bundesebene mitmischen wollen. Es gab da in der Tat sehr viele unterschiedliche Auffassungen. Das war übrigens eine Zeit, in der das Präsidium der Union unglaublich spannend zusammengesetzt war. Da hat es wirklich die verschiedensten Charaktere gegeben: Da gab es die Rita Süssmuth in ihrer Anfangszeit, die damals sehr viel Neues in die Familienpolitik der CDU eingebracht hat; Heiner Geißler war natürlich ein umtriebiger Mensch, der ebenfalls seine Stärken hatte; da gab es einen ; da gab es einen aus Hessen; da gab es einen und einen Norbert Blüm und einen Ernst Albrecht. Da hat es in den Sitzungen des Präsidiums wirklich gesprüht. Damals war die Union wirklich eine richtige Programmpartei. Es kam aber zu einer Entwicklung, die bei vielen Mitgliedern im Präsidium zur Ansicht geführt hat, dass die Situation für die Union gar nicht gut aussieht. Es herrschte dann die Meinung, dass man zumindest mal darüber diskutieren müsse, ob man Kanzlerschaft und Parteivorsitz nicht trennen sollte. Wir wussten natürlich, dass Helmut Kohl das keinesfalls wollte. Alle möglichen Leute haben jedenfalls in dieser Situation gesagt, "Wir müssen jetzt mal etwas machen!". Ich selbst war auch dieser Meinung. Mich hatte es vor allem sehr geärgert, dass er Heinrich Geißler, der ja von Helmut Kohl selbst ausgesucht worden war und für die Union wirklich ein wichtiger Mann war, mit dieser Machtmethode einfach so abserviert hatte. Dies hat dazu geführt, dass ich gesagt habe, dann müsse eben einer antreten. Am Schluss haben dann alle spekuliert, ich würde das machen. Auch alle Zeitungen dachten, dass ich das aufgrund meiner Popularität wohl machen werde: Es hieß überall: "Der Späth tritt an." Dies war damals jedoch wirklich nicht meine Absicht: Ich wollte nicht antreten und hatte zu Helmut Kohl auch gesagt, dass ich nicht antreten werde. Ich war dann jedoch auch der Meinung, dass wir alle gemeinsam sagen müssen, dass einer antreten wird, wenn nun schon so viel darüber diskutiert wird. Ich sagte also damals: "Ich unterstütze den, der antritt, und sage das auch öffentlich so." – Wir diskutierten dann auch über mehrere mögliche Kandidaten. – "Wenn ihr entscheidet, dass ich antreten soll, dann mache ich das auch, denn das gehört für mich zur demokratischen Fairness." Als es dann kurz vor dem Parteitag zu den entscheidenden Besprechungen gekommen ist, habe ich gemerkt, wie sich plötzlich der in die Büsche schlägt und jener in die Büsche schlägt und der zum Helmut Kohl läuft und ihm sagt, "Du, die sind böse zu dir", während er zu uns sagt, dass Helmut Kohl schon lange nicht mehr tragbar sei. Da habe ich so die Partei in ihren ganzen Schwächen erlebt. Ein paar Tage davor habe ich dann auch gesagt: "Leute, mit dieser Partei kann man keinen Stall stürmen! Dann lasst es! Dann sagen wir aber auch ganz offen, dass wir dieser Meinung waren, dass es aber im Grunde genommen keine Konzeption gibt und dass es keine Figur gibt, die von allen getragen wird." Denn in so einer Situation müssen nun einmal alle aus ihrer Deckung heraus: Da kann sich nicht jeder einfach so heraussuchen, was er machen will und hinterher dann doch wieder rumjammern. Weil ich diese Diskussion ein Stück weit forciert und gesagt hatte, wir müssen es so und so machen, hat das dann dazu geführt, dass ich alles abbekommen habe. Ich habe letztlich sehr früh – mehrere Tage vor dem Parteitag – gesagt, dass ich nicht antreten werde und dass auch sonst niemand antreten wird. Auf dem Parteitag gab es dann natürlich eine große Diskussion darüber. Die "Welt" hatte in diesen Tagen dann auch noch getitelt "Herr Späth, haben wir ein Kanzlerproblem?" Aus diesem Grund ist dann eben bei mir der ganze Ballast angefallen, und so bin ich aus dem Präsidium herausgewählt worden. Dies wollte aber eigentlich ganz offensichtlich niemand: Das habe ich selbst auch gleich an der Reaktion von Helmut Kohl gemerkt. Denn er hat mich unmittelbar danach zu sich gebeten. Wir führten ein langes Gespräch miteinander, in dem er zu mir sagte: "Du bist als Ministerpräsident natürlich trotzdem immer noch im Präsidium mit dabei." Ich antwortete ihm daraufhin aber: "Ich gehe nicht hinten hinein, wenn ich vorne nicht hineinkomme!" Es kam einige Monate danach zur Wiedervereinigung, und bei der nächsten Wahl für das Präsidium habe ich, wenn ich mich nicht täusche, die zweithöchste Stimmenzahl bekommen. Aber zwischen uns war da natürlich schon etwas zerbrochen, das ist klar. In der langen Zeit, in der ich dann in Jena war, hat sich das aber alles wieder aufgelöst. Helmut Kohl hat mich ja auch vor vier Jahren gefragt, ob ich nicht mithelfen wolle bei der Bundestagswahl. Ich würde also sagen, dass unser Verhältnis zueinander relativ entspannt ist. Auch solche Niederlagen gehören eben zum Leben eines Politikers mit dazu. Bei mir war das eigentlich nur der Anfang einer sehr viel schwierigeren Niederlage, bei der die Menschen heute noch darüber rätseln, ob es nicht vielleicht der eigene Verein gewesen ist, der da mitgemauschelt hat. Man hat zumindest geduldet, dass da alle möglichen Gerüchte in Umlauf gekommen sind. Für mich hat das aber zu einer Veränderung in meinem Leben geführt, die ich für sehr spannend halte. Dies betrifft nun wieder meine Grundeinstellung: Es passiert nichts umsonst! Das Leben ist eben auch deshalb so spannend, weil man es nicht so fundamental vorherbestimmen kann. Reuß: Machen wir erneut einen Sprung: Um die Jahreswende 1990/91 berichteten die Medien von der so genannten "Traumschiff-Affäre". Es ging darum, dass Dienstreisen, die der Ministerpräsident Baden-Württembergs, Lothar Späth, unternommen hatte, von Wirtschaftsunternehmen bezahlt worden waren. Es ging auch darum, dass ganz wenige Urlaubsreisen von Freunden von Ihnen bezahlt worden sind: von privaten Freunden, die aus der Wirtschaft kamen. Die Staatsanwaltschaft hat in der Sache ermittelt und später ihre Ermittlungen wieder eingestellt. Es gab einen Untersuchungsausschuss, aber auch der konnte am Ende nur feststellen: "Es ist nicht zu belegen, dass es zu irgendeiner Verquickung von Amtsgeschäften und privaten Geschäften gekommen ist." Dennoch sind Sie am 13. Januar 1991 von Ihrem Amt als Ministerpräsident zurückgetreten. Warum eigentlich? Späth: Wenn eine Sache mal solche Dimensionen annimmt, dann kommen dabei die verschiedensten Dinge zusammen. Diese Dinge kann man aber den einfachen Leuten kaum ausreichend erklären. Die Industrie in Baden- Württemberg hat z. B. auch meinen Vorgängern immer mal wieder ein Flugzeug zur Verfügung gestellt. Wenn sie für dringende Termine eine Maschine gebraucht haben, um meinetwegen nach Bonn zu fliegen, und das Wetter zu schlecht war, um mit dem Hubschrauber zu fliegen, dann haben einige der Firmen in Baden-Württemberg immer mal wieder zum Ministerpräsidenten gesagt: "Wenn Sie mal eine Maschine brauchen, dann können Sie unsere benützen! Oder wenn wir eh dorthin fliegen, dann können Sie selbstverständlich mitfliegen." Bei mir hat das alles insoweit eine größere Dimension angenommen, weil ich als Ministerpräsident sehr, sehr oft von Firmen und Industrieorganisationen – auch von internationalen Organisationen – eingeladen worden bin, Vorträge zu halten. Ich habe dabei aber immer einen Grundsatz vertreten: Es ist völlig ausgeschlossen, dass der Steuerzahler von Baden-Württemberg das Privatflugzeug bezahlt, wenn ein solches dafür notwendig sein sollte. Ich habe jeden wissen lassen, dass ich – auch in zeitlicher Hinsucht – nur bereit bin, das zu machen, wenn er für die Kosten dafür aufkommt. Damit war ich natürlich in einer gefährlichen Situation. Wobei ich aber schon auch sagen muss, dass ich bei vielen internationalen Konferenzen gelandet bin und dann neben mir ab und zu Privatmaschinen aus München oder aus Nordrhein-Westfalen auf dem Rollfeld standen. Es war sicherlich so, dass ich das vermutlich in umfangreicherem Maße in Anspruch genommen habe als jeder andere Ministerpräsident. Dies hatte aber ganz einfach damit zu tun, dass ich eben ein relativ gefragter Redner und Debattenpartner war. Reuß: Und es heute noch sind! Späth: Heute wäre das alles kein Problem, denn heute gibt es hier eine andere Freiheit. Gut, so war das damals eben. Es kam dann aber hinzu, dass mich Freunde – und das habe ich natürlich als fürchterliche persönliche Enttäuschung empfunden – mitsamt meiner Familie privat eingeladen und die Kosten dafür nachher aber bei der Firma abgerechnet hatten. Eigentlich drehte es sich da nur um einen markanten Fall. Für einen selbst ist es furchtbar peinlich, wenn man das alles erst hinterher erfährt. Gut, es war schon klar, dass ich mich nicht von irgendeinem einfachen Mann auf sein Schiff einladen ließ. Aber ich möchte nicht kontrollieren, wie viele Leute jeden Sommer, eingeladen auf irgendwelchen Schiffen, in der Ägäis unterwegs sind. Gut, man hätte sagen können, dass der Ministerpräsident so etwas einfach nicht machen darf. Ich war der Meinung, dass das in Ordnung geht, wenn das persönliche Freunde sind und auch die Familien miteinander befreundet sind. Natürlich kann ich als Ministerpräsident keine Gegeneinladung dieser Art aussprechen, denn normalerweise würde man das ja bei Einladungen von Freunden so machen. Es hat sich dann letztlich doch alles aufgelöst. Aber eines wusste ich doch recht früh: Ich werde nicht mehr derselbe sein, wenn ich das alles durchgestanden habe. Sicher, das wäre schon alles irgendwie durchzustehen gewesen, aber ich habe meiner Familie, meiner Frau und meinen Kindern, doch relativ früh gesagt: "Das möchte ich nicht und das mute ich euch auch nicht zu! Wir würden nämlich mindestens ein ganzes Jahr erleben müssen, in dem wir in den Zeitungen permanent zugeschmiert werden!" Denn das alles geht ja bis ins letzte Detail: Da kommt der Wettbewerb in den Medien auf, wer doch noch irgendwo ein kleines Detail herausbringt. Ich habe also aus diesem Grund gesagt: "Nein, da trete ich lieber zurück und mache etwas anderes!" Es gibt viele Freunde von mir, die mir im Rückblick auf diese Zeit sagen: "Du warst nach zwölf Jahren Ministerpräsident und nach diesen Vorgängen auf dem Bundesparteitag sowieso ein Stück zermürbt und hast daher im Grunde deines Herzen noch nach einer anderen Herausforderung gesucht." Das ist natürlich richtig: Ich war mit 40 Jahren Ministerpräsident; als ich zurückgetreten bin, war ich 53 Jahre alt. Das heißt also, für mich war da schon noch Luft für einen völlig neuen Lebensabschnitt. Diesen neuen Lebensabschnitt habe ich dann in der Tat begonnen. Heute muss ich sagen, dass ich mich zwar nicht bei all denen bedanke, die mich damals angegriffen haben, aber dennoch gerne zugebe, dass mir daraus noch einmal eine spannende und neue Chance im Leben erwachsen ist. Ich weiß ja auch nicht, was die Leute sagen würden, wenn ich heute mit 65 Jahren schon seit 25 Jahren Ministerpräsident in Baden-Württemberg wäre. Reuß: Wir sind schon fast am Ende unseres Gesprächs. Wir kommen leider nicht mehr zum Kulturliebhaber oder zum Jenoptik-Chef oder zum Honorarprofessor, was ich sehr bedauere. Ich darf mich trotzdem ganz herzlich bedanken, Herr Professor Späth, dass Sie bei uns waren. Verehrte Zuschauer, das war das heutige Alpha-Forum. Ich will allerdings nicht ohne ein Zitat von Ihnen schließen. Sie sagten einmal: "Ich bin ein Anhänger der Spaßgesellschaft. Aber zuerst kommt der Spaß an der Arbeit, dann können wir uns die anderen Späße auch leisten, sonst ist der Spaß bald vorbei." Herzlichen Dank noch einmal, Herr Professor Späth. Verehrte Zuschauer, das war das Alpha-Forum, heute mit Professor Dr. Lothar Späth, dem Vorstandsvorsitzenden der "Jenoptik AG". Herzlichen Dank für Ihr Interesse und fürs Zuschauen, auf Wiedersehen.

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